eJournals Frühförderung interdisziplinär 32/4

Frühförderung interdisziplinär
1
0721-9121
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
101
2013
324

Stichwort: Kommunikation

101
2013
Susanne Wachsmuth
Das Wort "Kommunikation" erscheint auf den ersten Blick ein einfacher Begriff zu sein, der allgemein verständlich ist. Er kommt aus dem Lateinischen und bedeutet "teilen, mitteilen, teilnehmen lassen; gemeinsam machen, vereinigen". Neben der Lautsprache umfasst Kommunikation auch nonverbale Äußerungen wie Körpersprache, Gebärden, Schrift oder Bilder. Auf den zweiten Blick erkennt man Probleme, die sich insbesondere aus der Frage ergeben, ob eine Mitteilung absichtlich, also intentional, gemacht werden muss, um als Kommunikation zu gelten. [...]
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247 FI 4 / 2013 STICHWORT Kommunikation Susanne Wachsmuth Das Wort „Kommunikation“ erscheint auf den ersten Blick ein einfacher Begriff zu sein, der allgemein verständlich ist. Er kommt aus dem Lateinischen und bedeutet „teilen, mitteilen, teilnehmen lassen; gemeinsam machen, vereinigen“. Neben der Lautsprache umfasst Kommunikation auch nonverbale Äußerungen wie Körpersprache, Gebärden, Schrift oder Bilder. Auf den zweiten Blick erkennt man Probleme, die sich insbesondere aus der Frage ergeben, ob eine Mitteilung absichtlich, also intentional, gemacht werden muss, um als Kommunikation zu gelten. Schon Neugeborene verhalten sich so, dass ihre Aktivitäten interpretierbar sind. Nach kurzer Zeit erkennen Eltern am Schreien, ob das Kind Langeweile hat oder aber Schmerzen, und reagieren entsprechend. Oder Babys schauen zu Gegenständen hin und freuen sich, wenn diese ihnen gereicht werden. Die Blickrichtung hatte also kommunikativen Charakter für die Eltern. Obwohl das kleine Kind noch nicht die Absicht hatte, die Eltern aufzufordern, ihm etwas Interessantes zu geben, haben die Eltern dennoch so reagiert, als würde das Kind zum Beispiel sagen: ‚gib mir mal den Ball‘. Das Verhalten des Kindes ist prä-intentional, d. h. das Kind wendet sich noch nicht mit einer absichtlich formulierten Mitteilung an die Eltern. Dennoch verhalten sich die Eltern so, als wolle das Kind ihnen bereits etwas mitteilen. Das kleine Kind ist zu diesem Zeitpunkt vollkommen auf die Bereitschaft und Fähigkeit seiner Eltern zur Interpretation seiner Aktionen oder nichtsprachlichen Äußerungen angewiesen (Papoušek 1998). Im Laufe der Entwicklung lernt das Kind, die Bezugspersonen willentlich in seine Äußerungen mit einzubeziehen. Ab etwa neun Monaten gelingt es dem Kind, abwechselnd zur Bezugsperson und dem gewünschten Gegenstand zu gucken oder sich zu einem Gegenstand auszustrecken und gleichzeitig immer wieder zur Mutter zu sehen. Das wird triangulärer Blick genannt und bedeutet, dass die Blickrichtung quasi ein Dreieck (Triangel) zwischen Kind - Gegenstand - Bezugsperson herstellt. Hier macht das Kind eindeutig eine nonverbale intentionale Mitteilung an die Bezugsperson mit dem Sinn: ‚gib mir das! ‘ (Wunsch) oder aber: ‚guck mal, da ist was Interessantes‘ (Kommentar). Der trianguläre Blick markiert einen sehr wichtigen Entwicklungsschritt, denn nun ist es möglich, dass sich das Kind gemeinsam mit einem Erwachsenen einem Ding oder Ereignis zuwendet und durch den Erwachsenen Namen oder Eigenschaften des gemeinsam Betrachteten erfährt. Das erweitert seinen Wortschatz und sein Wissen über die Welt (Zollinger 2010). Die Unterscheidung in prä-intentionale und intentionale Kommunikation ist wichtig, weil Kommunikationsförderung häufig erst dann empfohlen wird, wenn das Kind intentionale Äußerungen macht. Das wird problematisch, wenn ein Kind mit komplexer Behinderung sehr lang in der prä-intentionalen Phase bleibt, oder wenn man erwarten muss, dass sie u. U. nicht überschritten wird. Schon früh und während des ganzen Lebens ist das Selbstbild u. a. abhängig von der Reaktion der anderen und der Kommunikation mit ihnen. Dabei wird signalisiert, ob der Kommunikationspartner z. B. als interessant und liebenswert oder als bemitleidenswert, unintel- 248 FI 4 / 2013 Stichwort Stichwort ligent und unattraktiv erlebt wird. Solche meist unbewusst gegebenen Reaktionen werden in das Selbstbild des Gegenübers integriert. Es kann vorkommen, dass man die intellektuellen Fähigkeiten und das Entwicklungspotenzial von Personen, die nicht lautsprachlich kommunizieren, als nur sehr begrenzt einschätzt, was bedingt, dass sie manchmal nicht hinreichend kognitiv gefördert werden. Bei allen Äußerungen sind drei Aspekte, nämlich Form, Inhalt und Funktion, zu unterscheiden. Die konventionelle Form der Kommunikation ist die Lautsprache. Sie ist am effektivsten und wird von der großen Mehrheit einer Sprachgemeinschaft verstanden. Durch das riesige Vokabular lässt sich nahezu alles darstellen, und die Grammatik ermöglicht es, logische Beziehungen aufzuzeigen. Diese sind durch den Gebrauch verschiedener Zeiten oder Konjunktionen wie „nachdem“, „als“, „weil“ usw. abzubilden. Aber wie es oben für Säuglinge und Kleinkinder beschrieben wurde, kann Kommunikation ebenso über Blickrichtung, Gesten, Lautäußerungen oder andere Aktionen erfolgen, die für das Gegenüber interpretierbar sind. Man spricht von der Körpersprache. Diese nonverbalen, nicht lautsprachlichen Formen der Kommunikation werden nicht nur von kleinen Kindern eingesetzt, sondern sie begleiten auch verbale Äußerungen Erwachsener. Im Idealfall unterstützen sie dann das Gesprochene. Manchmal widerspricht die Körpersprache aber auch der verbalen. Das führt zu Irritationen, und man ist sich nicht sicher, ob das, was gesagt wird, auch wirklich so gemeint ist. In Ausnahmefällen ersetzen nonverbale Äußerungen die Lautsprache. Dass gehörlose Menschen in der Lage sind, alles in Gebärdensprache auszudrücken und zu verstehen, zeigen u. a. Gebärdendolmetscher, die z. B. die Fernsehnachrichten übertragen. Nonverbale Kommunikationsformen werden auch anderen Personengruppen zugänglich gemacht; und inzwischen hat sich die sogenannte „Unterstützte Kommunikation“ etabliert, die Menschen, die in Folge von Erkrankungen oder Behinderungen nicht in der Lage sind zu sprechen, neben den Gebärden auch grafische und elektronische Kommunikationshilfen anbietet. Egal in welcher Form Äußerungen getätigt werden, sie haben immer einen Inhalt: es geht um Hunger, um einen Ball, um Politik oder beliebige andere Themen. Gleichzeitig haben sie eine Funktion: durch die Kommunikation soll etwas erreicht werden. Janice Light (1997) unterscheidet vier Funktionen: Informationstransfer, Ausdruck von Wünschen und Bedürfnissen, Herstellen und Erhalt sozialer Nähe sowie das Erfüllen von Etikette. Erstens soll durch Kommunikation etwas mitgeteilt werden, man will informieren oder etwas erfragen. Die Bewältigung unseres Alltags ist davon abhängig, dass wir entsprechende Informationen bekommen, z. B. Fahrpläne, Sonderangebote, Öffnungszeiten, An- und Abwesenheit von Personen usw. Informationen machen Ereignisse durchschaubarer und können damit Ängste vermeiden bzw. vermindern (Kristen 1994, S. 34). Auf informative Funktion baut (nicht nur) das schulische Lernen auf. Ohne gelingende Kommunikation zwischen Schülern und Lehrer ist Unterricht nicht vorstellbar. Zweitens teilt man Wünsche und Bedürfnisse mit, damit diese erfüllt werden. Verhaltensauffälligkeiten behinderter Menschen erklären sich manchmal aus der Frustration, sich nicht verständlich machen zu können (Durand & Carr 1991). Selbst- und Mitbestimmung können nur erreicht werden, wenn diese Funktion erfüllt wird. Bei den beiden erstgenannten Funktionen ist es von Bedeutung, sich klar und unmissverständlich auszudrücken. Die Kommunikation 249 FI 4 / 2013 Stichwort gilt nur dann als gelungen, wenn das Gegenüber genau versteht, welche Informationen gegeben, welche Frage gestellt oder welche Wünsche und Bedürfnisse ausgedrückt werden und entsprechend darauf reagiert. Von der reinen Informationsübermittlung ist die dritte Funktion zu unterscheiden: dem Herstellen sozialer Nähe durch Kommunikation. Es ist eine typisch menschliche Eigenschaft, unsere Emotionen mit anderen teilen zu wollen. Das beginnt bereits bei sehr jungen Kindern, die keineswegs nur dann auf Dinge zeigen, wenn sie diese gerne haben möchten, also um Wünsche und Bedürfnisse auszudrücken, sondern auch dann, wenn sie etwas besonders interessant finden und es jemandem mitteilen wollen. Stellen wir uns vor, ein Kind entdeckt einen großen Luftballon und zeigt darauf, guckt zu seiner Mutter und zeigt wieder darauf. Es wird erst dann zufrieden sein, wenn die Mutter ebenfalls den Ballon entdeckt, ihre Freude ausdrückt und sich dabei dem Kind zuwendet (Tomasello 2009, S. 137f). Ein großer Teil der Gespräche zwischen Erwachsenen werden nur deshalb geführt, um mit anderen Menschen in Kontakt zu treten, ihnen zu signalisieren, dass man sie (noch immer) sympathisch findet bzw. dass man gerne konfliktfrei mit ihnen interagieren möchte. Bei diesen Gesprächen ist das Thema nicht relevant, es ist genauso gut möglich, über das Wetter wie über Nachbarn, gemeinsame Erlebnisse oder andere Themen zu sprechen. Wichtig ist aber, dass auf ein Kommunikationsangebot freundlich eingegangen wird, und dass während des Gesprächs Rückmeldungen durch Lächeln, Nicken, Kommentare usw. gegeben werden, die anzeigen, dass diese Kommunikation von beiden Seiten mit Interesse geführt wird. Kommunikation ermöglicht also Partizipation und Teilhabe an der Gemeinschaft (Light 1997). Als vierte Funktion von Kommunikation sei die Erfüllung von Etikette genannt: Schon sehr früh lernen Kinder beim Abschied zu winken, „bitte-bitte“ und danke zu signalisieren. Andere Situationen sind Begrüßung oder Gratulation. Dass diese Funktion nicht nur reine Formsachen beinhaltet, merkt man daran, dass man es als kränkend und verletzend erlebt, von diesen Etiketten ausgeschlossen zu werden (Light 1997). So werden Lebensqualität und Entwicklung in hohem Maße von einer gelingenden Kommunikation bestimmt. Literatur Durand, V. M., Carr, E. G. (1991): Functional communication training to reduce challenging behavior: maintenance and application in new settings. Journal of Applied Behavior Analysis. 24(2), 251 -264 Kristen, U. (1994): Praxis Unterstützte Kommunikation. Eine Einführung. Düsseldorf: Selbstbestimmtes Leben Light, J. (1997): “Communication is the essence of human life”: reflections on communicative competence. AAC - Augmentative and Alternative Communication, 13, 61 - 70 Papoušek, M. (1998): Vom ersten Schrei zum ersten Wort. Anfänge der Sprachentwicklung in der vorsprachlichen Kommunikation.2. Auflage. Bern: Hans Huber Tomasello, M. (2009): Die Ursprünge der menschlichen Kommunikation. Frankfurt: Suhrkamp Zollinger, B. (2010): Die Entdeckung der Sprache. 8. Auflage. Bern: Haupt