Frühförderung interdisziplinär
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0721-9121
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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Transition - den Übergang in die Grundschule psychomotorisch begleiten
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Astrid Krus
Der Beitrag zeigt die Anforderungen des Übergangs vom Kindergarten in die Schule für das Kind und seine Familie auf und betrachtet Möglichkeiten der begleitenden Unterstützung. Besondere Berücksichtigung findet dabei die psychomotorische Förderung all der Kompetenzen, die einen erfolgreichen Übergang ermöglichen und eine positive Bildungsbiografie unterstützen.
1_030_2011_001_0026
26 Frühförderung interdisziplinär, 30. Jg., S. 26 -36 (2011) DOI 10.2378/ fi2011.art03d © Ernst Reinhardt Verlag ORIGINALARBEIT Transition - den Übergang in die Grundschule psychomotorisch begleiten Astrid Krus Zusammenfassung: Der Beitrag zeigt die Anforderungen des Übergangs vom Kindergarten in die Schule für das Kind und seine Familie auf und betrachtet Möglichkeiten der begleitenden Unterstützung. Besondere Berücksichtigung findet dabei die psychomotorische Förderung all der Kompetenzen, die einen erfolgreichen Übergang ermöglichen und eine positive Bildungsbiografie unterstützen. Schlüsselwörter: Transition, Kompetenzen, Selbstwirksamkeit, Resilienz, Psychomotorik Accompaniment of Transition from Kindergarten to School by Psychomotor Interventions Summary: In this article, the demands placed on the child and his family in connection with the transition from kindergarten to school are shown and possibilities of accompanying support are considered. Particular focus is on the psychomotor support of the competencies that enable a successful transition and a positive education biography. Keywords: Transition, competencies, self-efficacy, resilience, psychomotoricity I n unserer Biografie sind Übergänge ein fester Bestandteil, die sich in Abhängigkeit von ihrer Bewältigung entwicklungsfördernd aber auch -hemmend auf den weiteren Lebensweg auswirken können. Die Übergänge sind in der Regel mit einschneidenden Veränderungen im kognitiven, sozialen und emotionalen Bereich, mit neuen Herausforderungen, Belastungen und Chancen verbunden. Durch Veränderungen in den familiären Strukturen und unserer Bildungslandschaft ist das Übergangsphänomen zunehmend in die früheren Lebensphasen gerückt. Den ersten Übergang bildet heutzutage der Besuch der Kinderkrippe oder Kindertagespflege, dem der Besuch des Kindergartens bzw. der Kindertagesstätte folgt. Der Loslöseprozess vom Elternhaus sowie die Neuorientierung und -einbindung in eine andere Sozialisationsinstanz stellen alle Beteiligten vor neue Aufgaben und Anforderungen, die gemeinsam bewältigt werden müssen. Auch wenn in der pädagogischen Fachliteratur den begleitenden Faktoren insbesondere dieses frühen Übergangs zunehmend mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird, findet der Übergang vom Kindergarten in die Schule weitaus mehr Beachtung in Fachkreisen wie auch im sozialen Umfeld des Kindes. Die Formulierung „Nun beginnt der Ernst des Lebens“ beschreibt aus familiärer Sicht zumeist den Abschied von der sorgenfreien, lustbetonten Kindheit, die nun einem strengeren, von außen bestimmten Arbeiten und Lernen, strengen Lehrern und erwartetem diszipliniertem Verhalten weicht. Die Veränderungen des Konstrukts der Schulfähigkeit und die wissenschaftlichen Erkenntnisse der PISA- und IGLU-Studien (Deutsches Pisa Konsortium 2001; Klein 2003), dass nicht gelungene Übergänge sich nachteilig auf die Bildungsbiografie der Kinder auswirken, haben das fachliche 27 FI 1 / 2011 Den Übergang in die Grundschule psychomotorisch begleiten Interesse verstärkt auf die Faktoren gelenkt, die einen erfolgreichen Übergang ermöglichen. Die in der Erprobungsphase befindlichen Grundsätze der Bildungsförderung in NRW postulieren die Notwendigkeit einer „Kultur des Übergangs“ (MGFFI 2010, 34) und sehen die erfolgreiche Bewältigung als Ergebnis eines ausgewogenen Verhältnisses von Kontinuität und Diskontinuität (MGFFI 2010, 34). Die Herstellung von Kontinuität ist eine Bewältigungsstrategie, welche die aktive Nutzung der Lernanforderungen von Diskontinuitäten erfordert. Die Voraussetzungen, die ein Kind für die erfolgreiche Teilnahme in der Schule mitbringen muss, werden im Rahmen verschiedener theoretischer Ansätze als Basiskompetenzen (Griebel/ Niesel 2002 a, b), Anteile daraus als schulnahe Vorläuferkompetenzen (Kammermeyer 2001) oder Kompetenzen (MSJK 2003) bezeichnet. Das sehr umfassende Transitions-/ Übergangsmodell von Griebel/ Niesel (2002 a, b), das den Übergang als ko-konstruktiven Prozess betrachtet, bezieht zudem die abgebenden (Elternhaus/ Kindergarten) und annehmenden Stellen (Schule) als wesentliche Bestandteile für einen gelungenen Einschulungsprozess mit ein. Unter dem Aspekt der Unterstützung des Transitionsprozesses durch psychomotorische Förderangebote wird hier der Fokus auf das Kind gerichtet, ohne damit die Relevanz der abgebenden und annehmenden Stellen zu minimieren. Das Anforderungsprofil des Übergangs von Kindergarten in die Grundschule Mit der Bedeutung von Übergängen und deren erfolgreicher Bewältigung beschäftigen sich unterschiedliche Professionen (Entwicklungspsychologie, Systemtheorien). Die Wahl des Fachterminus Transition soll gegenüber dem umgangssprachlichen Begriff Übergang deutlich machen, dass es sich um ein Konzept handelt, das durch wissenschaftliche Theorien und empirische Erkenntnisse untermauert ist (vgl. Niesel et al. 2008, 11). Die Transitionsforschung untersucht die Schnittstellen zwischen den gesellschaftlichen Anforderungen und dem Handlungs- und Bewältigungsvermögen des Individuums (Welzer 1997). Die mit Transitionen verbundenen neuen Aufgaben und Herausforderungen beziehen sich auf die individuelle, die interaktive und Abb. 1: Übergang vom Kindergarten in die Grundschule 28 FI 1 / 2011 Astrid Krus die kontextuelle Ebene (vgl. Griebel/ Niesel 2004, S. 123ff) und müssen „mit intensivierten und beschleunigten Lernprozessen bewältigt werden“ (Niesel 2006), für die verschiedene Basiskompetenzen erforderlich sind. Die dem Transitionsprozess inhärenten Begrifflichkeiten der abgebenden und annehmenden Stellen und des Übergangs lässt das Bild einer Brücke (Abb. 1) entstehen, an deren eine Seite der Kindergarten als abgebende Institution und die Schule als annehmende Institution stehen, die durch ko-konstruktive Angebote diesen Prozess begleiten und moderieren. Das Kind und seine Eltern, die den Übergang aktiv bewältigen müssen, benötigen stabile Fundamente (Kompetenzen) auf individueller, interaktionaler und kontextueller Ebene, um sich den verändernden Erfordernissen stellen zu können (Abb. 2). Auf der individuellen Ebene ist der Übergang für das Kind mit Veränderungen in seinem Status vom Kindergartenzum Schulkind, dem Umgang mit starken Emotionen (Ängste vor dem Unbekannten, Neugierde, Vorfreude) sowie der Entwicklung von motorischen, sprachlichen, sozialen und kognitiven Kompetenzen verbunden. Handbzw. grafomotorische Kompetenzen zum Schriftspracherwerb, motorische Grundfertigkeiten zur Bewältigung sportmotorischer Aufgabenstellungen sowie ein angemessener Wechsel von Anspannung und Entspannung sind Basiskompetenzen für den erfolgreichen Schulalltag. Des Weiteren wird das Vorhandensein der sogenannten schulnahen Vorläuferkompetenzen wie phonologische Bewusstheit, vielfältige Spracherfahrungen sowie mengen- und zahlenbezogenes Wissen als Grundlagen einer erfolgreichen Schullaufbahn angesehen. Die eigene Reflexion verschiedener Lösungs-strategien und Handlungsoptionen erleichtert als lernmethodische Kompetenz den Wissenserwerb und die möglichst selbstständige Erschließung der Lebensumwelt (Borg-Laufs et al. 2010). Eine adäquate Aufmerksamkeitssteuerung, welche bei der Bewältigung von Problemlöseaufgaben den Fokus auf den Abruf handlungsrelevanter Informationen statt auf hemmende Emotionen (Angst, Zweifel, Unsicherheit) lenkt, bestimmt die Ausdauer und den Erfolg bei der Bewältigung derartiger Aufgaben und damit das Erleben neuer Aufgaben als Herausforderung statt als Bedrohung. Ein positives Selbstkonzept, das unter anderem auf vielfältigen Selbstwirksamkeitserfahrungen beruht, gibt den Kindern Sicherheit, selbstständig wirksam handeln zu können und motiviert sie zur Auseinandersetzung mit neuen Lernsituationen, die bei erfolgreicher Bewältigung zugleich das eigene Selbstverständnis bestätigen. Eine Ursachenzuschreibung erfolgreichen Handelns auf die eigene Person verbunden mit positiven Handlungserfahrungen ermöglichen dem Kind eine realistische Einschätzung seines Abb. 2: Anforderungsprofil des Übergangs 29 FI 1 / 2011 Den Übergang in die Grundschule psychomotorisch begleiten Leistungsvermögens und erleichtern damit auch den Umgang mit frustrierenden Erfahrungen bei Nichtgelingen. Kinder mit einer adäquaten Leistungseinschätzung bewahren sich häufig vor Frustrationen, dadurch, dass sie bei schwierigen Aufgaben durchaus Unterstützung einfordern können und sich Hilfestellungen in ihrem Selbstkonzept nicht negativ niederschlagen, da andere Quellen das Positive im Selbst speisen. Schwierigkeiten werden demzufolge als Herausforderungen angesehen, denen man sich stellen kann und nicht als Bedrohung, die es zu vermeiden gilt. Neben diesen Anpassungsleistungen bedingt der Übergang auf der interaktiven Ebene den Aufbau neuer sozialer Beziehungen zu Klassenkameraden und Lehrerinnen, die Veränderungen bestehender Beziehungen bzw. der Verlust an Beziehungen zu Freunden aus dem Kindergarten sowie die Ausbildung neuer Rollen im System Schule wie auch im System Elternhaus. Dies erfordert vom Kind soziale Kompetenzen wie Kooperationsfähigkeit und Kontaktinitiative zum Aufbau neuer Beziehungen zu den Klassenkameraden sowie Selbstkontrolle in sozialen Bezügen. Die neue Rolle als Schulkind umfasst die positiven Aspekte des „Großseins“, Kulturtechniken zu erwerben und sich damit neue Wissens- und Handlungsfelder erschließen zu können. Zugleich ist sie aber auch mit Verantwortungsübernahme, dem Erfüllen von Verpflichtungen gegenüber dem Aufschub eigener Bedürfnisbefriedigung aufgrund der schulischen Stundenstruktur zurückstellen zu können, verbunden. Eine weitere Rollenambiguität ergibt sich durch den Wechsel vom „großen“ Vorschulkind im Rahmen des Kindergartens zum kleinen „I-Dötzchen“ im schulischen Kontext. Auf der kontextuellen Ebene entsteht eine neue Verbindung zweier Lebensbereiche oder Mikrosysteme (Elternhaus und Schule), die Auswirkungen auf den Tagesablauf (pünktliches Aufstehen und Schulbeginn, Hausaufgaben- und Spielzeiten) als auch auf den Wochen- und Jahresablauf (Berücksichtigung von Schul- und Ferienzeiten) nach sich ziehen. Neue und in Teilen fremdbestimmte Lerninhalte müssen erworben und reproduzierbar sein; die Bewertung der Aufgabenbewältigung orientiert sich dabei nicht länger alleine am individuellen Leistungsstandard, sondern an den Bezugsgrößen der Klassenkameraden. Gleichermaßen ergeben sich auch für die Eltern auf den bezeichneten Ebenen gravierende Umgestaltungen; auf der individuellen Ebene müssen sie sich mit der sich verändernden Identität als Eltern eines Schulkindes auseinandersetzen, das auch von ihnen neue Kompetenzen bei der Unterstützung und Begleitung im Lern- und Entwicklungsprozess abverlangt. Auch sie müssen vertraute Beziehungen zu anderen Eltern als auch zu den Erzieherinnen aufgeben und sich im neuen Klassenverbund und in der Interaktion mit der LehrerIn neu positionieren. Auf kontextueller Ebene sind die Veränderungen ebenfalls sehr einschneidend, da sie Familienleben (z. B. Betreuung jüngerer Geschwisterkinder während der Hausaufgaben), Schule (unregelmäßigere Schulzeiten, längere Ferien) und Erwerbsleben in Einklang bringen müssen. Diese Phase des Umbruchs führt dazu, dass vertraute Handlungs- und Verhaltensmuster nicht mehr Anwendung finden (können) und Anpassungsprozesse auf Seiten des Kindes (und der Familie) erforderlich werden. D. h. das Risiko des Versagens, der Vulnerabilität, ist in dieser Zeit deutlich erhöht und erfordern vom Kind und seiner Familie umfangreiche Kompetenzen und eine entsprechende Widerstandsfähigkeit (Resilienz) gegenüber diesen Übergangsbedingungen. Übergänge erfolgreich bewältigen Ein erfolgreicher Übergang ist dadurch gekennzeichnet, dass das anstehende Anfor- 30 FI 1 / 2011 Astrid Krus derungsprofil bewältigt werden kann und Kind/ Eltern sich als handlungskompetent und wirksam erleben. Entscheidend für den Bewältigungsprozess ist dabei, inwieweit auf vorhandene Ressourcen zurückgegriffen bzw. Ressourcen aktiviert werden können oder die neuen Anforderungen als Belastung und Stress erlebt werden. Betrachtet man das Anforderungsprofil auf der individuellen, interaktiven und kontextuellen Ebene, so lassen sich verschiedene Basiskompetenzen ableiten, die auch im Bereich der Resilienzforschung (Wustmann 2003, 2004) als unterstützende Faktoren in anderen kritischen Lebenssituationen angesehen werden. Übergänge erfolgreich zu meistern bedeutet demnach, die Risikofaktoren zu minimieren und die Resilienzbzw. Schutzfaktoren (Ressourcen) zu erhöhen. Ressourcen lassen sich dadurch unterscheiden, ob sie im Individuum selber (Individualressourcen) oder dessen Umwelt liegen (Umfeldressourcen) bzw. ob sie angeboren/ vorgefunden (Merkmale) oder durch eigene Aktivitäten (Mechanismen) erworben werden (Petermann/ Schmidt 2006). Merkmale sind diejenigen Ressourcen, die dem Individuum angeboren sind wie beispielsweise körperliche Konstitution, kognitive Fähigkeiten oder die es in seinem sozialen Umfeld vorgefunden hat wie z. B. der soziokulturelle Status der Eltern oder das Wohnumfeld. Demgegenüber stehen die Mechanismen, die vom Individuum selber erworben und aktiv mitgestaltet werden. Als individuumsbezogene Mechanismen sind insbesondere wahrgenommene Kompetenzen, positive Kontrollüberzeugungen und eine positive Lebenseinstellung zu nennen. Merkmale und Mechanismen entsprechen den Kompetenzen eines Menschen, die sich in sozialen Lernprozessen über die gesamte Lebensspanne entwickeln. Um Übergänge begleiten und gestalten zu können, sind insbesondere Einblicke in die Mechanismen von zentraler Bedeutung. Als zentrale Basiskompetenzen (Mechanismen) für eine erfolgreiche Bewältigung gelten: n Aktive Problembewältigung und Problemlösefähigkeiten (Handlungskompetenz) n Selbstwirksamkeitserfahrungen und Ursachenzuschreibung auf die eigene Person n Positives Selbstwertgefühl und realistische Kontrollüberzeugungen n Realistische Einschätzung des eigenen Leistungsniveaus (vermeidet Überforderung/ unterstützt die Suche nach Hilfestellung) n Gesundheitsressourcen n Entspannungsfähigkeiten n Kooperationsfähigkeit n Selbstkontrolle in sozialen Bezügen Ein zentraler Anspruch aller am Übergang Beteiligten muss daher sein, wie diese Basiskompetenzen gefördert werden können, um einen erfolgreichen Übergang zu schaffen und Brüche in der Bildungsbiografie zu vermeiden. Eine optimale Förderung all dieser Einflussfaktoren liegt nicht in der Hand eines einzelnen Systems, sondern Elternhaus, Kindergarten und Schule müssen gemeinsam Lern- und Lebensbedingungen schaffen, die selbstwertstützendes aktives Handeln und Erleben ermöglichen. Auf der Grundlage der Bildungsvereinbarungen oder -pläne der einzelnen Bundesländer sind diverse Konzepte zur Gestaltung des Übergangs zwischen Kindergarten und Grundschule entstanden (Bertelsmann Stiftung 2006, 2007; Netta/ Weigl 2006) und in der Praxis erprobt worden. Psychomotorische Förderung bietet dabei vielfältige Ansatzpunkte, die Übergangsbewältigungsstrategien eines Kindes zusätzlich positiv zu beeinflussen. Angebotsstruktur psychomotorischer Förderung Die mittlerweile über 50-jährige Entwicklungsgeschichte der Psychomotorik in Deutschland weist auf der Basis unterschiedlicher Theo- 31 FI 1 / 2011 Den Übergang in die Grundschule psychomotorisch begleiten riebezüge auch verschiedene Ansätze oder Konzepte der Psychomotorik auf, so dass der Terminus „psychomotorische Förderung“ nicht mit einem allgemeingültigen Konzept gleichgesetzt werden kann. Ohne auf die Ansatzdiskussion (Seewald 2009) an sich und die verschiedenen Herangehensweisen (Fischer 2009) an dieser Stelle differenzierter einzugehen, lassen sich Grundprinzipien und Kernziele (Kompetenzbereiche) der psychomotorischen Förderung benennen, die insbesondere in den selbstkonzeptorientierten Ansätzen (Haas 1999; Zimmer 2004; Krus 2004) im Vordergrund stehen. Die psychomotorische Förderung für den vorschulischen Bereich lässt sich dabei in drei Angebotsformen untergliedern: n Psychomotorische Förderung als konzeptioneller Bestandteil des Kindergartenalltags n Psychomotorische Förderung als Bewegungsstunde n Psychomotorische Förderung als therapeutisches Angebot In der ersten Form orientieren sich die frühpädagogischen Einrichtungen in ihrer konzeptionellen Ausrichtung an den Grundprinzipien der Psychomotorik. Dies bedeutet, dass die Raum- und Außengeländegestaltung, die Planung der Lernumgebung und die Auswahl der geplanten Bildungsangebote im besonderen Maße eine Vielzahl wahrnehmungs- und bewegungszentrierter Möglichkeiten aufweisen, die Bewegung und Spielen zu einem grundlegenden Prinzip der Bildung und Erziehung auf der Grundlage des humanistischen Menschenbildes machen. Die Aufgaben der pädagogischen Fachkräfte sind primär die Beobachtung und Begleitung der kindlichen Aktivitäten mit dem Ziel über entwicklungsangemessene Angebote den Erwerb einer Vielzahl motorischer und sensorischer Handlungen zu ermöglichen und zugleich über Selbstwirksamkeitserfahrungen die Entwicklungspotenziale der Kinder zu fördern. Eine Vielzahl der sogenannten Bewegungskindergärten arbeitet nach diesem Prinzip. Psychomotorische Förderung als Bewegungsstunde nutzt die wöchentlichen „Turnstunden“ innerhalb des Kindergartenalltags, um entsprechend der psychomotorischen Grundprinzipien n freiwillige Teilnahme an den Angeboten n Eigenaktivität der Kinder fördern n Aufgaben und Materialauswahl an den Interessen des Kindes orientiert n Impulse und Ideen der Kinder aufgreifen n Selbstwirksamkeitserfahrungen ermöglichen Bewegungs- und Spielangebote durchzuführen. Ein zentraler Unterschied zur „klassischen Turnstunde“ ist der Wechsel von festgelegten Spiel- und Bewegungsaktivitäten, die für alle Kinder einer Gruppe durchgeführt werden zu einem dialogischen Prozess zwischen Psychomotoriker und Kind bzw. zwischen den Kindern untereinander. In diesem Prozess bieten Strukturierungsformen wie die Raumgestaltung, die Materialauswahl, die Sozialformen und die kommunikative Interaktion den Rahmen, innerhalb dessen der Einzelne und die Gruppe agieren können. Dies bedingt, dass die Gruppengrößen nach Möglichkeit nicht mehr als 6 - 8 Kinder umfassen und eine Durchstrukturierung der Stundenangebote nicht möglich ist. Als Basis für die Auswahl der Themen und die Gestaltung der Angebote gelten der individuelle Entwicklungsstand, die kindlichen Lebensbedingungen, die soziokulturellen Bedingungen, die situativen Umstände sowie die Förderschwerpunkte, die situationspezifisch im Vordergrund stehen (Abb. 3). 32 FI 1 / 2011 Astrid Krus Psychomotorische Förderung als therapeutisches Angebot umfasst die unter dem o. g. Aspekt dargestellten Inhalte und wird ergänzt um Förderung von Bewältigungsstrategien bei spezifischem Problemverhalten. Psychomotorische Förderung zur Unterstützung der Übergangsbewältigung Die Entwicklung aktiver Bewältigungsformen kann nur gelingen, wenn das Repertoire an erforderlichen Kompetenzen einerseits und Regulationsmechanismen (Motivation, Ursachenzuschreibung, eigene Leistungseinschätzung u. a.) andererseits gezielt erweitert werden (Abb. 4). Die Wahrnehmung und Bewertung von Herausforderungen und verfügbaren Bewältigungskompetenzen erfordern vom Kind eine differenzierte Betrachtung seiner Handlungs- und Erfolgsmöglichkeiten, um zwischen den eigenen Kompetenzen und den Anforderungen ein Gleichgewicht zu schaffen, welches das Ausmaß an Problembewältigung, psychischem Wohlbefinden und Stresserleben bestimmt. Ein zentraler Ansatzpunkt der psychomotorischen Förderung ist es, Anregungs- und Umgebungsbedingungen zu schaffen, die selbsttätiges, motiviertes Handeln in einem stressfreien Setting ermöglichen, so dass Lernprozesse zu einer Erweiterung eigener Handlungsmöglichkeiten und deren Bewertung zu einer Differenzierung des eigenen Selbstkonzeptes führen, in denen das Kind sich als kompetente, liebenswerte und sozial integrierte Persönlichkeit erlebt. Dabei gilt es, die dem Entwicklungsalter entsprechenden emotionalen, kognitiven, instrumentellen und sozialen Handlungsfertigkeiten des Kindes durch gezielte Spiel- und Bewegungsangebote anzuregen und an Hand zu bewältigender, neuer Herausforderungen weiterzuentwickeln. Die Abb. 3: Einflussgrößen auf die Struktur psychomotorischer Angebote 33 FI 1 / 2011 Den Übergang in die Grundschule psychomotorisch begleiten psychomotorische Förderung intendiert, das Kind zu planvollem Handeln in der Auseinandersetzung mit Herausforderungen zu befähigen, wobei die Erweiterung und Bewusstmachung der Kompetenzen des Einzelnen im Vordergrund steht, die ihn befähigen, mit Entwicklungsaufgaben und Herausforderungen konstruktiv umzugehen. Die Basis bilden dabei vielfältige Spiel- und Bewegungsangebote zur Förderung motorischer Fertigkeiten und Wahrnehmungsleistungen, die zu einer Stabilisierung und Entfaltung der Handlungskompetenzen in Bezug auf den eigenen Körper, die eigene Person, auf die materiale und auf die soziale Umwelt führen. Die Erweiterung der Fähigkeiten verbindet quantitative (Vergrößerung der zur Verfügung stehenden Kompetenzen) und qualitative Aspekte (Verbesserung der Leistungsfähigkeit, Koordination, Tempo etc.) fein- und grobmotorischer Förderung. Die Aufgaben bzw. Spielangebote sollten dabei einen mittleren Schwierigkeitsgrad haben, der Assoziationen zu vertrauten, bereits erfolgreich bewältigten Aufgaben und zugleich Optionen auf neue, dem eigenen Kompetenzspektrum entsprechende Herausforderungen enthält. Die Auswahl der geeigneten Angebote orientiert sich dabei an den Beobachtungen der pädagogischen Fachkraft und kann für Kinder gleichen Alters durchaus unterschiedlich sein. Die Praxisliteratur (Beudels 2008; Köckenberger 2010) enthält eine Fülle von Spiel- und Bewegungsideen, die allerdings mit dem vorliegenden psychomotorischen Verständnis als Angebot und nicht als Stundenprogramm zu verstehen sind. Die Extension der zur Verfügung stehenden Handlungskompetenzen befähigen die Kinder dazu, problemwirksame Anforderungen mittels verfügbarer Kompetenzen leichter zu bewältigen. Aktuelle Untersuchungen belegen die Relevanz der eigenen Handlungsfähigkeit für die Bewältigung schulischer Aufgaben in verschiedenen Fachkontexten als Orientierungswissen, das Kinder darin unterstützt, die ständig neu zur Verfügung stehende Informationsmenge aufzubereiten (Porsch et al. 2010). Neben der Kompetenzvermittlung gilt der Auf bau der positiven Selbstwirksamkeitserwartungen (Kontrollüberzeugungen) als das Abb. 4: Psychomotorische Förderung zur Unterstützung der Übergangsbewältigung 34 FI 1 / 2011 Astrid Krus zentrale Element zur Bewältigung von Entwicklungsanforderungen. Die in der aktiven Auseinandersetzung mit dem Spiel- und Bewegungsangebot erlebten Möglichkeiten des eigenen Handelns bilden dabei die Basis. Parallel dazu sind die kognitiven Verarbeitungsprozesse beim Kind Ziel der Förderung. Im Vordergrund steht die Einwirkung auf die Ursachenzuschreibung eigener Wirksamkeitserfahrungen. Das Kind soll die Möglichkeit erhalten, eine möglichst reale Abbildung des Beziehungsverhältnisses von Aufgabenschwierigkeit und individuellem Leistungsvermögen zu erhalten, so dass die eigenen Kompetenzen realistisch eingeschätzt werden können und Frustrationen bei überhöhten Anforderungen vermieden werden. Es sollten Zuschreibungen bevorzugt werden, die Veränderungs-(Handlungs-) möglichkeiten beim Kind zulassen wie der Faktor Anstrengung bei Misserfolg. Dieser Prozess wird zu Beginn primär vom Psychomotoriker geleitet, der in Form verbaler Rückmeldungen eine Zuschreibung stellvertretend für das Kind vornimmt. Im Verlauf der Förderung ist ein Übergang von der Fremdzuschreibung über die äußere Selbstverbalisation zur veränderten, inneren Selbstzuschreibung des Kindes intendiert. Ein weiterer Aspekt im Rahmen der Förderung betrifft die Steuerung der Aufmerksamkeit auf relevante Informationen bei der Handlungsplanung. Auf einer eher übergeordneten Ebene geht es darum, Bezüge zwischen zurückliegenden, erfolgreich bewältigten und aktuellen Lebensereignissen herzustellen. Durch den Vergleich und das mögliche Erkennen von Ähnlichkeiten wird Antizipation ermöglicht, um entsprechende Strategien effektiver abrufen und modifizieren zu können. Statt sich mit Ängsten und möglichen negativen Folgen zu befassen, gibt man den Kindern Hilfestellung, sich auf die für die jeweilige Situation notwendigen Informationen zu konzentrieren. Variationsreiche psychomotorische Bewegungsangebote, die einen Wechsel von aktiven und inaktiven, ruhigen Phasen enthalten, vermitteln ein breites Erfahrungsspektrum in Bezug auf die eigene körperliche Leistungsfähigkeit (Gesundheit) sowie Kompetenzen der Regulation von Anspannung und Entspannung, die nicht unerheblich dazu beitragen, Stresssymptome zu erkennen und durch geeignete Strategien zu minimieren. Das psychomotorische Spiel bietet darüber hinaus vielfältige positive Emotionen der Freude und Zufriedenheit (mit sich und den Erfolgen), aber auch die Möglichkeit, Emotionen wie Wut und Enttäuschung formulieren und spielerisch bewältigen zu können. Neben den kompetenzerweiternden Spiel- und Bewegungsangeboten mit ihren inhärenten selbstwirksamkeits- und selbstkonzeptfördernden Anteilen und der begleitenden Reflexion der psychischen Regulationsprozesse bieten psychomotorische Gruppenangebote ein breites Spektrum an sozialen Lernsituationen. Spielideen gemeinsam entwickeln, sich als Spielpartner anbieten und einbringen, Regeln absprechen und auf deren Einhaltung achten, sind spielbegleitende Prozesse, die Kooperation, Kontaktaufnahme und Selbstkontrolle spielerisch fördern. Zugleich ermöglicht eine wertschätzende und unterstützende Interaktionskompetenz des Psychomotorikers, dass das Kind positive Bindungserfahrungen und responsive Verhaltensweisen erfahren kann, die ebenfalls als stützende Resilienzfaktoren (Krus 2006) bezeichnet werden können. Das Kind hat den Übergang erfolgreich bewältigt, wenn es sich in der Schule wohl fühlt, die gestellten Anforderungen bewältigt und die Bildungsangebote für sich optimal nutzt. Psychomotorische Spiel- und Bewegungsangebote im Kindergarten oder Sportverein, welche die zuvor aufgeführten methodischdidaktischen Vorgehensweisen und Ziele umsetzen, sind ein idealer Förderansatz zum Auf bau kindlicher Ressourcen, die für die 35 FI 1 / 2011 Den Übergang in die Grundschule psychomotorisch begleiten Bewältigung von Übergängen hilfreich sind. Es bedarf dabei nicht unbedingt gezielter präventiver Trainingsprogramme (vgl. Wustmann 2003), um Resilienz in Bildungs- und Erziehungsprozessen zu stärken. Eine vermehrte Berücksichtigung und Einbindung psychomotorischer Bewegungs- und Spielangebote in die Bildungspläne und -konzepte der Elementarpädagogik fördern in kindgerechter, freudvoller und gesundheitsfördernder Weise eben diese Kompetenzen und wirken zudem im Verbund mit anderen Maßnahmen der erschreckenden Entwicklung von Haltungsschwächen und Übergewicht im Kindergarten- und Grundschulalter entgegen. Alle Kinder profitieren von einer ressourcenorientierten (psychomotorischen) Förderung, aber insbesondere Kinder, die aus sehr unterschiedlichen Gründen auf Unterstützung im Bildungssystem angewiesen sind, erhalten durch eine derartige Förderung bessere Voraussetzungen. Prof. Dr. Astrid Krus Heinrich-Könn-Str. 215 D-40625 Düsseldorf Literatur Bertelsmann Stiftung (Hrsg.) (2006): Dreikäsehoch 2005. KiTa Preis zum Thema: Von der Kita in die Schule. Gütersloh Bertelsmann Stiftung (Hrsg.) (2007): Von der Kita in die Schule. Handlungsempfehlungen an Politik, Träger und Einrichtungen. Gütersloh Beudels, W./ Lensing-Conrady, R./ Beins, H. J. (2008): Das ist für mich ein Kinderspiel. Verlag modernes lernen Dortmund Borg-Laufs, M./ Fengler, J./ Krus, A. (2010): Wie lässt sich die Lernentwicklung unterstützen? Lernen und ressourcenorientierter Unterricht aus der Perspektive der Entwicklungspsychologie. Pädagogik, 6, 10, 40 -45 Bronfenbrenner, U. 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