Frühförderung interdisziplinär
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0721-9121
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2016
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Inklusion! Geht das von alleine?
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2016
Marian Kratz
Eva Klein
Frühförderstellen arbeiten eng mit Kinderbetreuungseinrichtungen zusammen und unterstützen sie bei ihrem Erziehungs- und Bildungsauftrag. Sie begleiten Kinder mit Beeinträchtigungen beim Übergang vom familiären Setting in die Einrichtung und beraten die Fachkräfte bei Fragen zu besonderen Bedarfen. Sie bieten Förder- und Therapiemaßnahmen innerhalb der Kinderbetreuungseinrichtungen an und beraten im Rahmen von Früherkennung. Ein grundlegendes Angebot in Hessen ist dabei die Heilpädagogische Fachberatung, die seit den 1990er Jahren im Zuge der flächendeckenden Einführung von Einzelintegrationsmaßnahmen in Kinderbetreuungseinrichtungen ein eigenständiges Angebot der Frühförderstellen darstellt. Vorgestellt werden ausgewählte Ergebnisse einer Evaluationsstudie zur Passung von Angebot und Nachfrage aus Anbieter- und Nutzerperspektive im Kontext von Inklusion, beauftragt durch das Hessische Ministerium für Soziales und Integration.
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Frühförderung interdisziplinär, 35.-Jg., S.-40 - 52 (2016) DOI 10.2378/ fi2016.art04d © Ernst Reinhardt Verlag 40 „Inklusion! Geht das von alleine? “ Eine Evaluation der Heilpädagogischen Fachberatung der Frühförderstellen für Kindertageseinrichtungen als unterstützendes Angebot zur Weiterentwicklung der Inklusion aller Kinder in das Regelsystem Marian Kratz, Eva Klein Zusammenfassung: Frühförderstellen arbeiten eng mit Kinderbetreuungseinrichtungen zusammen und unterstützen sie bei ihrem Erziehungs- und Bildungsauftrag. Sie begleiten Kinder mit Beeinträchtigungen beim Übergang vom familiären Setting in die Einrichtung und beraten die Fachkräfte bei Fragen zu besonderen Bedarfen. Sie bieten Förder- und Therapiemaßnahmen innerhalb der Kinderbetreuungseinrichtungen an und beraten im Rahmen von Früherkennung. Ein grundlegendes Angebot in Hessen ist dabei die Heilpädagogische Fachberatung, die seit den 1990er Jahren im Zuge der flächendeckenden Einführung von Einzelintegrationsmaßnahmen in Kinderbetreuungseinrichtungen ein eigenständiges Angebot der Frühförderstellen darstellt. Vorgestellt werden ausgewählte Ergebnisse einer Evaluationsstudie zur Passung von Angebot und Nachfrage aus Anbieter- und Nutzerperspektive im Kontext von Inklusion, beauftragt durch das Hessische Ministerium für Soziales und Integration. Schlüsselwörter: Heilpädagogische Fachberatung, Früherkennung, Kinderbetreuungseinrichtungen, Inklusion “Inclusion! Develop on its own? ” An evaluation study of the curative educational advisory service for childcare facilities offered by the early childhood intervention services in Hessen to increase inclusion for all children in the educational system Summary: Institutions of early childhood intervention work closely together with childcare facilities helping them to fulfil the educational mandate. They provide support for children with impairments within their transition period from the family environment to the day care centres and counselling for the centres in regard to special educational needs. They offer handling and treatment measures within the day care centres as well as counselling in the context of early detection. A part of the support early childhood intervention centres offer to child care facilities is a curative educational advisory service, which was established in the 1990’s in the course of a statewide integration program for children with special educational needs in the state of Hessen. This paper examines selected results of an evaluation study that was funded by the Hessian Ministry for Social Affairs and Integration regarding the development of these services. The consumer’s as well as the supplier’s perspective is presented focusing on the matching of supply and demand within the context of inclusive education. Schlüsselwörter: Curative educational counselling, early detection, day care facilities, inclusion ORIGINALARBEIT 41 FI 1/ 2016 Inklusion! Geht das von alleine? Einleitung I nklusionspädagogik ist darauf ausgerichtet, für jedes Kind, unter Berücksichtigung seiner individuellen Entwicklungsvoraussetzungen, die günstigsten Bedingungen für sein physisches, psychisches und soziales Wachstum zu ermöglichen. Dafür ist ein Umfeld zu schaffen, in dem Einschränkungen und Barrieren vermieden bzw. abgebaut werden. Die „Inclusive Values“ des Indexes für Inklusion formulieren hierzu Ansprüche und Ziele, die mit der Verabschiedung der UN-Behindertenrechtskonvention 2009 auf Länderebene in Umsetzungsstrategien und Maßnahmen übersetzt und umgesetzt werden müssen. Kinderbetreuungseinrichtungen, als in der Regel erste außerfamiliäre Sozialisationsinstanz, sind zentrale Bezugspunkte und Lebensräume, die ein vorurteilsfreies Zusammenleben aufbauen und stärken können. Gleichwohl werden sie bei der Umsetzung von Inklusion vor große inhaltliche und strukturelle Herausforderungen gestellt. Eine inklusive Ausrichtung bedingt unterschiedliche Sichtweisen und unterschiedliches Fachwissen zusammenzuführen und gemeinsame Ansatzpunkte und Handlungsansätze zu entwickeln. Deshalb können bei der Bearbeitung dieser Ansprüche und ihrer inhaltlich-konkreten Umsetzung externe Kooperationspartner hilfreich sein. Bestätigt wird dies durch die langjährigen Erfahrungswerte in der Zusammenarbeit von Kinderbetreuungseinrichtungen und Frühförderstellen. Im Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan heißt es hierzu: „Die erste Unterstützung erfahren betroffene Kinder häufig bereits in ihrer Familie durch Angebote der Frühförderung, insbesondere von Frühförderstellen. Frühförderung ist eng mit dem Bildungsort Familie verbunden und gleichzeitig selbst einer der ersten Bildungsorte für Kinder. Entwicklungsförderung bedeutet Begleitung, Unterstützung und Anregung von Bildungs- und Lernprozessen. Durch Beratungs- und Unterstützungsangebote für andere Bildungsorte trägt Frühförderung dazu bei, alle Kinder in das Erziehungs- und Bildungssystem zu integrieren. Dabei übernimmt sie Vernetzungs- und Koordinierungsaufgaben und begleitet die Übergänge.“ (Hessisches Ministerium für Soziales und Integration/ Hessisches Kultusministerium 2014, 53) Ein besonderes Angebot für die Kinderbetreuungseinrichtungen in Hessen ist die Heilpädagogische Fachberatung der Frühförderstellen. Sie wurde im Rahmen des „Modellprojekts Einzelintegration“ (1987 - 1990) an den allgemeinen Frühförderstellen angesiedelt und wird seitdem über freiwillige Mittel des Landes Hessen finanziert. 1999 wurde mit der Rahmenvereinbarung Integrationsplatz die Grundlage für alle Kindertagesstätten in Hessen gelegt, sich für alle Kinder zu öffnen. Damit wurden die bisherigen Angebotsstrukturen von heilpädagogischen Gruppen, integrativen Gruppen und Einzelintegrationen abgelöst. Im August 2014 wurde sie als „Vereinbarung zur Integration von Kindern mit Behinderung vom vollendeten 1. Lebensjahr bis Schuleintritt in Tageseinrichtungen für Kinder“ erweitert und fortgeschrieben. Das Angebot der heilpädagogischen Fachberatung der Frühförderstellen richtet sich an die pädagogischen Fachkräfte in Kinderbetreuungseinrichtungen für Kinder von wenigen Monaten bis zur Einschulung, die Fragen im Zusammenhang mit dem Entwicklungsprozess eines Kindes oder Integrationsmaßnahmen haben, sofern noch keine Frühfördermaßnahme besteht. Voraussetzung ist die Zustimmung der Eltern bzw. Sorgeberechtigten, und sie werden maßgeblich in den Beratungsprozess einbezogen. Die konzeptionell verankerten Aufgaben umfassen die Bereiche der Früherkennung, der Prozessbegleitung und der Beratung bei Aufnahme eines Kindes mit Beeinträchtigung, der Feststellung von Unterstützungsbedarfen, der Planung von Unterstützungs-, Begleitungs- und Fördermöglichkeiten sowie den Bereich der Vernetzung (vgl. LAG 42 FI 1/ 2016 Marian Kratz, Eva Klein Frühe Hilfen 2009). Seit ihrer Implementierung entwickelt die Heilpädagogische Fachberatung ihr Angebot gemäß den Bedarfen der Kinder und den Anfragen der Einrichtungen ständig fachlich weiter, wobei ein stetiger Zuwachs an Nachfragen benannt wird. Um die Entwicklung der Zusammenarbeit, die Angebote und die Rahmenbedingungen der Heilpädagogischen Fachberatung analysieren zu können, hat das Hessische Ministerium für Soziales und Integration die Landesarbeitsgemeinschaft Frühe Hilfen in Hessen e.V. beauftragt, im Rahmen eines Evaluationsprojektes die aktuelle Situation der Heilpädagogischen Fachberatung zu erheben. Das Forschungsprojekt „Inklusion! Geht das von alleine? Heilpädagogische Fachberatung für Kindertageseinrichtungen der Frühförderstellen - ein unterstützendes Angebot zur Weiterentwicklung der Inklusion aller Kinder in das Regelsystem“, das den Kern dieses Artikels darstellt, wurde von Juli bis Dezember 2013 in Kooperation mit dem Institut für Sonderpädagogik der Goethe- Universität Frankfurt am Main durchgeführt. Das Projekt orientiert sich an den Zielen und Maßnahmen, die im Hessischen Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention konkret beschrieben werden 1 . Ziele der Studie Durch die Evaluationsstudie sollen Grundlagen zur Qualitätssicherung und Ansätze zur bedarfsgerechten Weiterentwicklung ermittelt werden. Ziel des Projektes ist eine aktuelle Bestandsaufnahme der Heilpädagogischen Fachberatung der Frühförderstellen in Hessen. Hierzu ist es erforderlich, die kooperierenden Fachkräfte und deren Systeme - Kinderbetreuungseinrichtungen und die Heilpädagogische Fachberatung der Frühförderstellen - mit der Auswahl und Umsetzung der Angebote, den Formen der Kooperation und den bestehenden Rahmenbedingungen näher zu betrachten und zu analysieren. Fokussiert werden dabei insbesondere die Aspekte: Inhalte der Anfragen, bestehende Angebote und Schwerpunktsetzungen, vorhandene Kompetenzen und Ressourcen, Passung der Angebote zu den bestehenden Anfragen, Rückmeldungen durch die Fachkräfte der Kinderbetreuungseinrichtungen sowie Gelingensbedingungen und Trägheitsmomente. Methoden Zur Beantwortung der aus den Erkenntnisinteressen formulierten Forschungsfragen wurde ein komplexes Methodeninventar an das Forschungsfeld der Heilpädagogischen Fachberatung der Frühförderstellen in Hessen herangetragen. So gliederte sich das Gesamtprojekt über ein mehrstufiges Verfahren auf zwei Forschungsebenen. Mit dem zielführenden Gedanken einer Evaluation der Anbieterperspektive (Selbstdarstellung der Heilpädagogischen Fachberatung) auf der einen Seite und einer Evaluation der Nutzerperspektive (Fremdwahrnehmung durch pädagogische Fachkräfte in Kinderbetreuungseinrichtungen) auf der anderen, sollte eine aktuelle, umfassende und mehrperspektivische Darstellung der Heilpädagogischen Fachberatung vorgestellt werden. Über einen Methodenmix von quantitativen und qualitativen Forschungsstrategien wurde der besondere Anspruch umgesetzt, die Heilpädagogischen Fachberaterinnen aller 42 allgemeinen Frühförderstellen in Hessen zu Wort kommen zu lassen und das Potenzial ihrer Aussagen zu bergen. Die Anbieterperspektive Für die Evaluation der Anbieterperspektive wurde ein Fragebogen entwickelt, der sich durch einen eher explorativen Charakter auswies. Der Fragebogen zeichnete sich durch „eine theoretisch begründete und systematisch prä- 43 FI 1/ 2016 Inklusion! Geht das von alleine? sentierte Auswahl von Fragen“ (Porst 2011, 14) aus, mit denen das Erkenntnisinteresse auch über Narrative empirisch geprüft werden konnte. Die Befragten sollten sich trotz einer Fragebogenerhebung eingeladen fühlen, ihre Gedanken, Einstellungen und Stellungnahmen so frei wie möglich zu formulieren, um dabei auch den Themen, welche die Befragten von sich aus behandeln wollten, einen Raum anzubieten. Die Fragebögen sollten nicht auf vorgegebene Themengebiete begrenzt werden. Durch den Einbezug von Praktikerinnen bereits bei der Erprobung ließ sich ein Fragebogen entwickeln, der vom Feld einheitlich verstanden und inhaltlich mitstrukturiert wurde und der den Wissens- und Interessenhorizont der Befragten von Beginn an berücksichtigen konnte. Parallel wurden im Institut für Sonderpädagogik alle Fragen und deren Entwicklung intern überprüft und ihre wissenschaftliche Güte bestätigt. Erfahrungswerte aus früheren Forschungsarbeiten im Feld der Frühförderung ermöglichten zudem indirekte Einblicke in das Forschungsfeld (vgl. Katzenbach/ Möller 2011). Der Fragebogen wurde postalisch und per Mail versandt. Zur Auswertung der ausführlichen Rückmeldungen wurden in Bezug zu deren inhaltlicher Qualität und Aussagekraft sowohl Mess-, Typisierungsals auch Codiertechniken angewandt. Die Nutzerperspektive Darauf aufbauend wurde ein eher geschlossen-abfragender Fragebogen für pädagogische Fachkräfte in Kinderbetreuungseinrichtungen entwickelt, um den inhaltlichen Aussagen der Heilpädagogischen Fachkräfte ein prüfendes und kritisches Korrektiv gegenüberzustellen. Bei der Erfassung der Nutzerperspektive wurde sich auf der Basis eines dichter gerahmten Erkenntnisinteresses, der forschungspraktischen Möglichkeiten und der größeren Stichprobe für eine Onlinebefragung entschieden, bei der erste Forschungsergebnisse der Evaluation der Anbieterperspektive berücksichtigt und geprüft werden konnten. So setzte sich der Fragebogen, der sich an die Fachkräfte der Kindertageseinrichtungen richtet, zu einem großen Teil aus den geschlossenen Fragen aus dem ersten Fragebogen zusammen und ist ergänzt um die Fragen und Erfahrungen, die sich aus den ersten Ergebnisanalysen ableiten ließen. Von der Erhebung zur Auswertung Durch die bewusste Auswahl eines wissenschaftlichen Mitarbeiters des Instituts für Sonderpädagogik, der eine thematisch-inhaltliche Distanz vorwies, wurde dem Forschungsinteresse der Auftraggeber eine inhaltliche Naivität entgegengestellt, die einer Übernahme möglicher „blinder Flecken“ entgegenwirken konnte. So ließ sich, trotz den inhaltlichen Expertisen der Beteiligten, kritische und selbstreflektierte Forschung durchführen, d. h. im Erhebungsteil konnten Forschungsfragen nicht unreflektiert auf der Basis eines gesetzten Vorwissens und Vorverständnisses gestellt werden. Dieses Vorgehen konnte einer rein ergebnisorientierten Forschung entgegenwirken. Begleitet durch die Außenperspektive ließ sich „Neues“ über die Heilpädagogische Fachberatung der Frühförderstellen herausfinden, da auch die Ergebnisse nicht direkt in ein gesetztes Vorverständnis integriert werden konnten. Die Ergebnisse dieses Vorgehens wurden an einer Informationsveranstaltung am 9. 12. 2013 einer internen Öffentlichkeit (Leitungskräfte, heilpädagogische Fachberaterinnen der Frühförderstellen und Auftraggeber des Hessischen Sozialministeriums) vorgestellt und einer kommunikativen Validierung unterzogen, um sicherzustellen, dass die Codes und die Ergebnisse ein gemeinsames Verständnis von Forschern und Beforschten tragen. Die Ergebnisse der kommunikativen Validierung wurden im Ergebniskapitel des Projektberichtes berücksichtigt. 44 FI 1/ 2016 Marian Kratz, Eva Klein Stichprobe Der Versand des Fragebogens zur Evaluation der Anbieterperspektive erfolgte an alle 42 allgemeinen Frühförderstellen in Hessen. Der Rücklauf umfasste 33 Fragebögen (78,6 %). Für die Evaluation der Nutzerperspektive wurde ein Online- Fragebogen an 1400 Kinderbetreuungseinrichtungen in Hessen gesandt. Die Adressen wurden zum einen über die LAG Frühe Hilfen gewonnen, deren Mitglieder Träger von Kindertageseinrichtungen und Frühförderstellen sind, zum anderen über den Verteiler besuchter Fortbildungen und Fachtage der Arbeitsstelle Frühförderung Hessen sowie ergänzend über Verteiler weiterer Fortbildungsanbieter. Der Rücklauf betrug mit 232 Fragebögen 16,6 %. Zentrale Ergebnisse der Studie Mit den Ergebnissen der Evaluation der Heilpädagogischen Fachberatung der Frühförderstellen in Hessen wird ein differenzierter Blick auf Strukturen und Rahmenbedingungen der Angebote möglich. Durch die Betrachtung aktueller inhaltlicher Schwerpunkte werden die Beratungsbedarfe der Nutzer deutlich. Ergebnisse der Evaluation der Anbieterperspektive Der qualitativ-explorative Charakter der Fragebögen an die Heilpädagogischen Fachberaterinnen bot die Möglichkeit, Einschätzungen, Einstellungen und Stellungnahmen so frei wie möglich zu formulieren. Damit wurde ein umfangreicher Pool an Erfahrungswissen in diesem Bereich generiert, der auch zahlreiche Fallbeispiele einschließt. Der Strukturelle Rahmen im Überblick Die Ergebnisse zum strukturellen Rahmen zeigen, dass die Heilpädagogische Fachberatung am häufigsten mit einer halben Stelle an den Frühförderstellen vertreten ist (17 Nennungen), mehr Stellenanteile wurden 8 x angegeben, weniger Stellenanteile 4 x. Im Durchschnitt ist sie mit 0,54 Stellenanteilen besetzt. Die bestehenden Stellenanteile haben sich seit der Implementierung kaum verändert. Sie sind größtenteils auf 1 - 2 Personen (61 %) bzw. 3 - 4 Personen (23 %) innerhalb einer Frühförderstelle verteilt. Die heilpädagogischen Fachberaterinnen verfügen in der Regel über einen Fachhochschul- oder Hochschulabschluss im pädagogischen Bereich (Sozial-, Heil- oder Diplompädagogik). Außerdem verfügen alle Befragten über Zusatzqualifikationen, wobei den Großteil systemische Ansätze und videogestützte Interaktionsdiagnostik und -beratung bilden. Zum Zeitpunkt der Befragung wurden im Durchschnitt 52 Anfragen pro Frühförderstelle bearbeitet (bei einer insgesamt hohen Heterogenität der Verteilung zeigt sich eine Ballung im Bereich von 10 - 50 Anfragen). Die Beratungsprozesse umfassen im Durchschnitt 3,7 Termine pro Fall mit einer Häufung bei 1 - 3 Terminen. Nur in einzelnen Fällen scheinen längere Beratungsprozesse möglich. Seitens der heilpädagogischen Fachberaterinnen wird auf einen ständigen Anstieg an Anfragen hingewiesen (hierzu liegen keine Vergleichszahlen aus früheren Erhebungen vor). In diesem Zusammenhang werden Wartezeiten für die Anfragenden benannt. Aufgabenbereiche der Heilpädagogischen Fachberatung Nachdem die Heilpädagogische Fachberatung eingerichtet wurde, um Integrationsmaßnahmen in Kindertagesstätten zu unterstützen und zu begleiten, zeigt sich bei den Auswertungen der Anfragemotivation eine Schwerpunktverschiebung in den Bereich der Früherkennung. Am häufigsten beinhalten die Anfragen mit 52 % Fragen zur Entwicklung eines Kindes. Hilfestellungen für Erzieherinnen (50 %) und Unterstützung bei der Elternarbeit (47 %) werden in der Regel ergänzend zu den kindbezogenen 45 FI 1/ 2016 Inklusion! Geht das von alleine? Anfragen benannt. Fragen zum Verhalten eines Kindes nehmen mit 44 % ebenfalls einen großen Raum ein. Deutlich weniger Anfragen gibt es mit jeweils 12 % im Rahmen der Neuaufnahme eines Kindes bzw. zur Prozessbegleitung einer Integrationsmaßnahme 2 . Neben den vorgegebenen Inhalten wurde eine Vielzahl weiterer Themen als Anfragegrund genannt. Diese umfassen: Hilfsmittelversorgung, Beratung zur Unterstützten Kommunikation, Fragen zu chronischer Erkrankung, Kooperation mit Angeboten der Kinder- und Jugendhilfe (z. B. SPFH), Unterstützung bei Themen im Bereich § 8 a, geplanter Ausschluss von Kita-Besuch, grundsätzliche pädagogische Fragen zu Kindern unter drei Jahren. Der Bereich der Kinder unter drei Jahren Für den Bereich der Betreuung von Kindern unter drei Jahren ist die Heilpädagogische Fachberatung zunehmend ein Ansprechpartner für die Fachkräfte der Kinderbetreuungseinrichtungen. Die Anfragen in diesem Bereich beziehen sich ebenfalls hauptsächlich auf Fragen zur Entwicklung (33 %) sowie auf Fragen zum Verhalten von Kindern (31 %). Es folgen Fragen zur Sprachentwicklung (23 %) und Fragen zur Bindung (13 %). Die Ergebnisse zeigen, dass die Erzieherinnen bei ihrem Bildungs- und Erziehungsauftrag gerade im U3-Bereich neben kognitiven und körperlichen Aspekten laut Heilpädagogischer Fachberatung auch emotionale- und Bindungsaspekte im Blick haben. Gleichzeitig stellen sie zuweilen inhaltliche Unsicherheiten über Entwicklungsverläufe in der frühen Kindheit bei den Fachkräften in den Einrichtungen fest, die auf bestehende Weiterbildungsbedarfe in diesem Bereich hinweisen. Insgesamt ist zu vermuten, dass die Anfragen bezüglich Kindern unter drei Jahren sowohl durch den vermehrten Ausbau der Betreuung als auch die neue „Vereinbarung zur Integration von Kindern mit Behinderung vom vollendeten 1. Lebensjahr bis Schuleintritt in Tageseinrichtungen für Kinder“ (verabschiedet für Hessen am 1. 8. 2014) weiter zunehmen werden. Kinder mit Verhaltensauffälligkeiten Auch bei Anfragen zu auffälligem Verhalten von Kindern scheint die Heilpädagogische Fachberatung zunehmend ein erster Ansprechpartner für die Kinderbetreuungseinrichtungen zu sein. Dabei gliedert sich die Differenzierung der Kategorie Verhaltensauffälligkeiten entsprechend unserer Auflistung in: aggressives Verhalten (39 %), oppositionelles Verhalten (17 %), Reizregulation (14 %), Sprachentwicklung (12 %), Introversion (10 %) und hyperaktives Verhalten/ ADHS (8 %). Als weitere Differenzierungen werden genannt: Autismus, Essverhalten, sozio-emotionale Entwicklung, Autoaggression, Bindungsverhalten und sexualisiertes Verhalten. Die Benennung verschiedener extrovertierter Verhaltensauffälligkeiten sowie die zusätzliche Wahrnehmung von Introversion als Ansatzpunkt für auffälliges Verhalten weist auf ein differenzierteres Verständnis von Verhalten und damit in Zusammenhang stehenden Bedarfen hin. Die Häufigkeit, mit der das Thema genannt wird (vgl. Evaluation der Nutzerperspektive) macht in jedem Fall einen Unterstützungsbedarf der Kinderbetreuungseinrichtungen deutlich mit der Zielsetzung, Kindern eine ungehinderte Entwicklung zu ermöglichen und als schwierig bzw. anstrengend empfundene Situationen frühzeitig zu deeskalieren. Bei Fragen zu Verhaltensauffälligkeiten übernimmt die Heilpädagogische Fachberatung Aufgaben der ersten Abklärung, der Verständnisbildung, um Verstehensprozesse über das Verhalten zu ermöglichen, und der Weitervermittlung. Als wesentlich erachtet wird insbesondere die Betrachtung und der Einbezug des 46 FI 1/ 2016 Marian Kratz, Eva Klein gesamten Systems (das jeweilige Kind, seine Entwicklungsbedingungen und -umwelt, seine Bezugspersonen sowie Rahmenbedingungen von Einrichtungen). In diesem Zusammenhang gilt es zu fragen, welche Kooperationen hier sinnvollerweise ausgebaut werden sollten, bzw. an wen die Anfragen im Sinne einer Schnittstellenfunktion vermittelt werden können (bei der Beratung zu weiterführenden Angeboten werden z. B. Erziehungsberatungsstellen mit 19 % genannt). Mit einem Blick auf die konzeptionell verankerte Schwerpunktsetzung der Heilpädagogischen Fachberatung stellt sich in diesem Bereich auch die Frage nach Zuständigkeiten und Erstansprechpartnern für die Einrichtungen jenseits der Heilpädagogischen Fachberatung. Konzeptionell verankerte Angebote der Heilpädagogischen Fachberatung Als regelmäßige und häufige Angebote, die zu den Anfragen der Kinderbetreuungseinrichtungen zum Tragen kommen, nennt die Heilpädagogische Fachberatung: n Spielbeobachtung n Interaktionsbeobachtung n Entwicklungseinschätzung (Einbezug von Entwicklungstests nicht regelhaft) n Beratungsgespräche mit Erzieherinnen n Beratungsgespräche mit Erzieherinnen und Eltern n Förderplanung n Familiäre Anamnese Die Aufschlüsselung der Angebote und ihrer Gewichtung finden je nach regionalen Gegebenheiten unterschiedliche Ausprägungen. Weiterentwicklung der Themen Zugenommen haben laut Heilpädagogischer Fachberatung Anfragen zu Kindeswohlgefährdung, was zu der vorsichtigen Annahme führen kann, dass im Rahmen des neuen Kinderschutzgesetzes und der öffentlichen Aufmerksamkeit die Wahrnehmung aller Beteiligten in diesem Bereich geschult wurde. Bei diesem Thema ist der Einbezug der Kinder- und Jugendhilfe unabdingbar und wird auch als erstes Kooperationsthema mit diesem Bereich genannt. Grundsätzlich muss mit der Nennung dieses Themenbereiches die Frage gestellt werden, inwieweit sich die Heilpädagogische Fachberatung als Ansprechpartner für dieses Thema zuständig sieht. Abgenommen haben laut Heilpädagogischer Fachberatung Fragen zur Einschulung im Sinne von Schulwahlberatung. Hier lässt sich vermuten, dass Beratungs- und Förderzentren, Frühförderfachkräfte und die allgemeine Fachberatung Kinderbetreuungseinrichtungen entsprechende Beratung zukommen lassen, zumal das Thema des Übergangs KiTa - Schule aktuell intensiv diskutiert wird. Interessant ist, dass gleichzeitig als neu hinzugekommenes Thema „Schulfähigkeit“ genannt wird. Weitere Themen, die als neu hinzugekommen benannt werden, sind „emotionale Verletzlichkeit“, „Kinder psychisch kranker Eltern“, „Pflege- und Adoptivkinder“. Auffallend kontrovers wird das Themenfeld „Autismus“ in dem Datenmaterial abgebildet. Hier beschreiben einige Befragte eine Zunahme, andere eine Abnahme. Wieder andere gaben im Fragebogen an, dass dieser Themenbereich neu hinzugekommen sei. Als weitere bemerkbare Veränderung benennen die Heilpädagogischen Fachberaterinnen steigende Belastungen bei Fachkräften, Kindern und Familien, wobei sie als Gründe hierfür u. a. sich erweiternde Arbeitsaufträge und unzureichende Rahmenbedingungen vermuten. Weitervermittlung / Kooperationen Eindeutig aufgezeigt werden kann, dass die Heilpädagogische Fachberatung ihren konzeptionellen Auftrag der Weitervermittlung von Anfragen sicherstellt und nicht im Sinne einer 47 FI 1/ 2016 Inklusion! Geht das von alleine? Selbstversorgung der Frühförderstellen handelt. 64 % der Anfragen münden in Empfehlungen für weiterführende Angebote, wobei die Bedeutung des Einbezugs der Eltern zum Tragen kommt. Am häufigsten wird die Abklärung eines medizinisch-therapeutischen Bedarfs beim Kinderarzt empfohlen. An zweiter Stelle steht die Empfehlung, sich an eine Erziehungsberatungsstelle zu wenden. An dritter Stelle wird eine Empfehlung zu weiterführender Diagnostik genannt mit Hinblick auf die Sozialpädiatrischen Zentren. In 34 % der Fälle wird eine Vermittlung in weiterführende Angebote der Frühförderstelle angeregt. Insgesamt lässt sich hier unter Bezugnahme auf die oben aufgeführten Anfragen eine Bedarfsorientierung erkennen, bei der Angebote entsprechend ihrer Passung zu den Belangen der Kinder ausgewählt werden. Gelingensbedingungen und Trägheitsmomente Die Antworten zeigen, dass die Arbeit der Heilpädagogischen Fachberatung von einem hohen persönlichen Engagement getragen ist, was insbesondere in den narrativen Teilen deutlich wird. Als zentraler Faktor gelingender Arbeit wird die Gestaltung von Kooperationen mit den verschiedenen Beteiligten und das Entwickeln von Arbeitsbündnissen mit den dafür erforderlichen Zeitanteilen erkennbar. Der Einbezug der Eltern spielt hier eine entscheidende Rolle. Gegenseitige Wertschätzung und die Begegnung auf Augenhöhe werden als Grundlagen gelingender Zusammenarbeit besonders hervorgehoben. Eine weitere Gelingensbedingung der Arbeit wird in der Trägerunabhängigkeit des Angebotes der Heilpädagogischen Fachberatung gesehen, die es ermöglicht, Anliegen außerhalb interner Kontakte und Hierarchien anbringen zu können. Hinderliche Faktoren sieht die Heilpädagogische Fachberatung demgegenüber in Zeitmangel und fehlenden personellen Ressourcen sowohl in ihrem eigenen Bereich als auch im Bereich der Kinderbetreuungseinrichtungen. Bezüglich der Betreuungseinrichtungen werden darüber hinaus Rahmenbedingungen als kritisch benannt (z. B. bezüglich Gruppengröße bzw. Gruppenaufteilung), in denen den auf Kontinuität angelegten Beziehungs- und Bindungsbedürfnissen von Kindern zu wenig Resonanz geboten werden kann und insgesamt ein umfassender Blick auf das einzelne Kind durch wechselhafte Bezüge und Bezugspunkte erschwert wird. Dies gilt verstärkt im Hinblick auf Kinder unter drei Jahren und Kinder mit besonderen Bedarfen. Darüber hinaus wird seitens der Heilpädagogischen Fachberatung eine noch zu geringe Implementierung des Themenkomplexes Inklusion sowohl in der Ausbildung als auch in Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen von Fachkräften in Kinderbetreuungseinrichtungen benannt. Inklusion Die Rückmeldungen der Fachkräfte machen deutlich, dass sich die Heilpädagogische Fachberatung mit den Grundlagen von Inklusion auseinandergesetzt hat und mit ihrem inklusiven Beratungsauftrag identifiziert ist. Dabei versteht sie sich als „Wegbereiter“, der gemeinsam mit den Erzieherinnen Problemlösungen im Umfeld des Kindes im Sinne einer inklusiven Praxis erarbeiten kann. Ausgehend von den Bedarfen des einzelnen Kindes ist ein Hauptblickpunkt dabei auf Haltung und Handeln der Erzieherinnen sowie erforderliche Rahmenbedingungen gerichtet. Aus der Anbieterperspektive sieht die Heilpädagogische Fachberatung ihren Beitrag auf übergeordneter Ebene in einem inklusiven Bildungs- und Professionalisierungsbeitrag verortet. Hierzu wird der Bedarf gesehen, diesen gleichermaßen stärker in der grundsätzlichen Erzieherinnenausbildung zu verankern. 48 FI 1/ 2016 Marian Kratz, Eva Klein Ergebnisse der Evaluation der Nutzerperspektive Mit den Ergebnissen der Evaluation der Nutzerperspektive wird der Selbsteinschätzung der Heilpädagogischen Fachberaterinnen die Nutzerperspektive der kooperierenden Kinderbetreuungseinrichtungen gegenübergestellt. Den Bekanntheitsgrad der Frühförderstellen geben die Kinderbetreuungseinrichtungen mit 97,7 % an. Das Angebot der Heilpädagogischen Fachberatung ist bei 76,6 % der Antwortenden bekannt. Integrationsmaßnahmen bestanden im Kindergartenjahr 2013/ 2014 bei 79,1 % der antwortenden Kinderbetreuungseinrichtungen (bei 18,5 % eine Einzelintegration, bei 60,5 % mehrere). Anfragen an die Heilpädagogische Fachberatung hatten zum Zeitpunkt der Erhebung bereits 70,5 % der antwortenden Kinderbetreuungseinrichtungen gestellt, davon 85,2 % bereits mehrfach. Themenbereiche Die Themenbereiche der Anfragen bezogen sich am häufigsten auf n Fragen zur Entwicklung eines Kindes und Unterstützungsbedarf n Fragen zum Verhalten eines Kindes und Unterstützungsbedarf n Prozessbegleitung bei einer Integrationsmaßnahme n Unterstützung in der Elternarbeit. Dies deckt sich mit den Rückmeldungen der Evaluation der Anbieterperspektive. In 29,6 % der Fälle bezogen sich die Anfragen auf Kinder aus dem U3-Bereich. Passung der Angebote Die Ergebnisse belegen überwiegend eine hohe Zufriedenheit mit den Angeboten. 88,2 % der befragten Fachkräfte der Kindertageseinrichtungen sehen in der Heilpädagogischen Fachberatung eine Bereicherung ihrer Arbeit (44,4 % vollständig, 43,8 % größtenteils). 94,4 % geben an, sich auch künftig wieder an die Heilpädagogische Fachberatung zu wenden (74,3 % vollständig, 20,1 % größtenteils). Die Fachkräfte geben an, dass die Heilpädagogische Fachberatung sowohl beim Erkennen von Schwierigkeiten (Tabelle 1) als auch dem gemeinsamen Erarbeiten und Umsetzen von Lösungswegen (Tabelle 2) zum größten Teil als hilfreich erlebt wird. Als Unterstützung in der Elternarbeit werden die Angebote der Heilpädagogischen Fachberatung zu 24,5 % vollständig, zu 49,7 % größtenteils und zu 14,7 % teils, teils wahrgenommen. Ansatzpunkte für entwicklungsförderliche Angebote für das Kind bzw. die Kinder erhalten die Fachkräfte der Kinderbetreuungs- Können bestehende Schwierigkeiten identifiziert werden? Antwortoptionen Antworten in % Antwortanzahl Vollständig Größtenteils teils-teils eher weniger gar nicht 21,4 % 57,2 % 17,2 % 3,4 % 0,7 % 31 83 25 5 1 beantwortete Frage 145 Tab. 1: Identifikation von Schwierigkeiten (Katzenbach/ Kratz 2014, 38) Können Lösungsschritte gemeinsam erarbeitet werden? Antwortoptionen Antworten in % Antwortanzahl Vollständig Größtenteils teils-teils eher weniger gar nicht 26,0 % 55,5 % 15,8 % 2,1 % 0,7 % 38 81 23 3 1 beantwortete Frage 146 Tab. 2: Erarbeitung von Lösungsschritten (Katzenbach/ Kratz 2014, 39) 49 FI 1/ 2016 Inklusion! Geht das von alleine? einrichtungen zu 22,9 % vollständig, zu 50,7 % größtenteils und zu 22,2 % teils, teils. Im Großen und Ganzen werden die Angebote als zu den Bedarfen passend empfunden (28,5 % vollständig, 56,8 % größtenteils, 16,1 % teils, teils). Eine größere Varianz zeigt die Antwort zu der Frage: „Können durch die Zusammenarbeit Ansatzpunkte erhalten werden, wie das Kind in die Gruppe einbezogen werden kann? “. Die Fachkräfte beantworten dies zu 12,6 % mit vollständig, mit 51,7 % mit größtenteils und mit immerhin 21,7 % mit teils, teils, 12,6 % mit eher weniger. Hier deutet sich an, dass eine Reflexion im Hinblick auf Teilhabe und die aktuell diskutierte Bedeutung von Peer-Kontakten im Rahmen von Inklusion für die kindliche Entwicklung (vgl. Kreuzer/ Ytterhus 2008) erforderlich ist. Bezüglich des angebotenen Beratungsumfangs der Heilpädagogischen Fachberatung lässt sich den Antworten entnehmen, dass zu einigen Anfragen ein intensiveres Angebot gewünscht wird. Die Frage, ob die zur Verfügung stehende Zeit pro Fall als ausreichend empfunden wurde, beantworteten 27,3 % mit vollständig, 30,9 % mit größtenteils, 28,8 % mit teils, teils und 11,5 % mit eher weniger. Ein weiterer Hinweis auf einen hinderlichen Einfluss bestehender Rahmenbedingungen findet sich in der Frage nach den Umsetzungsmöglichkeiten der Beratungsinhalte. Nur 5,8 % der Erzieherinnen sehen eine vollständige Umsetzung der Ergebnisse des Beratungsprozesses als möglich an, immerhin 58,0 % als größtenteils. 30,4 % sehen die gemeinsam erarbeiteten Lösungen in den gegebenen Rahmenbedingungen als nur teilweise umsetzbar an. Hier erscheint ein genauerer Blick auf die Zusammenhänge und Ausgangslagen erforderlich. Bedeutsame Kooperationen Befragt nach der Bedeutsamkeit von verschiedenen Kooperationspartnern benennen die antwortenden Kindertageseinrichtungen sowohl Frühförderstellen insgesamt als auch die Heilpädagogische Fachberatung an erster Stelle, gefolgt von niedergelassenen Therapiepraxen, der allgemeinen Fachberatung, dem Jugendamt und Erziehungsberatungsstellen. Inklusion Der Eingangsthese der Befragung, dass die heilpädagogische Fachberatung einen inklusiven Beitrag in der Kindertageseinrichtung leistet, stimmen 82,6 % der Fachkräfte zu, 50,7 % davon vollständig (Tabelle 3). Diskussion Heterogene Ausgangslagen beinhalten sowohl förderliche als auch einschränkende Auswirkungen auf die kindliche Entwicklung. Fundiertes Grundlagenwissen zu den vielfältigen Aspekten von Inklusion muss deshalb in allen Kinderbetreuungseinrichtungen verankert werden, beginnend im Bereich der Ausbildung sowie begleitend der Fort- und Weiterbildung. Dass die Vielfalt der Aspekte ergänzend dazu im Einzelfall weiterhin Expertenwissen erforderlich macht, wird u. a. im hessischen Bildungs- und Erziehungsplan benannt: „Die Begleitung von Kindern mit besonderen Bedürfnissen setzt eine regelmäßige und enge Kooperation mit anderen Bildungseinrichtungen und psycho- Trägt die Möglichkeit, die Heilpädagogische Fachberatung der Frühförderstellen einbeziehen zu können, zur Umsetzung der Inklusion in der Einrichtung bei? Antwortoptionen Antworten in % Antwortanzahl Vollständig Größtenteils teils-teils eher weniger gar nicht 50,7 % 31,9 % 11,8 % 3,5 % 2,1 % 73 46 17 5 3 beantwortete Frage 144 Tab. 3: Beitrag zur Umsetzung von Inklusion (Katzenbach/ Kratz 2014, 40) 50 FI 1/ 2016 Marian Kratz, Eva Klein sozialen Fachdiensten voraus. So unterstützen z. B. Frühförderstellen Kindertageseinrichtungen bei der Planung und Durchführung von Integrationsmaßnahmen von Kindern mit (drohender) Behinderung durch Beratungs- und Förderangebote.“ (Hessisches Ministerium für Soziales und Integration/ Hessisches Kultusministerium 2014, 39) Insgesamt zeigen die Ergebnisse, dass die Angebote der Heilpädagogischen Fachberatung die Kinderbetreuungseinrichtungen wirkungsvoll dabei unterstützen, ihren inklusiven Auftrag wahrzunehmen. Es besteht vorwiegend eine hohe Zufriedenheit der Fachkräfte aus den befragten Kindertageseinrichtungen mit den bestehenden Angeboten. In der Gesamtrahmung von Inklusion sind die heilpädagogischen Fachberaterinnen Fachleute für Entwicklungsgefährdungen und Behinderung. Zahlreiche in den Fragebögen genannte Fallbeispiele zeigen den Ansatz der Arbeit der heilpädagogischen Fachberatung mit seinem Fokus auf Ressourcen und Beeinträchtigungen kindlicher Entwicklung, dem Einbezug von Wechselwirkungen und Dynamiken der vielfältigen Aspekte sowie dem Zusammenwirken aller Beteiligten. Damit leistet die Heilpädagogische Fachberatung einen Beitrag, die Forderungen der UN-Behindertenrechtskonvention für das einzelne Kind im Rahmen der institutionellen Betreuung umzusetzen. Im Bereich der Früherkennung übernimmt die Heilpädagogische Fachberatung die Rolle einer ersten Unterstützung bei Fragestellungen. Im Zuge der Abklärung von Bedarfen übernimmt sie im weiteren Verlauf die Vermittlerrolle zu weiteren Hilfesystemen wie dem Gesundheitssystem (medizinische Diagnostik und therapeutische Versorgung) und insbesondere der Kinder- und Jugendhilfe (Erziehungshilfebedarf). Im Bereich der unter Dreijährigen ist hier der Bereich der Frühen Hilfen besonders hervorzuheben. Durch die Trägerunabhängigkeit wird die Heilpädagogische Fachberatungder Frühförderung seitens der Kinderbetreuungseinrichtungen als niedrigschwelliges Angebot wahrgenommen. Die Einbettung des Angebotes in die regionale Frühförderstelle stellt dabei eine fachliche Basis dar und den reflexiven Austausch sicher. Ausgehend von ihren konkreten Angeboten trägt die Heilpädagogische Fachberatung auf übergeordneter Ebene zu Bildungs- und Professionalisierungsprozessen in den Kindertageseinrichtungen bei, die dazu dienen, inklusives Fachwissen zu verankern. Auch in einer aktuellen Studie der Weiterbildungsinitiative Frühpädagogische Fachkräfte (wiff) zur Situation der Fachberatung in Deutschland (Leygraf 2013) wird seitens der allgemeinen Fachberatungen hierzu auf einen Weiterentwicklungsbedarf der pädagogischen Fachkräfte im Bereich Inklusion hingewiesen: „Bezogen auf die Inklusion halten die Fachberatungen die pädagogischen Fachkräfte im Vergleich zu den anderen Aufgaben für eher schlecht ausgebildet“ (Leygraf 2013, 42). Dies bezieht sich ebenfalls auf die Zusammenarbeit mit Eltern von Kindern mit Behinderungen. Hier kann die heilpädagogische Fachberatung der Frühförderstellen als erforderliche Ergänzung zur allgemeinen Fachberatung angesehen werden. Dies belegen auch die in der Evaluation erfragten Themen der Zusammenarbeit von heilpädagogischer und allgemeiner Fachberatung, bei denen Integration bzw. Inklusion im Vordergrund steht. Die Ergebnisse der Evaluation zeigen ebenfalls Ansatzpunkte zur Weiterentwicklung der Heilpädagogischen Fachberatung. Als Themen können hier abgeleitet werden: n Verstärkter Fokus auf die Bedeutung der Peer-Group im Sinne von Beseitigung struktureller Hindernisse, Entdecken von Gemeinsamkeiten, Ebenen der Kooperation und des gemeinsamen Lernens (vgl. Kron 2010) 51 FI 1/ 2016 Inklusion! Geht das von alleine? n Grundlagen zur Entwicklungseinschätzung seitens der Heilpädagogischen Fachberatung (Explikation der eigenen Expertise, Einbezug weiterführender Diagnostik) n Ausgestaltung der Beratungsprozesse gegenüber bestehenden Ressourcen und Rahmenbedingungen. Seit Bestehen des Angebotes ist eine Erweiterung des Themenspektrums in den Anfragen zu verzeichnen. In diesem Zusammenhang erscheint es für die Zukunft sinnvoll, klar abzustecken, welche Kernaufgaben die Heilpädagogische Fachberatung unter Einbezug der Evaluationsergebnisse für sich definiert 3 und wie mit den vorhandenen Ressourcen in der Alltagspraxis eine gelingende Inklusionsarbeit geleistet und gesichert werden soll. Eine Profilstärkung kann dazu beitragen, die Heilpädagogische Fachberatung im Spektrum der Beratungsangebote zu etablieren und gezielt zu verankern. Die Umsetzung von Inklusion als dauerhaftem und komplexem Prozess erfordert ein Vorgehen zahlreicher und vielfältiger Beteiligter auf verschiedenen Ebenen in abgestimmten Kooperationen (vgl. LAG Frühe Hilfen 2012). In der Evaluationsstudie konnte gezeigt werden, dass die Angebote der Heilpädagogischen Fachberatung der Frühförderstellen für das System der Kinderbetreuungseinrichtungen, die darin wirkenden Fachkräfte und die sich darin entwickelnden Kinder und ihre Familien einen wirkungsvollen Beitrag leisten. Anmerkungen 1 In Kapitel 4 „Kinder und Familie“ des hessischen Aktionsplans zur Umsetzung der UN-BRK werden als konkrete Maßnahmen und Ziele unter Punkt 4.4 benannt: Sicherstellung und ggf. Ausbau des Angebots der Heilpädagogischen Kindergartenfachberatung der Frühförderstellen sowie Sicherstellung und Weiterentwicklung von Kooperationsmöglichkeiten zwischen Frühförderstellen und Kindertageseinrichtungen (Hessisches Sozialministerium 2012, 51f ). 2 Da pro Anfrage mehrere Themenbereiche benannt werden konnten, ergeben die Prozentangaben hier zusammen > 100 %. (N = 33). 3 Hier zeigt sich eine Analogie zur Untersuchung der allgemeinen Fachberatung, in der ein zu breit angelegtes Tätigkeitsprofil als Schwierigkeit angesehen wird (vgl. Leygraf 2013, 14) Marian Kratz Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachbereich Erziehungswissenschaften Goethe-Universität Frankfurt Grüneburgplatz 1 60323 Frankfurt a. M. m.kratz@em.uni-frankfurt.de Eva Klein Arbeitsstelle Frühförderung Hessen Ludwigstraße 136 63067 Offenbach asff@fruehe-hilfen-hessen.de Literatur Hessisches Sozialministerium (2012): Hessischer Aktionsplan zur Umsetzung der Behindertenrechtskonvention. Wiesbaden. http: / / www.behinderten rechtskonvention.hessen.de/ global/ show_document. asp? id=aaaaaaaaaaabybi. Zugriff am 26. 6. 2015 Hessisches Sozialministerium/ Hessisches Kultusministerium (2014): Bildung von Anfang an - Bildungs- und Erziehungsplan für Kinder von 0 - 10 Jahre in Hessen. Wiesbaden, 6. Auflage. In: https: / / bep.hessen.de/ irj/ BEP_Internet, 26. 6. 2015 Katzenbach, D., Kratz, M. (2014): Inklusion! Geht das von alleine? Die Heilpädagogische Fachberatung für Kindertageseinrichtungen der Frühförderstellen - ein unterstützendes Angebot zur Weiterentwicklung der Inklusion aller Kinder in das Regelsystem. Abschlussbericht der Evaluation im Auftrag des Hessischen Ministeriums für Soziales und Integration. http: / / www.brk.hessen.de/ global/ show_document. asp? id=aaaaaaaaaaacmem, 26. 6. 2015 Katzenbach, D., Möller, N. (2011): Viele Systeme - Eine Leistung. Umsetzungsschwierigkeiten und Lösungsansätze. Abschlussbericht zur Evaluation der Interdisziplinär erbrachten Komplexleistung Frühförderung in Hessen. http: / / www.uni-frankfurt.de/ 51825324/ Projektbericht_Fruehfoerderung.pdf, 26. 6. 2015 52 FI 1/ 2016 Marian Kratz, Eva Klein Kreuzer, M., Ytterhus, B. (Hrsg.) (2008): Dabei sein ist nicht alles. Inklusion und Zusammenleben im Kindergarten. Ernst Reinhardt, München Kron, M. (2010): Ausgangspunkt Heterogenität. Weg und Ziel. Inklusion? Reflexionen zur Situation im Elementarbereich. Zeitschrift für Inklusion, Nr. 3 (2010). LAG Frühe Hilfen Hessen e.V. (Hrsg.) (2009): Das Angebot der Heilpädagogischen Fachberatung der Frühförderstellen für Kindertageseinrichtungen in Hessen. Schriften zur Professionalisierung, Ausgabe Nr. 1. http: / / www.fruehe-hilfen-hessen.de/ uploads/ media/ SchriftreiheLAGNr_1.pdf. Zugriff am 26. 6. 2015 LAG Frühe Hilfen Hessen e.V. (Hrsg.) (2012): Was Kinder im Rahmen einer inklusiven Tagesbetreuung benötigen. Eine Handreichung zu Anforderungen und Gestaltungsmöglichkeiten für Fachkräfte von Kindertageseinrichtungen und Frühförderstellen. Schriften zur Professionalisierung, Ausgabe Nr. 2. http: / / www.fruehe-hilfen-hessen.de/ uploads/ media/ SchriftenreiheLAGNr.2.pdf. Zugriff am 26. 6. 2015 Leygraf, J. (2013): Fachberatung in Deutschland. Eine bundesweite Befragung von Fachberaterinnen- und Fachberatern für Kindertageseinrichtungen: Zehn Fragen - Zehn Antworten. Reihe: WiFF Studien Nr. 20. http: / / www.weiterbildungsinitiative.de/ uploads/ media/ Studie_Leygraf_Fachberatung_web.pdf, 26. 6. 2015 Porst, R. (2011): Fragebögen. Ein Arbeitsbuch. 3. Aufl. VS Verlag, Wiesbaden
