Frühförderung interdisziplinär
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0721-9121
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2006
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Stichwort: Alternative Therapien
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2006
Medizinische Therapiekonzepte sollten naturwissenschaftlich begründet sein. Dies bedeutet, dass bestimmte Regeln einzuhalten sind, um die Wirksamkeit einer Maßnahme nachzuweisen. Bei Planung, Durchführung und Auswertung der Prüfung von Medikamenten oder anderen Maßnahmen sind die allgemein geltenden Prinzipien zu berücksichtigen.
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FI 4/ 2006 187 Alternative Therapien Medizinische Therapiekonzepte sollten naturwissenschaftlich begründet sein. Dies bedeutet, dass bestimmte Regeln einzuhalten sind, um die Wirksamkeit einer Maßnahme nachzuweisen. Bei Planung, Durchführung und Auswertung der Prüfung von Medikamenten oder anderen Maßnahmen sind die allgemein geltenden Prinzipien zu berücksichtigen. Auch die Diagnose, welche der Behandlung vorauszugehen hat und die Indikation (Anzeige) für ein bestimmtes Mittel begründet, muss den naturwissenschaftlich begründeten Kriterien entsprechen. Im Rahmen der „Evidence-based Medicine“ werden Voraussetzungen und Methoden definiert, die geeignet sind, Effizienz und Effektivität einer Maßnahme mit größtmöglicher Sicherheit nachzuweisen, bei Medikamenten am besten durch Plazebokontrollierte Doppel-Blind-Studien. Die Regeln der so genannten Schulmedizin oder der konventionellen Behandlungsmethoden basieren also auf empirisch gefundenen Naturgesetzen, entsprechen damit logisch bewiesenen Kriterien und müssen jeweils Nutzen gegenüber Risiko sorgsam abwägen. Demgegenüber gibt es vor allem in der so genannten Erfahrungsheilkunde immer wieder Beobachtungen, die zwar für Wirksamkeit sprechen, aber nicht mit den erwähnten Regeln zu bestätigen oder gar zu beweisen sind. Dies gilt für die alternativen oder unkonventionellen Behandlungsverfahren, die auch als Außenseitermethoden oder Neulandverfahren bezeichnet werden. Vielfach lehnen es Vertreter dieser alternativen Medizin von vornherein ab, sich den naturwissenschaftlichen Regeln zu unterwerfen bzw. behaupten, diese seien nicht geeignet, den Wirksamkeitsnachweis zu führen. Vielfach sind die von ihnen angegebenen Begründungen bei kritischer Betrachtung als spekulativ bzw. als nicht mit dem modernen wissenschaftlichen Kenntnisstand vereinbar zu bezeichnen. Bei jeder Behandlung gibt es einen Plazebo- Effekt (siehe Editorial Heft 4/ 2005). Es treten also auch Wirkungen auf, die nicht unmittelbar mit der Maßnahme selbst zusammenhängen. Solche Plazebo-Effekte sind offenbar bei alternativen Methoden besonders ausgeprägt, so dass „kontrollierte Studien“ kein positives Ergebnis bringen und einen spezifischen Effekt nicht nachweisen können - was nicht dagegen spricht, dass individuell eine günstige Wirkung empfunden wird. Alternative Behandlungsverfahren sind heute weit verbreitet und werden bei den unterschiedlichsten Beschwerden, Symptomen und Erkrankungen eingesetzt. Man hat ermittelt, dass mindestens 50 % der Patienten diese Methoden anwenden und dass sie auch bei Kindern oft benützt werden, offenbar aus dem Wunsch heraus, möglichst wenig zu schaden („sanfte Medizin“, Naturheilkunde, Ganzheitsmedizin). Auch wenn eine wissenschaftliche Begründung fehlt, kann es berechtigt sein, alternative Methoden zu wählen und den Plazebo-Effekt auszunützen - allerdings muss sichergestellt sein, dass die notwendige Diagnostik erfolgt und bewährte konventionelle Behandlungsmethoden nicht versäumt werden. Gefährlich sind mangelnde Kritik und Vorurteile oder gar ideologische Verblendung, was dann Scharlatanerie zur Folge haben kann. Das Arzneimittelgesetz führt „besondere Therapierichtungen“ neben der Schulmedizin als anerkannt auf, zum Beispiel Homöopathie, anthroposophische Medizin und Phytotherapie; sie sind gegebenenfalls auch im Rahmen einer Kassenleistung zu verordnen, wenn vom Bundesausschuss für Ärzte und Krankenkassen (Heilmittelausschuss) die „Wissenschaftlichkeitsklausel“ als erfüllt angesehen wurde. Bei Kindern können im Rahmen der Frühförderung möglicherweise alternative Verfahren zur Anwendung kommen, beispielsweise Phytotherapie, Bach-Blütentherapie, Aromatherapie, Akupunktur, Elektroakupunktur, Bioresonanz, Pendeln, Edu- Kinestetik bzw. Brain-Gym, craniosakrale Therapie und andere. Eine besondere Stellung kommt schon wegen ihrer Verbreitung der Homöopathie zu, die von dem besonderen „Lehrgebäude“ ihres Begründers Samuel Hahnemanns ausgeht und oft auch im Rahmen der anthroposophischen Medizin praktiziert wird. Trotz vieler Versuche und Bemühungen ihrer Vertreter ist es bisher nicht gelungen, die Effizienz der auf dem Ähnlichkeitsprinzip beruhenden homöopathischen Behandlung („similia similibus“) eindeutig nachzuweisen, also Kriterien der „Evidence-based Medicine“ zu erfüllen. In der Beratungspraxis reicht es meist nicht aus, eine alternative Methode als mit dem Stand der modernen Medizin unvereinbar abzulehnen, wenn sie von Patienten bzw. Eltern gewählt und gewünscht wird. Meist motivieren dazu ja positive Erfahrungsberichte und Erfolgsmeldungen, die nur schwer zu widerlegen sind. Man sollte deshalb sachlich über das jeweilige Verfahren, seine theoretischen Grundlagen und die Möglichkeiten seiner Wirkung diskutieren und Gefahren anprechen, dabei jeweils kritisch auf relevante naturwissenschaftliche Argumente hinweisen. Falls alternative Methoden angewandt werden, muss immer eine sorgfältige Kontrolle des Behandlungsablaufs gewährleistet sein, um das alte medizinische Prinzip des „primum nil nocere“, keinesfalls zu schädigen, nicht zu verletzen. Gerhard Neuhäuser Stichwort
