eJournals Frühförderung interdisziplinär 34/2

Frühförderung interdisziplinär
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0721-9121
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2015
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Rezension: Soziale Risiken im frühen Kindesalter. Grundlagen und frühe Interventionen

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2015
Thurmair Martin
Soziale Risiken werden hier verstanden als belastende Faktoren, die in der Entwicklungsumgebung von Kindern wirksam sind und sich auf die Entwicklung negativ auswirken können. Dass negative Auswirkungen nicht zwangsweise eintreten, wird im ersten Kapitel ausgeführt: Es berichtet über die Ergebnisse der Resilienzforschung, die aufzeigt, dass und wie manche Kinder belastende Faktoren ausbalancieren können.
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119 FI 2 / 2015 Rezensionen Soziale Risiken im frühen Kindesalter Grundlagen und frühe Interventionen Von Klaus Sarimski. Göttingen, Hogrefe, 2013. 172 S., EUR 24,95 Soziale Risiken werden hier verstanden als belastende Faktoren, die in der Entwicklungsumgebung von Kindern wirksam sind und sich auf die Entwicklung negativ auswirken können. Dass negative Auswirkungen nicht zwangsweise eintreten, wird im ersten Kapitel ausgeführt: Es berichtet über die Ergebnisse der Resilienzforschung, die aufzeigt, dass und wie manche Kinder belastende Faktoren ausbalancieren können. Die folgenden Kapitel des Buches behandeln wichtige soziale Risiken: Armutslagen, jugendliche Mütter, psychisch kranke Mütter, alkoholabhängige Eltern, drogenabhängige Eltern, Kindeswohlgefährdung. Diese Kapitel sind ähnlich aufgebaut: Zunächst charakterisieren sie die jeweilige Lebenssituation der Kinder und Familien; dabei werden vor allem die einschlägigen Forschungsergebnisse herangezogen; in einem nächsten Schritt geht es um die entwicklungsbedeutsamen Charakteristika der frühen Beziehungs- und Bindungsmuster und folgend um die (möglichen) Auswirkungen auf die kindliche Entwicklung. In den einzelnen Kapiteln werden besonders bedeutsame Inhalte nochmals ausführlicher besprochen: Spezifika der Entwicklung in Familien mit Migrationshintergrund werden im Kapitel „Armutslagen“ ausführlich behandelt. Bei den „psychischen Erkrankungen“ wird die postpartale Depression als häufiges Vorkommnis besonders berücksichtigt; der Autor geht hier auch spezifisch auf biologische und soziale Wechselwirkungen ein. Im Teil „Alkoholabhängigkeiten der Eltern“ ist die Fetale Alkoholembryopathie ein wichtiges Thema. Im Abschnitt „Kindeswohlgefährdung“ werden insbesondere die verfügbaren Screening-Verfahren vorgestellt, und spezifische Hilfeangebote besprochen. Etwa die Hälfte des Buches widmet sich den Risikolagen; die andere Hälfte befasst sich mit Prävention und Intervention. Hier berichtet der Autor zunächst über die wichtigen internationalen Erfahrungen mit Programmen und Interventionsverfahren, auch sie wieder untergliedert nach Bereichen. So werden vorgestellt: n Präventionsprogramme für sozial benachteiligte Kinder (hier gibt es einen guten Überblick über eine Reihe von US-amerikanischen Programmen, wie Perry Preschool, Infant Health and Development, Nurse Family Partnership und viele andere); n beziehungsorientierte Interventionen (wie UCLA Family Development, STEEP u. a.), n Untersuchungen zur kompenatorischen Wirkung von früher Bildung in Kindertagesstätten; Programme zur Prävention von Kindeswohlgefährdungen; n Interventionen bei jugendlichen Müttern, n Mutter-Kind-Interventionen bei psychischen Erkrankungen der Mütter und bei Alkohol- und Drogenabhängigkeiten. 120 FI 2 / 2015 Rezensionen Die Entwicklung von früher Bildung und frühen Hilfen in Deutschland wird in einem eigenen Kapitel thematisiert. Hier geht es insbesondere um Frühe Bildungsangebote, um Angebote für Kinder mit Migrationshintergrund (Sprachförderungs-Initiativen, OPSTAPJE), und einige Modellprojekte im Rahmen der „Frühen Hilfen“ (STEEP, Pro Kind, Keiner fällt durchs Netz, Familienhebammen). Besprochen werden auch Hilfeangebote für Kinder mit psychisch erkrankten und suchtkranken Eltern. Modelle und Programme sind wichtig, aber für die Praxis von Fachleuten, die nicht an ihnen direkt beteiligt sind, nur bedingt bedeutsam. Für die Alltagsarbeit gibt es deshalb ein eigenes Kapitel, betitelt: Schlüsselelement für eine erfolgreiche Praxis. In diesem Kapitel wird vorgestellt, was hilfreiche Handlungsweisen von Fachleuten sein können, um mit den geschilderten Problemlagen besser zurechtzukommen. Ausführlich dargestellt werden hier: n Die Entwicklung eines tragfähigen Arbeitsbündnisses durch motivierende Gesprächsführung, n die Unterstützung der Reflexions- und Verstehensfähigkeit der Eltern in Bezug auf ihr Kind, n die Nutzung von Video-Feedback im Zusammenhang mit der Unterstützung positiver Eltern-Kind-Interaktionen, und schließlich n die Organisation und Koordination von Hilfen für Kinder und Eltern (Netzwerkarbeit). In der Wirklichkeit der Familien, bei denen Risikokonstellationen vorliegen, sind die Probleme oft vielfältig und miteinander verwoben; „Multi-Problem-Familien“ kennt jeder Praktiker und kennt auch der Autor. Trotzdem ist ein sozusagen sezierender und isolierender Blick auf einzelne Risikofaktoren hilfreich, weil er Zugang verschafft zu den vielfältigen Wissensbeständen für die einzelnen Problembereiche und erlaubt, jeweils Typisches und Bedeutsames herauszudestillieren. Das scheint mir hier gut gelungen zu sein: Das Buch bietet insgesamt einen detaillierten Überblick über die wichtigen Wissensbestände; es fasst zu jedem Kapitel aber auch die wichtigen Ergebnisse und Erkenntnisse knapp und sehr präzise zusammen; es ist bei aller wissenschaftlichen Korrektheit und der dazu notwendigen Ausführlichkeit durchwegs auf Lesbarkeit und Konzentration auf das Wichtige bedacht; und der Praxisteil scheint mir auf wesentliche Punkte konzentriert und dabei sehr klar und sehr anschaulich ausgeführt. Dass eine Menge von prekären Lebenslagen geradezu Zwangs-Produkt unserer Gesellschaft ist (um das ganz allgemein zu sagen), kommt als „Rahmengeschichte“ in dem Buch nicht zur Sprache; vielleicht wäre ein solcher Blick aber auch wenig hilfreich für den, der einer Familie als Helfer gegenübersitzt. Martin Thurmair DOI 10.2378/ fi2015.art13d