Frühförderung interdisziplinär
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0721-9121
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2007
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Die Einsamkeit des Vater-Seins
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2007
Andreas Fröhlich
Wenn Frühförderung von „Eltern“ spricht, spricht sie meistens über und mit Müttern. Väter werden selten besonders angesprochen, und es gibt kaum Konzepte, wann und wie sie in die Frühförderung mit einbezogen werden könnten. Im Hinblick auf die Vaterschaft mit einem Kind mit speziellen Bedürfnissen stellt der Artikel einige Aspekte heraus, in denen Männer spezifisch anders als Frauen handeln, was helfen könnte, die Zusammenarbeit mit Vätern weiterzuentwickeln.
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Die Einsamkeit des Vater-Seins Väter in der Frühförderung 1 ANDREAS FRÖHLICH Zusammenfassung: Wenn Frühförderung von „Eltern“ spricht, spricht sie meistens über und mit Müttern. Väter werden selten besonders angesprochen, und es gibt kaum Konzepte, wann und wie sie in die Frühförderung mit einbezogen werden könnten. Im Hinblick auf die Vaterschaft mit einem Kind mit speziellen Bedürfnissen stellt der Artikel einige Aspekte heraus, in denen Männer spezifisch anders als Frauen handeln, was helfen könnte, die Zusammenarbeit mit Vätern weiterzuentwickeln. Schlüsselwörter: Frühförderung, Väter, Mütter, Angebote für Väter The Loneliness of Being a Father Fathers in Early Intervention Summary: In talking of “parents”, early intervention mostly is talking about and with mothers. Fathers are seldom adressed separately, and there seems to exist no specific concepts to cooperate with them. With respect to having a child with special needs, the article outlines some aspects of different approaches of men as compared with women, which may help to develop the cooperation with fathers. Keywords: Early intervention, fathers and mothers, cooperation with fathers Frühförderung interdisziplinär, 26. Jg., S. 99 -106 (2007) © Ernst Reinhardt Verlag München Basel Originalarbeiten Brigitte, das Magazin für Frauen, berichtet im Brigitte-Dossier, dass 68 % der befragten Frauen es bei Männern lieber mögen, wenn sie Stärke zeigen statt Schwäche. Sie, die Männer, sollen auch mal was wegstecken können, nicht gleich jammern. In dieser „Anleitung zum Männlichsein“ wird empfohlen, sich auch mal als „der Starke“ in der Beziehung zu zeigen (Brigitte, Nr. 7, 3, 2007). War es das gewesen mit dem weichen, verständnisvollen, auf seine Gefühle besonnenen Mann? Deckt sich diese Einschätzung der Frauen vielleicht mit der eines hohen Funktionärs der „Behindertenarbeit“ in Deutschland, der mir nach dem Vortrag über die Väter in der Frühförderung mit kritischem Blick sagte: „Wozu dieses Thema, das ist doch nicht nötig, da wissenschaftlich ranzugehen, die sollen sich einfach zusammennehmen und mit ihren Frauen die Sache durchstehen …“. Vielleicht komme ich ja mit meinen Gedanken zu spät? Immerhin bin ich mittlerweile Großvater geworden, sehe die Dinge aus einer neuen Perspektive, erlebe das Vaterwerden und Vatersein aus gewisser Distanz, wie es sich in einer anderen Generation ereignet. 1. Väter in der Frühförderung Im Jahr 2006 führten wir von der Universität Landau aus eine bundesweite Befragung von Frühförderstellen durch. Über eine Zufallsstichprobe wurden 10 % aller Frühförderstellen gebeten, einen kurzen Fragebogen auszufüllen und zur anonymen Auswertung wieder zurückzusenden. Die Rücksendequote lag bei 72,5 %, so dass nach den Regeln der Sozialforschung von einer repräsentativen Befragung gesprochen werden kann (Heineke, 2006, S. 60ff). Was wollten wir wissen? 1 Dieser Text ist die Weiterentwicklung eines Vortrages, der auf dem Frühförderkongress Köln 2006 gehalten wurde. Im Kern ging es darum zu erfahren, ob für Väter behinderter oder von Behinderung bedrohter Kinder im Rahmen der Frühförderung besondere Angebote gemacht werden. Wird die Gruppe der Väter als eigene Gruppe gesehen oder geht sie im Konstrukt Eltern auf? Wenn es solche besonderen Angebote gab, dann wollten wir wissen, worin sie bestehen. Es zeigt sich, dass Väter erst in allerkleinsten Ansätzen als eine eigene Gruppe mit eigenen Bedürfnissen gesehen werden (Abb. 1). In einigen Einrichtungen wird der Vater als „Elternbestandteil“ sehr wohl gesehen und auch als Gesprächspartner gewünscht, man versucht ihm entgegenzukommen, z. B. durch größere zeitliche Flexibilität, die sich auch nach seiner Arbeitszeit richtet. Zum Erstgespräch werden Väter häufig namentlich eingeladen. Dann aber zeigt sich, dass darüber hinaus kaum Ideen vorliegen, wie man die Zusammenarbeit mit den Vätern spezifisch gestalten könnte (Abb. 2). Dies ist gewissermaßen die Ausgangssituation, die aktuelle Situation in unserem Land und auch bei der Vorstellung der Gedanken auf dem Frühförderkongress in Köln im vergangenen Jahr gab es keinen Widerspruch hinsichtlich dieser Situationsanalyse. Wenn man diese Befragung noch dadurch ergänzt, dass man im aktuellen Suchmedium Internet z. B. nach Fortbildungsveranstaltungen sucht, die die Väterthematik beinhalten, so wird man auch hier feststellen, dass nur an ganz wenigen Stellen, Aachen, Berlin, Frankfurt, Homberg, Langau, Südtirol, ansatzweise väterorientierte Angebote thematisiert werden. In einer ganzen Zahl von systematischen Untersuchungen (Blasius 2002, Stenger 2002, Schoden 2003, Wannemacher 2004, Heinecke 2006) konnten wir sehen, dass die Väterproblematik in der einschlägigen sonderpädagogischen Literatur keine Aktualität besitzt. Natürlich ist insbesondere die Arbeit von Kallenbach zu würdigen, der sich diesem Thema immer wieder widmet. Es sind die Arbeiten von Hinze aus früheren Jahren zu nennen, der das Thema für die Sonderpädagogik vielleicht erstmals namhaft machte. Charakteristisch erscheint aber doch der Satz aus einer wissenschaftlichen Untersuchung: „Hier sind lediglich die … Mütter angegeben. Väter und andere Eltern wurden ausgeblendet“. - Zitat aus einem ansonsten sehr lesenswerten Bericht, ein Zitat, das aber zeigt, wie großzügig mit Lebenswirklichkeiten seitens der Wissenschaft umgegangen werden kann. 100 Andreas Fröhlich FI 3/ 2007 Abbildung 1: Vorhandensein spezieller Angebote für Väter an Frühförderstellen Gehen wir einen Schritt zurück. In den 80er Jahren wurde aus den „Eltern“ behinderter Kinder, gerade auch in der Frühförderung, mit großem Engagement die Mutter als die eigentliche Trägerin von Arbeit, Sorge und als Adressatin aller therapeutischen Beratungen herauskristallisiert. Die Arbeiten von Fröhlich (1986), Jonas (1990) und anderen machen deutlich, dass fast immer dann, wenn Eltern gesagt wurde, doch Mutter gemeint war. Ein sehr deutliches Ungleichgewicht in der Belastung durch die Erziehung und Versorgung eines behinderten Kindes konnte gezeigt werden. Die arbeitsteilige Familienwelt spiegelte sich auch im Bereich der Frühförderung und der späteren Förderung behinderter Kinder wieder. Die Situation der Mütter wurde analysiert, es wurden Verstehensmodelle angeboten, psychosomatische Krankheiten und andere Auffälligkeiten als fast notwendige Konsequenz der Situation bei Müttern beschrieben. Obwohl schon damals auffiel, dass z. B. die Krankheitsquote bei Vätern schwerstbehinderter Kinder auch überdurchschnittlich hoch war (Fröhlich, 1986, S. 249) wurden daraus keine weiteren Schlüsse gezogen - so ist auch selbstkritisch anzumerken. 2. Frauen in der Frühförderung Frühförderung, wie Pädagogik, Therapie und Pflege insgesamt, sind in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten eindeutige Frauenressorts geworden. Auch die begleitende, manchmal leitende Medizin wird nur noch wenige Jahre brauchen, bis sie ebenfalls ein Frauenressort ist. Die Anzahl der weiblichen Studierenden übersteigt schon deutlich die der männlichen. So wie es heute eine Seltenheit ist, einem Grundschullehrer zu begegnen, so wird es in ein paar Jahren auch eine Seltenheit sein, einen männlichen Arzt zu treffen. Gehen wir in die Frühfördereinrichtung, so begegnen uns Männer dort außerordentlich selten, sowohl als Ratsuchende wie als Professionelle. Daraus ergeben sich meines Erachtens ernst zu nehmende Schlussfolgerungen. Hat sich hier ein System entwickelt, das in sei- FI 3/ 2007 Die Einsamkeit des Vater-Seins 101 Abbildung 2: Arten spezieller Angebote für Väter von Frühförderstellen ner eigenen Logik Männer, d. h. Väter, immer mehr ausschließt, immer weniger mitdenkt? Hätten Männer heute überhaupt eine Chance, als Ratsuchende, als Klienten, gar als Kunden im System Frühförderung männliche Ansprechpartner zu finden? Die alte Frage ist neu zu stellen: Wie kann das eine Geschlecht das andere verstehen, wie kann eine Empathie tragfähig aufgebaut werden? Über die Unterschiede zwischen Männern und Frauen kann heute wieder gesprochen werden; sie unterliegen nicht mehr der Tabuisierung, der Vorwurf des politisch unkorrekten Denkens muss auch nicht mehr gemacht werden. Hinsichtlich der • emotionalen Verarbeitung von schwierigen Situationen, • der Entwicklung von Lebensplänen, • der Vorstellung von Elternschaft, • der Schwerpunkte persönlicher Verantwortung, • der Quellen der Anerkennung gibt es Unterschiede zwischen Männern und Frauen, zwischen Vätern und Müttern. 3. Elternschaft Natürlich sind Männer wie Frauen in ihrer Vaterbzw. Mutterrolle beeinflusst von der jeweiligen gesellschaftlichen Erwartung, von ihrer persönlichen Erziehung und Bildung sowie von kulturellen Einflüssen ganz allgemein, durch Traditionen und politische Vorgaben. Vieles weist darauf hin, dass Menschen in sehr vielem übereinstimmen, dass sie ähnlich funktionieren. Aber Männer und Frauen haben in verschiedenen Kulturen und in verschiedenen Zeiten offenbar verschiedene Zugangswege zu den zentralen Fragen ihres Lebens. Neben vielen anderem gehört zweifellos die Geburt eines Kindes zu einer zentralen Frage des Lebens. Sie verändert das Leben der betroffenen Eltern nachhaltig, biologisch entsteht eine neue Generation, die in Zukunft Aufgaben der Elterngeneration übernehmen wird. Die Geburt eines Kindes mit einer deutlichen biologischen Variante, mit Auffälligkeiten oder auch nur mit erheblichen Risiken für die weitere Entwicklung gibt dieser zentralen Frage noch einmal besonderes Gewicht. Aus der professionellen Frühförderung heraus aber wird dieses Gewicht offensichtlich weniger geschlechtsspezifisch gesehen, als dies möglicherweise der Realität entspricht. Eine recht frühe, auch psychologische Betreuung von Müttern neugeborener Kinder wird allgemein als wünschenswert, als anstrebenswert betrachtet, ist auch in vielen Einrichtungen schon Wirklichkeit. Die von den Professionellen gesehene Funktion des Vaters ist im Wesentlichen die des „Stabilisators“. Auf ihn, so häufige Aussagen, komme es nun an, ganz für seine Frau da zu sein, ihr Stütze zu geben, sie in dieser schwierigen Zeit verständnisvoll zu begleiten. Auf die eigene Befindlichkeit angesichts einer Geburt, angesichts eines Kindes, das die ganze Familie vor große Herausforderungen stellt, wird kaum eingegangen, so zeigen es unsere Untersuchungen. Wer als Mann gewohnt ist, durch die Ausbildung und berufliche Tätigkeit selbstständig Probleme zu lösen und aktiv auch in Bereiche vorzudringen, in denen er sich bislang nicht sonderlich auskennt, hat gewisse Vorteile (Blasius 2002) gegenüber solchen Männern, die diese Möglichkeiten nicht haben (Schoden 2003). Männer in höheren beruflichen Positionen scheinen weniger abhängig vom professionellen Angebot der Frühförderung, können sich auf andere Art mit ihrer neuen Problematik befassen und oft auch befriedigendere Arrangements mit ihren Frauen oder Partnerinnen treffen. Dies allerdings sind lediglich abgeleitete Vermutungen, können noch nicht sicher bewiesen werden. Allerdings decken sie sich mit allgemeinen Einsichten zu Bildungsstand und Kompetenz auch in der Bewältigung alltäglicher Schwierigkeiten. 102 Andreas Fröhlich FI 3/ 2007 Dies deutet aber schon ganz klar darauf hin, dass insbesondere Männer mit einem eher schwachen Bildungshintergrund unbedingt Unterstützung brauchen, um mit der neuen Aufgabe als Vater eines möglicherweise behinderten Kindes zurechtzukommen. 4. „Fliehende Väter“ Wie aber sieht nun die Sicht der professionellen Frühförderung aus? Ein Titel von Cheryl Benard und Edith Schlaffer „Sagt mir wo die Väter sind“ (1991), konnte etliche Jahre als charakteristisch für eine sich feministisch nennende Sichtweise gelten. Im Untertitel hat dieses Buch folgende Thematik: „Von der Arbeitssucht und Fahnenflucht des zweiten Elternteils“. Hier wird deutlich, wie Väter gesehen werden, und die Bezeichnung fliehende Väter konnten wir immer wieder in den vergangenen Jahren hören und lesen. In der Ratgeberliteratur, auf Frauenseiten einschlägiger Zeitschriften finden wir sie nach wie vor. Es scheint ein literarischer Topos zu sein, der sicherlich auch Bewusstsein bestimmt. Ich möchte mich gerne dem Untertitel noch einmal zuwenden. ,Fahnenflucht‘ ist ein Begriff des Militärs und meint das unerlaubte Verlassen der Einheit eines dienstpflichtigen Soldaten, die Desertion. Im Krieg oder in kriegsähnlichen Zuständen wird diese Fahnenflucht schwer bestraft, meist mit Erschießen, mit Exekution. Es ist erstaunlich, eine wie martialische, d. h. auf den Kriegsgott Mars bezogene Sicht, hier eingenommen und sprachlich übernommen wird. Wir sollten im Jahr 2007 wissen, dass einer Flucht eigentlich immer eine Vertreibung vorausgeht. Not, Elend, Mangel und die Sehnsucht nach einem besseren Leben treiben Menschen auf dieser Welt in die Flucht. Daher möchte ich die fliehenden Väter nicht von vornherein als die pflichtvergessenen Feiglinge dargestellt sehen, sondern als Menschen, die es in einer bestimmten, für sie unerträglichen und offensichtlich nicht änderbaren Situation nicht mehr aushielten. Und damit kommt dann auch die Verantwortung der Professionellen mit hinein. Zuvor aber, um die Situation wenigstens ansatzweise deutlich zu machen, ein Zitat aus einem großartigen, recht neuen Emigrationsroman: „Ach, Lefty! “ Und sie brach in Tränen aus. Lefty tröstete sie und entschuldigte sich, doch als er sich umdrehte, um einzuschlafen, fand er sich in die Einsamkeit des Vaterseins eingeschlossen. Nach der Geburt seines Sohnes erblickte Eleutherios Stephanides seine künftige und anhaltende Abwertung in den Augen seiner Frau, und als er das Gesicht im Kissen vergrub, verstand er die Klage aller Väter, die im eigenen Haus wie Untermieter lebten. Er empfand rasende Eifersucht auf seinen kleinen Sohn, dessen Schreie die einzigen Laute waren, die Desdemona zu hören schien, dessen winziger Körper mit endlosen Zuwendungen und Zärtlichkeiten bedacht wurde und der mit einer scheinbar göttlichen List, der eines Gottes, der die Gestalt eines Ferkels angenommen hatte, um an einer Frauenbrust zu saugen, seinen eigenen Vater aus Desdemonas Liebe verdrängt hatte. Im Laufe der folgenden Wochen und Monate beobachtete Lefty aus dem Sibirien seiner Bettseite, wie diese Mutter-Kind-Liebe erblühte. Er sah, wie seine Frau das Gesicht an das des Babys drückte und gurrende Geräusche machte; er staunte über ihren vollkommenen Mangel an Ekel vor den körperlichen Verrichtungen des Kindes, über die Zärtlichkeit, mit der sie das Gesäß des Babys reinigte und puderte. Von da an veränderte sich die Beziehung meiner Großeltern. Jeffrey Eugenides: „Middlesex“, Hamburg 2004 Dieses Gefühl, nicht mehr dazuzugehören, ist wohl charakteristisch für viele junge Familien. In meinen eigenen Gesprächen mit Müttern und z. T. auch mit Vätern wurde deutlich, dass durch die intensivere und längere Pflege eines behinderten Kindes sich die Situation verschärft und dieser Ausschluss länger anhält als für viele erträglich, dass wechselseitig das Gefühl des Allein-gelassen-Werdens entsteht (Fröhlich 1982). Junge Menschen, hier Männer, sind bis zum Eintritt eines Ereignisses, z. B. der Geburt eines behinderten Kindes, dem Unfall des eigenen Kindes, ganz „normal sozialisiert“ wie FI 3/ 2007 Die Einsamkeit des Vater-Seins 103 Gerd Jansen (1979) schon vor Jahren in Köln gezeigt hat. Sie haben keine Prädisposition für besonders gute Elternschaft oder Vaterschaft gegenüber einem Kind mit Entwicklungsproblemen. Sie müssen lernen, mit der neuen Situation umzugehen und daraus ein neues Konzept für ihre Familie, mit ihrer Familie und für das eigenen Leben zu entwickeln. 5. Lernprozesse Aufgabe einer professionellen Frühförderung ist es in meiner Sicht, genau diesen Lernprozess systematisch zu unterstützen. Was kann nun die weibliche Frühförderung tun, um das männliche Lernen zu unterstützen? Gehen wir davon aus, dass Väter durchaus ein individuelles Verantwortungsgefühl für ihr Kind und für ihre Partnerin haben. Verena Meyer und Eva Wolff haben in einer Befragung in Landau deutlich herausgearbeitet, dass • die Bereitschaft, sich mit Problemen zu beschäftigen, • die Bereitschaft, sich auf Probleme einzulassen und • die Offenheit, persönliche Grenzen zu benennen bei jungen Männern angesichts eines Kindes mit Schwierigkeiten durchaus vorhanden ist. Nehmen wir dies als Ressource, als Kompetenz, von der aus eine Lernbegleitung stattfinden müsste. In den beratenden therapeutischen Berufen hat sich aber nun seit vielen Jahren eine z. B. an Rogers orientierte Sicht ausgebreitet, die davon ausgeht, dass bestimmte Schritte am Anfang einer Problembewältigung notwendig sind, um gute Ergebnisse zu erzielen. Dazu gehört: • sich aussprechen, • Gefühle benennen, • den eigenen Schmerz spüren und zulassen … Dies steht offensichtlich aber nicht am Anfang männlicher Lernbedürfnisse. Die eingangs zitierte Brigitte-Untersuchung weist ebenfalls in diese Richtung, wenn auch aus weiblicher Sicht. Wie gehen nun Männer an die Probleme heran, mit denen sie zunächst nicht zurechtkommen, bei denen ihr bisheriges Verhaltensrepertoire nicht ausreicht, um sie zu bewältigen? Es ist wohl nicht die emotionale Herangehensweise, die Klärung der Gefühle, sondern eine eher kognitiv orientierte Problemlösungsstrategie. Man sollte sich in Erinnerung rufen, dass Gebrauchsanweisungen häufig die Lieblingslektüre von Männern sind. Sie suchen Information, bekommen dadurch Sicherheit für eigene Entscheidungen, wollen sich zunächst einmal vom eigenen Bewusstsein nicht auf emotionale Bauchentscheidungen einlassen. Information suchen sie in verschiedener Form, sei es sprachlich, sei es lesbar, sei es auf Video oder mit anderen Medien. Gleichzeitig haben Männer natürlich auch Ängste, und gerade junge Väter, insbesondere dann, wenn etwas mit dem Kind nicht stimmt, haben diese ausgeprägter: • Ich werde alleine für meine Familie sorgen müssen. • Ich werde beruflich nicht mehr voll belastbar sein. • Meine Frau wird die Familie nicht mehr durch Berufsarbeit mittragen können. • Was wird aus unserer Liebe? • … Was hat das Dienstleistungsunternehmen Frühförderung angesichts solcher Fragen zu bieten, was kann es leisten? Hat es sich, so meine zentrale Frage, überhaupt schon auf diesen Kundenkreis eingestellt oder belässt man es lieber dabei, die Väter aus der Distanz zu beobachten, ja, sie sogar auf Distanz zu halten? Jemand, d. h. die Väter, die sich stärker kognitiv kontrollierend verhalten, sollte nicht umgekrempelt werden, sondern im Sinne einer Validation Bestätigung erfahren, dass er mit seinen bisherigen Mitteln auch viele Schritte zur Lösung neuer Probleme tun kann. 104 Andreas Fröhlich FI 3/ 2007 6. Coaching Eine Antwort könnte das systemische Coaching sein. Systemisches Coaching ist eine professionelle Beratung, die individuell oder in Kleingruppen stattfindet. Sie ist in jedem Fall ressourcen- und lösungsorientiert. Eine zeitliche Begrenzung wird zwischen den Vertragspartnern verabredet, und vor allem werden definierte Lösungen angestrebt. Der Kunde ist Experte für seine Probleme und Lösungen - der Coach ist Experte für den Weg zum Finden der Lösungen. Der Kunde begibt sich also nicht in eine vollständige persönliche Abhängigkeit, er kommt auch nicht mit allen Problemen zum Coach und weiß auch, dass nach einer bestimmten, vereinbarten Zeit diese Arbeitsbeziehung beendet sein wird. Sie ist damit überschaubar, kontrollierbar und auch recht stark kognitiv orientiert. Ein solches Coaching ist vor allem lösungs- und nicht problemorientiert. Damit werden die Selbstorganisationskräfte des Betroffenen gestärkt und damit wird sogar speziellen Rollenerwartungen entgegengekommen, die sich offensichtlich nicht dauerhaft ändern lassen. Unsere Untersuchung bei den Frühförderstellen in Deutschland zeigt Möglichkeiten eines adressatenbezogenen Angebotes, das auch schon ohne spezifisches Coaching realisiert werden könnte: • Es sind aufsuchende Aktivitäten seitens der Frühförderung erforderlich, Väter sind nicht nur einzuladen, sondern der Kontakt ist aktiv herzustellen. • Bedürfnisorientierte Angebote müssen gemacht werden, keine Standardangebote. • Die Beratung hat ergebnisoffen zu sein, es kann nicht darum gehen, Väter „zu etwas zu bringen“. • Der Einbezug der Arbeitswelt des jeweiligen Vaters scheint von großer Bedeutung und • insbesondere müssen Väter aus anderen Kulturen möglicherweise anders angesprochen werden, auch wenn wir ihr Verhalten als allzu patriarchalisch verstehen. Aber dies ist auch eine besondere Form der Verantwortungsübernahme durch Väter. Türkische Väter geraten in Schwierigkeiten, wenn sie mit deutschen Behindertenpädagoginnen kooperieren sollen, die ihre spezifische Vaterrolle nicht kennen, nicht verstehen und auch auf keinen Fall akzeptieren. • Eine besonders wichtige Aufgabe stellt sich angesichts einer von mir so genannten zweiten Generation von Vätern. Wir haben es in der Frühförderung immer häufiger mit Familien zu tun, die selbst schon Unterstützung in ihrer eigenen Entwicklung benötigt haben. Sie sind mit Aufgaben der regulären Kindererziehung häufig schon überfordert, ein Kind mit besonderen Erziehungsbedürfnissen stellt Anforderungen, denen sie nicht mehr gewachsen sind. Dies ist absehbar, dies fordert frühzeitige Begleitung und Information, und gerade diese Väter brauchen eine sehr spezifische Begleitung. Eine Begleitung mit einfacher, klarer Instruktion, überschaubaren Lösungsschritten und besondere Akzeptanz. Wir haben uns mittlerweile daran gewöhnt, adressatenbezogene Angebote zu machen und dabei auch Männer und Frauen zeitweise wieder als geschlossene Gruppe zu sehen. Physikunterricht für Mädchen scheint sich zu bewähren, eine Fahrschule nur für Frauen schützt vor bestimmten Formen der Anmache, Hotels für Frauen gibt es seit langem und PC- Kurse ebenfalls. Warum tun wir uns so schwer, auch für Männer spezielle Angebote zu bedenken und zu realisieren? Natürlich zieht dies die Forderung nach sich, wieder mehr Männer in der Frühförderung, in pädagogischtherapeutischen Berufen anzusiedeln. Meine Kollegen von der Elektrotechnik und Informatik, von der Mathematik und Phy- FI 3/ 2007 Die Einsamkeit des Vater-Seins 105 sik bieten immer wieder Schnuppertage, Informationstage, Einführungsseminare und dergleichen für Abiturientinnen an, damit sie mutiger und selbstbewusster in die Männerdomäne dieser Fachrichtung eindringen und dort studieren. Ich erlebe in all den Jahren an einer sehr stark an Studentinnen orientierten Hochschule keinerlei ähnliche Aktivitäten im Hinblick auf junge Männer. Es sind die Einzelnen, die durch einen Zivildienst in diese Berufe hineingeraten, z. T. sind es gerade noch 10 % in den Seminaren und Vorlesungen. Dies lässt erst einmal nicht hoffen. So brauchen wir eben Männerversteherinnen in der Frühförderung, ich bin sicher, Frauen können dies lernen, die zitierten Studentinnen haben es gezeigt. Literatur de Beauvoir, S. (1992): Das andere Geschlecht (Neuübersetzung). Reinbeck Benard, Chr.; Schlaffer, E. (1991): Sagt uns, wo die Väter sind. Reinbeck Blinkle, R. (1989): Behinderte Kinder - „behinderte Väter“. Tübingen Borler, A. (Hrsg.) (2004): Handbuch Väterarbeit. Grundlagen für Väter und Verantwortliche in Betrieben der Organisationen. Rüegger, Zürich [u. a.] Brigitte, Das Magazin für Frauen, Nr. 7, 14. 3. 07, S. 84ff, Hamburg 2007 Fröhlich, A. (1986): Die Mütter schwerstbehinderter Kinder. Heidelberg Fröhlich, A. (19822): Müde - leer - allein. Überlegungen zur Genese von systemischen Beziehungsstörungen in Familien schwerstbehinderter Kinder. In: Fröhlich, A. (Hrsg.): Lernmöglichkeiten. Heidelberg Fröhlich, A. (1990): Die ersten Jahre, die ersten Monate. In: Zusammen, 2, 90, S. 6, 7 Heinen, N. (Hrsg.) (2006): Väter frühgeborener Kinder. Selbstbestimmtes Leben. Düsseldorf Hinze, D. (1999): Väter und Mütter behinderter Kinder. Der Prozess der Auseinandersetzung im Vergleich. 3. Aufl., Ed. Schindele Heidelberg Hinze, D. (2004): Die Bedeutung des Vaters in der frühen Entwicklung des Kindes (www.familienhandbuch. de) Jansen, G. W. (1979): Eltern körper- und mehrfachbehinderter Kinder und ihre Umwelt. In: Rheinweiler, R., Schönberger, F. (Hrsg.): Die Rolle der Eltern in der Rehabilitation körperbehinderter Kinder und Jugendlicher. Rheinstetten (Schindele) Jonas, M. (1990): Trauer und Autonomie bei Müttern schwerstbehinderter Kinder. Mainz Kallenbach, K. (2006): Vater eines behinderten Kindes Kallenbach, K. (1999): Väter behinderter Kinder. Eindrücke aus dem Alltag. Verlag Selbstbestimmtes Leben. Düsseldorf Kallenbach, K. (1997): Väter schwerstbehinderter Kinder. Waxmann, Münster Kloß, N. (2003): Neue Väter. Die Wandlung des Vaterbildes. Dortmund, Universität, Diplomarbeit Ribi, K. (2005): Väter chronisch kranker oder verunfallter Kinder. Zürich Stork, R. (2006): Väter - die übersehende Zielgruppe in der Jugendhilfe Strohmeier, J. (2006): Väter in Kindertagesstätten Verlinden, M.; Kübel, A. (2005): Väter im Kindergarten. Beltz-Verlag Weinheim Werneck, H. (2006): Die neuen Väter Wilken, U. (Hrsg.) (2003): Eltern behinderter Kinder. Empowerment - Kooperation - Beratung [Etta Wilken zum 60. Geburtstag]. Kohlhammer, Stuttgart Zeile, E. (Hrsg.) (1991): Ich habe ein behindertes Kind. Mütter und Väter berichten. 3. Aufl., München Unveröffentliche Arbeiten aus dem „Väterprojekt Landau“ (Diplom, Master, Staatsexamen): Blasius, Martina: Die Frühförderung aus der Perspektive des Vaters. 2002 Heineke, Maren: Väter in der Frühförderung. 2006 Schoden, Anja: Väter nach der Geburt eines behinderten oder frühgeborenen Kindes. 2003 Stenger, Lotte: Elternarbeit in der Frühförderung unter besonderer Berücksichtigung der Väter. 2002 Wannemacher, Kathrin: Väter behinderter Kinder in ihrer Familie. 2004 Ebenfalls unveröffentlicht: Cerny, Doreen: Die Rolle des Vaters in der Frühförderung. Jena 2003 Ausarbeitungen zu Teilthemen (unveröffentlicht), alle Landau 2006: Barth, Ulrike; Wöber, Nina: Erwartungen an die Vaterrolle Günster, Hendrik: Zwischen Individualität und Verantwortung - Väter behinderter Kinder Kempf, Annkathrin: Vater und Kind - Begegnungsmöglichkeiten im Säuglings- und Kleinkindalter Masyk, Thomas: Die Rolle der Väter in der Frühförderung Meyer, Verena; Wolff, Eva: Potentielle Väter Seybicke, Nina; Hamberger, Melanie: Väter in der Frühförderung Prof. Dr. päd. Andreas Fröhlich Wolfsangel 10 D-67663 Kaiserslautern 106 Andreas Fröhlich FI 3/ 2007
