Frühförderung interdisziplinär
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0721-9121
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/fi2014.art25d
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2014
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Empowerment und familienorientierte Frühförderung
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2014
Manfred Hintermair
Zusammenfassung: Empowerment ist in den letzten Jahren zu einem Ansatz reüssiert, der in vielen gesellschaftlichen Bereichen zu einem radikalen Umdenken in Bezug auf professionelle Angebote für "Menschen in Not" geführt hat, indem er nicht auf den Aspekt der Hilfsbedürftigkeit abhebt, sondern die Stärkung der Selbstgestaltungskräfte des Individuums in den Mittelpunkt stellt. In dem Beitrag werden zum einen die wesent-lichen Merkmale von Empowerment herausgestellt, um damit aufzuzeigen, was psychosoziale Arbeit auszeichnet, die das Empowermentkonzept für sich in Anspruch nimmt. Zum anderen wird die enge Verbindung von Empowerment mit den Grundsätzen einer familienorientierten Frühförderung aufgezeigt. Als deren wesentliches Postulat gilt die Stärkung elterlicher Kompetenz und des elterlichen Vertrauens in ihre eigenen Kräfte. Konsequenzen für die Frühförderung aufgrund veränderter Familienstrukturen und Erwerbsbiografien werden diskutiert.
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ORIGINALARBEIT 219 Frühförderung interdisziplinär, 33. Jg., S. 219 -229 (2014) DOI 10.2378/ fi2014.art25d © Ernst Reinhardt Verlag Empowerment - wissen wir dazu nicht schon alles? E mpowerment in der Frühförderung ist wahrlich nicht etwas völlig Neues - ein Themenheft dieser Zeitschrift befasste sich damit bereits im Jahr 1992 und auch ansonsten hat sich Empowerment in den wissenschaftlichen und praktischen Diskursen mittlerweile etabliert (vgl. aktuell den Sammelband von Lenz 2011). Empowerment ist überhaupt in aller Munde. Eine aktuelle Abfrage mit einer der geläufigen Internetsuchmaschinen ergibt eine gigantische Zahl von 54.300.000 Meldungen (Stand: 8. 4. 2013). Man sieht daran, dass hier ein Begriff wohl in der Gesellschaft angekommen ist. Gibt es also noch etwas zu sagen, was nicht schon gesagt oder geschrieben worden wäre? Empowerment und familienorientierte Frühförderung Wie Empowermentprozesse die Arbeit der Frühförderung stärken können Manfred Hintermair Zusammenfassung: Empowerment ist in den letzten Jahren zu einem Ansatz reüssiert, der in vielen gesellschaftlichen Bereichen zu einem radikalen Umdenken in Bezug auf professionelle Angebote für ‚Menschen in Not‘ geführt hat, indem er nicht auf den Aspekt der Hilfsbedürftigkeit abhebt, sondern die Stärkung der Selbstgestaltungskräfte des Individuums in den Mittelpunkt stellt. In dem Beitrag werden zum einen die wesentlichen Merkmale von Empowerment herausgestellt, um damit aufzuzeigen, was psychosoziale Arbeit auszeichnet, die das Empowermentkonzept für sich in Anspruch nimmt. Zum anderen wird die enge Verbindung von Empowerment mit den Grundsätzen einer familienorientierten Frühförderung aufgezeigt. Als deren wesentliches Postulat gilt die Stärkung elterlicher Kompetenz und des elterlichen Vertrauens in ihre eigenen Kräfte. Konsequenzen für die Frühförderung aufgrund veränderter Familienstrukturen und Erwerbsbiografien werden diskutiert. Schlüsselwörter: Empowerment, familienorientierte Frühförderung, Stärkung der Eltern Empowerment and family-centered early intervention How empowerment can strengthen early interventions Summary: During the past years empowerment has succeeded as an approach that has led to radical rethinking in many social sectors considering professional offers for ‘people with great difficulties’. The rethinking wasn’t succeeded by being targeted on the need for help but on the strengthening of the power for the individuals’ selfinitiative. On the one hand the article will turn out the leading features of empowerment to show how psychosocial work utilizing this concept is characterized. On the other hand the close relation between empowerment and the basic principles of family-centered early intervention will be pointed out. The essential postulate of family-centered early intervention is the strengthening of parental competence and parents’ confidence in their own strengths. Consequences for early intervention due to changed family structures and professional biographies will be discussed. Keywords: Empowerment, family-centered early intervention, parental strengthening 220 FI 4 / 2014 Manfred Hintermair Vielleicht ist es aber gerade angesichts der Flut von Nennungen (und damit Benutzung) des Begriffs wichtig, sich die Kernaussagen von Empowerment wieder ins Bewusstsein zu rufen, um damit der Gefahr einer möglichen inhaltlichen Verwässerung seiner wesentlichen Grundpostulate entgegenzuwirken. Wenn, wie Bröckling (2003, 323f) schreibt, sich mittlerweile Graswurzelbewegungen, neokonservative Politikberater, Vertreter des New Age ebenso wie Vertreter des Klassenkampfs oder feministischer Bewegungen, um nur einige zu nennen, das Empowermentkonzept auf die Fahne geschrieben haben und es als normative Richtlinie benutzen, dann scheint angesichts der beträchtlichen Unterschiede und (politischen) Ausrichtungen der o. g. Gruppierungen in der Tat ein erneutes Hinterfragen dessen, was Empowerment denn nun wirklich ist und auszeichnet, durchaus sinnvoll und notwendig. Das soll im ersten Teil meiner Ausführungen geschehen. Es gilt zu überdenken, ob dieser „Hype“, der um den Begriff Empowerment entstanden ist, und das „Flair“, das ihn umgibt, dem Konzept auch wirklich noch gut tun. Im zweiten Teil soll die Vision von Empowerment in Verbindung gebracht werden mit den Grundprinzipien einer familienorientierten Frühförderung, die seit jeher ein wichtiges Anliegen und eine Grundsäule der interdisziplinären Frühförderung ist (Weiß et al. 2004, 113) und mittlerweile national wie international in konkrete Handlungsempfehlungen umgesetzt wird (z. B. McWilliam 2010 a, Sarimski et al. 2013 a). Es gilt zu prüfen, wie viel an Empowerment in einer konsequent familienorientierten Frühförderung enthalten ist bzw. enthalten sein sollte. Empowerment - was damit (nicht) gemeint ist! Die Frage nach dem Stand der Verortung von Empowerment in den aktuellen wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Diskursen ist nicht unberechtigt und soll exemplarisch an zwei Beispielen sichtbar gemacht werden: n Eine eigene Recherche im Rahmen einer Expertise für den 13. Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung (Hintermair 2010) ergab u. a., dass nicht überall, wo „Empowerment draufsteht, auch Empowerment drin ist“. Mit dieser etwas saloppen Formulierung drückt sich die Erkenntnis aus, dass in vielen Praxisberichten/ -konzeptionen, aber auch in Fachbeiträgen der Begriff „Empowerment“ zwar Verwendung findet, aber häufig eher „en passant“ in Texte eingestreut wird, ohne dass bei genauerer Durchsicht der verschiedenen Dokumente dann unmittelbar einsichtig werden würde, was nun an dem jeweiligen Ansatz z. B. spezifisch empowermenthaltig sein soll. Es ergab sich bei der Recherche zumindest ein Zweifel, inwieweit das Empowermentkonzept überall dort, wo es benannt und verwendet wird, auch bereits zu einer zentralen Denk- und Handlungsmaxime geworden ist, oder ob der Begriff nicht vielfach als zeitgeistgemäßer Deko-Schmuck herhalten muss. Es bleibt also zu prüfen, ob nicht unter dem Deckmäntelchen von Empowerment „alter Wein in neue Schläuche“ gegossen wird und es dem Empowermentkonzept so ergeht, wie dies zu beobachten war beim Übergang vom Kotherapiemodell zum Kooperationsmodell in der Zusammenarbeit mit Eltern behinderter Kinder in den 80er/ 90er Jahren des letzten Jahrhunderts. Damals musste vielerorts festgestellt werden, dass es sich beim neuen Paradigma der Kooperation eher um ein Haltungsmodell als um ein Handlungsmodell handelte - sprich, dass alle von Kooperation sprachen, im pädagogischen Alltag aber nach wie vor in vielen Fällen kotherapeutisch vorgegangen wurde. Wird also von Empowerment gesprochen, obwohl das, was in der Praxis umgesetzt wird, nur am Rande etwas mit Empowerment zu tun hat? 221 FI 4 / 2014 Empowerment und familienorientierte Frühförderung n Herriger (2009) bezieht sich in seiner Sorge um die Erhaltung der Essenzen des Empowermentkonzepts auf den politischen Kontext und beschreibt, wie durch den radikalen Umbau des Sozialstaats seit den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts mit einem Kurswechsel im Denken u. a. durch die Agenda 2010 der Empowermentbegriff ein fester Bestandteil der Reformrhetorik der sozialpolitischen Akteure geworden sei (Stärkung von Eigenverantwortlichkeit etc.). Herriger spricht hier von einer politischen Umarmung des Empowermentkonzepts: „Empowerment-Gedanken und die Rede von der ‚Hilfe zur Selbsthilfe‘ werden bruchlos in neoliberale Denkgebäude eingemeindet. Mit diesem Einzug von Empowerment in den neoliberalen Diskurs aber vollzieht sich eine bedenkliche und in ihren Folgen noch kaum abzuschätzende Instrumentalisierung. Das Empowermentkonzept wird ordnungspolitisch vereinnahmt, es wird zum modisch klingenden Kürzel für eine soziale Praxis, die unter der Leitformel ‚Fördern und Fordern‘ ihre Bemühungen allein und ausschließlich in die (Wieder-)Herstellung von marktfähigem Arbeitsvermögen investiert“ (Herriger 2009, 9). Herriger plädiert im Gegensatz dazu dafür, dass eine empowerment-orientierte soziale Praxis nicht zum Erfüllungsgehilfen der neuen sozialstaatlichen Zwangsprogrammatik werden darf, und zeigt auf, was vom Empowermentgedanken getragene Lebensmodelle auszeichnet: Sie wertschätzen den Eigensinn der Lebensentwürfe von Menschen, sie zeigen Offenheit für unkonventionelle Lebensgestaltungen, sie schaffen Gestaltungsräume für Widerspenstiges, sie lassen sich ein auf offene Ergebnisprozesse und schaffen Raum für eigene Identitätsprojekte (a. a. O., S. 9). Ein Verständnis von Empowerment im zuletzt genannten Sinn entzieht sich der Vorstellung des beliebig Machbaren, Planbaren oder Herstellbaren, vielmehr erfordern die hierzu notwendigen Such- und Aushandlungsprozesse „Kreativität, Fantasie und einen weitgehenden Verzicht auf standardisierte Therapieprogramme“ (Lenz 2002, 17). Der Mensch wird aus der Perspektive von Empowerment als handelndes Subjekt betrachtet, „das zur Bearbeitung und Gestaltung seines Lebens sowie zur Aufrechterhaltung seiner Gesundheit und seines psychosozialen Wohlbefindens sowohl personale, familiäre und kontextbezogene Ressourcen benötigt“ (Lenz 2009, 341). Versucht man an dieser Stelle zusammenfassend, Empowerment zu definieren und auf den Punkt zu bringen, um was es dabei im Wesentlichen geht, dann trifft die Definition von Keupp aus dem Jahr 1992 den Kern dessen, was Empowerment ausmacht, immer noch mit am prägnantesten: Er versteht Empowerment als einen Prozess, „innerhalb dessen Menschen sich ermutigt fühlen, ihre eigenen Angelegenheiten in die Hand zu nehmen, ihre eigenen Kräfte und Kompetenzen zu entdecken und ernst zu nehmen und den Wert selbst erarbeiteter Lösungen schätzen zu lernen“ (Keupp 1992, 149). Das erfordert gesellschaftliche Rahmenbedingungen, die Spiel- und Handlungsräume hierfür eröffnen, und so sehen Teuber et al. (2000) Empowerment nur realisierbar in einem gesellschaftlichen Kontext, „der Abweichungen nicht sanktioniert, der Raum für Heterogenität lässt und vielfältige Lebensformen in ihrer individuellen, sozialen und politischen Bedeutung nicht nur toleriert, sondern anerkennt“ (S. 134). Es geht um eine Perspektive, die Lebenssouveränität und den ‚aufrechten Gang‘ fördert (Keupp 1997). Die professionelle Haltung, die notwendig ist, um das auf die Beine zu stellen, sieht Folgendes vor: eine Abkehr von Paternalismus und ‚fürsorglicher Belagerung‘, den Respekt vor der Autonomie der Betroffenen sowie eine Kooperation mit Betroffenen, KlientInnen etc. ‚auf Augenhöhe‘ (Herriger 2009). 222 FI 4 / 2014 Manfred Hintermair Es soll an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben, ohne ausführlicher darauf einzugehen, dass es Repliken zu Empowerment gibt, die kritisch hinterfragen, inwieweit durch Empowerment wirklich Menschen bemächtigt werden oder ob theoretische Unschärfen des Konzepts dazu beitragen, dass Empowerment den Ohnmächtigen lediglich das Gefühl gibt, mächtiger zu werden, ohne real an (politischer) Macht zuzugewinnen. Bröckling (2003) sieht eine mögliche Schwäche des Konzepts darin, dass es gezielt auf der Seite der Subjekte ansetzt, bei denen Veränderungen geschehen sollen. So könne bei vielen Menschen durch Empowerment lediglich das Gefühl entstehen, sich mächtiger zu fühlen, ohne real mehr Macht zu besitzen: „Wenn Empowerment sich darin erschöpft, den Glauben an die eigenen Fähigkeiten zu stärken statt diese selbst, dann sind Enttäuschung und damit Dis-Empowerment vorprogrammiert. Die Macht des Glaubens mag noch so groß sein, wer Berge versetzen will, muss auch Hand anlegen“ (a. a. O., S. 330). Bröckling meint in diesem Zusammenhang, dass es besonders vertrackt sei, dass sich eben auch viele Gruppierungen des herrschenden Establishments (Politik, Wirtschaftsunternehmen), „von deren Zumutungen man sich einst zu emanzipieren hoffte“ (a. a. O., S. 341) Empowermentgedankengut (nicht ohne Grund) zueigen gemacht haben. Er sieht die Gefahr, dass unter dem Deckmantel von Empowerment die Kunst, Menschen zu regieren und damit Macht zu realisieren, darin bestehe, die zu bemächtigen, über die Macht ausgeübt wird, und damit quasi durch Empowerment Entmündigung verfestigt werden könnte. Die oben angeführten Ausführungen von Herriger, Keupp, Lenz oder Teuber et al. enthalten diesbezüglich deutliche Aussagen in der Richtung, dass Empowerment auf jeden Fall mehr sein muss als nur ein gutes Gefühl und der Glaube daran, sein Leben besser im Griff zu haben. Zwei Aspekte sind es, die mit der Umsetzung des Empowermentkonzepts aufs Engste verknüpft sind und die auch nochmals deutlich machen, dass es bei Empowerment um mehr gehen muss als nur darum, den Glauben an Stärke, erhöhten Selbstwert und Veränderung positiv zu befördern. Es handelt sich um Partizipation und Ressourcenorientierung. n Partizipation versteht sich als Teilhabe und nicht Teilnahme, was bedeutet, dass Menschen mit einer Behinderung und deren Angehörige nicht lediglich die Möglichkeit haben (sollen), in vorhandene Angebote und Aktivitäten mit einzusteigen, sondern diese Angebote und Aktivitäten von Anfang an aktiv mit zu gestalten. Lob-Hüdepohl (2010) sieht gar die Notwendigkeit der Erweiterung bzw. Präzisierung des Begriffs der „Teilhabe“ hin zur „Teilgabe“: Unter Bezug auf die Artikel 3 und 8 der UN-Behindertenrechtskonvention fordert er (vgl. im Folgenden Hintermair 2012, 93), dass in der Mehrheitsgesellschaft eine umfassende Bewusstseinsveränderung eintreten muss, welche die besonderen Fähigkeiten von Kindern, Jugendlichen und erwachsenen Menschen mit Behinderung wertschätzt und berücksichtigt. Es geht für ihn dabei um die Berücksichtigung sog. „Nur-Kompetenzen“, d. h. Kompetenzen, „über die nur Menschen mit Beeinträchtigungen aufgrund ihrer spezifischen Ausstattungsmerkmale oder Lebenssituation verfügen und mit ihrer Teilgabe darin die Vielfalt der Gesellschaft bereichern“ (Lob-Hüdepohl 2010, 21). Um solche emanzipatorischen Prozesse anzuregen, „muß das Verhältnis von Professionellen und NutzerInnen neu bestimmt werden, müssen Machtverhältnisse geklärt werden und damit die Frage, wer eigentlich für was ExpertIn ist“ (Teuber et al. 2000, 135). Ein Blick in die Vergangenheit liefert z. T. recht schaurige Anschauungsbeispiele dafür, was falsch verstandenes Expertentum alles an Verblendungen, 223 FI 4 / 2014 Empowerment und familienorientierte Frühförderung Missachtungen und Verletzungen produzieren kann (vgl. z.B. mit Bezug auf gehörlose Menschen Kobi 1986). Sie zeigen u. a., wie Expertentum in die Leere laufen kann, wenn es sich nicht den Sichtweisen, Erfahrungen und Vorstellungen der Betroffenen öffnet und zur Kenntnis nimmt: Betroffene sind Experten in eigener Sache! Vogelsanger bringt diese Expertise prägnant auf den Punkt, wenn er sagt: „Die Ärztin weiß, was ich habe, und ich weiß, wie es ist“ (1995, 22). Diese Expertise der Betroffenen hat mittlerweile in vielen Gesetzgebungen sowie deren Umsetzung im Alltag Eingang gefunden und drückt sich deutlich aus in dem Motto der Disability Studies „Nichts über uns - ohne uns! “ (Hermes/ Rohrman 2006). n In Bezug zur Ressourcenorientierung hat Theunissen (2002, 139) festgehalten, dass die Sonder- oder Heilpädagogik sehr lange Zeit geprägt war von einer Kultur des Helfens, die sich sehr stark an Defiziten, Defekten, Entwicklungsstörungen, Krankheitsfaktoren, Mängeln oder Problemen ausgerichtet hat. Der Vater der Empowermentbewegung, Julian Rappaport betont, dass es bei Empowerment immer sowohl um die Rechte und Stärken der Menschen gehe als auch darum, ihre Schwächen und Bedürfnisse angemessen, d. h. nicht entmündigend zu berücksichtigen (1985, 269). Übersetzt man diese Einstellung auf die Situation von Familien mit behinderten Kindern, dann geht es im Wesentlichen um das Auffinden und Fördern von Stärken und Kompetenzen der betroffenen Familien (Eltern wie Kinder) und weniger um das Beschreiben des Leids, der Schwierigkeiten, der Defizite, der Mängel, ohne dabei zu übersehen, dass die Familien durchaus subjektives Leid erfahren und erleben können. Die professionellen Helferinnen und Helfer haben auf jeden Fall in den letzten Jahren zunehmend erkannt, dass ausschließlich expertendefinierte Vorstellungen von dem, was Behinderung und vor allem Leben mit einer Behinderung bedeutet, in „Fördersackgassen“ enden muss. Mit klaren Plänen, Vorschriften, was wie im Zusammenhang mit einer bestimmten Behinderung (Hörschädigung, Sehbehinderung, geistige Behinderung etc.) zu tun und zu lassen ist etc., lässt sich das, was Behinderung für das Leben der Betroffenen ausmacht und bedeutet, nicht fassen. Eine am Empowermentkonzept orientierte (Früh)Pädagogik geht somit davon aus, Kräfte und Ressourcen der Betroffenen (Eltern, Kinder, Angehörige, Freunde) zu nutzen, wo immer sie vorhanden sind und dabei auch darauf zu achten, auch verschüttete Ressourcen (gemeinsam) wieder zu entdecken. Wichtig ist dabei zur Kenntnis zu nehmen, was Schachtner (in Stiemert-Strecker et al. 2000, 44) gesagt hat, dass Ressourcen immer auch da vorhanden sind, wo vorübergehend Hilfsbedürftigkeit eingetreten ist. Dies ist im Zusammenhang mit Behinderungen ein wesentlicher Punkt, denn vielfach denken z. B. Familien, die unvermittelt mit der Diagnose einer Behinderung ihres Kindes konfrontiert werden, dass sie aufgrund ihrer Unwissenheit in Bezug auf die jeweilige Behinderung über keine Ressourcen verfügen würden. Für die Fachleute ist im Kontext von ressourcenorientierter Arbeit relevant, dass sie zum einen über Wissen um die Notwendigkeit bestimmter Potenziale für Entwicklungsprozesse Bescheid wissen und zum anderen Vertrauen in die Entwicklungspotenziale des Menschen haben (Hintermair 2002). Das fachspezifische (inhaltlich wie didaktisch möglichst breit gefächerte) „Know-how“ erfährt seine eigentliche Anwendungsrelevanz immer erst aus der kommunikativen und reflexiven Abstimmung mit den Sichtweisen der am pädagogischen Prozess Beteiligten und ihrer Ressourcen, die sie in diesen Prozess einbringen. Das ist die eigentliche Kunst pädagogischen Handelns! 224 FI 4 / 2014 Manfred Hintermair Empowerment - Verbindungen zu Prinzipien familienorientierter Frühförderung Beim Versuch, nun die Verknüpfung(en) zwischen Empowerment und familienorientierter Frühförderung herzustellen, gilt es zunächst, kurz darauf zu verweisen, über welch doch beträchtliches Wissen wir mittlerweile über die sog. Wirkfaktoren im Zusammenhang mit frühen Interventionen verfügen und welche Aspekte sich hierfür als besonders bedeutsam herausgestellt haben. Guralnick (2011) hat einen Übersichtsartikel mit dem griffigen Titel „Why early intervention works“ verfasst, in dem er hierzu aus systemischer Perspektive Stellung bezieht und die vorhandenen Wissensbestände aufbereitet. Knapp zusammengefasst geht er von drei Ebenen aus, die es zu beachten gilt und die miteinander verknüpft sind: Da ist zum einen die Ebene der kindlichen Entwicklung, die vor allem soziale und kognitive Kompetenzen und die dafür notwendigen Entwicklungsressourcen und innerpsychischen Organisationsprozesse (exekutive Funktionen, metakognitive Kompetenzen, emotionale Regulierungsprozesse etc.) umfasst. Weiter beschreibt Guralnick die Ebene der durch die Familie bereitgehaltenen Interaktionsmuster, die insbesondere die Qualität der Eltern-Kind-Interaktion sowie die durch die Eltern initiierten bzw. zur Verfügung gestellten Netzwerke und Impulse (das Netzwerk der Eltern, Peergroup-Beziehungen, Integration in die Kommune etc.) bestimmt. Die dritte Ebene beschreibt die familiären Ressourcen, die dafür notwendig sind, dass Entwicklungen auf den anderen beiden Ebenen realisiert werden können. Hier kommen vor allem persönliche Merkmale der Eltern (psychische Gesundheit, psychische Stärken, subjektive Bewältigungskompetenzen etc.) sowie materielle sowie soziale Ressourcen zum Tragen. Guralnick verweist darauf, dass die familiären Interaktionsmuster sowie die familiären Ressourcen gefährdet sein können, wenn sich in den Bereichen der kindlichen Entwicklungen Verzögerungen oder Probleme, etwa durch eine Behinderung des Kindes, auftun, und zeigt auf, dass genau hier dann Frühförderung mit ihren Unterstützungspotenzialen anzusetzen hat. Ergebnisse einer eigenen neueren deutschen Studie zur Entwicklung von 125 Kindern mit unterschiedlichen Behinderungen, in der kindliche Entwicklung in verschiedenen Bereichen (Verhalten, Sprache etc.) sowie zahlreiche elterliche und familiäre Faktoren (Eltern-Kind- Belastung, familiäre Belastungen, persönliche Ressourcen der Eltern, soziale Unterstützung, Zufriedenheit mit der Frühförderung etc.) erfasst wurden, bestätigen den Stellenwert und den Zusammenhang der verschiedenen Faktoren auf diesen drei Ebenen: Eltern, die mit der Frühförderung zufrieden sind, gehen daraus gestärkt in ihren subjektiven Bewältigungskompetenzen hervor, die wiederum dazu beitragen, dass sowohl kindbezogene als auch familiäre Belastungen als geringer erlebt werden. Soziale Unterstützung hilft zusätzlich, die familiären Belastungen eher gering zu halten und die kindliche Entwicklung zeigt deutliche Zusammenhänge mit dem Belastungserleben auf: Positivere Entwicklungsverläufe sind mit geringeren Belastungen assoziiert (Sarimski et al. 2012). Wie können nun diese stärkenden Prozesse auf den Weg gebracht werden und was kann dabei eine familienorientierte Frühförderung, die Bezug nimmt zu wesentlichen Prämissen des Empowermentansatzes, leisten? Versucht man die Kernaussagen des Empowermentansatzes zu „übersetzen“ auf das Handlungsfeld der Frühförderung, dann geht es vor allem darum, die Familien dabei angemessen zu unterstützen, dass sie sich auf die besonderen Bedürfnisse ihres Kindes einstellen können und dass seine soziale Teilhabe im Alltag möglichst umfassend gefördert wird. 225 FI 4 / 2014 Empowerment und familienorientierte Frühförderung Dabei wird davon ausgegangen, dass dies vor allem dann gut gelingen kann, wenn die Stärkung der eigenständigen familiären Bewältigungskompetenz in den Mittelpunkt der Unterstützungsaktivitäten rückt und dabei möglichst viele Unterstützungsressourcen im Umfeld der Familien aktiviert werden (Sarimski et al. 2013 a). Dieses Verständnis von Frühförderarbeit wird getragen von der Haltung, die Autonomie der Familien zu stärken. Schachtner (in Stiemert-Strecker et al. 2000) hat prägnant festgehalten, was hierfür notwendig ist: „Anerkennung ist die entscheidende Begleitmusik bei der Entwicklung von Autonomie“ (S. 45). Dieses zentrale Ziel der elterlichen Autonomiestärkung ist nicht (mehr) vereinbar mit einem traditionellen Hilfe- und Helferverständnis, das stark von einer Haltung der Fürsorge und Hilfsbedürftigkeit bestimmt ist/ war. Eine familienorientierte Frühförderung mit der Empowermentphilosophie im Hintergrund macht sich entsprechend folgende Qualitätsmerkmale zueigen (in Anlehnung an Schachtner, in Stiemert-Strecker et al. 2000, 45): n Sie verzichtet auf professionelle Fertigprodukte und auf vorschnelles Handeln. n Sie rechnet mit der Kompetenz der Eltern. n Sie gewinnt ihre Qualität, indem sie sich den Lebensverhältnissen der Familien aussetzt und beobachtet, wie Eltern, behindertes Kind, Geschwisterkinder etc. agieren, wie sie nach Lösungen suchen und welche Lösungen sie bereits praktizieren, um sie möglichst darin zu unterstützen, anstatt ihnen fremde Lösungsmodelle überzustülpen. n Sie geht davon aus, dass ein Problem auf verschiedene Weise gelöst werden kann. n Sie betrachtet gefundene oder entwickelte Lösungen nicht als endgültig, sondern ist offen für fortlaufende Veränderungen, die stets als möglich und sinnvoll betrachtet werden. Um diese Qualitätsmerkmale zu realisieren, ist es erforderlich, dass Frühförderfachkräfte sich als interessierte, engagierte und kompetente Begleiter eines Prozesses verstehen, den sie nur erfolgreich mitgestalten können, wenn sie sich öffnen für die Lebenswelt der betroffenen Familien und die Erfahrungen, die sie in diesen Prozess mitbringen. Hier treffen sich das Empowermentkonzept und das Konzept der Familienorientierung mit der Beschreibung dessen, was die Weltgesundheitsorganisation 1986 in ihrer sog. Ottawa-Charta als wesentlich für die Gesundheitsförderung von Menschen beschrieben hat. Dort heißt es: Gesundheitsförderung „zielt auf einen Prozeß, allen Menschen ein höheres Maß an Selbstbestimmung über ihre Gesundheit zu ermöglichen und sie damit zur Stärkung ihrer Gesundheit zu befähigen. … Gesundheit wird von Menschen in ihrer alltäglichen Umwelt geschaffen und gelebt: dort, wo sie spielen, lernen, arbeiten und lieben. Gesundheit entsteht dadurch, dass man sich um sich selbst und für andere sorgt, dass man in die Lage versetzt ist, selber Entscheidungen zu fällen und eine Kontrolle über die eigenen Lebensumstände auszuüben sowie dadurch, dass die Gesellschaft, in der man lebt, Bedingungen herstellt, die allen Bürgern Gesundheit ermöglichen“ (Weltgesundheitsorganisation 1992, 559, Hervorhebung: M. H.). Bleibt abschließend zu klären, wie sich die oben genannten Qualitätsmerkmale einer am Empowerment orientierten familienorientierten Frühförderung nochmals konkret „herunterbrechen“ lassen auf wesentliche Grundsätze für die konkrete Frühförderarbeit. Hierzu liegt mittlerweile eine Reihe von konkreten Handreichungen für die Praxis der Frühförderung vor (z. B. McWilliam 2010 a; Sarimksi et al. 2013 a). McWilliam (2010 b) hat mit Bezug auf zahlreiche Autorinnen und Autoren aus dem amerikanischen Sprachraum, die dort federführend Familienorientierung in den letzten Jahren und Jahrzehn- 226 FI 4 / 2014 Manfred Hintermair ten vorangetrieben haben, fünf Leitlinien festgehalten, die für die Praxis einer familienorientierten Frühförderung auf dem Hintergrund einer von Empowerment getragenen Grundhaltung wesentlich sind. Er sieht die Notwendigkeit dieser Leitlinien darin begründet, dass Frühförderung nicht schon deswegen familienorientiert ist, nur weil sie in der Familie stattfindet (z. B. in Form mobiler Frühförderung). Wenn in den Familien im Rahmen mobiler Frühförderung Vergleichbares gemacht werde, was im Kontext einer ambulanten Förderung an den Frühförderstellen geschieht, dann werde das mögliche Potenzial der Familienorientierung nicht genutzt. McWilliam spricht von einem „misplaced clinical-based approach“: „… the clinicor classroom-based model of intervention, dumped on the living room floor, has robbed the families of the information they need to provide children with context-relevant developmental help“ (2010 b, 207). Sichtbar werde dies vor allem daran, wenn Frühförderer ihr Fördermaterial mit in die Familien mitbringen („focused on the toy bag“), da offensichtlich das, was in den Familien vorzufinden ist, als nicht ausreichend oder gut genug erachtet werde sowie, wenn die Arbeit mit dem Kind im Mittelpunkt der Frühfördersitzung stehe, wodurch bei den Familien ein falsches Bild von Frühförderung entstehe, nämlich, dass das Kind vornehmlich von den unmittelbaren therapeutischen/ pädagogischen Aktivitäten mit ihm für seine Entwicklung profitiere. Entwicklung und Lernen im Verständnis einer familienorientierten Frühförderung basieren hingegen auf folgenden Prämissen: 1. „It’s the family that influences the child, and we can influence the family“ (2010 b, 208): Abbildung 1 zeigt den Zusammenhang von fachlicher Unterstützung, elterlichen Faktoren und kindlicher Entwicklung auf und macht sichtbar, dass sicherlich der Besuch der Frühförderin für das Kind bedeutsam und wichtig ist, dass aber in Bezug auf seine mittel- und langfristige Entwicklung der Einfluss der Stärkung elterlicher Kompetenzen und deren Vertrauen in ihre Kräfte und Potenziale von ungleich größerer Bedeutung sind. Entsprechend muss die Stärkung dieser Komponenten im Mittelpunkt der Frühförderarbeit stehen. Die folgenden vier Grundsätze stehen in engem Zusammenhang und setzen lediglich unterschiedliche Akzente des gleichen Anliegens: 2. „Children learn throughout the day“ (2010 b, 208): Durch diese Aussage wird zunächst nochmals deutlich, warum es wichtig ist, die elterlichen Kompetenzen in das Zentrum der Frühförderbemühungen zu stellen, damit diese ihrem Kind fortlaufend unterstützend zur Seite stehen können. Kinder lernen nicht in Form von wöchentlichen „90-Minuten-Förderpaketen“, in denen möglichst viel und möglichst intensiv „Förder-Input“ verabreicht wird. Kindliche Entwicklung Fachliche Unterstützung Elterliche Kompetenz und elterliches Vertrauen Abb. 1: Einfluss der Frühförderung auf die kindliche Entwicklung (nach McWilliam, 2010 c, 3) 227 FI 4 / 2014 Empowerment und familienorientierte Frühförderung 3. „Early intervention is not about providing weekly lessons“ (2010 b, 208): Diese Aussage steht in Ergänzung zu dem soeben erwähnten Punkt und soll verdeutlichen, dass Förderangebote, die in Situationen realisiert werden, die nicht im Alltag der Kinder verankert sind, für die Kinder die Gefahr beinhalten, dass sie nicht auf ihren Alltag transferiert werden können. 4. „All the intervention for the child occurs between visits“ (2010 b, 208): Da die Entwicklung des Kindes nicht in der Frühförderstunde passiert, sondern in den vielen anderen Stunden der Woche, macht es wenig Sinn, den Fokus auf diese eine Stunde zu richten und sich von der optimalen Gestaltung dieser Einheit Erfolge für die kindliche Entwicklung zu versprechen, sondern es gilt, Frühförderung so zu implementieren, dass sie Unterstützung bereitstellt, die Hilfen für die ganze Woche beinhalten. Das heißt aber, wegzukommen von direkter Kindintervention hin zu mehr Unterstützung und Begleitung der für das Kind wichtigsten (familiären) Bezugspersonen. 5. „It’s maximal intervention the child needs, not maximal services“ (2010 b, 208): Mit dieser Aussage bringt McWilliam zum Ausdruck, dass bei konsequenter Berücksichtigung der ersten vier Prämissen familienzentrierter Frühförderung die Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten des Kindes fortlaufend erweitert und optimiert werden, so dass es nicht notwendig ist, für viele Probleme möglichst viele Angebote verschiedener therapeutischer Fachkräfte bereitzuhalten. Dunst, Raab, Trivette und Swanson (2010) haben das CPM TM -Modell (Contextually Mediated Practices TM ) vorgestellt, in dem sie auf der Basis der oben beschriebenen Grundsätze familienorientierter Intervention die wesentlichen Komponenten einer am System „Familie“ ausgerichteten frühen Intervention beschreiben: Im Zentrum dieses Modells steht die Zielperspektive von Frühförderung, beizutragen zu verbesserter Partizipation des Kindes an den familiären Interaktionen im Kontext seiner alltäglichen Lebenswelt sowie zur Erhöhung der Kompetenzen aller an diesem Prozess Beteiligten. Der Weg zur Erreichung dieser Ziele wird über die aktive Einbeziehung der Eltern und ihrer Lebenssituation gesehen („parent-mediated child learning“). Es gilt entsprechend, sich in der Zusammenarbeit mit den Familien zum einen an den Interessen des Kindes in seinen alltäglichen Zusammenhängen zu orientieren und zum anderen an den konkreten Alltagsaktivitäten, die das jeweilige Kind aufsucht und durch die sein Erleben und Handeln beeinflusst werden. Aufgabe der Frühförderung ist es, diese Aktivitäten wahrzunehmen, zu erfassen und aufzugreifen, um darüber den engsten Bezugspersonen des Kindes sichtbar zu machen, was sich das Kind aus diesen Aktivitäten an Potenzialen herausziehen kann für seine Weiterentwicklung und was die Eltern dafür tun können, dass diese fortlaufend erweitert werden können. Vor allem über das Aufgreifen der Alltagsaktivitäten des Kindes auf der Basis seiner spezifischen Interessen und seiner Neugier kann beim Kind der Wunsch nach weitergehender Exploration, nach intensiverer Auseinandersetzung mit sich und seiner Umwelt angeregt und gefördert werden. Die Frühförderung hat diesen Prozess systematisch zu koordinieren und in seinen Ergebnissen zu dokumentieren und zu bewerten („planning, implementation, evaluation“, a. a. O., S. 72). Abschließend bleibt festzuhalten: Wenn als ein zentrales Ziel von professionellem Empowerment die Förderung der Selbstgestaltungskräfte der Subjekte betont wird (Lenz 2009, 341), dann wird hier eine enge Verbindung zu den Grundsätzen familienorientierter Frühförderung erkennbar, da die Stärkung elterlicher Kompetenz und elterlichen Vertrauens in ihre eigenen Kräfte das zentrale Postulat familienorientierten Handelns ausmacht (McWilliam 2010 c). So gesehen kön- 228 FI 4 / 2014 Manfred Hintermair nen - wie im Untertitel dieses Beitrags formuliert - Empowermentprozesse die Arbeit der Frühförderung in der Tat in jeder Hinsicht stärken. Dass der interdisziplinären Frühförderung bei der Umsetzung von familienorientiertem Empowerment angesichts deutlich veränderter Lebensentwürfe von Menschen in postmodernen Gesellschaften sowie damit einhergehenden erwerbsbiografischen Veränderungen mit ihren familienstrukturellen Konsequenzen in den nächsten Jahren große Herausforderungen bevorstehen, kann an dieser Stelle nur angeschnitten werden. Die Frühförderung wird sich dem stellen müssen, indem sie ihre Kompetenzen diversifiziert und z.B. für die vermehrten und immer früheren außerfamiliären Betreuungsformen (z.B. Kinderkrippen) ihr Angebot so auf bereitet, dass neben den unmittelbaren familienstärkenden Angeboten vor Ort in den Familien zusätzliche Angebote für die Fachkräfte in den Kinderkrippen vorgehalten werden, damit diese im Sinne des Empowermentkonzepts befähigt werden, Kinder mit einer Behinderung (und ihre Eltern) in ihren spezifischen Bedürfnissen zu stärken und sie auf dem Weg zu eigenverantwortlich gestalteter sozialer Teilhabe zu begleiten (vgl. Sarimski et al. 2013 b). Prof. Dr. Manfred Hintermair, Dipl.-Psych. Pädagogische Hochschule Heidelberg Institut für Sonderpädagogik Keplerstraße 87 D-69120 Heidelberg E-Mail: hintermair@ph-heidelberg.de Literatur Bröckling, U. (2003): You are not responsible for being down, but you are responsible for getting up. Über Empowerment. Leviathan, 31, 323 -344, In: http: / / www.soziologie.uni-freiburg.de/ perso nen/ broeckling/ dokumente/ 12-empowermentleviathan.pdf, 25.6.13, http: / / dx.doi.org/ 10.1007/ s11578-003-0017-x Dunst, C. 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