Frühförderung interdisziplinär
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0721-9121
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2014
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Stichwort: Supervision
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2014
Martin Thurmair
Supervision ist eine Spielart von Beratung. Darüber, was ihre Spezifität ist, und wie sie sich von anderen Typen von Beratung unterscheidet, gibt es keine einheitliche Auffassung. Einem Verständnis kann man sich nähern, wenn man Supervision nach ihrem Gegenstand (Inhalt), nach ihrer Verfahrensweise (Technik), nach ihrer organisatorischen Gestalt (Form) und nach ihren Zielen und ihrer Wirkung hin befragt.
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112 STICHWORT Supervision Martin Thurmair Supervision ist eine Spielart von Beratung. Darüber, was ihre Spezifität ist, und wie sie sich von anderen Typen von Beratung unterscheidet, gibt es keine einheitliche Auffassung. Einem Verständnis kann man sich nähern, wenn man Supervision nach ihrem Gegenstand (Inhalt), nach ihrer Verfahrensweise (Technik), nach ihrer organisatorischen Gestalt (Form) und nach ihren Zielen und ihrer Wirkung hin befragt. Das Wort „Supervision“ selbst hat seine Wurzel im Lateinischen, ist im klassischen Latein aber unbekannt. Auffindbar ist das Wort erst im 14. Jahrhundert, dort in der Bedeutungsgruppe des „Aufsicht Führens“ (Hrubec, 2004, 40). Der moderne Sachverhalt des Supervidierens hat eine bedeutsame historische Wurzel in verschiedenen Feldern der sozialen Arbeit, so in Armenhäusern, im Strafvollzug, in den verschiedenen Feldern der Wohlfahrtspflege und Sozialarbeit (Strobelt/ Petzold 2010, 7f). Moderne Supervisoren arbeiten aber auch in anderen Organisationen und Betrieben. Gegenstand einer Supervision in sozialen Arbeitsfeldern wie etwa der Frühförderung können Prozesse zwischen den Dienstleistern und den Klienten sein („Fall-Supervision“), aber darüber hinaus auch Prozesse innerhalb des Betriebes, also Kooperations- oder Leitungsprozesse („Team-Supervision“, „Leitungsberatung/ Leitungscoaching“). Zum Inhalt der Beratung werden dabei i. d. R. Fragen, Schwierigkeiten, Probleme, Unzufriedenheiten, die bei den Ratsuchenden in ihrer beruflichen (oder auch ehrenamtlichen sozialen) Tätigkeit in den Vordergrund geraten sind. In der Fallsupervision der Frühförderung begegnen Supervisoren häufig Störungen oder Stockungen im Förderprozess, Konflikten mit Eltern, Verwicklungen der Fachperson in familiäre Dynamiken, Problemen mit benachbarten Dienstleistern und vieles andere mehr. Team-Supervisionen betreffen häufig die Kommunikation und Gruppendynamik in Teams oder Untergruppen von Teams und die Effektivität der interdisziplinären Zusammenarbeit, Leitungscoaching hat viel mit Organisations- und Zuständigkeitsfragen, häufig aber auch mit Rollenklärung der Leitung zu tun. Die Verfahrensweisen von Supervision sind - so könnte man sagen - so vielfältig wie die Personen, die als Supervisoren tätig sind. Petzold sieht hier eine große „Heterogenität der Supervisionsverständnisse, die von ihren theoretischen Grundparadigmen und Referenztheorien (z. B. systemisch, psychoanalytisch, behavioral, sozialpsychologisch) sowie Referenzpraxeologien (z. B. Familientherapie, Gruppendynamik, Psychodrama, Gestalttherapie) und schließlich Referenzprofessionen (z. B. Sozialarbeit, Pädagogik, Psychotherapie) so verschieden sind, dass sich bislang keine wirklich konsistente und verbindende theoretische und praxeologische Basis finden lässt“ (Strobelt/ Petzold, 2010, 3). Auch die Deutsche Gesellschaft für Supervision trägt der Vielgestaltigkeit der Praxis durch Nicht-Festlegung Rechnung: „Supervision bedient sich unterschiedlicher Verfahren, die u. a. auf soziologischen, psychologischen, ökonomischen oder pädagogischen Theorien basieren. Im Rahmen dieser Verfahren setzen Supervisor/ innen neben dem Gespräch ggf. unterschiedliche Methoden und Techniken ein, um die vereinbarten Ziele einer Supervision zu erreichen.“ (DGSv, 2012 a, 10). Frühförderung interdisziplinär, 33. Jg., S. 112 -114 (2014) DOI 10.2378/ fi2014.art12d © Ernst Reinhardt Verlag 113 FI 2 / 2014 Stichwort Der Form nach gilt es in der Supervision - wie allgemein in Beratungszusammenhängen - als wünschenswert bis notwendig, dass der Supervisor und der Supervisand/ die Supervisanden zueinander nicht in einem hierarchischen, einem Abhängigkeits- oder Machtverhältnis stehen. Supervisions-Verhältnisse kommen deswegen i. d. R. auf der Basis eines Vertrages mit externen Beratern zustande, der den Ablauf, die Dauer, den Rhythmus und die Teilnehmer des Supervisions-Prozesses festlegt. Ein Kennenlern-Termin ist angesichts der Unterschiedlichkeiten von Supervisions-Ansätzen sinnvoll und notwendig. Supervision kann von Einzelpersonen oder auch Gruppen (z. B. Teams einer IFS) in Anspruch genommen werden. Wenn Supervisions-Kontrakte mehrere Termine umfassen, ermöglichen sie einen gemeinsamen Prozess. Für die Tätigkeit des Supervidierens schlägt die DGSv als Standesorganisation Qualifikationsstandards vor (DGSv, 2012 b); ein „Supervisor (DGSv)“ erfüllt die v. a. ethischen und formellen Vorgaben dieser Standards. Nach den Zielen von Supervision sind wohl zwei Richtungen zu unterscheiden: a) Supervision kann den Zweck haben, zu einem „kunstgerechten Ausüben“ einer Tätigkeit beobachtend und korrigierend beizutragen. Ein Modell der Supervision, das in diesem Sinn der Sicherung und Kontrolle von Standards dient, liegt eher in der Verantwortung von Vorgesetzten oder höher gestellten/ erfahreneren Personen; der „Episcopus“, der Bischof - die griechische Sprachparallele zum lateinischen „supervisor“ - beaufsichtigt u. a. die seelsorgerlichen Tätigkeiten in seinem Bistum. In der Funktion des Beaufsichtigens, der Kontrolle und Sicherung der kunstgerechten Ausübung einer therapeutischen Tätigkeit ist Supervision ein obligatorischer und gewichtiger Teil in der Ausbildung von psychologischen Psychotherapeuten (PsychTh - ARV § 4); dort wird verlangt und formell geprüft, dass der Supervisor selbst ein erfahrener Psychotherapeut ist. b) Eine andere - im Sozialbereich eher verbreitete - Zielperspektive von Supervision ist es, dem/ den Ratsuchenden zu eigenen Lösungen in den Themen und Problemen zu verhelfen, die sie darlegen. Diese Zielperspektive verlangt vom Supervisor keine eigene Expertise in dem Feld, das er supervidiert (wenngleich es z. B. für die Frühförderung sehr hilfreich ist, wenn Supervisoren wenigstens halbwegs wissen, womit sie es zu tun haben); sie verlangt aber Theorien und Techniken, die den/ die Ratsuchenden einer Lösung näherbringen. Dabei kann es eine „Lösung“ sein, eine hilfreiche Deutung der vorgelegten Situationen zu erarbeiten, eine Horizonterweiterung zu erleben, einen Perspektivwechsel vorzunehmen, Entlastung zu bekommen, konkrete nächste Schritte zu erarbeiten usw. Inwieweit diese Ziele erreicht wurden, kann in einer abschließenden Evaluation des Supervisionsprozesses ermittelt werden. Wirkungsstudien zur Supervision existieren zwar vereinzelt, sind aber - wie so oft in sozialen Feldern - wenig verallgemeinerbar; als Wirkungsdimensionen stellt die DGSv vor allem heraus: Kooperation, berufliche Kompetenz und Entlastung (DGSv, 2008, 9). Die so weit aufgezeigten Merkmale der Supervision ergeben kein durchwegs charakteristisches Profil. Es scheint deswegen auch wenig sinnvoll, einen Klärungsversuch zu unternehmen, wo die Grenzen zwischen Supervision und anderen Beratungsformen verlaufen, wie (kollegiale) Fallberatung, Organisationsentwicklung oder die neuerdings in Umlauf gekommenen Begriffe „coaching“ oder „mentoring“ (hilfreich ist es freilich, wenn die Supervisoren-Personen für ihre eigene Arbeit klare Grenzen ziehen und diese auch mitteilen). Es lässt sich auch schwerlich herausarbeiten, in welchen Bereichen Supervision gegenüber anderen Formen der Förderung der beruflichen Kompetenz, der Entlastung und der Verbesserung der Kooperation der Vorzug zu geben sei. Betriebsinterne Möglichkeiten liegen hier in 114 FI 2 / 2014 Stichwort Formen des Austauschs und der Beratung vor allem auf dem Hintergrund eines interdisziplinären Teams, das ja ein anerkannter Bestandteil der Frühförderung ist. An Interdisziplinären Frühförderstellen spielt Supervision eine Rolle im Bereich der Sicherung und Verbesserung der Arbeit der Mitarbeiterinnen (Qualifikation, Psychohygiene) und der Verbesserung der Zusammenarbeit innerhalb der Organisation (Team, Leitung). Sie wird üblicherweise als ein Instrument der Qualitätsentwicklung und -sicherung angesehen und liegt insoferne genuin in der Verantwortung der Einrichtungsträger. In Rahmenvereinbarungen zur Frühförderung (Rahmenverträge, Landesrahmenvereinbarungen) wird sie deshalb - wie auch die Fortbildung - so gut wie nicht erwähnt, und ist finanziell bestenfalls in den Behandlungssatz „eingepreist“. Von den Einrichtungsträgern werden zeitliche und finanzielle Ressourcen für Supervision, so weit ich weiß, meist im Fortbildungsetat mit geplant und verwaltet. Wie die einzelnen Mitarbeiterinnen auf Supervision zurückgreifen können, hängt nach meiner Kenntnis stark davon ab, wie Leitungen und Geschäftsführungen die Notwendigkeit und den Nutzen von Supervision einschätzen. Daten dazu hat, für Schleswig-Holstein, das DISW (2012, 99f) erhoben; danach ist Supervision die dritthäufigste Maßnahme der Qualitätssicherung (nach „Fortbildungen/ Weiterbildungen/ Fachtagen“ und „Qualitätssicherung“), wird aber - wenn ich die vorgelegten Zahlen richtig interpretiere - nur von knapp einem Drittel der Frühförderstellen regelmäßig genutzt. Quellen Strobelt, M. & Petzold, H. G. (2010). Supervisionsdefinitionen und Supervisionsverständnis. SUPERVISION: Theorie - Praxis - Forschung, Ausgabe 05/ 2010. http: / / www.fpi-publikation.de/ supervision/ alle-ausgaben/ 05-2010-strobelt-mpetzold-h-g-supervisionsdefinitionen-undsupervisionsverstaendnis-materialien.html Deutsche Gesellschaft für Supervision (Hrsg.) (2012 a). Supervision - Ein Beitrag zur Qualifizierung beruflicher Arbeit. Köln, 8. A. Deutsche Gesellschaft für Supervision (2012 b). Standards für die Qualifizierung zur/ zum Supervisor/ in der Deutschen Gesellschaft für Supervision e.V. (DGSupervision). Köln. DISW Deutsches Institut für Sozialwirtschaft (2012). Vernetzung statt Versäulung - Gutachten über Frühförderung in Schleswig-Holstein. Herausgegeben vom Ministerium für Soziales, Gesundheit, Familie und Gleichstellung des Landes Schleswig-Holstein, Kiel. Hrubec, C. M. E. (2004). Etymologische Frag-mente zu Wort und Begriff Supervision. http: / / www. donau-uni.ac.at/ imperia/ md/ content/ studium/ umwelt_medizin/ psymed/ artikel/ etymsup.pdf
