eJournals Frühförderung interdisziplinär 25/3

Frühförderung interdisziplinär
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0721-9121
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
71
2006
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Der Intelligenztest "Naglieri Nonverbal Ability Test (NNAT)"

71
2006
Heinz Süss-Burghart
Der Intelligenztest „Naglieri Nonverbal Ability Test (NNAT)“ ist ein neues Verfahren zur Prüfung der generellen intellektuellen Fähigkeiten. Das Verfahren bietet neben 2 Parallelformen mit jeweils 72 Items, die zur Lösung heterogene Fähigkeiten fordern, einen individuellen Testeinstieg, ein Abbruchkriterium, eine umfangreiche Normierung für den Altersbereich von 5 bis 17 Jahren, aber noch keine deutschen Normen. In der Diagnostik zweier klinischer Stichproben verglichen wir den NNAT mit der K-ABC (N = 107 Kinder) und mit dem HAWIK-III (N = 31). Im Vergleich mit der K-ABC lagen die IQ-Ergebnisse des NNAT etwas höher, die Unterschiede waren aber nicht bedeutsam, die Zusammenhänge des NNAT-IQ mit den K-ABC-IQ-Ergebnissen und auch mit den meisten K-ABC Untertests waren hoch bis sehr hoch. Zusammenfassend steht mit dem NNAT ein sehr ökonomisches und meist sehr zuverlässiges Verfahren zur Verfügung, das sich für die Diagnostik der generellen intellektuellen Fähigkeiten gut eignet, aber konstruktionsbedingt keine Möglichkeiten zur Profilinterpretation und damit für die Teilleistungsdiagnostik bietet.
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1. Hinführung Es gibt eine Vielzahl unterschiedlicher Intelligenztests, die für verschiedene diagnostische Ziele konstruiert und normiert wurden. Komplexe Tests, etwa wie die K-ABC und der HAWIK-III, erlauben relativ zuverlässige Aussagen über unterschiedliche Bereiche der intellektuellen Fähigkeiten und sind damit hilfreich in der Teilleistungsdiagnostik. Die Durchführung und Auswertung dieser Verfahren ist aber aufwendig und kompliziert. Eindimensionale Intelligenztests dagegen, wie die „Raven-Tests“ geben nur Hinweise auf allgemeine intellektuelle Fähigkeiten, sind aber schnell und ökonomisch durchzuführen. Der Intelligenztest „Naglieri Nonverbal Ability Test (NNAT)“ in der Diagnostik einer klinischen Stichprobe und im Vergleich mit der „Kaufman Assessment Battery for Children (K-ABC) und dem „Hamburg-Wechsler Intelligenztest für Kinder (HAWIK-III)“ 1 HEINZ SÜSS-BURGHART Zusammenfassung: Der Intelligenztest „Naglieri Nonverbal Ability Test (NNAT)“ ist ein neues Verfahren zur Prüfung der generellen intellektuellen Fähigkeiten. Das Verfahren bietet neben 2 Parallelformen mit jeweils 72 Items, die zur Lösung heterogene Fähigkeiten fordern, einen individuellen Testeinstieg, ein Abbruchkriterium, eine umfangreiche Normierung für den Altersbereich von 5 bis 17 Jahren, aber noch keine deutschen Normen. In der Diagnostik zweier klinischer Stichproben verglichen wir den NNAT mit der K-ABC (N = 107 Kinder) und mit dem HAWIK-III (N = 31). Im Vergleich mit der K-ABC lagen die IQ-Ergebnisse des NNAT etwas höher, die Unterschiede waren aber nicht bedeutsam, die Zusammenhänge des NNAT-IQ mit den K-ABC-IQ-Ergebnissen und auch mit den meisten K-ABC Untertests waren hoch bis sehr hoch. Zusammenfassend steht mit dem NNAT ein sehr ökonomisches und meist sehr zuverlässiges Verfahren zur Verfügung, das sich für die Diagnostik der generellen intellektuellen Fähigkeiten gut eignet, aber konstruktionsbedingt keine Möglichkeiten zur Profilinterpretation und damit für die Teilleistungsdiagnostik bietet. Schlüsselwörter: Intelligenz-Test The “Naglieri Nonverbal Ability Test (NNAT)” as a Measure of Intelligence Compared with K-ABC and HAWIK III in a Clinical Sample Summary: The intelligence test “Naglieri Nonverbal Ability Test (NNAT)” is an new method for testing general intellectual abilities. The method offers next to two parallel forms with 72 items each, which ask for heterogenerous abilities in order to find the solution, an individual test start, a breakoff criteria, a comprehensive standardizitation for the age of 5 to 17, but not yet any german norms. In the diagnostics of two clinical random samples, we compared the NNAT with the K-ABC (N = 107 children) and the HAWIK-III (N = 31). In comparison with the K-ABC, the IQ results of the NNAT were slightly higher, the differences, however, were not relevant. All in all, the NNAT is a very economical and mostly very reliable method for diagnosing general intellectual abilities, but due to constructural reasons does not offer possibilities for profile interpretation and thus for diagnosing specific learning disabilities. Keywords: Intelligence test 1 Aus dem Kinderzentrum München (Direktor: Prof. Dr. Dr. h. c. v.Voss) Frühförderung interdisziplinär, 25. Jg., S. 113 -121 (2006) © Ernst Reinhardt Verlag München Basel Originalarbeiten Allerdings sind die auf dem deutschen Markt befindlichen Verfahren dieser Art recht betagt, wenn auch teilweise mit aktualisierten Normen versehen. Ein neues Verfahren zur ökonomischen Prüfung der generellen intellektuellen Fähigkeiten kommt aus den USA, der „Naglieri Nonverbal Ability Test (NNAT)“ (Naglieri 2003). Wir prüften die Anwendbarkeit und Zuverlässigkeit des NNAT in der Diagnostik einer klinischen Stichprobe und verglichen die Ergebnisse und die Aussagekraft des Tests mit komplexen Intelligenztests „Kaufman Assessment Battery for Children (K-ABC)“ (Melchers & Preuss 2003) und „Hamburg-Wechsler-Intelligenztest für Kinder (HAWIK-III)“ (Tewes et al. 2000). 2. Vorstellung der Verfahren 2.1 „Naglieri Nonverbal Ability Test (NNAT)“ Der „NNAT“ ist eine individuelle, nonverbale Prüfung der allgemeinen intellektuellen Fähigkeiten für den Altersbereich von 5 bis 17 Jahren. Ein differenzierteres Sprach- und Instruktionsverständnis und expressive Sprache sind zur Lösung der Items nicht erforderlich. Konstruiert wurde der Test vor allem für die Anwendung bei • heterogenen kulturellen und sprachlichen Gruppen (Einwanderungssituation und der Bevölkerungsvielfalt in den USA [„culture-fair“ Test]) und • sprachauffälligen Kindern. Von dem Test gibt es auch eine Version, die in Gruppen durchführbar ist. Aufbau, Anwendungsbereich und Durchführung Der NNAT besteht aus zwei Parallelformen (in einem Ringbuch) mit jeweils 72 Items, bei denen abstrakt gestaltete Muster vervollständigt werden müssen. In dem oben auf dem Blatt abgebildeten großen Muster fehlt ein Stück; unter diesem Vorgabemuster befinden sich 5 Auswahl-Muster. Eines davon passt in das obere Vorgabemuster und muss vom Kind gezeigt werden. Mit jedem Kind müssen die zwei Beispielitems - zur Erklärung des Testprinzips - bearbeitet werden. Der individuelle Testeinstieg ist zuerst vom Alter des Kindes abhängig. Wenn beim altersabhängigem Einstieg von den ersten 4 Items eines vom Kind nicht gekonnt wurde, wird ein individueller Testeinstieg ermittelt. Dazu werden sukzessive die vorausgehenden Items angeboten, bis das Kind davon 4 in Folge lösen konnte. Das Abbruchkriterium sind ebenfalls 4 nicht gelöste Items in Folge. Die Testaufgaben bestehen aus 4 Arten von Items, die folgende Lösungsfähigkeiten fordern: Muster ergänzen, Analogiebildung, serielles Reasoning, spatiale Visualisierung. Die Normen sind bis zum 11. Lebensjahr in 4- Monatsschritte, dann in 6-Monatsschritte unterteilt. Die Differenzierungsfähigkeit des Tests im unteren Bereich ist unterschiedlich; bis zum 7. Lebensjahr reichen die Normen bis IQ 60, ab dem 9/ 10. Lebensjahr bis IQ 30. Damit differenziert der Test dann bei älteren geistig behinderten Kindern recht gut. Kennwerte, Auswertung und Interpretation Die Kennwerte des Tests sind recht gut; das Handbuch ist diesbezüglich recht ausführlich und beschreibt neben den üblichen Angaben Reliabilitätsstudien und Validitätsstudien mit z. B. geistig behinderten, hochbegabten, sprachbehinderten Kindern, unterschiedlichen ethischen Gruppen und auch Außenkriteriums- Vergleiche mit unterschiedlichen anderen Tests, darunter dem WISC-IV. Die Kinder erreichten in dem NNAT meist etwas höhere IQ- Ergebnisse als in den komplexen Tests (z. B. WISC IV); die Durchschnitts-IQ Werte lagen 114 Heinz Süss-Burghart FI 3/ 2006 um 2 - 4 Punkte höher, diese IQ-Differenzen erreichten aber nie ein statistisch relevantes Niveau. Zur Auswertung wird die Anzahl der gelösten Items bis zum Abbruchkriterium ermittelt und das IQ-Ergebnis entsprechend dem Lebensalter aus dem Handbuch entnommen. Deutsche Normen gibt es für das Verfahren noch nicht; die USA-Version ist aber mit insgesamt 66.000 Kindern normiert worden, so dass die Anwendung im deutschen Sprachraum durch die große Normierung erleichtert wird. Bei der Interpretation des individuellen Intelligenzniveaus orientieren sich die Autoren weitgehend am ICD-10. Beurteilung und Anwendungsmöglichkeiten des Verfahrens Der NNAT ist ein - auch wegen der individuellen Testeinstiegskriterien und dem Abbruchkriterium - sehr ökonomisch (Testdauer 10 bis 30 Minuten) durchführbarer Intelligenztest zur Prüfung der „generellen“ intellektuellen Fähigkeiten. Für eine Teilleistungsdiagnostik ist er aber genau aus letzterem Grund nicht geeignet. 2.2 Die Intelligenztests „Kaufman Assessment Battery for Children (K-ABC)“ und „Hamburg-Wechsler- Intelligenztest für Kinder (HAWIK-III)“ Beide Verfahren sind schon seit längerer Zeit in Anwendung und dürfen als bekannt angesehen werden. Bei beiden Tests handelt es sich um komplexe Intelligenztests, die jeweils aus einer Anzahl von Untertests bestehen, die wiederum unterschiedlichen Skalen oder Teiltests zugeordnet sind. Entsprechend aufwendig ist die Testdurchführung und Auswertung; dafür ist nach Angaben der Testhandbücher eine Profilinterpretation von Einzelfähigkeiten möglich. Die K-ABC ist mit einer Anzahl von Subtests bereits ab einem Lebensalter von 2 1 ⁄ 2 Jahren anwendbar; ein Teil dieser Subtests und andere Untertests, die erst ab 4 bzw. 6 Jahren angewendet werden können, sind dann noch bis zu einem Lebensalter von 12; 6 Jahren verwendbar. Der HAWIK-III ist erst nach dem 6. Lebensjahr verwendbar; dafür mit allen Subtests noch bis 16; 11 Jahre. Einige Subtests beider Verfahren messen recht ähnliche Inhalte (z. B. „Fotoserie“ (K- ABC) und „Bilderordnen“ (HAWIK-III) oder „Dreiecke“ (K-ABC) und „Mosaiktest“ (HA- WIK-III)); insgesamt prüft die K-ABC aber mehr visuell-konstruktive Fähigkeiten und der HAWIK-III mehr sprachlich-intellektuelle Fähigkeiten. Beide Tests sind als zuverlässige und aussagefähige Intelligenztests anerkannt. 3. Untersuchung Ziel der Untersuchung war es, • die Übereinstimmung der IQ-Ergebnisse des ökonomischen NNAT (mit USA Normen) mit den IQ-Werten der aufwendigen Verfahren K-ABC und HAWIK-III (beide mit deutschen Normen) zu ermitteln und • damit die Validität und Zuverlässigkeit des NNAT in der Diagnostik spezifischer Populationen zu prüfen. Die Anwendungsmöglichkeiten des Verfahrens liegen etwa • in der ökonomischen Feststellung der intellektuellen Fähigkeiten per se oder • im Vergleich der Intelligenz etwa mit den individuellen Rechtschreibfähigkeiten (Diskrepanzkriterium) für ein LRS- Gutachten oder aber • in der Ergänzung zu Intelligenztests, die in hohem Ausmaß allgemein-sprachlichintellektuelle Fähigkeiten (z. B. HAWIK- III) oder nicht-sprachliche Teilfähigkeiten (z. B. K-ABC) prüfen. FI 3/ 2006 Der Intelligenztest „Naglieri Nonverbal Ability Test (NNAT)“ 115 Eine weitere, sehr sinnvolle und ökonomische Einsatzmöglichkeit für das Verfahren ist die Anwendung des NNAT als Grundintelligenzmaß und die zusätzliche Anwendung von interessierenden Teiltests aus etwa K-ABC, HAWIK-III oder auch Fähigkeitstests in der Diagnostik von Teilleistungsproblemen. Damit kann man sich die Durchführung von schlecht konstruierten und wenig aussagekräftigen Subtests etwa von der K-ABC oder vom HAWIK-III sparen und bekommt dennoch ein valides und reliables IQ-Ergebnis als Einschätzung der individuellen, intellektuellen Fähigkeiten. 3.1 Die Kinder Alle Kinder wurden im Kinderzentrum München betreut und waren damit aus einer klinischen Stichprobe. Die Zuweisungsgründe zur stationären Diagnostik und Therapie waren unterschiedlich; die Diagnosen der Kinder waren heterogen. Die individuelle Intelligenzdiagnostik mit NNAT und K-ABC bzw. NNAT und HAWIK- III wurde zu Beginn der stationären Betreuung von erfahrenen und mit den Verfahren gut vertrauten Diagnostikern durchgeführt. Mit dem NNAT und der K-ABC wurden 107 Kinder getestet; das Durchschnittsalter der Kinder war 94.69 Monate; der Durchschnitts-IQ im NNAT betrug 88.80, der durchschnittliche SIF-IQ war 84.38. Mit dem NNAT und dem HAWIK-III wurden 31 Kinder geprüft; das Durchschnittsalter dieser Kinder war mit 115.70 Monaten etwas höher; der durchschnittliche NNAT-IQ war 93.31, der durchschnittliche Gesamt-IQ aus dem HAWIK-III betrug 92.27. 116 Heinz Süss-Burghart FI 3/ 2006 Gesamtgruppe Teilgruppe A Teilgruppe B Teilgruppe C (N = 107) (N = 66) (N = 26) (N = 15) NNAT-IQ 88.80 (18.37) 88.51 91.27 (17.8) 81.11 (23.5) K-ABC SIF-IQ 84.38 (20.2) 87.61 77.68 (18.9) 94.67 (26.5) SED-IQ 83.82 (19.16) 86.63 75.14 (15.6) 94.33 (14.2) SGD-IQ 84.80 (23.6) 86.70 79.00 (22.9) 94.67 (39.6) FS-IQ 79.21 (22.1) 84.94 68.28 (19.6) 79.13 (30.5) Wertpunkte Wertpunkte Wertpunkte Wertpunkte Handbewegungen 7.34 (3.5) 7.86 6.10 (3.5) 9.63 (3.3) Zahlennachsprechen 7.55 (3.6) 8.90 5.62 (2.7) 8.25 (3.2) Wortreihe 7.41 (3.6) 8.26 5.71 (2.7) 9.25 (3.0) Gestaltschließen 8.64 (3.7) 8.45 7.90 (3.8) 10.15 (4.5) Bildhaftes Ergänzen 8.28 (7.9) 7.60 10.05 (15.4) 8.75 (4.8) Dreiecke 7.31 (4.1) 8.12 6.24 (4.5) 9.38 (5.5) Räumliches Gedächtnis 7.75 (4.0) 8.18 6.84 (3.9) 10.00 (6.2) Fotoserie 8.15 (4.3) 7.64 5.00 (2.4) 8.00 (6.1) Gesichter & Orte 81.02 (20.5) 82.97 74.84 (12.9) 83.13 (25.1) Rechnen 81.20 (21.1) 85.21 73.21 (19.2) 85.63 (25.8) Rätsel 82.30 (23.3) 85.15 74.83 (18.4) 79.13 (25.7) Alter (Monate) 94.69 (26.5) 92.78 (23.6) 85.95 (24.9) 102.78 (22.3) Tabelle 1 a: Testergebnisse (in IQ-Werten und Wertpunkten/ Standardwerten) von NNAT-IQ und K-ABC-IQ’s und K-ABC-Subtests (Durchschnittswerte und Streuungen) von der Gesamtgruppe, Teilgruppe A (Gesamtgruppe ohne die Kinder der Teilgruppen B und C), Teilgruppe B (NNAT-IQ>K-ABC- IQ) und Teilgruppe C (NNAT-IQ<K-ABC-IQ) 3.2 Methoden Zur statistischen Verarbeitung wurde das Statistikprogramm SPSS verwendet. Die Signifikanzprüfungen erfolgten auf dem .01 Niveau. Die Korrelationen wurden als Produkt-Moment-Korrelationen angelegt. Bei der Faktorenanalyse wurden die Faktoren rotiert (Variomax), um maximale Ladungen zu erhalten. 3.3 Testergebnisse NNAT und K-ABC Die durchschnittlichen IQ-Werte der Kinder, sowohl der NNAT-IQ als auch der SIF-IQ aus der K-ABC lagen etwas unterhalb der Norm. Die NNAT-IQ-Ergebnisse und die K-ABC- IQ-Werte unterschieden sich nicht bedeutsam, obwohl das NNAT-Ergebnis mit einem Durchschnitts-IQ von 88.80 etwas besser ausfiel als in der K-ABC der SIF-IQ mit 84.38 (SIF-IQ). Auch die K-ABC-IQ-Werte (SIF- IQ, SED-IQ, FS-IQ) unterschieden sich nicht bedeutsam und innerhalb der K-ABC gab es auch keine signifikanten Subtest-Unterschiede (siehe Tabelle 1 a, 1. Spalte). NNAT und HAWIK-III 31 Kinder wurden mit dem NNAT und dem HAWIK-III getestet; das Durchschnittsalter der Kinder war 115,79 Monate; die IQ-Ergebnisse waren mit 93.31 (NNAT-IQ) bzw. 92.27 (HAWIK G-IQ) fast gleich und im untersten Durchschnittsbereich. Etwas höher als der Gesamt-IQ des HAWIK war der Verbal- IQ mit 96.08; etwas niedriger lag der Handlungs-IQ mit 88.47. Diese Ergebnisse unterschieden sich aber nicht bedeutsam und auch in den Subtest-Ergebnissen des HAWIK-III gab es keine signifikanten Differenzen (siehe Tabelle 1 b). 3.4 Korrelationen NNAT und K-ABC Die Korrelationen von NNAT-IQ und den K- ABC-IQ-Werten waren alle hoch (NNAT-IQ mit SIF-IQ r = .82) bis sehr hoch (NNAT-IQ mit SGD-IQ r = .96). Mit Ausnahme von „Rätsel“ (r = .35) hatten auch die Subtests der K-ABC bedeutsame bis hohe Zusammenhänge mit dem NNAT-Ergebnis, am höchsten „Rechnen“ (r = .84). Die FI 3/ 2006 Der Intelligenztest „Naglieri Nonverbal Ability Test (NNAT)“ 117 Rohwerte Wertpunkte/ IQ-Werte NNAT 25.96 (8.4) 93.31 (15.3) HAWIK-GIQ 92.27 (13.1) HAWIK-VIQ 96.08 (15.1) HAWIK-HIQ 88.47 (12.7) Bilderergänzen 16.48 (6.4) 8.92 (3.8) Allgemeines Wissen 10.00 (5.4) 8.58 (4.1) Zahlen-Symboltest 33.29 (12.5) 6.92 (3.1) Gemeinsamkeiten Finden 12.17 (6.9) 9.71 (3.8) Bilder Ordnen 18.59 (14.4) 7.77 (4.0) Rechnerisches Denken 11.80 (4.7) 7.80 (3.2) Mosaiktest 30.20 (13.4) 7.40 (3.1) Wortschatztest 17.10 (9.5) 8.64 (3.4) Figurenlegen 22.87 (8.3) 7.08 (2.7) Allgemeines Verständnis 13.87 (7.4) 8.70 (3.3) Zahlennachsprechen 11.53 (4.6) 9.40 (3.6) Alter (Monate) 115.79 (26.5) Tabelle 1 b: Testergebnisse (Rohwerte und IQ-Ergebnisse bzw. Wertpunkte) von NNAT und HAWIK-III und den Subtests des HAWIK-III (jeweils Durchschnittswerte und Streuungen) Stabilität der K-ABC-Konstruktion zeigt sich an den Zusammenhängen der Subtests mit den Skalen, die mit der jeweils zugehörigen Skala immer am höchsten sind (siehe Tabelle 2 a). NNAT und HAWIK-III Der NNAT-IQ korrelierte niedrig mit dem HAWIK-Gesamt- und Verbal-IQ (r = .27 bzw. .23) und bedeutsam mit dem HAWIK-Handlungs-IQ (r = .64). Diese Zusammenhänge sind deutlich schwächer als bei NNAT und K- ABC; für einen Teil dieser Differenz ist vermutlich auch die geringere Stichprobengröße verantwortlich. Die Zusammenhänge von NNAT-IQ und den Subtests des HAWIK-III liegen mit den sprachgebundenen Untertests auf vergleichbar niedrigem Niveau wie „Rätsel“ aus der K-ABC; die Zusammenhänge von NNAT und handlungsgebundenen Subtests des HAWIK sind bedeutsam bis hoch (Mosaiktest r = .71). Die meisten HAWIK- Subtests haben mit dem zugehörigen Teiltest die höhere Korrelation, das deutet auf eine ausreichende interne Konsistenz des Verfahrens auch bei der geprüften Stichprobe hin (siehe Tabelle 2 b). 3.5 Faktorenanalyse NNAT und K-ABC Mit der dafür ausreichenden Stichprobengröße führten wir eine Faktorenanalyse mit den NNAT-IQ-Ergebnissen und den K-ABC-Subtest-Werten durch, die Faktoren wurden zur Ladungsmaximierung rotiert (siehe Tab. 3). Auf dem Faktor 1 hatten vor allem Untertests aus der K-ABC, die Allgemeinwissen und sprachliche gebundenes Wissen fordern, hohe Ladungen, der NNAT lud hier mittelhoch bis hoch. Eine bedeutsame Ladung hatte das NNAT-Ergebnis aber auch auf dem wesentlich kleineren Faktor 2, der vor allem visuell-räumliches Gedächtnis umfasst; hier hatten diejenigen K-ABC-Subtests (Handbewegungen [r = .80], Wortreihe [r = .88], Räumliches Gedächtnis [r = .81]), die zur Lösung solche Fähigkeiten erfordern, eine hohe bis sehr hohe Ladung. Die Ladungen der NNAT Ergebnisse auf dem Faktor 1 sehen wir als Hinweis, dass zur Lösung der Items nicht hauptsächlich visuelle (-perzeptiv, -konstruktiv, -spatial) Fähigkeiten nötig sind. 118 Heinz Süss-Burghart FI 3/ 2006 SIF-IQ SED-IQ SGD-IQ FS-IQ NNAT-IQ .82 .72 .80 .76 SED-IQ .91 .76 .77 SGD-IQ .96 .76 FS-IQ .84 .77 .84 NNAT-IQ SIF-IQ SED-IQ SGD-IQ FS-IQ Handbewegungen .68 .72 .70 .65 .60 Zahlennachsprechen .62 .64 .74 .53 .63 Wortreihe .70 .70 .71 .63 .74 Gestaltschließen .67 .39 .17 .49 .37 Dreiecke .78 .77 .64 .76 .64 Bildhaftes Ergänzen .69 .55 .37 .59 .50 Räumliches Gedächtnis .71 .79 .62 .81 .64 Fotoserie .72 .76 .61 .78 .66 Gesichter & Orte .62 .34 .21 .42 .58 Rechnen .84 .59 .49 .60 .67 Rätsel .35 .45 .37 .46 .51 Tabelle 2 a: Korrelationen der IQ-Werte aus NNAT und K-ABC; NNAT- Rohwerte und der K-ABC- Subtest-Rohwerte sowie K-ABC-Subtest-Ergebnisse (Wertpunkte/ Standardwerte) mit den K-ABC-IQ- Werten (als Hinweis auf die interne Konsistenz der K-ABC), höchste Korrelation der Subtests mit der zugehörigen Skala in Fettdruck 3.6 Standardmessfehler versus divergierende Testergebnisse bei NNAT und K-ABC Die Ergebnisse in den Intelligenztests (und natürlich auch in anderen Messmethoden) unterliegen einem Messfehler und sind keine absoluten Werte. Im NNAT etwa umfasst der Standardmessfehler bei einem IQ-Ergebnis von 91 den Bereich von 85 - 100 mit 90 %iger Wahrscheinlichkeit und von 83 - 101 mit 95 %iger Wahrscheinlichkeit; bei der K-ABC beispielsweise sind für das 90 %-Niveau +/ -6 (IQ 85 - 97) und für das 95 %-Niveau +/ -7 (IQ 84 - 98) angegeben (SIF-IQ). Ganz ähnlich ist es im HAWIK-III. Es ist deswegen auch nicht verwunderlich, dass die IQ-Ergebnisse beispielsweise etwa bei einer Retestung mit der K-ABC oder bei einer Testung sowohl mit der K-ABC als auch mit dem NNAT divergieren, weil • es den Standardmessfehler gibt und • der K-ABC und der NNAT unterschiedliche Bereiche der intellektuellen Fähigkeiten prüfen. Trotz dieser eigentlich bekannten Tatsachen ist es im Einzelfall für den Kliniker verunsichernd, wenn die Ergebnisse aus zwei Tests um beispielsweise 10 IQ-Punkte differieren. Im Einzelfall kann das die Entscheidung etwa zwischen Lernbehinderung (F81.9) und leichter geistiger Behinderung (F70.0) erschweren. (remember: dasselbe kann aber wegen des Standardmessfehlers auch bei einer Retestung mit der K-ABC oder dem HAWIK-III passieren). Unter 3.2 wurde aufgeführt, dass die durchschnittlichen IQ-Ergebnisse im NNAT bei der klinischen Stichprobe von 107 Kindern etwa 4 IQ-Werte über den K-ABC-SIF- IQ-Werten lagen. Obwohl diese Differenz nicht bedeutsam war, versuchten wir Ursachen für diese Differenzen zu finden. Deswegen bildeten wir aus der klinischen Stichprobe von 107 Kindern 3 Gruppen; FI 3/ 2006 Der Intelligenztest „Naglieri Nonverbal Ability Test (NNAT)“ 119 NNAT-IQ HAWIKGIQ HAWIKVIQ HAWIKHIQ NNAT IQ .27 .23 .64 Bilderergänzen .35 .83 .63 Allgemeines Wissen .35 .84 .76 Zahlen-Symbol-Test .53 .10 .49 Gemeinsamkeiten Finden .42 .60 .36 Bilderordnen .32 .45 .61 Rechnerisches Denken .61 .58 .64 Mosaiktest .71 .41 .61 Wortschatztest .49 .86 .69 Figurenlegen .71 .31 .66 Allgemeines Verständnis .17 .69 .48 Zahlennachsprechen .48 .48 .31 Tabelle 2 b: Korrelationen der NNAT-IQ mit den HAWIK-III-IQ-Ergebnissen (Gesamt-, Verbal- und Handlungs-IQ) und HAWIK-III Subtests sowie HAWIK-III Subtests mit Verbal- und Handlungs-IQ (Spalten 3 und 4, als Hinweis auf die interne Konsistenz des HAWIK), (höchste Korrelationen der Subtests mit der jeweiligen Skala in Fettdruck) Faktor 1 Faktor 2 NNAT .67 .49 Handbewegungen .36 .80 Zahlennachsprechen .73 .41 Wortreihe .11 .88 Gestaltschließen .85 .12 Dreiecke .73 .51 Bildhaftes Ergänzen .69 .45 Räumliches Gedächtnis .37 .81 Fotoserie .66 .54 Gesichter & Orte .82 .16 Rechnen .68 .67 Rätsel .81 .34 7.9 / 65.8 % 1.2 / 9.6 % der Varianz der Varianz Tabelle 3: Faktorenanalyse mit den Ladungen der NNAT-Ergebnisse (Rohwerte) und den Subtestergebnissen der K-ABC (Rohwerte) • in der Teilgruppe A (N = 66) waren diejenigen Kinder, bei denen die Differenz der IQ-Werte zwischen NNAT und K-ABC (SIF-, SED-, SGD-IQ) weniger als 10 IQ- Punkte betrug, • in der Teilgruppe B (N = 26) berücksichtigten wir diejenigen Kinder, die in dem NNAT einen IQ erreichten, der mindestens 10 IQ-Punkte über einem K-ABC-IQ-Ergebnis (entweder SIF-IQ oder SED-IQ oder SGD-IQ) lag und • diejenigen Kinder, welche in dem NNAT mindestens 10 IQ-Werte unter einem K- ABC-IQ-Ergebnis lagen (Teilgruppe C, N = 15). Die Testergebnisse der Kinder sind in Tabelle 1a (2., 3. und 4. Spalte) aufgeführt. 3.7 Zu den Teilgruppen Testergebnisse Erwartungsgemäß berechneten sich für die Gruppen B und C signifikante bis hochsignifikante Unterschiede zwischen NNAT und K- ABC-IQ-Werten. Bei der Gruppe A war das nicht der Fall; in allen drei Gruppen unterschieden sich die Ergebnisse der K-ABC-IQ’s und der K-ABC-Subtests nicht bedeutsam (Tabelle 1 a, 2., 3. und 4. Spalte). Korrelationen Bei den Korrelationen von NNAT-IQ mit den Skalen-IQ-Werten und den Subtests der K- ABC berechneten sich für die Gruppen B und C teilweise sehr heterogene Zusammenhänge (Tab. 2 c). Auffallend sind bei der Gruppe C die sehr hohen bis fast absoluten Interkorrelationen von Subtests, die visuell-perzeptive, -konstruktive und -räumliche Fähigkeiten messen, während „Zahlennachsprechen“ und „Wortreihe“ bei dieser Gruppe viel niedriger als bei den anderen Gruppen korrelierten. Die Frage, warum die Kinder der Gruppe B im NNAT deutlich besser als in der K-ABC abschnitten und es bei den Kindern der Gruppe C umgekehrt war, war schwierig zu beantworten. Wir vermuten, dass die Kinder der Gruppe B unterschiedliche, darunter auch sprachliche Kodierungen und Lösungsstrategien (z. B. Analogiebildungen) bei den Itemlösungen im NNAT verwenden, während sich die Kinder der Gruppe C mehr auf visuell-perzeptive und -konstruktive Fähigkeiten bei der Lösung der Aufgaben verlassen. Dieses Lösungsverhalten ist an den auffallend hohen Interkorrelationen von „Dreiecke“ und „Räumliches Gedächtnis“ mit „Bildhaftem Ergänzen“ und „Gestaltschließen“ und dem niedrigen Zusammenhang von „Zahlennachsprechen“ mit „Wortreihe“ zu sehen. Die Kinder 120 Heinz Süss-Burghart FI 3/ 2006 NNAT-IQ Wortreihe Dreiecke Räuml. Ged. SED-IQ .83 / .76 / .60 SGD-IQ .88 / .87 / .89 SIF-IQ .90 / .87 / .90 FS-IQ .82 / .72/ .89 Zahlennachsprechen .64 / .62 / .28 .81 / .72 / .31 Wortreihe ca. .80 Gestaltschließen ca. .60 .42 / .49 / .80 Dreiecke ca. .80 . .77 / .77 / .98 Bildhaftes Ergänzen .68 / .18 / .90 .65 / .84 / .94 .63 / .77 / .95 Räumliches Gedächtnis ca. .80 .77 / .77 / .98 Gesichter/ Orte .60 / .43 / .75 Rätsel .48 / .51 / .88 Tabelle 2 c: Korrelationen der IQ-Ergebnisse von NNAT und K-ABC und von K-ABC Subtests mit NNAT-IQ und Interkorrelationen jeweils Teilgruppe A / Teilgruppe B / Teilgruppe C, signifikante Gruppenunterschiede mit diesen sehr visuell orientierten Lösungsstrategien sind aber offensichtlich bei den Lösungen der NNAT-Items im Nachteil. 4. Beurteilung der Verfahren Bei aller Kritik, die - berechtigt - an einzelnen Subtests (v. a. Gesichter & Orte und Bildhaftes Ergänzen) der K-ABC und gelegentlich am gesamten Testkonzept (Gedächtnislastigkeit) geäußert wird, ist die K-ABC auch in der Anwendung bei klinischen Gruppen ein stabiles Verfahren. Das zeigt sich etwa an den Korrelationen der Subtests, die durchgängig mit der zugehörigen Skala am höchsten sind (siehe Tabelle 3). Diese Stabilität des Testkonzepts fand sich auch bei Kindern mit Fähigkeiten im Bereich der leichten geistigen Behinderung (Süss-Burghart 1994). Auch am HAWIK-III wird viel Kritik sowohl an der Konstruktion von einzelnen Untertests als auch an der Zuordnung von Untertests zu den Skalen geäußert. Die Testkonstruktion des HAWIK-III war bei der hier diagnostizierten Stichprobe aber ausreichend stabil, das war bei HAWIK-R, mit dem wir vor Jahren leicht geistig behinderte Kinder diagnostizierten (Süss-Burghart 1994), nicht der Fall. Die Untersuchung und die Alltagserfahrung mit dem NNAT zeigt, dass dieses Verfahren • sehr ökonomisch anzuwenden ist, • durchwegs ein zuverlässiger Intelligenztest ist, • für die Lösung der Items nicht vor allem visuell-perzeptive oder ähnliche Fähigkeiten ausreichend oder von Vorteil sind, • einen komplexen Intelligenztest aber meist nicht ersetzen kann, weil es keine Hinweise auf Teilleistungsstörungen gibt. Uns hat erstaunt, dass die NNAT und HA- WIK-III-Testergebnisse fast identisch waren, wo hingegen die NNAT-IQ-Werte besser - wenn auch nicht bedeutsam - als die K-ABC- IQ-Werte ausfielen. Eigentlich hatten wir gedacht, dass die NNAT Items stark visuell-konstruktive und ähnliche Fähigkeiten fordern. Möglicherweise ist das eine Auswirkung der unterschiedlichen Stichproben; die mit NNAT und HAWIK-III getestet wurden, waren älter und etwas intelligenter. Zusammenfassend ist der NNAT ein Intelligenztest, der • sehr ökonomisch durchzuführen und auszuwerten ist, • die generellen intellektuellen Fähigkeiten von Kindern meist zuverlässig misst, • für eine Teilleistungsdiagnostik nicht geeignet ist, • eine Ergänzung zu K-ABC- und HAWIK- III darstellt, um schlecht konstruierte Subtests dieser Verfahren weglassen zu können und trotzdem ein zuverlässiges IQ-Ergebnis zu bekommen oder umgekehrt den NNAT als Basis, Intelligenzmessung zu nehmen und zusätzlich - etwa für die Teilleistungsdiagnostik - interessierende Subtests aus diesen oder aus anderen Verfahren zu nehmen. Literatur Melchers, P. & Preuß, U. (2003). Kaufman-Assessment- Battery for Children (K-ABC). Frankfurt a. M.: Swets & Zeitlinger. Naglieri, J. (2003). „Naglieri Nonverbal Ability Test (NNAT)“.Individual Administration. St. Antonio; The Psychological Corporation. Süss-Burghart, H.: Die „Kaufman Assessment Battery for Children (K-ABC)“ und der „Hamburg-Wechsler Intelligenztest für Kinder (HAWIK-R)“ in der Diagnostik klinischer Populationen. Zeitschrift für Differentielle und Diagnostische Psychologie, 15, 1994, 41 - 47. Süss-Burghart, H. (2000). Gibt es spezifische Fähigkeitsprofile bei geistig behinderten Kindern? Sprache - Stimme - Gehör, 24, 2, 57 - 64. Tewes, U.; Rossmann, P. & Schallberger, U. (2000). Hamburg-Wechsler-Intelligenztest für Kinder. Dr. Heinz Süss-Burghart Diplom-Psychologe, Psychologischer Psychotherapeut Kinderzentrum München Heiglhofstraße 65 D-81377 München FI 3/ 2006 Der Intelligenztest „Naglieri Nonverbal Ability Test (NNAT)“ 121