eJournals Frühförderung interdisziplinär 27/4

Frühförderung interdisziplinär
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0721-9121
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
101
2008
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Selbstregulationsprobleme im Alltag und Elternbelastung bei Jungen mit Fragilem-X-Syndrom

101
2008
Jana Schreckenbach
Klaus Sarimski
In einer Stichprobe von 19 Jungen mit Fragilem-X-Syndrom (3-6 Jahre) wird untersucht, ob Selbstregulationsprobleme bereits zu diesem frühen Entwicklungszeitpunkt charakteristisch für den Verhaltensphänotyp dieser Kinder sind. Soziale Zurückgezogenheit, Hypersensitivität, Hyperaktivität und Einschlafschwierigkeiten werden von den befragten Müttern als häufige Probleme genannt. Diese Probleme tragen wesentlich dazu bei, dass sich die Mütter in sehr hohem Maße belastet fühlen. Eine familien- und interaktionsorientierte Beratung sollte daher bei der Versorgung von Jungen mit Fragilem-X-Syndrom ein obligatorischer Teil der pädagogischen und therapeutischen Unterstützung sein.
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Frühförderung interdisziplinär, 27. Jg., S. 174 - 185 (2008) © Ernst Reinhardt Verlag München Basel Selbstregulationsprobleme im Alltag und Elternbelastung bei Jungen mit Fragilem-X-Syndrom Jana Schreckenbach, klauS SarimSki Zusammenfassung: In einer Stichprobe von 19 Jungen mit Fragilem-X-Syndrom (3 - 6 Jahre) wird untersucht, ob Selbstregulationsprobleme bereits zu diesem frühen Entwicklungszeitpunkt charakteristisch für den Verhaltensphänotyp dieser Kinder sind. Soziale Zurückgezogenheit, Hypersensitivität, Hyperaktivität und Einschlafschwierigkeiten werden von den befragten Müttern als häufige Probleme genannt. Diese Probleme tragen wesentlich dazu bei, dass sich die Mütter in sehr hohem Maße belastet fühlen. Eine familien- und interaktionsorientierte Beratung sollte daher bei der Versorgung von Jungen mit Fragilem-X-Syndrom ein obligatorischer Teil der pädagogischen und therapeutischen Unterstützung sein. Schlüsselwörter: Fragiles-X-Syndrom, Selbstregulationsprobleme, Elternbelastung Self-Regulation and Parental Stress in Boys with Fragile-X-Syndrome Summary: Problems of self-regulation were assessed in 19 boys with fragile-x-syndrome (3 - 6 years old). Social withdrawn, hypersensitive and hyperactive behaviors as well as problems falling asleep seem to be characteristic for the behavioral phenotype even in this young age group. These problems contribute to a very high level of maternal stress. Familyand relationship-oriented approaches are strongly recommended in early intervention services for young children with fragile X. Keywords: Fragile X, self-regulation, parental stress Zur Frühförderung behinderter Kinder gehört neben der direkten Förderung der kindlichen Fähigkeiten die Unterstützung der Eltern bei der Bewältigung der Belastungen, die mit der Erziehung eines behinderten Kindes im Alltag verbunden sein können. Je nach Art und Schwere der Behinderung müssen die Eltern dabei mit unterschiedlichen Herausforderungen fertig werden. Sie müssen sich mit der Unsicherheit über die weiteren Entwicklungschancen des Kindes auseinandersetzen, sich mit den Fördermöglichkeiten und institutionellen Versorgungsstrukturen vertraut machen, zahlreiche Termine bei Ärzten und Therapeuten mit anderen Verpflichtungen des Alltags in Einklang bringen. Oft sind sie aber auch mit ganz praktischen Schwierigkeiten konfrontiert, wenn ihr Kind soziale Anpassungsprobleme, eine besondere Irritabilität oder Impulsivität oder Ein- und Durchschlafstörungen zeigt. 1. Belastungen von Eltern junger behinderter Kinder Zahlreiche empirische Untersuchungen belegen, dass sich nicht alle, aber mindestens 30 - 40 % der befragten Mütter geistig behinderter Kinder als hoch belastet erleben (z. B. Innocenti et al., 1992; Sarimski, 1993; Dyson, 1993; Baker et al., 2003). Unterschiede im Erleben der eigenen Belastung im Vergleich zu Eltern nicht behinderter Kinder lassen sich schon im Alter von sechs Monaten nachweisen (Pelchat et al., 1999). Die internationale Forschung hat in den letzten Jahren eine Fülle von Beiträgen geliefert zu der Frage, wie die Entwicklungsstörung eines Kindes die psychische Stabilität der Eltern beeinflusst und von welchen Faktoren es abhängt, ob ihnen eine Anpassung an ihre veränderte Lebenssituation gelingt. Es zeigte sich dabei, dass das Familienerleben von einem komplexen Gefüge von Faktoren bestimmt wird, unter denen der Grad der Behinderung selbst weniger bedeutsam ist als die im Alltag damit FI 4/ 2008 Jungen mit Fragilem-X-Syndrom 175 verbundenen Belastungen durch problematische Verhaltensweisen oder spezifische Hilfebedürfnisse des Kindes, die persönlichen Bewältigungskräfte der einzelnen Familienmitglieder, der Familienzusammenhalt und die soziale Unterstützung, die die Familien erfahren (Sarimski, 2008). Die meisten Analysen des Familienerlebens wurden mit Eltern von Schulkindern oder Jugendlichen mit geistiger Behinderung durchgeführt. Doch schon in den ersten Lebensjahren treten kritische Verhaltensformen im Alltag bei behinderten Kindern sehr viel häufiger auf als bei nicht behinderten Kindern. Baker et al. (2002, 2003) verglichen die Ausprägung von sozialen und emotionalen Auffälligkeiten mittels der Child Behavior Checklist (CBCL) bei 225 entwicklungsauffälligen oder behinderten und nicht behinderten Kindern im Alter von drei Jahren miteinander, baten die Eltern um eine Einschätzung ihrer Belastung (Parenting Stress Index) und wiederholten die Befragung ein Jahr später. Bereits in diesem Alter wurden bei den behinderten Kindern signifikant mehr aggressive oder sozial zurückgezogene Verhaltensweisen und Probleme der Aufmerksamkeitssteuerung berichtet. Der relative Anteil behandlungsbedürftiger Kinder (d.h. Kinder mit überdurchschnittlich hohen CBCL-Werten) war mit etwa 25 % dreimal höher als in der Vergleichsgruppe und blieb über einen Zeitraum von einem Jahr weitgehend stabil. Der Grad an Verhaltensauffälligkeiten korrelierte mit der Elternbelastung. Plant & Sanders (2007) benutzten keinen standardisierten Fragebogen zur Erhebung psychopathologischer Auffälligkeiten, sondern befragten 105 Mütter und 34 Väter von behinderten Kindern im Vorschulalter nach den größten Belastungen im Alltag, Entwicklungsmerkmalen des Kindes und persönlichen Bewältigungsstrategien. Die Antworten der Eltern zeigten das breite Spektrum der Anforderungen. Schwierigkeiten bei den Mahlzeiten, beim Einschlafen und bei der Sauberkeitsförderung des Kindes wurden als die am stärksten belastenden Einzelsituationen im Tageslauf empfunden, dicht gefolgt von der Durchführung von Behandlungsmaßnahmen zu Hause und der Einhaltung medizinischer und therapeutischer Termine. Die Väter nannten zusätzlich noch die Medikamentengabe, die Suche nach Informationen über die Behinderung und das Ausfüllen von Formularen als besondere Belastungen. Die Mütter erlebten die Alltagsbelastung als umso höher, wenn die Kinder ausgeprägte Verhaltensauffälligkeiten zeigten, weniger adaptive Kompetenzen hatten und besondere Pflegeaufgaben zu erfüllen waren. Als leichter wurde sie empfunden, wenn sie von ihrem Partner und/ oder Freunden im Alltag soziale Unterstützung erfuhren. 2. Probleme der Selbstregulation bei Jungen mit Fragilem-X-Syndrom Viele belastende Verhaltensweisen im Alltag - Ein- und Durchschlafstörungen oder Schwierigkeiten bei der Steuerung von Aktivität und Aufmerksamkeit - lassen sich als Ausdruck von Problemen der Selbstregulation des Kindes beschreiben. Selbstregulation meint die selbstgesteuerte Verhaltensregulation im Kontext der Anpassung an und Auseinandersetzung mit den alltäglichen Herausforderungen der Umwelt. Im Sinne eines Prozesses der Co- Regulation wird es dabei von seinen Eltern unterstützt. Sie bringen intuitive elterliche Kompetenzen mit, um seine Schwierigkeiten und momentanen Bedürfnisse erkennen, ihre Anforderungen in Art und Intensität auf seine Toleranzgrenzen abstimmen und es zu sozial angepasstem Verhalten anleiten zu können. Diese Co-Regulation findet von Anfang an in alltäglichen Situationen wie Füttern und Essen, Schlafenlegen und Spielen statt. Kinder bringen unterschiedliche Voraussetzungen für das Gelingen dieser Co-Regulationsprozesse mit. Im diagnostischen Klassifikationssystem für Säuglinge und Kleinkinder (Zero to Three, DC 0 - 3, 1994) wird versucht, vier Gruppen voneinander abzugrenzen: 176 Jana Schreckenbach, Klaus Sarimski FI 4/ 2008 1) hypersensitive Kinder mit ängstlichen oder vermeidenden Reaktionen auf Reize, die Schwierigkeiten haben, sich an Veränderungen im Alltag anzupassen, schnell irritiert oder frustriert werden, sich schlecht selbst beruhigen können 2) Unterreaktive Kinder mit der Neigung zum Rückzug, die schwer an Aktivitäten zu beteiligen sind, desinteressiert an der Exploration der sozialen Umgebung scheinen und nur ein reduziertes Repertoire an Spielformen entwickeln 3) Kinder mit motorischer Desorganisation, die sehr impulsiv und unruhig sind, ständig neue Reize suchen und motorische Reaktionen sowie ihre Aufmerksamkeit schlecht steuern können 4) Kinder mit anderen motorischen und sensorischen Verarbeitungsschwierigkeiten Eine Gruppe von Kindern, bei denen ausgeprägte Selbstregulationsprobleme zum charakteristischen Verhaltensphänotyp gehören, sind Jungen mit Fragilem-X-Syndrom (Sarimski, 2003). Dafür sprechen sowohl systematische Verhaltensbeobachtungen wie auch die Ergebnisse von Elternbefragungen. Roberts et al. (2001) und Miller et al. (1999) fanden in Beobachtungen physiologischer Reaktionen bei diesen Kindern eine Neigung zur Übererregung (Hyperarousal) und verlangsamte Habituation an sensorische Reize. Die retrospektive Analyse von frühen Videoaufzeichnungen des Verhaltens von Kindern, bei denen (später) ein Fragiles-X-Syndrom diagnostiziert wurde, ergaben ebenfalls Hinweise auf eine erhöhte körperliche Aktivität und frühe Probleme der motorischen Steuerung, die diese Gruppe sowohl von Kindern mit unbeeinträchtigter Entwicklung wie auch von Kindern mit autistischen Verhaltensmerkmalen unterschieden (Baranek et al., 2005). Analysen von Videoaufnahmen des Spielverhaltens bei Jungen im Vorschulalter zeigten eine geringere Ausdauer und einen wesentlich niedrigeren Anteil zielgerichteter, objektbezogener Spielformen im Vergleich zu Kindern mit Entwicklungsstörungen anderer Ursache oder typischer Entwicklung (Sarimski, 1999). Einige Äußerungen von Eltern machen die Belastungen anschaulich: „Timo läuft beim Spaziergang sehr weit vor, kann kaum ruhig sitzen, auch nicht beim Essen; bewegt sich zu Hause auf einem Hüpfball, was auch gleichzeitig seine Sitzgelegenheit ist.“ „Niklas will ständig schaffen, auch draußen ist er ständig auf der Suche nach einer Beschäftigung; er läuft oder fährt mit dem Roller weg und füttert die Hühner mit Zierpflanzen; er streckt die Zunge raus, stösst schrille Schreie aus und schlägt, wenn er sich ärgert; er kann einem nicht in die Augen schauen und wedelt mit den Händen, wenn er sich freut.“ „In der Öffentlichkeit macht er meist ein großes Durcheinander, hat kein Gefahrenbewusstsein; er schlägt andere Kinder, wie zum Kennenlernen; will mit ihnen spielen, ist aber zu dominant und impulsiv.“ In Elternbefragungen wurden eine taktile Überempfindlichkeit (Widerstand gegen Berührung, Halten, Aufgenommenwerden), soziale Unsicherheit und Scheu sowie mangelnde Kontrolle über impulsive Reaktionen (Kopfschlagen, Handbeißen, Beriechen oder Belecken von Objekten, Wedeln mit den Armen oder Händen) von vielen Eltern als Auffälligkeiten benannt (Sarimski, 2003). Bei Verwendung des CBCL (4 - 18) ergeben sich überdurchschnittlich hohe Werte meist in den Skalen für „Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsprobleme“ sowie „soziale Probleme“ (von Gontard et al., 2002; Sarimski, 2002; Hatton et al., 2002). Diese Befragungen beziehen sich allerdings auf altersmäßig heterogene Stichproben mit überwiegend älteren Kindern. In der vorliegenden Arbeit sollen deshalb folgende Fragestellungen untersucht werden: 1) Beschreiben bereits die Eltern von Jungen mit Fragilem-X-Syndrom im frühen Kindes- und Vorschulalter Selbstregulations- FI 4/ 2008 Jungen mit Fragilem-X-Syndrom 177 probleme wie auffällige Reaktionen auf Sinneseindrücke, Probleme der Steuerung von Aufmerksamkeit und Aktivität sowie Ein- und Durchschlafstörungen? 2) Finden sich Zusammenhänge zwischen diesen Selbstregulationsproblemen und dem Grad der subjektiven Belastung der Mütter? 3. Untersuchungsvorgehen Stichprobe 19 Eltern von Jungen mit Fragilem-X-Syndrom im Kindergartenalter erklärten sich zur Teilnahme an einer Befragung bereit. Die Kontaktaufnahme erfolgte bei 14 Eltern über eine Einladungsmail durch den Elternverband „Marker-X-Syndrom e.V.“; fünf Eltern wurden direkt angeschrieben, deren Kinder das Alterskriterium erfüllten und einem der beiden Verfasser in den letzten Jahren im Rahmen seiner Beratungstätigkeit in einem Sozialpädiatrischen Zentrum vorgestellt wurden. Zehn Kinder waren 3; 0 bis 4; 11 Jahre alt, neun Kinder 5; 0 bis 7; 2 Jahre alt. Befragungsinstrumente Die Eltern wurden gebeten, drei Fragebögen auszufüllen. Die „Temperament and Atypical Behavior Scale“ (TABS, Neisworth et al., 1999; dt. Übersetzung durch Sarimski), misst Auffälligkeiten der Selbstregulation und des Verhaltens bei kleinen Kindern durch 55 Items, die vom jeweiligen Beurteiler mit „Ja“ oder „Nein“ einzuschätzen sind. Der Fragebogen ist für Kinder im Alter zwischen 11 und 71 Monaten konzipiert, wobei bei der Konstruktion explizit angestrebt wurde, charakteristische Verhaltensweisen von Kindern mit Entwicklungsstörungen zu erfassen. So wurden z. B. Items aufgenommen, die aus klinischer Erfahrung für Kinder mit Autismus, Fragilem-X-Syndrom, Fetaler Alkoholembryopathie oder Williams-Beuren-Syndrom typisch sind. Die Items beziehen sich auf Beobachtungen zum Spielverhalten, Sozialverhalten, Sprachverhalten, Auffälligkeiten in der Reaktion auf Sinnesreize, Bewegungsmustern sowie selbststimulatorische oder selbstverletzende Verhaltensweisen. Die 55 Items sind faktorenanalytisch in vier Subskalen gruppiert, die mit den vier Gruppen von Kindern mit Regulationsstörungen korrespondieren, wie sie im Klassifikationssystem Zero to Three (DC 0 - 3) unterschieden werden: • Subskala 1: Soziale Zurückgezogenheit, • Subskala 2: Hyperaktivität/ -sensibilität, • Subskala 3: Unterreaktivität und • Subskala 4: Dysreguliertheit Die Ergebnisse der Subtests können unabhängig voneinander berechnet und interpretiert werden. Hohe Werte in der ersten Subskala sind nach klinischer Erfahrung charakteristisch für Kinder mit einer Autismus- Spektrum-Störung, in der zweiten Skala für Kinder mit einer Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung. Eine geringe Reaktionsbereitschaft auf Sinneseindrücke und Anregungen, wie sie in der dritten Subskala erhoben wird, lässt sich bei vielen Kindern mit unterschiedlichen neuropädiatrischen Störungen beobachten. Die vierte Subskala umfasst vor allem Aspekte der Überempfindlichkeit, geringen Beruhigbarkeit und Schlafstörungen. Durch Addition der einzelnen Rohwerte ergibt sich ein Gesamtwert (TRI; „Temperament and Regulatory Index“). Die Interpretation der Rohwerte erfolgt auf der Basis von Verteilungsmaßen (Prozentränge und T-Werte) aus einer amerikanischen Normierungsstichprobe, die 621 Kinder in der genannten Altersgruppe umfasste. Zusätzlich wurden Daten zu 212 Kindern mit unterschiedlichen Behinderungen (verschiedene genetische Syndrome, Cerebralparese, Hörbehinderung, Anfallsleiden u. a.) erhoben. In 178 Jana Schreckenbach, Klaus Sarimski FI 4/ 2008 beiden Stichproben war etwa die Hälfte der Kinder unter zwei bzw. drei Jahre alt. Reliabilitäts- und Stabilitätswerte der amerikanischen Originalversion sind befriedigend. Niedrigere Prozentränge spiegeln stärkere Auffälligkeiten in dem jeweiligen Bereich wider. Zweitens füllten die Eltern eine modifizierte Fassung des „Infant Sleep Questionnaire“ (ISQ; Morrell, 1999) in deutscher Übersetzung aus, mit dem die Schlafgewohnheiten des Kindes erhoben werden. Durchschnittliche Schlafdauer der Kinder in der Nacht, Häufigkeit und Dauer von Ein- und Durchschlafproblemen werden erfragt. Ein Vergleich mit Normen ist nicht vorgesehen. Drittens wurden die Eltern gebeten, die Kurzform des „Parenting Stress Index“ (PSI- SF; Abidin, 1995) auszufüllen. Dieser Fragebogen umfasst 36 Items einer ursprünglich längeren Fassung, die in zahlreichen internationalen Studien zur Messung elterlicher Belastung verwendet wurde. Auch in einer deutschen Übersetzung hatte sie sich bei der Untersuchung des subjektiven Erlebens von Müttern blinder Kinder bzw. von Kindern mit unterschiedlichen genetischen Behinderungen bewährt (Tröster, 1999; Sarimski, 1998). Eine Vergleichsstudie bei 100 Kindern mit Entwicklungsstörungen ergab für die deutsche Fassung eine weitgehend identische Verteilung der Rohwerte wie in amerikanischen Untersuchungen, die bei Eltern behinderter Kinder durchgeführt wurden (Sarimski, 1993). Die Items dieses Fragebogens sind in drei Subskalen gruppiert: 1) psychische Belastung der Eltern; 2) Belastungen der Eltern-Kind-Interaktion; 3) Belastungen durch schwieriges Temperament des Kindes. Statistische Verfahren Die statistischen Berechnungen erfolgten mit SPSS 16. Neben Häufigkeitsberechnungen wurden Gruppenvergleiche zwischen zwei Altersgruppen (unter bzw. über sechs Jahren) durchgeführt. 4. Ergebnisse Die Tabelle 1 zeigt die Mittelwerte in den vier Skalen der „Temperament and atypical Behavior Scale“ bei 19 Jungen mit Fragilem-X- Syndrom im Vergleich zu den Mittelwerten, die im Manual des TABS aus einer Erhebung bei 212 Kindern mit unterschiedlichen Behinderungen (1 - 6 Jahre) angegeben sind. In der Skala „soziale Zurückgezogenheit“ (TABS) wurden am häufigsten als zutreffend genannt: Jungen mit Fragilem-X uS-Stichprobe behinderter kinder Soziale Zurückgezogenheit 8.26 5.02 Hypersensitivität/ -aktivität 8.52 5.37 Unterreaktivität 1.42 2.16 Dysreguliertheit 1.58 1.29 TRI-Gesamtwert 19.78 13.84 Tabelle 1: Skalen- und Gesamtwerte (Mittelwerte) in der „Temperament and atypical behavior Scale“ von Jungen mit Fragilem-X-Syndrom (n = 19) mit Mittelwerten behinderter Kinder im Alter von 1 - 6 Jahren (US-Erhebung; n = 212; Neisworth et al., 1999) FI 4/ 2008 Jungen mit Fragilem-X-Syndrom 179 • „überreizt an Plätzen mit vielen Menschen“ (17/ 19), • „wedelt mit den Händen“ (13/ 19), • „Stimmungen/ Wünsche sind schwer erkennbar“ (13/ 19), • „regelmäßig erregt über Veränderungen im Ablauf“. Der Skalenmittelwert für die Gruppe der Jungen mit Fragilem-X-Syndrom liegt bei 8.26. Zwölf Jungen erreichen in dieser Skala sehr auffällige Werte (PR < 1), weitere vier Kinder liegen im auffälligen Bereich (PR 2 - 6). In der Skala „Hypersensibilität/ -aktivität“ (TABS) wurden von den Eltern am häufigsten die Beschreibungen • „fordert kontinuierlich Aufmerksamkeit“ (14/ 19), • „zu leicht frustriert“ (13/ 19), • „beißt, tritt oder schlägt andere“ (13/ 19), • „starke Stimmungsschwankungen“ (12/ 19), • „kann nicht warten“ (12/ 19) bestätigt. 50 % der Items wurden insgesamt als charakteristisch für die Kinder angesehen. Der Skalenwert für die Jungen mit Fragilem- X-Syndrom liegt bei 8.52. 14 Kinder erreichen hier sehr auffällige Werte (PR < 1). In den Skalen „Unterreaktivität“ und „Dysreguliertheit“ wurden wesentlich weniger Items als zutreffend betrachtet (12.7 %, bzw. 22.6 %). Zehn Jungen erreichen in der ersten der beiden Skalen auffällige Werte (PR 2 - 6); der Skalenwert für die Jungen mit Fragilem-X-Syndrom liegt bei 1.42. Hinsichtlich der Regulationsprobleme, die in der letztgenannten Skala gemessen werden, sind drei Jungen sehr auffällig (PR < 1), sieben weitere erreichen auffällige Werte (PR 2 - 5). Der Skalenwert für die Untersuchungsgruppe liegt bei 1.58. Betrachtet man den Gesamtwert der Auffälligkeiten (TRI; M = 19.78), so liegen 15 von 19 Jungen im sehr auffälligen Bereich (PR < 1). Ein Junge wird der „Risikogruppe“ (PR 1 - 20) zugeordnet, drei Werte liegen mit ihren Gesamtwerten im unauffälligen Bereich. Im Vergleich zu den Mittelwerten, die im Manual des TABS für Kinder mit unterschiedlichen Behinderungen im Alter von 1 - 6 Jahren angegeben werden, liegen die Werte für Jungen mit Fragilem-X-Syndrom in den beiden Skalen „soziale Zurückgezogenheit“ und „Hypersensitivität/ -aktivität“ deutlich über dem Durchschnitt, während die Werte in den Skalen „Unterreaktivität“ und „Dysreguliertheit“ sich kaum von den dort angegebenen Durchschnittswerten unterscheiden. Alle Abbildung 1: TABS - Verteilung der Prozentränge für den Gesamtwert (Temperaments- und Regulationsstörungen) 180 Jana Schreckenbach, Klaus Sarimski FI 4/ 2008 Mittelwerte der Gruppe „Fragiles-X-Syndrom“ liegen allerdings noch im Bereich von maximal einer Standardabweichung unter bzw. oberhalb des Mittelwerts der Vergleichsdaten. In den Skalen „Hypersensibilität/ -aktivität“ und „Dysreguliertheit“ ergaben sich statistisch signifikante Unterschiede zwischen den beiden Altersgruppen. Kinder, die bereits über sechs Jahre alt sind, wurden in beiden Skalen seltener als auffällig beschrieben (T = -3.94; df = 17; p = .001; bzw. T = -2.36; df = 17; p < .05). Ihr Gesamtwert (TRI) liegt um mehr als zehn Punkte unter dem Durchschnittswert der jüngeren Kinder (TRI 11.33 vs. 23.69). Der Schlaffragebogen („Infant Sleep Questionnaire“) zeigt eine durchschnittliche nächtliche Schlafdauer zwischen acht und elf Stunden. Eine Mutter gab an, dass ihr Sohn nur sechs bis sieben Stunden lang schlafe, während alle anderen Eltern die Schlafzeit ihres Kindes höher bemaßen. Die Abbildung 2 zeigt die Verteilung der nächtlichen Schlafzeiten aller Kinder. Sechs Eltern betrachten das Schlafverhalten ihres Kindes als problematisch. Dies betraf eher das Einschlafen als das Durchschlafen. Immerhin sieben Kinder brauchen mehr als 20 Minuten zum Einschlafen, neun wachen ein- oder mehrmals in der Nacht auf. Das bedeutet, dass die Kinder oft wieder aus dem Kinderzimmer kommen, bis sie endlich in den Schlaf finden. Die Eltern finden so keine Ruhe, sich den übrigen Familienaufgaben zu widmen oder am Abend abzuschalten. In der Nacht werden sie öfter vom Rufen oder Schreien des Kindes geweckt, gehen ins Kinderzimmer, um es zu beruhigen, oder holen es zu sich ins Bett in der Hoffnung, dass es dann besser schläft. Die Nächte sind unruhig, die Eltern am Morgen unausgeschlafen, angespannt, mit den beruflichen Aufgaben oder den Alltagsanforderungen der Erziehung weniger belastbar. Die Belastungen des Alltags durch die Verhaltensmerkmale der Jungen spiegelt sich im Eltern-Fragebogen wider. Die Auswertung des „Parenting Stress Index“ mit den durchschnittlichen Gesamtwerten in den drei Subskalen sind in Abbildung 3 dargestellt. Sie sind gut miteinander vergleichbar, da alle drei Skalen jeweils 12 Items beinhalten. Ihre Gesamtbelastung wird von den Müttern als überwiegend sehr hoch eingeschätzt (M = 107,9), allerdings mit beträchtlichen individuellen Unterschieden (Schwankung 64- 142). Im Gesamtbelastungswert liegen sieben Eltern weit überdurchschnittlich (PR > 99), eine Mutter sogar 30 Punkte über dem Punktwert, dem in der Normentabelle bereits ein Prozentrang von 99 zugeordnet ist; die Werte von weiteren neun Eltern liegen im überdurchschnittlichen Bereich (PR 93 - 98). Nur drei Eltern empfinden sich als nicht sonderlich belastet.15 der 19 Eltern geben überdurchschnittliche Belastungen (PR 86 - 99), drei weitere Eltern weit überdurchschnittliche Belastungen (PR > 99) durch das schwierige Temperament Abbildung 2: Durchschnittliche Schlafdauer der Kinder pro Nacht FI 4/ 2008 Jungen mit Fragilem-X-Syndrom 181 ihres Kindes an. Hinsichtlich ihrer eigenen psychischen Stabilität empfinden sich 12 der 19 Eltern als hoch belastet (PR > 85). Dreizehn Eltern erleben sich als hoch belastet durch Schwierigkeiten in der alltäglichen Eltern-Kind-Interaktion (PR > 89). Auch hinsichtlich der elterlichen Belastung fand sich ein Zusammenhang zum Alter der Kinder. Die Eltern der über Sechsjährigen empfanden sich als signifikant weniger belastet als die Eltern der jüngeren Kinder (T = -2.67; df = 17; p < .05). Mittels Korrelationsberechnungen wurden Zusammenhänge zwischen den Ergebnissen in den drei Fragebögen analysiert. Je höher der „Temperament and Regulatory Index“ ist, desto mehr Schlafprobleme werden angegeben (r = .47, p < .05) und desto längere Einschlafzeiten benötigen die Kinder (r = .53; p < .05). Die Skala „Dysreguliertheit“ (TABS-Subskala IV) korreliert dabei signifikant mit der Länge der Einschlafzeiten (r = .50, p < .05) und der Häufigkeit, mit der die Kinder der Stichprobe nachts aufwachen (r = .49, p < .05). Keine signi-fikanten Zusammenhänge ergaben sich zwischen den Einschlafzeiten und der Häufigkeit des nächtlichen Erwachens mit der Ausprägung von Hypersensibilität und -aktivität (TABS-Subskala II) der Jungen (r = .25, p = n. s.; r = -.004, p = n. s.). Kinder, die hohe Werte in der Subskala „Unterreguliertheit“ (TABS-Subskala III) erreichten, zeigten ebenfalls verstärkt problematisches Schlafverhalten. Abbildung 4: Durchschnittliche und überdurchschnittliche Belastungswerte in den einzelnen Subskalen des „Parenting Stress Index-Short Form“ (PSI-SF) Abbildung 3: Durchschnittswerte in den Subskalen des PSI 182 Jana Schreckenbach, Klaus Sarimski FI 4/ 2008 Die Belastung der Eltern, wie sie im PSI ermittelt wurde, korreliert signifikant mit allen Subskalenwerten im TABS und dem Gesamtwert (TRI) sowie den Einschlafproblemen, die im Schlaffragebogen dokumentiert werden. Ein signifikanter Zusammenhang zwischen der Häufigkeit nächtlichen Aufwachens und der elterlichen Belastung fand sich nicht (r = .11, p = n. s.). Die Tabelle 2 fasst die Korrelationskoeffizienten des Gesamtbelastungswertes im PSI in Bezug auf die anderen Fragebögen zusammen. 5. Diskussion Es liegen deutsche und englische Untersuchungen vor, die mittels der CBCL bei Kindern ab vier bzw. fünf Jahren durchgeführt wurden und eine signifikant erhöhte Rate von Aufmerksamkeitsproblemen und sozialen Problemen bei Jungen mit Fragilem-X- Syndrom zeigen (u. a. von Gontard et al., 2002; Hatton et al., 2002). Die Ergebnisse dieser Befragung einer Gruppe von Müttern von Jungen mit Fragilem-X-Syndrom im Alter von 3 - 6 Jahren sprechen für die Vermutung, dass bereits in dieser Altersgruppe „soziale Zurückgezogenheit“ und „Hypersensitivität, bzw. Hyperaktivität“ charakteristische Merkmale des Verhaltensphänotyps sind und u. U. - wie die in unserer Stichprobe vorzufindenden altersabhängigen Unterschiede - bei jüngeren Kindern besonders ausgeprägt sind. Sie bestätigen Ergebnisse, die von zwei amerikanischen Studien vorgelegt wurden, bei denen u. a. die CBCL eingesetzt wurde. Freund et al. (1995) untersuchte 15 Kinder im Vorschulalter und fand, dass Vermeidung von Blickkontakt, Trennungsängste, aufgeregte Reaktionen in fremder Umgebung und soziale Scheu als besonders charakteristisch genannt wurden. Kau et al. (2000) berichteten aus einer Befragung der Eltern von 41 Jungen (3 - 6 Jahre) eine ausgeprägte Ängstlichkeit und Vermeidung von neuen Anforderungen. Hinsichtlich Aufmerksamkeitsproblemen und Hyperaktivität fand sich dort kein signifikanter Unterschied zu einer Vergleichsgruppe. Allerdings handelte es sich um eine klinische Vergleichsgruppe, die eben wegen Verhaltensauffälligkeiten vorgestellt worden war. Zu Schlafstörungen bei Jungen mit Fragilem-X-Syndrom liegen unseres Wissens lediglich eine deskriptive Studie (Richdale, 2003) und eine Studie zur Effektivität verhaltenstherapeutischer Interventionen (Weiskop et al., 2005) vor, die sich beide auf relativ heterogene Altersgruppen beziehen. Unsere Ergebnisse sprechen dafür, dass bei einer Teilgruppe von Jungen im Kindergartenalter Einschlafstörungen vorliegen. Diese tragen r p TABS-Gesamtwert .74 < .001 TABS-Soziale Zurückgezogenheit .65 < .01 TABS-Hypersensitivität/ -aktivität .58 < .01 TABS-Unterreaktivität .58 < .01 TABS-Dysreguliertheit .62 < .01 Schlaffragebogen-Gesamtwert .47 < .05 Einschlafzeiten .60 < .01 Häufigkeit nächtlichen Aufwachens .11 n.s. Tabelle 2: Zusammenhänge zwischen Elternbelastung (PSI-Gesamtwert) und Selbstregulationsproblemen, Temperament und Schlafverhalten FI 4/ 2008 Jungen mit Fragilem-X-Syndrom 183 zusammen mit anderen schwierigen Temperamentsmerkmalen und Selbstregulationsproblemen zu einer weit überdurchschnittlichen Belastung von Müttern von Jungen mit Fragilem-X-Syndrom bei. Dies gilt bei dieser Gruppe ebenso wie bei Kindern mit anderen Formen mentaler Behinderung (Wiggs & Stores, 1996; Richdale et al., 2000; Didden et al., 2002). Wheeler et al. (2007), die über die subjektive Belastung von 24 Müttern von Jungen mit Fragilem-X-Syndrom zwischen 18 und 71 Monaten berichteten und den gleichen Belastungsfragebogen verwendeten, fanden, dass 61% der von ihnen befragten 24 Mütter von Kindern mit Fragilem-X-Syndrom im Alter zwischen 18 und 71 Monaten hoch belastet sind durch das schwierige Temperament ihrer Kinder. 38 % schilderten sich als in der Eltern-Kind-Interaktion im Alltag, 29 % als in ihrer psychischen Stabilität hoch belastet. Dass die in unserer Stichprobe ermittelte Rate weit unterdurchschnittlich belasteter Mütter höher ist, kann daher rühren, dass es sich um eine selbstselektive Stichprobe handelte. Es kann sein, dass nur solche Eltern dem Aufruf zur Beteiligung folgten, die sich durch die Fragestellung in besonderer Weise angesprochen fühlten, d. h. die sich in hohem Maße durch die Selbstregulationsprobleme ihrer Kinder belastet fühlten. Art und geringer Umfang der Stichprobe, an der unsere Untersuchung durchgeführt werden konnte, stellen Einschränkungen der Generalisierbarkeit unserer Ergebnisse dar. Ein direkter Vergleich mit einer Kontrollgruppe, die in Alter und Behinderungsgrad parallelisiert ist, wurde nicht vorgenommen; zum Vergleich liegen lediglich Daten aus einer heterogenen größeren Untersuchungsgruppe aus den USA vor. Eine nachfolgende Untersuchung mit einem solchen Kontrollgruppendesign wäre notwendig, um die Hypothese syndromspezifischer Effekte zu überprüfen. Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass Verhaltensmerkmale wie auch Schlafgewohnheiten und subjektive Belastung per Fragebögen durch die Mütter erhoben wurden. Für künftige Untersuchungen wäre es wünschenswert, die mütterlichen Einschätzungen durch objektive Daten (z. B. direkte Verhaltensbeobachtungen im Spiel und Schlaftagebücher) zu ergänzen. Trotz dieser Einschränkungen lässt sich u. E. aus den Ergebnissen ableiten, dass es sich bei Kindern mit Fragilem-X-Syndrom und ihren Eltern um eine Gruppe handelt, die in besonderer Weise einer umfassenden, familien- und interaktionsorientierten Unterstützung durch die Frühförderung bedürfen. Hyperaktive, hypersensible oder sozial zurückgezogene Verhaltensweisen und Einschlafstörungen stellen eine erhebliche Belastung für den Alltag dar und drohen die familiären Bewältigungskräfte zu überfordern. Eine systematische Beratung zur Anpassung der Interaktions- und Beziehungsmuster an die besonderen Bedürfnisse von Jungen mit dieser genetisch bedingten Entwicklungsstörung und ihre spezifischen Selbstregulationsprobleme (einschließlich des Umgangs mit Einschlafstörungen) sollte obligatorisch zur pädagogischen und therapeutischen Versorgung von Jungen mit Fragilem-X-Syndrom gehören. Bei der Analyse von Zusammenhängen der belastenden Verhaltensweisen müssen die spezifischen Besonderheiten in der Verarbeitung von Sinneseindrücken und Impulskontrolle berücksichtigt werden, die für Jungen mit Fragilem-X-Syndrom kennzeichnend sind. Mehr als bei Kindern mit anderen Behinderungsformen gleichen Alters geht es darum, die Eltern zu beraten, wie sie den Kindern helfen können, sich allmählich an unterschiedliche und vielfältige Sinneseindrücke zu gewöhnen, sie bei der Konfrontation mit fremden Situationen und Übergängen von einer zur anderen Tätigkeit im Alltag systematisch zu unterstützen und ihnen durch klare und eindeutige Regeln zu helfen, Selbstkontrolle über impulsive Verhaltensweisen zu entwickeln. Bei Jungen mit schweren Einschlafstörungen gilt es herauszufinden, welche Einschlafhilfen am Abend dazu beitragen 184 Jana Schreckenbach, Klaus Sarimski FI 4/ 2008 können, zur Ruhe zu kommen. Rezeptähnliche Empfehlungen können hierzu nicht gegeben werden; vielmehr muß individuell erprobt werden, was zur Reduzierung des Erregungs- und Aktivitätsniveaus wirksam ist. Angesichts der besonderen Belastungen sollte in der Beratung von Eltern von Jungen mit Fragilem-X-Syndrom auch von Anfang an nach Wegen gesucht werden, soziale Unterstützung zu mobilisieren, um einer Überforderung der elterlichen Bewältigungskräfte vorzubeugen und sie so zu stützen, dass sie den besonderen Aufgaben der Erziehung und Förderung von Jungen mit Fragilem-X-Syndrom gerecht werden können. Auch wenn das Kind noch klein ist, sollten diese Eltern ermutigt werden, Großeltern, eigene Geschwister oder Freunde um Unterstützung durch eine zeitweise Übernahme von Betreuungsaufgaben (z.B. an einem Nachmittag der Woche) zu bitten. Wenn ein solches soziales Netz nicht verfügbar ist, sollten - früher noch als bei den meisten anderen Kindern mit unterschiedlichen Behinderungen - familienentlastende Dienste in die Hilfeplanung einbezogen werden. Literatur Abidin, R. (1995). Parenting Stress Index-short form. Odessa, Psychological Assessment Ressources. Baker, B., McIntyre, L., Blacher, J., Crnic, K., Edelbrock, C. & Low, C. (2003). Pre-school children with and without developmental delay: behaviour problems and parenting stress over time. Journal of Intellectual Disability Research, 47, 217 - 230. Baranek, G., Danko, C., Skinner, M. (2005). Video analysis of sensory-motor features in infants with Fragile X syndrome at 9 - 12 months of age. Journal of Autism and Developmental Disorders, 35, 645 - 656. Didden, R., Korzillius, H., van Aperlo, B. (2002). Sleep problems and daytime behaviour problems in children with intellectual disability. Journal of Intellectual Disability Research, 46, 537 - 547. Dyson, L. (1993). 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