Frühförderung interdisziplinär
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0721-9121
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/fi2010.art11d
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Interdisziplinäre Frühförderung - ein grundständiger Studiengang im Spannungsfeld verschiedener Fachdisziplinen
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Armin Sohns
Seit Oktober 2006 gibt es an der SRH-Fachhochschule für Gesundheit in Gera einen Bachelor-Studiengang "Interdisziplinäre Frühförderung". Damit wird erstmalig an einer deutschen Hochschule ein akademischer Ausbildungsgang angeboten, in dem Studierende grundständig als Fachpersonen für das Arbeitsfeld der Frühförderung ausgebildet werden. Die bisherigen Erstausbildungsgänge haben sich sowohl im pädagogischen wie im medizinisch-therapeutischen Bereich auf eine spezifisch-disziplinäre Ausrichtung beschränkt, bei der - falls dies ermöglicht wird - erst während der laufenden Arbeitstätigkeit als Frühförderer zusätzliche Grundkenntnisse in Form von Weiterbildungen im Bereich der Frühförderung erworben werden. Mit dem Studiengang "Interdisziplinäre Frühförderung" wird der umgekehrte Weg beschritten: Er bietet eine breitere Grundausbildung, bei der zukünftige Fachpersonen im Rahmen einer Hochschulausbildung konkret auf das spezielle Arbeitsfeld der Frühförderung vorbereitet werden, um sich nach Arbeitsbeginn in jeweils spezifischen Detailfeldern - ggf. gemäß den Bedürfnissen der jeweiligen Frühförderteams - weiter zu qualifizieren.
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Frühförderung interdisziplinär, 29. Jg., S. 112 - 123 (2010) DOI 10.2378/ fi2010.art11d © Ernst Reinhardt Verlag München Basel „Interdisziplinäre Frühförderung“ - ein grundständiger Studiengang im Spannungsfeld verschiedener Fachdisziplinen Armin SohnS Zusammenfassung: Seit Oktober 2006 gibt es an der SRH-Fachhochschule für Gesundheit in Gera einen Bachelor-Studiengang „Interdisziplinäre Frühförderung“. Damit wird erstmalig an einer deutschen Hochschule ein akademischer Ausbildungsgang angeboten, in dem Studierende grundständig als Fachpersonen für das Arbeitsfeld der Frühförderung ausgebildet werden. Die bisherigen Erstausbildungsgänge haben sich sowohl im pädagogischen wie im medizinisch-therapeutischen Bereich auf eine spezifisch-disziplinäre Ausrichtung beschränkt, bei der - falls dies ermöglicht wird - erst während der laufenden Arbeitstätigkeit als Frühförderer zusätzliche Grundkenntnisse in Form von Weiterbildungen im Bereich der Frühförderung erworben werden. Mit dem Studiengang „Interdisziplinäre Frühförderung“ wird der umgekehrte Weg beschritten: Er bietet eine breitere Grundausbildung, bei der zukünftige Fachpersonen im Rahmen einer Hochschulausbildung konkret auf das spezielle Arbeitsfeld der Frühförderung vorbereitet werden, um sich nach Arbeitsbeginn in jeweils spezifischen Detailfeldern - ggf. gemäß den Bedürfnissen der jeweiligen Frühförderteams - weiter zu qualifizieren. Schlüsselwörter: Ausbildung, Studium, Frühförderer, Transdisziplinarität, Curriculum, Module, Wissenschaftlicher Beirat, Forschung “Interdisciplinary Early Intervention” - A Bachelor Course Based in Different Disciplines Summary: Since october 2006 a Bachelor-Course of Studies “Interdisciplinary Early Childhood Intervention” is offered at the SRH-Fachhochschule für Gesundheit in Gera. This is the first academic programme of studies at a German college or university in which students are fundamentally educated to become specialists in the professional field of early childhood intervention. Up to now the initial training courses, both, in the field of pedagogy as well as in the field of medical-therapy, were restricted to a specification within a certain discipline. Only during the ongoing professional work as early childhood interventionists - if this was made possible - additional basic knowledge and skills in terms of further education in the field of early intervention could be acquired. By means of the course of studies “Interdisciplinary Early Childhood Intervention” it can be done the other way around: It offers a broader basic education, during which, within the framework of a tertiary education, the specialists are concretely prepared for the specific professional field of early childhood intervention and are able to further on, after they started their work, qualify within different specific and more detailed working fields - when indicated according to the needs of the respective early intervention teams. Keywords: Professional education, studies, early interventionist, transdiciplinarity, curriculum, module, scientific board, research Die Initiative Die konkrete Initiative Anfang 2006 ging vom Sozialpädiatrischen Zentrum am SRH- Zentralklinikum in Suhl aus, dessen Leiter und stv. ViFF-Vorsitzender Carsten Wurst sich gemeinsam mit der Geschäftsführerin der künftigen Fachhochschule Gera an die Fachhochschule Nordhausen mit der Frage wandte, ob hier nicht ein solches Angebot konzipiert werden könne. Dies führte zu einem intensiven Diskussionsprozess innerhalb der „Vereinigung für interdisziplinäre Frühförderung“ (ViFF) Thüringen um die Notwendigkeit einer transdisziplinären Frühförderung. Konzentrierte sich die Diskussion innerhalb der ViFF zunächst auf einen berufsbegleitenden Ausbildungsgang von Fachpersonen mit dem Ziel, FI 3/ 2010 „Interdisziplinäre Frühförderung“ - ein grundständiger Studiengang 113 nach einer Erstausbildung noch Frühförderung studieren zu können, bestand bald auch Einverständnis darüber, dass eine Ausbildung als „Interdisziplinäre/ r FrühförderIn“ auch als grundständiger Beruf im Rahmen einer Erstausbildung eine wesentliche Verbesserung gegenüber dem Ausbildungsstand von Berufsanfängern der letzten 30 Jahre darstellt. Die Argumentation Ausschlaggebend hierfür waren zwei zentrale Aspekte: 1. Der Schwerpunkt von Frühförderung hat sich - mitbedingt durch gesellschaftliche Veränderungen - in den letzten 25 Jahren von einer primär therapeutischen und heilpädagogischen Förderung von Kindern mit klassischen Behinderungen verschoben zu familienorientierten Hilfen für Kinder mit allgemeinen Entwicklungsrisiken, häufig unter schwierigen Erziehungsbedingungen. 1 Die Grundqualifikationen der Frühförderfachpersonen, insbesondere der Berufsanfänger, entsprechen teilweise nicht (mehr) den sich verändernden Anforderungen an eine Interdisziplinäre Frühförderung. Benötigt werden neben expliziten Kenntnissen über Kinder im frühen Säuglings- und Kindesalter Kompetenzen für eine gleichzeitige Familienbegleitung, die zur Bearbeitung von Konfliktsituationen und zur Stärkung innerfamiliärer Ressourcen befähigen. 2. Die Gesetzgeber haben mit der Verabschiedung des SGB IX im Jahr 2001 die Weichen dafür gestellt, dass die verschiedenen Rehabilitationsträger sich konzeptionell auf ein gemeinsames Frühförderkonzept abstimmen, das im Rahmen einer „Komplexleistung“ sowohl medizinischrehabilitative als auch pädagogische - auf Teilhabe ausgerichtete - Kompetenz beinhalten soll. Wird dieser moderne Ansatz weiter gedacht, impliziert er Aus- und Weiterbildungen für Frühförderfachkräfte, die zunächst nicht den Fokus auf eine hochspezialisierte Disziplin legen. Vielmehr wird zunächst eine (transdisziplinäre) Grundhaltung vermittelt, in der Frühförderfachpersonen systematisch lernen, über den Tellerrand der originären Disziplin hinaus zu schauen und Handlungskonzepte verschiedener Disziplinen miteinander zu verknüpfen. Die historische Einordnung Mit der Verabschiedung des SGB IX entstand ein Bruch in der traditionellen Ausdifferenzierung von Frühförderung in separate Zuständigkeiten. Mit der gesetzlichen Vorgabe, dass die verschiedenen Leistungen zu einer (abgestimmten) „Komplexleistung“ zusammenzufassen sind, impliziert die Begründung zum § 8 der FrühV von 2003 ausdrücklich eine Leistungserbringung „aus einer Hand“. Auch wenn zahlreiche Rehabilitationsträger offensichtlich (noch) nicht zur Umsetzung der gesetzlichen Grundlagen bereit sind, wird sich Politik wie Gesellschaft zunehmend darüber bewusst, dass mit „Frühförderung“ disziplinübergreifende Hilfen verbunden sein müssen. Der Begriff wird bei Politikern und Fachpersonen immer häufiger gebraucht (wenn auch noch in recht diffusen Bedeutungszusammenhängen). Er wird sich weiter etablieren und fachlich ausgestalten. Frühförderung tritt aus ihrem jahrzehntelangen Nischendasein heraus. 1 Vgl. Statistiken der KIGGS-Studie (zusammenfassend: Schlack, 2008), der ISG-Studie (ISG, 2008) oder die Vollerhebung in allen Frühförderstellen Mecklenburg-Vorpommerns (Sohns, 2001), wonach nur noch 20 - 25 % der Frühförderkinder klassische Behinderungen haben. Im Mittelpunkt der Frühförderung stehen heute überwiegend Kinder mit allgemeinen Entwicklungsverzögerungen und -risiken, zunehmend häufig im Zusammenhang mit sozialer Benachteiligung. 114 Armin Sohns FI 3/ 2010 Die kritische Ausgangssituation Für Fachleute muss dies ein Anlass zur Reflektion der Ansprüche an Frühförderung und deren Qualität sein. Dabei zeigen sich zahlreiche kritische Ausgangspositionen: - Der allgemeine Anspruch an „Interdisziplinarität“ wurde für die Frühförderstellen insgesamt nie befriedigend verwirklicht, eine flächendeckende und verbindliche Kooperation bspw. mit den Kinder- und Hausärzten ist bis heute lediglich in einigen wenigen Regionen gewährleistet. 2 - Berufsständische Interessen in der Ausbildung implizieren häufig eine kritische Distanz zu anderen Berufsgruppen mit anderen Fachsprachen, anderen Arbeitsbedingungen und einem anderen beruflichen Status (z. B. zwischen Kinderärzten und Kindertagesstätten, aber auch zwischen den pädagogischen Fachpersonen der Jugend- und Eingliederungshilfe). - Die durch das SGB IX angestrebten Modernisierungen wurden durch die Rehabilitationsträger weitgehend nicht verwirklicht, obwohl sich die Vertreter der Landesministerien auf klare Konzepte und Inhalte in strittigen Fragen festlegen konnten (BMAS, 2008). - Obwohl sich familienorientierte Settings, die im Lebensalltag der Familien ansetzen, aus fachlicher Sicht als immer notwendiger erweisen, besteht eine Tendenz, wonach z. B. mobile Hausfrühförderung aus Kostengründen zunehmend infrage gestellt wird: Die Krankenversicherungen haben diesbezüglich keine Tradition und sehen für ihre - therapieorientierten - Fachpersonen keinen Anlass zur mobilen Tätigkeit. Zahlreiche kommunale Kostenträger sehen hier eine der wesentlichen kurzfristigen Einsparmöglichkeiten. - Frühförderung ist geprägt von spezifischen Ausbildungsgängen, deren Fachpersonen dann sowohl eine familien- und ressourcenorientierte Begleitung wie eine qualifizierte kindbezogene Förderung gewährleisten sollen. Gerade zu Beginn der Berufstätigkeit sind sie allenfalls nur auf einen Teil der Aufgabenfelder vorbereitet, wobei dies für die Fachpersonen ohne Hochschulausbildung besonders problematisch ist, weil sie weniger mit theoretischen Reflexionskompetenzen konfrontiert wurden. - In der Qualifikation und Vergütung der Fachpersonen wird hingegen häufig weiteres Einsparpotenzial gesehen. Es gibt Tendenzen bei einem Teil der Rehabilitationsträger, höher qualifizierte Fachpersonen aus der Frühförderung auszugrenzen (z. B. Rahmenvereinbarung Schleswig-Holstein). Konsequenzen für einen Ausbildungsgang IFF Wollen die professionellen Angebote der vorschulischen familienorientierten Hilfen ein Gegengewicht setzen zu der bisherigen hierarchischen Abstufung gegenüber anderen Disziplinen wie der Medizin oder der Schulpädagogik und selbst der Jugendhilfe, so bedarf es gezielter akademischer Ausbildungen. Im Fahrwasser der Bildungsdiskussion haben die Früh- und Vorschulpädagogik umfangreiche 3 und die therapeutischen Berufsgruppen vereinzelte Initiativen ergriffen. Die fachlichen Anforderungen an die Arbeitsfelder der Frühförderung legen das Gleiche nahe. 2 Dies betrifft nicht nur die Frühförderung. Der gesamte Sozialbereich zeichnet sich in Deutschland durch eine Fülle verschiedener Hilfesysteme aus, die in unterschiedlichen Finanzierungszuständigkeiten nebeneinander arbeiten, ohne dass eine durchgängige kooperative Netzwerkstruktur entsteht. Die Gründe hierfür sind vielfältig und bislang weitgehend resistent gegenüber Veränderungen. 3 Inzwischen bieten über 60 deutsche Hochschulen einen Bachelor-Studiengang im Arbeitsfeld Frühpädagogik an. FI 3/ 2010 „Interdisziplinäre Frühförderung“ - ein grundständiger Studiengang 115 In vielen Bundesländern besitzt die Mehrzahl der Frühförder-Fachpersonen bislang keine akademische Ausbildung. Mit einem eigenen Studiengang wird ein spezifisches Angebot unterbreitet mit dem Ziel, diese Lücke zu verringern und das fachliche Niveau insgesamt weiter anzuheben. Für die Konzipierung eines Studiengangs „Frühförderung“ wurde als sinnvoll erachtet, außer einem Master-Studiengang (als Zweitausbildung nach einem grundständigen Diplom- oder Bachelor-Studium mit anschließender Promotionsmöglichkeit) auch ein Erststudium (Bachelor-Studiengang) anzubieten, sowohl für bereits berufstätige Fachpersonen als auch als grundständige Erstausbildung. Ziel eines berufsbegleitenden Studiengangs ist es dabei, den Fachpersonen, die bereits in der Frühförderung tätig sind, genau dort Kompetenzen zu vermitteln, wo durch ihre Grundausbildung noch Lücken bestehen. Hierzu wurde es nötig, je nach Eingangsvoraussetzungen der Studierenden unterschiedliche Angebote zu machen. Gleichzeitig können bei berufsbegleitend Studierenden Kompetenzen vorausgesetzt werden, die in der Ausbildung nicht nochmals vermittelt werden müssen. Der Studiengang musste also in sich wiederum geteilt werden: Zum einen in einen berufsbegleitenden Teilzeit- und einen grundständigen Vollzeit-Studiengang (VZ), zum anderen innerhalb des Teilzeitstudiengangs (TZ) je nach Eingangskompetenzen in einen Studiengang für pädagogisch und einen für medizinischtherapeutisch ausgebildete Fachpersonen. Des Weiteren soll der Studiengang Kompetenzen vermitteln, die den neuen (gesellschaftlichen) Herausforderungen an Frühförderung insofern Rechnung tragen, dass nicht mehr nur die Therapie klassischer Funktionsstörungen der Kinder im Mittelpunkt steht, sondern auch gesellschaftlich und familienbedingten Entwicklungsrisiken entgegen gewirkt werden kann. Es bedarf also neben den klassischen Kenntnissen der Funktionsförderung neuer Module, die dem Bedarf an systemischer familienorientierter Förderung gerecht werden. Die Entstehung des Studiengangs Nach umfangreichen Diskussionen innerhalb der VIFF Thüringen und zwischen den Hochschulen Gera und Nordhausen wurde im Sommer 2006 durch den Autor der Studiengang „Interdisziplinäre Frühförderung“ (IFF) konzipiert, im September durch die SRH Fachhochschule in Gera eingereicht und im November 2006 ohne Auflagen akkreditiert. 4 Gemeinsam mit weiteren Studiengängen der SRH-Fachhochschule Gera (Ergotherapie, Physiotherapie, Medizinpädagogik, Gesundheitspsychologie) wurde er danach ausgeschrieben. Die Konzeption sieht als maximale Größe pro Semester 25 Studierende vor, für die die gesamte Lehre anzubieten ist. Als private Hochschule, die trotz einer staatlichen Anerkennung keinerlei öffentliche Zuschüsse erhält, finanziert sich das Studienangebot der SRH-Fachhochschule ausschließlich über Beiträge der Studierenden. Dennoch ist die Nachfrage - v. a. im VZ-Studiengang - hoch. Es werden mit allen Studieninteressenten persönliche Aufnahmegespräche geführt und danach Zulassungen ausgesprochen. Nachdem im Sommersemester 2008 auch ein berufsbegleitender Studiengang zustande kam, war die Nachfrage so groß, dass die Hochschulleitung sich entschloss, zum Wintersemester 2008/ 09 zwei neue VZ-Studiengänge IFF parallel anzubieten, um an den Obergrenzen (max. 25) pro Studiengang festhalten zu können. Das bedeutet, dass für diesen Jahrgang die gesamte Lehre doppelt angeboten wird. Im WS 2009/ 10 wurde in einer Ausnahmeregelung die Obergrenze für die neuen Erstsemester um acht Studierende überschritten. 4 Der Vorsitzende der Akkreditierungskommission sprach angesichts der im Studiengang aufgezeigten neuen Ausrichtung in seinem Schlusskommentar von „euphorischen Aussichten für die Zukunft“. 116 Armin Sohns FI 3/ 2010 Kompetenzfelder modul nr. module/ Lehrveranstaltungen Art der Veranstaltung Didaktische Konzepte und vorgesehene Lehrmethoden Berufsspezifische Handlungskompetenzen M1 Wahlfach: Medizinisch-therapeutische Grundlagen oder Pädagogischpsychologische Grundlagen V + S Vortrag, Übungen, Fallstudien, Projektgruppen, Selbst- und Literaturstudium M2 Methodenkompetenz I S Übungen, Projektgruppen, Brainstorming, Mindmapping, Diskussion M3 Reflexion der eigenen Emotionen und Ressourcen S Übungen, Projektgruppen, Brainstorming, Mindmapping, Diskussion M4 Inter- und transdisziplinäre Kooperationsansätze, Kommunikationskompetenz V + S Vortrag, Übungen, Fallstudien, Selbst- und Literaturstudium M5 Praktikum Erweiterte Fachkompetenzen M6 Wahlfach: Medizinisch-therapeutische Grundlagen oder Pädagogischpsychologische Grundlagen V + S Vortrag, Übungen, Fallstudien, Projektgruppen, Selbst- und Literaturstudium M7 Methodenkompetenz II S Vortrag, Übungen, Projektgruppen, Brainstorming, Mindmapping, Diskussion M8 Auftrag und Grundlagen der IFF V + Ü Vortrag, Selbst- und Literaturstudium, Referat M9 Konzepte der IFF, Bedarf und Anforderungen an Familienarbeit V + S Vortrag, Selbst- und Literaturstudium M10 Zugangs- und Arbeitsphasen der IFF V + S Vortrag, Übungen, Fallstudien, Projektgruppen, Diskussion, Referat Management- und wissenschaftliche Kompetenzen M11 Projekt- und Prozessmanagement, Moderation, Präsentation - Interdisziplinäres Projekt, Gesundheitsförderung V + Ü Einzel- und Kleingruppenarbeit, Methoden- und Rollenspiele, Impulsreferate, Posterdemonstrationen, Projektarbeit, Projekt, Fallstudien, Brainstorming, Mindmapping, Diskussion, Präsentation M12 Philosophisch-ethische und interdisziplinäre Grundlagen V Vortrag, Selbst- und Literaturstudium, Diskussion, Gruppenarbeit, Referat, Literaturrecherche M13 Qualitätsmanagement/ Zertifizierung/ Praxisprojekt V + S Vortrag, Selbst- und Literaturstudium, Referat, Projekt M14 Netzwerkarbeit und Kooperation V + Ü Vortrag, Übungen, Projektgruppen, Brainstorming, Mindmapping, Diskussion M15 Reflexion professionellen Handelns V Vortrag, Selbst- und Literaturstudium M16 Wissenschaftliches Arbeiten V + Ü Kleingruppen, Literaturrecherchen, Diskussion, Blitzlicht, Übung am PC Tab. 1: Lehrinhalte und Methoden FI 3/ 2010 „Interdisziplinäre Frühförderung“ - ein grundständiger Studiengang 117 Die Struktur des Studiums und der Studienmodule Im Rahmen des 6-semestrigen B.A.-Studiums müssen insgesamt 180 Credit points (CP) erworben werden, die den „Workload“ (den Gesamtstoff, den die Studierenden während des Studiums aufnehmen oder sich erarbeiten sollen) beinhalten. Diese 180 CP verteilen sich auf 16 Module. Für die TZ-Studierenden ist das Studium so aufgebaut, dass pro Semester 5 verlängerte Blockwochenenden angeboten werden, in denen donnerstags bis montags die Lehrinhalte eines Semesters vermittelt werden. Da dies für den Workload eines Vollzeit-Studiums nicht ausreicht, muss das Studium auf 9 Semester verlängert werden. Da die bereits berufstätigen Studierenden jedoch Vorkenntnisse aus ihrer Grundausbildung und Berufserfahrung mitbringen, können nach einer Eingangsprüfung die Module 1 - 5 (bis zu 60 CP) des Studiums vorab anerkannt werden. Bei einem Bestehen der Eingangsprüfungen verkürzt sich das TZ-Studium damit auf 120 CP und beträgt ebenfalls 6 Semester (3 Jahre). Spezifika des Ausbildungsgangs Um den spezifischen Vorkenntnissen der TZ- Studierenden Rechnung zu tragen, sind die Module M1 und M6 kompatibel. In dem einen Modul werden medizinisch-therapeutische, in dem anderen pädagogisch-psychologische Grundlagen gelehrt. Damit besteht je nach Vorbildung die Möglichkeit, den einen oder den anderen Bereich vorab prüfen und anerkennen zu lassen. D. h., dass bspw. Ergotherapeutinnen mit medizinisch-therapeutischen Vorkenntnissen die Möglichkeit haben, als M1 diese Grundlagen prüfen zu lassen und dann als M6 die pädagogischpsychologischen Grundlagen zu belegen. Für Erzieherinnen beispielsweise wäre das umgekehrt möglich. Kernmodule, die speziell auf das Aufgabenfeld der Frühförderung im engeren Sinn vorbereiten, sind M8 - M10. Sie vermitteln einen Überblick über das System der Frühförderung und deren konzeptionelle Ausgestaltung und eine grundsätzliche „Mentalität“ eines modernen familien- und ressourcenorientierten Ansatzes 5 . Hier werden die Weichen dafür gestellt, dass künftige Fachkräfte sich nicht nur als spezifische Experten auf isolierte Förder- und Therapieansätze spezialisieren, sondern ein umfassendes professionelles Bild von der Notwendigkeit einer systemischen Arbeit erhalten. Gleichzeitig werden diese wissenschaftlich-konzeptionellen Ansätze in die wesentlichen Arbeitsphasen der Frühförderung übersetzt. Das Modul 2 (Methodenkompetenz I) ist als Wahlpflichtmodul konzipiert, in dem die Studierenden mit ausgewählten methodischen Ansätzen und deren Hintergründen konfrontiert werden. Da nicht alle Ansätze im Studium ausführlich behandelt werden können, sieht dieses Modul neun mögliche Untermodule vor, die in drei Kategorien à drei Wahlmodule untergliedert sind. Aus jeder Kategorie ist jeweils ein Modul verbindlich zu wählen: Tab. 2. Durch die Differenzierung des Moduls in die drei Pflichtkategorien mit weiteren Wahlmöglichkeiten sollte gewährleistet werden, dass der Studiengang mit einer maximalen Semestergröße von 25 Studierenden sich nochmals in Kleingruppen aufteilen kann. 5 Anders als in anderen sozialwissenschaftlichen Studiengängen werden im B.A.-Studiengang IFF keine spezifischen Rechtsmodule ausgewiesen. Der Autor vertritt die Auffassung, dass solche Inhalte im Rahmen der Ausbildung eine hohe Bedeutung haben, es jedoch nicht sinnvoll ist, solch spezifische Lehrinhalte durch eigene Fachexperten (Juristen) vermitteln zu lassen, die nicht in das Aufgabenfeld (Frühförderung) eingearbeitet sind. Die spezifischen rechtlichen Grundlagen sind wie auch andere spezifische Kenntnisse (z. B. Betriebswirtschaft, Soziologie etc.) in den Gesamtkontext und damit in übergeordnete Module eingebunden. 118 Armin Sohns FI 3/ 2010 Die Erwartung von durchschnittlich acht Personen pro Seminar konnte nicht eingehalten werden, da eine Vielzahl von Studierenden gleich mehrere Wahlpflichtmodule belegt. Keine Wahlmöglichkeit besteht bei den Kompetenzen „Beratung“ und „Leitungs- und Kompetenzen als Bezugsperson“ (Modul 7), sie sind für alle verbindlich. Ein besonderer Schwerpunkt des Studiums ist die Reflexion der persönlichen Ressourcen der Studierenden. Dahinter steht die Überzeugung, dass Fachpersonen im Sozial- und Gesundheitswesen und insbesondere im sensiblen Bereich Frühförderung häufig emotional anspruchsvollen und herausfordernden Situationen gegenüberstehen, in denen sie helfend und stabilisierend tätig werden (sollen). Um hier angemessene professionelle Hilfen anbieten zu können, ist es notwendig, sich der eigenen Emotionalität und Ressourcen bewusst zu sein. Es bedarf also der Aufarbeitung eigener emotionaler Bedürfnisse bezogen auf eine künftige professionelle Tätigkeit. M3, M12 und M15 zielen bewusst darauf ab, sich der eigenen Motivation zur Tätigkeit in der Frühförderung bewusst zu werden, über eigene Werthaltungen und Einstellungen zu reflektieren und zu sprechen und eigene Aktivitäten und innere Prozesse beschreiben zu lernen. Wie ein roter Faden durch das gesamte Studium zieht sich Interdisziplinarität als grundsätzlicher Arbeitsansatz (M4, M8, M10, M12, M14), ergänzt durch philosophische Grundlagen mit dem Ziel, verschiedene ethische Positionen in der Arbeit mit Menschen mit Behinderung zu vermitteln. Schließlich werden bereits in dem B.A.- Studiengang Management- und wissenschaftliche Kenntnisse und Leitungskompetenzen vermittelt, da derzeit in den meisten deutschen Regionen davon ausgegangen werden muss, dass Fachpersonen mit einer Hochschulausbildung mittelfristig auch bereit sein müssen, in ihren Einrichtungen leitende Funktionen zu übernehmen. Das Personal der Lehre Getragen wird die Lehre zum einen von dem Stammpersonal des Studiengangs, als Leiterin von Frau Prof. Dr. Annette Hartung, die selbst etwa 10 Jahre lang eine Frühförderstelle leitete, und von Frau Nelly Jourdant-LeRoy, die über 20 Jahre lang in einer Frühförderstelle und einer Erziehungsberatungsstelle tätig war und als systemische Therapeutin tätig ist. Darüber hinaus steht der Autor dem Studiengang als Gastprofessor zur Verfügung und methodenkompetenz i a) Evidenz-basierte Fördermethoden (pädagogisch) - Das Spiel als Methode - Basale Stimulation - Sensorische Integrationsförderung b) Evidenz-basierte Fördermethoden (medizinisch-therapeutisch) - Physiotherapeutische Verfahren in der Neurologie - Ergotherapeutische Verfahren in der Neurologie und ressourcenorientierter Hilfsmitteleinsatz - Vorsprachliche und sprachliche Kommunikation als Medium der Frühförderung c) Zielgruppenspezifische Kompetenzen - Migrationsfamilien - Sozial benachteiligte Familien - Spezifische Behinderungsformen Tab. 2: Methodenkompetenz I FI 3/ 2010 „Interdisziplinäre Frühförderung“ - ein grundständiger Studiengang 119 leitet in dieser Funktion gleichzeitig das „Institut für Interdisziplinäre Frühförderung“ (s. u.). Es ist abzusehen, dass das angestellte Lehrpersonal im Studiengang IFF kurzfristig weiter aufgestockt werden muss. Ergänzt wird das Stammpersonal durch ärztliche, psychologische und therapeutische KollegInnen der Hochschule, die in den spezifischen Modulen v. a. medizinische Lehrinhalte vermitteln. Ein Großteil der Lehre wird jedoch auch von Fachpersonen abgedeckt, die als Gastdozenten gezielt für spezielle Module von außen an die Hochschule geholt werden (z. B. Sozialmedizin, Sensorische Integration, Migrationsfamilien, Ethik, Management). Dabei wird sowohl auf Dozenten aus der Praxis (z. B. LeiterInnen von Frühförderstellen), der praktischen Begleitung (Arbeitsstellen Frühförderung) und der Wissenschaft zurückgegriffen. In einigen Modulen werden auch gezielt verschiedene Dozenten eingesetzt, z. B. werden im M14 („Netzwerkorientiertes Arbeiten“) durch unterschiedliche Blickwinkel aus verschiedenen Regionen 6 praktische Inhalte vermittelt. Als effizient erweisen sich hierbei auch Synergieeffekte mit dem „Wissenschaftlichen Beirat“ des Studiengangs IFF, von dem ein Großteil der Beiratsmitglieder als Gastdozenten zur Verfügung stehen. Der Wissenschaftliche Beirat Dieser Wissenschaftliche Beirat wurde im Juni 2008 ins Leben gerufen. In ihm treffen sich regelmäßig nationale und internationale Experten, um die fachlichen Ansprüche an Frühförderung und ihre Implementierung in die Lehre kritisch zu reflektieren. Dabei ist auch hier ein interdisziplinärer Austausch von hoher Bedeutung, bei dem das pädagogische Stammpersonal des Studiengangs (Annette Hartung, Nelly Jourdant-LeRoy, Armin Sohns) auch von ärztlichen Vertretern (Olaf Kraus de Camargo, Jürgen Kühl, Hans G. Schlack, Carsten Wurst) ergänzt wird. Wichtig erschien bei der Besetzung des Beirates auch, eng benachbarte Forschungsfelder der Frühförderung aufzunehmen, bspw. den Bildungsbereich im frühen Kindesalter (Marion Musiol) oder die Resilienzforschung (Günther Opp). Dies gilt auch für die psychologische Berufsgruppe (Manfred Pretis, Österreich), der gleichzeitig neben dem Generalsekretär von Eurly Aid (Jacques Schloesser, Luxemburg) und Olaf Kraus de Camargo (Hamilton, Kanada) auch die internationale Ausrichtung des Beirates gewährleistet. In seinen bisherigen Treffen hat der Beirat das aktuelle Studienkonzept und seinen Verlauf kritisch begleitet und hinterfragt. Dabei ergaben sich wichtige Anhaltspunkte und Vorschläge für kurzfristige Veränderungen des Lehrangebotes, aber auch für grundsätzliche Modulveränderungen, die in Form einer Re-Akkreditierung aufgegriffen werden sollen. Gleichzeitig hat der Beirat aber auch die Funktion, die wissenschaftlichen Aktivitäten des Studiengangs im Bereich Frühförderung zu reflektieren, ggf. auch zu initiieren und zu ergänzen. Dabei lässt sich mittlerweile bereits auf erste wissenschaftliche Aktivitäten zurückgreifen. Das Institut für Interdisziplinäre Frühförderung Gebündelt werden diese Aktivitäten im „Institut für Interdisziplinäre Frühförderung“ (IIFF), das sich im Oktober 2008 an der Hochschule Gera unter externer Leitung (Sohns) gegründet hat mit dem Ziel, Bedarfe an wissenschaftlichen Aktivitäten im Bereich der Frühförderung und entsprechende Initiativen zu koordinieren und abzustimmen. In den ersten Monaten seines Bestehens wurden 6 Insgesamt stammen die DozentInnen der IFF aus 12 verschiedenen Bundesländern. 120 Armin Sohns FI 3/ 2010 am IIFF bereits mehrere Projekte angesiedelt, sei es in Form einer wissenschaftlichen Begleitung oder Beratung von kommunalen Rehabilitationsträgern (z. B. Landkreise Nordfriesland und Gütersloh, Stadt Münster/ Westfalen), auf Initiative von Ministerien (Multiplikatorenschulung im Rahmen der Betreuung von Grundschulkindern aus sozial benachteiligtem Lebensmilieu auf Initiative des Thüringer Kultusministeriums) oder als EU-Forschungsprojekt („Precious“). Das IIFF bietet dabei auch die Möglichkeit, im Rahmen der Praxismodule Studierende der IFF in die Projekte einzubeziehen. Im Rahmen der Praxisprojekte entstehen umgekehrt auch Initiativen der Studierenden, die wiederum zu neuen Forschungsprojekten des IIFF führen können. Zu den Aufgaben des IIFF wird es künftig auch gehören, einen Erfahrungsaustausch zwischen den Fachpersonen der Frühförderung zu gewährleisten, sei es in Form von Workshops oder Fachtagungen. Nach der letztjährigen Eurly Aid-Jahrestagung in Madrid und vor dem Jahreskongress 2011 in New York wird in diesem Jahr die Internationale Fachtagung der europäischen Frühfördervereinigung in Gera stattfinden. Auch hier werden Studierende bei der Vorbereitung einbezogen. Erfahrungen in der bisherigen Lehre Die erste Generation der VZ-Studierenden befindet sich in der Schlussphase ihres Studiums, einige haben schon während ihres Praktikums von den Frühfördereinrichtungen konkrete Stellenangebote erhalten oder sogar bereits - parallel zum Abschluss des Studiums - mit der Berufstätigkeit begonnen. Auffallend sind bei den Studierenden die hohe Motivation und das große Engagement über das eigentliche Studium hinaus. Zahlreiche Studierende suchten bereits in den ersten vorlesungsfreien Zeiten zusätzliche Praktikumserfahrungen oder entwarfen eigene Praxisprojekte in Einrichtungen vor Ort. Nach innen bestanden die Studierenden bspw. vielfach darauf, möglichst alle Wahlpflichtmodule absolvieren zu können. Die Hochschul- und Studiengangsleitung gab dem größtenteils nach und konnte die dadurch entstehenden logistischen Probleme lösen. Bei den medizinischen Themenmodulen, die von manchen Studierenden als besonders anspruchsvoll und lernaufwendig empfunden werden, helfen sich die Studierenden untereinander, indem von StudentInnen mit therapeutischer Vorausbildung „Nacharbeitsgruppen“ initiiert und angeleitet werden. Die Reflexionsmodule M3 und M15 bringen nach Aussage der Studierenden vielfältige neue und tiefgehende persönliche Erfahrungen, sie werden von Studierenden als bewegend, aber unverzichtbar angesehen. Von der Dozentin (langjährige Frühförderin und Systemische Therapeutin) wurden für einen Großteil der Studierenden außerhalb der Lehrzeiten in Einzelterminen Nachgespräche angeboten. Fortschreibung der Lehrinhalte und Modulgestaltungen Mit dem Studiengang „Interdisziplinäre Frühförderung“ als Erstausbildung wird im deutschsprachigen Raum Neuland betreten. Es liegt daher auf der Hand, dass bestehende Erfahrungen sofort ausgewertet und aktuelle Anpassungen der laufenden Lehre vorgenommen werden. Da sich im Laufe der Lehre zeigte, dass einige Module auch Redundanzen mit sich bringen, ergeben sich Freiräume für die Aufnahme weiterer Inhalte im Studium. Konkret bedeutet dies bislang, dass in Absprache mit dem Wissenschaftlichen Beirat die Modifizierung folgender Lehrinhalte als sinnvoll erachtet wird: - Ging der Autor bei der Konzeptionierung des Studiengangs noch davon aus, dass infolge der begrenzten Ressourcen in FI 3/ 2010 „Interdisziplinäre Frühförderung“ - ein grundständiger Studiengang 121 einem auf 6 Semester reduzierten Bachelor-Studiengang Schwerpunkte gesetzt werden müssen und das Angebot von neun Wahlpflichtmodulen für einen B.A.- Studiengang einen großen Erfolg darstellt, erscheint dies nach den Erfahrungen von drei Generationen im 1. Semester revisionsbedürftig: Auch der wissenschaftliche Beirat empfiehlt hier, v. a. die „C-Module“ (Familien in sozialer Benachteiligung, Migrationsfamilien, spezifische Behinderungsformen) als verbindliche Regelmodule festzulegen. - Es erscheint nicht sinnvoll, parallel zum Praktikum im VZ-Studiengang weitere Module anzubieten. Gerade in Folge zahlreicher im Ausland durchgeführter Praktika war es notwendig, die im 5. Semester geplanten Module auf die anderen Semester zu verteilen, auch wenn dadurch die Belastung der Studierenden in diesen Semestern steigt. - Die frei werdenden Kapazitäten im 5. Semester konnten dazu genutzt werden, im Rahmen einer neuen Praktikumskonzeption eine intensivere Begleitung anzubieten, die es den Studierenden problemloser ermöglicht, ihre Praktika überregional durchzuführen, ohne nebenbei Lehrveranstaltungen besuchen zu müssen. Mit Erstellung dieser Konzeption sind seit Februar 2009 die Voraussetzungen für eine kontinuierliche Verknüpfung innerhalb studentischer Kleingruppen geschaffen. Dadurch können sich diese Gruppen unter Anleitung der Dozenten auch selbst reflektieren. Diese Form der Begleitung wird zukünftig durch den Einsatz moderner Kommunikationstechniken, z. B. Video-Konferenzen und Chat-Foren, weiter entwickelt werden. - Es zeigt sich ein erhöhter Bedarf an zusätzlicher Projektarbeit, um die vermittelten theoretischen Ansätze bereits im Studium durch konkrete Projekte zu vertiefen. Dies geschieht bspw. durch konkrete Gruppenarbeit mit Kindern und weiteren Elternbegleitungen (in Kooperation mit benachbarten Kindertagesstätten) in der „Villa Hirsch“ (dem Hochschulgebäude) oder durch regelmäßige Exkursionen. Ermöglicht wird dies dadurch, dass in anderen Bereichen Schwerpunkte umverteilt werden können. Spätestens mit der 2011 anstehenden Re-Akkreditierung werden die Modulbeschreibungen entsprechend überarbeitet sein. Bereits 2010 wird auch ein Master-Studiengang konzipiert sein. Perspektiven der Interdisziplinären Frühförderung Die Entscheidung, für das Arbeitsfeld der Frühförderung einen eigenen Hochschulausbildungsgang anzubieten, soll einer wissenschaftlichen und fachlichen Entwicklung Rechnung tragen, die Antworten geben muss auf gesellschaftliche Prozesse und die sie bedingenden Veränderungen von Familienstrukturen und Lebensbedingungen für Kinder. Bereits seit vielen Jahren zeichnen sich engagierte Fachpersonen der Frühförderung dadurch aus, dass sie mit zunehmender Berufserfahrung immer mehr über die Grundlagen ihres originären Berufsfeldes hinausschauen und sich - in interdisziplinärer Kooperation - Sichtweisen und Ansätze anderer Berufsgruppen aneignen und in ihren Arbeitsalltag integrieren. Nur so werden den Familien unnötige zusätzliche Therapiegänge und Ansprechpartner erspart, ohne dass die Fachlichkeit darunter leidet. Die verschiedenen Arbeitsfelder der Frühförderung nähern sich einander an und überschneiden sich zunehmend. Das bedeutet für die Kinder und Familien, dass nicht für jede spezifische Fragestellung eigene Fachexperten und damit neue Bezugspersonen eingesetzt werden müssen. Das bedeutet jedoch auch für die Fachpersonen, dass sie sich nicht nur auf ihr originäres Aufgabenfeld beschränken können, sondern einen übergeordneten Blickwinkel (i.S. des vor zwanzig Jahren gebräuchlichen 122 Armin Sohns FI 3/ 2010 Schlagwortes: ganzheitlich) einnehmen müssen: Die interdisziplinäre Frühförderung muss sich zu einer transdisziplinären Frühförderung mit disziplinübergreifenden Sichtweisen und Kompetenzen ausbauen Genau hier setzt der Studiengang an. 7 Offensichtlich ist jedoch, dass die Kluft zwischen fachlichem Anspruch und administrativer Umsetzung weit ist. Rehabilitationsträger zeigen sich (noch) überwiegend resistent gegenüber fachlichen Veränderungsnotwendigkeiten. Es gibt noch immer kommunale Rehabilitationsträger, die der Frühförderung in den Leistungsvereinbarungen auferlegen, bei jeder „Fördereinheit“ unabhängig vom individuellen und akuten Hilfebedarf z. B. 45 Minuten defizitorientiert „am Kind arbeiten“ zu müssen - trotz aller weltweiten Effektivitätsstudien, die die Notwendigkeit aufzeigen, dass die Frühförderhilfen in den konkreten Lebensalltag von Kind und Familien zu integrieren sind. Auch die Krankenversicherungsträger versuchen starr an den Heilmittelrichtlinien festzuhalten, obwohl die Referenten der Länderministerien einvernehmlich fest gestellt haben, dass diese für die Komplexleistung nicht anzuwenden seien (vgl. BMAS, 2008). Dies zeigt sich auch bei der Frage, wer denn für die Finanzierung der künftigen B.A.- Frühförderer zuständig sei. Die erste Frage der Rehabilitationsträger lautet meist: Ist das nun Medizin oder Pädagogik? Mit anderen Worten: Müssen wir oder die zahlen? Es gibt dann häufig befremdete Blicke, wenn der Autor in Anspruch nimmt: Am besten beide. Der Gesetzgeber wollte mit der Komplexleistung eine unsägliche Differenzierung aufheben und als Leistung „aus einer Hand“ ein Zusammenwachsen unterschiedlicher fachlicher Ansätze einleiten. Die Rehabilitationsträger machen daraus mit ihren „Zwei-Kreuze-Regelungen“ genau das Gegenteil. Ist es auch erstrebenswert, die Finanzierung von Frühförderern in Form einer Mischfinanzierung zu gewährleisten, bleiben Zweifel, ob sich dies durchsetzen wird oder ob die Frühförderer (zunächst) einseitig von den Rehabilitationsträgern der Teilhabeleistungen getragen werden. Die grundständige Ausbildung der Frühförderer ist selbst in ihren ausschließlich pädagogischen Kompetenzen dem weit überlegen, was wir als Pädagogen in der Frühförderung im Rahmen unserer grundständigen Ausbildung für unser Arbeitsfeld erhalten haben. Eine solche Ausbildung bedeutet jedoch nicht, dass künftig unter dem Konzept einer transdisziplinären Frühförderung in Frühfördereinrichtungen nur noch ausgebildete „Frühförderer“ arbeiten sollten. Im Gegenteil bedarf es in den Einrichtungen auch künftig Teams mit unterschiedlichen (vertiefenden) Kompetenzen. Und auch wenn Frühförderer künftig vor den ersten Einsätzen in der Familienbetreuung besser für die umfassenden Aufgabenfelder ausgebildet sind, müssen sie sich zum einen auch danach spezifisch weiterbilden, und zum anderen bedarf es im Team auch anderer Fachpersonen, die spezifische Kenntnisse durch ihre grundständige Ausbildung mitbringen. Wenn wir die Arbeitsstrukturen häufig unkoordiniert nebeneinander arbeitender Subsysteme einzelner Hilfeangebote überwinden wollen, erfordern transdisziplinäre Denk- und Arbeitsweisen von den einzelnen Fachpersonen eine hohe - Berufsfeld übergreifende - Qualifikation und Reflexionskompetenz. Interdisziplinäre Unterstützung ist jedoch gerade als fachliches Netz vor Überforderung und Fehleinschätzungen der in den Familien tätigen Bezugspersonen unverzichtbar, lediglich die unmittelbare Anzahl der bisher nebeneinander arbeitenden Fachexperten kann ggf. reduziert werden. 7 Im Herbst 2010 ist an der „Medical School Hamburg“ ebenfalls ein originärer B.A.-Studiengang geplant, der folgerichtig „Transdisziplinäre Frühförderung“ heißen wird. Die Bezeichnung „Interdisziplinäre Frühförderung“ ist in Gera in Anlehnung an die gesetzliche Grundlage des SGB IX gewählt worden, um den Bezug zu einer vom Gesetzgeber gewünschten neuen Ausrichtung herzustellen. FI 3/ 2010 „Interdisziplinäre Frühförderung“ - ein grundständiger Studiengang 123 Besteht mit den Ausbildungsgängen IFF damit künftig einerseits die Möglichkeit einer besseren Vorbereitung auf das Aufgabenfeld Frühförderung, muss gleichzeitig eingeräumt werden, dass sich die Bewerbungsbreite der StudienabsolventInnen damit einengt: Sie werden künftig primär auf die Aufgabenfelder SPZ, Frühförderstellen und Kindertagesstätten fokussiert sein. Doch muss in Zeiten einer sich immer stärker ausdifferenzierenden Umwelt kritisch hinterfragt werden, ob bspw. PädagogInnen wie bisher nach ihrem Studium pauschal für alle Aufgabenfelder - von der Frühförderung über die Sucht- und Erziehungsberatung und Streetwork bis zur Altenhilfe - so ausreichend ausgebildet sind, dass sie sofort mit der Einstellung eingesetzt werden können. Bei dem Autor ist das wie bei Tausenden anderer Frühförderer seinerzeit so geschehen. Der Studiengang will eine Weichenstellung hin zu einer anderen Denkweise vornehmen und damit auch zu einer dringend notwendigen Aufwertung der Frühförderung beitragen: Anders als in fast allen europäischen Ländern wird in Deutschland für Fachpersonen im Vorschulbereich eine akademische Ausbildung noch nicht als verbindlich angesehen und entsprechend honoriert. In Schleswig-Holstein beispielsweise schließt die Rahmenvereinbarung zur Frühförderung bei den pädagogischen wie therapeutischen Berufsgruppen eine akademische Ausbildung grundsätzlich aus. Es wird Zeit, solch familienideologisch begründete Realitäten zu überwinden und den vorschulischen Hilfeangeboten endlich den Stellenwert einzuräumen, der ihnen aufgrund der gesellschaftlichen Bedarfslage gebührt. Der vorgestellte Studiengang will hierzu einen Beitrag leisten. Literatur BMAS - Bundesministerium für Arbeit & Sozialordnung: Protokoll der Treffen zwischen BMAS und den für Frühförderung zuständigen Länderreferenten am 28. August und 29. September 2008 im BMAS, Berlin („Konsenspapier“) ISG - Institut für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik: Datenerhebung zu den Leistungs- und Vergütungsstrukturen in der Frühförderung behinderter oder von Behinderung bedrohter Kinder, Köln 2008 Schlack, H. G. (2008): Wie (un)gesund sind Kinder in Deutschland? Fakten, Einschätzungen, Handlungsbedarf. In: Frühförderung Interdisziplinär. 27. Jg. (4/ 2008). Ernst Reinhardt Verlag (München/ Basel). 147 - 154 Sohns, A.: Frühförderung entwicklungsauffälliger Kinder in Deutschland, Weinheim/ Basel 2000 Sohns, A.: Rahmenbedingungen und Qualitätsstandards der Frühförderstellen in Mecklenburg-Vorpommern - eine Bestandsaufnahme, Neubrandenburg 2001 Prof. Dr. Armin Sohns Fachhochschule Nordhausen Weinberghof 4 D-99734 Nordhausen E-Mail: sohns@fh-nordhausen.de
