eJournals Frühförderung interdisziplinär 32/3

Frühförderung interdisziplinär
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0721-9121
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
71
2013
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Religiosität und Spiritualität

71
2013
Monika Lang
Nähert man sich den Begriffen Religiosität und Spiritualität an, so trifft man auf eine große Zahl unterschiedlicher theologischer, religionswissenschaftlicher bzw. -psychologischer Ansätze. So unterschied James Leuba bereits 1912 48 Definitionen von Religion (vgl. Batson & Ventis, 1982, 5) und Schweiker spricht vom „Regenschirm-Konzept“, dass vorrangig eine eher verdeckende als klärende Wirkung entfaltet (2001, 115). Zur präziseren Einordnung und Beschreibung der verschiedenen Definitionen und Zugänge erscheint es sinnvoll, näher auf den Ansatz von James Fowler einzugehen (vgl. u. a. Fowler, J., deutsche Fassung, 1991, 30ff). Fowler bezieht sich auf W. C. Smith, wenn er zwischen Religion, Glaube und Glaubensinhalt unterscheidet. „Glaube“ wird von Fowler definiert als „die Art und Weise des Menschen oder der Gruppe auf den transzendenten Wert und die transzendente Macht zu antworten“ (ebd., 31). Die einzelnen Religionen werden als „kumulative Traditionen“ gesehen, als Formen und Wege, wie Menschen in der Vergangenheit ihren Glauben ausgedrückt haben [...]
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179 FI 3 / 2013 StIchwort Religiosität und Spiritualität Monika Lang Nähert man sich den Begriffen religiosität und Spiritualität an, so trifft man auf eine große Zahl unterschiedlicher theologischer, religionswissenschaftlicher bzw. -psychologischer Ansätze. So unterschied James Leuba bereits 1912 48 Definitionen von religion (vgl. Batson & Ventis, 1982, 5) und Schweiker spricht vom „regenschirm-Konzept“, dass vorrangig eine eher verdeckende als klärende wirkung entfaltet (2001, 115). Zur präziseren Einordnung und Beschreibung der verschiedenen Definitionen und Zugänge erscheint es sinnvoll, näher auf den Ansatz von James Fowler einzugehen (vgl. u. a. Fowler, J., deutsche Fassung, 1991, 30ff). Fowler bezieht sich auf w. c. Smith, wenn er zwischen religion, Glaube und Glaubensinhalt unterscheidet. „Glaube“ wird von Fowler definiert als „die Art und weise des Menschen oder der Gruppe auf den transzendenten wert und die transzendente Macht zu antworten“ (ebd., 31). Die einzelnen religionen werden als „kumulative traditionen“ gesehen, als Formen und wege, wie Menschen in der Vergangenheit ihren Glauben ausgedrückt haben. Eine solche kumulative tradition ist dann weiter lebendig, wenn sie die Kraft besitzt, „gegenwärtigen Glauben“ zu wecken und sich einem Prozess ständiger Fortschreibung und Modifizierung zu unterziehen (ebd., 31). Glaube ist so verstanden eine „Beziehung des Vertrauens und der Loyalität zum transzendenten“ (ebd., 32), hingegen spiegelt der Glaubensinhalt das Bemühen wider, die „Erfahrung von transzendenz und die Beziehung zur transzendenz in Begriffe oder Sätze zu übertragen“ (ebd., 32). Für william James, den Pionier der amerikanischen religionspsychologie, ist der Beziehungsaspekt innerhalb des Glaubens an eine transzendente Kraft ebenfalls ein notwendiger Bestandteil einer religiösen Erfahrung (vgl. 1902, 42). Und auch für den Soziologen Peter Berger steht im Zentrum seiner „substantive definition“ von religion das Sich-Beziehen des Menschen auf eine transzendente Macht oder Kraft (vgl. 1974). hingegen verweigert sich der religionspsychologische Ansatz von Gordon Allport einer solchen Zuordnung, wenn er eine allgemeine Definition von religion und Glaube ablehnt und die Bewertung einer Erfahrung als „religiös“ der jeweiligen Person selbst überlässt (vgl., 1950). Das wort „religion“ wird zwar im Begriff der „religionspsychologie“ aufgenommen, um den fachlichen Gegenstand dieser psychologischen teildisziplin näher zu kennzeichnen, da es aber auf christlichem hintergrund entstanden ist, wird es von Utsch (1998) eher dem Feld der religionswissenschaft zugeordnet. Er präferiert für den religionspsychologischen Bereich zur genaueren Bezeichnung des inhaltlichen Gegenstands die Begriffe „religiosität“ und „Spiritualität“. religiosität, abgeleitet vom englischen wort „religiosity“, wird von Utsch (mit Verweis auf Donahue, 1985) aber ebenfalls eher kritisch betrachtet, da mit ihm in der englischsprachigen Forschung eine tendenziell übersteigerte oder unwahrhaftige Ausprägung eines religiösen Glaubens bezeichnet wird. Im Gegensatz zu „religiosity“ wird das wort „religiousness“, religiös-Sein, eher zur Beschreibung einer persönlichen und existenziell glaubhaft verankerten Frömmigkeit verwen- 180 FI 3 / 2013 Stichwort det, sodass Utsch den religiositätsbegriff für den deutschsprachigen raum als insgesamt „missverständlich“ charakterisiert und ihn nur wegen seiner allgemeinen Bekanntheit benutzt sehen möchte (vgl. ebd., 91). Als mögliche Alternative oder Ergänzung wird in vielen neueren religionspsychologischen Veröffentlichungen der Begriff „Spiritualität“ verwendet. Aber auch Spiritualität ist kaum in eindeutiger weise fassbar und wird daher auch als „fuzzy concept“ (vgl. Spilka, 1993,1) bezeichnet, dessen Brauchbarkeit in der empirischen Forschung infrage gestellt wird (vgl. Gorsuch & Miller, 1999). Gollnick weist dann auch auf die Unmöglichkeit hin, einen tausend Jahre alten Begriff wie Spiritualität in eindeutiger weise definieren zu wollen, ohne dass es dabei zu einem Verlust wichtiger inhaltlicher Dimensionen kommt. Utsch (1998) betont die Unabhängigkeit der Spiritualität von institutionell gefassten religionen, geht aber noch einen Schritt weiter, wenn er von einer spirituellen Dimension als einem „eigenständigen Persönlichkeitsbereich“ oder einer „eigendynamischen Ichfunktion“ ausgeht (ebd., 103) und den Vorteil des Spiritualitätsbegriffs gerade in seiner „inhaltlichen offenheit und Unvorherbestimmtheit“ sieht (ebd., 100). In der neueren religionspsychologischen Literatur finden sich dennoch verschiedene Versuche, dem schwierigen Definitionsunterfangen gerecht zu werden. So beschreiben Peter & Nelson (1987) Spiritualität als „ […] the transcendent relationship between the person and a higher Being, a quality that goes beyond a specific religious affiliation“(zit. n. turner et al., 1995, 435). Spiritualität wird mit Verweis auf Barth (1993) als das umfassendere Konzept angesehen, das sich im Unterschied zur religiosität nicht auf spezifische religiöse handlungen und Lehren bezieht, sondern auf „eine transzendente, spirituelle Dimension als spezieller Erfahrungsmodus innerhalb der menschlichen Entwicklung“ (ebd., 97). Dieser Erfahrungsmodus scheint vor allem in einer „Krisen-, Verlust- oder Veränderungssituation“ (ebd., 97) aktiviert zu werden, dann wenn es in verschärfter weise um die Fragen nach dem Sinn und der existenziellen Bedeutung von neuen herausfordernden Lebenserfahrungen geht. Elkins und Kollegen (1988) sprechen dann auch mit Bezug auf Maslow und Dewey von einem wachsenden Bemühen um ein humanistisches Verständnis von Spiritualität. Sie betrachten Spiritualität als grundlegendes menschliches Bedürfnis, das sich im rahmen einer institutionell gefassten religion äußern kann, aber nicht muss. Sie kritisieren den Ausschließlichkeitsanspruch der religionen in Bezug auf Spiritualität und reklamieren den Beginn einer neuen Ära, die Elkins zehn Jahre später als „leise spirituelle revolution“ charakterisiert (vgl. Elkins, 1998, 9). Er betont immer wieder die wichtigkeit eines von den religionen unabhängigen Zugangs zur spirituellen Dimension, da die traditionellen religiösen Systeme nach seiner Ansicht immer häufiger als lebendige und existenziell bedeutsame „firsthand“-religionen (im Sinne von w. James) versagen und viele Menschen in der Konsequenz ein spirituelles Vakuum und seelische Desorientierung erfahren (Elkins, 1998, 10). Es gibt aber auch Positionen, die der klaren Unterscheidung zwischen religiosität und Spiritualität widersprechen, so kritisiert der einflussreiche amerikanische religionspsychologe K. I. Pargament (1997) die zu starke Betonung eines Gegensatzes zwischen den verschiedenen religiösen bzw. spirituellen Dimensionen, in Form von „spirituality-asgood“ vs. „religion-as-bad“ und sieht für eine solche strenge trennung und zugespitzte Bewertung keinen empirischen Beleg. Er verweist auf wulff (1997), wenn er betont, dass jedes einzelne Element der sogenannten „neuen Spiritualität“ sich auch in herkömmlichen institutionalisierten Formen von religion findet. In einer Untersuchung von Pargament und Kollegen beschreiben sich 76 % der 181 FI 3 / 2013 Stichwort · Fachtagungen und Kongresse Befragten als „spiritual and religious“, d. h. die Mehrheit unterscheidet entweder nicht zwischen diesen beiden orientierungen oder sieht sie als durchaus miteinander vereinbar an (vgl. Zinnbauer et al., 1996, zit. n. Pargament, 1997). Eine weitere Polarisierung und trennung der Begriffe religiosität und Spiritualität könnte auch dazu führen, so Pargament und weitere Forschungskollegen, dass es zur herausbildung eigener Forschungsfelder kommt und der gemeinsame inhaltliche Kern, die Verbindung der jeweiligen Sinnorientierung mit der geglaubten Existenz einer transzendenten Kraft, immer mehr verloren geht. Pargament verknüpft in seinem eigenen Ansatz daher beide Zugänge miteinander und verwendet den Begriff der Spiritualität für die Beschreibung der nach seiner Ansicht zentralen Funktion von religion, der Suche nach dem heiligen, „the search for the sacred“ (Pargament, 1997,39). Mit Bezug zu folgenden Veröffentlichungen der Autorin: Lang, M. (1999): Geistige Behinderung - Bewältigung und religiöser Glaube. Eine Interviewstudie mit Müttern von Jugendlichen und Erwachsenen mit einer geistigen Behinderung. Frankfurt a. M.: Peter Lang, reihe VI Psychologie, Bd. 640. Lang, M. (2013, in Druckvorb.): „Das andere Glück“ - Bewältigungs- und transformationsprozesse bei Müttern und Vätern von Kindern mit Behinderung unter besonderer Berücksichtigung von religious coping. habilitationsschrift, Philipps-Universität Marburg. FAchtAGUNGEN UND KoNGrESSE Tagung „Früh Chancen nutzen - Logopädie bei Kindern im Vorschulbereich“ 20. September 2013, 9.15 -16.15 Uhr tagungsort: Interkantonale hochschule für heilpädagogik Zürich Schaffhauserstrasse 239 ch-8050 Zürich tagungsleitung: Prof. wolfgang G. Braun, hfh; Lic. phil. hilda Geissmann, Kinderspital Zürich; Prof. Dr. Jürgen Steiner, hfhe www.hfh.ch/ tagungen