Frühförderung interdisziplinär
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0721-9121
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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Aus der Praxis: Der Anamnesebogen der Arbeitsstelle Frühförderung Bayern
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2009
Monika Naggl
Sabine Höck
Erstgespräch und Anamnese gehören zum Kernbestand der Diagnostik in der Inter¬disziplinären Frühförderung zusammen mit medizinischer Diagnostik, Allgemeiner Entwicklungsdiagnostik und/oder Intelligenz¬diagnostik und einer abschließenden interdisziplinären diagnostischen Fallberatung als deren Ergebnis die Indikationsstellung erfolgt. Diese in den „Leitlinien zur Diagnostik in der Interdisziplinären Frühförderung“ (Schmid-Krammer, Naggl 2006) formulierten obligatorischen Teile der Diagnostik decken sich mit den gesetzlichen Vorgaben zur Frühförderung als Komplexleistung im SGB IX. Der von der Arbeitsstelle Frühförderung Bayern entwickelte Anamnesebogen aus dem Jahre 1975, der weit über die Frühförderung hinaus in Heilpädagogischen Tagesstätten, Kinderheimen und psychotherapeutischen Praxen Verwendung fand, wird deshalb nun von uns in einer aktualisierten Neufassung vorgelegt.
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Frühförderung interdisziplinär, 28. Jg., S. 23 - 35 (2009) © Ernst Reinhardt Verlag München Basel Der Anamnesebogen der Arbeitsstelle Frühförderung Bayern Monika naggl, Sabine Höck Aus der Praxis 1. Neufassung des Anamnesebogens der AST FF Bayern Erstgespräch und Anamnese gehören zum Kernbestand der Diagnostik in der Interdisziplinären Frühförderung zusammen mit medizinischer Diagnostik, Allgemeiner Entwicklungsdiagnostik und/ oder Intelligenzdiagnostik und einer abschließenden interdisziplinären diagnostischen Fallberatung als deren Ergebnis die Indikationsstellung erfolgt. Diese in den „Leitlinien zur Diagnostik in der Interdisziplinären Frühförderung“ (Schmid-Krammer, Naggl 2006) formulierten obligatorischen Teile der Diagnostik decken sich mit den gesetzlichen Vorgaben zur Frühförderung als Komplexleistung im SGB IX. Der von der Arbeitsstelle Frühförderung Bayern entwickelte Anamnesebogen aus dem Jahre 1975, der weit über die Frühförderung hinaus in Heilpädagogischen Tagesstätten, Kinderheimen und psychotherapeutischen Praxen Verwendung fand, wird deshalb nun von uns in einer aktualisierten Neufassung vorgelegt. Wir hoffen, dass auch dieser neue Anamnesebogen mit der Struktur, die wir nahezu nicht verändert haben, für Sie brauchbar ist, und sind interessiert an Ihrem Feedback. Danke an die Kolleginnen und Kollegen der Frühförderung der „Hessing Stiftung“ in Augsburg und in der Frühförderung Neuendettelsau für ihre wertvollen Beiträge. 2. Das Formular des Anamnesebogens Der Anamnesebogen hat ein DIN-A 4-Format; er kann auf DIN A 3 ausgedruckt und gefalzt werden. Eine geeignete pdf-Datei befindet sich auf der WebSite „www.fruehfoerderung-bayern.de“. Das Formular besteht aus 8 Seiten, davon 6 Seiten mit Raum für Informationen und 3 Seiten mit dem Fragenkatalog. 3. Die Anamnese Das Anamnesegespräch in der Frühförderung hat den Charakter einer Beratung (s. Schmid- Krammer, Naggl 2006). Eltern, die sich Sorgen machen um die Entwicklung ihres Kindes, haben die Möglichkeit, ohne großen Aufwand ein Erstgespräch in der Frühförderung in Anspruch zu nehmen. Dafür gibt es das Erstgespräch als niedrigschwelliges, offenes Beratungsangebot und die Anamnese ist meist Teil dieses Erstgesprächs bzw. ein Teil des Erstgesprächs hat anamnestischen Charakter: Was führt die Eltern zu uns? Über wen sind sie gekommen und warum? Was sind ihre Sorgen, was ist das Problem? Was haben sie bisher schon alles unternommen und was wollen sie von uns? In der Anamnese erfahren wir etwas über die Entwicklungsbedingungen des Kindes in seiner Umwelt: Bindungsgeschichte, Pflege und Versorgung, Erziehung, Familie, Krippe und Kindergarten und die soziale Situation, in der es aufwächst. 24 Monika Naggl, Sabine Höck FI 1/ 2009 FI 1/ 2009 Der Anamnesebogen der Arbeitsstelle Frühförderung Bayern 25 26 Monika Naggl, Sabine Höck FI 1/ 2009 FI 1/ 2009 Der Anamnesebogen der Arbeitsstelle Frühförderung Bayern 27 Die Anamnese ist damit ein Teil der Diagnostik in der Frühförderung, auf den die Bezeichnung „Diagnostik“ eigentlich nicht zutrifft. Die Anamnese ist keine objektivierende (natur-)wissenschaftliche Informationsgewinnung, sondern, erkenntnistheoretisch betrachtet ein sinnverstehender und sinnstiftender Prozess zwischen (mindestens) zwei Subjekten, die beide sinnmächtig sind und das Gespräch und seine Bedeutung erzeugen. Wir diagnostizieren Eltern nicht. Wer den Anamnesebogen daher „diagnostizierend“ und „beobachtend“ einsetzt - und sei es in der besten Absicht und „zum Wohle des Kindes“ - verkehrt ihn in ein Kontrollinstrument. In der Anamnese als Beratungsgespräch lassen wir uns leiten von der Agenda der Eltern und versuchen in Kontakt zu kommen, mit dem, was für sie bedeutsam ist und woran sie sich erinnern. Wenn zum Beispiel die Geburtsumstände durch die Frühgeburtlichkeit traumatisch waren, zu schmerzhaft, um darüber zu sprechen, und die Eltern sind gekommen, weil ihr jetzt vier Jahre alter Sohn nicht schlucken kann, werden sie die peinigenden Ängste um das Leben ihres Kindes und ihre Verzweiflung damals jetzt nicht spüren. Und wir bekommen auf die Frage nach der „Geburt und Neugeborenenzeit“ eine sachliche Anwort: „Frühgeburt aus der … SSW, Verlegung in die X-Klinik, Inkubator, Beatmung …“. Nützliche Informationen allemal. Jedoch nicht so bedeutsam, als wenn sich die Eltern in der dritten Stunde, wenn sie Vertrauen gefasst haben, unter Tränen und wütend erinnern, wie das damals war. Der Fragenkatalog dieses Anamnesebogens ist ein Werkzeug. Er beschreibt ein Feld, ein Abfragen entlang dem Katalog entspricht jedoch nicht seinem Sinn und Zweck. Er ersetzt nicht die Ausbildung in Beratung und Gesprächsführung. Sie würden ja auch nicht nach Checkliste ein Flugzeug steuern! Inhalte der Anamnese, wie sie der hier vorgestellte Anamnesebogen enthält, sind: • Erwartungen und Einstellung der Eltern • Vorgeschichte: Schwangerschaft und Geburt; Neugeborenenzeit; Säuglings- und Babyzeit; Gesundheit, Krankheiten; Bindungsgeschichte Entwicklungsbedingungen erziehung: • Bindungsgeschichte • Pflege und Versorgung • Schlafen • Ernährung • Erziehungspraxis • Lernanregung, Bildungsangebote Familie: • Familienstand und Beziehungsstatus der leiblichen Eltern • Geschwister • Im Haushalt wohnende Personen • Familiäre Belastungen und Ressourcen: sehr junge Eltern; chronische oder andere Krankheiten in der Familie, psychische Erkrankung, Pflegebedürftigkeit, Behinderung in der Familie; Alkohol- oder andere Sucht; aktuelle belastende Lebenssituation; Ehe- oder Beziehungskonflikte; Isolation • Berufstätigkeit der Eltern • Familienklima krippe/ kindergarten: • Kooperation mit Eltern • Konzept des Kindergartens • Räumlichkeiten; Gruppengröße; Gruppenzusammensetzung • Kontakt der Erzieherinnen zum Kind • Stellung in der Gruppe • Kindergarten-Klima Soziale Situation: • Sozioökonomischer Status: Ausbildung und Berufstätigkeit von Mutter/ Vater • Finanzielle Situation • Wohnen • Migration • Haus- oder Kinderarzt vorhanden? • Informelle Netzwerke • Institutionelle Hilfen Abbildung: Inhalte der diagnostischen Dimension „Entwicklungsbedingungen“ 28 Monika Naggl, Sabine Höck FI 1/ 2009 • Allgemeine Entwicklung: Motorik; Sensomotorik; Sprache; Kognition; Soziale und emotionale Entwicklung; Selbstständigkeit. • Entwicklungsbedingungen: Pflege und Versorgung; Erziehung; Familie; Krippe, Kindergarten; Soziale Situation 4. Zum Vorgehen Die Nummer des Aufnahmebogens des Kindes wird auf den Anamnesebogen übertragen. Der Abschnitt „Säuglings- und Babyjahre“ eignet sich für summarische rückblickende Fragen zur Vorgeschichte, wenn wir es schon mit Kleinkindern bis hin zum Schulalter zu tun haben. Dann kann man den vorhergehenden Abschnitt „Neugeborenenzeit“ manchmal auch weglassen. Genaue und ausführlichere Items zum Säuglings- und Babyalter finden sich noch einmal weiter hinten im Abschnitt Entwicklungsbedingungen: Pflege und Versorgung. Der elterliche Beitrag steht dabei im Vordergrund des Interesses, was Sinn macht, wenn es nicht um einen Rückblick, sondern um aktuelle Probleme und Problemlösungen geht, z. B. bei Regulationsstörungen, Schrei-, Schlaf-, Gedeih-, und Essstörungen. Hier wird auf die Wechselseitigkeit der Interaktion abgehoben. Der Beitrag der Eltern steht im Vordergrund, weil es darum geht, Ressourcen und Lösungsansätze zu finden. Mit der Einordnung dieses Teils der Anamnese unter „Entwicklungsbedingungen“ ist daher keine ursächliche Zuordnung intendiert. Die Sortierung von Einflussfaktoren findet andernorts und jedenfalls nicht an dieser Stelle statt. Die Anamnese in der Frühförderung wird auch im Hausbesuch erhoben. Einzelne Items sind erkennbar keine Fragen, sondern zielen auf Beobachtungen. Das gilt auch für die unten aufgeführten Materialien zur Beobachtung und Protokollierung von Schrei-, Fütter-, und Schlafproblemen. Auch die Fragen im Abschnitt „Krippe und Kindergarten“ richten sich an die Adresse der Eltern. Sie sind in entsprechend abgewandelter Form den Bezugspersonen im Kindergarten und in der Krippe zu stellen. Frühförderung und Therapien sind nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Hilfe zu sehen, sondern stellen für Familien manchmal auch eine erhebliche Belastung dar. Sie sind deshalb unter „Ressourcen und Belastungen aufgeführt. Nach mehr als 30 Jahren Frühförderung hat dieser „blinde Fleck“ von uns Helfern einen eigenen Scheinwerfer verdient (siehe dazu Sarimski 1996 und Schreckenbach & Sarimski 2008). 5. Der Fragenkatalog zur Anamnese Erwartungen und Einstellung der Eltern Gekommen über wen? Warum? Was sind ihre Sorgen? Was ist das Problem? Wann ist ihnen zum ersten Mal etwas aufgefallen? Wurden sie selbst auf das Problem aufmerksam oder durch andere? Durch wen? Was fiel auf? Welche Erklärungen haben die Eltern? Ist ihnen eine Diagnose bekannt? Welche? Was haben sie schon unternommen? Welche Maßnahmen halten sie für notwendig? Was wollen die Eltern von uns? Vorgeschichte Medizinische Daten sind aus den Arztbriefen zu entnehmen! Schwangerschaft und Geburt Vorsorgeuntersuchungen? Unregelmäßig, keine? Komplikationen während der Schwangerschaft? Belastungen während der Schwangerschaft? Frühere Schwangerschaften, Besonderheiten? FI 1/ 2009 Der Anamnesebogen der Arbeitsstelle Frühförderung Bayern 29 Hausgeburt, Klinikgeburt? Welche Klinik? anderes? Geburt zum Termin? Komplikationen bei der Geburt? Lage-Anomalien, Dauer, nicht spontan, Kaiserschnitt? Krankheit, genetisches Syndrom, Fehlbildung? Erinnerungen an die Geburt, Besonderheiten, Belastungen? Kinderwunsch? Neugeborenenzeit: Siehe Gelbes Heft! Geburtsgewicht, Kopfumfang, Größe Apgarwert Zustand des Kindes nach der Geburt Waren ärztliche Maßnahmen erforderlich? Behandlungen in den ersten Tagen? Was? Verlegung in eine Kinderklinik? Erinnerungen an die Neugeborenenzeit … Säuglings- und Babyzeit Kind war/ ist ausgeglichen, zufrieden, lebhaft, freundlich, leicht ermüdbar, leicht erregbar, sehr ruhig, ängstlich, schrie/ schreit viel, schrill, auffällig? Ernährung und Gedeihen? Schwierig oder unproblematisch? Sonde, Stillen, Entwöhnung, Flasche, Brei, Koliken, Durchfälle, Zahnbildung? Wann? Schlafen, Schlafprobleme? Lächeln, Schmusen, Plappern, Guck - guck da, „Fremdeln“, Erstes Wort? Krabbeln, Sitzen, Laufen? Erinnerungen an die Babyjahre Gesundheit, Krankheiten: Siehe Gelbes Heft! Vorsorgeuntersuchungen vollständig/ unvollständig? Häufig krank, häufig beim Arzt? Wegen „Bagatellen“? Häufige Klinikaufenthalte? Kinderkrankheiten? Chronische Krankheiten (Allergien, Asthma, Epilepsie, Neurodermitis …)? Nimmt Medikamente? Welche? Sturz, Unfall, Verletzung? Operation? Sieht schlecht? Brille? Schielen? Hört schlecht? Trägt Hörgerät? Stigmata? Absencen? Anfälle? Zähne? Fehlbildung im Lippen-, Kiefer- und Gaumenbereich? Schluckschwierigkeiten, Würgen, Spucken, Verschlucken, Erbrechen, Durchfall Dick, dünn, klein, groß für sein Alter? Robust? Belastbar? Bindungsgeschichte Frühgeburt, Regulationsschwierigkeiten, (lebensbedrohliche) Krankheiten, Klinikaufenthalte? Trennungen, Wechsel von Bezugspersonen? Kein Draht zum Kind? Allgemeine Entwicklung Siehe ELFRA 1 bei 12 Monaten, ELFRA 2 bei 24 Monaten Motorik Was kann das Kind? Seit wann? Womit hat es noch Schwierigkeiten? Kopfkontrolle? Bauchlage? Armstütz? Selbstständiges Sitzen? Krabbeln? Freies Gehen? Rennen? Hüpfen? Treppe steigen? Dreirad, Roller, Radfahren? Ballspiele? Klettern? Schwimmen? Rythmik, Sport, Bewegungskurse? Bewegungsfreude, Geschicklichkeit, Kraft, Ausdauer? Gut zu Fuß? Rasch müde? Wenig Bewegung? Körperliche Behinderung? Wird viel getragen? Wird in Kindergarten gefahren? Geh-frei? Wippe, Maxi-Cosy? Spazierengehen? Viel im Zimmer, in der Wohnung? Viel draußen? Tonus? Schaukeln? Stereotypien? Zehenspitzengang? 30 Monika Naggl, Sabine Höck FI 1/ 2009 Sensomotorik Was spielt es gerne? Spiele und Spielzeuge? In den Mund nehmen, Greifen? Explorieren? Ein- und Ausräumen? In Glas einschenken? Mit der Schere schneiden? Basteln? Ausmalen? Duplo, Brio, Lego? Bauen im Freien? Finger- und Rhythmusspiele, Musik? Ballspiele? Über-/ Unterempfindlichkeit? Handdominanz? Sieht es gut? Saugen? Schlucken? Kauen? Speicheln? Sprache Mimik? Gestik? „Ruhiges Kind“? Hören? Einzelne Laute, Plaudern? Wann und wie? Erstes Wort? Zweiwortsätze? Wortschatz? Reagiert auf Nein, nein? Auf „Komm, zeig, hol …“? Redet beim Spielen? Spricht noch in Babysprache? Fehler auch bei einfachen Sätzen? Verwendet viel „und dann“? Spricht in korrekten Sätzen? Sehr leise, laute, raue, dünne Stimme? Sprechmelodie und Betonung? Redet sehr schnell? Spricht undeutlich, unverständlich? Verschluckt Silben und Wörter? Stottern? Stammeln? Echolalie? Anfängliche Sprache ging verloren? Spricht viel, wenig, gibt schnell auf? Erzählt von Erlebnissen? Freude an Bilderbüchern, Reimen, Wortspielen, am Vorlesen, an Hör-CDs? Mehrsprachiges Aufwachsen? Muttersprache? Familiensprache? Deutsches „Sprachbad“? Deutsch als Zweitsprache? Kognition Intensives Anschauen? Freudige Reaktion auf Ansprache? Ablenkbarkeit? Aufmerksamkeitsspanne? Exploration mit Mund, Händen? Klopfen, Schütteln, Manipulieren? Turm bauen? Erforscht Umgebung? Neugier? Stereotypien? Gemeinsames Anschauen und Zeigen: „Da! “? Als-ob-Spiele: „Suppe machen“, „Kuchen backen“? “ Funktionsspiel? Malen, Schreiben, Zählen bis …? Gedächtnis? Kennt Tagesablauf? Kennt Tage? Weltwissen? Sinnfragen? Moralische Vorstellungen? Detaillierte Rollenspiele mit anderen Kindern? Interessen? Lieblingsspiele? Mithilfe im Haushalt? Handwerkliches? Technisches? Medien? Kurse? Kind ist viel sich selbst überlassen? Fernsehen? Im Zimmer? Soziale und emotionale Entwicklung Siehe auch VBV 3 - 6; Mannheimer Entwicklungsfragebogen für die U 7 a; CBCL; DI- SYPS-II Wohlbefinden? Grundstimmung? Temperament? Leicht ermüdbar, leicht erregbar? Wie beruhigt es sich? Wenig Mimik? Lächelt? Freundliche Ausstrahlung? Interesse an Schmusen, Guck - guck da, Geben-nehmen-Spiel? Unterscheidet fremd - vertraut? Sozialspiel? Puppe versorgen? Kleine Botengänge? Äußert Wünsche? Fragt? Bittet um Hilfe? Kind hilft gerne? Ahmt Erwachsene nach? Warten? Teilen? Erster sein? Wegnehmen? Mitgefühl? Kein oder kaum Spiel? Spielt mit anderen Kindern? Hat Spielgruppe? Hat Freund(in)? Kann mit anderen Kindern kooperieren? Geht zu jedem hin? „Hyperaktiv“? „ADS“? FI 1/ 2009 Der Anamnesebogen der Arbeitsstelle Frühförderung Bayern 31 Belastungszeichen: Weinen, Schreien, Beißen, Schlagen, Schimpfwörter, Einnässen, Einkoten, Haare reißen, Tics, Stereotypien, Selbstverletzung, Klauen, Mutismus? Selbstständigkeit Flasche? Flasche nachts? Schnuller? Windeln tagsüber, nachts? Meldet sich, seit? In der Regel sauber, seit wann? Waschen, Aus- und Anziehen, zu Bett gehen? Hände waschen, Zähne putzen? Alleine aufs Klo? Mithilfe im Haushalt? Aufräumen? Brot streichen, Obst essen, Frühstück machen, Essen zubereiten? Geht, fährt alleine zu? Bleibt ohne die Eltern (über Nacht) bei? Kennt sich in der Wohnung, in der Umgebung, in der Krippe, im Kindergarten aus? Höflichkeit? Gutes Benehmen? Legt Wert auf sein Äußeres? Entwicklungsbedingungen Pflege und Versorgung: Wer versorgte bzw. versorgt das Kind? Wer versorgt/ e noch mit? Wickeln, Waschen, Baden, An- und Ausziehen, Hände waschen, Nase putzen, Zähne putzen? Haut (grau, blass, pastös, wund)? Haare, Zähne, Windeln? Passende, saubere Kleidung? Unkindliches Styling? Medikamentengabe, medizinische Diät? Ist das Kind sichtbar schlecht gepflegt? Schutz vor Krankheiten und Gefahren? Geregelter Tagesablauf? Haushaltsführung? Ernährung und Gedeihen: Stillen? Umgewöhnung, Entwöhnung? Sonde? Ernährungsschwierigkeiten? Flasche: wie oft, wann? Feste Zeiten? Füttern: Brei? Verschiedene Konsistenzen? Kaut Breze? Essen mit Löffel? Trinkt aus Tasse? Vorlieben für bestimmte Nahrung? Lehnt nur wenige Speisen ab? Isst nur Brei, nur Süßes, nur bestimmte Dinge? Gemeinsame Mahlzeiten? Essen und Trinken? Am Tisch? Beim Spielen? Unterwegs? Vorlieben? Gezuckerte Tees, Säfte, „Drinks“? Süßigkeiten, Snacks? „Diäten“ und Essgewohnheiten der Familie? Sonstige Probleme mit Essen? Schlafen: Wann? Viel, wenig, unruhig? Tagsüber? Nachts? Schläft wo? Bettgehzeiten? Einschlafritual? Schlafrhythmus? Schlafprobleme? Erziehung: Wer verbringt am meisten Zeit mit dem Kind? Mit wem ist das Kind gerne/ nicht gerne zusammen? Wer ist noch an der Erziehung beteiligt? Familienregeln? Konventionen im Kindergarten? Kind führt Regie? Eingehen auf das Kind? Erlaubnisse, Verbote? Pflichten? Familie: Familienstand und Beziehungsstatus der leiblichen Eltern: Durch Tod getrennt, getrennt bzw. geschieden; zusammenlebend; nie zusammen gelebt; keine Info? Geschwister? Im Haushalt leben: Die leiblichen Eltern; die Mutter; die Mutter mit Partner; Vater; Vater mit Partnerin; neu zusammengesetzte Familie; mehrere Generationen, Verwandte, andere Mitbewohner? Geschwister? Tiere? Kind lebt in zwei Haushalten? In Tagespflege, Kurzzeitpflege, Pflegefamilie, Adoptivfamilie, Heim? 32 Monika Naggl, Sabine Höck FI 1/ 2009 Ressourcen und Belastungen: Sehr junge Mutter, Eltern? Chronische oder andere Krankheit in der Familie, psychische Erkrankung, Pflegebedürftigkeit? Behinderung? Alkohol- oder andere Sucht? Aktuell belastende Lebenssituation? Therapien, Frühförderung und andere Dienste? Medikamentengabe? Paarkonflikt? stabile Beziehung? Familienklima: harmonisch oder konfliktreich? Viel/ wenig Familienzeit? Berufstätigkeit der Eltern? Aufteilung? Arbeitslosigkeit? Krippe, Kindergarten: Kooperation mit Eltern: Bringen und Holen? Regelmäßig, pünktlich? Brotzeit? Was? Wechselsachen? Sportbeutel? Kontakt mit Kindergarten/ Krippe? Ärger? Wünsche? Konzept und Ausstattung: Fachpersonal, Personalschlüssel, Konzept z. B. „Buffet“, „offene Gruppen“ …, viel Programm, Projekte? Räume, Anlage im Freien? Kindergartenzeit: Wieviel? Konstant? Viele Wechsel? Weitere Aktivitäten neben dem Kindergarten? Gruppe: Räume; Gruppengröße? Gruppenzusammensetzung? Kontakt zum Kind: Bezugsperson ist da/ nicht da für das Kind? Erzieherin kennt das Kind gut? Mag das Kind? Kind mag die Bezugsperson? Anregung: Kind geht unter? Ist von einigen, von vielen Situationen überfordert? Gelangweilt? Welche? Stellung in der Gruppe: Hat Freunde; ist beliebt? Sonderrolle; Babyrolle? Wird als Spielpartner gewählt? Kann Kontakt aufnehmen? Eigene Meinung und Wünsche einbringen? Kann streiten? Soziale Situation: Sozioökonomischer Status: Ausbildung und Berufstätigkeit von Mutter/ Vater? Finanzielle Situation: Geringverdiener? Hartz IV? Sonstige Sozialleistungen? Finanzielle Notlage? Schulden? Wohnen: Wohnung, Wohnlage, Notunterkunft, Wohnheim? Migration: „Parallelwelt“? Isolation? Integration? Haus- oder Kinderarzt: Gibt es einen Haus- oder Kinderarzt? Arztwechsel? (Stempel im Vorsorgeheft! ) Familiäres und soziales Netz: Verwandtschaft? Nachbarschaft? Isolation? Babygruppe, Spielgruppe, Mutter-Kind-Gruppe, Selbsthilfegruppe...? Professionelle Hilfen: Kurzzeitpflege, Erziehungsberatung, Familienentlastender Dienst, Sozialberatung, Krippe, Kindergarten, „Netzwerk Geburt und Familie“, PeKip u. a. Kurse 6. Materialien zur weiterführenden Diagnostik einzelner Bereiche: ELFRA - Elternfragebögen für die Früherkennung von Risikokindern (Grimm & Doil 2006) ELFRA 1 und ELFRA 2 sind wertvolle auch in der Arztpraxis durchführbare Screenings für die Früherkennung von Entwicklungsauffälligkeiten, sowohl bei sprachlichen Entwicklungsstörungen als auch für Autismus und im Zusammenhang mit Risiken des Kindeswohls. Bisher werden Auffälligkeiten in der Entwicklung mit Hilfe der entwicklungspsychologischen Teile des Gelben Hefts erfragt. Jedoch eignen sich diese nicht sonderlich, um Entwicklungsverzögerungen und Defizite zu entdecken, wenn sie nicht bereits augenfällig sind (Grimm & Doil 2006). Empirische Studien zu ELFRA wurden von S. Sachse und Kollegen vorgelegt (2007 a, b, c). FI 1/ 2009 Der Anamnesebogen der Arbeitsstelle Frühförderung Bayern 33 Sprache und Intelligenz- und Lernleistungen hängen eng zusammen. Dem Erwerb der Sprache kommt in der Entwicklung daher ein bedeutender Stellenwert zu. Die Diagnostik der Sprachentwicklung ist ein wichtiger Indikator für Entwicklung allgemein, die Sprache das Leitsymptom für vielfältige Störungen der Entwicklung im Alter von 1 - 2 Jahren. ELFRA-1, ein Elternfragebogen, der im Alter von 12 Monaten von den Eltern ausgefüllt wird, erfasst bedeutsame Meilensteine der Entwicklung, die vier Entwicklungsskalen zugeordnet sind: • Sprachproduktion • Sprachverständnis • Gesten • Feinmotorik ELFRA-2 ist für Kinder im Alter von 24 Monaten standardisiert und erfragt: • Produktiven Wortschatz • Satzbau • Wortbildung MEF Mannheimer Elternfragebogen für die U 7 a Von Günter Esser und Manfred Laucht Ein Instrument im Rahmen der U 7 a; es enthält 23 Items über das Verhalten des Kindes, die die Eltern beantworten. Der Fragebogen selbst ist verfügbar auf der WebSite der Arbeitsstelle Frühförderung Bayern (www.fruehfoerderung-bayern.de) CBCL Child Behavior Checklist 1 ½ - 5 Elternfragebogen für Klein- und Vorschulkinder Deutsche Fassung von T. M. Achenbach, 2000 99 Problem-Items, aus denen sechs Skalen gebildet werden: • Emotionale Reaktivität, • Ängstlich/ depressiv • Körperliche Beschwerden • Sozialer Rückzug • Schlafprobleme • Aufmerksamkeitssprobleme • Aggressives Verhalten Daraus werden drei übergeordnete Skalen: Externalisierende Auffälligkeiten, Internalisierende Auffälligkeiten und Gesamtauffälligkeit - gebildet. Die Skalenbildung basiert auf faktoranalytischen Untersuchungen an einer Stichprobe von 1.728 Kindern. Amerikanische Normierung. Nützlich in der Diagnostik von ADS. VBV 3 - 6 Verhaltensbeurteilungsbogen für Vorschulkinder Döpfner, M. et al. Weinheim, Beltz 1993 VBV 3 - 6 besteht aus einem Elternfragebogen VBV 3 - 6 EL und einem Erzieherfragebogen VBV 3 - 6 ER. Beide werden durch eine Symptomliste für Eltern bzw. Erzieher ergänzt. Er ist ein Screeninginstrument zur Erfassung verhaltensauffälliger Kinder auf der Grundlage des Urteils von Eltern und Kindergartenerzieherinnen. Testkonstruktion auf der Basis der klassischen Testtheorie. Auf der Grundlage der errechneten Faktoren und Trennschärfeanalysen wurden 4 Skalen gebildet: • Sozial-emotionale Kompetenzen • Oppositionell-aggressives Verhalten • Aufmerksamkeitsschwächen und Hyperaktivität versus Spielausdauer • Emotionale Auffälligkeiten Altersbereich: Kinder von 3 bis 6 Jahren SOEBEK - Soziale Orientierungen von Eltern behinderter Kinder Inventar von M. P. Krause und F. Petermann, Göttingen (Hogrefe) 1997. 34 Monika Naggl, Sabine Höck FI 1/ 2009 Enthält vier Skalen zum Bewältigungsverhalten von Eltern behinderter Kinder, eine Stressbelastungsskala, Einzelitems zur allgemeinen Situationseinschätzung der Eltern und zur Zufriedenheit mit sozialer Unterstützung. „… Die Ergebnisse der Befragung von 30 Müttern von Kleinkindern mit Down-Syndrom im Alter zwischen einem und fünf Jahren bekräftigen die Validität des SOEBEK als Untersuchungsinstrument zur Stressbelastung und der sozialen Bewältigungsformen bei Eltern behinderter Kinder …“ (Sarimski 2001). BEK - Fragebogen zu den Bedürfnissen von Eltern behinderter Kinder Deutsche Bearbeitung des Family Needs Survey (Bailey und Simeonsson 1988) von Klaus Sarimski (1996). Erfragt Bedürfnisse von Eltern in den Bereichen: a) Bedürfnis nach Informationen b) Bedürfnis nach Unterstützung c) Erklärung der Behinderung für das Umfeld d) Suche nach ambulanten Diensten e) Bedürfnis nach finanzieller Unterstützung f) Bedürfnis nach Beratung in Familienbeziehungen Weiterführende Informationen: Sarimski, K. und Steinhausen, H. C. 2006. Eine alternative Form ist bei Steiner 2002 vorgestellt. Der Fragebogen selbst ist verfügbar auf der WebSite der Arbeitsstelle Frühförderung Bayern (www.fruehfoerderung-bayern.de). DISYPS-II Diagnostik-System für psychische Störungen des Kindes- und Jugendalters nach ICD-10 und DSM IV. Von Döpfner, Görtz-Dorten und Lehmkuhl; überarbeitete Auflage 2008, Testzentrale Göttingen Es umfasst die im Kindes- und Jugendalter wichtigsten Störungsbereiche Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörungen, Störungen des Sozialverhaltens, Angststörungen, Depressive Störungen, Zwangsstörungen, Tief greifende Entwicklungsstörungen, Tic-Störungen, Störungen sozialer Funktionen. Dabei werden die drei Ebenen der klinischen Beurteilung, der Fremdbeurteilung und Selbstbeurteilung kombiniert. Die überarbeitete Auflage enthält einen Fremdbeurteilungsbogen für Vorschulkinder mit Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörungen. (Testzentrale) Schlafprotokollbogen Kast-Zahn, A., Morgenroth, H.: Jedes Kind kann schlafen lernen, Ratingen, Oberstebrink Verlag, 1995. Literatur Grimm, H. & Doil, H. (2006): ELFRA. Elternfragebögen für die Früherkennung von Risikokindern. Göttingen (Hogrefe) Papousˇek, M., Schieche, M., Wurmser, H.: Regulationsstörungen der frühen Kindheit, Bern, Huber, 2004. Regulationsstörungen: Schreien, Schlafstörungen, Fütter- und Gedeihstörungen Sachse, S., Saracino, M. & Suchodoletz, W. v. (2007 a): Prognostische Validität des ELFRA-1 bei der Früherkennung von Sprachentwicklungsstörungen. Klinische Pädiatrie Band 219 Jan./ Feb. 2007 Sachse, S., Pecha, A. & Suchodoletz, W. v. (2007 b): Früherkennung von Sprachentwicklungsstörungen - Ist der ELFRA-2 für einen generellen Einsatz bei der U 7 zu empfehlen? Monatsschrift Kinderheilkunde 2/ 2007 Sachse, S. & Suchodoletz, W. v. (2007 c): : Diagnostische Zuverlässigkeit einer Kurzversion des Elternfragebogens ELFRA-2 zur Früherkennung von Sprachentwicklungsverzögerungen. Klinische Pädiatrie 2, 2007 Sarimski, K. (1996): Bedürfnisse von Eltern mit behinderten Kindern. Erfahrungen mit einer deutschen Fassung der „Family Needs Survey“. Frühförderung interdisziplinär, 15(3), 97 - 101 Sarimski, K. (2001): Zur Validität des Fragebogens zur Beurteilung der „Sozialen Orientierung von Eltern behinderter Kinder (SOEBEK)“, Frühförderung interdisziplinär 20(1), 13 - 19 FI 1/ 2009 Der Anamnesebogen der Arbeitsstelle Frühförderung Bayern 35 Sarimski, K. & Steinhausen, H. C. (2006): KIDS 2, Kinderdiagnostik-System 2, Göttingen, Hogrefe Schmid-Krammer, M., Naggl, M.: Leitlinien zur Diagnostik in der Interdisziplinären Frühförderung. Frühförderung interdisziplinär 2006 (25, H. 3), 132 - 142 Schreckenbach, J. & Sarimski, K. (2008): Selbstregulationsprobleme im Alltag und Elternbelastung bei Jungen mit Fragilem-X-Syndrom. Frühförderung interdisziplinär 27 (4), 174 - 185 Steiner, S. (2002): Das Resilienzparadigma als handlungsleitender Gedanke der Zusammenarbeit mit den Eltern, und die „Orientierungshilfe zur Planung der Frühförderung“ als Handlungsinstrument für die Praxis. Frühförderung interdisziplinär 21, 130 - 139 Monika naggl, Dipl.-Psych. Dr. med. Sabine Höck Arbeitsstelle Frühförderung Bayern Seidlstr. 18 a D-80335 München E-Mail: naggl@astffby.de; hoeck@astffby.de
