Frühförderung interdisziplinär
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0721-9121
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/fi2014.art07d
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2014
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Familienorientiertes Arbeiten in der Frühförderung
41
2014
Klaus Sarimski
Manfred Hintermair
Markus Lang
Zusammenfassung: Familienorientierung gehört zu den Grundprinzipien der Frühförderung. Dennoch zeigen Befragungen, dass ein nicht unbeträchtlicher Teil von Eltern mit dem Frühförderangebot nicht zufrieden ist. Es wird über eine Befragung von 44 Fachkräften aus Frühförderstellen berichtet zu ihren Einstellungen und Erfahrungen bei familienorientiertem Arbeiten. Die Antworten lassen – bei grundsätzlich positiver Grundhaltung zur Familienorientierung – individuelle Unterschiede in der Praxis hinsichtlich der Orientierung an den familiären Bedürfnissen und der Unterstützung der Eltern bei der Förderung ihrer Kinder im Alltag erkennen. Fortbildungsangebote, die Super- und Intervisionsmöglichkeiten einschließen, können zu einer weiteren Verbesserung der familienorientierten Praxis beitragen.
1_033_2014_2_0001
68 Frühförderung interdisziplinär, 33. Jg., S. 68 -79 (2014) DOI 10.2378/ fi2014.art07d © Ernst Reinhardt Verlag ORIGINALARBEIT Familienorientiertes Arbeiten in der Frühförderung Perspektiven von Fachkräften Klaus Sarimski, Manfred Hintermair, Markus Lang Zusammenfassung: Familienorientierung gehört zu den Grundprinzipien der Frühförderung. Dennoch zeigen Befragungen, dass ein nicht unbeträchtlicher Teil von Eltern mit dem Frühförderangebot nicht zufrieden ist. Es wird über eine Befragung von 44 Fachkräften aus Frühförderstellen berichtet zu ihren Einstellungen und Erfahrungen bei familienorientiertem Arbeiten. Die Antworten lassen - bei grundsätzlich positiver Grundhaltung zur Familienorientierung - individuelle Unterschiede in der Praxis hinsichtlich der Orientierung an den familiären Bedürfnissen und der Unterstützung der Eltern bei der Förderung ihrer Kinder im Alltag erkennen. Fortbildungsangebote, die Super- und Intervisionsmöglichkeiten einschließen, können zu einer weiteren Verbesserung der familienorientierten Praxis beitragen. Schlüsselwörter: Frühförderung, Familienorientierung, Perspektiven der Fachkräfte Family-centered early intervention - perspectives from providers Summary: Family-centered services are characteristic for the field of early intervention. Yet there is a considerable subgroup of parents who is unsatisfied with the services they receive. We report on interviews with 44 early intervention service providers concerning their attitude and experience with family-centered practice. While the majority supports family-centeredness as a principle, two themes emerged from the interviews as critical inter-individual differences: acceptance of family needs and priorities as leading focus of planning and the provider’s role as active teacher of the caregiver to promote child development in routine activities. Supporting professional development via expertand peer-feedback may contribute to optimal service provision to caregivers. Keywords: Early intervention, family-centeredness, provider perspectives Familienorientiertes Arbeiten in der Frühförderung Z u den Aufgaben von Fachkräften in der Frühförderung behinderter Kinder gehört es, die Eltern darin zu unterstützen, die Teilhabe ihres Kindes am Alltagsgeschehen sowie die Entwicklung seiner Fähigkeiten im familiären Kontext zu fördern. Eine zentrale Rolle spielen dabei die erlebte Belastung der Eltern und ihr Zutrauen in ihre eigene Kompetenz, die Entwicklung ihrer Kinder fördern zu können. Eltern, die sich in ihrem Alltag mit dem Kind als hoch belastet erleben, fällt es schwerer, sich responsiv zu verhalten, d. h. sich auf die Bedürfnisse der Kinder einzustellen und ihnen Anregungen für ihre weitere Entwicklung zu geben. Der Grad der erlebten Belastung hängt dabei von ihren eigenen, biografisch geprägten Fähigkeiten ab, mit schwierigen Herausforderungen fertig zu werden, aber auch von der sozialen Unterstützung, die sie in ihrem familiären Umfeld erleben, und der Qualität der Zusammenarbeit mit den Fachkräften der Frühförderung sowie den dort erhaltenen Hilfen (Trivette, Dunst & Hamby, 2010; Sarimski et al., 2012). 69 FI 2 / 2014 Familienorientiertes Arbeiten in der Frühförderung Die Ergebnisse einer Befragung von 357 Mitarbeitern von Frühförderstellen, die Krause (2012) mittels eines online-Fragebogens durchführte, lassen jedoch vermuten, dass viele Fachkräfte der Frühförderung in ihrer Arbeit dem Unterstützungs- und Beratungsbedarf von Eltern behinderter Kinder nicht die Zeit einräumen bzw. nicht zu haben glauben, die für ein befriedigendes familienorientiertes Arbeiten erforderlich wäre. Befragt wurden überwiegend Sozial-, Heil- und Sonderpädagogen, die in allgemeinen Frühförderstellen arbeiteten. Im Durchschnitt bringen diese Fachkräfte zwar 15 Minuten je Termin für das Gespräch mit den Eltern auf. Ein zusammenhängendes Elterngespräch von 30 - 60 Minuten Dauer- führen jedoch nur 18.1 % monatlich, 21.9 % alle zwei Monate, 44.8 % alle drei Monate und 15.2 % einmal im Halbjahr. Themen der Gespräche mit Eltern sind vor allem Fragen der Erziehung und Förderung des Kindes, während über Fragen der Behinderungsbewältigung durch die Eltern selbst von 53.1 % der Fachkräfte nur gelegentlich, selten oder nie gesprochen wird. Partnerschaftsprobleme, Fragen der sozialen Unterstützung und Fragen, die die Lebensqualität der gesamten Familie betreffen, werden nur von einem Viertel der Befragten oft oder regelmäßig angesprochen. Zielsetzung, Stichprobe und Vorgehen der eigenen Untersuchung Die nachfolgend beschriebene Untersuchung sollte explorieren, welche Einstellungen zu familienorientierter Frühförderung bei Fachkräften in der Praxis anzutreffen sind und welche Erfahrungen sie bei der Umsetzung eines familienzentrierten Vorgehens machen. Im Einzelnen ging es uns um vier Fragestellungen: 1. Wie formulieren Fachkräfte der Frühförderung ihre Einstellung zu familienorientierten Aspekten ihrer Arbeit? 2. Welche Voraussetzungen sehen sie für das Gelingen der Zusammenarbeit mit Eltern? 3. Wie erleben sie das Spannungsfeld zwischen der Förderung des Kindes und der Familienberatung? 4. Mit welchen Methoden gestalten sie die Einbeziehung der Eltern? Es wurden 44 Fachkräfte der Frühförderung in leitfaden-gestützten Interviews zu ihren Einstellungen und Erfahrungen in der familienorientierten Arbeit befragt. 1 Dazu wurden Frühförderstellen in Baden-Württemberg, Hessen und Rheinland-Pfalz schriftlich kontaktiert und um ihre Mitarbeit gebeten. Bei den Fachkräften, die sich für eine Teilnahme entschieden, handelt es sich um vier Psychologinnen, 11 Sozial- oder Heilpädagoginnen, 26 Sonderpädagoginnen und Sonderpädagogen, eine Ergotherapeutin sowie zwei Erzieherinnen mit Zusatzausbildung (Fachlehrerinnen). Zehn Teilnehmerinnen hatten eine Leitungsaufgabe in ihrer Frühförderstelle inne. Fast alle befragten Mitarbeiterinnen waren (mit zwei Ausnahmen) mit mindestens der Hälfte der regulären Arbeitszeit in einer Frühförderstelle beschäftigt. Bis auf zwei Ausnahmen gaben sie alle eine Berufserfahrung von mindestens fünf Jahren in diesem Arbeitsbereich an. 14 Fachkräfte stammten aus Interdisziplinären Frühförderstellen, zehn Fachkräfte aus Frühförderstellen für sehbehinderte oder blinde Kinder, elf Fachkräfte aus Frühförderstellen für hörge- 1 Die Interviews wurden im Rahmen von wissenschaftlichen Hausarbeiten zum Abschluss des Studiums der Sonderpädagogik bzw. von einer Diplomarbeit im Diplomstudiengang Erziehungswissenschaft durchgeführt. An dieser Stelle sei den Studierenden (Frau Kühne, Frau Schulte, Frau Foltin, Frau Gonzalez Galeano, Frau Waas und Frau Leopold) sehr herzlich für die sorgfältige Durchführung der Interviews und ihrer Transkription gedankt, ebenso den Mitarbeiterinnen der Frühförderstellen, die sich die Zeit für die Interviews genommen haben. 70 FI 2 / 2014 Klaus Sarimski et al. schädigte Kinder. Die übrigen neun Fachkräfte sind in einer Sonderpädagogischen Beratungsstelle beschäftigt, die einer Schule für Geistigbehinderte angeschlossen ist. Die Stichprobe umfasst sowohl Mitarbeiter aus interdisziplinären wie auch aus sonderpädagogischen Frühförderstellen, sodass sich die Ergebnisse auf die Erfahrungen aus einem breiten Spektrum von Arbeitsfeldern beziehen. Das leitfaden-gestützte Interview wurde jeweils in den Räumen der Frühförderstelle durchgeführt. Die Interviewdauer variierte zwischen 35 und 90 Minuten. Die Interviews wurden transkribiert und anschließend inhaltsanalytisch ausgewertet. Alle im Weiteren aufgeführten Zitate entstammen diesen Interviews. Sie sollen einen Einblick in die Vielfalt der geäußerten Sichtweisen vermitteln- und das inhaltliche Spektrum zu Fragen der Realisierung einer familienorientierten Frühförderung sichtbar machen. Es waren somit keine quantitativen Aussagen beabsichtigt, entsprechend wurde auf eine Prüfung der Reliabilität der Kategorienzuordnung durch einen unabhängigen Zweitbeurteiler und eine Berechnung der Häufigkeit, mit der einzelne Sichtweisen und Erfahrungen geäußert wurden, verzichtet. Die Aussagen der Fachkräfte wurden lediglich zu übergreifenden Themen zusammengefasst. Einstellungen zu familienorientierter Arbeit Förderung elterlicher Kompetenzen als zentrale Aufgabe Sehr wichtig. Ich halte die Aufgabe, die Eltern in ihren Kompetenzen zu stärken, für zentral und ich würde eher mich als Mitarbeiterin sehen und nicht die Eltern. Mir geht es auch darum, Eltern zu unterstützen oder zu befähigen, Dinge selbst zu können. Ich habe nicht das Bild, da kommt einmal die Woche der Profi und macht alles ganz toll und geht wieder, sondern es geht für mich auch darum, Eltern zu stärken und Eltern etwas zu vermitteln von dem, was ich sehe, damit sie es können. Systemisch oder auch ressourcenorientiert. Der Vorteil ist bei den Eltern, dass, wenn die regelmäßig Sachen machen oder eben auf ihre Kommunikation achten, sie eben diejenigen sind, die ihr Kind weiterbringen und nicht ich, die einmal die Woche kommt. Und ich denke, das ist ganz wichtig, dass man das den Eltern weitergibt, dass sie hier die Experten sind, dass ich ihnen Tipps geben kann und sagen kann, wie sie es noch besser machen können, aber sie diejenigen sind, die dafür verantwortlich sind. Das nützt ja nichts, wenn man dem Kind helfen will. Mein Ansatzpunkt ist der, dass man Kindern nur durch Förderung nicht helfen kann, sondern man muss ihnen über die Eltern helfen, man muss die Eltern dazu befähigen, für ihr Kind da zu sein, d. h., letzten Endes auch das Kind zu fördern. Wir sind eigentlich diejenigen, die Anstöße geben. Das Wesentliche läuft in den Familien. Wir stärken die Eltern häufig dann auch in ihren Fähigkeiten, von denen sie manchmal noch nicht mal ahnen, dass sie die haben. Und halt absolut selbstbestimmt. Nicht wir bestimmen, was mit dem Kind passiert, sondern die Eltern bestimmen. Und wir unterstützen sie dabei nur. Und selbst die Unterstützung wird darauf angeglichen, was die Familie braucht, also da hat man kein Rezept. Es läuft immer dann gut, wenn es ein Dialog ist, wenn es sozusagen ein Miteinander ist. Und nicht, dass wir ein Konzept in der Tasche haben und die Eltern das umsetzen müssen. Das ist es nicht. Sondern, wenn sozusagen da eine deutliche Weiterentwicklung ist und die Eltern sehr eigenständig in ihren Ideen werden und sich weiterentwickeln, Richtung Hilfe zur Selbsthilfe. Also wenn sie uns mal nicht mehr brauchen, ist unser Ziel erfüllt. …Wenn die Eltern in ihrem 71 FI 2 / 2014 Familienorientiertes Arbeiten in der Frühförderung Weg sicher geworden sind, was sie wollen und was sie sich eventuell holen, was sie brauchen, dann brauchen sie die Frühförderung vielleicht nicht mehr so intensiv. Eigene Förderaktivitäten als Impulse Ich kann nicht mehr sein als der Stein des Anstoßes. … Wenn jemand denkt „Die kommt und macht mir Vorschriften“, dann hab ich mich falsch verkauft. Dann habe ich irgendwo einen falschen Ansatz oder ich sage das für die Familie Unpassende. Das ist auch ein langer Prozess … ich muss erst lange, lange zuhören und die Eltern reden lassen und die Eltern sich austoben lassen in ihrer Wut…und erst dann versuchen: Ok, wir können trotzdem gemeinsam etwas ausprobieren, bei dem sie sich wohlfühlen, die Eltern, und aber auch hauptsächlich das Kind. Also 50 : 50. Ich kann die Familie nicht gut beraten, wenn ich nicht ganz nah an dem Kind dran bin und der Familie da Vorschläge (mache), die nicht stimmig sind mit dem Kind. Andererseits ist die kindbezogene Förderung nichts, was ich als Therapeut mache. Ich kann nicht erwarten, wenn ich einmal in der Woche 1,5 h mit dem Kind was mache, dass das Kind davon etwas lernt. Es geht immer eigentlich nur darum, dass das exemplarisch ist. Dass die Menschen, die sonst mit dem Kind mehr zu tun haben als ich, da sehen, das ist was, das kann man auffangen, das kann man weiter probieren. Orientierung an den Bedürfnissen der Eltern Dass man die Eltern fragt, was sie überhaupt für einen Bedarf haben. Es geht natürlich auch darum, dass ich als Therapeut sehe, was das Kind braucht, aber es geht ja auch darum, was die Eltern denken, was ihr Kind braucht oder was sie zu Hause brauchen, damit das mit dem Alltag zu Hause gut funktioniert. (Es kommt schon vor, dass) man sich denkt, warum ist man eigentlich jetzt hier. Was sind die Erwartungen? Also das hat man schon mal, dass so Eltern vor einem sitzen, man erzählt, man erzählt und man fragt sich so, wollen die das überhaupt wissen? … Also, was wollen die eigentlich? Was wünschen die sich? Was wünschen sie sich für ihr Kind. … Man kommt in ein ganz fremdes Umfeld rein und muss schauen, wie ist das, was geht hier so ab und wie pass ich mich hier ein? Und wie kann ich hier auch einwirken? Weiterentwicklung der eigenen Arbeitsschwerpunkte Das hat sich verschoben. In den letzten zehn Jahren beobachten wir, dass Elternarbeit immer wichtiger wird, vielleicht legt man jetzt auch mehr den Fokus darauf. Aber wir sehen, dass wir immer, ich sag’s jetzt mal ganz platt, immer problematischere Kinder bekommen, also nicht mehr diese ganz klar entwicklungsverzögerten Kinder, die einfach in ihrer Entwicklung, in ihrer Förderung Unterstützung brauchen, sondern dass oft das ganze Umfeld, das familiäre Umfeld mit betroffen ist. Und dadurch eben auch der Austausch mit den Eltern, die Anleitung von Eltern, Aufklärung von Eltern immer mehr mit eingebracht werden muss in die eigentliche Förderarbeit mit den Kindern. Ja, das verändert sich sicherlich. Jetzt bin ich noch nicht so lange dabei, aber ich weiß, dass gerade ältere oder langjährige Kolleginnen sagen, dass die Arbeit sich sehr verändert hat. Also zum Beispiel, dass dieses Kotherapeutische nicht mehr so da ist wie früher, als die Eltern gerade im therapeutischen Bereich sehr einbezogen wurden. Oder dass Frühförderung früher auch sehr kindzentriert war und es jetzt immer mehr dahin geht, das ganze Familiensystem einzubinden und zu betrachten. 72 FI 2 / 2014 Klaus Sarimski et al. … Dass zwar immer noch viel mit dem Kind selber gemacht wird, aber dass der Hintergrund ein anderer ist. Dass man nicht einfach nur spielt und dann die Tasche einpackt und wieder geht, sondern dass da noch ganz viel dahinter ist. Begrenzte zeitliche Ressourcen Manchmal wäre es sicherlich schöner, mehr Zeit zu haben, wir sind ja sehr eng getaktet. Wir haben eine Jahresvorgabe, soundso viele Stunden müssen am Ende des Jahres rein gearbeitet werden, … wir rechnen einzelne Stunden ab, haben keine Pauschalfinanzierung, da gibt es einen Rahmen, der einfach eng vorgegeben ist. Es wäre vielleicht manchmal für die einzelne Familie schön, wenn wir da mehr Platz hätten, aber auf der anderen Seite ist auch die Frage, wie sehr würden wir uns dann von unserem Frühförderauftrag entfernen? Das ist ja immer auch so was, wo man eine Balance finden muss. Voraussetzungen für das Gelingen der Zusammenarbeit Aufbau eines Vertrauensverhältnisses Also, für mich hat sich rausgestellt, dass es ganz wichtig ist, erst mal die Eltern zu hören, was sie zu sagen haben und einfach des mal so anzunehmen und net gleich zu kritisieren. Ich hab' festgestellt, dass die Eltern oft auch im Alltag 'ne ganz große Belastung haben und wenn sie sich einfach verstanden fühlen, dann öffnet sich schon was und dann ist der Kontakt gut. Und wichtig ist auch, dass man sich Zeit nimmt. Ich hab’ also festgestellt, dass Mütter, die sonst sehr gehetzt wirken und immer auf dem Sprung sind, wenn ich sie zu ’nem Termin eingeladen hab’, und wir haben uns hier mittags in Ruhe hingesetzt und auf einmal waren die ganz entspannt und haben erzählt und erzählt. Und dieser Rahmen von einer Stunde ist weit überzogen worden, weil sie auch froh waren, da einfach mal drüber reden zu können. … Also so ein Vertrauensverhältnis herstellen, ist schon mal ganz wichtig und dann auch anerkennen, was die Mütter leisten. … Ganz konkret eine Situation rausgreifen, was bei ihnen zu Hause schwierig mit diesem Kind ist. Wie könnte man des angehen, wenn’s um Verhaltenssachen geht und wenn’s um kognitive Dinge geht? Aber ich sag mal, wenn Eltern selber es schwer haben, sich einzulassen auf Vertrauen oder beziehungsweise überhaupt auf eine (Beziehung), auch wenn es eine Arbeitsbeziehung ist, aber eben auf ein Miteinander, dann ist es schon auch schwierig. Manchmal denk ich, wenn das geprägt ist entweder von Misstrauen, wenn man viel gegen so etwas ankämpfen muss. Oder wo Angst besteht, dass man bewertet, also dass da jemand nach Hause kommt und ich werde hier in meinem Tun als Eltern sehr hinterfragt. Gemeinsame Entscheidung über Förderziele Dann muss man halt gucken, dass man eine Balance findet. Das kann schon sein, dass man unterschiedliche Sichtweisen auf die Entwicklung von dem Kind hat. Und das man dann halt vorsichtig aufklärt, wie man das Kind einschätzt und was man denkt, was die nächsten Entwicklungsschritte sein können. Dass man trotzdem dann das auch respektiert, was die Eltern sich wünschen, weil sie wünschen sich ja nicht irgendwas, das ist eher selten, aus Leistungsdruck, sondern sie wünschen sich, dass es tatsächlich leichter werden soll, weil sie eigentlich Leidensdruck haben. Toll wäre es natürlich, wenn sie sagen würden, meine Situation ist so. So dass man einfach 73 FI 2 / 2014 Familienorientiertes Arbeiten in der Frühförderung Hilfemaßnahmen andenken kann. Dass sie einfach mehr mitmachen. Aber ich kann die Leute ja nicht ändern. Wie man des anstellt, da beiß ich auch auf Granit, da hab’ ich auch keine Lösung. Also, ich könnte jetzt auch nicht sagen, machen wir dies und das und dann klappt des. …Wünschen würde man sich natürlich, dass man besser an diese Leute rankommt. Aber wie machen wir das? Transparenz und Anpassung der Fördervorschläge an den Familienalltag Aber es gilt ja auch die Eltern zu beraten über die Diagnose, über den Verlauf der Behinderung, über die Möglichkeiten, wie sie ihr Kind unterstützen können. Und dem messe ich sehr viel Wert zu, das ist bei mir so 50 : 50, weil ich mir eigentlich immer Zeit nehme für ein Gespräch, wenn es denn angebracht ist. Es gibt auch schon mal Situationen, wo es nicht angebracht ist, aber ich finde es eigentlich sehr, sehr wichtig, dass die Arbeit transparent ist, dass ich auch den Eltern mal sage, warum mache ich denn was. Und was sind meine Ziele, wo kann das Kind hinkommen, und auch Ängste nehme. Unsere Therapie in dem Rahmen ist ja ganz viel Alltagsförderung und von daher wollen wir natürlich, dass die Eltern sich dafür interessieren, was im Alltag passiert, und wollen wir auch, dass es für die Eltern transparent ist, was da passiert, und dass die es eigentlich auch zu Hause umsetzen können. Das heißt, wenn es um Sachen geht, Selbstständigkeit beim Essen, Trinken, Anziehen, dass es natürlich auch weiter transportiert werden soll. Wir wollen, dass man es hier übt, festigt und so weiter, aber eigentlich schon dann auch mit nach Hause getragen wird. Dass wir die Eltern gewinnen und versuchen ihnen zu vermitteln, dass es ein attraktives Ziel ist. Und manchmal ist ja den Eltern auch ganz klar, was sie für Ziele für ihr Kind haben. Spannungsfeld zwischen Förderung des Kindes und Familienberatung Konflikt zwischen Beratungsaufgaben und Förderung des Kindes In der heutigen Zeit geht das nicht mehr, dass, wenn ich da rein komme und die Mutter sitzt da und heult, dann kann ich nicht „Mensch ärgere Dich nicht“ auspacken. Natürlich muss ich mir einen Platz in der Familie schaffen. Ich muss auch sagen ,Ich mach jetzt erst was mit Ihrem Kind und dann komme ich zu Ihnen.‘ Oder ,Ich sehe, Ihnen geht es heute nicht gut. Was machen wir mit dem Kind, wo kann das hin? ‘ Weil man muss ja vorm Kind nichts besprechen. Also normalerweise ist das nicht 50 : 50 (zwischen Kindförderung und Familienberatung), weil es wird die Förderung am Kind bezahlt vom Kostenträger. … Jetzt kann man sich ja vorstellen, das heißt eine Dreiviertelstunde Förderung am Kind und eine Viertelstunde Vor- und Nachbereitungszeit und Gespräche und alles Mögliche. Also kann man sich vorstellen, wie die Gewichtung ist. Es ist 3 : 1 im Prinzip. Das ist absolut nicht der Realität entsprechend, eigentlich müsste es andersherum sein. Ein glückliches Kind ist da, wo glückliche Eltern sind, wo also die Beratung stimmt. Also da muss sich in Zukunft auf jeden Fall etwas verändern. Weil diese Förderung am Kind, wenn sie rein funktional ist, und es sind andere Probleme in der Familie, dann ist das eigentlich für die Katz’, das kann man eigentlich vergessen. Abgrenzung der eigenen Zuständigkeiten Die Schwierigkeit ist die, dass ich praktisch, ich bin ja vorwiegend für das Kind zuständig und das Drumherum, diese Gespräche, die mit den 74 FI 2 / 2014 Klaus Sarimski et al. Eltern stattfinden, die muss ich immer wieder in eine gewisse Bahn lenken, damit ich wieder zum Kind zurückkomme. Weil oft ist es ja auch so, dass die Eltern alles Mögliche von mir wissen wollen, was gar nichts mit dem Kind zu tun hat, und dann muss ich immer wieder drauf bestehen, dass ich für das Kind zuständig bin, und muss sie so ein bisschen zurückholen. Weil ich denke, natürlich habe ich eine gewisse Lebenserfahrung, ich bin 52 Jahre alt und ich habe schon einiges erlebt, aber ich bin keine Psychologin, ich bin nicht ausgebildet in der Richtung und wenn ich mir einen Fehler erlauben würde, dann würde ich sagen, da geht vielleicht eine Ehe kaputt. Und, wie gesagt, das Schwierige ist dann einfach, um effektiv zu helfen, müsste ich viel mehr in die Familie rein als mein Frühförderauftrag betrifft. Auf der einen Seite freut es mich, wenn die Menschen das Vertrauen in mich setzen und ihre ganz persönlichen Geschichten erzählen, und auf der anderen Seite ist es natürlich so wie gesagt, es ist absolut nicht Auftrag der Frühförderung. Und da steht man im Grunde auch immer auf so einer Kipplinie. Ich hab einfach gemerkt, dass ich doch deutlich gelernt habe, mich abzugrenzen. Vermittlung von bedarfsgerechten Hilfen Also, sagen wir einmal so, das Angebot der Eltern ist manchmal viel breiter angelegt als jetzt nur kindspezifisch und da denke ich, haben wir so die Aufgabe, auch ein Stück zu sortieren, aber auch klar zu machen, was nicht Frühförderauftrag ist. Also auch einer Mutter zu sagen ,ich glaube, damit wären Sie bei einer allgemeinen Lebensberatung gut aufgehoben‘ oder das ist vielleicht eher etwas, wo eine Mutter gucken könnte, ob sie sich therapeutische Unterstützung sucht … Weil unsere Aufgabe ist ja immer die Entwicklungsbegleitung des Kinder. Und klar spielt da die Situation der Mutter rein. Wenn eine Mutter ganz doll belastet ist mit irgendetwas, kann man das nicht draußen lassen, aber wir machen keine Lebensberatung. Und das finde ich auch wichtig, mir immer wieder klar zu machen und auch für sich selbst realistisch zu sehen. Wir haben eine Stunde in der Woche und man darf da auch nicht in Omnipotenzgefühle reinkommen, was wir in dieser Stunde alles leisten können. Wir als Frühförderstelle haben ja nicht den Auftrag, Eheberatung zu machen. Das ist einfach nicht unser gesetzlicher und inhaltlicher Auftrag. Dann kann ich mir das auch mal anhören von den Eltern, wenn es eben mal gerade brennt, aber ich weiß, dafür bin ich nicht die richtige Anlaufstelle. Und dann muss man gucken, wo kann man die Eltern hinschicken, ist es ausreichend, wenn die mal Dampf ablassen und danach geht’s wieder, oder ist es besser wenn man die irgendwo hinschickt, wo sie eben da richtige Hilfe bekommen können? Eine Familienhelferin oder Schuldnerberatung oder so was. - Methodische Ansätze zur Einbeziehung von Eltern Beobachtung der Förderung durch die Eltern Ja, das sage ich ganz deutlich im Erstgespräch, das ich mit den Familien habe, weil es mir ganz am Anfang mal passiert ist, dass eine Mutter meinte, dass sie jetzt einkaufen gehen müsste in der Frühfördersituation. Das konnte ich dann noch abwenden, aber da habe ich gemerkt, da ist ein Verständnis da, ,Die Frau kommt, macht was mit meinem Kind, und ich kann gehen‘. Und das mache ich schon sehr deutlich im Dialog, dass ich sage „Ich brauche Sie, Sie sind die Expertin für Ihr Kind. Ich komme einmal in der Woche eine Stunde und ich 75 FI 2 / 2014 Familienorientiertes Arbeiten in der Frühförderung kann Sie nur begleiten und unterstützen, aber ich kann hier nicht Ihr Kind völlig verändern und das möchte ich auch nicht. Sondern ich möchte ja auch Sie mit Ihrem Problem und Ihren Wünschen annehmen und hören und sehen, was Sie brauchen. Und von daher ist es mir immer sehr wichtig, dass Sie dabei sind“. Ich versuche, das so den Eltern zu vermitteln, dass die Eltern mich als Medium sehen sollen, sie können bei mir schauen, was ich mit dem Kind mache, wie ich es mit dem Kind mache. Ich bin als Gesprächspartner da, aber ich leite die Eltern nicht direkt an. (Videogestützte) Anleitung der Eltern Ich persönlich arbeite in der Beratung. Ich habe selten das Frühförderkind einzeln, sondern ich berate die Eltern und leite sie mit Marte-Meo an. Und mache eigentlich in den seltensten Fällen Frühförderung klassisch. Ich arbeite gar nicht nur mit Kindern. … Also ich arbeite gar nicht isoliert, weil ich persönlich der Überzeugung bin, diese 45 Min. bringen weniger als das, was ich bewirken kann, wenn ich die Eltern anleite, es selbst zu tun. Und das ist ja auch der große Slogan von Marte-Meo „Zur eigenen Kraft verhelfen“ und so arbeite ich auch in der Praxis. Ich würde mir wünschen, dass alle Fachkräfte ihre Fachkompetenz sehen und den Eltern mitgeben. (Ich sage manchmal) Stellen Sie sich vor, Sie backen einen Kuchen, ein Bäcker steht neben Ihnen. Sie vergessen das Backpulver und er sieht es und er sagt nichts. Stellen Sie sich vor, da kommt eine Mama, die lässt sich schon am frühen Morgen von ihrem Kind tyrannisieren und Sie sehen, dass das Kind leidet, weil die Mama immer nachgibt. Eigentlich sind Sie der Bäcker, der da sagt, geben Sie jetzt nicht nach. Das wünsche ich mir, dass die Fachkräfte dazu bereit sind, ihr Wissen an die Eltern weiterzugeben und sich nicht wegzudrehen und denken, wie kann man nur. Also das wünsche ich mir eigentlich und ich wünsche mir ehrlich gesagt auch, … dass unser ganzes Team diese Chance sieht. Und mit der Zeit sich dazu entwickelt, dass isolierte Arbeit weniger Wert ist. Und ich sehe das ganz ehrlich manchmal als Zeitvergeudung, da hinzugehen, ein bisschen Memory zu spielen und wieder zu gehen. Unterstützungsbedarf bei schwierigen Beratungssituationen Also ich finde inzwischen, muss ich wirklich sagen, dass ich denke, dass die Frühförderer insgesamt… viel zu sehr kindzentriert sind … Aber wie sitze ich einer Mutter gegenüber, die jetzt einen Anfall kriegt und hysterisch wird? Wie sitze ich einer Mutter gegenüber, die mich beschimpft und die mir sagt, was du da machst, das hilft mir überhaupt nichts? Wie geh ich mit so was um? Fange ich dann auch das Heulen an oder wie mach ich das? All diese Dinge. Oder wie spreche ich wirklich Trost zu, ohne peinlich zu sein, ohne seelische Trinkgelder zu verteilen, all diese Dinge sind wichtige Aspekte. …Ich erlebe immer wieder, dass die Kolleginnen sagen, ja dafür habe ich keine Zeit. … Meine Arbeit ist (aber) nicht, dem Kind sieben Mal die Rassel vor die Augen zu halten und dann gehe ich wieder. Und wenn vielleicht noch fünf Minuten abgezwackt bleiben, dann mach’ ich noch schnell ein Tür-und-Angel-Gespräch mit der Mutter. Nein. Aber das ist in vielen Köpfen so drin. Und das garantier ich Ihnen, dass das in allen Frühfördereinrichtungen so ist. Depressionen oder drohende Arbeitslosigkeit oder Verarmung. Also da fühlen wir uns schon überlastet, überfordert. Wir arbeiten in Brennpunktfamilien. Ich kann das System nicht ändern. Ich kann die beengten Wohnverhältnisse nicht ändern, wenn nicht mehr Geld da ist. … Das ist auch frustrierend zu sehen. 76 FI 2 / 2014 Klaus Sarimski et al. Also, an Grenzen stoße ich dann, wenn Eltern durch andere Institutionen geschickt werden. Andere Institutionen meine ich eher in Richtung Jugendamt, wo es in Richtung Druck geht. Dann werden die unzuverlässig, weil sie es eigentlich nicht wollen. Weil sie nicht der Überzeugung sind, das tut meinen Kindern oder das tut mir gut. Nicht: das hilft mir, sondern ich muss das jetzt. Da komme ich an eine Grenze, weil ich merke, dass sinnbildlich mir eigentlich der Rücken zugedreht wird. Und ich jetzt so nicht arbeiten kann, weil wir immer … die Erlaubnis haben müssen von den Eltern. … Denn nur wenn die Eltern dahinterstehen, kann das Kind sich auch entwickeln. Zusammenfassung und Schlussfolgerungen In den durchgeführten leitfaden-gestützten Interviews mit 44 Fachkräften aus unterschiedlichen Frühförderstellen zeigt sich eindrücklich, dass ihnen die Stärkung der elterlichen Kompetenzen zur Förderung ihrer Kinder und die Berücksichtigung der elterlichen Belastungen und Beratungsbedürfnisse in ihrer Arbeit wichtig sind. Sie legen Wert darauf, ein Vertrauensverhältnis zu den Eltern entstehen zu lassen und die Fördervorschläge für die Eltern nachvollziehbar zu machen, damit sie in den familiären Alltag integriert werden können. Problemfelder zeigen sich vor allem darin, inwieweit Prioritäten der Eltern erfragt und gemeinsame Förderaktivitäten mit den Eltern gestaltet werden. Einige Fachkräfte setzen dabei Methoden der Interaktionsberatung ein, indem sie die Eltern-Kind- Interaktion beobachten und den Eltern ein Feedback sowie konkrete Hinweise zur Gestaltung ihrer Interaktion zu geben. In den Interviews wird das Spannungsfeld zwischen kindbezogener Förderung und Beratung der Eltern deutlich, in dem sich die Fachkräfte erleben. Sie versuchen, ihre Beratung auf Fragen zu beschränken, die sich auf die Behinderung des Kindes und seine Förderung beziehen, sehen aber andererseits, dass die Bemühungen nicht erfolgreich sein können, wenn andere Probleme ungelöst bleiben, mit denen eine Familie zu kämpfen hat. Im Rahmen der Auftragsdefinition von Frühförderung und ihrer Finanzierungsregelungen wird eine Lösung in der Vermittlung an andere Einrichtungen gesehen, die sozialrechtliche Hilfen oder psychotherapeutische Interventionen anbieten. Als besonders schwierig wird die Arbeit mit Familien erlebt, deren Situation neben der Behinderung des Kindes noch durch andere schwere psychosoziale Probleme belastet ist, die sich als kaum zugänglich für eine Zusammenarbeit erweisen oder die nicht aus eigener Initiative den Kontakt zur Frühförderstelle aufnehmen. Die Eindrücke, die wir aus den Interviews gewinnen konnten, sprechen dafür, dass die hier befragten Fachkräfte einer familienorientierten Sichtweise von Frühförderung und der Alltagsorientierung von Förderaktivitäten einen hohen Stellenwert einräumen. Unsicherheiten scheinen uns dagegen bei der Umsetzung dieser Prinzipien zu bestehen. Sie beziehen sich vor allem auf vier Themenkomplexe: 1) Wie stark sollte sich die Förderplanung an den Bedürfnissen und Prioritäten der Familien orientieren? 2) Ist es erforderlich, die Eltern aktiv an der Förderung zu beteiligen und sie in ihrem Interaktionsverhalten systematisch zu beraten, um den Erwerb von elterlichen Kompetenzen zur Förderung der Kinder effektiv zu fördern? 3) Wie können Hilfen für Familien mit zusätzlichen psychosozialen Belastungen im Kontext der Frühförderung am besten organisiert werden? 4) Wie können Eltern zur Zusammenarbeit gewonnen werden, die zunächst den Fachkräften der Frühförderung mit Misstrauen oder Ablehnung begegnen? 77 FI 2 / 2014 Familienorientiertes Arbeiten in der Frühförderung Die darin erkennbare Diskrepanz zwischen konzeptionellem Anspruch und seiner Verwirklichung in der Praxis entspricht auch Forschungsergebnissen aus den USA --einem Land, in dem in den gesetzlichen Grundlagen die Unterstützung des Familiensystems ausdrücklich als eine zentrale Aufgabe der Frühförderung formuliert ist (u. a. Bailey et al., 2012). Fleming et al. (2011) befragten Fachkräfte zu ihren Erfahrungen bei der Umsetzung familienorientierter Prinzipien. Sie sahen besondere Schwierigkeiten, wenn Eltern wenig Motivation zur Beteiligung mitbringen, ein niedriges Bildungsniveau haben, von ihnen eine ausschließlich am Kind orientierte, direkte Förderung erwarten; wenn die Rahmenbedingungen (der Hausfrühförderung) für die Beratung ungünstig sind; wenn die zeitlichen Ressourcen, die für jede Familie zur Verfügung stehen, vom Kostenträger zu eng begrenzt werden. Sie räumten aber auch mangelnde professionelle Kompetenz in familienorientierter Beratung und in der Unterstützung von Eltern bei der Gestaltung günstiger Eltern-Kind-Interaktion als Hindernis ein. Peterson et al. (2007) stellten in einer direkten Beobachtung des Geschehens während der Förderstunden bei den von ihnen analysierten Förderverläufen bei 120 Familien mit Kindern mit biologischen oder sozialen Entwicklungsrisiken fest, dass die Fachkräfte mehr als die Hälfte der Zeit zur direkten Förderung des Kindes verwendeten und weniger als ein Drittel der Zeit mit den Bezugspersonen in Interaktion traten. Campbell & Sawyer (2007) analysierten Videoaufzeichnungen und fanden, dass 70 % der Fachkräfte eine „traditionelle“- Form der kind-zentrierten Förderung verfolgten, bei dem das direkte Üben mit dem Kind im Vordergrund stand. Nur ein relativ kleiner Teil der Fachkräfte gestaltete die Frühförderung „triadisch“, d. h. beteiligte die Eltern aktiv an der Fördersituation, beobachtete ihre Interaktionsweise, gab ihnen Rückmeldungen und Hinweise zu günstigen Strategien und plante mit ihnen, wie sie Alltagssituationen zur Förderung der Kinder nutzen können. In einer Befragung, die Sawyer & Campbell (2012) bei 1525 Fachkräften in interdisziplinären Einrichtungen durchführten, gaben nur 22.4 % von ihnen an, dass sie mehr Zeit mit der Beratung und Anleitung der Bezugspersonen verbringen als mit der direkten Förderung der Kinder. Mehr als ein Drittel fühlten sich wohler damit, günstige Vorgehensweisen zu demonstrieren, und vertrauten darauf, dass die Eltern diese aus der Beobachtung des Geschehens übernehmen werden, statt die Eltern direkt anzuleiten („Coaching“). Die gleichen Fachkräfte waren dagegen zu zwei Dritteln der Meinung, dass die Mehrheit der Eltern sehr wohl daran interessiert sei, Anleitung für den eigenen Umgang mit dem Kind zu erhalten, und weniger als 10 % glaubten, dass sie mit direkter Anleitung auf Widerstände stoßen würden. Offenbar fällt es Fachkräften vielfach schwer, sich von dem herkömmlichen Konzept kind-orientierter Förderung zu lösen und ihre Aufgabe in einem „Coaching“ der Eltern zu sehen, obwohl sie die Bedürfnisse der Eltern nach konkreter Anleitung erkennen. Die Umsetzung von familienorientierten Prinzipien erfordert anschauliche und konkrete Leitlinien für die Praxis. Sie müssen sich in der Qualität der Kommunikation zwischen Eltern und Fachkräften, in der Gestaltung von Erstgesprächen, in der Alltags- und Lebensweltorientierung der Förderung, in konkreten Hilfen zur Unterstützung einer förderlichen Eltern-Kind-Interaktion und zum Umgang mit kritischen Verhaltensproblemen sowie in einer Koordinierung der Frühfördermaßnahmen widerspiegeln, die den Bedürfnissen und Belastungen der Familien entspricht (Sarimski et al., 2013). Damit Fachkräfte ihre Kompetenzen in diesem Bereich erweitern können, 78 FI 2 / 2014 Klaus Sarimski et al. sind sie aber - über solche schriftlichen Handreichungen hinaus - auf Fortbildungsangebote angewiesen. Aus der amerikanischen Literatur liegen erste Evaluationsstudien vor (Campbell & Sawyer, 2009; Watson & Neilsen Gatti, 2012; Marturana & Woods, 2012), die zeigen, dass eine professionelle Qualifizierung (nicht nur) in diesem Bereich dann zu nachhaltigen Veränderungen in der Praxis führt, wenn sie eine Wissensvermittlung mit herkömmlichem Kurscharakter mit der Möglichkeit verbindet, eigene Praxiserfahrungen bei der Umsetzung der vermittelten Arbeitsformen zu reflektieren, indem die Fachkräfte zu Videoaufzeichnungen der eigenen Arbeit ein fachliches Feedback und einen Leitfaden zur Selbstreflexion erhalten. Dieses Feedback kann im Rahmen von Supervisions- oder Intervisionsgruppen erfolgen. Fortbildungsprogramme zur „Entwicklungspsychologischen Beratung“ oder zum „Marte-Meo-Konzept“, die von einem Teil der Fachkräfte in Frühförderstellen genutzt werden, sehen solche Möglichkeiten vor. Es wäre wünschenswert, bei der Vermittlung familienorientierter Praxiskompetenz ähnliche Wege zu beschreiten und auch internet-basierte Fortbildungsangebote zu erproben, um sie für einen möglichst großen Kreis von interessierten Mitarbeitern zugänglich zu machen. Die Aussagen der in dieser Studie befragten Mitarbeiterinnen der Frühförderung in Bezug auf die Bedeutung von Familienorientierung für ihre Arbeit enthalten deutliche Hinweise, dass ein Bedarf an gezielten Weiterbildungsangeboten besteht, um die vorhandene positive Einstellung zu stärken und die dafür erforderlichen Kompetenzen für die Praxis zu erweitern. Prof. Dr. Klaus Sarimski Institut für Sonderpädagogik Pädagogische Hochschule Heidelberg Keplerstr. 87 D-69120 Heidelberg E-Mail: Sarimski@ph-heidelberg.de Prof. Dr. Manfred Hintermair Institut für Sonderpädagogik Pädagogische Hochschule Heidelberg Keplerstr. 87 D-69120 Heidelberg E-Mail: Hintermair@ph-heidelberg.de Prof. Dr. Markus Lang Institut für Sonderpädagogik Pädagogische Hochschule Heidelberg Keplerstr. 87 D-69120 Heidelberg E-Mail: Lang@ph-heidelberg.de Literatur Bailey, D., Raspa, M. & Fox, L. (2012). What is the future of family outcomes and family-centered services? Topics in Early Childhood Special Education, 31, 4, 216 -223. Campbell, P. & Brook Sawyer, L. (2007). Supporting learning opportunities in natural settings through participation-based services. Journal of Early Intervention, 29, 287 -305. Campbell, P. & Brook Sawyer, L. (2009). Changing early intervention providers’ home visiting skills through participation in professional development. 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