Frühförderung interdisziplinär
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0721-9121
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/fi2014.art03d
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2014
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Helfende Beziehungen im Kindergarten
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2014
Christiane Ludwig-Körner
Ulla Stegemann
In einem Kindergarten eines Berliner Brennpunktbezirkes wurde eine pädagogische Fachkraft mit psychotherapeutischer Ausbildung eingesetzt, um entwicklungsverzögerten und verhaltensauffälligen Kindern, insbesondere aber deren Eltern eine hilfreiche Beziehung anzubieten. Es zeigte sich, dass bei unerwartet vielen Kindern ein Hilfebedarf festgestellt werden musste, der die Kapazitäten der regulär beschäftigten Erzieherinnen deutlich übersteigt. Ferner wurde deutlich, dass sich die Hilfeangebote insbesondere auf die Eltern der auffälligen Kinder zu richten hatten, denn viele dieser Väter und Mütter waren selbst von Traumatisierungen gezeichnet, ließen strukturelle Störungen erkennen und konnten oft nur mit Mühe für eine Zusammenarbeit gewonnen werden. Wo dies aber mittels einer helfenden Beziehung gelang, verbesserte sich die psychische Situation der Kinder auf eindrucksvolle Weise.
1_033_2014_1_0003
26 Frühförderung interdisziplinär, 33. Jg., S. 26 -33 (2014) DOI 10.2378/ fi2014.art03d © Ernst Reinhardt Verlag ORIGINALARBEIT Helfende Beziehungen im Kindergarten Erfahrungen aus einem Pilotprojekt zur Förderung der Eltern-Kind-Beziehung Christiane Ludwig-Körner, Ulla Stegemann Zusammenfassung: In einem Kindergarten eines Berliner Brennpunktbezirkes wurde eine pädagogische Fachkraft mit psychotherapeutischer Ausbildung eingesetzt, um entwicklungsverzögerten und verhaltensauffälligen Kindern, insbesondere aber deren Eltern eine hilfreiche Beziehung anzubieten. Es zeigte sich, dass bei unerwartet vielen Kindern ein Hilfebedarf festgestellt werden musste, der die Kapazitäten der regulär beschäftigten Erzieherinnen deutlich übersteigt. Ferner wurde deutlich, dass sich die Hilfeangebote insbesondere auf die Eltern der auffälligen Kinder zu richten hatten, denn viele dieser Väter und Mütter waren selbst von Traumatisierungen gezeichnet, ließen strukturelle Störungen erkennen und konnten oft nur mit Mühe für eine Zusammenarbeit gewonnen werden. Wo dies aber mittels einer helfenden Beziehung gelang, verbesserte sich die psychische Situation der Kinder auf eindrucksvolle Weise. Schlüsselwörter: Förderung der Eltern-Kind-Beziehung, Elternarbeit im Kindergarten, helfende Beziehungen Helping relationships in the kindergarten. Experiences from a pilot-project supporting parent-child-relationships Summary: A pedagogue with psychotherapeutic competences was positioned in a kindergarten of a low socio-economic district to provide support for families with children who have developmental and behavioral deficits in order to improve the Parent-Child-Relationship. It became evident that more children and families than expected were in need of assistance that regular child care workers cannot provide. Furthermore it was observed, that the provided support service had to focus on the parents, as it became evident, that most of them had been traumatized and showed structural deficits. Unfortunately it took effort on our part to encourage and motivate the parents to participate. However, in those families, where the parents showed motivation and encouragement and where a helping relationship could be implemented, there was great improvement. Keywords: Parent-child-support, relationship problem based training, helping relationship, Parent- Child-Relationship facilitation Bisherige Forschungsergebnisse und herkömmliche Unterstützungsangebote E rgebnisse der Nationalen Untersuchung zur Bildung, Betreuung und Erziehung in der frühen Kindheit (Tietze et al., 2013) verdeutlichen eindrücklich, wie wichtig eine gute Beziehungsarbeit gerade für diejenigen Kinder ist, die in belasteten Familien aufwachsen. In diesem Beitrag soll der Fokus jedoch nicht auf helfende Beziehungen von ErzieherInnen zu Kindern gelegt werden, sondern auf eine Beziehungsarbeit mit vielfältig belasteten Eltern und ihren Kindern innerhalb eines Kindergartens. 27 FI 1 / 2014 Helfende Beziehungen im Kindergarten Gerade bei hochbelasteten Familien, die dringend einer Unterstützung bedürfen, reichen herkömmliche unterstützende Hilfsangebote meist nicht aus. Auf der einen Seite verfügen Eltern aus belasteten Familien häufig über zu geringe Erziehungskompetenzen und können meist nur auf ihr verinnerlichtes Erziehungsverhalten zurückgreifen (Weitergabe familiärer Muster), oft leiden sie zudem unter psychischen Problemen, und auf der anderen Seite lassen sie sich selten in Weiterbildungsmöglichkeiten (Erwachsenenbildung) einbinden. Wenn ihre Kinder gefördert werden sollen, stehen die Frühförderinnen oft vor verschlossenen Türen, oder die Mütter/ Väter weigern sich, bei der Förderung anwesend zu sein, da sie diese lieber als „kinderfreie Zeit“ für sich selbst nutzen möchten. Auch eine Sozialpädagogische Familienhilfe reicht für diese Familien oft nicht, sei es, dass die Fachkräfte nicht über die nötige Ausbildung für die Arbeit mit Familien mit schweren persönlichen Problemen verfügen oder die veranschlagte Stundenzahl nicht ausreicht, sei es, dass sie Eltern begegnen, die trotz aller Hilfsangebote nicht in der Lage sind, sich zu verändern, sodass ihre Kinder hinreichend gut aufwachsen können. Es gibt wenige stationäre Angebote, in denen Eltern mit ihrem Kind/ ihren Kindern zusammen aufgenommen werden können, um vor Ort über eine längere Zeit eine psychotherapeutische/ psychoedukative Hilfe in Anspruch nehmen zu können, sodass ihre Erziehungskompetenz gestärkt werden kann. Zwar werden in kinderpsychiatrischen Tageskliniken zunehmend häufiger auch kleine Kinder betreut -manchmal bereits ab 1 ½ Jahren -, aber selten werden ihre Bezugspersonen in den Tagesablauf integriert. Oft haben die Kinder wegen ihrer massiven Auffälligkeiten dann bereits ihren Kindergartenplatz verloren. Gerade für diese Kinder ist es wichtig, nicht immer wieder Bindungsabbrüche zu erleben. Hat sich ihre Symptomatik in der Tagesklinik gebessert, so folgt zwangsläufig ein erneuter Beziehungsabbruch. Zu bedenken ist zudem, dass in einem tagespsychiatrischen Setting ausschließlich „problembeladene“ Kinder betreut werden, die füreinander kaum ein Modell sein können. Dies gilt ebenso für sozial- oder heilpädagogische Tagesstätten. Von daher drängt es, über Alternativen nachzudenken, wo und wie diesen Familien geholfen werden könnte. Fördererfahrungen von „belasteten“ Eltern zusammen mit ihren Kindern im täglichen Kindergartenalltag fehlen u. E. in Deutschland. Auch in anderen Ländern liegen wenige diesbezügliche Erfahrungen vor, sieht man von therapeutischen Kindergärten wie das Lucy Daniels Center for Early Childhood, Cary, Californien, die Allen Creek Preschool, Ann Arbor, Michigan, das Hanna Perkins Center, Cleveland, Ohio, und die Harris School, Houston/ Galveston, Texas, ab (Rosenblitt, 2005). Eine Ausnahme stellt in Glasgow der „Jelly Piece Club“ dar, in der Eltern mit ihren Kindern innerhalb eines „normalen“ Kindergartens gefördert werden (Baldry, Moscardini, 2010). Im Folgenden sollen deshalb ein ähnliches Pilotprojekt aus Berlin sowie dessen angestrebte Ziele vorgestellt werden. Beschreibung des Pilotprojekts Innerhalb eines Pilotprojekts, „Eltern-Kind- Beziehungsförderung im Kindergarten - Erwachsenenbildung/ Frühe Hilfen und Frühförderung in einer Hand - Unterstützung von belasteten Eltern-Kind-Beziehungen in Kindergärten“ (gefördert von der Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur, angebunden an die Internationale Psychoanalytische Universität Berlin, wissenschaftliche Projektfachkraft: U. Stegemann, 28 FI 1 / 2014 Christiane Ludwig-Körner, Ulla Stegemann Projektleitung: C. Ludwig-Körner) wird im Rahmen einer Feldforschung erprobt, inwieweit die Eltern-Kind-Beziehungen von einer im Frühen Hilfebereich spezialisierten Fachkraft, die zudem in Kindertherapie ausgebildet ist (Gestalttherapie), gefördert werden können. Dadurch, dass die Eltern in den Kindergartenalltag einbezogen werden - sie sollen jeden Tag über mehrere Stunden mit ihren Kindern in der Einrichtung sein -, können sie modellhaft eine gute Erziehungspraxis erleben und täglich Anregungen und Hilfen im Umgang mit ihren Kindern sowie auch Hilfen bei eigenen Problemen erhalten. Forschungsfragen sind u. a., ob eine spezialisierte Fachkraft Kinder mit Entwicklungsverzögerungen und/ oder psychischen Auffälligkeiten zusammen mit ihren Eltern innerhalb des Kindergartens so wirkungsvoll fördern kann, dass nur wenige zusätzliche Hilfen benötigt werden, und, ob eine psychodynamisch orientierte, mentalisierungsfördernde Arbeit im Kindergarten eine Alternative zum kurativen Ansatz einer Kinderpsychiatrischen Tagesklinik sein kann. Von diesem Projekt sollen auch Anstöße für eine zukünftige Mischfinanzierung im Rahmen eines Setting-Ansatzes für die Frühen Hilfen ausgehen (Bildung, Jugendhilfe, Gesundheit). In das Projekt wurden zudem Studierende (BA und MA-Studiengänge Psychologie) eingebunden, die im Sinne eines „Problem based learning“ wichtige Erfahrungen in einem konkreten Praxisfeld machen können (z. B. Entwicklungs- und Klinische Psychologie, Diagnostik, Forschungskompetenz), die aber die Fachkraft auch bei ihrer Arbeit unterstützen, sei es, dass sie gezielte Beobachtungen durchführen, oder, indem sie einzelne Kinder zusätzlich fördern. Das Projekt wird in vier Kindergartengruppen eines Freien Bildungsträgers in einem Berliner Brennpunktbezirk umgesetzt. Geplant war zuerst, nur mit drei Familien im Projekt zusammenzuarbeiten. Die Rekrutierung von zwei Familien erfolgte in Zusammenarbeit mit einer Kinder- und Jugendpsychiatrischen Tagesklinik und dem Jugendamt des Bezirks. Der Bildungsträger ermöglichte, dass die Kinder dieser beiden Familien zusätzlich im Kindergarten aufgenommen werden konnten, da sie in unmittelbarer Nähe der Einrichtung lebten und dringend Hilfe bedurften. Die Einbindung einer weiteren Familie ins Projekt wurde uns vonseiten einer Erzieherin des Kindergartens dringend empfohlen, da diese das Erziehungsverhalten der Mutter als „sehr bedenklich“ erlebte und alle drei Kinder in unterschiedlich starkem Ausmaß bereits Verhaltensauffälligkeiten zeigten. Zwei weitere Familien, deren Kinder auch bereits im Kindergarten waren, nahmen wir in das Projekt zusätzlich auf, als wir bei einem Kind schwere dissoziative Zustände feststellten und bei einer Mutter mit einem sechswöchigen Baby eine Wochenbettdepression erkannten. Weitere Eltern, deren Kinder im Kindergarten sind, äußerten auch den Wunsch, im Projekt mitarbeiten zu dürfen - was wir leider nicht realisieren konnten. Alle im Projekt beteiligten Eltern wuchsen, wie wir in Einzelgesprächen erfuhren, unter persönlich sehr schwierigen Lebensbedingungen auf. Viele waren selbst Zeugen von häuslicher Gewalt, lebten in Ländern, in denen Kinder noch selbstverständlich geschlagen werden, sexuelle Übergriffe stattfanden oder die Eltern unter massiven persönlichen Problemen („Messi“, Alkoholismus, Überschuldung aufgrund von Kaufräuschen, psychotische Episoden) litten. Kinderheime waren ihr zu Hause oder sie mussten bereits als Kinder/ Jugendliche in psychiatrischen Kliniken behandelt werden. Da sie selber nur teilweise oder gar nicht Menschen begegnet waren, die sich in sie hineinversetzen konnten, fehlen ihnen die Fähigkeiten, die Bedürfnisse ihrer Kinder wahrzunehmen und angemessen da- 29 FI 1 / 2014 Helfende Beziehungen im Kindergarten rauf einzugehen. Lediglich drei Erziehungsberechtigte stammen aus Deutschland, die anderen aus unterschiedlichen Ländern Osteuropas und Afrikas. Wissenschaftstheoretisch wird das Projekt von einem psychodynamischen Verständnis geleitet. Es bezieht sich auf bindungstheoretische Bezüge und auf Überlegungen zur Förderung einer Mentalisierungsfähigkeit (Fonagy et al., 2002). Die pädagogische Haltung entspricht der Anerkennungstheorie (Prengel, 2013) bzw. einer „child led education“. Es handelt sich um ein überwiegend qualitatives Forschungsdesign mit Einzelfallanalysen (narrative Interviews, Forschungstagebücher). Zusätzlich werden einige quantitative Daten erhoben. Bei den Eltern wurden, neben einem Depressions- und Persönlichkeitsfragebogen (Beck und IPO 16), der Parenting Stress Index (Eltern-Belastungsinventar EBI) und das AAP durchgeführt. Alle Eltern zeigen z. T. erhebliche strukturelle Schwächen, haben z. T. hohe depressive Symptome und fühlen sich von den Erziehungsanforderungen belastet. Drei Elternteile zeigen ein desorganisiertes Muster, zwei haben unsichere Bindungsmuster (vermeidend und ambivalent) und nur eine Mutter hat ein sicheres Bindungsmuster. Zu Beginn des Projekts zeigten alle Kinder z. T. erhebliche Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren, zu lernen und sich sprachlich auszudrücken. Ihre Entwicklung war verzögert, wenngleich in unterschiedlichen Bereichen und Ausmaßen. Einige der Kinder drückten ihre Schwierigkeiten in massivem aggressiven Verhalten oder depressivem Rückzug aus, hatten dissoziative Zustände, zeigten Symptome von ADHS, koteten und nässten ein, obwohl sie bereits über sechs Jahre alt waren, oder zeigten ein völlig distanzloses Verhalten gegenüber fremden Personen. Alle Kinder hatten bei Beginn des Projekts unsichere Bindungsmuster oder zeigten sogar desorientiertes Verhalten. Gewonnen wurden die Daten anhand teilnehmender Beobachtungen durch Studierende, Einschätzungen durch die Projektfachkraft und die Erzieherinnen, Entwicklungstests ET 6 - 6, Trierer Beobachtungsinventar, Leuvener Engagiertheitsskala, Child Behavior Check List und Bindungsverfahren. Methodisches Vorgehen Im Vordergrund stehen Einzelgespräche mit den Eltern, in denen Raum für aktuelle Fragen, Sorgen der Eltern, aber auch Fragen zum Projekt und der Beziehung zu den Mitwirkenden gegeben ist. Erst nach einem hinreichend gelungenen Beziehungsauf bau kann mit speziellen Übungen, wie z. B. einer Wahrnehmungsschulung oder einer Videoarbeit, begonnen werden. Unter Einbezug psychoedukativer und psychoynamischer Methoden werden Eltern angeregt, über sich und ihre Kinder zu reflektieren, also zu mentalisieren. Der „Reflective Parenting Approach“ zielt darauf ab, Eltern in ihrer aktuellen Situation bestmöglich zu helfen. Es gibt zwei Ansätze: „Parents First“ (Grienenberger et al., 2005) und „Minding the Baby“ (Slade et al., 2005). Beide Ansätze enthalten Fonagys Theorien der reflexiven Funktion und der Mentalisierung als Grundlage, sodass das Ziel darin besteht, die Mentalisierungsfähigkeit der Eltern zu steigern (Fonagy et al., 2002). Die Mentalisierungsfähigkeit ist Voraussetzung für die Selbst- und Affektregulationsprozesse, die wiederum eine Grundlage der Entwicklung von Bindungsfähigkeit sind. Innerhalb der Projektarbeit wurden wir geleitet von Erfahrungen mit dem beziehungsorientierten Frühinterventionsprogramm STEEP TM (Steps Toward Effective and Enjoyable Parenting), das von Martha Erickson und Bryon Egeland (Egeland & 30 FI 1 / 2014 Christiane Ludwig-Körner, Ulla Stegemann Erickson, 2004, Erickson & Egeland, 2006) entwickelt und erprobt wurde und u. E. in sehr vielen Punkten dem Ansatz von „Minding the Baby“ entspricht. Beide Programme haben das Ziel, die Selbstreflexion der Eltern zu fördern, um das Kleinkind mentalisieren zu können. Unsere anfängliche Idee, „Parents First“, eine Gruppenintervention für Eltern, anzuwenden, konnten wir nicht umsetzen, da die Eltern, z. T. auch wegen sprachlicher Schwierigkeiten, schwer in eine Gruppe einzubinden waren. Das Projekt ist nun so konzipiert, dass die Mitarbeiterin möglichst täglich mit den Eltern einige Stunden Übungen zur Stärkung der Eltern-Kind-Beziehung durchführt. Dazu zählen auch Wahrnehmungs- und Beobachtungsschulung, da es den „Projekteltern“ schwerfällt, ihr Kind differenziert wahrzunehmen. Sie sind zu sehr mit ihren eigenen Sorgen bzw. einer „Selbstfürsorge“ beschäftigt, als dass sie sich auf ihre Kinder konzentrieren könnten. Ihnen fehlen die Erfahrungen einer eigenen, hinreichend guten Beelterung, sodass ihnen diese Fähigkeiten nicht intuitiv zur Verfügung stehen. Mithilfe der Projektmitarbeiterin lernen die Eltern, ihr Kind genau zu beobachten und zu beschreiben: „Was sehen Sie? Was hören Sie? Was spüren Sie? Was würden Sie jetzt in diesem Moment gerne machen? Welchen Impuls haben Sie? “ Dabei gilt es, genau hinzuhören und zu spüren, wie die betreffende Person antwortet und was sie wohl erleben mag, um so anhand der gemeinsam erlebten Beobachtungen in einen Dialog treten zu können. Beim nächsten Schritt geht es dann um das elterliche Einfühlen in ihr Kind: „Was glauben Sie, wie es Ihrem Kind geht? Woran erkennen Sie, wie es ihm geht? “ Weiterhin verwendeten wir in der beziehungsfördernden Arbeit mit den Eltern und ihren Kindern die von Cohen, Lojkasek, Muir et al. (1999) entwickelte Methode „Watch Wait Wonder“ (WWW). Bei WWW handelt es sich um ein bindungszentriertes Setting zwischen Mutter/ Vater und Kind. Hier geht es um Spielinteraktionen, in denen das Spiel zwischen Eltern und Kind vom „Kind geleitet“ beginnen soll und die erwachsene Person sich ins Spiel einladen lässt (child led pedagogic). In der beobachtenden, abwartenden und staunenden Haltung stellt der Erwachsene Raum und Zeit zur Verfügung, damit das Kind im liebevollen Blick der Mutter oder des Vaters in ein selbstbestimmtes Spiel findet. Wir führten zudem eine „Dialogarbeit im Gegenüber“ ein. Eltern setzen sich oft ihren Kindern zum Spielen nicht gegenüber, sondern nehmen ihre Kinder - auch wenn es sich bereits um größere Kinder handelt - auf den Schoß. In dieser Position ist es weder für das Kind noch die Eltern möglich, in einen wirklichen Dialog zu treten. Es besteht keine Möglichkeit eines Blickkontakts oder eines affektiven Abstimmens. Der Spracherwerb ist erschwert, da die Kinder nicht auf den Mund des Erwachsenen blicken können. In der Übung wird der Elternteil aufgefordert, die gemeinsamen Momente mit seinem Kind im Gegenüber zu gestalten, da er das Kind so genauer wahrnehmen kann. Die Reaktion in Blick und Körpersprache des Kindes soll abgewartet und beobachtet werden, um darauf bezogen antworten zu können. Das Üben dieser methodischen Schritte findet in spontanen, realen und alltäglichen Momenten statt, d. h. im Spiel, beim Essen, beim Anziehen, beim Ankommen und Gehen etc. Eine Förderung der Eltern-Kind-Beziehung geschah auch durch Psychoedukation. Entsprechend dem jeweiligen Alter des Kindes/ der Kinder und seiner/ ihrer Einschränkungen wurden entwicklungspsychologische Kenntnisse vermittelt, auf psychoedukative Filme verwiesen bzw. Filmausschnitte mit den Eltern zusammen angeschaut und besprochen. 31 FI 1 / 2014 Helfende Beziehungen im Kindergarten Auch Videoarbeit unterstützt die helfende Beziehung: Es werden Spielsequenzen der Mutter mit dem Kind bzw. zwischen Vater und Kind sowie, wenn möglich, auch das Kind selber im Spiel mit beiden Eltern aufgezeichnet. Gelungene interaktive Szenen werden ausgewählt und mit der Mutter/ dem Vater besprochen. Vorgegangen wird dabei entsprechend dem in der Eltern-Säuglings-Kleinkind-Psychotherapie erprobten Verfahren, das aber auch in der STEEP TM -Arbeit („Seeing is believing“) angewandt wird. Videoarbeit ist besonders hilfreich bei Eltern, die man weniger über die Sprache, aber besser über das konkrete Sehen erreichen kann, zumal, wenn Schwierigkeiten in der Mentalisierung vorliegen. Ein gemeinsames Erleben von Eltern und Kindern wurde auch innerhalb einer Kochgruppe gefördert, die mit Projekteltern und ihren Kindern einmal wöchentlich stattfindet. Feinmotorische Arbeiten beim Schneiden, Schütten und Abstimmen von Lebensmitteln sind eingebettet in ein soziales Miteinander. Dieses Vorgehen hat sich vor allem für Mütter aus fremden Kulturen, bei denen eine helfende Beziehung sich leichter durch gemeinsames Handeln entwickelt, als hilfreich erwiesen. Wird die Kocharbeit mit eingestreuten, persönlichen „Gesprächssequenzen gewürzt“, so können diese z. B. von ausländischen Müttern besser angenommen werden. Für viele von ihnen ist es sehr ungewohnt, sich über Eltern- Kind-Beziehungen oder Erziehungspraktiken (z. B. nicht zu schlagen) ohne eine handelnde Ebene auszutauschen. Um die Kinder in ihren Entwicklungsrückständen zusätzlich fördern zu können, konnten Studierende in die Arbeit eingebunden werden. Jedes „Projektkind“ bekam „seine/ ihre“ Student/ in, welche es entsprechend der kindlichen Symptomatik speziell förderte (vom Radfahren-Lernen, über Basteln, Spielen, Vorlesen, Busfahren bis zur Hausaufgabenhilfe bei älteren Geschwistern). Zwischenergebnisse aus dem Projekt Auf eine Zusammenarbeit mit dem Jugendamt konnte bei zwei Familien (Kinderschutzfälle) nicht verzichtet werden. Außer einer Mutter konnten sowohl die Eltern wie auch ihre Kinder von der Projektarbeit - wenngleich in unterschiedlichem Maße - profitieren. Handelt es sich auch dann noch um eine „helfende Beziehung“, wenn trotz aller Bemühungen und unter Zuhilfenahme aller nur denkbaren Hilfsangebote (z. B. ambulante oder stationäre Mutter-Kind-Therapie) eine Inobhutnahme von Kindern unvermeidbar wird? Auf wen richtet sich die helfende Beziehung? Letztendlich auf die Kinder, auch wenn dies nur über eine Arbeit mit den Eltern möglich ist. Aber es hilft Kindern auch, eine alternative Beziehungserfahrung von anderen, Außenstehenden, wie Erziehern, Studierenden oder „Ersatzeltern“ zu verinnerlichen. So berichtete eine der „Projektmütter“, dass sie erstmals eine helfende Beziehung in einem Kinderheim erleben konnte. Andere Eltern wiederum fühlen sich durch die Projektarbeit in ihrer Erziehungskompetenz gestärkt, können sich in ihre Kinder besser einfühlen, sich ihnen gegenüber klarer verhalten, adäquat Grenzen setzen, oder sie haben gelernt, was kindliches Spielen bedeutet und setzen dieses mit ihren Kindern auch um. Bei einer Mutter entstand der Wunsch, ihrem Kind durch eine Kinderpsychotherapie noch mehr zu helfen, damit es später nicht den gleichen schweren Weg wie sie selber gehen müsse. Sie ist die Mutter, die bisher am meisten durch die Projektarbeit profitieren konnte. Die Projektarbeit hat in den bisherigen dreizehn Monaten auf den Verlauf der Entwicklung aller Kinder deutlich positiven Einfluss genommen. Dies zeigt sich emotional, sprachlich, motorisch, kreativ, kognitiv und im So- 32 FI 1 / 2014 Christiane Ludwig-Körner, Ulla Stegemann zialverhalten. Die beiden jüngsten „Projektkinder“ zeigen ein sicheres Bindungsmuster, im Gegensatz zu ihren Müttern und älteren Geschwistern. Alle Kinder haben durch die Projektarbeit (incl. durch die zusätzliche Unterstützung seitens der Studierenden) viel gewinnen können. Körperliche Gewalt als Erziehungsmethode wurde von den Kindern gegenüber der Fachkraft und den Erzieherinnen wiederholt benannt. Alle Projektkinder gewöhnten sich schnell an die Projektmitarbeiterin, die sie als eine ihrer Erzieherinnen „vereinnahmten“. Der Kontaktauf bau zu „ihren“ Studenten/ innen gelang sehr gut, obwohl diese nur punktuell im Kindergarten waren, meist an einem Tag in der Woche. Die Kinder genießen die individuelle Einzelarbeit im Tagesablauf und freuen sich auf diese Phasen in der Woche. Sie sprechen dann davon, dass heute „mein Student da war, mit mir gespielt hat, geübt hat“. Aufgrund dieser guten Erfahrungen ist geplant, dass sich Studierende der Studiengänge BA und MA Psychologie im Sinne einer „Patenschaft“ zusätzlich um Kinder im Vorschulbereich kümmern. Wir haben den Eindruck, dass eine pädagogisch-therapeutische, beziehungsfördernde Arbeit mit Eltern und ihren Kindern innerhalb eines „normalen“ Kindergartens einen tagespsychiatrischen Aufenthalt der Kinder ersetzen kann bzw. sich auch als besser erweist (nicht nur aus Kostengründen), da die Kinder keinen neuen Beziehungsabbruch erleben müssen. Zukünftig würden wir jedoch - wie anfangs geplant - zeitgleich nur weniger Familien betreuen wollen, da das Projekt mit seiner Massivität an familiären Problemen die Projektdurchführenden an die Grenzen ihrer Kapazität brachte. Behindert wird diese Art des Arbeitens durch die weiter bestehenden Segmentierungen in den Bereich der Jugendhilfe, den Bereich der Bildung und den Bereich des Gesundheitswesens. Dies verhindert z. B., dass logopädische oder ergotherapeutische Maßnahmen (zumindest in Berlin) auch innerhalb eines Kindergartens zusätzlich umgesetzt werden können. Für Integrationserzieherinnen reicht die Zeit nicht aus, um in Brennpunktbezirken die Arbeit leisten zu können, die dringend nötig ist. Für sie bleibt auch keine Zeit, sich beziehungsfördernd um die Eltern zu kümmern. Denkbar wäre es, Psychologinnen, Frühförderinnen oder Heilpädagoginnen mit psychotherapeutischer Ausbildung täglich in den Kindergartenalltag einzubinden, um zusammen mit den Eltern deren Erziehungskompetenzen vor Ort zu stärken. Unseres Erachtens ist solch eine Investition in die Zukunft, die zudem insgesamt gesehen sogar kostengünstiger wäre, wie u. a. die Studien von Meier- Gräwe & Wagenknecht (2012) zeigten, unumgänglich, will man die transgenerationale Transmission maligner familiärer Muster unterbrechen. Christiane Ludwig-Körner International Psychoanalytic University Stromstraße 3, 10555 Berlin Ulla Stegemann International Psychoanalytic University Stromstraße 3, 10555 Berlin Literatur Baldry, H.; Moscardini, L. (2010): The Jelly Nursery. Letting the children lead. Final Report. School of Education, Faculty of Humanities and Social Sciences, University of Strathclyde, December 2010 Cohen, N. J.; Muir, E.; Lojkasek, M.; Muir, R.; Parker, C. J.; Barwick, M.; Brown, M. (1999): Watch, wait, and wonder: Testing the effectiveness of a new approach to mother-infant psychotherapy. In: Infant Mental Health Journal, 20, 4: 429 -451 33 FI 1 / 2014 Helfende Beziehungen im Kindergarten Egeland, D. & Erickson, M. F. (2004): Lessons from STEEP TM : Linking theory, research and practice for the well-being of infants and parents. In A. J. Sameroff, S. C. McDonough & K. K. Rosenblum (Hrsg.): Treating parent-infant relationships problems (S. 213 -242). N.Y., London: Guilford Press Erickson, M. F. & Egeland, B. (2006): Die Stärkung der Eltern-Kind-Bindung. Stuttgart: Klett-Cotta Fonagy, P., Geregely, G., Jurist, E. & Target, M. (2002): Affect regulation, mentalization and the development of the self. New York: Other Press Grienenberger, J., Kelly, K. & Slade, A. (2005): Maternal reflecting functioning, mother-infant affective communication and infant attachment: Exploring the link between mental states and observed caregiving behavior in the intergenerational transmission of attachment. Attachment and Human Development, 7, 3, S. 299 -311 Meier-Gräwe, U. & Wagenknecht, I. (2012): Frühe Hilfen sind eine Zukunftsinvestition. Frühe Kindheit, Sonderheft, S. 24 -29 Prengel, A. (2013): Pädagogische Beziehungen zwischen Anerkennung, Verletzung und Ambivalenz. Budrich Rosenblitt, D. L. (2005): Translating child analysis from playroom to the classroom: Opportunities and choices. JAPA 53, 1, S. 189 -211 Slade, A.; Sadler, L.; de Dios-Kenn, C.; Webb, D.; Ezepchick, J. & Mayes, L. (2005): Minding the Baby: A reflective Parenting Program. Psychoanalytic Study of the Child, 60, S. 74 - 100 Tietze, W.; Becker-Stoll, F.; Bensel, J. et al. (Hrsg.) (2013): Nubbek - Nationale Untersuchung zur Bildung, Betreuung und Erziehung in der frühen Kindheit. Fragestellung und Ergebnisse im Überblick. Broschüre. Online verfügbar unter http: / / www.nubbek.de/ . NZFH Zugriff am 14. 9. 2013: www.kindergesund heit-info.de/ fuer-fachkraefte/ praxis-wissen/ mit-elternarbeiten/ aktionsforum
