eJournals Frühförderung interdisziplinär 31/4

Frühförderung interdisziplinär
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0721-9121
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/fi2012.art13d
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2012
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Heilpädagogische Kunsttherapie zur Förderung hörgeschädigter Vorschulkinder - Ein Pilotprojekt

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2012
Hildegard Ameln-Haffke
Rabea Müller
Kristine Schmidt
Der Fokus des Pilotprojekts für hörgeschädigte Kinder des LVR-Kindergartens der Johann-Joseph-Gronewald-Schule in Köln in Zusammenarbeit mit dem Arbeitsbereich Kunsttherapie der Universität zu Köln lag auf der Förderung von Wahrnehmung, Entwicklung und Kommunikation sowie einem künstlerisch sichtbaren Ausdruck von Gefühlen. Im Mittelpunkt der Untersuchung stand die Frage, inwieweit Kunst und künstlerische Mittel zur persönlichen Entwicklung, zur Steigerung der Kommunikationsfähigkeit und des Selbstbewusstseins beitragen können.
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187 Frühförderung interdisziplinär, 31. Jg., S. 187 -196 (2012) DOI 10.2378/ fi2012.art13d © Ernst Reinhardt Verlag ORIgInalaRbEIt Heilpädagogische Kunsttherapie zur Förderung hörgeschädigter Vorschulkinder Ein Pilotprojekt Hildegard Ameln-Haffke, Rabea Müller, Kristine Schmidt Zusammenfassung: Der Fokus des Pilotprojekts für hörgeschädigte Kinder des LVR-Kindergartens der Johann-Joseph-Gronewald-Schule in Köln in Zusammenarbeit mit dem Arbeitsbereich Kunsttherapie der Universität zu Köln lag auf der Förderung von Wahrnehmung, Entwicklung und Kommunikation sowie einem künstlerisch sichtbaren Ausdruck von Gefühlen. Im Mittelpunkt der Untersuchung stand die Frage, inwieweit Kunst und künstlerische Mittel zur persönlichen Entwicklung, zur Steigerung der Kommunikationsfähigkeit und des Selbstbewusstseins beitragen können. Schlüsselwörter: Heilpädagogische Kunsttherapie, Hörschädigung, Wahrnehmungsförderung, Entwicklungsförderung, Kommunikationsförderung, Ausdrucksförderung mittels Kunst Special Education Art Therapy for the promotion of hearing impaired preschool children - A pilot project Summary: The focus in the planning of the sample project for hearing-impaired preschool children of the LVR-Kindergarten of the Johann-Joseph-Gronewald-School in Cologne through Art therapists of the University of Cologne, lay on the promotion of perception, development and communication and artistic visual expression of emotions. The main question of the experience was how much art and artistic mediums may contribute to heighten personal development, communication skills and self-awareness. Keywords: Special Education art therapy, hearing impairment, cognitive development, promoting development, enhancing communication, promoting expression through art Ausgangslage der Untersuchung D ie Pädagogische Kunsttherapie (Richter, 1999: Förderschwerpunkte Lernen, Soziale und emotionale Entwicklung und Körperliche Entwicklung) und die Heilpädagogische Kunsttherapie (Menzen, 1994) liefern verschiedene allgemeine theoretische Behandlungsparameter für eine Förderung mit künstlerischen Mitteln von Schulkindern mit Einschränkungen, eine Theorie bzw. spezifische Konzeption für Kinder mit Beeinträchtigungen des Hörens im Vorschul- und Schulbereich fehlt dagegen bisher völlig im deutschsprachigen Raum. Braun (1998, 2007), Grigorjew (2001), Ingeln (2003) und Merkt (1985) berichten lediglich von ersten Erfahrungen. Aus dem englischsprachigen Raum liegen dagegen inzwischen mehrere Publikationen vor (vgl. Cohene & Cohene, 1989; Henley, 1987; Hoggard, 2006; Horovitz-Darby, 1991 und 2007; Huet, 1993; Kunkle-Miller, 1990). Für den Förderschwerpunkt Hören und Kommunikation im Vorschulbereich wurde deshalb für diese Untersuchung eine mögliche kunsttherapeutische Herangehensweise auf dem Hintergrund der Erfahrungen von heil- 188 FI 4 / 2012 Hildegard Ameln-Haffke et al. pädagogisch-ästhetischen Erziehungsansätzen abgeleitet, bei dem vor allem die Ressourcen (vgl. u. a. Willutzki, 2003) im Blick stehen: Künstlerisches Arbeiten ist eine spielerische, Materialerprobende und sensu-motorisch anregende Aktivität. Im Zentrum steht das Gefüge Wahrnehmen - Erleben - Handeln, das immer neue, spontane Auseinandersetzungsprozesse mit dem eigenen Tun erfordert: Probleme können im Moment des Wahrnehmens erkannt und diesen sofort begegnet werden. Das Erproben unterschiedlicher Zugangsweisen ermöglicht das Kennenlernen neuer Handlungsebenen: eine erweiterte Perspektive und abnehmende Frustrationsgrenzen können daraus erwachsen, das Selbstbild kann darüber gestärkt werden, das emotionale Erleben zusätzlich Impulse erhalten. Denn der Umgang mit Farben und Materialien hilft den Kindern, nicht nur ihre Wünsche, Ängste, Sorgen und ihr Wissen von der Welt auszudrücken, sondern im Gegenüber der visuell zu erfassenden Gestaltungen auch die eigenen Gefühle wahrzunehmen. Es entsteht somit ein Spiel- und Erfahrungsraum, in dem Erlebnisse nachvollzogen, unbekannte Situationen erkundet, neue Handlungen und Lösungsmöglichkeiten erprobt und eigene Fähigkeiten neu bzw. wiederentdeckt werden können, aber auch Entspannung und Erholung sind im Tun verankert. Ein kunsttherapeutisches Setting speziell für hörgeschädigte Kinder bietet zudem die Möglichkeit, die Kommunikation über bildnerische oder plastische Mittel anzuregen, zu fördern und zu unterstützen, denn der Fokus ist in erster Linie künstlerisch, nicht sprachlich ausgerichtet, was Kindern, die Probleme mit dem Hören und Sprechen haben, eine große Entlastung bietet. Für die Rolle und das Selbstverständnis des Kunsttherapeuten soll es deshalb im Bereich der Hörgeschädigten-Pädagogik um die Schaffung einer Arbeitsatmosphäre gehen, in welcher der Wunsch, künstlerisch arbeiten zu wollen, angestoßen wird: Er gibt Anregungen zu einem spontanen bildnerischen oder dreidimensionalen Ausdruck. Es geht ihm dabei um das Erkennen und Fördern der Kreativität und der schöpferischen Fähigkeiten des hörgeschädigten Kindes. Der Kunsttherapeut stärkt die Kommunikationskompetenz und -Bereitschaft, seine Unterstützung mündet in der Schaffung eines Hilfs-Ichs für das Kind. Er passt seine Arbeitsweise den Bedürfnissen des Gegenübers an und holt das Kind dort ab, wo es steht (ISO-Prinzip). Dabei ist das Verhalten des Therapeuten geprägt von Einfühlung und Wertschätzung, seine Achtsamkeit richtet sich immer auf die Ressourcen und den individuellen Entwicklungsstand des hörgeschädigten Kindes. Im Vollzug von Rezeption, Produktion und Reproduktion über Kunst werden jedoch nicht nur innerpsychische und interpersonelle Prozesse in Gang gesetzt, sie erhalten durch die Gestaltungsergebnisse und die Art und Weise des genutzten Materials auch diagnostische und/ oder therapeutische Funktionen. Durchführungsmethoden In Zusammenarbeit mit dem LVR-Kindergarten der Johann-Joseph-Gronewald-Schule in Köln (nachfolgend JJGS), Förderschwerpunkt Hören und Kommunikation, und dem Arbeitsbereich für Heilpädagogische Kunsterziehung/ Kunsttherapie der Universität zu Köln wurde orientiert am Bedarf der Kinder das Projekt eines kunsttherapeutischen Angebotes entwickelt. Es interessierte die Frage, ob und ggf. wie hörgeschädigte Vorschulkinder von ästhetischem Erleben und Agieren profitieren können (fokussiert wurden unterschiedliche Entwicklungsbereiche wie die Sinneswahrnehmung, Kommunikationskompetenz und der sichtbare Ausdruck von Gefühlen in einem erweiterten künstlerisch-ästhetischen Aus- 189 FI 4 / 2012 Heilpädagogische Kunsttherapie zur Förderung hörgeschädigter Vorschulkinder drucksgeschehen) und welche Materialien und künstlerische Verfahren dabei besonders greifen. Vom Kindergarten-Team der JJGS wurden vier für eine Entwicklungs- und Ausdrucksförderung bedürftige Kinder bestimmt (N = 4, je zwei Mädchen und Jungen): Entweder zeigten die Kinder starke Unruhe und Verhaltensauffälligkeiten oder fielen durch große Zurückhaltung und fehlende Kontaktaufnahme auf. Die Hörschädigung der Kinder reichte von einer hochgradigen sensorineuralen Innenohrschwerhörigkeit bis zu einer mittelgradigen Hörschädigung. Die Anamnese war durch die Zusammenarbeit mit dem Kindergarten und der Familie gesichert. Die Projektleiterinnen waren Diplom-Heilpädagoginnen mit dem Schwerpunktfach Kunsttherapie, davon zwei Mitarbeiterinnen der Universität zu Köln, die dritte Sonderschullehrerin und Kunsttherapeutin an der JJGS. Wegen der räumlicher Nähe führte die Lehrerin der JJGS bei den zwei Mädchen, die eine Gebärdenunterstützung benötigten, die geplante Kunsttherapie durch, die beiden Jungen, die auch über Lautsprache erreicht werden konnten, wurden von den Mitarbeiterinnen der Universität begleitet (die keine Gebärdensprache beherrschten). Der Umfang des Kunsttherapie-Projektes für hörgeschädigte Kinder wurde auf 12 Therapiestunden á 40 - 50 Minuten (plus Vor- und Nachbearbeitung) festgesetzt und wurde zwischen Oktober 2010 und Februar 2011 durchgeführt. Die Kunsttherapie wurde als Kurzzeittherapie im Einzelsetting geplant. Die Schule stellte für das Kunsttherapie-Projekt ihren Kunstraum zur Verfügung. Zu jeder Sitzung wurde der Raum in gleicher Weise hergerichtet und vorbereitet (festes Ritual als Sicherheit schaffendes Element: gleicher Tischplatz, gleiche Anordnung der Materialien, gleiches Begrüßungsritual). Jede Sitzung Dialogisches Gestalten zu Beginn jeder Sitzung Initial-Phase 3 Kunsttherapiesitzungen Aktions-Phase 7 Kunsttherapiesitzungen Integrations-Phase 2 Kunsttherapiesitzungen å å å themenschwerpunkt Basele Stimulation themenschwerpunkte Das bin ich (Wer bist Du? ) - Das wünsche ich mir themenschwerpunkt Das finde ich schön! 3 Sitzungen Kennenlernen/ Vertrauensaufbau/ beziehung: therapeut-Patient; Erlernen des „Handwerks“; Einführung in Materialien/ anwendungsmöglichkeiten (themen: Schöner bunter Farbteppich/ Schönes Muster/ Schöne Kiste) 4 Sitzungen ausdrücken und Wahrnehmen von Interessen/ Ressourcen (themen: Das bin ich/ Das ist mein Schmusetier/ Das ist mein Haus/ Das ist mein Freund/ meine Freundin) 3 Sitzungen bewusstwerden/ bewusstmachen von ausdrucksfähigkeit, gefühlen, Wünschen (themen: Dieses Spielzeug …/ Dieses tier…/ Diesen garten …; … zum Spielen wünsche ich mir) 1 Sitzung Rückbesinnung bei Mappen- Durchsicht/ Reflexion: Was hat besonders viel Spaß gemacht? Erneutes gestalten dieses themas themenschwerpunkt Gemeinsames Dialogisches Gestalten (alle hörgeschädigten Kinder gemeinsam) 1 Sitzung tab. 1: Die geplante Kunsttherapie 190 FI 4 / 2012 Hildegard Ameln-Haffke et al. wurde mit der Methode des „Dialogischen Gestaltens“ begonnen, ehe sich das für die jeweilige Sitzung geplante Thema anschloss. Das Material für die Kunsttherapie mit hörgeschädigten Kindern wurde so ausgewählt, dass stets ein freier und offener künstlerischer Ausdruck entsprechend dem individuellen Bedarf jedes einzelnen Kindes gewährleistet war. Dazu standen immer gleichzeitig flüssige und feste Farben zur Verfügung: Kleisterfarben, Gouache-Farben, Ölpastellkreiden, Buntstifte sowie weiteres Material in Form von diversen Klebern, festen Materialien wie Stoffe, Federn, Strass-Steine, Papiermosaik-Teile, Styropor als auch formbare und veränderbare Materialien wie Gips, Gipsbinden, Pappmaché und Ton. Der Therapieablauf ist aus Tab. 1 ersichtlich: Unabhängig von der Phase der Kunsttherapie wurde regelmäßig zu Beginn jeder Therapiesitzung eine dialogische Malgestaltung von hörgeschädigtem Kind und Kunsttherapeutin gemeinsam durchgeführt (Kontaktaufnahme, Auf bau einer Vertrauensbasis, vgl. hierzu Wichelhaus, 1991). In der Initialphase der Kunsttherapie (1. - 3. Stunde) ging es zunächst über drei Sitzungen mittels (Ästhetisch-)basaler Stimulation um das Kennenlernen, Ausprobieren und Experimentieren mit Materialien. In der anschließenden Aktionsphase (Haupttherapiephase: 4. - 10. Stunde) standen die Wahrnehmung der eigenen Person und der eigenen Wünsche im Mittelpunkt. Empfindung und Ausdruck des Individuellen mittels künstlerischem Tun wurden dementsprechend durch spezifische Themenstellungen angeregt und wertfrei spielerisch-kreativ Lösungsvarianten erprobt, die auch auf Alltagssituationen transferiert werden können. In der abschließenden Integrationsphase (11. und 12. Stunde) wurde ein vom Kind im Rückblick als besonders freudig empfundenes Thema einer der vorangegangenen Therapiesitzungen noch einmal wiederholt und vertieft, sozusagen als Reflexion der gewonnenen Wahrnehmungs- und Ausdrucksqualitäten (11. Stunde) und abschließend alle vier Probanden zu einer gemeinsamen Gestaltung auf großflächigem Malgrund zusammengeholt (12. Stunde), da eine wichtige Form ästhetischen Erlebens neben den dialogischen Übungen auch die Gruppenarbeit ist, in der konflikthafte Prozesse durch andere kreativ mitgelenkt und zu positiven Ergebnissen und Erfahrungen geführt werden können. Evaluationsmethoden Die Eingangs- und Ausgangssituation des kunsttherapeutischen Projekts wurde mit dem Mann-Zeichen-Test (MZT) nach Ziler erhoben (vgl. auch Brosat et al., 2007), anamnestische Daten lieferte weiterhin ein Fragebogen, der von Kindergarten und Elternhaus auszufüllen war. Hier ging es um die genaue Beschreibung der Hörschädigung, der familiären Bedingungen und der eingeschätzten Entwicklungs- und Verhaltensdispositionen am Anfang, verglichen mit dem Ende der Kunsttherapie. Jede Kunsttherapie-Sitzung war flankiert von eigens hierfür entwickelten Evaluationsinstrumenten. Über die Abfolge der 12 Sitzungen interessierte der Status der Befindlichkeit zu Beginn und zu Ende der Sitzung, abgefragt durch drei unterschiedliche Fragebögen: a) einzukreisende Smilies mit unterschiedlich gestimmtem Gesichtsausdruck, b) Farbfragebogen zu Farbgefühlen (Farben, die ich heute schön/ hässlich finde), c) ein auszumalendes Körperschema-Bild (bei Mädchen eine Mädchensilhouette, bei Jungen eine Jungensilhouette) Fragebogen b und c wurden nur zu Beginn jeder Sitzung ausgefüllt. 191 FI 4 / 2012 Heilpädagogische Kunsttherapie zur Förderung hörgeschädigter Vorschulkinder Der Verlauf der Kunsttherapie wurde jeweils nach Ende der Therapiesitzung mit detaillierten Protokollbögen aufgezeichnet: Dieser beschäftigte sich mit dem vom Kunsttherapeuten wahrgenommenen Gefühlseindruck zu Anfang, in der Mitte und am Ende der jeweiligen Sitzung, mit dem wahrgenommenen Arbeitsverhalten sowie der Motorik und Körperhaltung bei der künstlerischen Gestaltung, der Art und Weise des Umgangs mit dem gewählten Material und dem Grad der Identifikation der einzelnen hörgeschädigten Kinder mit dem jeweils geschaffenen Kunstwerk am Ende der Stunde. Vordergründig ging es um das Protokollieren emotionaler und motivationaler Aspekte. Sowohl die Ergebnisse der Dialogischen, als auch der thematisch gebundenen und freien Gestaltungen wurden am Ende jeder Stunde mittels Fotografie dokumentiert und die künstlerischen Ergebnisse darüber hinaus in Mappen und Kisten gesammelt, um diese auch im Nachhinein im Projektteam noch einmal gesondert per Punktezuweisung auswerten zu können (vgl. Evaluationsmethoden in Tab. 2). Die Kunsttherapie begleitende Diagnostik wurde unterstützt durch die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Erzieherinnen des Hörgeschädigten-Kindergartens. Diese gaben in regelmäßig stattfindenden Gesprächen ein Feedback über die sich ggf. wandelnde Rolle der teilnehmenden Kinder innerhalb der Gruppe bzw. innerhalb seiner Familie, über sich verändernde Stärken und Schwächen sowie Angaben zu evtl. Fortschritten in der kognitiven und emotionalen Entwicklung. Ergebnisse des Kunsttherapiekonzeptes für hörgeschädigte Vorschulkinder Zu Beginn der Kunsttherapie zeigte sich das individuelle Verhalten während der Kunsttherapie wie folgt: Während Kind A (w) und auch Kind B (m) sehr schüchtern und unflexibel im sozialen Umgang waren sowie wenig Selbstvertrauen zeigten, konnte sich Kind C (w) aufgrund einer geringen Impulskontrolle und offensichtlicher Aufmerksam- Begleitende Evaluation Regelmäßige Rücksprache mit dem Kindergarten-team der hörgeschädigten Kinder Zu beginn jeder Sitzung n Fragebogen: Wie geht es Dir? (blatt mit Smilies zum ankreuzen n Fragebogen: Farbgefühle (blatt zum ausmalen mit buntstiften) n Fragebogen: Körperschema (blatt mit Körpersilhouette zum ausmalen mit buntstiften am Ende jeder Sitzung n Fragebogen: Wie geht es Dir? (blatt mit Smilies zum ankreuzen) n Originale der Dialogischen gestaltungen/ Fotos der Dialogischen gestaltungen n Originale der gemalten bilder und der plastischen gestaltungen n Fotos der gemalten bilder und der plastischen gestaltungen Im anschluss an jede Sitzung n ausführliche Protokoll- und beobachtungsbögen tab. 2: therapiebegleitende Evaluation 192 FI 4 / 2012 Hildegard Ameln-Haffke et al. keitsproblematik schlecht konzentrieren. Kind D (m) fiel dagegen durch stark aggressives und konfliktbeladenes Verhalten auf (vgl. Synopse in Tab. 3). Indikation zu Beginn der Kunsttherapie Kind A (w; 5,4 Jahre) Kind B (m; 5,7 Jahre) Kind C (w; 5,6 Jahre) Kind D (m; 4,9 Jahre) Ist bei unbekannten Personen sehr schüchtern und verweigert Kontakt. Im Kindergarten wird oft die gemeinsame arbeit abgelehnt. Zeigt geringes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen, ist sehr schüchtern und lässt auffällige Defizite in der Motorik erkennen. besitzt eine geringe Konzentrationsfähigkeit und ebenso geringe Impulskontrolle. Vermeidet häufig blickkontakt und zeigt eingeschränkte Kommunikationskompetenz. Fällt durch stark aggressives und grenzüberschreitendes Verhalten auf, sucht die konfliktbeladene auseinandersetzung; scheint häufig realitätsfern und weist geringe Frustrationstoleranz auf. tab. 3: Indikation zu beginn der Kunsttherapie im Vergleich Profit aus der Kunsttherapie Aspekt Kind A (w) Kind B (m) Kind C (w) Kind D (m) Methoden Kind a nutzt die dialogischen und malerischen angebote intensiv. Kind b profitiert intensiv vom Dialogischen und entdeckt das plastische gestalten für sich. Kind C liebt das Dialogische gestalten. Kind D profitiert am meisten vom Dialogischen Material und Art der Nutzung Flüssige Farben werden regressiv matschend genutzt, der ganze Körper kommt zum Einsatz. Obwohl zu beginn der Kt ein haptischer Kontakt mit den Materialien möglichst vermieden wird, verliert sich die Scheu und Kind b nutzt im Verlauf freudig alle Materialien, insbesondere den ton. Strukturierte angebote erhöhen die Konzentrationsfähigkeit. Das Dreidimensionale arbeiten entspannt Kind C und lässt es konzentriert arbeiten. Kind D profitiert vom Umgang mit Stiften und Kreiden. Der Widerstand des Materials ermöglicht auch eine stark narrative Reaktion. Therapeutenrolle Die therapeutin ist in der Unterstützung beim Finden des richtigen und aktuell nötigen Materials gefragt, damit Kind a ungehindert und regressiv tätig werden kann. Die therapeutin stellt über die ganze therapie hinweg eine Partnerin und Vertrauensperson dar, die sowohl spielend als auch interaktiv eine feste Konstante bildet. Die therapeutin ist gefragt, indem sie strukturierend - auch in der Materialauswahl - behilflich ist. Die sprachliche auseinandersetzung und eine Prozessanregende Kommunikation sind wichtig. Die therapeutin stellt Spielpartnerin, Hilfs-Ich und Vertrauensperson dar. Kind D profitiert vom intensiven begleiten und Unterstützen während seiner impulsiven auseinandersetzungen mit themen, Material und fantasievollem Rollenspiel. tab. 4: Profit aus der Kunsttherapie 193 FI 4 / 2012 Heilpädagogische Kunsttherapie zur Förderung hörgeschädigter Vorschulkinder Im Verlauf der Therapie entwickelte jedes Kind unterschiedliche Bedürfnisse und nutzte dementsprechend verschieden intensiv die angebotenen Themen, Methoden oder Materialien. Die Kunsttherapeutinnen begleiteten die kreativen Prozesse helfend und unterstützend (vgl. Synopse in Tab. 4). Exemplarisch bildnerische und plastische Beispiele aus dem kunsttherapeutischen Prozess sollen die Schwerpunktsetzung durch die Vorschulkinder mit Hörschädigung zu verdeutlichen helfen: Kind A (beidseits mit Cochlear Implantat versorgt, Hörverlust mit CI liegt bei 52dB, Kommunikationsform = lautsprachbegleitende Gebärden) nutzte beispielsweise wiederholt regressiv die flüssigen Farben und verlor sich geradezu im Matschen und Schmieren (vgl. Abb. 1; Regression meint hier eine Verhaltensweise, die aus entwicklungspsychologischer Sicht altersmäßig früher einzuordnen wäre: vgl. auch Willutzki, 2003). Kind B (beidseits mit Cochlear Implantat versorgt, Hörverlust mit CI liegt links bei 30 und rechts 65 dB, Kommunikationsform = Lautsprache) profitierte sichtbar von den Dialogischen Gestaltungen und nutzte diese intensiv im Austausch mit der Therapeutin (vgl. Abb. 2 und 3): man „spielte“ gemeinsam mit Farben auf dem Malgrund. Kind C (keine technischen Hörhilfen, Hörverlust liegt bei 95dB, Kommunikationsform = Deutsche Gebärdensprache) konnte sich sehr gut beim plastischen Gestalten konzentrieren, hier übte es Ausdauer und entspannte sich sichtlich beim Formen und Kneten (vgl. Abb. 4). Kind D (beidseits mit Cochlear Implantat versorgt, Hörverlust liegt bei 50dB, Kommunikationsform = lautsprachbegleitende Gebärden) versuchte dagegen, seinen fast ungezügelt sich breit machenden Fantasiegestalabb. 1: Flüssige Farben unterstützen den Regressionsprozess von Kind a (w), Sitzung 1 abb. 2 und abb. 3: Dialogische gestaltungen von Kind b (m), „geöffnete tür“, beispiele aus Sitzung 4 und 5 194 FI 4 / 2012 Hildegard Ameln-Haffke et al. ten und -Geschichten für ihn selbst erkennbare „Gesichter“ zu geben. Auf dem Papier bekamen sie „fassbare“ Form, sie wurden für das Kind selbst und die Therapeutin sozusagen „gebannt“ und wurden narrativ aufgegriffen (vgl. Abb. 5 und 6). Im Einzelnen zeigten sich folgende Veränderungen, die aufgrund der vielgestaltigen Erhebung der Kunsttherapie zugeschrieben wurden: Kind A scheint am Ende der Kurzzeittherapie bereits selbstbewusster geworden zu sein und freut sich, mit den anderen Kindern des Kindergartens Kontakt aufzunehmen. Seine Zeichenfähigkeit und die Grob- und Feinmotorik zeigt Entwicklungsfortschritte. Die Formdarstellung ist differenzierter und in der Auswertung des MZT zeigen sich Punktzuwächse. Kind B ist ebenfalls offener im Verhalten geworden und zeigt sich viel entspannter und selbstbewusster. Seine Entwicklungsfortschritte in der Grob- und Feinmotorik sind erkennbar, was sich besonders im MZT als Verbesserung zeigt. Kind C kann sich am Ende der Kunsttherapie besser konzentrieren und zeigt sich selbstbewusster und dialogbereiter. Auch Kind D zeigt Entwicklungsfortschritte, die sich in verbesserter Zeichenfähigkeit und in Fein- und Grobmotorik mitteilen. abb. 4: Die plastischen gestaltungen helfen Kind C (w), sich zu konzentrieren abb. 5 und abb. 6: Kind D (m) „bezwingt“ Fantasien auf dem Papier „Ein Dieb - der klaut und fesselt den Mann aus dem Laden, der wird sehr wütend.“ „Das Flugzeug schmeißt Bomben, alle Häuser brennen, die da drin schreien.“ 195 FI 4 / 2012 Heilpädagogische Kunsttherapie zur Förderung hörgeschädigter Vorschulkinder Für gleichermaßen alle hörgeschädigten Kinder ist festzuhalten, dass im Verlauf der Kunsttherapie zu beobachten war, dass sie gerade von den Dialogischen Methoden zu profitieren schienen und im Kunsttherapie-Prozess das Bedürfnis zeigten, den dialogischen Ansatz in Art des Umgangs mit der Therapeutin auch auf die restliche Sitzungszeit ausweiten zu wollen. Das ausgewählte Material wurde größtenteils spielerisch, in regressiver Gestaltungsweise und die Kommunikation und Narration suchendem künstlerischen Ausdrucksverhalten angewandt. Alle hörgeschädigten Kinder zeigten messbare und sichtbare Entwicklungsfortschritte am Ende der Kurzzeit-Kunsttherapie, was besonders durch die Ergebnisse des MZT belegt wurde (vgl. Tab. 5). Zusammenfassung und Ausblick Im Zentrum der Untersuchung zur heilpädagogischen Kunsttherapie standen die Frage nach der möglichen Förderung von Wahrnehmung, Erleben, Erkennen, Verstehen und Handeln sowie Kommunikation mittels künstlerischer Mittel. Es zeigten sich eindeutige Erfolge: Das künstlerische Material eignete sich zur Aktivierung von Ressourcen und zur Konkretisierung individuell bedeutsamer Erlebniszusammenhänge. Im individuellen Vergleich wurde deutlich, dass jedes Kind gemäß seiner Bedürfnisse im Verlauf der durchgeführten Kunsttherapie individuelle Verhaltens- und Umgangsformen in Bezug zur Kunst, zu den Sitzungs- Themen und zu den künstlerischen Gestaltungen entwickelte und Fortschritte hierin verzeichnete. Alle hörgeschädigten Kinder profitierten beim Zuwachs ihrer Kommunikationskompetenz: Die Dialogischen Gestaltungen mit den Kunsttherapeuten zu Beginn der Sitzung wurden sehr intensiv genutzt, als ob die spielerische Begegnung nicht nur dem Wunsch nach Nähe, sondern auch nach Verständnis diente. Während die einen Interaktions- und Spielpartner suchten, brauchten andere das Gegenüber in der Gestaltung als Halt und Begrenzung ihrer selbst, aber auch als Konstante, die Struktur gab und half, unterstützte und begleitete. Alle Kinder der Untersuchung zeigten Veränderungen und Entwicklungsverbesserungen, die sich in den Punktzuwächsen des MZT offenbarten; im Verhalten traten sie offener und selbstbewusster auf, zeigten eine bessere Interaktionsfähigkeit, da sie offener und teilweise freudiger reagierten, konnten sich besser konzentrieren, wiesen Fortschritte in Fein- und Großmotorik auf und ihre Dialogfähigkeit wurde umfassender. Als Fazit dieses Pilotprojektes ist festzuhalten: Kunsttherapie bei Vorschulkindern mit Hörschädigung scheint bereits in einer Kurzzeittherapie eine an den Interessen und Kompetenzen der Kinder ansetzende spielerische Punktzuwachs im Mann-Zeichen-Test (MZT) im Verlauf der Kunsttherapie MZT Kind A (w) Kind B (m) Kind C (w) Kind D (m) MZa* am anfang der Kt 5,75 (la** 5,4) 5,5 (la 5,7) 5,6 (la 5,6) 4,9 (la 4,9) MZa am Ende der Kt 6,75 (la 5,8) 8,5 (la 5,11) 7,25 (la 5,10) 6,75 (la 5,3) tab. 5: Punktzuwachs im Mann-Zeichen-test (MZt) im Verlauf der Kunsttherapie * Mann-Zeichen-alter ** tatsächliches lebensalter 196 FI 4 / 2012 Hildegard Ameln-Haffke et al. Methode zu sein, die Wahrnehmungsfähigkeit, Ausdruckskompetenz und (Fein- und Grob-)Motorik sowie Kommunikationskompetenz zu fördern und zu verbessern vermag. Im kreativen Tun wird die Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper angeregt, das Selbstbewusstsein und die Handlungskompetenz der Kinder in ihrer spezifischen Lebenssituation gestärkt. Es ist anzunehmen, dass eine Kunsttherapie über einen größeren Zeitraum mit mehr Einzelsitzungen diesen Effekt möglicherweise nachhaltig intensivieren wird: dies zu erforschen sollte weiteren Untersuchungen vorbehalten bleiben. Für die Verfasser: Dr. phil. Hildegard Ameln-Haffke Humanwissenschaftliche Fakultät der Universität zu Köln Lehrstuhl Allgemeine Heilpädagogik, Arbeitsbereich Heilpädagogische Kunsterziehung/ Kunsttherapie Gronewaldstraße 2 a D-50931 Köln E-Mail: hildegard.ameln-haffke@uni-koeln.de Literatur Braun, D. (1998): Handbuch Kunst und gestalten. theorie und Praxis für die arbeit mit Kindergruppen. Herder, Freiburg i. br. Braun, D. (2007): Handbuch Kreativitätsförderung. Kunst und gestalten in der arbeit mit Kindern. Herder, Freiburg i. br. Brosat, H. et al. (Hrsg.) 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