eJournals Frühförderung interdisziplinär 30/1

Frühförderung interdisziplinär
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0721-9121
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
11
2011
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"Eltern und Kinder bewegen sich aufeinander zu"

11
2011
Jutta Schneider
In der Frühförderung gilt die Elternarbeit von jeher als tragendes Element und Qualitätsmerkmal in der Behandlung und Therapie von entwicklungsauffälligen und behinderten Kindern. Der Artikel thematisiert verschiedene Formen der Einbeziehung der Eltern und führt Vorteile einer gemeinsamen Förderung von Eltern und Kind(ern) aus. Dabei wird der psychomotorischen Förderarbeit zur Verbesserung der Eltern-Kind-Beziehung in der Altersspanne 3-6 Jahre besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Es soll gezeigt werden, welche Bedeutung insbesondere dem Körper und der Bewegung hinsichtlich der Beziehungsarbeit zukommen. Der Artikel beschreibt in Beispielen, wie in der inhaltlichen und methodisch-didaktischen Gestaltung psychomotorischer Angebote einzelne Beziehungsaspekte, beispielsweise Kontakt aufnehmen, Nähe - Distanz regulieren, Gefühle wahrnehmen und ausdrücken und Kooperieren umgesetzt werden können.
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37 Frühförderung interdisziplinär, 30. Jg., S. 37 -47 (2011) DOI 10.2378/ fi2011.art04d © Ernst Reinhardt Verlag ORIGINALARBEIT „Eltern und Kinder bewegen sich aufeinander zu“ Möglichkeiten psychomotorischer Angebote in der Eltern-Kind-Frühförderarbeit Jutta Schneider Zusammenfassung: In der Frühförderung gilt die Elternarbeit von jeher als tragendes Element und Qualitätsmerkmal in der Behandlung und Therapie von entwicklungsauffälligen und behinderten Kindern. Der Artikel thematisiert verschiedene Formen der Einbeziehung der Eltern und führt Vorteile einer gemeinsamen Förderung von Eltern und Kind(ern) aus. Dabei wird der psychomotorischen Förderarbeit zur Verbesserung der Eltern-Kind- Beziehung in der Altersspanne 3 - 6 Jahre besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Es soll gezeigt werden, welche Bedeutung insbesondere dem Körper und der Bewegung hinsichtlich der Beziehungsarbeit zukommen. Der Artikel beschreibt in Beispielen, wie in der inhaltlichen und methodisch-didaktischen Gestaltung psychomotorischer Angebote einzelne Beziehungsaspekte, beispielsweise „Kontakt aufnehmen“, „Nähe - Distanz regulieren“, „Gefühle wahrnehmen und ausdrücken“ und „Kooperieren“ umgesetzt werden können. Schlüsselwörter: Elternarbeit/ -beratung, Eltern-Kind-Beziehung, Psychomotorische Förderarbeit, Körper, Bewegung, Frühförderung “Parents and Children are Getting Closer” Possibilities of Psychomotor Activities in Early Parents-Child-Intervention Summary: In early intervention the parents counseling has been a basic element and characteristic quality feature in the treatment of handicapped children. The paper deals with various methods of parents’ participation and stresses the benefit of shared activities. A special concern refers to psychomotor interventions with children between 3 -6 years, focusing on the relevance of body and motor activity for personal relationships. The article gives practical examples of movement interventions concerning the following aspects: getting in touch with each other, closeness and distance, experience and expression of emotions and interaction/ cooperation. Keywords: Parents support/ counseling, Parent-child-relationship, Psychomotor therapy, Body, Motor activity, Early intervention Eltern-Kind-Arbeit in der Frühförderung I n der Frühförderung gilt die Elternarbeit von jeher als tragendes Element und Qualitätsmerkmal in der Behandlung und Therapie von entwicklungsauffälligen und behinderten Kindern. Allgemein lassen sich unter dem Begriff Elternarbeit vielfältige Formen des Zusammenwirkens von Eltern und Fachleuten hinsichtlich Pflege, Erziehung, Entwicklung, Behandlung sowie sozialer Integration des in seiner Entwicklung gefährdeten und beeinträchtigten Kindes subsumieren (vgl. Warnke 2000, 156). Die Familienorientierung als inhaltliches Gestaltungsprinzip von Frühförderprozessen trägt der Tatsache Rechnung, dass die kindliche 38 FI 1 / 2011 Jutta Schneider Entwicklung in hohem Maße von den engsten Bezugspersonen und dem sozialen Umfeld abhängig ist. Darüber hinaus sprechen aktuell auch neue Erkenntnisse der Bindungsforschung sowie der Resilienz- und Risikoforschung dafür, Entwicklungsproblematiken in ihrem systemischen Kontext zu betrachten und Eltern bzw. die Familie in die Förderung mit einzubeziehen (Sohns, 2010; Ahnert 2004; Julius/ Gasteiger-Klipcera/ Kißgen 2009). Der Elternbegriff wird in den folgenden Ausführungen lediglich als Rollenbezeichnung und -zuschreibung verstanden, mit der gegenüberliegenden Rolle „Kind“. Es muss nicht näher differenziert werden, ob unter Eltern immer beide Elternteile, ein Elternteil, die alleinerziehende Mutter, der Pflegevater o. Ä. gemeint sind. Für die Durchführung von Eltern-Kind-Interventionen ist es primär von Bedeutung, dass mindestens eine Person in der Rolle der Eltern anwesend ist. Steinebach (1997, S. 15f) beschreibt fünf Ebenen familienbzw. elternbezogener Beratungsangebote in der Frühförderung: 1. Elternberatung (Information über Mittel und Ziele der Förderung; Entwerfen eines gemeinsamen Förderplans) 2. Erziehungsberatung (Reflexion von erziehungsbezogenen Einstellungen; Veränderung des Erziehungsverhaltens) 3. Entwicklungsberatung (Information und Reflexion von Entwicklungsnormen, Gestaltung einer angemessenen Entwicklungsumwelt) 4. Familienberatung (Optimierung des Familiensystems, Veränderung familialer Kommunikationsmuster und Auf bau wechselseitiger Unterstützung) 5. Familientherapie (Analyse des bestehenden Problems und Auf brechen energiebindender Problemlagen) Neben eher klassischen Formen der Elternarbeit, wie Hospitation, Beratungsgespräch oder Hausbesuch haben sich in den letzten Jahren in der Frühförderpraxis - auch über die Altersspanne 0 - 3 Jahre hinaus - (gruppenbezogene) Eltern-Kind-Interventionen etabliert und als effizientes Förderangebot bewährt. Diese Entwicklung soll im Folgenden kurz erläutert werden. Im Gegensatz zu früher werden heute immer mehr Kinder mit allgemeinen Entwicklungsverzögerungen und psychosozialen Verhaltensauffälligkeiten in Frühförderstellen vorstellig (Mayr 1997). Besonders bei psychoemotionalen und sozialen Problemlagen spielt das häusliche Umfeld - sowohl in der Genese der Auffälligkeiten als auch in der Therapie - eine wichtige Rolle. Beziehungsstörungen zwischen Eltern und Kind sowie mangelnde elterliche Anregung und Unterstützung sind häufig ausschlaggebend für die Entwicklungs- und Verhaltensschwierigkeiten des Kindes. Die gemeinsame Behandlung von Eltern und Kind bietet gute Bedingungen, um Eltern für kindliche Bedürfnisse, Probleme und Ressourcen zu sensibilisieren und positive Interaktions- und Beziehungserfahrungen zwischen den Eltern und Kindern zu ermöglichen. Eltern-Kind-Angebote eignen sich daher für die Frühförderung dieser Klientel besonders. Des Weiteren zeigen Erfahrungsberichte aus Frühförderkontexten, dass viele Familien konkrete Anleitung und Hilfe benötigen. Vor allem stark belastete, sozial schwache oder Familien aus bildungsfernen Schichten haben einen hohen Bedarf an handlungsorientierten und anschaulichen Formen der Elternarbeit. Rein verbale Formen der Elternarbeit (Beratungsgespräche jeglicher Art) verlangen von Eltern häufig eine zu hohe Selbstreflexionsfähigkeit und Handlungskompetenz in Bezug auf besprochene Themen und Inhalte. Bei Eltern mit eigenen negativen (traumatischen) Beziehungs- und Erziehungserfahrungen und 39 FI 1 / 2011 „Eltern und Kinder bewegen sich aufeinander zu“ emotional belasteten Eltern können diese Fähigkeiten nicht immer vorausgesetzt werden. Das Verstehen kindlicher Äußerungsformen sowie deren Betrachtung im Zusammenspiel mit dem eigenen Handeln (Reflexion) ist für diese Eltern häufig nur in konkret erlebten und durch Fachleute begleiteten Beispielsituationen möglich. Eltern-Kind-Interventionen ermöglichen den Eltern, das eigene Beziehungs- und Erziehungsverhalten sowie die dahinterliegenden Motivationen und Haltungen zu reflektieren und zu erkennen und darauf aufbauend durch Anleitung und Vorbild der Fachkraft das eigene Verhalten bewusst zu ändern. Sie können als sehr konkretes Hilfeangebot gewertet werden, das auf mehreren Ebenen (siehe Steinebach) ansetzt und Entwicklungs-, Beziehungs-/ Familien- und Erziehungsthematiken integrativ in den bestehenden Abhängigkeiten berücksichtigt. Die nachfolgenden Ausführungen sollen zeigen, welchen Beitrag psychomotorische Spiel- und Bewegungsanlässe in der Eltern-Kind- Förderung leisten können und welche Bedeutung dem Körper hinsichtlich der Beziehungsarbeit zukommt. Im Mittelpunkt soll die Altersspanne 3 - 6 Jahre stehen. Die gemeinsame Behandlung von Eltern und Kindern kann dabei als Gruppen- oder Einzelförderung (ein Eltern-Kind-Paar) angeboten werden und ist in unterschiedlichen Settings (Turnhalle, Förderraum, bei der Familie zu Hause, in Kindertageseinrichtungen etc.) denkbar. Psychomotorische Förderarbeit zur Stärkung der Eltern-Kind- Beziehung „Sich aufeinander zu bewegen“ - schon diese Redewendung bringt zum Ausdruck, dass In- Kontakt-Treten und das Aufnehmen einer Beziehung immer etwas mit Bewegung zu tun hat. „Kon-takten heißt wörtlich, mit jemandem über die Haut Berührung haben“ (Anders/ Weddemar 2001). Haut und Berührung, im weiter gefassten Sinne also der Körper und die Bewegungshandlung, sind demnach als unabdingbare Voraussetzungen des zwischenmenschlichen Miteinanders zu verstehen. Die Psychomotorik schenkt diesen beiden Aspekten - Körper und Bewegung - größte Aufmerksamkeit. Sie beschreibt kindliche Persönlichkeitsentwicklung als Entwicklung in und durch Bewegung. Der Bewegungshandlung, in der Bewegung, Wahrnehmung, Kognition und emotionales Erleben eine untrennbare Einheit bilden, kommt die entwicklungs- und identitätsstiftende Funktion zu. In der handelnden, interaktiven Auseinandersetzung des Individuums mit seiner sozialen und materialen Welt wird die Motorik als bewusstes und unbewusstes Bewegungsgesamt des Menschen zur wichtigen Grundlage der Handlungs- und Kommunikationsfähigkeit (Fischer 2009) und dient als Medium zur Aneignung der (Um-)Welt. Entwicklung wird demnach erstens verstanden als subjektive Sinn-Konstruktion des sich entwickelnden Individuums, d. h. Handlungen, Personen und Gegenstände der Umwelt sind nicht per se entwicklungsbedeutsam, sondern erhalten ihre Bedeutung nur durch subjektive Sinnzuschreibungen und Bedeutungsimplikationen der jeweiligen Person. Die zweite Perspektive betont die Bedeutung interaktiver, sozialer Prozesse für Entwicklung. Entwicklung ist immer gebunden an die Interaktion zwischen Person und Umwelt, an Beziehungen, gemeinsame Aushandlungsprozesse und soziales Feedback. „Zur Entwicklung braucht das Kind Sozialpartner, vor allem Eltern, Geschwister und Gleichaltrige, sowie die Zeit und den Raum für gemeinsame Aktivität“ (Seiler 1991). Bislang wurde der Stellenwert der Beziehung im psychomotorischen Diskurs vorrangig im Hinblick auf die Beziehung zwischen Psy- 40 FI 1 / 2011 Jutta Schneider chomotoriker und Kind thematisiert und als Wirkfaktor professioneller psychomotorischer Arbeit erforscht. In jüngerer Zeit rückt auch, begünstigt durch Erkenntnisse der Bindungsforschung, die Eltern-Kind-Beziehung und deren Förderung durch psychomotorische Angebote in den Fokus des Interesses. Aus dem der Psychomotorik zugrunde liegenden Entwicklungsverständnis (s. o.) lassen sich drei Funktionen ableiten, die auch für die Eltern-Kind-Arbeit von Bedeutung sind: 1. Bewegung als emotional-körperliche Erfahrung, 2. Bewegung als Mensch-Welt-Dialog und 3. Bewegung als soziales Handlungsmuster. Wie aus den drei Funktionen hervorgeht, sind der Bewegung sowohl personale als auch soziale Erfahrungsfelder immanent, wobei der Körper als Fundament der Bewegungshandlung eine besondere Position einnimmt. Durch ihre systemisch-ökologische Orientierung betrachtet die Psychomotorik Kind und Bezugsperson als Entwicklungspartner. Eine Entwicklungsförderung kann und sollte deshalb mit wechselseitiger Fokussierung bei beiden Partnern ansetzen und damit die Interaktionsmuster und Beziehungsstrukturen von beiden Seiten beeinflussen. Beispiele psychomotorischer Förderarbeit zu ausgewählten Beziehungsthemen Kontakt aufnehmen Wie kann ich eine Beziehung zu meinem Kind auf bauen? Wie kann ich in Kontakt treten? Diese Fragen beschäftigen viele Eltern. Sie erleben wiederholt in alltäglichen Situationen, dass sich die Kontaktaufnahme und das Im-Kontakt-Bleiben mit ihrem Kind schwierig gestaltet. Sie haben den Eindruck, von ihrem Kind nicht wahrgenommen zu werden oder unangemessene Reaktionen zu ernten. „Der will ja nicht mit mir spielen! “ - oder „Der ist mit seinen Gedanken woanders und reagiert gar nicht, wenn ich ihn anspreche! “ - solche Aussagen von Eltern sind in Frühförderkontexten keine Seltenheit. In anderen Fällen finden zwar gemeinsame Aktionen von Eltern und Kindern statt, allerdings ist keine emotionale Verbindung spürbar. Initiativen der Beteiligten laufen eher nebeneinander als miteinander ab. Kontakte werden auf funktionale Aspekte reduziert, z. B. hilft die Mutter dem Kind zwar beim Anziehen, jedoch ohne mit ihm zu sprechen oder es liebevoll am Körper zu berühren. Es geht lediglich darum, die Aufgabe - in diesem Fall das Anziehen - möglichst schnell zu bewältigen. Diese Eltern müssen lernen, Kontakt- und Beziehungsmomente herzustellen. Kontakt ist etwas Wechselseitiges, ein Hin und Her zwischen Kind und Erwachsenen. In der psychomotorischen Förderarbeit lassen sich Beziehungsauf bau und Kontaktaufnahme sehr gut mit einem Ball oder auch Luftballon gestalten. Im Hin- und Herwerfen, Rollen oder Schießen des Balles konzipiert sich ein einfaches, gemeinsames Miteinander, in dem das Abgeben und Aufnehmen des Balles als ein befriedigender Kontaktrhythmus zwischen Kind und Eltern erlebt wird. Das Ballspiel impliziert auf spielerische und freudvolle Art und Weise die Thematik der Achtsamkeit. Wie kann ich dich erreichen? Was und wie muss ich etwas tun, um bei dir anzukommen? Kontaktmomente genießen Sind erste Kontaktmomente im gemeinsamen Bewegungsspiel entstanden, geht es vor allem darum zu lernen, diese Momente auszukosten und zu genießen. Im hektischen und teilweise problembelasteten Alltag rei- 41 FI 1 / 2011 „Eltern und Kinder bewegen sich aufeinander zu“ hen sich zu erledigende Aufgabe und gemeinsame Tätigkeiten von Eltern und Kindern oft übergangslos aneinander. Positive Erlebnisse und Glücksmomente werden übergangen oder können erst gar nicht entstehen, weil die dafür notwendigen, kurzen Momente des Innehaltens, des sich gegenseitig Beachtung Schenkens und des gemeinsamen Genießens fehlen. An dieser Stelle liegt der Fokus der Förderarbeit primär auf der pädagogischen Begleitung der Bewegungssituation; der Inhalt des Bewegungsspiels ist als zweitrangig zu betrachten, wobei die angebotenen Inhalte eher beziehungsals aufgabenorientiert ausgerichtet sein sollten. Die Vorteile psychomotorischer Angebote sind allgemein darin begründet, dass das Bewegungsspiel als natürliche Ausdrucksform des Kindes sowie erlebnis- und ressourcenorientiertes Mittel unzählige freudvolle Erfahrungsmöglichkeiten bereit hält. Die Fachkraft hat die Aufgabe, Eltern und Kind für die „schönen“ Momente und gelungenen Interaktionen zu sensibilisieren und diese Momente bewusst erlebbar zu machen. Dies tut sie, in dem sie Eltern und/ oder dem Kind rückmeldet, was gerade zwischen ihnen passiert. Hier ist vor allem die Rückmeldung emotionaler, beziehungsstiftender Reaktionen wichtig. „ Ah, das freut dich, dass du der Mama den Ball so fest zuschießen kannst“ oder „Ich merke, es gefällt Ihnen zu sehen, dass Ihr Sohn so viel Spaß und Ausdauer im gemeinsamen Spiel zeigt“. Es geht demnach vor allem um das Hervorheben und Benennen von Initiativen und emotionalen Befindlichkeiten der Beteiligten und das Ermutigen, das Spiel für kurze Zeit zu unterbrechen, um die gelungene Interaktion gemeinsam genießen zu können. „Schauen Sie mal, wie glücklich Ihr Kind Sie anlächelt. Wie sehr er sich freut, wenn Sie seinen Schuss wie ein Reporter kommentieren. Das dürfen Sie jetzt ruhig mal genießen.“ Ziel des Vorgehens ist es, dass Eltern und später auch das Kind lernen, selbst eigene Initiativen und Gefühle im gemeinsamen Miteinander zu benennen und Reaktionen des Gegenübers wahrzunehmen. Dies macht Handlungen transparent und vorhersagbar und trägt dazu bei, dass Kontaktmomente und Interaktionen als positiv und bereichernd erlebt werden. Nähe und (Körper-)Kontakt spüren und erleben „Entwicklung und Erziehung ohne angenehme körperliche Berührung (…) sind undenkbar, denn positiv erlebte Berührung bedeutet Nicht-alleine-Sein, Sich-mit-jemanden-in- Kontakt-befinden, Geborgen-sein, Vertrauen- Können, Sich-fallen-lassen-Können, sowie die Förderung körperlicher Stärkung und geistiger Entfaltung“ (Anders/ Weddemar 2001). Das Zitat macht deutlich, welche Relevanz körperliche Nähe für die kindliche Entwicklung und das menschliche Dasein und Wohlbefinden insgesamt hat. Auch die Redewendung „Streicheleinheiten für die Seele“ stellt die Verbindung körperlicher Berührungen und psycho-emotionaler Wirkungen heraus. Mangelnder Körperkontakt hat demnach auch fehlende emotionale und soziale Zuwendung zur Folge und kann zu tiefgreifenden Entwicklungsstörungen führen. Umgekehrt können auch Verhaltens- und Entwicklungsauffälligkeiten den Kontakt zwischen Eltern und Kind belasten und körperliche Zuwendungen erschweren. Die psychomotorische Praxis beinhaltet vielfältige Angebote zur taktilen Stimulation und Möglichkeiten, den eigenen und andere Körper zu spüren. Spielerische und erlebnisorientierte Körpermassagen beispielsweise tragen nicht nur zur körperlichen Bewusstwerdung und zur Verbesserung des Körperschemas bei, sondern können positive Gefühle bei bei- 42 FI 1 / 2011 Jutta Schneider den Partnern wecken, (Ver-)Spannungen lösen und zur inneren Ausgeglichenheit beitragen. Massagen vermitteln zwischen Innen und Außen und zwischen zwei Menschen. Wenn sich direkter Körperkontakt zwischen Eltern und Kind als problematisch erweist, können Materialien, wie Rollen, Pinsel, Tücher und Bälle zur Vermittlung eingesetzt und Körperkontakt nach und nach angebahnt werden. Auch Bewegungen, die durch sanfte Übergänge und gleichmäßige, harmonische Abläufe gekennzeichnet sind, wie Schaukeln, Schwingen und Wiegen, fördern bei Kind und Eltern ein Gefühl von Beständigkeit und Sicherheit, von Zuwendung und Vertrauen (Seewald 1992). Hier bietet sich gemeinsames Schaukeln in Hängematten, Mattenschaukeln o. Ä. an sowie das Gewiegtwerden in einer großen Decke oder einem Tuch. Ähnlich wohltuende Gefühle von Geborgenheit und Nähe finden Kinder und Eltern in Situationen, in denen sie die Gelegenheit haben, sich gegenseitig in Decken und Tücher einzuwickeln, sich mit Materialien wie Sandsäckchen zu belegen oder sich gemeinsam eine gemütliche Höhle oder Haus zu bauen, das Wärme ausstrahlt und einen Rückzugsort für Zweisamkeit bietet. Gefühle und Befindlichkeiten wahrnehmen, erkennen und berücksichtigen Über den Körper erleben Eltern und Kinder ihre Befindlichkeit und bringen ihre Gefühle zum Ausdruck. Der Körper ist Spiegel ihres psychischen Erlebens, was sich gerade bei kleinen Kindern sehr deutlich in der Verknüpfung von Gefühlen und Körperausdruck zeigt (z. B. wütend mit den Füßen stampfen, freudig mit den Armen winken, sich trotzig auf den Boden werfen). Die Körpersprache läuft in der Regel unbewusst ab und gilt daher als authentisch und ehrlich. Non-verbale Kommunikationsformen vermitteln primär Informationen und Mitteilungen auf Beziehungsebene. Bei gestörten Kommunikationsabläufen zwischen Kind und Eltern stimmen verbale und nonverbale Aussagen oft nicht überein, sodass es zu widersprüchlichen und missverständlichen Mitteilungen kommt. In der Frühförderarbeit mit entwicklungs- und verhaltensauffälligen Kindern ist häufig zu beobachten, dass sowohl Kind als auch Eltern Probleme haben, eigene Gefühle zum Ausdruck zu bringen und die Gefühle und Bedürfnisse ihres Gegenübers wahrzunehmen und zu erkennen. Diese Fähigkeiten können beispielsweise in Rollenspielen geübt werden. Sie bieten die Möglichkeit, sich mit anderen Personen zu identifizieren, in deren Rolle zu schlüpfen und aus ihrer Sicht zu handeln und zu empfinden. Mit psychomotorischen Materialien lassen sich vielfältige und veränderbare Settings für Rollenspiele gestalten und nachstellen. So wird mit wenigen Handgriffen aus einem Rollbrett das Auto der Familie oder aus Schaumstoffwürfeln, Decken und Tüchern ein Haus. Durch Bewegungshandlungen können Erlebnisse von Eltern und Kind nachgespielt, Gefühle erkannt und verarbeitet sowie Handlungen erprobt und verändert werden. Darstellende Spielformen und das Spiel mit Mimik und Gestik lassen Kinder und Eltern Gefühle bewusster wahrnehmen und unterscheiden. So können Kind und Eltern beispielsweise vor einem großen Spiegel verschiedene Gesichtsausdrücke ausprobieren und gemeinsam erarbeiten, welches Gefühl durch welche Mimik zum Ausdruck kommt. Anschließend kann das Kind eine imaginäre Gesichtsmaske aufsetzen, während die Mutter raten soll, wie es ihrem Kind gerade geht bzw. welches Gefühl es vermitteln möchte. Dies trägt dazu bei, dass Eltern und Kinder für gegenseitige Gefühlsregungen sensibili- 43 FI 1 / 2011 „Eltern und Kinder bewegen sich aufeinander zu“ siert und sicherer im Umgang mit eigenen und fremden Gefühlsausdrücken werden. Auch die Arbeit mit Gefühlskarten kann problemlos in psychomotorische Stunden integriert werden, z. B. erhält jedes Eltern- Kinder-Paar verschiedene Gefühlskarten in (mehrfacher Ausfertigung). Damit sollen die einzelnen Bewegungsstationen „bewertet“ werden. Die Station, die am meisten Freude bereitet hat, bekommt das lachende, freudige Gesicht, die Bewegungsaufgabe, die am meisten Überwindung gekostet hat, bekommt die Karte mit dem ängstlichen oder skeptischen Blick usw. Bei diesem Spiel wird auch deutlich, dass Eltern und Kind die Situationen nicht immer gleich empfinden und bewerten. Daraus ergibt sich wiederum ein wertvoller Austausch. Nähe und Distanz regulieren Die Entwicklung der kindlichen Persönlichkeit geschieht in einem Spannungsverhältnis, gekennzeichnet durch ein Streben nach Beziehung und sozialer Kontinuität einerseits und dem Streben nach Autonomie und Einzigartigkeit andererseits. Das Kind muss diesen Konflikt meistern, in dem es lernt, Nähe und Distanz zu regulieren und eine Balance zwischen dem Weiterbestehen der symbiotischen Beziehung (Bindungsverhalten) und wichtiger identitätsbildender Autonomieerfahrungen (Explorationsverhalten) zu finden. Vielen Frühförder-Kindern fällt dieses Ausbalancieren des Spannungsverhältnisses schwer. Ängstliche, unsichere Kinder halten zu sehr an ihrer Bezugsperson fest, sie zeigen nur wenig selbstständige Exploration. Kinder, deren Erwartungen hinsichtlich Zuwendung, Pflege und Bestätigung in der Vergangenheit häufig nicht erfüllt wurden, versuchen sich zu schützen, indem sie Distanz wahren. Diese Adaptionsprobleme gehen nicht alleine vom Kind aus. Haltung und Unterstützung der Eltern sind wichtige Einflussgrößen im Hinblick auf die Autonomieentwicklung des Kindes. Viele Eltern müssen lernen loszulassen, ihr Kind aktiv zur Exploration zu ermutigen oder es feinfühlig herauszufordern. Viele Bewegungsspiele thematisieren die Ambivalenz von Nähe und Distanz. Sie ermöglichen dem Kind und den Eltern in einem spielerischen Kontext mit den Polen Weggehen/ Selbstständigkeit und Wiederannäherung/ Beziehung zu experimentieren. Versteckspiele bieten beispielsweise die Chance, sich abzugrenzen, sich den Eltern kurzzeitig zu entziehen und eigenständig zu sein. Sie beinhalten aber auch die Sicherheit, wieder gefunden zu werden. Hier zeigt sich manchmal, dass Kinder die kurzfristige Autonomie und darin liegende Spannung nicht aushalten. Sie verlassen ihr Versteck frühzeitig oder geben den Eltern Zeichen, um gefunden zu werden. In Lauf- und Fangspielen erleben Kinder das Weglaufen und Verfolgtwerden als sehr reizvoll, wobei auch hier kleine Kinder den Moment des (Auf-)Gefangenwerdens bewusst provozieren (Seewald 1992). Prinzipiell wirkt sich eine wachsende Körperbeherrschung und Differenzierung der Bewegungskompetenz positiv auf die Selbstständigkeits- und Autonomieentwicklung des Kindes aus. Kinder im Alter von drei bis sechs Jahren befinden sich entwicklungsgemäß in der Phase der Vervollkommung vielfältiger Bewegungsfertigkeiten und der Aneignung erster Bewegungskombinationen. Die im Alter zwischen zwei und drei Jahren erprobten und entwickelten grundlegenden Bewegungstätigkeiten, wie Krabbeln, Stehen, Gehen, Laufen, Balancieren, Rollen, Klettern, Springen, Rutschen, Heben, Tragen, Werfen und Fangen müssen verbessert, feinmotorisch abgestimmt und koordiniert werden. Psychomotorische Bewegungsaufbauten und Gerätearrangements, die eine Vielzahl von Bewegungsausführungen und 44 FI 1 / 2011 Jutta Schneider Wahrnehmungserfahrungen ermöglichen, sowie Bewegungsspiele, wie beispielsweise Lauf- und Fangspiele, Ballspiele, Ring- und Raufspiele, Spiele mit Alltagsmaterialien, Schwungtuch, Seilchen, Reifen etc. können zur Erweiterung des Bewegungsrepertoires beitragen und stellen bedeutsame Förderinhalte zur Bewältigung der Entwicklungsherausforderung dar. Da das Kind in dieser Entwicklungsphase Vertrauen zu sich und anderen bilden soll, selbst entscheiden und kontrollieren dürfen sowie Initiativen entwickeln soll, spielen die Eltern, ihre Haltung und Unterstützung gegenüber dem Kind eine entscheidende Rolle. Es ist daher von Vorteil, wenn Eltern und Kinder Bewegungssituationen gemeinsam durchstehen und meistern. Eltern lernen dabei, die Fähigkeiten ihres Kindes besser einschätzen zu können, realistische Erwartungen an ihr Kind zu formulieren und angemessene Unterstützung zu leisten. Angemessene Unterstützung meint in diesem Fall auch, zu lernen, Zutrauen in das Kind und seine Fähigkeiten zu haben, Wagnisse zugunsten neuer Entwicklungsschritte einzugehen und das Kind „los lassen zu können“. Hierzu braucht es professionelle Anleitung und Begleitung. Kooperieren - sich als Team (Familie) erleben Unter Kooperation versteht man das Zusammenwirken von Handlungen zweier oder mehrerer Personen oder Systeme. Dieses Zusammenwirken von Eltern und Kind, z. B. in An- und Ausziehsituationen, im gemeinsamen Spiel oder bei alltäglichen Erledigungen wie Einkaufen oder Aufräumen stellt sich häufig als problematisch dar. Interaktionen innerhalb der Familie, auch zwischen den Eltern laufen nicht reibungslos ab, enden häufig im Streit oder mit Frustrationserlebnissen auf einer oder beiden Seiten. Auf Dauer manifestiert sich ein Gefühl von Hilfslosigkeit, Zweifel, Schuld und Frust bei den Beteiligten. Stresssituationen werden bewusst gemieden, positive Erlebnisse und ein Wir-Gefühl bleiben aus. In der Arbeit mit diesen Familien ist es vorrangig, Situationen zu schaffen, in denen sich Eltern und Kinder positiv wahrnehmen können. Sie brauchen vor allem freudvolle Erfahrungen miteinander und Gelegenheiten, gemeinsam zu lachen, albern zu sein und sich zu amüsieren. Psychomotorische Bewegungsangebote werden in der Regel als Gruppenförderung organisiert und beinhalten daher immer auch soziale (Lern-)Situationen für Eltern und Kind(er). In der Partnerschaft zwischen Eltern und Kind, aber auch innerhalb der Gruppe lernen die Klienten sich mitzuteilen, Sachverhalte zu verhandeln, Kompromisse einzugehen, miteinander zu kooperieren, Rücksicht zu nehmen, Verantwortung zu tragen, Einfühlungsvermögen zu zeigen und sich durchzusetzen. „Gemeinsames Aushandeln mit Spielpartnern und tätige Auseinandersetzungsprozesse führen genauso zu Handlungskompetenz wie zu Empathie“ (Fischer 2009). Da psychomotorische Angebote immer nach den methodisch-didaktischen Prinzipien der Freiwilligkeit, Entwicklungsgemäßheit, Selbsttätigkeit und Erlebnisorientierung gestaltet werden, bieten sie gute Voraussetzungen dafür, dass Bewegung freudvoll erlebt werden kann. Die Vermittlung von Inhalten geschieht durch Anregung, Impulsgebung und Aufgabenstellung. Die Psychomotorik versteht sich demnach als offenes, flexibles Konzept, in dem es keine richtigen oder falschen, sondern unterschiedlichste individuelle Lösungswege gibt. Kind und Eltern können ohne (Leistungs-)Druck und Zwang miteinander in Kontakt kommen, Materialien auf vielfältige Art und Weise erkunden und erproben und gemeinsame Spielhandlungen entwickeln. 45 FI 1 / 2011 „Eltern und Kinder bewegen sich aufeinander zu“ Hinsichtlich der inhaltlichen Gestaltung des Bewegungsangebots muss sich die Fachkraft folgende Fragen stellen: 1. Welche Materialien oder Spielformen sprechen Eltern und Kind an? Was interessiert sie? Was tun sie gerne? 2. Welche Art von Erfahrung wäre als nächster Schritt hilfreich? Welches Material bzw. welche Spielform ermöglicht diese Erfahrung? Das Thema Bauen und Konstruieren beispielsweise eignet sich in vielfältiger Hinsicht zur Förderung kooperativer Kompetenzen in der Arbeit mit Eltern-Kind-Paaren. Bauen ermöglicht Eltern und Kind einen individuellen, experimentierenden und kreativen Umgang mit unterschiedlichen Materialien und lässt eine Vielfalt von Handlungen und Lösungen zu. Kind und Eltern müssen Ideen entwickeln, sich einbringen und austauschen, Ideen verhandeln, von eigenen Wünschen und Vorschlägen Abstand nehmen und Kompromisse eingehen. Da sich im Bauen neben dem Objektspiel auch das Fantasiespiel wiederfindet, können aktuelle Themen, Bedürfnisse und Ereignisse in der Spielhandlung integriert und verarbeitet werden. Darüber hinaus wirkt es sich positiv auf das gemeinsame Miteinander aus, dass nicht das Ergebnis der Spielhandlung, sondern der Prozess des Bauens an sich bedeutsam ist. Auch in Bewegungsaufgaben, wie z. B. n Gemeinsam (mit Seilen o. Ä. an Händen oder Beinen verbunden) einen Parcours überwinden, n Sandsäckchen auf zwei Stäben transportieren (wobei jeder jeweils beide Stäbe an einem Ende festhält) oder n Gemeinsam auf zwei Zeitungsblättern eine Strecke zurücklegen (jeder stellt einen Fuß auf das eine und den anderen Fuß auf das zweite Blatt) können auf spielerische Weise kooperative Verhaltensweisen eingeübt und angebahnt werden. Eltern und Kind machen die Erfahrung, dass sie gemeinsam erfolgreich sein können und dass gemeinsame Aktivitäten Spaß machen. Sich gegenseitig helfen Die Bereitschaft, sich gegenseitig zu helfen und zu unterstützen, stellt einen Aspekt von Kooperation in zwischenmenschlichen Beziehungen dar. Hilfsbereitschaft und die Bereitschaft, füreinander da zu sein, sind gerade im Hinblick auf das familiäre Zusammenleben wichtige Eigenschaften. In Eltern-Kind- Gruppen können Fangspiele, in denen es einen oder mehrere Erlöser gibt, gespielt werden. Erlöser haben die Aufgabe, diejenigen, die bereits abgeschlagen/ gefangen wurden, zu erlösen, indem sie etwas Bestimmtes tun. Wird jemand erlöst, kann er wieder am Spielgeschehen teilhaben. Die Erlöser sind also in diesem Fall die Helfer. Die Fachkraft muss darauf achten, dass die Regeln den Fähigkeiten der Spieler angepasst sind, sodass das Helfen als lohnenswerte Aktion erlebt wird. Wird ein Kind beispielsweise selbst abgeschlagen, während es einer anderen Person hilft, wird es wohl kaum ermutigt, in einer nächsten Situation wieder Hilfe anzubieten. Des Weiteren bieten sich Spiele an, in denen einer (Kind und Eltern im Wechsel) zum Hilfebedürftigen gemacht wird, z. B. durch Verbinden der Augen. Der Helfer führt nun den Blinden durch den Raum oder hilft ihm beim Erklimmen des Mattenbergs. Solche Spiele können zusätzlich die Umkehrung der Rollenverteilung zwischen Eltern und Kind simulieren. So braucht der ansonsten dominante Vater plötzlich die Hilfe des kleinen Sohns, um sich im Raum bewegen zu können. Dies kann dazu führen, dass sich der Sohn wichtig und stark fühlt, was sich positiv auf 46 FI 1 / 2011 Jutta Schneider sein Selbstbewusstsein auswirkt und/ oder dem Vater verdeutlicht, wie es ist, in der Position des Schwächeren oder Hilfebedürftigen zu sein. Fazit Die Liste der Beispiele bewegungsbezogener Beziehungsarbeit könnte durchaus fortgeführt und ergänzt werden. Weitere Beziehungsaspekte, wie Führen und Folgen (Verantwortung übernehmen, sich behaupten, sich unterordnen), Vertrauen aufbauen oder Grenzen erkennen und akzeptieren können ebenso im psychomotorischen Bewegungsspiel thematisiert und bearbeitet werden. Darauf soll jedoch an dieser Stelle verzichtet werden. Die Wirksamkeit psychomotorischer Förderarbeit mit Eltern-Kind-Paaren lässt sich in der Frühförderpraxis immer wieder beobachten. Dies ist vor allem darauf zurückzuführen, dass Bewegungsangebote in höchstem Maße freudvolle Erlebnisse miteinander darstellen. Eltern und Kinder haben die Möglichkeit, sich in diesen Situationen „anders“ (als gewohnt) zu erleben. Positive Erlebnisse mit sich selbst und seinem Sozialpartner schaffen eine entspannte und ungezwungene Atmosphäre für einen fröhlichen Umgang miteinander. Darüber hinaus vermitteln Bewegungserfahrungen immer auch Selbstwirksamkeitserfahrungen. Eltern und Kinder erfahren über die körperliche Tätigkeit, dass sie selbst etwas bewirken können und dass sie - auch in der Interaktion miteinander - handlungskompetent sind. Der Körper ist Schlüssel zum Aufbau eines positiven Selbstkonzepts und eines gesunden Selbstbewusstseins. Besonders erstaunlich sind die Auswirkungen psychomotorischer Erfahrungen auf die elterlichen Körper- und Bewegungsbiografien. Die Eltern selbst entdecken eine neue Körperlichkeit, verarbeiten alte, eventuell auch negative Bewegungserfahrungen und (er-)finden sich selbst - ihre Persönlichkeit - neu. Diese Selbsterfahrungen und das daraus resultierende neue Verständnis von Bewegung sind Grundvoraussetzung dafür, Bewegung selbst positiv vermitteln und die Bedeutung körper- und bewegungsorientierter Förderarbeit für Entwicklungsprozesse nachvollziehen zu können. Dies alles spricht dafür, psychomotorische Eltern-Kind-Interventionen in der Behandlung von entwicklungsauffälligen Kindern weiter auszubauen und die feste Implementierung solcher Angebote voranzutreiben. Jutta Schneider Universität zu Köln Humanwissenschaftliche Fakultät Lehrstuhl für Bewegungserziehung Gronewaldstr. 2 a D-50931 Köln E-Mail: j.schneider@uni-koeln.de Literatur Ahnert, L. (2004): Frühe Bindung. Entstehung und Entwicklung. Ernst Reinhardt. München/ Basel Anders, W./ Weddemar, S. (2001): Häute schon berührt? Körperkontakt in Entwicklung und Erziehung. Borgmann. Dortmund Fischer, K. (2009 3 ): Einführung in die Psychomotorik. Ernst Reinhardt. München/ Basel Julius, H./ Gasteiger-Klipcera, B./ Kißgen, R. (Hrsg.) (2009): Bindung im Kindesalter. Diagnostik und Intervention. Hogrefe. Göttingen Mayr, T.: Problemkinder im Kindergarten - ein neues Aufgabenfeld der Frühförderung. In: Frühförderung Interdisziplinär, 16.Jg., (1997), S. 145 -159 Peterander, F./ Giardina, F.: Kooperation zwischen Fachleuten und Eltern. In: Peterander, F. (1996): Helios II Final Report of the thematic group 1 “Early Intervention” of the HELIOS II programme of the European Commission DG V and DG XXII, Brussels, 75 -78 47 FI 1 / 2011 „Eltern und Kinder bewegen sich aufeinander zu“ Seewald, J. (1992): Leib und Symbol. Fink. München Seiler, T. B. (1991): Entwicklung und Sozialisation: Eine strukturgenetische Sichtweise. In Hurrelmann/ Ulich (Hrsg.) (1991): Das neue Handbuch der Sozialisationsforschung. Beltz. Weinheim. 99 -119 Sohns, A. (2010): Frühförderung. Ein Hilfesystem im Wandel. Kohlhammer. Stuttgart Sohns, A. (2000): Frühförderung entwicklungsauffälliger Kinder in Deutschland. Beltz. Weinheim/ Basel Steinebach, C.: Familienberatung in der Frühförderung. Bedingungen und Wirkungen aus der Sicht der Mütter. 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