Frühförderung interdisziplinär
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0721-9121
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2012
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Zusammenarbeit zwischen Frühförderstellen und Kindertageseinrichtungen bei der Diagnostik und Förderung von Kindern im Vorschulalter
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Christina Seelhorst
Silvia Wiedebusch
Christoff Zalpour
Johannes Behnen
Jürgen Patock
Zum Thema der Vernetzung von Kindertageseinrichtungen und Frühförderstellen sowie zur Gestaltung der Kooperationsbeziehungen liegen bislang nur wenige Daten vor. Wie diese Zusammenarbeit von Erzieherinnen1 und Frühförderinnen in Bezug auf die Informationskultur realisiert wird, wurde daher mittels einer Querschnittstudie untersucht. Auf Basis von Qualitätskriterien für eine gute Zusammenarbeit und unter Beachtung der institutionellen Rahmenbedingungen wurde ein Fragebogen entwickelt, den 143 Erzieherinnen aus niedersächsischen Kindertageseinrichtungen beantworteten. Es zeigt sich eine Schnittstellenproblematik in der Zusammenarbeit, da die vorherrschende Kontaktart zwischen den Beteiligten das "Tür-und-Angelgespräch" ist und es im Bereich der Förderung kaum Rückkopplungsprozesse von den Frühförderinnen zu den Erzieherinnen gibt.
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178 Frühförderung interdisziplinär, 31. Jg., S. 178 -186 (2012) DOI 10.2378/ fi2012.art12d © Ernst Reinhardt Verlag ORIgInalaRbEIt Zusammenarbeit zwischen Frühförderstellen und Kindertageseinrichtungen bei der Diagnostik und Förderung von Kindern im Vorschulalter Christina Seelhorst, Silvia Wiedebusch, Christoff Zalpour, Johannes Behnen, Jürgen Patock Zusammenfassung: Zum Thema der Vernetzung von Kindertageseinrichtungen und Frühförderstellen sowie zur Gestaltung der Kooperationsbeziehungen liegen bislang nur wenige Daten vor. Wie diese Zusammenarbeit von Erzieherinnen 1 und Frühförderinnen in Bezug auf die Informationskultur realisiert wird, wurde daher mittels einer Querschnittstudie untersucht. Auf Basis von Qualitätskriterien für eine gute Zusammenarbeit und unter Beachtung der institutionellen Rahmenbedingungen wurde ein Fragebogen entwickelt, den 143 Erzieherinnen aus niedersächsischen Kindertageseinrichtungen beantworteten. Es zeigt sich eine Schnittstellenproblematik in der Zusammenarbeit, da die vorherrschende Kontaktart zwischen den Beteiligten das „Tür-und-Angelgespräch“ ist und es im Bereich der Förderung kaum Rückkopplungsprozesse von den Frühförderinnen zu den Erzieherinnen gibt. Schlüsselwörter: Frühförderstellen, Kindertageseinrichtungen, Diagnostik, Frühförderung Collaboration of early intervention centers and child day care institutions with respect to diagnosis and intervention of preschool children Summary: Addressing issues related to networking between day-care centers and early intervention centers as well as the design of cooperative relations, only little data is available. How collaboration of preschool teachers and early intervention workers in terms of information flow is put into practice has been investigated by a cross-sectional study. On the basis of quality criteria for good collaboration and in accordance with the institutional parameters, a questionnaire has been developed, which 143 preschool teachers answered. It turned out an interface problem at the collaboration due to the fact, that an informal conversation in passing constitutes was the predominant type of contact between involved parties. Early intervention workers provide hardly any feedback to preschool teachers, especially concerning early intervention. Keywords: Early intervention centres, child day care institutions, diagnosis, early intervention Ausgangslage S eit der Verabschiedung der UN-Konvention über die Rechte der Menschen mit Behinderungen im März 2009 ist Inklusion eine Rechtsnorm (Thurmair & Naggl, 2010). Dementsprechend formuliert das SGB für die Frühförderstellen (§ 4 Abs. 3 SGB IX) und Kindertageseinrichtungen (§ 22 a Abs. 2 S. 4 SGB VIII) einen gesetzlichen Auftrag zur Integration von Kindern mit besonderen Bedürfnissen. Für eine erfolgreiche Umsetzung dieser Aufforderung ist eine gute Zusammenarbeit von Kindertageseinrichtungen und externen Unterstützersystemen, wie beispielsweise Frühförderstellen, von entscheidender Be- 1 Da die Fachkräfte im pädagogischen bereich vorwiegend weiblich sind, wird im Folgenden die feminine Form verwendet. Die maskuline Form ist selbstverständlich immer mit eingeschlossen. 179 FI 4 / 2012 Zusammenarbeit zwischen Frühförderstellen und Kindertageseinrichtungen deutung (Sarimski, 2008). Kindertageseinrichtungen leisten als erste Institution, die fast alle Kinder erreicht, durch den Einsatz von Sreening-Verfahren einen wichtigen Beitrag zur Früherkennung von Entwicklungsverzögerungen und Verhaltensauffälligkeiten, sodass eine gezielte und frühzeitige Förderung der Kinder möglich ist (Koglin et al., 2008; Tröster, 2010; Wiedebusch & Petermann, 2011). Frühförderstellen haben die Möglichkeit, durch systemeigene Ressourcen und Erfahrungen (Thurmair & Naggl, 2010) in der Funktion als Kooperationspartner der Kindertageseinrichtungen, die Kompetenzen der Erzieherinnen auszubauen sowie Bildungsprozesse der Kinder zu initiieren und zu unterstützen (Scholz-Thiel, 2010; Mirbach et al., 2007). Die entstehenden Synergieeffekte können dazu beitragen, dass Frühförderstellen und Kindertageseinrichtungen den gesetzlichen Auftrag zur Integration mit entsprechender Qualität verwirklichen und umsetzen (Thurmair & Naggl, 2010). Die frühpädagogische Praxis zeigt jedoch, dass hier „(…) massive Diskrepanzen zwischen Anspruch und verwirklichter interinstitutioneller Zusammenarbeit zu konstatieren sind“ (Koslowski, 2009, 127). Frühförderung in Niedersachsen In Niedersachsen wird die Kooperation beider Einrichtungen in den Niedersächsischen Landesrahmenempfehlungen (LRE) für Frühförderung und dem Orientierungsplan für Kindertageseinrichtungen in Niedersachsen (NOP) gefordert. Die LRE regeln neben den Arbeitsabläufen (s. Abb. 1) sowie den fachlichen und strukturellen Rahmenbedingungen auch die Vergütung der Frühförderung. Besonders hervorzuheben ist, dass die LRE Niedersachsen nicht nur ausführlich die einzelnen Aufgabenfelder der interdisziplinären Frühförderung beschreibt, sondern auch explizit auf eine handlungs- und alltagsorientierte Diagnostik und Förderung hinweist (Sohns, 2010). Die Alltags- und Lebensweltorientierung wird durch die Auflistung der familien- und systembezogenen Leistungen, die sich ausdrücklich auf „Eltern, Geschwister und/ oder andere Bezugspersonen“ (§ 13 Abs. 1 LRE) beziehen, verdeutlicht. Bestandteil dieser Leistungen sind z. B. die „Anleitung und Hilfe bei der Gestaltung des Alltags“ oder „die Anleitung zur Einbeziehung in Förderung und Behandlung“ (§ 13 Abs. 2 LRE). Bis heute Kindertageseinrichtung Eltern Pädiater Entwicklungsdokumentation* Erstgespräch und anamnese heilpädagogische Diagnostik psychologische Diagnostik therapeutische Diagnostik ärztliche Diagnostik erstellt verantwortlich unterzeichnet Ärztliche Leistungen, Teilnahme an Teamsitzungen Rückmeldung* Erörterung und Beratung* Anleitung, Beratung, Einbeziehung, Austausch* Interdisziplinäre Diagnose Interdisziplinäre Förder- und behandlungsplanung** antragstellung mobile Frühförderung** ambulante Frühförderung** * gilt nur bei Zustimmung der Eltern (Schweigepflichtentbindung) ** in Zusammenarbeit mit den Eltern abb. 1: ablauf der interdisziplinären Frühförderung nach lRE niedersachsen 180 FI 4 / 2012 Christina Seelhorst et al. ist aber keine flächendeckende verbindliche Umsetzung dieser Empfehlungen erfolgt (ISG-Bericht, 2008; Sohns, 2010). Gemeinsame Aufgaben von Kindertageseinrichtungen und Frühförderstellen Verknüpfungspunkte beider Einrichtungen finden sich in den Bereichen Früherkennung, Beratung und Anleitung, Förderung von Kindern und Weitervermittlung an andere soziale Dienste (Mayr, 1998). Der NOP und die LRE zeigen auf, welche Aufgaben und Leistungen die beteiligten Einrichtungen in diesen Arbeitsbereichen zu erfüllen haben (s. Tab. 1). Kindertageseinrichtungen und Frühförderstellen haben demnach ähnliche Aufgaben, allerdings setzen sie zum Teil unterschiedliche Schwerpunkte. In Studien zu den Kooperationsstrukturen von Frühförderstellen wurden bislang nur intrainstitutionelle Kooperationen, d. h. die Zusammenarbeit der verschiedenen Professionen innerhalb der Institution Frühförderung, untersucht, während interinstitutionelle Kooperationen nur vereinzelt Beachtung fanden. Daten aus empirischen Untersuchungen liegen hier auch vonseiten der Bildungsforschung kaum vor (Fröhlich- Gildhoff & Kraus-Gruner, 2011). Vorhandene Ergebnisse zu den Kommunikations- und Informationsstrukturen zeigen zwar, dass regelmäßige Kontakte zwischen den beteiligten Berufsgruppen der beiden Institutionen stattfinden, sagen aber nichts über die Art und die Qualität dieser Kontakte aus. Dies ist Thema der vorliegenden Studie, die im Rahmen des Projektes IFFEK(t) der Hochschule Osnabrück durchgeführt wurde, welches das Ziel verfolgt, ein Kommuni- Arbeitsfelder Aufgaben der Erzieherinnen nach NOP Aufgaben der Frühförderinnen nach LRE Früherkennung n regelmäßige beobachtung und Dokumentation n Erkennen von Entwicklungsrisiken n interdisziplinäre Eingangs-, Verlaufs- und abschlussdiagnostik n Erstgespräch n anamnestische gespräche (auch mit außerfamiliären bezugspersonen) beratung und anleitung n Erziehungspartnerschaft mit den Eltern n regelmäßige gespräche mit den Eltern über die Entwicklung des Kindes n gegenseitige kollegiale beratung n offenes beratungsangebot n alltagsunterstützende Zusammenarbeit mit den Familien/ bezugspersonen Förderung/ behandlung von Kindern n Integrationsauftrag n Förderung von Erziehungs- und bildungsprozessen n Erstellen individueller Förderangebote n heilpädagogische und medizinischtherapeutische leistungen n in Zusammenarbeit mit der Familie und/ oder wesentlichen bezugspersonen n alltags- und lebensweltorientiert Weitervermittlung n Zusammenarbeit mit sozialen Diensten n gegebenenfalls Expertenwissen hinzuziehen n Vermittlung von weiteren Hilfs- und beratungsangeboten n Zusammenarbeit mit weiteren Diensten und Einrichtungen tab. 1: aufgaben zu gemeinsamen arbeitsfeldern von Kindertageseinrichtungen und Frühförderstellen 181 FI 4 / 2012 Zusammenarbeit zwischen Frühförderstellen und Kindertageseinrichtungen kations- und Informationskonzept für die Interdisziplinäre Frühförderung zu entwickeln und dieses in der Praxis zu erproben und zu evaluieren. Stichprobenbeschreibung und Erhebungsinstrument 192 Erzieherinnen aus regionalen Kindertageseinrichtungen in der Stadt Osnabrück und dem Landkreis Cloppenburg erhielten einen Fragebogen. Davon wurden 143 Fragebögen vollständig beantwortet; die Rücklaufquote betrug 74,5 %. Von den befragten pädagogischen Fachkräften waren 98,6 % Erzieherinnen und 1,4 % Erzieher. Die Befragten waren zwischen 23 und 65 Jahren alt, mit einer durchschnittlichen Berufserfahrung von 19,4 Jahren. Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit Frühförderinnen hatten 129 Erzieherinnen (91,4 %). Der Fragebogen enthielt - jeweils getrennt nach den Schlüsselprozessen Diagnostik und Förderung - Items zur Gesprächs- und Kontakthäufigkeit, zu den Kontaktarten und dem Informationsaustausch. Des Weiteren wurden Fragen zur Zufriedenheit der Erzieherinnen bezüglich der Gesprächszeit, des Informationsgehaltes und ihrem Rollenempfinden gestellt. Die Validierung des Fragebogens erfolgte durch eine Expertenbefragung. Mithilfe eines Pretests wurde überprüft, ob die im Erhebungsinstrument verwendeten Fragen disjunkt, erschöpfend und verständlich sind. Das Erhebungsinstrument wurde den Leitungen der Kindertageseinrichtungen persönlich ausgehändigt, um Nachfragen zu ermöglichen und die Rücklaufquote zu erhöhen. Resultate Im Folgenden werden zentrale Ergebnisse der Befragung berichtet; eine ausführliche Darstellung findet sich bei Seelhorst (2011). Informationen zum Thema Frühförderung erhielten die Erzieherinnen hauptsächlich von den Frühförderinnen selbst (78,3 %) und durch den Austausch mit Kolleginnen (71,3 %). Bei der Frage, wer am häufigsten zuerst den Frühförderbedarf bei einem Kind anspricht, sahen sich die Erzieherinnen zu 98,4 % in der Kategorie „häufig“, während dies nach ihrer Einschätzung auf Eltern (74,6 %) und Kinderärzte (63,2 %) „selten“ zutraf. Die Hälfte der befragten Fachkräfte gab an, dass sie im letzten Kindergartenhalbjahr seltener als einmal im Monat mit der Frühförderin gesprochen hatten und die häufigste Kontaktart das Tür- und Angelgespräch (55,5 %) war. Vor diesem Hintergrund verwundert es, dass rund zwei Drittel der Erzieherinnen die Gesprächszeit als ausreichend empfanden (67,4 %) und sich hinreichend informiert fühlten (63,9 %). Gespräche zu dritt, d. h. gemeinsame Besehr aktiv aktiv passiv sehr passiv sehr aktiv aktiv passiv sehr passiv Ist-Zustand Soll-Zustand 7 % 6 % 44 % 43 % 6 % 12 % 82 % n = 119 n = 122 abb. 2: Rolle der Erzieherinnen im Prozess der Frühförderung 182 FI 4 / 2012 Christina Seelhorst et al. sprechungen der Frühförderinnen und Erzieherinnen mit den Eltern, fanden in fast einem Drittel der Fälle nie statt (31,9 %). Nur 15,1 % der Erzieherinnen gaben an, dass sie häufig gemeinsame Gespräche mit der Frühförderin und den Eltern führen. Ihre Rolle während des Prozesses der Frühförderung empfanden 48,8 % der Erzieherinnen als aktiv bis sehr aktiv, während sich 94,2 % eine aktive bis sehr aktive Rolle wünschten (vgl. Abb. 2). Resultate zum Bereich Diagnostik Während des diagnostischen Prozesses wurden 93,6 % der Erzieherinnen von der Frühförderin zum Entwicklungsstand des Kindes befragt. Dabei holte die Frühförderin meistens durch ein persönliches Gespräch (oft: 48,2 %, immer: 30,4 %) Informationen zum Stand des Kindes in allen Entwicklungsbereichen ein. Die in den Kindertageseinrichtungen vorhandenen Entwicklungsberichte wurden in rund 44 % aller Fälle von der Frühförderin nicht berücksichtigt. Nur ein Fünftel (21,1 %) der Erzieherinnen gab an, dass ihre Entwicklungsdokumentationen verwendet wurden, bei einem Drittel (35,2 %) der befragten Personen wurden diese manchmal einbezogen. 74,8 % der Erzieherinnen verfassten Entwicklungsberichte auf Grundlage eigens entwickelter Beobachtungs- und Dokumentationsbögen. In über einem Drittel der Kindertageseinrichtungen kamen ergänzend oder ausschließlich standardisierte Verfahren zur Entwicklungsdokumentation zum Einsatz. So arbeiteten 22 % der Erzieherinnen mit der Entwicklungs- und Beobachtungsdokumentation von 48 bis 72 Monaten (EBD 48 - 72 Monate; Koglin, Petermann & Petermann, 2010) und 14,2 % der Befragten setzten den Gelsenkirchener Entwicklungsbegleiter (Beyer et al., 2004) ein. Von den befragten Erzieherinnen gaben ca. 60 % an, dass die Frühförderin Elterngespräche und Verhaltensbeobachtungen in der Kindertageseinrichtung durchführte. Nach Abschluss der Diagnostik erhielten die meisten Erzieherinnen (86,6 %) von der Frühförderin Informationen über den Entwicklungsstand des Kindes (vgl. Abb. 3). Jede zweite Erzieherin (48,8 %) wünschte sich zusätzliche Informationen zu den Testergebnissen des Kindes; 57,7 % wünschten sich weitere Erläuterungen zu den verwendeten Testverfahren. An der Erstellung des Förderplans für das Kind wirkten lediglich 2,5 % der Erzieherinnen mit. bespricht den Entwicklungsstand informiert über den Entwicklungsverlauf erklärt testverfahren teilt testergebnisse mit erklärt testergebnisse gibt Informationen über den Verfahrensablauf informiert über den Stand des Förderantrags erstellt mit der Erzieherin den Förderplan bespricht den Förderplan gibt Informationen zur gestaltung des alltags andere Informationen 86,8 80,3 34,4 57,4 32,8 37,7 51,6 2,5 19,7 41,0 10,6 Die Frühförderin … Welche Informationen bekommen Sie von der Frühförderin? (angaben in %) (n =122, Mehrfachnennungen, ø 4,5) abb. 3: Informationsfluss Frühförderin ➝ Erzieherin 183 FI 4 / 2012 Zusammenarbeit zwischen Frühförderstellen und Kindertageseinrichtungen Resultate zum Bereich Förderung Frühförderinnen und Erzieherinnen tauschten sich während des Förderprozesses aus (immer: 63,1 %; manchmal: 29,5 %). Dabei wurden die Erzieherinnen hauptsächlich über den Entwicklungsverlauf (80,3 %) des Kindes informiert (vgl. Abb. 3). Der Förderplan wurde lediglich in 19,7 % der Fälle besprochen und Hinweise zur Gestaltung des Alltags mit dem Kind erhielten nur 41 % der pädagogischen Fachkräfte. Jede zweite Erzieherin wünschte sich zusätzliche Informationen zum Förderplan (52 %) und zur Gestaltung des Alltags mit dem Kind (51,2 %). In die Förderung mit einbezogen wurden die befragten Fachkräfte hauptsächlich, indem sie Informationen zum Umgang mit dem Kind erhielten (56,9 %) oder in konkreten Situationen beraten wurden (22,4 %, vgl. Abb. 4). Die Kontaktart während der Phase des Frühförderprozesses war oft (46,5 %) oder immer (12,9 %) das Tür- und Angelgespräch. Schriftliche Berichte wurden selten (31,8 %) oder nie (56,8 %) von den Frühförderinnen an die Mitarbeiterinnen der Kindertageseinrichtungen weitergegeben. Diskussion In der vorliegenden Studie wurde die Kooperation zwischen Frühförderstellen und Kindertageseinrichtungen mithilfe eines Fragebogens für Erzieherinnen untersucht. Damit liegen unseres Wissens erstmalig Ergebnisse zur Kontaktgestaltung und zum Informationsaustausch zwischen Erzieherinnen und Frühförderinnen über den diagnostischen Prozess sowie den Förderprozess der gemeinsam betreuten Kinder im Vorschulalter vor. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass in den untersuchten Bereichen aus der Sicht von Erzieherinnen eine mehrdimensionale Schnittstellenproblematik in der Kooperation vorliegt. Auf mehreren Ebenen werden die Potenziale der Vernetzung in der gegenwärtigen Praxis nicht voll ausgeschöpft, sodass Synergieeffekte kaum zustande kommen. In der diagnostischen Phase werden die Entwicklungs- und Beobachtungsdokumentationen der Kindertageseinrichtungen von den Frühförderstellen nicht konsequent genutzt. Hier liegt die Vermutung nahe, dass der seltene Rückgriff auf die vorhandenen Entwicklungsberichte mit den dort verwendeten Verfahren zusammenhängt. Die Entwicklungsberichte der Tageseinrichtungen werden häufig nach eigenen Beobachtungskriterien zusammengestellt, sie sind daher in der Regel nicht standardisiert und kommen deshalb als Grundlage für die normorientierte interdisziplinäre Entwicklungsdiagnostik nicht in Frage (Flender & Demant, 2007; Koglin et al. 2008). Eine bessere Abstimmung und ggf. gemeinsame Auswahl geeigneter entwicklungsdiagnostischer Verfahren, die in beiden Einrichtungen eingesetzt werden können, wäre hier im Sinne einer effizienteren Arbeitsweise wünschenswert. arbeits- und Fördermaterialien Informationen zum Umgang mit dem Kind Hospitation bei einer Förderstunde eine beratung in konkreten Situationen gar nicht sonstiges 6,9 56,9 16,4 22,4 39,7 12,0 (angaben in %) (n =116, Mehrfachnennungen, ø 1,5) Wie werden Sie in die Förderung mit einbezogen? abb. 4: Einbindung der Erzieherinnen in den Förderprozess 184 FI 4 / 2012 Christina Seelhorst et al. Der Informationsaustausch zwischen Frühförderstellen und Kindertageseinrichtungen ist weitgehend unidirektional. Die Informationen, die ausgetauscht werden, sind überwiegend für die Frühförderin von Nutzen. Rückkopplungen von der Frühförderin in Richtung Erzieherinnen erfolgen kaum und sind nicht an den Bedürfnissen der Erzieherinnen orientiert. Organisationsinterne Strukturen und Abläufe, wie die Verwendung und Interpretation diagnostischer Verfahren oder der Ablauf des Frühförderverfahrens, werden von den Frühförderinnen kaum angesprochen oder erläutert. Diese sind aber für eine gute Kooperationsbeziehung wichtig, damit die Erzieherinnen Handlungsweisen der Frühförderstellen nachvollziehen können (Behringer & Höfer, 2005). Positiv ist einzuschätzen, dass die häufigste Kontaktart zwischen Erzieherinnen und Frühförderinnen der face-to-face-Kontakt ist. Allerdings finden ausführliche Gespräche überwiegend während des diagnostischen Prozesses statt, während sich der Austausch über den Förderprozess auf kurze, informelle Gespräche beschränkt. Die häufigste Kontaktart zwischen den Frühförderinnen und den Erzieherinnen während der Frühförderung ist das Tür- und Angelgespräch. Im Zusammenhang mit der Angabe, dass in der Hälfte der Fälle Gespräche weniger als einmal im Monat stattfinden, stellt sich die Frage, inwieweit hier genügend und qualitativ wertvolle Informationen ausgetauscht werden können (Groot-Wilken & Warda, 2007). Ein Großteil der befragten pädagogischen Fachkräfte erhält keine Auskunft über den Förderplan des Kindes; über ein Drittel der Erzieherinnen wird überhaupt nicht in den Förderprozess mit einbezogen. Somit werden Potenziale der ganzheitlichen und alltagsnahen Förderung der Kinder in den Tageseinrichtungen, die eine sinnvolle Ergänzung des punktuellen und zeitlich eng limitierten Frühförderungsangebotes darstellen (Scholz- Thiel, 2010; Simon & Kraus de Carmago, 2008), bei weitem nicht ausgeschöpft. Ebenso werden hier Möglichkeiten zur Erweiterung der Kompetenzen von Erzieherinnen im Umgang mit Kindern, die einen besonderen Förderbedarf haben, nicht genutzt. Synergieeffekte lassen sich auch bei der Elternarbeit erzielen, da beide Institutionen den gesetzlichen Auftrag haben, eng mit den Eltern zusammenzuarbeiten. Entwicklungsgespräche, in denen die Frühförderin, die Erzieherin und die Eltern gemeinsam die Förderung des Kindes besprechen, werden bisher allerdings selten geführt. Einschränkend ist anzumerken, dass die vorliegenden Ergebnisse die Zusammenarbeit und den Informationsaustausch zwischen Kindertageseinrichtungen und Frühförderstellen aus der Sicht von Erzieherinnen beschreiben. Ein umfassendes Bild über die Kooperation und die Kommunikationsstrukturen zwischen beiden Einrichtungen ergibt sich erst, wenn eine komplementäre Einschätzung der Zusammenarbeit seitens der Frühförderinnen vorliegt. Möglicherweise gibt es in einigen Bereichen diskrepante Einschätzungen der verschiedenen Berufsgruppen. Erst wenn beide beteiligten Partner befragt worden sind, ist eine abschließende Darstellung der interinstitutionellen Kooperationsbeziehung und darauf auf bauend eine Verbesserung der interprofessionellen Zusammenarbeit bei der Betreuung von Kindern mit Frühförderbedarf möglich. Empfehlungen für die Praxis Durch eine gute Zusammenarbeit während des diagnostischen Prozesses und der Förderung von Kindern mit besonderen Bedürfnissen können Kindertageseinrichtungen und Frühförderstellen voneinander profitieren, sich gegenseitig bei der Erfüllung der gesetz- 185 FI 4 / 2012 Zusammenarbeit zwischen Frühförderstellen und Kindertageseinrichtungen lichen Aufträge unterstützen sowie eine optimale und effektive Förderung der Kinder realisieren. Aus den Ergebnissen der Befragung lassen sich konkrete Empfehlungen ableiten, die geeignet sind, die Informationskultur zwischen Kindertageseinrichtungen und Frühförderstellen in der alltäglichen Zusammenarbeit zu verbessern. Es wurde darauf geachtet, dass sich die Anregungen gut in den Arbeitsalltag beider beteiligten Institutionen integrieren lassen, da sowohl die Kindertageseinrichtungen als auch die Frühförderstellen mit ihren Zeit- und Personalressourcen haushalten müssen. Die Kooperation beider Einrichtungen kann optimiert werden, wenn n die an der Betreuung des Kindes mit Frühförderbedarf beteiligten Institutionen sich untereinander schriftliches Informationsmaterial (Flyer, Poster z. B. zu den Konzepten, organisationsinternen Strukturen und Abläufen) zukommen lassen, um ihre Arbeitsweise transparent zu machen; n die Kindertageseinrichtungen ihre Teamsitzungen für einen Besuch der Frühförderstelle und kurze Fortbildungseinheiten (z. B. über diagnostische Testverfahren) durch die Frühförderin nutzen, um ihren Wissensstand zur interdisziplinären Frühförderung zu erweitern; n gemeinsame Absprachen über die in der Kindertagesstätte verwendeten Beobachtungsverfahren, Entwicklungsscreenings und -dokumentationen getroffen werden, die von der Frühförderstelle aufgegriffen werden können; n eine gemeinsame Besprechung des Förderplans stattfindet, bei der den Erzieherinnen Fördermöglichkeiten des Kindes im Alltag aufgezeigt werden; n Frühförderinnen Möglichkeiten zur Hospitation bei der Frühförderung anbieten oder in Absprache mit den Erzieherinnen kleine Fördereinheiten in der Gruppe durchführen und n Erzieherinnen und Frühförderinnen gemeinsame Entwicklungsgespräche mit den Eltern des betreuten Kindes durchführen (nach klarer Absprache, wer die Gesprächsführung inne hat). Diese Studie wurde im Rahmen des Projektes „IFFEK(t) - Entwicklung und Erprobung eines Kommunikations- und Informationskonzeptes in der Interdisziplinären Frühförderung“ gefördert durch den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE). Christina Seelhorst, B. A. Elementarpädagogik Prof. Dr. Silvia Wiedebusch Hochschule Osnabrück Profil Gesundheit und Soziales - Entwicklungspsychologie - Caprivistr. 30 a D-49076 Osnabrück E-Mail: seelhorst@wi.hs-osnabrueck.de Literatur Behringer, L. & Höfer, R. (2005): Wie Kooperation in der Frühförderung gelingt. München: Ernst Reinhardt Verlag Beyer, A.; Fastabend, S.; Liebers, E.; Per, G.; Schilling, M.; Sukowski, P.; Wiepelsiep, A. & Weiss, H. (2004): gelsenkirchener Entwicklungsbegleiter. tübingen: dgvt-Verlag Flender, J. & Demant, M. (2007): Das ist mir auch schon aufgefallen. Übereinstimmungen bei der beurteilung von Entwicklungsauffälligkeiten durch Erzieherinnen und therapeutinnen in der Frühförderstelle. 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In: Pädagogische Hochschule Heidelberg, Institut für Weiterbildung (Hrsg.): Perspektiven zur pädagogischen Professionalisierung. themenheft aspekte zur Elementarbildung, 74 (S. 5 -10). landau: Verl. Empirische Pädagogik Scholz-Thiel, U. (2010): Pädagogische Frühförderung mit Kindern in tageseinrichtungen. In: C. leyendecker (Hrsg.): gefährdete Kindheit. Risiken früh erkennen, Ressourcen früh fördern (S. 384 -390). Stuttgart: Kohlhammer Seelhorst, C. (2011): Zusammenarbeit von Erzieherinnen und Frühförderinnen bei der Diagnostik und therapie von Kindern mit Frühförderbedarf. bachelorarbeit Hochschule Osnabrück Simon, L. & Kraus de Carmago, O. (2008): Professionelles Rollenverständnis verschiedener Disziplinen in der Interdisziplinären Frühförderung. In: Praxis der Psychomotorik, 1, 4 -7 Sohns, A. (2010): Frühförderung. Ein Hilfesystem im Wandel. Stuttgart: Kohlhammer Verlag Thurmair, M. & Naggl, M. (2010): Praxis der Frühförderung. München: Ernst Reinhardt Verlag Tröster, H. 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