Frühförderung interdisziplinär
1
0721-9121
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
41
2013
322
PAT - Mit Eltern Lernen
41
2013
Andrea Lanfranchi
Renate Sindbert
Das Programm wurde mit dem Namen „Parents As Teachers“ (PAT ) in den frühen 80er Jahren in Missouri/USA entwickelt, um die Schulfähigkeit von Kindern aus sozial benachteiligten Familien zu verbessern. Vorschulpädagogen in St. Louis beobachteten, dass es der Schulreife der Kinder zugutekam, wenn man den Eltern in den ersten Entwicklungsjahren ihrer Kinder Informationen und Unterstützung anbot.
1_032_2013_2_0004
107 FI 2 / 2013 Eltern-Kind-Konzepte auf den Punkt gebracht EltErn-KInd-KonzEptE auF dEn punKt gEbracht PAT - Mit Eltern Lernen Andrea Lanfranchi, Renate Sindbert Wo wurde das Programm entwickelt? das programm wurde mit dem namen „parents as teachers“ (pat) in den frühen 80er Jahren in Missouri/ uSa entwickelt, um die Schulfähigkeit von Kindern aus sozial benachteiligten Familien zu verbessern. Vorschulpädagogen in St. louis beobachteten, dass es der Schulreife der Kinder zugutekam, wenn man den Eltern in den ersten Entwicklungsjahren ihrer Kinder Informationen und unterstützung anbot. pat verbreitete sich sehr schnell zunächst innerhalb der uSa und dann über die landesgrenzen hinaus: in australien, neuseeland, Kanada, Mexiko, china, großbritannien, deutschland und neuerdings der Schweiz. Mittlerweile haben ca. 3,5 Millionen Familien am programm teilgenommen. Von anfang an wurde auf die regelmäßige und systematische Evaluation großen Wert gelegt. auch besteht der anspruch, dass das curriculum und die programmmaterialien stets auf dem neuesten wissenschaftlichen Stand sind. die letzte umfassende Überarbeitung 2010 konzentriert sich auf die besonderen bedürfnisse von risikobelasteten Familien. 2004 wurde pat von der aWo nürnberg nach deutschland geholt, übersetzt und unter dem namen „pat - Mit Eltern lernen“ an deutsche Verhältnisse angepasst (Sindbert, 2010; pat ggmbh, 2011). ziel war es, ein bewährtes Familien-Förderprogramm anzubieten, das bereits in der Schwangerschaft ansetzt und flexibel einsetzbar ist. 2010 wurde die organisation PAT - Mit Eltern Lernen gGmbH gegründet, die für die ausbildung der programmanbieter sorgt: www.pat-mitelternlernen.org. Wie baut sich das Konzept auf? PAT - Mit Eltern Lernen besteht als programm zur frühen Förderung und Elternstärkung aus folgenden vier Elementen: 1. Hausbesuche. die hausbesucherin (nach der uS-amerikanischen terminologie pat-Elterntrainerin genannt) baut eine vertrauensvolle und partnerschaftliche beziehung zu den Eltern auf. zentrale themen sind die Entwicklung des Kindes und die Interaktion zwischen Eltern und Kind sowie das Wohl der Familie. Interaktionen zwischen den Eltern und ihren Kindern finden während des gesamten hausbesuchs statt. die Elterntrainerin beobachtet diese Interaktionen und gibt positive rückmeldungen, wenn es den Eltern gelingt, die bedürfnisse der Kinder zu erkennen und angemessen darauf einzugehen. zudem bringt sie eine spezielle Eltern-Kind-aktivität mit und leitet die Eltern an, diese aktivität mit dem Kind zu machen. damit können die Eltern die altersgemäßen Fertigkeiten ihrer Kinder gut erkennen und bekommen anregungen, wie sie die Entwicklung weiter fördern können. beim hausbesuch werden programm und Intensität auf die individuellen bedürfnisse der Familie zugeschnitten. Ein hausbesuch dauert ca. eine Stunde und findet in der regel alle zwei Wochen statt (bei bedarf auch wöchentlich; monatlich findet mindestens ein besuch statt). 2. Gruppenangebote. Sie finden einmal im Monat statt und bieten eine gelegenheit für die Eltern, Erfahrungen auszutauschen, über probleme zu diskutieren, von anderen Eltern zu lernen, einander zu unterstützen, das Kind 108 FI 2 / 2013 Eltern-Kind-Konzepte auf den Punkt gebracht zusammen mit anderen Kindern zu beobachten. bei diesen treffen werden die sozialen beziehungen zwischen den Eltern gefördert. 3. Aufbau von sozialen Netzwerken. PAT -Mit Eltern Lernen schafft zugänge zu Einrichtungen und angeboten, die für das Wohlergehen der Familie von zentraler bedeutung sind, wie zum beispiel deutschkurse oder der bezug von Wohngeld. dafür ist es erforderlich, dass die Elterntrainerinnen gut vernetzt arbeiten und mit trägern weiterer dienstleistungen und angeboten für Familien vor ort kooperieren. 4. Screenings. PAT -Mit Eltern Lernen stellt Evaluationswerkzeuge zur Verfügung, die der Elterntrainerin und den Eltern dabei helfen, Entwicklungsbereiche wie Sehen, hören, Kognition, Motorik und die gesundheit des Kindes zu beobachten und möglicherweise kritische bereiche zu identifizieren, die eine abklärung durch Experten und evtl. therapeutische Maßnahmen erfordern (wie zum beispiel heilpädagogische Frühförderung bei manifesten Entwicklungsbeeinträchtigungen). Für wen ist es bestimmt? PAT -Mit Eltern Lernen richtet sich an alle jungen Familien, die unterstützung und begleitung bei der Erziehung ihrer Kinder brauchen, insbesondere Familien in psychosozialen risikosituationen wie im Falle alleinerziehender junger Mütter, arbeitslosigkeit der Eltern, Migration gekoppelt mit sozialer Isolation, großer finanzieller probleme, sehr enger Wohnverhältnisse, Sucht, gewalt etc. Was soll das Programm bewirken? a) Verbesserung der Erziehungskompetenz der Eltern. beim hausbesuch wird den Eltern praxisbezogenes, am Kind beobachtbares Wissen über Entwicklungsprozesse vermittelt. Sie bekommen anregungen, wie sie diese Entwicklung fördern können und lernen, wie ihr eigenes Verhalten mit dem Verhalten des Kindes zusammenhängt. b) Förderung des Aufbaus sicherer Bindungen zwischen Eltern und Kind. die Elterntrainerin unterstützt die Eltern, die erforderliche Feinfühligkeit für den umgang mit dem baby zu entwickeln, und bestärkt sie darin, die Signale des Kindes zu verstehen und sensibel sowie prompt darauf einzugehen. c) Förderung von altersgemäßer Schulfähigkeit: der bildungsort Familie ist von zentraler bedeutung in den prägenden ersten lebensjahren des Kindes. PAT -Mit Eltern Lernen unterstützt die Eltern, eine anregende umwelt für ihre Kinder zu schaffen, die für die Entwicklung der lernkompetenz und den aufbau schulischer Vorläuferfähigkeiten erforderlich ist. d) Früherkennung von Entwicklungsverzögerungen und Gesundheitsproblemen. Siehe Screening. e) Reduktion von Kindesmisshandlung und Vernachlässigung. PAT - Mit Eltern Lernen baut präventiv Stützsysteme für junge Familien und vermittelt Wissen und Können im umgang mit dem Kind. damit wird erzielt, dass die Erwartungen von Eltern an das Verhalten ihrer Kinder angemessen sind. f) Erhöhung des Wohlergehens der Familie. die Elterntrainerin hat bei jedem hausbesuch auch das Wohlergehen der gesamten Familie im blick. In notfällen wird sie den Eltern helfen, die erforderliche unterstützung zu erhalten. 109 FI 2 / 2013 Eltern-Kind-Konzepte auf den Punkt gebracht Wer wendet PAT - Mit Eltern Lernen an? das programm wird von zertifizierten pat-Elterntrainerinnen umgesetzt. Ein zertifikat können Fachkräfte aus den bereichen Vorschulpädagogik, Sozialpädagogik, Erwachsenenbildung oder dem gesundheitswesen (wie hebammen, Kinderkrankenschwestern) erlangen. Vorausgesetzt wird die erfolgreiche teilnahme an einer fünftägigen Schulung, die in deutschsprachigen ländern regelmäßig von der dachorganisation PAT - Mit Eltern Lernen gGmbH angeboten wird (www.pat-mitelternlernen.org/ training/ ). die Schulung vermittelt grundkenntnisse über den ansatz von PAT - Mit Eltern Lernen, die Struktur und den ablauf von hausbesuchen und die sinnvolle nutzung der umfassenden programmunterlagen, die nach der zertifizierung online zugänglich sind. die erforderlichen Kernkompetenzen einer pat Elterntrainerin entwickeln sich nach der Schulung durch berufspraxis, regelmäßige anleitung, Fortbildung und Selbststudium. PAT -Mit Eltern Lernen geht flexibel auf die spezifischen bedürfnisse der Familien ein, sowohl in inhaltlicher als auch in struktureller Form. die Einsatzmöglichkeiten sind vielfältig: a) als eigenständige Maßnahme in Form von Fördergruppen in Stadtteilen oder regionen mit besonderem Entwicklungsbedarf. b) als besonderes angebot für Eltern in Kindertagestätten oder im Familienzentrum: Kleinkinderzieherinnen werden zu pat-Elterntrainerinnen ausgebildet und setzen das programm mit Familien mit besonderem unterstützungsbedarf aus ihren Einrichtungen um. c) Im rahmen einer Jugendhilfemaßnahme: Sozialpädagogen aus der Jugendhilfe lassen sich zertifizieren und setzen pat innerhalb der Sozialpädagogischen Familienhilfe um. Welche Erfahrungen gibt es mit dem Programm im Bereich der Frühförderung? Wir möchten über die anwendung des programms im bereich Frühförderung am beispiel des Einsatzes von PAT -Mit Eltern Lernen in der Schweiz berichten. Im rahmen der Interventionsstudie zEppElIn (Zürcher Equity Präventionsprojekt Elternbeteiligung und Integration) ist die Interkantonale hochschule für heilpädagogik (hfh) daran, die Effekte des programms auf 252 entwicklungsgefährdete Kleinkinder bzw. Familien in psychosozialen risikosituationen zu überprüfen. PAT - Mit Eltern Lernen wurde ausgewählt, weil dieses programm gemäß unserer rezeption der relevanten Metaanalysen folgenden zentralen Wirksamkeitskriterien im bereich frühkindliche bildung entspricht (vgl. lanfranchi & burgener Woffray, 2012): frühzeitiger beginn, Fokus auf Familien mit besonderem Förderbedarf, Kontinuität und Intensität, Individualisierungsmöglichkeiten, professionalität des personals, berücksichtigung der Sprachförderung, niederschwelliger zugang. In einer zweijährigen Machbarkeitsstudie in dietikon bei zürich (2009 bis 2011) wurden die Verfahren der Früherkennung, Frühförderung und Evaluation in einer kleinen Stichprobe erprobt. zu den zentralen Ergebnissen gehören der gelungene zugang zu einem schwer erreichbaren adressatenkreis dank Einsatz interdisziplinärer netzwerke (bestehend aus Mütterberaterinnen, interkulturellen Übersetzerinnen, Kinderärzten, Sozialen diensten etc.), die optimale programmreichweite (rekrutierungserfolg bei Familien mit risikopotenzial von 94.7 %) und die positive Wirkung des programms auf die Entwicklung der Kinder und auf die Erziehungskompetenzen ihrer Eltern (zur Wirksamkeit siehe nächsten abschnitt). die Hauptstudie ist Ende 2011 gestartet und dauert bis 2015. In einer randomisiert kontrollierten Versuchsanordnung (rct) werden mit- 110 FI 2 / 2013 Eltern-Kind-Konzepte auf den Punkt gebracht tels Vergleichen zwischen Interventions- (n = 132) und Kontrollgruppe (n = 120) die Effekte von PAT - Mit Eltern Lernen auf die Entwicklung der Kinder und die Wirkmechanismen im bildungsort Familie überprüft. die bilanz des ersten projektjahrs: der Einsatz des programms im rahmen der Frühförderung bei zEppElIn 0 -3 gelingt sehr gut. drop-outs waren bis jetzt lediglich im rahmen von Wegzügen zu verzeichnen. Sowohl die pat-Elterntrainerinnen als auch die involvierten Familien sind vom programm überzeugt und halten die Qualitätsstandards ein, was auf einen positiven ausgang der laufenden Studie hoffen lässt. die erwarteten Effekte sind: Kinder aus der Interventionsgruppe zeigen im 3. lebensjahr signifikant höhere Entwicklungswerte in den bereichen Sprache, Kognition, Motorik und Soziale Kompetenz; die Eltern zeigen höhere Erziehungskompetenzen; beim Followup gelingt den „pat-Kindern“ ein altersgemäßer Schulübertritt und ein guter Schulabschluss häufiger als bei der Kontrollgruppe. Womit wird die Wirksamkeit bewiesen? (Evaluation, Nachhaltigkeit) zwischen 1984 und 2008 wurden in den uSa 17 pat-Evaluations-Studien durchgeführt, fünf davon in einer experimentellen Versuchsanordnung mit Kontrollgruppendesign. die Ergebnisse lassen sowohl auf Elternwie auch auf Kinderebene ein Muster von weitgehend positiven Effekten erkennen (Übersicht in neuhauser, 2010). dabei profitieren Kinder aus risikobelasteten Familien besonders stark. zu längerfristigen Wirkungen des programms auf die spätere Entwicklung der Kinder liegen nur vereinzelt daten vor, sodass daraus keine verlässlichen Schlüsse gezogen werden können. nach der letzten großen replikationsstudie in Missouri (zigler, pfannenstiel & Seitz, 2008) ergaben die resultate immerhin schwache bis moderate Effekte auf die Variable „Schulbereitschaft“ und auf die leistungen in der 3. Schulklasse. Inzwischen gehört pat in den uSa aus einer auswahl von 22 Modellen zu den 9 evidenzbasierten programmen, die staatlich gefördert werden (paulsell, avellar, Sama Martin & del grosso, 2011). den Effektivitätsnachweis für Europa soll wie oben erwähnt die Interventionsstudie zEppElIn liefern (lanfranchi & neuhauser, 2012). Was sagen Kritiker? PAT - Mit Eltern Lernen ist ein wirksames, aber auch ein aufwendiges Frühförderprogramm. Es ist „Elternbildung“ und es ist „Frühe hilfe“. Es ist konkrete, individuelle hilfe, prävention und allgemeine Förderung. Es ist Erziehung und bildung. damit bewegt es sich nach der Systematik der Jugendhilfe an einer Schnittstelle, was die zugangssteuerung und Finanzierung erschwert. Wo kann man mehr erfahren? Mehr Informationen über das programm finden sich unter www.pat-mitelternlernen.org Für nähere angaben zur Wirksamkeitsstudie in der Schweiz siehe www.zeppelin-hfh.ch Prof. Dr. Andrea Lanfranchi Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik Schaffhauserstrasse 239 CH-8050 Zürich andrea.lanfranchi@hfh.ch Renate Sindbert, Sozialpädagogin „PAT - Mit Eltern Lernen gGmbH“, Programmleiterin Gartenstr. 9 D-90443 Nürnberg renate.sindbert@pat-mitelternlernen.org 111 FI 2 / 2013 Eltern-Kind-Konzepte auf den Punkt gebracht Literatur Lanfranchi, A. & Neuhauser, A. (2012): zEppElIn 0 -3: theoretische grundlagen, Konzept und Implementation des frühkindlichen Förderprogramms „pat -Mit Eltern lernen“ Frühe bildung, 2 (1), 1 -9. Lanfranchi, A. & Burgener Woeffray, A. (2013): Familien in risikosituationen durch frühkindliche bildung erreichen. In M. Stamm & d. Edelmann (hrsg.), handbuch Frühkindliche bildungsforschung. Weinheim: VS. Neuhauser, A. (2010): Forschungsüberblick zum hausbesuchsprogramm „parents as teachers - Mit Eltern lernen“ (pat) unter besonderer berücksichtigung von Familien in psychosozialen risikokonstellationen. zürich: hochschule für heilpädagogik. Verfügbar unter http: / / www. zeppelin-hfh.ch/ publikationen/ PAT gGmbH (Hrsg) (2011): basis-lehrplan. nürnberg, unveröff. Schulungsmaterial. Paulsell, D., Avellar, S., Sama Martin, E. & Del Grosso, P. (2011): home Visiting Evidence of Effectiveness review: Executive Summary. Washington, d.c.: u.S. department of health and human Services. retrieved august 15, 2012, from http: / / homvee.acf.hhs.gov/ document.aspx? rid= 5&sid=20&mid=2 Sindbert, R. (2010): pat -Mit Eltern lernen. bessere bildungschancen für Kinder aus sozial benachteiligten Familien durch frühe Förderung und Elternempowerment. In c. leyendecker (hrsg.), gefährdete Kindheit. risiken früh erkennen, ressourcen früh fördern (pp. 344 -349). Stuttgart: Kohlhammer.
