eJournals Frühförderung interdisziplinär 28/2

Frühförderung interdisziplinär
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0721-9121
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
41
2009
282

Kooperation und Vertrauensschutz bei frühen Hilfen: ein Entweder - Oder?

41
2009
Lydia Schönecker
Ob Ärzte oder Sozialpädagogen, Hebammen oder Psychologen - ihre Kompetenzen und vor allem Hilfezugänge zu Familien werden im Rahmen der derzeitigen Kinderschutzdiskussionen und -aktivitäten ganz besonders eingefordert. Als Kernelement der sog. frühen Hilfen wird dabei auch regelmäßig die Idee der Vernetzung all dieser Berufsgruppen ins Spiel gebracht. Doch das Verlangen nach mehr Kommunikation und Kooperation bringt viele von ihnen in einen als unlösbar empfundenen Konflikt mit einer ihrer wesentlichen Arbeitsgrundlagen: dem notwendigen Angebot von vertrauensgeschützten Hilfebeziehungen. Dieses Spannungsverhältnis greift der Artikel auf und macht das Angebot, über die Auseinandersetzung mit den allgemeinen wie den - für die Jugend- und die Gesundheitshilfe, sowie die Frühförderung - besonderen Regelungen zum Datenschutz, eine auch rechtlich gestützte Haltung zu entwickeln, die nicht auf ein "Entweder - Oder", sondern vielmehr ein "Sowohl - Als auch" hinausläuft.
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61 Frühförderung interdisziplinär, 28. Jg., S. 61 - 70 (2009) © Ernst Reinhardt Verlag München Basel Kooperation und Vertrauensschutz bei frühen Hilfen - ein Entweder - Oder? 1 Lydia Schönecker Zusammenfassung: Ob Ärzte oder Sozialpädagogen, Hebammen oder Psychologen - ihre Kompetenzen und vor allem Hilfezugänge zu Familien werden im Rahmen der derzeitigen Kinderschutzdiskussionen und -aktivitäten ganz besonders eingefordert. Als Kernelement der sog. frühen Hilfen wird dabei auch regelmäßig die Idee der Vernetzung all dieser Berufsgruppen ins Spiel gebracht. Doch das Verlangen nach mehr Kommunikation und Kooperation bringt viele von ihnen in einen als unlösbar empfundenen Konflikt mit einer ihrer wesentlichen Arbeitsgrundlagen: dem notwendigen Angebot von vertrauensgeschützten Hilfebeziehungen. Dieses Spannungsverhältnis greift der Artikel auf und macht das Angebot, über die Auseinandersetzung mit den allgemeinen wie den - für die Jugend- und die Gesundheitshilfe, sowie die Frühförderung - besonderen Regelungen zum Datenschutz, eine auch rechtlich gestützte Haltung zu entwickeln, die nicht auf ein „Entweder - Oder“, sondern vielmehr ein „Sowohl - Als auch“ hinausläuft. Schlüsselwörter: Datenschutz, Transparenzgebot, Einverständnis, Jugendhilfe, Gesundheitshilfe, Frühförderung Cooperation and Confidentiality Protection in Early Prevention - an Either-Or Decision? Summary: Whether doctors or social pedagogues, midwives or psychologists - their expertise and in particular their access to families in order to assist them are especially called for within the framework of the current child protection discussions and activities. The idea of establishing networks between all these occupational groups is also regularly brought into play as a central element of the so-called early prevention. However, the desire for more communication and cooperation leads many of them into a perceived unsolvable conflict with one of their essential working bases: the necessary offer of confidentiality-protected assistance relationships. This article deals with these conflicting demands and offers to develop a legally based approach which goes beyond the debate about the general and - in the field of youth welfare services, health services and early intervention - specific data protection provisions and does not result in an “either-or”, but rather in an “as-well-as”. Keywords: Data protection, transparency requirement, consent, youth welfare services, health services, early intervention I. Einführung Angestoßen durch verschiedene - v. a. auch mit medialer Aufmerksamkeit begleiteter - Fälle, in denen Kinder in ihren Familien durch körperliche Misshandlungen oder schwere Vernachlässigungen zu Tode gekommen sind, hat sich die Sorge um das Wohl von Kindern allgemein in der Öffentlichkeit und Politik, aber insbesondere auch bei den Fachkräften, die sich für das Wohl von Kindern einsetzen, ganz offensichtlich erhöht. So sind nicht nur die klassischen „Kindeswohlwächter“ im Jugendamt, sondern auch immer wieder Beratungsstellen freier Träger, z. T. Gesundheitsämter oder sogar Ärzte, Hebammen und Kliniken Initiatoren von frühen Hilfen für Familien. Diese - im Regelfall in Projektform organisierten Initiativen - sind z. T. sehr unterschiedlich und facettenreich ausgestaltet (vgl. Kurzevaluation von Programmen zu Frühen Hilfen: Helming, Sandmeir, Sann, Walter 2006). Gemeinsam ist ihnen jedoch das Ziel eines früheren und besseren Zugangs zu problembelasteten Familien, um über das Erkennen von besonderen Problemlagen und das Angebot notwendiger und geeigneter Hilfen für die Eltern auch die in den Familien lebenden Kinder besser fördern und vor Gefährdungssituationen für ihr Wohl schützen zu können. 62 Lydia Schönecker FI 2/ 2009 Neben der Entwicklung neuer Hilfeangebote mit der Hoffnung, dass problembelastete Familien dadurch besser erreicht und diese von ihnen angenommen werden können, spielt meist auch die Idee zur Vernetzung aller mit (werdenden) Eltern in Kontakt stehenden Institutionen und Berufsgruppen eine wichtige Rolle. Hintergrund dieses Gedankens ist das Ziel, bereits vorhandene Zugänge zu den Familien, die in den ersten Lebensjahren überwiegend über Professionelle aus der Gesundheitshilfe bestehen (Geburtskliniken, Hebammen, Frauen- und Kinderärzte), besser zu nutzen und möglichst frühzeitig Brücken zu weitergehenden Hilfen bauen zu können, die dann meist in der Jugendhilfe angesiedelt sind. Alle diese Hilfeinstitutionen bzw. -berufsgruppen - ob der Gesundheitshilfe oder der Kinder- und Jugendhilfe zugehörig - zeichnen sich jedoch dadurch aus, dass die Annahme und Wirksamkeit ihrer Hilfen ganz essentiell vom vertrauensvollen Auftreten gegenüber den Familien abhängen. Es bedarf vertraulicher Hilfekontakte, in denen sich Eltern mit ihren Sorgen und Nöten öffnen und ernst genommen fühlen können. Die Idee „früher Hilfen“ scheint deshalb zwangsläufig einen Widerspruch in sich zu tragen - notwendiger Vertrauensschutz für die Hilfebeziehungen zu den Familien auf der einen und das Bedürfnis zur Kooperation und damit zwangsläufig (mehr) Kommunikation mit den anderen Helfern auf der anderen Seite. Aber wie sollen denn vertrauensvolle Beziehungen zu den Familien aufgebaut und erhalten werden und sie gleichzeitig für andere Hilfeinstitutionen geöffnet und Kooperationsbeziehungen eingegangen werden? Hat außerdem nicht jede Berufsgruppe ihre eigenen Regelungen und Verpflichtungsgrade zur Verschwiegenheit, die eine Kooperation nicht oder nur unter je verschiedenen Voraussetzungen erlaubt? Und was bedeutet es, wenn Eltern die Wahrnehmungen nicht teilen, die ihnen angetragene Hilfe ablehnen und somit eine Öffnung der Hilfebeziehung für Dritte gerade nicht zulassen? Dieser Widerspruch scheint in der Praxis immer wieder als unlösbar empfunden zu werden und gleichsam einen Zwang zur Positionierung im Sinne eines Entweder-Oder hervorzurufen - entweder Vertrauensschutz gegenüber den Eltern oder Vernetzung zum Schutz von Kindern. So sind des Öfteren Wertungen zu hören, die die Vertrauens-/ Datenschutzvorschriften gegen den Kinderschutz ausspielen („Kinderschutz geht vor Datenschutz“). Im Folgenden soll deshalb der Frage nachgegangen werden, welches Verhältnis die oftmals als formal und v. a. zu Lasten von Kindesinteressen angesehenen Datenschutzregelungen zur Aufgabe des Kinderschutzes tatsächlich einnehmen und inwiefern vielleicht auch eine Haltung möglich sein könnte, die zwischen diesen beiden Positionen liegt, möglicherweise beide Aspekte sogar miteinander verschränkt. II. Grundgedanken des Datenschutzes Es war das Bundesverfassungsgericht, das 1983 in seinem „Volkszählungsurteil“ erstmalig aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) das sog. Recht auf informationelle Selbstbestimmung hergeleitet und später sogar von einem „Grundrecht auf Datenschutz“ gesprochen hat (BVerfGE 65, 1 [42f], BVerfGE 84, 239 [280]). Dieses beinhaltet für Jedermann das Recht, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen er persönliche Lebenssachverhalte offenbaren möchte. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung umfasst alle die eigene Person betreffenden Daten, wie Namen, Geburtsdatum, Anschrift, Einkommen, Beziehungen zu Dritten etc. Dabei entscheidet sich der Aussagewert und demzufolge die Bedeutung der jeweiligen persönlichen Information FI 2/ 2009 Kooperation und Vertrauensschutz bei frühen Hilfen 63 allein aus ihrem jeweiligen Verwendungszusammenhang (Simitis § 1 Rn. 57f). Derjenige, auf den sich diese Angaben beziehen, wird als Betroffener bezeichnet, unabhängig davon, in welcher Weise er in Bezug zum jeweiligen Datenverarbeitungsvorgang steht. Wie jedes andere Grundrecht findet jedoch auch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung seine Grenzen dort, wo es auf Grundrechte Anderer bzw. berechtigte öffentliche Interessen trifft und ist mit diesen entsprechend abzuwägen und in Einklang zu bringen. Ein solcher Ausgleich wird über die Regelungen zum Datenschutz gesucht, die - anders als herkömmlich verstanden und offensichtlich erlebt - keine Verbots-, sondern vielmehr Erlaubnisvorschriften sind (Katzenstein). Mit ihnen regelt der Gesetzgeber, wann und unter welchen Bedingungen die Datenerhebungen bzw. -verwendungen in befugter bzw. sogar verpflichtender Weise erfolgen können bzw. müssen. Allerdings hat der Gesetzgeber erkannt, dass überall dort, wo Hilfebeziehungen eingegangen werden, diese sowohl in ihrem Aufbau als auch ihrem Erhalt in ganz besonderer Weise von einem geschützten Rahmen des Vertrauensverhältnisses zwischen Helfern und Patienten bzw. Klienten abhängen und eine entscheidende Grundlage für den Erfolg von Gesundungs- und Heilungsprozessen darstellen. Diesen sog. funktionalen Schutz von Hilfebeziehungen hat er deswegen mit in die jeweiligen datenschutzrechtlichen Regelungen aufgenommen und ihm dort einen Eigenwert eingeräumt. In möglichen Abwägungsprozessen zwischen dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung und damit des Vertrauensschutzes einerseits und berechtigten Interessen an der Öffnung dieser Informationen für Dritte (z. B. zum Schutz eines Kindes) andererseits, wird die Berücksichtigung dieses funktionalen Schutzes somit eingefordert (Schindler 2006, 11; Mörsberger 2000, 49). III. Gemeinsame Grundsätze im Datenschutz Das Bundesverfassungsgericht hat dem Gesetzgeber vorgegeben, die gesetzlichen Regelungen an die Einhaltung bestimmter Grundsätze zu binden. Die folgenden grundlegenden Prinzipien des Datenschutzes prägen somit alle Datenschutzregelungen - sowohl in der Jugendals auch der Gesundheitshilfe - in gleicher Weise. 1. Unterscheidung zwischen Aufgabe, Befugnis und Pflicht Grundvoraussetzung für das Verständnis der rechtlichen Vorschriften, die auch die Erhebung und Verwendung von Daten in der Gesundheits- und Kinder- und Jugendhilfe leiten, ist die Unterscheidung zwischen Aufgabe, Befugnis und Pflicht (Meysen 2006, 66f). Der gerechtfertigte Umgang mit Daten setzt zunächst voraus, dass dieser für die Erfüllung einer Aufgabe erforderlich ist. Während diese für die Jugend- oder Gesundheitsämter gesetzlich vorgegeben sind, ergeben sie sich für die Mitarbeiter in Beratungsstellen oder anderen Einrichtungen und Diensten der Kinder- und Jugendhilfe, aber auch für Ärzte und Hebammen aus den mit den Klienten bzw. Patienten eingegangenen Beratungsbzw. Behandlungsverträgen. Zudem gilt es für die Datenverwendung zwischen Befugnissen und Pflichten zu unterscheiden. Befugnisse, i. S. eines „Dürfens“, erfordern stets eine Ermächtigungsgrundlage (§ 35 Abs. 2 SGB I, § 61 Abs. 1 S. 1 [i.V.m. Abs. 3] SGB VIII), die sich für Ärzte, Hebammen, Beratungsstellen oder Leistungserbringer der Kinder- und Jugendhilfe wiederum aus den entsprechenden Vereinbarungen mit den Patienten bzw. Klienten herleiten. Pflichten zu einer bestimmten Datenverarbei- 64 Lydia Schönecker FI 2/ 2009 tung, i. S. eines „Müssens“, ergeben sich für Fachkräfte in Jugend- und Gesundheitsämtern ebenso wie bei Ärzten, Hebammen oder sonstigen Fachkräften nur und erst dann, wenn diese Handlung (z. B. Daten an eine bestimmte Stelle weiterzugeben) zur Erfüllung einer bestimmten Aufgabe gesetzlich oder vertraglich gefordert wird. 2. Zweckbindungs- und Erforderlichkeitsprinzip Sowohl das Zweckbindungsals auch das Erforderlichkeitsprinzip gehören zu den elementaren Grundsätzen des Datenschutzes und gelten für alle Phasen des Umgangs mit Daten, d. h. von der Datenerhebung über die -speicherung und -weitergabe bis hin zur -löschung (Münder 2007, 61) Die Einhaltung des Zweckbindungsprinzips fordert, dass der von der Datenverarbeitung Betroffene grundsätzlich darauf vertrauen können muss und darf, dass die Daten nur zu dem Zweck verarbeitet werden, zu dem er auch seine Einwilligung erteilt hat. Ist eine Zweckänderung beabsichtigt, bedarf diese deshalb entweder seiner erneuten Zustimmung oder einer ausdrücklichen Befugnis. Damit eng zusammen hängt der ebenfalls zu beachtende Erforderlichkeitsgrundsatz. Danach ist unter fachlichen Gesichtspunkten stets genau zu prüfen, ob die jeweilige Datenverarbeitung für die Aufgabenerfüllung tatsächlich erforderlich ist, d. h. kein anderes Mittel vorhanden ist, das in gleicher oder sogar besserer Weise für die Aufgabenerfüllung geeignet ist und den Betroffenen dabei weniger belastet. 3. Transparenzgebot Der sowohl rechtlich als auch fachlich entscheidende Grundsatz, der im Zusammenspiel zwischen der Aufgabe des Kinderschutzes und dem Respekt gegenüber den mit den Eltern eingegangenen Vertrauensbeziehungen sozusagen die Brücke schlägt, ist das Transparenzgebot. Danach soll der von der Datenverarbeitung Betroffene die Vorgänge stets durchschauen können (Simitis 2006, Einl. Rn. 37). Dies bedeutet, dass der Betroffene schon beim Aufbau von Hilfebeziehungen zum einen über den Zweck der Datenerhebung, zum anderen über potenzielle Datenweitergabebefugnisse und ggf. auch -pflichten aufzuklären ist. D. h. bereits an dieser Stelle kann und sollte klargemacht werden, welcher Vertrauensschutz tatsächlich zugesichert werden kann bzw. wann, z. B. im Sinne betroffener Kindesinteressen, vielleicht auch eigene Grenzen erreicht werden. Unabdingbarer Bestandteil ist das Transparenzgebot jedoch ebenso für den Erhalt der Hilfebeziehungen zu den Eltern. Denn werden eigene Hilfegrenzen erreicht und deshalb eine Datenweitergabe auf der Grundlage eines Einverständnisses durch die Eltern erwogen, erfordert das Transparenzgebot das Vorliegen einer qualifizierten Einwilligung (dazu sogleich unter 4.) Doch auch wenn die Eltern im Einzelfall nicht für eine Einwilligung zur Datenweitergabe zu gewinnen sind und insofern eine Datenweitergabe im Sinne der Kindesinteressen auch gegen den Willen der Eltern für notwendig erachtet wird, erfordert das Transparenzgebot - abgesehen von Situationen, in denen die Transparenz gegenüber den Eltern das Gefährdungsrisiko für das Kind weiter erhöhen würde - ein Handeln der Helfer entsprechend dem Prinzip „Vielleicht gegen den Willen der Eltern, aber nicht ohne ihr Wissen! “. Diese Transparenz bietet auch auf fachlicher Ebene die Chance, dass die Eltern die von ihnen (zunächst) nicht mitgetragene Datenweitergabe als Ausdruck von verlässlichem Handeln der Helfer erleben und auch danach eher eine Anknüpfung an den bisherigen Hilfekontakt zulassen können. FI 2/ 2009 Kooperation und Vertrauensschutz bei frühen Hilfen 65 Das Transparenzgebot ist somit der wegweisende Dreh- und Angelpunkt, um die Vertrauensbeziehungen zu den Eltern und damit auch den Hilfezugang zum Kind aufbauen und erhalten zu können. 4. Entscheidende Befugnis - Handeln mit Einverständnis Soll es grundsätzlich jeder selbst in der Hand haben, ob und wenn ja, welche Informationen er Andere mitwissen lassen will und diese anschließend vielleicht sogar nochmals an Dritte weitergegeben werden dürfen, drückt sich in diesen Vorgaben bereits die entscheidende Befugnis im Datenschutzrecht aus - das Handeln mit Einverständnis des Betroffenen. Dabei kann entsprechend der Grundidee des eben beschriebenen Transparenzgebots von einem „echten“ Einverständnis allerdings nur dann ausgegangen werden, wenn der Betroffene eine konkrete Vorstellung davon hat, worin er einwilligt und die Bedeutung und Tragweite seiner Einwilligung überblicken kann (sog. qualifizierte Einwilligung). Dies bedeutet, dass die Eltern vorab konkret, umfassend und für sie verständlich über die Bedeutung ihres Einverständnisses aufgeklärt werden müssen. Sie müssen verstanden haben, wer welche konkreten Daten zu welchem Zweck erhalten wird. Für die meisten Berufsgruppen bedarf diese Einwilligung aufgrund der Geltung des Bundesbzw. der Landesdatenschutzgesetze der Schriftform (zu den formalen Anforderungen an die Einwilligungserklärung: Simitis 2006, § 4 a Rn. 30ff). Das Erzielen einer solchen Einwilligung ist sicherlich keine einfache Aufgabe, bedarf vor allem ausreichend Zeit und der Schulung von Beratungs- und Kommunikationskompetenzen zur Konfrontation von Eltern auch mit unangenehmen Fragen und Einschätzungen. Gelingt es jedoch - vielleicht auch aufgrund einer Hilfestellung (z. B. eines gemeinsamen Anrufs oder der Begleitung zu einem ersten Hilfekontakt) - die Eltern für die Erklärung eines Einverständnisses zu gewinnen, liegt darin eine umfassende Befugnis zur Weitergabe sämtlicher Daten, die von diesem Einverständnis umfasst sind. IV. Weitergabe von Informationen durch die Jugendhilfe In den bei frühen Hilfen beteiligten Hilfesystemen bestehen - abgesehen von der Einverständniserklärung des Betroffenen, die fast immer das beste Mittel der Wahl ist - in der Kinder- und Jugendhilfe sicherlich die weitreichendsten datenschutzrechtlichen Befugnisse. Zudem sind - anders als für den Bereich der Gesundheitshilfe (Ausnahme in Bayern: Art. 14 Abs. 6 GDVG) - auch Pflichten zur Informationsweitergabe bei der Annahme von drohenden Kindeswohlgefährdungen normiert, die allerdings die Ausnahme darstellen. 1. Das „Dürfen“ in der Jugendhilfe Die beiden entscheidenden für das Jugendamt direkt und die Träger der freien Jugendhilfe über entsprechende Vereinbarungen mit den Klienten mittelbar geltendenden Datenschutzregelungen finden sich in § 64 und § 65 SGB VIII. Danach dürfen zum einen alle Daten, die für die eigene Aufgabenerfüllung oder die eines anderen Sozialleistungsträgers erforderlich sind, an Dritte weitergegeben werden, soweit durch diese Datenweitergabe der Hilfeerfolg nicht gefährdet wird (§ 64 Abs. 2 SGB VIII). Für die zuständige Fachkraft bedeutet dies, für den jeweiligen Einzelfall zunächst zu prüfen, ob eine eigene oder die von einer anderen Hilfeinstitution zu erbringende Hilfeaufgabe die beabsichtigte Datenweitergabe erfordert. In einem zweiten Schritt ist dann von ihr einzuschätzen, wie sich die Datenweitergabe - ohne oder sogar gegen den Willen des Betroffenen - auf den Erfolg der 66 Lydia Schönecker FI 2/ 2009 zu erbringenden Leistung auswirken wird. Nur soweit sie diesen nicht als gefährdet beurteilt, kann sich eine Datenweitergabe auf die Befugnisnorm des § 64 Abs. 2 SGB VIII stützen. Für Daten, die einem Mitarbeiter zum Zweck persönlicher oder erzieherischer Hilfen anvertraut worden sind, hat der Gesetzgeber in § 65 SGB VIII die Gewährleistung eines - mit der (ärztlichen) Schweigepflicht vergleichbaren - besonderen Vertrauensschutzes geschaffen. Allerdings knüpft das gesetzliche Verständnis des „Anvertrauens“ nicht an die von der sozialpädagogisch bzw. psychologisch-therapeutischen Fachlichkeit geprägten Definition von Beratungsgesprächen als generell vertraulich an. Vielmehr will § 65 SGB VIII nur solche Daten diesem besonderen Schutz unterstellen, die als besondere Geheimnisse in die Vertrauensbeziehung eingebracht werden, d. h. sowohl mit der ausdrücklichen Erwartung seitens des Betroffenen als auch umgekehrt mit der Zusicherung seitens der Fachkraft, dass diese Informationen nicht an Dritte weitergegeben werden - entsprechend dem Gedanken „Das verrate ich jetzt aber nur Ihnen, und Sie dürfen es niemandem weitererzählen! “ (Meysen 2006, 69f). Dabei sind jedoch nicht nur verbal geäußerte Informationen erfasst, sondern auch sonstige Wahrnehmungen, die bei der Gewährung von Einblicken in Privat- und Intimsphären (z. B. bei Hausbesuchen) gewonnen wurden. Bei Zweifeln, ob eine Information als ein solches besonders geschütztes Geheimnis gelten soll, ist dies mit den Eltern gemeinsam zu klären. Anvertraute Daten dürfen - ohne Einverständnis des Betroffenen - nur in den eng begrenzten Ausnahmefällen des § 65 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 bis 5 SGB VIII weitergegeben werden, die als Grundvoraussetzung stets die Annahme gewichtiger Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung haben. Hinzu kommen muss, dass die Datenweitergabe entweder zur Anrufung des Familienbzw. Vormundschaftsgerichts (Nr. 2), aufgrund eines Wechsels der fallverantwortlichen Fachkraft (Nr. 3) oder zur Beratung im Fachteam (Nr. 4) für notwendig erachtet wird. In § 65 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 SGB VIII findet sich - für in den o. g. Alternativen nicht erfasste Situationen notwendiger Gefährdungsabwendung - der stets geltende Hinweis auf die Befugnis zum Bruch der Schweigepflicht aufgrund des rechtfertigenden Notstands, § 203 i.V.m. § 34 StGB (Schindler 2006, 11 - 14). 2. Das „Müssen“ in der Jugendhilfe Neben Befugnissen zur Informationsweitergabe wurden mit dem Gesetz zur Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe (KICK) im Oktober 2005 für den Ausnahmefall auch Pflichten zur Datenweitergabe festgeschrieben, notfalls auch gegen den Willen von Eltern. Intention dieser verbindlichen Verfahrensvorgaben - sowohl im Verhältnis von Trägern der freien Jugendhilfe gegenüber dem Jugendamt (§ 8 a Abs. 2 S. 2 SGB VIII) als auch vom Jugendamt gegenüber dem Familiengericht (§ 8 a Abs. 3 S. 1 SGB VIII) - ist die Ermöglichung notwendiger Maßnahmen und damit die Eröffnung erforderlicher Hilfezugänge für das Kind in Situationen drohender Kindeswohlgefährdungen (Meysen 2008, 32). Eine solche Verpflichtung zur Datenweitergabe wird grundsätzlich beim gleichzeitigen Vorliegen folgender Bedingungen ausgelöst: • Die zuständige Fachkraft im Jugendamt oder in einer Einrichtung bzw. Dienst eines freien Trägers kommt nach Reflexion mit einer anderen (bei freien Trägern: „insoweit erfahrenen“) Fachkraft zur Beurteilung, dass gewichtige Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung anzunehmen sind. An dieser Abschätzung des Gefährdungsrisikos sind auch die Eltern zu beteiligen. FI 2/ 2009 Kooperation und Vertrauensschutz bei frühen Hilfen 67 • Gegenüber den Eltern wurde erfolglos auf die Inanspruchnahme weitergehender Hilfen hingewirkt. • Die Fachkraft gelangt zu der Einschätzung, dass die eigenen Hilfegrenzen zur Abwendung der Gefährdung erreicht sind. Im Fall einer akuten Gefährdungssituation können selbstverständlich einzelne Verfahrensschritte übersprungen werden und ggf. auch die Verpflichtung zur sofortigen Datenübermittlung gegenüber dem Jugendamt bzw. dem Familiengericht bestehen. V. Weitergabe von Informationen durch die Gesundheitshilfe - als „Dürfen“ Spätestens seit dem Eid des Hippokrates, d. h. seit mindestens 2.300 Jahren, besteht die Erkenntnis, dass hilfreiche Behandlungsbeziehungen, in der sich Patienten ermutigt fühlen, sich mit ihren Problemen anzuvertrauen und die für erforderlich erachteten Hilfen in Anspruch zu nehmen, ganz wesentlich davon abhängen, dass Patienten auf die grundsätzliche Pflicht zur Verschwiegenheit des Arztes, der Hebamme etc. vertrauen können. Für die Professionellen in der Gesundheitshilfe liegt in der vom Gesetzgeber vor allem strafrechtlich geregelten (ärztlichen) Schweigepflicht (§ 203 StGB) somit - ähnlich wie für die Hilfebeziehungen in der Kinder- und Jugendhilfe - eine entscheidende Bedingung ihrer Arbeit. Mit Ausnahme der zumindest derzeit einzigen landesrechtlichen Verpflichtung von Ärzten und Hebammen im bayerischen Art. 14 Abs. 6 GDVG zur „unverzüglichen“ Meldung gegenüber dem Jugendamt von gewichtigen Anhaltspunkten für eine Misshandlung, Vernachlässigung oder einen sexuellen Missbrauch, sind für die Professionellen in der Gesundheitshilfe in diesem Hilfekontext nur zwei Befugnisse zur Datenweitergabe vorgesehen. 1. Grundsatz: im Einverständnis mit den Eltern Die ganz entscheidende und im Normalfall einzige Befugnis zur Datenweitergabe in der Gesundheitshilfe liegt im Handeln mit Einverständnis der Eltern. Wird im Rahmen der Behandlungsbeziehung eine Problemsituation in der Familie wahrgenommen, für die andere bzw. weitergehende Hilfen und deshalb ggf. auch die Weitergabe von Informationen als notwendig erachtet werden, besteht deshalb auch hier die oftmals mindestens ebenso anspruchsvolle Aufgabe wie große Chance, bei den Eltern um ihre Hilfeeinsicht und Mitwirkung bei der Initiierung weiterer Hilfen zu werben; sei es, dass sie diesen Weg in eine andere, weiterreichende Hilfebeziehung selbst suchen und gehen, sei es, dass die Stelle, an die die Daten mit Einverständnis der Eltern weitergegeben werden, Kontakt mit der Familie aufnehmen kann. Das Werben um dieses Einverständnis braucht in aller Regel nicht nur die Auseinandersetzung mit eigenen Hemmschwellen (Mut zur Konfrontation von Eltern, Werben für die Inanspruchnahme von Hilfen bei - vor[urteils-]belasteten - Hilfepartnern, etc.), sondern auch Zeit, um mit Eltern tatsächlich ins Gespräch gehen zu können, sie vielleicht sogar in einem Prozess der Hilfeeinsicht begleiten zu können. Die eng bemessenen Festlegungen der abrechenbaren Leistungen gegenüber den Krankenkassen allerdings erschweren sowohl Ärzten als auch Hebammen, sich dieser Herausforderung in der von frühen Hilfen gewünschten Form tatsächlich annehmen zu können. Für die Professionellen in der Gesundheitshilfe erscheint es daher umso wichtiger, dass sie von möglichst niedrigschwelligen Hilfepartnern wissen, mit deren Hilfe sich Eltern leichter einverstanden erklären (können) und diese mit einer längeren Zeit für Hilfekontakte Eltern intensiver begleiten und für Hilfen gewinnen können. 68 Lydia Schönecker FI 2/ 2009 2. Ausnahme: Handeln im Rahmen des rechtfertigenden Notstands Gelingt es nicht, die Eltern für eine einverständliche Datenweitergabe zu gewinnen, kann auch eine Befugnis zum Handeln gegen den Willen - wenngleich grundsätzlich nicht ohne Wissen - der Eltern in Betracht kommen, nämlich im Rahmen des strafrechtlich geregelten und für Jedermann geltenden rechtfertigenden Notstands gem. § 34 StGB. Dafür bedarf es zunächst der Annahme, ohne die beabsichtigte Datenweitergabe werde das Wohl des Kindes, seine Gesundheit, vielleicht sogar sein Leben ernsthaft gefährdet. Weil die Anzeichen drohender Kindeswohlgefährdungen allerdings selten so massiv und eindeutig sind, dass sie einen Schadenseintritt mit Sicherheit voraussehen lassen, sind für den großen „Graubereich“ in diesem Feld aus juristischer Sicht zweierlei Aspekte von Bedeutung: zum einen beurteilt sich die Rechtmäßigkeit des Handelns selbstverständlich aus der Perspektive des Entscheidungszeitpunktes, zum anderen werden um so geringere Anforderungen an die Wahrscheinlichkeitsprognose gestellt, je gravierender die Anhaltspunkte für eine Gefährdungssituation für das betroffene Kind eingeschätzt werden. In einem zweiten Schritt ist dann zu prüfen, ob die Informationsweitergabe im Hinblick auf die Abwendung der Gefährdungssituation tatsächlich das mildeste Mittel darstellt, d. h. von allen Handlungsalternativen die die Eltern am wenigsten beeinträchtigende ist. Dies bedeutet, dass - sofern nicht eine akute Gefährdungssituation ein sofortiges Handeln erfordert - zuvor erfolglos, aber ernsthaft versucht worden sein muss, die Eltern für eine einverständliche Datenweitergabe bzw. für die Annahme weiterer eigener oder Hilfen anderer Hilfeinstitutionen zu gewinnen. Zuletzt ist eine Interessenabwägung zwischen dem Schutz des Kindeswohls und dem Interesse der Eltern an der Aufrechterhaltung der (ärztlichen) Schweigepflicht vorzunehmen. Wird eine ernsthafte Gefährdungssituation für das Kind angenommen, wird in der Regel vom Überwiegen des Schutzinteresses des Kindes auszugehen sein. Wichtig ist jedoch, in dieser Abwägung auch mit einzuschätzen, ob und welche Hilfe- und Schutzmöglichkeiten durch die Datenweitergabe tatsächlich eröffnet werden und ob der Bruch der Schweigepflicht möglicherweise auch einen Abbruch des bestehenden Behandlungs- und Hilfezugangs nach sich ziehen wird, der die Gefährdungssituation für das Kind noch erhöhen könnte. Die z. T. ohnehin oft wenigen und fragilen Hilfezugänge sollten nicht leichtfertig verspielt werden, zumal bei Meldungen an das Jugendamt dieses zwar die gesetzliche Aufgabe und grundsätzlich auch das entsprechende Handlungsinstrumentarium zur Verfügung hat, um auf Gefährdungssituationen zu reagieren, allerdings auch sein Zugang zur Familie - bei einer Information gegen den Willen der Eltern - in der Regel noch schwieriger sein dürfte als ohnehin. Die Auflösung dieses Konflikts zwischen erkannter Gefährdungssituation für das Kind und dem deshalb für notwendig erachteten Handeln auch gegen den Willen der Eltern einerseits und dem gleichzeitig als Gefährdung der eingegangenen Hilfe- und Vertrauensbeziehung erlebten Handeln andererseits, wird sich entscheidend nur über ein transparentes Verhalten gegenüber den Eltern erreichen lassen. Ist vorab nachdrücklich, aber erfolglos versucht worden, die Eltern zur (eigenen) Inanspruchnahme von Hilfen zu gewinnen, kann das Hinzuziehen anderer Stellen von ihnen auch als Ausdruck von Verlässlichkeit erlebt werden. Die große Herausforderung liegt deshalb im Finden der richtigen Balance zwischen dem Angebot vertrauensvoller Hilfebeziehungen, einer - oftmals als schwierig empfundenen, weil v. a. nicht gelernten - offenen, ggf. konfrontativen Gesprächshaltung hinsichtlich erkannter Problemlagen und einer transparenten Einbindung der Eltern in die einzelnen Entscheidungspro- FI 2/ 2009 Kooperation und Vertrauensschutz bei frühen Hilfen 69 zesse, gerade auch beim Handeln gegen ihren Willen (Meysen 2008, 35). Die oftmals sehr komplexen Einschätzungen und Abwägungsvorgänge sollten auch die Professionellen in der Gesundheitshilfe nicht allein vornehmen. Entsprechend dem Modell in der Kinder- und Jugendhilfe oder auch sonstigen schwierigen Diagnose- und Behandlungsentscheidungen im medizinischen Alltag ist es sicherlich hilfreich, diese Entscheidungen mit Kollegen oder auch beispielsweise im Rahmen anonymisierter Fallberatungen mit Jugendamtsmitarbeitern gemeinsam zu reflektieren. VI. Frühförderung im System Die Frühförderung kann - trotz der begrifflichen Ähnlichkeit und obwohl der Begriff der „frühen Hilfen“ ursprünglich aus der Frühförderung stammt - nicht mit „frühen Hilfen“ gleichgesetzt werden. Dennoch nimmt sie in vielen Projektkonzeptionen eine wichtige Rolle ein. Die Frühförderung ist im Rehabilitationsrecht (SGB IX) geregelt und beabsichtigt, zum frühestmöglichen Zeitpunkt den spezifischen Förderbedarf behinderter oder von Behinderung bedrohter Kinder (von der Geburt bis zum Schuleintritt) zu erkennen und ihre Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft durch entsprechende therapeutische und pädagogische Förderangebote zu ermöglichen. Zentraler Ausgangspunkt dieser Hilfen ist das - auch gesetzlich festgelegte - Verständnis der Hilfen als „Komplexleistung“ (§ 30 Abs. 1 S. 2, § 56 SGB IX), d. h. ein interdisziplinär abgestimmtes System ärztlicher, medizinisch-therapeutischer, psychologischer, heilpädagogischer und sozialpädagogischer Leistungen, wobei medizinische und heilpädagogische Leistungen dabei als gleichberechtigt nebeneinander stehend angesehen werden (Behringer/ Höfer 2005, 32). Ziel dieses Anspruchs ist zum einen die angemessene Erfassung der Komplexität der kindlichen Entwicklung, zum anderen die Gewährleistung eines ganzheitlichen Hilfeansatzes. Die in der Frühförderung tätigen Fachkräfte haben aufgrund dieses interdisziplinären Arbeitsansatzes im Vergleich zu den anderen Hilfesystemen bei frühen Hilfen bedeutsame Erfahrungsvorteile: Zum einen ist ihnen die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Hilfesystemen nicht fremd, da sie die medizinischen Leistungen mit den Krankenkassen, die heilpädagogischen Leistungen hingegen gegenüber den Jugendhilfebzw. aufgrund landesrechtlicher Zuordnungen gegenüber den Sozialhilfeträgern geltend machen müssen. Zum anderen erfordert die interdisziplinäre Zusammenarbeit eine fortwährende Auseinandersetzung mit dem Thema „Kooperation“. In datenschutzrechtlicher Hinsicht enthält das SGB IX ein paar wenige eigene Regelungen. So weist beispielsweise § 21 Abs. 1 Nr. 4 SGB IX darauf hin, dass im Rahmen der Verträge über die Ausführung von Leistungen zur Teilhabe mit den Leistungserbringern, die nicht in der Trägerschaft eines Rehabilitationsträgers stehen, auch Regelungen über die Geheimhaltung personenbezogener Daten zu treffen sind. Spezielle datenschutzrechtliche Befugnisse zur Erhebung, Verarbeitung und Nutzung von Daten begründet jedoch weder das SGB IX, noch die speziell für die Ausgestaltung der Frühförderung im Jahr 2003 erlassene Verordnung zur Früherkennung und Frühförderung behinderter und von Behinderung bedrohter Kinder (Frühförderungsverordnung - FrühV). Vielmehr wird in § 10 Abs. 4 SGB IX klargestellt, dass die datenschutzrechtlichen Regelungen des Sozialgesetzbuchs unberührt bleiben. Dies bedeutet, dass sowohl die allgemeinen sozialdatenschutzrechtlichen Regelungen (§§ 67 a ff SGB X) als auch - je nach Zuordnung zur Gesundheits-, Jugend- oder Sozialhilfe - die für die Rehabilitationsträger jeweils geltenden bereichsspezifischen datenschutzrechtlichen Regelungen anwendbar sind 70 Lydia Schönecker FI 2/ 2009 (Hauck/ Noftz, Götze, 02/ 08, § 10 Rn. 12). Die Frage des konkret anwendbaren Datenschutzes variiert deshalb je nach Ausgestaltungsform der Frühförderung und kann sehr unterschiedlich zu beantworten sein. Die dargestellten Prinzipien und entscheidenden Befugnisse zur Datenweitergabe mit Einverständnis der Eltern bzw. im Falle einer Gefährdungssituation auch gegen den Willen der Eltern gelten allerdings ebenfalls. Der entscheidende Schlüssel liegt sicherlich auch hier in einer von Anfang an für die Eltern transparenten, nachvollziehbaren und sie kontinuierlich mit einbindenden Arbeitsweise und Zusammenarbeit der Akteure in der Frühförderung. VII. Fazit Der Blick auf die Datenschutzregelungen sowohl in der Kinder- und Jugendhilfe als auch in der Gesundheitshilfe ergibt ein differenziertes Bild: auf ihrer Grundlage werden weder nur einseitig Elterninteressen am Erhalt ihrer Vertrauensbeziehungen geschützt und damit die ggf. erforderliche Öffnung von (weiteren) Hilfezugängen des Kindes verhindert noch erlauben sie, das für die Hilfebeziehungen notwendige Vertrauen seitens der Eltern leichtfertig zu riskieren und den Respekt vor der (vorrangigen) Elternverantwortung aus den Augen zu verlieren. Eine Positionierung im Sinne eines „Entweder - Oder“ geht deshalb an der Sache vorbei, vielmehr stehen die Datenschutzregelungen selbst für das Dazwischen, d. h. ein „Sowohl - Als auch“. Die große Herausforderung bei „frühen Hilfen“ besteht jedoch fachlich sowie datenschutzrechtlich darin, die zentralen Akteure im Hilfekontakt - die Eltern - zu gewinnen. Nur wenn diese darauf vertrauen können, dass sie sich mit ihren Problemen und Ängsten in grundsätzlich geschützte Hilfebzw. Behandlungsbeziehungen begeben können, werden sie auch den Aufbau und Erhalt von Hilfebeziehungen zu ihrem Kind ermöglichen und selbst unterstützen. Anmerkung 1 Zu den datenschutzsowie leistungsrechtlichen Fragestellungen bei frühen Hilfen ist im Vier-Länder- Modellprojekt „Guter Start ins Kinderleben“ eine ausführliche Expertise entstanden, die im Dezember 2008 veröffentlicht wurde: Meysen, Thomas; Schönecker, Lydia; Kindler, Heinz: Frühe Hilfen im Kinderschutz - Rechtliche Rahmenbedingungen und Risikodiagnostik in der Kooperation von Gesundheits- und Jugendhilfe 2009 Weinheim Literatur Behringer, L., Höfer, R. (2005). Wie Kooperation in der Frühförderung gelingt, München Hauck, K., Noftz, W. (Loseblattkommentar). SGB IX Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen, Berlin (zit. Hauck/ Noftz, Bearb. 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