eJournals Frühförderung interdisziplinär 32/1

Frühförderung interdisziplinär
1
0721-9121
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
11
2013
321

Tests und Screenings: Untersuchungen zur Validität des TROG-D in der Diagnostik sprachauffälliger Vorschulkinder

11
2013
Klaus Sarimski
In einer Untersuchung bei 26 sprachlich unauffälligen und 53 sprachlich auffälligen Kindern im Vorschulalter erweist sich der „Test zur Überprüfung des Grammatikverständnisses“ (TROG-D; Fox, 2006) als valides Instrument zur Überprüfung des Sprachverständnisses. Bei immerhin 30% der Kinder in der klinischen Stichprobe differieren die damit gewonnenen Einschätzungen aber gegenüber den Ergebnissen, die mit dem Sprachentwicklungstest für drei- bis fünfjährige Kinder (SETK 3 –5; Grimm, 2001) gewonnen werden.
1_032_2013_001_0043
43 FI 1 / 2013 Tests und Screenings TesTs und screenIngs es ist davon auszugehen, dass ein drittel bis die Hälfte der spracherwerbsgestörten Kinder auch rezeptive störungen zeigen (gebhard, 2007; Amorosa & noterdaeme, 2003). Abhängig vom entwicklungsalter und den sprachlichen Fähigkeiten können sich störungen des sprachverständnisses in verschiedenen Ausprägungen und auf unterschiedlichen sprachlichen ebenen äußern. Auf Wortebene zeigen sie sich in einem reduzierten passiven Wortschatz und in Problemen beim Bedeutungserwerb. Begriffe sind dem Kind unbekannt, Wörter werden falsch oder ungenau verstanden bzw. nur mit eingeschränkter Bedeutung erfasst. Morphologisch veränderte Wörter (z. B. Pluralformen oder flektierte Verben) werden nicht mehr erkannt. Auf satzebene gelingt die sinnentnahme nur unvollständig, obwohl möglicherweise die enthaltenen Wörter bekannt sind, weil die Anforderungen an die Verarbeitungsfähigkeiten durch die Anzahl der aus einem satz zu verarbeitenden Informationen, durch die Komplexität der grammatischen strukturen und durch die notwendigkeit, morphologische elemente zu beachten, weiter steigt (Amorosa & noterdaeme, 2003). Oftmals verharren Kinder mit einer sprachverständnisstörung in „früheren“ Verständnisstrategien, sodass die schlüsselwortstrategie z. B. noch im Kindergartenalter beobachtet werden kann. sprachverständnisstörungen sind dabei im Alltag nicht leicht zu erkennen, da die Kinder dazu neigen, Kompensationsstrategien zu entwickeln. dazu gehört ein häufiges Antworten mit „Ja“, die Imitation von satzteilen oder sätzen oder ein rückgriff auf visuelle Orientierung als Hilfe beim Versuch, die Bedeutung eines satzes zu erkennen. Auch rückzugsverhalten oder auffällig übereiltes reagieren auf Aufforderungen kann zu den Verhaltensauffälligkeiten im Alltag gehören. die tatsächlichen sprachverständnisleistungen von sprachauffälligen Kindern sind häufig wesentlich schlechter, als es die Aussage der eltern „Mein Kind spricht schlecht, aber versteht alles“ vermuten lässt (gebhard, 2007). ein frühzeitiges erkennen von sprachverständnisstörungen gehört daher zu den wichtigsten Aufgaben der sprachentwicklungsdiagnostik. Im Vorschulalter werden dazu im Wesentlichen zwei Aufgabenarten verwendet. das Kind soll entweder auf eine sprachliche Anweisung hin eine Handlung mit Objekten ausführen oder es wählt auf eine sprachliche Anweisung hin Bilder oder Objekte aus. Beide Aufgabenarten werden in den Untersuchungen zur Validität des TROG-D in der Diagnostik sprachauffälliger Vorschulkinder Klaus Sarimski Zusammenfassung: In einer Untersuchung bei 26 sprachlich unauffälligen und 53 sprachlich auffälligen Kindern im Vorschulalter erweist sich der „Test zur Überprüfung des Grammatikverständnisses“ (TROG-D; Fox, 2006) als valides Instrument zur Überprüfung des Sprachverständnisses. Bei immerhin 30% der Kinder in der klinischen Stichprobe differieren die damit gewonnenen Einschätzungen aber gegenüber den Ergebnissen, die mit dem Sprachentwicklungstest für drei- bis fünfjährige Kinder (SETK 3 -5; Grimm, 2001) gewonnen werden. 44 FI 1 / 2013 Tests und Screenings standardisierten Testverfahren verwendet, die in deutschland zur Beurteilung des sprachverständnisses von Kindern im Alter von 3 -6 Jahren am häufigsten eingesetzt werden. dies sind der Marburger sprachverständnistest für Kinder (MsVK; elben & Lohaus, 2000) sowie der sprachentwicklungstest für dreibis fünfjährige Kinder (seTK 3 -5; grimm, 2001). Bildauswahl und Objektmanipulation werden vom Kind auch in der Patholinguistischen diagnostik bei sprachentwicklungsstörungen (Kauschke & siegmüller, 2009 2 ) erwartet, die in neuerer Zeit als ergänzung des spektrums diagnostischer Verfahren eingeführt und normiert wurde. der Test zur Überprüfung des grammatikverständnisses (TrOg-d; Fox, 2006) beschränkt sich dagegen auf ein Bildauswahlverfahren zur Beurteilung der Kenntnis von substantiven, Verben und Adjektiven sowie der Kenntnis unterschiedlich komplexer grammatischer strukturen des deutschen. es handelt sich um die deutsche Fassung eines englischen Verfahrens, für das deutsche Altersnormen für die Altersgruppe von 3; 0 bis 10; 11 Jahren vorliegen. der TrOg-d besteht aus 84 Testitems, die in 21 Blöcken zu je vier Items zusammengefasst sind. Jedem Viererblock liegt ein grammatisches Phänomen zugrunde. die Blöcke sind nach schwierigkeitsgrad hierarchisch geordnet, so dass die grammatischen strukturen in folgender reihenfolge abgeprüft werden: n 2-element-sätze (subjekt-Prädikat-Konstruktion, nominalphrase mit Artikel und Adjektiv) n 3-element-sätze (subjekt - Prädikat - Objekt) n negation n Präposition „in“ und „auf“ n Perfekt n Plural n Präpositionen „über“ und „unter“ n Passiv n Personalpronomen nominativ n relativsatz n Personalpronomen Akkusativ/ dativ n doppelobjektkonstruktion n subordination mit „während/ nachdem“ n Topikalisierung n disjunktive Konjunktion „weder - noch“ n relativsatz (Pronomen im Akkusativ/ dativ) n Koordination mit „und“ n subordination mit „dass“ Jedes Item ist mit drei Ablenkern versehen, wobei sich die Ablenker vom Zielitem durch möglichst geringe grammatische oder lexikalische Veränderungen unterscheiden. der Test wird als einzeluntersuchung durchgeführt und erfordert 10 -20 Minuten durchführungszeit. die normierung erfolgte anhand der daten von 870 monolingual aufwachsenden Kindern mit deutsch als Muttersprache. Bei einer kleinen Teilstichprobe (n = 53) dieser Kinder wurde zur Überprüfung der konvergenten Validität zusätzlich der seTK 3 -5 durchgeführt. der Vergleich der skalenrohwerte ergab eine Korrelation von r = .72. die gemeinsame Varianz der beiden Verfahren betrug ca. 52 % (Fox, 2006, 27 -32). diese ergebnisse können allerdings nicht ohne Weiteres auf Kinder mit spracherwerbsstörungen übertragen werden. Lohmeier, rausch & schrey-dern (2008) berichteten aus einer untersuchung von 16 Kindern (darunter neun Kinder mit störungen der expressiven grammatikentwicklung und drei Kinder mit phonologischen störungen) erhebliche diskrepanzen zwischen den ergebnissen beider Verfahren, die zumindest in drei Fällen nicht als zufällige Abweichungen angesehen werden konnten, sondern signifikant waren. suess (2008) untersuchte 20 Kinder eines bayerischen regelkindergartens mit dem TrOg-d und dem MsVK und ermittelte eine Korrelation von r = .82 für die beiden gesamttestwerte, fand allerdings auch bei diesem Vergleich erhebliche T-Wertunterschiede in den ergebnissen beider Verfahren von durchschnittlich knapp 13 Punkten. nur zehn der 45 FI 1 / 2013 Tests und Screenings 20 Kinder wurden übereinstimmend als durchschnittlich bzw. unter- oder überdurchschnittlich entwickelt bewertet. es erschien daher sinnvoll, die Zusammenhänge zwischen Testergebnissen im TrOg-d und anderen Verfahren zur Beurteilung des sprachverständnisses in einer eigenen studie zu explorieren. dazu wurden zwei unabhängige untersuchungen durchgeführt 1 . Bei der ersten untersuchung sollten Übereinstimmungen und Abweichungen in den ergebnissen des TrOg-d und des Marburger sprachverständnistests (MsVK; subtest „sätze verstehen“) in einer stichprobe von sprachlich im Wesentlichen unauffälligen Kindern analysiert werden. die stichprobe umfasste 26 Kinder aus zwei allgemeinen Kindergärten; 21 Kinder wuchsen monolingual auf, bei fünf Kindern wurde zu Hause von zumindest einem elternteil die türkische, russische oder chinesische sprache verwendet. Ihr Alter schwankte zwischen 60 und 76 Monaten (Mittelwert 67.3 Monate; standardabweichung 4.5 Monate). Bei der anderen untersuchung wurden 53 Kinder untersucht, die einen sprachheilkindergarten besuchten. Bei ihnen wurde sowohl der TrOg-d wie auch der subtest „Verstehen von sätzen“ aus dem sprachentwicklungstest seTK 3 -5 durchgeführt. Bei 23 Kindern dieser gruppe wurden zusätzlich die expressiven subtests des seTK 3 -5 eingesetzt und die subtests „Verstehen von sätzen“ aus dem Heidelberger sprachentwicklungstest (HseT) sowie subtests zur Beurteilung der sprachlichen Merkfähigkeit aus der „Kaufman Assessment Battery for children“ (K-ABc; Wortreihe, Zahlen nachsprechen). das Alter der Kinder schwankte zwischen 48 und 71 Monaten (Mittelwert 61.9 Monate; standardabweichung 6.2 Monate). Alle untersuchungen wurden in einzelsitzungen durchgeführt. die Tabelle 1 gibt einen Überblick über die ergebnisse. In der gruppe der sprachlich unauffälligen Kinder korrelierte der TrOg-d mit dem subtest „sätze verstehen“ im MsVK mit r = .60 (p = .001). In der gruppe der sprachauffälligen Kinder korrelierte der TrOg-d mit dem subtest „Verstehen von sätzen“ im seTK 3 -5 mit r = .45 (p = .001). In dieser stichprobe ergab sich eine weitere signifikante Korrelation mit dem subtest „Verstehen von sätzen“ aus dem HseT (n = 23; r = .49, p < .05). die übrigen subtests des seTK bzw. die Maße zur Beurteilung der sprachbezogenen Merkfähigkeit wiesen keine signifikanten Zusammenhänge mit dem ergebnis des TrOg-d auf. die signifikanten korrelativen Zusammenhänge sprechen für die konvergente Validität des TrOg-d als sprachverständnismaß, die un- 1 es handelte sich um untersuchungen, die im rahmen von wissenschaftlichen Hausarbeiten des studiums der sonderpädagogik an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg durchgeführt wurden. die quantitativen ergebnisse der Arbeiten von n. Frisch, K. Kemler, M. Mössinger und A. Wagner werden hier zusammengefasst. TROG-D SETK-VS MSVK-SV N M SD M SD M SD Kinder aus allgemeinen Kindergärten 26 52.31 12.01 - - 50.38 7.20 Kinder aus sprachheilkindergärten 53 41.31 9.39 42.56 12.20 - - Tab. 1: Verteilung der ergebnisse (T-Werte) in sprachverständnistests (TrOg-d, seTK-Vs und MsVK-sV) 46 FI 1 / 2013 Tests und Screenings terschiede zwischen den beiden gruppen für seine differenzierungskraft zur Identifikation von Kindern mit einer nicht altersgemäßen sprachverarbeitungsfähigkeit. sie täuschen allerdings ein höheres Maß an Übereinstimmungen vor, als sich in der gruppe der sprachauffälligen Kinder auf individueller ebene zeigt. so werden immerhin 16 von 53 Kindern (30 %) im seTK und im TrOg-d unterschiedlich klassifiziert. Von den 18 Kindern, die im TrOg-d als unterdurchschnittlich beurteilt werden (T-Wert < 40), liegen fünf Kinder im seTK im durchschnittlichen Bereich (T-Wert 40 -60). Von den 34 Kindern, die im TrOg-d als durchschnittlich beurteilt werden, schneiden im seTK sieben Kinder unterdurchschnittlich und drei Kinder überdurchschnittlich (T- Wert > 60) ab. Für die Praxis unterstützen diese ergebnisse die Tauglichkeit des TrOg-d als Testverfahren zur Beurteilung von sprachverständnisstörungen im Vorschulalter. der Vergleich mit den ergebnissen des seTK 3 -5 zeigt jedoch, dass sich die verschiedenen Verfahren hinsichtlich ihres schwierigkeitsgrads und ihrer Aufgabenmodalität unterscheiden, sodass es nicht in jedem Fall zu eindeutigen Beurteilungen der ergebnisse eines Kindes als „auffällig“ oder „altersgemäß“ kommt. In klinischen gruppen ist somit der einsatz mehrerer Testverfahren zu empfehlen, um ein möglichst umfassendes Bild von den Hilfe- und Förderbedürfnissen eines Kindes zu gewinnen. Literatur Amorosa, H. & Noterdaeme, M. (2003): rezeptive sprachstörungen. Hogrefe, göttingen Elben, C. & Lohaus, A. (2000): Marburger sprachverständnistest für Kinder (MsVK). Hogrefe, göttingen Fox, A. (2006): TrOg-d. Test zur Überprüfung des grammatikverständnisses. schulz-Kirchner, Idstein Gebhard, W. (2007): sprachverständnisstörungen - diagnostische und therapeutische Anmerkungen zu einem unterschätzten Problem. Mit sprache, 39, 23 -39 Grimm, H. (2001): seTK 3 -5. sprachentwicklungstest für dreibis fünfjährige Kinder. Hogrefe, göttingen Kauschke, C. & Siegmüller, J. (2009): Patholinguistische diagnostik bei sprachentwicklungsstörungen. 2. Aufl. elsevier, München Lohmeier, K., Rausch, M. & Schrey-Dern, D. (2008): diagnostik des sprachverständnisses: TrOg-d (Fox, 2006) und „Verstehen von sätzen“ aus dem seTK 3 -5 (grimm, 2001) bei vierjährigen Kindern - Vergleichbarkeit und Anwendungsbereich der Verfahren. Vortrag auf der Jahrestagung des deuschen Bundesverbands für Logopädie, Aachen Schmitz, P. & Fox, A. (2007): sprachverstehenstests im deutschen unter besonderer Berücksichtigung des TrOg-d. Forum Logopädie, 21, 18 -25 Suess, N. (2008): die diagnostik von rezeptiven sprachstörungen - eine explorative studie zum Vergleich des Marburger sprachverständnistests für Kinder (MsVK) und des Tests zur Überprüfung des grammatikverständnisses (TrOg-d). unveröffentlichte Bachelorarbeit. LMu, München