eJournals Frühförderung interdisziplinär 26/1

Frühförderung interdisziplinär
1
0721-9121
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
11
2007
261

Fachdienste von Frühförderstellen für Kindertagesstätten

11
2007
Bernd Mirbach
Martin Thurmair
Monika Vahle
Frühförderstellen bieten vereinzelt für Kindergärten besondere Dienstleistungen an, wenn es um behinderte oder von Behinderung bedrohte Kinder geht. Der Beitrag berichtet über Kindergarten-Fachberatung von Frühförderstellen, die dann Unterstützung anbieten, wenn Kinder entwicklungsauffällig sind. Die Entwicklung dieser Dienste in Bayern wurde durch verschiedene Methoden der Qualitätsentwicklung begleitet; die Auswertung der Dokumentation des vergangenen Jahres erlaubt es, ein recht spezifisches Profil dieser Dienste herauszuarbeiten.
1_026_2007_001_0015
1. Ausgangspunkt In jedem Kindergarten gibt es Kinder, die durch ihr Verhalten Fragen aufwerfen. Kindergärten sehen es als ihre Aufgabe an, auch für diese Kinder mit besonderen Bedürfnissen da zu sein. In einem weiten Rahmen können sie dies gut machen; in vielen Fällen brauchen sie dafür aber spezifische Ressourcen. Für behinderte und von Behinderung bedrohte Kinder finden sich solche Ressourcen auf der Grundlage der Eingliederungshilfe (SGB XII) und auch in der Kindergarten-Gesetzgebung der Länder, in Bayern beispielsweise im BayKiBiG; das Stichwort für diese Aufgabe ist „Integration“. Auffälligkeiten und Probleme haben aber auch viele Kinder, die im gesetzlichen Sinne nicht zu den behinderten oder von Behinderung bedrohten gehören; der Bayerische Erziehungs- und Bildungsplan (Bay. StMAS & IFP 2006) bezeichnet sie als „Risikokinder“. Auch diese Kinder sollen eine gute Betreuung und Bildung erfahren. Mit ihren besonderen Bedürfnissen müssen die Erzieherinnen und der Kindergarten allerdings meist selbst zurande kommen; nur selten, und kaum systematisch, können sie auf Unterstützung zurückgreifen. Kindergarten-Fachdienste können hier für Kindergärten hilfreich sein; sie können die Erzieherinnen unterstützen in der Früherkennung; sie können sie beraten und anleiten, sie können für die Kinder zusätzliche Förderangebote machen und schließlich auch an andere Fachleute und Stellen weitervermitteln: So beschreibt der Bayerische Erziehungs- und Bildungsplan BEP die möglichen Aufgaben eines Fachdienstes (S. 158). Dieser Beschreibung liegen praktische Erfahrungen zugrunde u. a. mit einigen Kindergarten-Fachdiensten, die interdisziplinäre Frühförderstellen in ihren Regionen entwickelt haben, wie z. B. dem „Pädagogisch-psychologischen Dienst“ in Passau (vgl. Mayr 1997). Fachdienste von Frühförderstellen für Kindertagesstätten Systementwicklung und aktueller Stand 1 BERND MIRBACH, MARTIN THURMAIR, MONIKA VAHLE Zusammenfassung: Frühförderstellen bieten vereinzelt für Kindergärten besondere Dienstleistungen an, wenn es um behinderte oder von Behinderung bedrohte Kinder geht. Der Beitrag berichtet über Kindergarten-Fachberatung von Frühförderstellen, die dann Unterstützung anbieten, wenn Kinder entwicklungsauffällig sind. Die Entwicklung dieser Dienste in Bayern wurde durch verschiedene Methoden der Qualitätsentwicklung begleitet; die Auswertung der Dokumentation des vergangenen Jahres erlaubt es, ein recht spezifisches Profil dieser Dienste herauszuarbeiten. Schlüsselwörter: Kindergarten, Risikokinder, Entwicklungsauffälligkeiten, Unterstützung von Erzieherinnen Counseling Services of Early Intervention Centers for Kindergartens Summary: Early intervention centers sometimes have special services for kindergartens, which deal with handicapped children and children at risk. In Bavaria, a model is realized in different parts of the country, which supports kindergarten teachers in developmental problems of children. The documentation data of these services collected in 2005 show a specific profile, practice and effect of these services. Keywords: Kindergarten, children at risk, developmental risks, support of kindergarten teachers Frühförderung interdisziplinär, 26. Jg., S. 15 -22 (2007) © Ernst Reinhardt Verlag München Basel 1 Die Verfasser danken dem Bayerischen Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen für die Unterstützung bei der Datenerhebung und -auswertung. 16 Bernd Mirbach et al. FI 1/ 2007 2. Die Initiative des bayerischen Sozialministeriums Mitte der 90er Jahre griff das bayerische Sozialministerium diese Erfahrungen auf und entwickelte den Plan, Kindergarten-Fachdienste einzurichten bzw. zu fördern, die an den interdisziplinären Frühförderstellen angesiedelt sein sollten. Inhaltlich sollten sie im Vorfeld einer Entwicklungsbeeinträchtigung oder Behinderung eines Kindes den Erzieherinnen ein niedrigschwelliges und wirksames Hilfeangebot machen, das - neben der Früherkennung und ggf. der gezielten Weitervermittlung - vor allem der Beratung der pädagogischen Fachkräfte in den Kindertagesstätten dienen sollte; zusätzliche Fördermaßnahmen für das Kind wurden als nachrangige Aufgabe angesehen, weil dafür andere Systeme zuständig waren. Insbesondere die vom bayerischen Kultusministerium getragenen „mobilen sonderpädagogischen Hilfen“ haben die Förderung auffälliger Kinder zur Aufgabe; sie setzen ihre Schwerpunkte im Vorschulalter und bei Förderbedarfen vor allem im sprachlichen und Verhaltensbereich. Um die Kindergarten-Fachdienste in ihrem Namen von der Kindergarten-Fachberatung und von therapeutischen und pädagogischen Förderangeboten abzuheben, heißen sie amtlich „Heilpädagogische Fachdienste für die Zusammenarbeit mit Kindergärten“. Die Kindergarten-Fachdienste sollten von den Erzieherinnen und Kindergarten-Leiterinnen angesprochen werden können. Die Einbeziehung der Eltern ist in dem Moment notwendig, in dem die Fachdienst-Mitarbeiterin sich mit einem konkreten Kind befasst. In der Aufbauphase der Dienste wurde darauf geachtet, die bayerischen Regierungsbezirke möglichst gleichmäßig zu berücksichtigen; begrenzte Mittel ließen einen flächendeckenden Ausbau des Systems bisher nicht zu. Geachtet wurde auch darauf, dass die Kindergärten unabhängig von ihrer Trägerschaft die Fachdienste beanspruchen konnten; vor allem wenn Kommunen sich an der Finanzierung mit beteiligten, sollten die kommunalen und privaten Einrichtungen gleich behandelt sein. Die bevorzugte Ansiedlung an interdisziplinären Frühförderstellen lag konzeptionell gesehen nahe, weil dort eine hohe und inter- - Aschaffenburg - Augsburg - Bamberg - Dachau - Dillingen a. d. Donau - Eichstätt - Freising - Hof - Ingolstadt - Kaufbeuren und Ostallgäu - Kempten und Oberallgäu - Kronach - Miesbach - München - Nürnberg Stadt - Nürnberger Land - Passau - Starnberg - Würzburg Abbildung1: Standorte der Kindergarten-Fachdienste in Bayern disziplinäre Kompetenz für die Entwicklung und die Entwicklungsrisiken bei kleinen Kindern versammelt ist; organisatorisch lag sie nahe, weil die Frühförderstellen vielfach mit Kindergärten kooperieren und in Kindergärten auch Kinder fördern, sodass sie in vielen Kindergärten schon bekannt sind. Die fachliche Entwicklung dieser Kindergarten-Fachdienste wurde begleitet durch regelmäßige Regionaltreffen, Jahres-Gesamtkonferenzen und thematische Arbeitsgruppen u. a. zur Dokumentation und zur Qualitätssicherung. Ein wichtiges Element der Qualitätsentwicklung und -sicherung war ein gemeinsames verbindliches Dokumentationsraster, das sehr bald eingeführt und zwischenzeitlich gründlich überarbeitet wurde. Es ist auch EDV-tauglich verfügbar. Mittlerweile gibt es Kindergarten-Fachdienste in 19 Städten und Landkreisen Bayerns. Sie sind - mit drei Ausnahmen - an den interdisziplinären Frühförderstellen in diesen Regionen angesiedelt. In ihnen arbeiten Heilpädagogen, Sozialpädagogen und Psychologen, die aufgrund ihrer Tätigkeit in der Frühförderung große Erfahrung mit Entwicklungsproblemen und Erziehungsfragen von Kindern im vorschulischen Bereich haben. Gegenwärtig ist das Sozialministerium der Haupt-Kostenträger dieser Fachdienste; die Träger der Frühförderstellen und vielfach auch die beteiligten Kommunen tragen ebenfalls zur Finanzierung bei. 3. Die Arbeit der Kindergarten- Fachdienste der Frühförderstellen Die Kindergarten-Fachdienste der Frühförderstellen ergänzen die regionalen Hilfeangebote für Familien und Erzieherinnen der Kindertagesstätten vor Ort. Sie stehen dann zur Verfügung, wenn Erzieherinnen sich über ein bestimmtes Kind in ihrer Kindertagesstätte Sorgen machen und dafür Beratung möchten. Sie können sich ohne Formalitäten an die Fachdienste wenden. Diese klären in der Regel zunächst ab, was das vorrangige Anliegen der Erzieherinnen ist („Auftragsklärung“); sie erarbeiten sich dann - mit dem Einverständnis der Eltern natürlich, und bevorzugt auch mit deren Mitwirkung - über das Kind selbst eine Entwicklungs-Einschätzung („Diagnostische Schritte“) und beratschlagen gemeinsam mit der Erzieherin und den Eltern, was getan werden könnte („Hilfestellung“). Über den abgelaufenen Prozess holen die Kindergarten-Fachdienste Feedback ein, und dokumentieren den „Fall“, der damit auch abgeschlossen ist. Die Früherkennung von Entwicklungsgefährdungen ist zu einem Teil reguläre Aufgabe der Erzieherinnen. Wenn ihnen ein Problem auffällt, haben sie i. d. R. zunächst interne Möglichkeiten einer Klärung (z. B. einen Beobachtungsbogen einzusetzen wie etwa den in Bayern verbreiteten „BEK“ [Mayr 1998], sich weitergehend mit Kolleginnen und im Team zu beraten), und versuchen auch eine Klärung mit den Eltern. Wenn weitergehende Schritte notwendig sind, können sie den Kindergarten-Fachdienst einschalten. Dies ist also, vom Kindergarten FI 1/ 2007 Fachdienste von Frühförderstellen für Kindertagesstätten 17 Anfrage des Kindergartens Auftragsklärung: Worum geht es? Diagnostische Schritte: Was liegt vor? Hilfestellung: Info, Beratung, Vermittlung Evaluation und Abschluss Abbildung 2: Ablauf eines Kontakts zum Fachdienst aus gesehen, ein weiterer Schritt in einem „Stufen-Modell“ (Mayr 2000) der Früherkennung. Dementsprechend ist der prozentuale Anteil der Kinder, mit denen die Fachdienste befasst waren, auch überschaubar: im Jahr 2005 waren es 2044 Kinder in den mit Fachdiensten ausgestatteten Regionen, das sind 1.4% der Kinder dort. Dies lässt darauf schließen, dass die Fachdienste ein recht spezifisches Problemsegment in den Kindergärten bearbeiten, nämlich Kinder mit Entwicklungsrisiken, die für den Kindergarten ein Problem darstellen, das er allein nicht gut lösen kann. Im Lauf der fachlichen Entwicklung dieser Dienste hat sich die Beratung der Bezugspersonen als Tätigkeitsschwerpunkt herausgebildet (Erzieherinnen und Eltern). Direkte therapeutische oder fördernde Angebote an die Kinder sind selten, und werden auch nicht zu den Kernaufgaben der Fachdienste gezählt. Die nötigen Klärungen für die Eltern und Erzieherinnen können zumeist mit einigen wenigen Terminen vor Ort erzielt werden. Die Fachdienste übernehmen ab und zu auch allgemeinere Aufgaben, z. B. Vorträge auf Elternabenden, Fortbildung von Erzieherinnen u. a. m. 4. Aktuelle Daten aus der Dokumentation der Kindergarten- Fachdienste Seit ihrer Gründung dokumentieren die Fachdienste ihre Arbeit, sowohl im Einzelfall wie auch in Jahresberichten. Dafür ist seit einigen Jahren ein verbindliches Dokumentationsraster im Gebrauch, das in einer begleitenden Arbeitsgruppe stetig fortentwickelt wurde und seit dem Jahr 2005 in einer neuen Version auch EDV-tauglich zur Verfügung steht. Das verbindliche Dokumentationsraster gewährleistet ein hohes Maß an Transparenz und Vergleichbarkeit der Dienste und ermöglicht ihre fortlaufende Evaluation. Darüber hinaus sind die Fachdienste mit Hilfe des Dokumentationsrasters in der Lage, über ihren Einsatz und ihre Tätigkeiten differenziert Auskunft zu geben. Die Auswertung der Dokumentation von 2005 zeigt den aktuellen Stand der Dienste auf. 4.1 Zugang zu den Fachdiensten Die Fachdienste haben im Jahr 2005 insgesamt 869 Kindertagesstätten erreicht; das ist ein gutes Drittel der Kindergärten in den Regionen, in denen es Fachdienste gibt, und ein Plus von 10 % gegenüber dem Vorjahr. Sie haben 2022 Aufträge bekommen, und zwar von insgesamt 1630 Erzieherinnen oder Kindergartenleiterinnen. Das ist ein Fünftel (21.6 %) des Kindergarten-Fachpersonals in den entsprechenden Regionen. Die Fachdienste sind für die einzelne Erzieherin gut ansprechbar; mehr als die Hälfte (58 %) aller Aufträge kommt von ihnen direkt. Andere Auftraggeber sind die Leitung (zu 23 %) oder auch das Kindergartenteam insgesamt (zu 8 %). Die Erzieherinnen möchten zuallermeist eine Beratung durch den Fachdienst und eine Entwicklungseinschätzung über die betreffenden Kinder. Weniger häufig sind Wünsche nach Information, Vermittlung eines Kindes zu Fachleuten, Unterstützung bei der Elternarbeit oder der eigenen pädagogischen Arbeit. 4.2 Probleme der Kinder Die Anliegen des Kindergarten-Fachpersonals betrafen zuallermeist bestimmte einzelne Kinder (zu 77 %). Fragen zu mehreren Kindern gab es in 11 % der Fälle. 18 Bernd Mirbach et al. FI 1/ 2007 Beratung 35 % Diagnostik 24 % Information 11 % Vermittlung 11 % Unterstützung bei Elternarbeit 9 % Unterstützung bei pädagogischer Arbeit 6 % anderes 3 % Tabelle 1: Wünsche der Erzieherinnen an den Fachdienst (Mehrfachnennungen möglich, in Prozent) Mit 2044 Kindern haben die Fachdienste sich näher befasst. Wie nicht anders zu erwarten, betreffen die Fragen der Erzieherinnen Jungen deutlich häufiger als Mädchen (70 % zu 30 %). Die Mitarbeiterinnen der Fachdienste bemühen sich in einem ersten Schritt um eine Klärung dessen, was beim Kind vorliegt. Dazu nutzen sie als diagnostische Methoden bevorzugt das Gespräch mit der Erzieherin und die Beobachtung des Kindes. Ein Interview der Eltern kommt fallweise dazu; diagnostische Spielsituationen und Screenings bzw. Tests werden nicht so häufig als Methoden benannt (machen 11 % bzw. 7 % der insgesamt genannten Methoden aus). An Problemen standen bei den Kindern im Vordergrund: • Lern- und Leistungsprobleme bei 36.5 % (zu denen vor allem sprachliche und motorische Schwierigkeiten, Unruhe und Kombinationen dieser Schwierigkeiten gerechnet werden) • Verhaltensprobleme bei 24 % (wobei emotionale Probleme und Aggressivität am häufigsten genannt sind; auch Zurückgezogenheit spielt eine Rolle), und • Entwicklungsauffälligkeiten bei 14.5 % (zumeist als allgemeine Entwicklungsverzögerung; Behinderungen sind selten mit dabei) In einer Reihe von Fällen wurden Probleme in den Familien vermutet (Vernachlässigung, familiensystemische Probleme …). Dass die Probleme jedenfalls nicht vorrangig beim Kind liegen, ergab sich bei den Abklärungen ebenfalls. 4.3 Hilfe-Angebote der Fachdienste Bei den Hilfeangeboten der Fachdienste spielt die Beratung der Erzieherinnen und der Eltern (mit 64 % der gesamten Tätigkeiten) eine Hauptrolle, oft in der Kombination eines gemeinsamen Gesprächs mit Erzieherin und Eltern. Solche gemeinsamen Gespräche mit den Eltern des Kindes und den Erzieherinnen in der Kindertagesstätte zur gleichen Zeit am „runden Tisch“ sind eine besondere Form der Unterstützung. Hier können die unterschiedlichen Auffassungen von Eltern und Kindertagesstätte zum Verhalten des Kindes oder seinen Ursachen thematisiert und transparent werden; das ist oft schon der Beginn einer hilfreichen Intervention. Die Fachdienste übernehmen dabei häufig die Gesprächsführung; gleichzeitig können sie aber auch mit ihrem Hintergrundwissen aus der Frühförderung gezielte Informationen zu Verhaltensauffälligkeiten, Entwicklungsverzögerungen oder Besonderheiten geben. Besonders bedeutsam ist die Möglichkeit, in den Gesprächen Hilfe-Angebote zu initiieren.Dies kann wesentlich dazu beitragen, den Gesprächsverlauf positiv zu beeinflussen, Missverständnisse zwischen Eltern und Kindertagesstätte zu reduzieren und den Schritt zu externen Hilfe-Angeboten zu erleichtern. Etwas über ein Viertel der Arbeit (28 % der Tätigkeiten) verwenden die Fachdienst-Mitarbeiterinnen darauf, die Kinder weiterzuvermitteln. Empfohlen wird den Eltern in erster Linie der Arzt, oft auch die Frühförderstelle. Empfohlen werden auch frei praktizierende Therapeuten - eine auch unter Erzieherinnen FI 1/ 2007 Fachdienste von Frühförderstellen für Kindertagesstätten 19 Lern- und Leistungsprobleme 36,5 % Verhaltensprobleme 24 % Entwicklungsauffälligkeiten 14.5 % Probleme in den Familien 16 % Probleme nicht beim Kind 8 % Tabelle 2: Ergebnisse der Entwicklungseinschätzungen Erzieherinnen 38 % Eltern und Kiga 28 % Eltern 22 % andere 8 % Team Kiga 4 % Tabelle 3: Beratungstätigkeit der Fachdienste, Prozent der Fälle 20 Bernd Mirbach et al. FI 1/ 2007 viel geübte Praxis -, was aber als Kompetenzüberschreitung anzusehen ist. Dass Kinder in einem bestimmten Kindergarten fehlplatziert sind und deshalb der Wechsel in eine andere Einrichtung empfohlen wird, trifft in 10 % der Fälle zu. Direkte Förderung der Kinder nimmt einen sehr geringen Raum ein (4 % der Tätigkeiten). 4.4 Wirkungen der Fachdienst-Tätigkeit Nach der eigenen Einschätzung der Fachdienste führt die Beratung in den meisten Fällen zu einer Kompetenzerweiterung im Kindergarten und bei den Eltern. Häufig wurden auch die Probleme vor Ort reduziert und konnte die Integration des Kindes in die Gruppe verbessert werden. Freilich kam es auch vor, dass die Vorschläge der Fachdienste vom Kindergarten oder den Eltern abgelehnt wurden. Eine systematische Evaluation der Tätigkeit aller Fachdienste bei den Kindergärten oder Eltern ist noch nicht durchgeführt worden; eine Einzeluntersuchung wurde im Landkreis Starnberg gemacht und auf dem „Münchner Symposion Frühförderung 2004“ als Poster präsentiert (Münzel & Vahle 2004). Diese Erhebung stützte folgende Thesen: 1. Die Beratung des Fachdienstes reduziert Unsicherheit und hilft bei der Klärung offener Fragen 2. Die Beratung des Fachdienstes fördert die inhaltliche Auseinandersetzung mit den Schwierigkeiten des Kindes 3. Die Fachdienstberatung hat eine Entlastungsfunktion für die Erzieherinnen 4. Die Fachdienstberatung fördert Fachlichkeit - die Effekte multiplizieren sich für andere Kinder aus der Gruppe 5. Die neuen Erkenntnisse werden im Team multipliziert und damit die Beratungsergebnisse den Kolleginnen zugänglich gemacht 6. Die Eltern verändern ihre Sicht auf das Kind. Es findet Auseinandersetzung statt 7. Der Fachdienst bietet eine effektive Unterstützung für die Mitarbeiterinnen im Kindergarten an. 5. Fachdienst-Tätigkeit konkret Ein Kindergarten berichtet von der Zusammenarbeit mit dem Fachdienst in einem konkreten Fall, der sich zwischen Dezember und Februar abgespielt hat: Kompetenzerweiterung Kiga 28 % Kompetenzerweiterung Eltern 23 % Schwierigkeiten verringert 17 % verbesserte Integration 9 % keine Vermittlung notwendig 7 % Kindergarten kann Probleme selbst lösen 7 % Vorschläge durch KiGa abgelehnt 4 % Entwicklungsrückstand aufgeholt 2 % Eltern nehmen Hilfe nicht an 1 % Tabelle 5: Wirkungen der Fachdienste, Selbsteinschätzung (Mehrfachnennungen möglich; Prozentanteile) Ärzte 26 % Frühförderung 22 % Therapeuten 20 % andere 12 % Schulkindergarten 7 % Erziehungsberatung 5 % Sozialpäd. Zentrum 3 % integrativer Kindergarten 2 % SVE 1 % Heilpäd. Tagesstätte 1 % Tabelle 4: Weitervermittlungen durch den Fachdienst, in Prozent der Fälle FI 1/ 2007 Fachdienste von Frühförderstellen für Kindertagesstätten 21 „Es handelte sich um einen 4 1 ⁄ 2 -jährigen Jungen. Der Junge besuchte unseren Kindergarten bereits im zweiten Jahr und fiel immer wieder durch aggressives Verhalten auf. Dieses Thema wurde bereits in Elterngesprächen aufgegriffen, aber von den Eltern nie als sehr dramatisch gesehen. Schon damals schlugen wir den Eltern vor, den Fachdienst für Kindergärten um Hilfe zu bitten, da wir uns selbst nicht mehr weiterhelfen konnten und um eine Verschlimmerung der Situation des Jungen und auch der übrigen Gruppe zu vermeiden. Im Dezember sprach uns die Mutter selbst an, einen Termin mit dem Fachdienst zu vereinbaren, da sie nun zu Hause auch überfordert sei.“ „Sofort nach den Weihnachtsferien fand das erste Gespräch mit den Eltern, einer Erzieherin und Frau N. N. statt. Die Moderation des Gespräches durch Frau N. N. wurde von unserer Seite als sehr entlastend empfunden, auch bemerkte Frau N. N. die Spannungen zwischen uns und dem Elternhaus, da uns durchaus Vorwürfe gemacht wurden. Zu Hause kristallisierte sich das Schlafproblem als Hauptproblem heraus. Gemeinsam mit den Eltern wurden eine Gruppenbeobachtung, eine Einzelbeobachtung, ein Reflexionsgespräch mit dem Team als Unterstützung des Vorgehens im Kindergartenalltag sowie ein abschließendes Elterngespräch gleich mit Terminen vereinbart.“ Die Fachdienst-Kollegin führt eine Beobachtung in der Gruppe sowie eine Einzelbeobachtung des Kindes durch. Sie fasst die verschiedenen Informationen (Eltern, Kindergarten, eigene Beobachtungen) zusammen und arbeitet Lösungsmöglichkeiten aus. „Die detaillierten Beobachtungen teilte Frau N. N. uns im Team mit. Diese Beobachtungen bestätigten uns viele Sichtweisen, zeigten aber auch noch einmal neue Blickwinkel bzw. Ursachen von bestimmten Verhaltensweisen auf und ermöglichten uns mehr Verständnis für das Handeln des Jungen. Mit konkreten Tipps gab uns Frau N. N. Hilfestellungen für Situationen, die sein Verhalten verändern können, ihn in eine andere Rolle bringen, ihm aufzeigen, dass es auch andere Lösungswege geben kann, die durchaus von Vorteil sind. Es wurde u.a. besprochen, wie wir sicherstellen können, dass unsere Anweisungen auch bei dem Jungen ankommen (z. B. bei ihm besonders auf Blickkontakt und non-verbale Signale zu achten) oder wann Konsequenzen erfolgen müssen (z. B. Stopp oder Abbruch der Spielsituation) oder wie wir ihn unterstützen können, angefangene Dinge selbst zu Ende zu bringen.“ „Auch die Eltern wurden über die Beobachtungen informiert, konnten vieles nachvollziehen und bestätigen, bekamen jedoch auch fachkundige Meinung zum Entwicklungsstand ihres Sohnes. Frau N. N. empfahl auch hier konkrete Schritte, wie z. B. wiederkehrende abendliche Rituale, klare Zuständigkeiten von Mutter bzw. Vater in der konkreten Situation, regelmäßige und fest im Tagesablauf verankerte Spiel- oder Vorlesezeiten; sie überließ die Entscheidung des Weges aber bewusst den Eltern.“ 2. und 3. Termin Diagnostische Schritte: Was liegt vor? Fachdienst 4. Termin Konkrete Schritte Fachdienst und Kindergartenteam 5. Termin Konkrete Schritte Fachdienst, Eltern und Kindergarten Vorgeschichte 1. Termin: Klärung: Worum geht es? Fachdienst, Eltern, Kindergarten 22 Bernd Mirbach et al. FI 1/ 2007 6. Ausblick Die in Bayern tätigen Kindergarten-Fachdienste der Frühförderstellen haben sich eine relativ klar umrissene Position erarbeitet: Sie werden angefragt bei kindlichen Auffälligkeiten im Kindergarten, bei denen die Erzieherinnen und der Kindergarten Unterstützung brauchen können. Die Fachdienste können dazu beitragen, • die Probleme der Erzieherinnen wie auch die Probleme der Kinder zu fokussieren und zu klären, • Lösungen zu erarbeiten, die unter dem Dach des Kindergartens und der Familie funktionieren, und - wenn solche Lösungen nicht zureichend sind - • direkte und schnelle Wege zu den richtigen Fachleuten zu eröffnen. Mit dieser Arbeit regelhaft verbunden ist ein Zugewinn an Sicherheit und Kompetenz für die Erzieherinnen und auch die Eltern, weil sie in die Prozesse der Klärung und Lösung mit eingebunden sind. Es wäre wünschenswert, dieses Modell so auszubauen, dass es in allen bayerischen Regionen den Kindergärten offenstünde. Dafür sind aber in naher Zukunft aus der bisherigen Finanzierungslösung keine ausreichenden Mittel verfügbar und auch nicht zu erwarten. Deshalb bemühen sich gegenwärtig die verantwortlichen Beteiligten um eine solide Finanzierungslösung, die nicht nur den Bestand an Fachdiensten sichern, sondern auch ein flächendeckendes Angebot ermöglichen soll. Ob dies erfolgreich sein wird, ist offen. Anmerkung Die Verfasser danken den anderen Kolleginnen und Kollegen aus den Fachdiensten für ihre Unterstützung, insbesondere Herrn Krinninger, Passau, und dem ungenannt bleiben sollenden Kindergarten, der uns das Fallbeispiel aufgeschrieben hat. Literatur Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen & Staatsinstitut für Frühpädagogik München (2006): Der Bayerische Erziehungs- und Bildungsplan für Kinder in Tageseinrichtungen bis zur Einschulung. Weinheim/ Basel (Beltz), 2. Aufl. Mayr., T. (1998): BEK Beobachtungsbogen zur Erfassung von Entwicklungsrückständen und Verhaltensauffälligkeiten bei Kindergartenkindern. München, Staatsinstitut für Frühpädagogik. Mayr, T. (1997) Heilpädagogischer Fachdienst im Kindergarten - Dimensionen der Zusammenarbeit. Heilpädagogische Forschung 23 (4), 162 - 171 Mayr., T. (2000): Früherkennung von Entwicklungsrisiken in Kindertageseinrichtungen. KiTa Spezial Nr. 1/ 2000 Münzel, Ch. & Vahle, M. (2004): Lebenshilfe Starnberg: Fachdienst für Kindergärten. Poster auf dem Münchner Symposion Frühförderung 2004, auszugsweise publiziert in: Frühförderung interdisziplinär 2005, 24 (1), S. 26f.. Information und Kontakt: www.mhfd-bayern.de Anschrift für die Autoren Dr. Martin Thurmair Arbeitsstelle Frühförderung Bayern Seidlstr. 4 D-80335 München E-Mail: thurmair@astffby.de Evaluation Effekt im Kindergarten Effekt in der Familie „Für uns war die Unterstützung von Frau N. N. eine sehr große Hilfe. Es wirkte sich sehr positiv aus, dass jemand von außen die Situation völlig neu beleuchten konnte und so der Mutter wie auch uns Hilfestellung im Umgang mit dem Kind gab sowie der Mutter deutlich machte, dass etwas geschehen muss. Wir sind uns nun in schwierigen Situationen sicherer und nach einiger Zeit ließ sich feststellen, dass die Aggressivität des Jungen tatsächlich abnahm. Natürlich zeichnen sich immer wieder stärkere und schwächere Phasen ab, aber wir können nun wesentlich schneller und souveräner reagieren bzw. schon präventiv handeln.“ „Auch die Eltern meldeten innerhalb der Familie Erfolge: Die Schlafprobleme hätten sich gelöst und damit auch die Spannungen, die dadurch immer wieder hervorgerufen wurden.“