eJournals Frühförderung interdisziplinär 33/3

Frühförderung interdisziplinär
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0721-9121
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2014
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Spielen als befreiende Arbeit

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2014
Gerda M. Schütz-Foerste
Erineu Foerste
Zusammenfassung: Spielen wird hier verstanden als ein Typ von Arbeit im Sinn der Aneignung und Umgestaltung der Welt, allerdings mit dem Charakter der Befreiung. Dieses Verständnis des Spiels ist theoretisch fundierbar; hier wird es insbesondere aufgezeigt an den verdichteten Erfahrungen zum einen eines Gemäldes der brasilianischen Künstlerin Ângela Gomes, zum anderen an der Zeichnung eines deutschen Mädchens.
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153 Frühförderung interdisziplinär, 33. Jg., S. 153 -159 (2014) DOI 10.2378/ fi2014.art17d © Ernst Reinhardt Verlag ORIGINALARBEIT Spielen als befreiende Arbeit Gerda M. Schütz-Foerste, Erineu Foerste Zusammenfassung: Spielen wird hier verstanden als ein Typ von Arbeit im Sinn der Aneignung und Umgestaltung der Welt, allerdings mit dem Charakter der Befreiung. Dieses Verständnis des Spiels ist theoretisch fundierbar; hier wird es insbesondere aufgezeigt an den verdichteten Erfahrungen zum einen eines Gemäldes der brasilianischen Künstlerin Ângela Gomes, zum anderen an der Zeichnung eines deutschen Mädchens. Schlüsselwörter: Spiel, menschliche Arbeit, bildende Kunst Playing is working in a sphere of freedom Summary: To play is taken here as a kind of work, because playing is understanding and changing the world; but playing is work in a sphere of freedom. Understanding play in this way has a theoretical basis, but can also be seen in art: A painting of Ângela Gomes and a drawing of a girl both show in a condensed way the experience of freedom in playing. Keywords: Play, human work, art Einführung I ch spiele gern! “, sagt Ouiam, nachdem sie die Zeichnung beendet hat, in der sie uns das zeigt, was die Schule am besten zusammenfasst. Das Treffen mit Freunden und die spielerische Aktivität sind für sie, wie für viele Kinder, vergnügliche Aktivitäten. Dies ist es auch, was wir uns in Erinnerung rufen, wenn wir an unsere Kindheit denken. Viele Menschen haben Erinnerungen an Spiele ihrer Kindheit. Wir erinnern uns mit Sehnsucht an unsere Begegnungen mit Geschwistern, Cousinen und Cousins, Schulkameraden oder einfach an uns alleine, wie wir Ball spielten, Seil sprangen oder bei Spielen im Kreis Lieder sangen. Die Erinnerung an jene Momente ermöglicht es uns, dieses schöne, intensive Gefühl großer persönlicher Zufriedenheit wieder zu erleben. Das Erinnern der Spiele ruft uns Bilder dieser Momente ins Gedächtnis und evoziert unser Gefühl großen Engagements und großer Erfüllung. Unsere Reflexion stellt einen Versuch dar, durch verschiedene Bilder Annäherungen an die Diskussionen des theoretischen Bereichs und der Praxis des Spielens in spezifischen kulturellen Kontexten herzustellen, die uns jedoch gleichzeitig Verallgemeinerungen ermöglichen. Spielen und Arbeiten Spielen ist eine komplexe Form menschlicher Arbeit, bei der wichtige Veränderungen im Subjekt und in der Umwelt erfolgen, ausgehend von der Interaktion, die zur Veränderung führt. Im Sinne der marxistischen Konzeption führt die Arbeit, als befreiendes Prinzip, zu Veränderungen und ermöglicht es dem Menschen, sich als soziales Wesen zu begreifen. Laut Lukács (1965, 1972 a, b, c und d) ist die Arbeit die essenzielle Kategorie zur Sozialisation, die sich als verbindendes und grundlegendes Element „ 154 FI 3 / 2014 Gerda M. Schütz-Foerste, Erineu Foerste in der ontologischen Unterscheidung zwischen dem sozialen Wesen und der Welt der Natur konstituiert. Ausgehend von der befreienden Arbeit verändert der Mensch die Umwelt, gestaltet sie neu und konstruiert vor allem einen Kontext von Beziehungen in eine soziale Sphäre. Dies steht im Gegensatz zur Konzeption der eintönigen, entfremdenden und ausbeuterischen Arbeit, die der wirtschaftlichen und sozialen Reproduktion zugrunde liegt. An dieser Stelle greifen wir auf Paulo Freire 1 zurück, um das befreierische Prinzip des Spiels zu verstehen und das Spielen als Arbeit an der Konstruktion eines Selbstbewusstseins zu bemessen. Der Autor bezieht sich auf die Erinnerung an seine Kindheit, um die Entwicklung der Lesepraktiken zu dimensionieren, die er als Lesen der Welt bezeichnet. Er diskutiert insbesondere die Erfahrung, die Konzepte und das Bewusstsein jedes Einzelnen prägt. Bei dieser Rekonstruktion erinnert er sich an Orte und Spiele, die er erlebt hat: Ich sehe mich dann im Haus der Mittelschicht, in dem ich geboren wurde, in Recife, umringt von Bäumen, manche von ihnen so nah, als wären es Menschen, so groß war die Nähe zwischen uns - in ihrem Schatten spielte ich und in ihren zartesten Zweigen, auf meiner Höhe, unternahm ich erste Kletterversuche, die mich vorbereiteten auf größere Risiken und Abenteuer. Das alte Haus, seine Flure, sein Dachboden, seine Terrasse - der Ort der Frauenhaar-Pflanzen meiner Mutter - der große Hinterhof, all dies war meine erste Welt. In ihr bin ich als Kind gekrabbelt, habe meine ersten Wörter geplappert, mich zum ersten Mal aufgerichtet und meine ersten Schritte gemacht, in ihr habe ich sprechen gelernt. In der Tat präsentierte sich jene besondere Welt mir als eine Welt meiner Wahrnehmungsaktivität, und genau deswegen als die Welt meines ersten Lesens. (Freire 1987, S. 12) Spielen bedeutet für Freire neben einer vergnüglichen Erfahrung eine komplexe Praxis des Lesens und der Interpretation der Welt, eine Form der Wahrnehmung und der Herausbildung des Bewusstseins für sich und für die Welt. Es bedeutet weiterhin die Autonomie der Subjekte, jedoch auch in kontextualisiertem Handeln, das im Zusammenhang mit der Gemeinschaft steht, wo es getätigt wird. Die gegenwärtige Gesellschaft, die jedwede Praxis in ein Konsumobjekt umwandelt, hat eine riesige Menge von Spielzeugen hervorgebracht. Diese Spielzeuge bilden ganze Sammlungen auf den Regalen der Kinder, wenn sie nicht die übermäßige Müllproduktion in den Städten verstärken. Eines der größten Probleme, das von den Spielzeugforschern im Ausdruck der Kinder ausgemacht wurde, bezieht sich auf den Mangel einer Beziehung der Urheberschaft und damit der Bedeutung des Fertigspielzeugs für das Kind. Benjamin (1991, S. 130) polemisiert dieses Problem: „Hatte man aber Spielzeug bis heute allzu sehr als Schöpfung für das Kind, wenn nicht als Schöpfung des Kindes betrachtet, so wird das Spielen wiederum noch immer allzu sehr vom Erwachsenen her, allzu ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der Nachahmung angesehen.“ Die kreative Erfahrung der Kinder mit den verschiedenen Objekten ist von grundlegender Bedeutung für ihre Entwicklung. Einweg-Spielzeug oder Spielzeug, das die Kinder nicht herausfordert, das bereits alle Aktivitäten von allein ausführt, ist für die Kinder uninteressant. Manchmal wird diese Art von Spielzeugen als „Neuheit“ angesehen, wird dann jedoch schnell wieder entsorgt, da sie „monoton“ sind oder einen „Monolog“ praktizieren. Monteiro Lobato hat sich wie folgt über diese Frage geäußert: Die Kinder mögen keine Spielzeuge, die bereits alles sagen, sondern bevorzugen solche Spielzeuge, die ihre Phantasie herausfordern. Wenn sie die Wahl haben zwischen einem Hampelmann und einem Maiskolben, heben sie letztlich den Maiskolben auf. Denn dieser kann mal ein Mann, mal eine Frau, mal ein Auto, mal ein Ochse sein - der Hampelmann ist immer ein Hampelmann. (Lobato, nach Ketzer 2003, S. 18) 155 FI 3 / 2014 Spielen als befreiende Arbeit Benjamin kritisiert die irrtümliche Vorstellung, der phantasievolle Inhalt des Spielzeugs lege das Spiel des Kindes fest, da in der Realität das Gegenteil geschieht. So schrieb er: „Das Kind will etwas ziehen und wird Pferd, will mit Sand spielen und wird Bäcker, will sich verstecken und wird Räuber oder Gendarm“ (Benjamin 1984, S. 70). Die Spielzeuge als kulturelle Objekte zu begreifen ist von grundlegender Bedeutung, denn laut Benjamin gibt das Kinderspielzeug „nicht von einem autonomen Sonderleben Zeugnis, sondern ist stummer Zeichendialog zwischen ihm und dem Volk“ (Benjamin 1984, S. 70). Auf dieselbe Weise können wir in der Materialität des künstlerischen Werks nicht nur die dargestellten Formen, sondern auch die Werte und Konzeptionen suchen, die es leiten. Das Spielen als gemeinschaftliches Handeln und gleichzeitig als Akt und Erfahrung jedes Einzelnen ist das Thema, das wir im Folgenden zu entwickeln versuchen, im Dialog mit dem Werk von Ângela Gomes 2 mit dem Titel „Kinderspiele in der Kirche der Heiligen Drei Könige in Nova Almeida“. Spiel und Kunst: für eine befreiende Arbeit Die naive brasilianische Künstlerin präsentiert eine Allegorie über das Thema und erarbeitet eine Synthese verschiedener Manifestationsformen von Spielen im kulturellen Kontext der südöstlichen Region Brasiliens. Im Gemälde von Ângela Gomes 3 können wir die Rekonstruktion erkennen, die sie aus dem Raum der Praktiken als Synthese ihrer Erinnerungsbilder und gleichzeitig der Konzepte und Werte herstellt, die sie als Künstlerin über das Thema herausarbeitet. Ihre Erfahrungen sind und waren grundlegend für die Idee und Materialisierung des Bildes. Ihr bildlicher Diskurs stellt jedoch den Ausdruck eines Subjekts dar, das seine Bilder über das Spiel immer wieder neu erarbeitet, um es in Form einer Allegorie zu erzählen. Ihre gegenwärtige Erfahrung liegt im produktiven Prozess des Bildes, und diese Beziehung soll nun näher betrachtet werden. Das Werk ist, wie bereits erwähnt, eine Allegorie auf das Thema des Spiels. Es ist durch die naive Form der Raumkonstruktion, den Gebrauch von Farben und die primitivistische Linienführung gekennzeichnet (Macedo, Chisté, Schütz-Foerste 2008). „Kinderspiele in der Kirche der Heiligen Drei Könige in Nova Almeida“ Auf den ersten Blick nehmen wir ein sehr buntes, fröhliches Werk wahr. Unser Blick überfliegt das Bild und hebt Farben und Formen hervor, die über die gesamte Leinwand verteilt sind. Im Hintergrund sehen wir die Kirche und vor ihr einen großen Hof mit Kokospalmen und einigen Büschen und Blumen. Kinder spielen in Gruppen oder alleine mit verschiedenen Spielzeugen und sind in verschiedene Spiele vertieft. Wir können fast die Bewegungen der Kinder nachvollziehen, die einen Kontrast bilden zur weißen Kirche mit ihren geraden horizontalen und vertikalen Linien. Diese Allegorie der Künstlerin auf die Kinderspiele vereint auf synthetisierende Weise verschiedene Erfahrungen der Künstlerin in ihrer Sozialisation durch das Spiel; es handelt sich um Spiele, die immer noch von den brasilianischen Kindern gespielt werden: Drachensteigen, Kreisel treiben, Seilspringen, Ballspielen, Handstand, Spiele im Kreis sind einige der Spiele, die wir in der Darstellung der Künstlerin finden können. Die Künstlerin hebt einige in Handarbeit produzierte Spielzeuge hervor, die von den brasilianischen Kindern am häufigsten verwendet werden. Hierdurch führt sie uns zur Reflexion über die Objekte, die beim Akt des 156 FI 3 / 2014 Gerda M. Schütz-Foerste, Erineu Foerste Spielens verwendet werden, als Artefakte, die von den Subjekten verschiedener Kulturen hergestellt werden (hier: Kreisel, Drachen, Ball, Seil…), in denen sich Formen und Werte der verschiedenen Völker materialisieren. Das Kunstwerk als symbolische Konstruktion regt unsere Reflexion über das kindliche Spiel in der Perspektive seiner handwerklichen, spielerischen und sozialisierenden Praxis an. Diese Dimension ist nicht nur im dargestellten Thema, sondern auch in der Konzeption und Konstruktion des Kunstwerks durch die Künstlerin präsent. In ihrem naiven Gemälde konstruiert die Künstlerin den Hintergrund als symmetrisches Szenario und die primitivistischen Figuren in starken, kontrastierenden Farben. Die Farben, Linien und die Komposition der Kunst, die als naiv verstanden wird, kennzeichnen das Werk der Künstlerin. Sie thematisiert in ihrem Werk Landschaften des Landesinnern, Kirchen, Häuser, Menschen in ihrem Alltag und Feste. Die Wahl der Thematik basiert auf persönlichen Erfahrungen mit den dargestellten Orten. Das Interesse der Künstlerin gilt dem Spiel als Praxis der Freiheit. Der Sinn seiner Durchführung liegt in der befreienden Arbeit. Somit können wir Annäherungen ihrer Arbeit an das kindliche Spiel herstellen, in einer Perspektive, die die Schaffung und den Ausdruck der Subjekte ermöglicht. Das Spiel kann in dieser Sichtweise eine komplexe Form der Arbeit darstellen, bei der die Subjekte sich als Autoren konstruieren und aktiv miteinander interagieren. Die Praxis des Spiels kann sich an verschiedenen Orten und in verschiedenen Kulturen Abb. 1: Kinderspiele in der Kirche der Heiligen Drei Könige in Nova Almeida. Acryl auf Leinwand, 60 cm x 81 cm, 2006, Signatur c. i. e., persönliches Archiv der Künstlerin 4 157 FI 3 / 2014 Spielen als befreiende Arbeit vollziehen: auf einem Platz in der Stadt, auf dem Schulhof, zu Hause, im Zimmer, auf der Straße - alle Orte können als Orte des Spiels angeeignet werden. Das Spiel ist etwas, das uns als soziale Wesen verwirklicht. Wir spielen auf unterschiedliche Art und Weise in verschiedenen Kontexten, haben jedoch bei allen spielerischen Praktiken das Prinzip der Konstruktion des Reichs der Freiheit gemeinsam. Diese Schlussfolgerung wird von einem deutschen Mädchen im Alter von 13 Jahren zum Ausdruck gebracht, indem sie sich auf den Ort bezieht, der ihre Schule am besten repräsentiert: Spiel auf dem Schulhof Anders als Ângela Gomes bringt Ouiams Zeichnung eine gegenwärtige Zeit intensiver Beteiligung zum Ausdruck. Es handelt sich nicht um eine Allegorie oder metaphorische Konstruktion über das Thema des Spiels, sondern um eine leidenschaftliche Erzählung und eine Erfahrung, die im Gange ist. Mit ihrer Zeichnung erzählt sie das Erlebte. Sie konstruiert in künstlerischer Form eine Interaktion mit Freunden und teilt dem Betrachter ihrer Zeichnung die Erlebnisse des Schulhofs als Raum des Spiels mit. Anders als die Erwachsene konstruiert das Kind Formen, durch die es mit anderen Subjekten seiner Umgebung und mit sich selbst kommuniziert und interagiert. Lange schreibt: Das Zeichnen funktioniert wie das Sprechen und das Geschichten-Erzählen auf der Grundlage gemeinsamer Vereinbarungen, die eine Konvention ausbilden, indem Verwendungsweisen codiert werden und den zwischenmenschlichen Interaktionen eine Verhandlungsbasis stiften. (Lange 2001; 68) Was Ouiams Zeichnung jedoch in die Nähe des Werks der brasilianischen Künstlerin rückt, ist der kreative Prozess und die Vorstellung von Arbeit als befreiendem und vergnüg- Abb. 2 Spiel auf dem Schulhof. Zeichnung von Ouiam, 13 Jahre, Siegen, Deutschland 2011 4 158 FI 3 / 2014 Gerda M. Schütz-Foerste, Erineu Foerste lichem Prinzip. Durch das Zeichnen hat das Mädchen ihre Zeichnung, die die Pause in einer Schule in der deutschen Stadt Siegen thematisiert, qualitativ ausgearbeitet. In ihrer Zeichnung können wir die Darstellung von Kindern in Bewegung erkennen. Die visuelle Erzählung, die das Mädchen entwickelt hat, hebt die wichtigsten Praktiken des Spiels hervor, die sie täglich im schulischen Kontext erfährt. Gemeinsam mit anderen Mädchen und Jungen spielt sie gerne Fußball, Basketball oder unterhält sich mit Freunden in der Pause. Ihre Zeichnung erzählt nicht nur von ihren Erfahrungen, sondern entwirft eine Diskussion über den Schulhof als Umgebung der Sozialisation und Verwirklichung der Kinder. Ouiam verspottet das Verhalten ihrer Klassenkameraden im Tor, die schlafen; sie thematisiert das Gespräch zwischen Freunden, die auf einer Bank sitzen und stellt weitere Gruppierungen von Kindern bei verschiedenen Sozialisationspraktiken dar. Ins Zentrum ihrer Komposition rückt sie jedoch die Praxis, mit der sie sich am meisten identifiziert, das Fußballspielen mit ihren Freunden (Jungen und Mädchen), und da sie von kleiner Statur ist, läuft sie viel, um den Ball vom gegnerischen Team zu „stehlen“. Schlussfolgerung Das Spiel ist eine Form menschlicher Arbeit, die, ebenso wie der kreative Prozess, das Reich der Freiheit fördert. Beim Spiel entwickeln wir unsere Wahrnehmung der Welt, eignen uns Konzepte und Werte an und weisen ihnen neue Bedeutungen zu, ausgehend von der Kultur und dem Kontext, in dem wir uns befinden, in Verbindung mit der Gesellschaft, zu der wir gehören. Spielen bedeutet, etwas zu erschaffen und ein Bewusstsein für sich selbst als soziales Wesen zu entwickeln. Das Werk „Kinderspiele in der Kirche der Heiligen Drei Könige in Nova Almeida“ verdeutlicht die spezifische Art dieser Künstlerin, das Spiel im brasilianischen Kontext wahrzunehmen. Es ermöglicht uns, das Spielerische als eine komplexe Form der Arbeit bei der Entwicklung befreiender Prozesse zu identifizieren. Die Künstlerin rückt die zentrale Bedeutung der Gemeinschaft, der Farben und der Bewegung durch die Plastizität ihres Werks in den Fokus und zeigt durch die Konzeption ihrer Arbeit dasjenige, das es dem kindlichen Ausdruck annähert: das Spielerische als Prinzip der befreienden Arbeit. Die Künstlerin stellt den Reigen ins Zentrum ihres Werks, das Zusammentreffen der Kinder im Kreis, als gemeinschaftliche Praxis und Grundlage des Spielens. Beim Reigen, einer weit verbreiteten kulturellen Manifestation in Brasilien, nehmen Frauen, Männer, Jugendliche und Kinder an einem gemeinsamen Tanz teil, mit Bewegungen, die die Wellen des Meeres simulieren. Es handelt sich um gesungene oder ausgerufene Spiele im Kreis, die immer die gesamten Teilnehmer in ihre Praxis einbeziehen. Der Ursprung dieser Praktik wird von Wissenschaftlern aus dem Bereich der Kultur diskutiert. Sie wird als ein Spiel, das von den Portugiesen eingeführt wurde, oder als eine genuine Ausdrucksform der pernambucanischen Kultur angesehen. Es handelt sich um ein Spiel, das keine Grenzen bezüglich Alter, Geschlecht oder sozialer Stellung kennt. Am Reigen sind alle beteiligt. Die Zeichnung des deutschen Mädchens rückt das Fußballspiel ins Zentrum, als Diskurs einer Zeit der Verwirklichung und Sozialisation, ermöglicht durch das Zusammentreffen mit Freunden in der Pause zwischen den Schulstunden. Dies bedeutet ebenfalls eine Zeit der Autonomie und der Freiheit. Die Suche nach Autonomie und Freiheit ist im Schaffungsprozess der beiden Bilder, in der Annäherung an das Thema, das sie materialisieren, präsent. Beim Spielen schaffen wir und beim Schaffen spielen wir. In beiden Fällen erarbeiten wir befreiende Praktiken. 159 FI 3 / 2014 Spielen als befreiende Arbeit Gerda M. Schütz-Foerste Rua Antonio R. Dos Santos 368 Itapoa - Vila Velha - ES - BRAZIL CEP 29 101 670 E-Mail: gerda_foerste@yahoo.com.br Erineu Foerste Rua Antonio R. Dos Santos 368 Itapoa - Vila Velha - ES - BRAZIL CEP 29 101 670 E-Mail: erineufoerste@yahoo.com.br Anmerkungen 1 Paulo Freire (1921 -1997) ist als Theoretiker der Pädagogik der Freiheit und als Verteidiger einer dialektischen und dialogischen pädagogischen Praxis bekannt. Laut diesem Pädagogen sollten die Grundlagen des Wissens auf Autonomie und Verantwortlichkeit der Subjekte beruhen, wobei die Wertschätzung populären Wissens und der lokalen Kultur beachtet wird und die Praxis des Dialogs und der Entwicklung befreierischer Praktiken eine wichtige Rolle spielt. 2 Die Künstlerin Ângela Gomes ist ein wichtiger Name für die Kunst im Bundesstaat Espírito Santo, Brasilien. In ihren naiven Bildern verarbeitet sie Manifestationen der regionalen Kultur und bringt eine Wertschätzung des populären Wissens zum Ausdruck. Der künstlerische Ausdruck ist gekennzeichnet durch die primitivistische Zeichnung, den Gebrauch von Farben und die Ausfüllung des Raumes mit Formen von großer Diskursivität und mit großem Detailreichtum. Uns interessiert besonders die Synthese, die sie aus dem populären Wissen herstellt, wenn sie uns ihr Konzept des Spiels im diskutierten Werk präsentiert. 3 Die Künstlerin Ângela Gomes wurde 1953 in Cachoeiro de Itapemirim im Bundesstaat Espírito Santo in Brasilien geboren. Sie versucht, durch die verschiedenen Thematiken Elemente der Kultur des Bundesstaats zu zeigen, in der Manifestation der typischen Feste, religiösen Traditionen, regionalen Landschaften und Spiele, die spezifische Ausdrucksformen dieser Kultur sind. 4 entnommen aus: Zoels, S./ Wörster, W., Hg: … und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt. Berlin, Fördern durch Spielmittel e. V., 2013. Mit freundlicher Genehmigung Literatur Benjamin, W. (1984): Reflexões. a criança, o brinquedo e a educaç-o. S-o Paulo: Summus Benjamin, W. (1991): Spielzeug und Spielen. In: Benjamin, Walter. Gesammelte Schriften. Band III - Kritiken und Rezensionen. Frankfurt am Main: Suhrkamp. S. 127 -131 Freire, P. (1987): A Importância do ato de Ler. em três artigos que completam. S-o Paulo: Autores Associados: Cortez Ketzer, S. M. (2003): A criança, a produç-o cultural e a escola. In: Jacoby S. (Org.): A criança e a produç-o cultural. Porto Alegre: Mercado Aberto Lange, B. (2001): Narrative Strukturen in (Kinder-)Geschichten und eine Analyse ihrer formalen Kennzeichen. In: Erlinger, Hans Dieter (Hrsg.) Kinder und ihr Symbolverständnis (Theorien, Geschichten, Bilder) München: KoPaed Verlag, 2001 Lukács, G. (1965): Prolegomenos a una Estética Marxista (Sobre la categoria de la particularidad) México, D. F.: Grijalbo Lukács, G. (1972 a): Ästhetik I. Neuwied; Berlin: Luchterhand Lukács, G. (1972 b): Ästhetik II. Neuwied; Berlin: Luchterhand Lukács, G (1972 c): Ästhetik III. Neuwied; Berlin: Luchterhand Lukács, G. (1972 d): Ästhetik IV. Neuwied; Berlin: Luchterhand Macedo, É. S. , Christé, P. S., Schütz-Foerste, G. M. (2008): Na Ciranda da Arte Capixaba: diálogo, brincadeira e leitura de imagem (Im Reigen der Capixaba-Kunst: Dialoge, Spiele und Bildinterpretationen). Vitória: Facitec, GM-Gráfica & Editora