eJournals Frühförderung interdisziplinär 35/3

Frühförderung interdisziplinär
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0721-9121
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/fi2016.art21d
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Aus der Praxis: Neues EU-Projekt zur ICF-CY im Bereich Frühförderung und Sozialpädiatrie: icfcy-MedUse

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Manfred Pretis
Wilhelm Stadler
Mit 1. September 2015 startete über Initiative der Medicalschool Hamburg ein neues dreijähriges europäisches Erasmus+-Projekt in Deutschland. Ziel von ICF-CY-MedUse ist es, als Nachfolgeprojekt von ICF-Train (www.icf-training.eu) die Verwendung der ICF-CY im Bereich Frühförderung und Sozialpädiatrie zu unterstützen.
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165 Frühförderung interdisziplinär, 35.-Jg., S.-165 - 168 (2016) DOI 10.2378/ fi2016.art21d © Ernst Reinhardt Verlag AUS DER PRAXIS Neues EU-Projekt zur ICF-CY im Bereich Frühförderung und Sozialpädiatrie: icfcy-MedUse Manfred Pretis, Wilhelm Stadler Mit 1. September 2015 startete über Initiative der Medicalschool Hamburg ein neues dreijähriges europäisches Erasmus+-Projekt in Deutschland. Ziel von ICF-CY-MedUse ist es, als Nachfolgeprojekt von ICF-Train (www.icf-training.eu) die Verwendung der ICF-CY im Bereich Frühförderung und Sozialpädiatrie zu unterstützen. Dabei stehen sowohl Fragen der Aus- und Fortbildung im Sinne verfügbarer abgestimmter Curricula für Fachkräfte als auch der Einsatz elektronischer Hilfsmittel für die tägliche Praxis in Frühförderung und Sozialpädiatrie im Mittelpunkt. Unter Federführung der Medicalschool Hamburg widmen sich weitere neun europäische Partner aus Deutschland (VIFF, DGSPJ, Mannheim Institut für Public Health), Österreich, Großbritannien, Italien, der Türkei und Mazedonien der Entwicklung entsprechender praxisnaher frei verfügbarer Produkte. Basierend auf bereits bestehender Funktionalität der Produkte des Vorläuferprojektes ICF-Train soll durch ein sogenanntes „decoupled shared service“ der Einsatz der ICF-CY in der täglichen Praxis erleichtert werden. Dieser „entkoppelte“ Online-Service folgt der Erkenntnis aus der Pilotierung von ICF-Train, dass viele Leistungserbringer das Feature ICF-CY lieber an ihre bestehenden EDV-Umgebungen (wie Dokumentationssysteme) anbinden möchten, anstatt ein integriertes ICF-CY Planungs-, Dokumentations- und Evaluationsinstrument zu implementieren, wie dies im Projekt ICF-Train vorgeschlagen wurde. Für die Konzeption der Produkte von ICF-CY-MedUse bedeutet dies, dass die Funktionalität nicht in Form einer „monolithischen“ Plattform umgesetzt wird, sondern in Form von (Online-)Services, die mittels definierter Schnittstellen in bestehende elektronische Dokumentationssysteme eingebunden und somit integriert werden können. Vor allem der geplante, frei zugängliche „ICF-CY- Practice-Translator“ stellt dabei ein elektronisches Hilfsmittel dar, das es ermöglicht, relevante Information über ein Kind bzw. eine Familie ICF-CY-Items zuzuordnen und mittels WHO-Beurteilungskriterien diese auch in Richtung Ausprägungsgrad des wahrgenommenen Problems einzuschätzen. Dieser „shared service“ kann im einfachsten Fall im Internet-Browser wie eine gewöhnliche Website verwendet werden, oder es kann mittels Schnittstelle an ein bestehendes EDV-System angebunden werden, wodurch sich der Verwendungskomfort erheblich erhöhen lässt. Durch die strikte Vermeidung der Verwendung von personenbezogenen Daten innerhalb dieses „ICF-CY-Practice-Translators“ ist es möglich, diesen als shared online service zu implementieren, und dabei auf alle Belange des Datenschutzes Rücksicht zu nehmen. Wie kann man sich dies zukünftig in der Praxis vorstellen? In der individuellen Diagnostikphase oder der Förder- und Behandlungsplanung kann online der „ICF-CY-Practice-Translator“ aufgerufen werden und durch Auswahl zutreffender ICF-CY-Items eine ICF-CY-Abbildung der narrativen Darstellung der Situation generiert werden. D. h. neben der bislang häufig bestehenden (beschreibenden, narrativen) Darstellung eines Kindes bzw. einer Familie (ausgehend von einem 166 FI 3/ 2016 Aus der Praxis „Gesundheitsproblem bzw. einer ICD-10 Diagnose) kann komplementär dazu auch eine ICF-CY- Repräsentation erfolgen, ohne dass persönliche Daten des Kindes oder der Familie in irgendeiner Weise im Internet eingegeben oder gespeichert werden. Die erstellte ICF-CY-Abbildung kann in einem weiteren Schritt wiederum in die individuellen Planungs-, Dokumentations- oder Evaluationssysteme der jeweiligen Leistungserbringer „zurückimportiert“ werden. Online wird somit nur ein abstraktes anonymisiertes ICF-CY-Abbild geschaffen, das erst (im Anwendersystem) in der Verbindung mit den individuellen Narrativen „personalisiert“ wird. Die ICF-CY-Abbildung erlaubt außerdem eine im Team und gemeinsam mit den Eltern durchgeführte Einschätzung und somit auch Vorher-Nachher-Vergleiche. Darüber hinaus ist der ICF-CY-Practice-Translator als „selbstlernendes“ Instrument konzipiert. D. h. Erfahrungen anderer NutzerInnen können in der individuellen Arbeit berücksichtigt werden: Dies erfolgt über mehrere Möglichkeiten (Abbildung 1). a) Mittels Datenanalyse auf Einträge anderer NutzerInnen zuzugreifen Dadurch lassen sich Hinweise generieren wie: „Andere Fachkräfte, die ein Kind mit der Diagnose F83 - kombinierte Entwicklungsstörung - beschrieben, verwendeten diese oder jene ICF-CY- Items“. Diese Darstellungsart entspricht dem Schema der Einbindung von social media-Funktionen als Mehrwert zum bestehenden Service, das bei vielen online-Vergleichs-, Buchungs- und Shoppingplattformen wie z. B. Trip-Advisor eingesetzt wird, um Erfahrungen der „Community of Practice“ nutzen zu können. Auf diese Weise schlägt das elektronische System den NutzerInnen auf Erfahrung basierte Zuordnungen vor. Diese können (im Sinne ökonomischer Vorgangsweise) verwendet werden, müssen jedoch nicht. b) Eigene Schlagwörter kontextsensitiv zu suchen Mussten NutzerInnen bislang auf ihr Wissen bzw. ihre Erfahrung im Umgang mit passenden IC-CY- Items zurückgreifen, wird die neue elektronische Variante über eine Volltext-Suchfunktion verfügen. D. h. geht es bei der Beschreibung eines Kindes z. B. um den Aspekt des „Spielens“, kann dieser Begriff in den ICF-CY-Items gesucht werden und es werden passende Items (die diesen Begriff beinhalten) vorgeschlagen: z. B. d8800. Abb. 1: Struktur des ICF-CY „Practice-Translators“ 167 FI 3/ 2016 Aus der Praxis Zusätzlich lässt sich hier auch wieder die Erfahrung der bisherigen Nutzer integrieren, indem etwa angezeigt wird, welche Codes bei bestehenden Suchbegriffen am häufigsten ausgewählt werden. Vor allem für Sozialpädiatrische Zentren in Deutschland, Italien und in Mazedonien steht dabei die leichte Handhabbarkeit der (bislang als sperrig erlebten) ICF-CY im Vordergrund. Konzeptionell wird die ICF-CY sowohl als gemeinsame Sprache in transdisziplinären Teams als auch als Problemlöseinstrument angesehen. Neben dem „ICF-CY-Practice-Translator“ stehen auch die Aus- und Fortbildung im Bereich ICF-CY im Fokus des Projektes. Trotz Bemühungen der WHO, geeignete Aus- und Fortbildungsinstrumente zu erstellen (die im Bereich der Basisinformationen die ICF-CY betreffend als durchaus praktikabel anzusehen sind), zeigt sich im Bereich der praktischen Nutzung der ICF-CY ein gewisser „Wildwuchs“ an Trainingsangeboten. Durch die Entwicklung entsprechend abgestimmter Fortbildungscurricula (im Projekt repräsentiert durch die VIFF und die Deutsche Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin) soll dabei eine gewisse Standardisierung der Qualität der Fortbildungsangebote (wie in Tabelle 1 als Entwurf beschrieben) erreicht werden. Dabei werden im Projekt selbst online Curricula für die praktische Umsetzung der ICF-CY in Frühförderung und Sozialpädiatrie entwickelt und an gesamteuropäische Konzepte wie z. B. Lernzielorientierung angepasst. Außerdem wird es die Möglichkeit einer Online-TrainerInnenzertifizierung geben. D. h. AusbilderInnen im Bereich ICF-CY werden die Möglichkeit haben, ihre Ausbildungskompetenzen zertifizieren zu lassen. Diese Zertifizierung orientiert sich an Kriterien der WHO, welche Kompetenzen im Bereich der Aus- und Fortbildung in der ICF-CY als notwendig erachtet werden. Die Produkte werden in den einzelnen Partnerstaaten erprobt: Dies betrifft sowohl den „ICF-CY-Practice-Translator“, den interessierte Institutionen (in Deutschland und Österreich) unentgeltlich erproben können, als auch die Online-Zertifizierung für TrainerInnen. Die Produkte des Erasmus+-Projektes werden auch in Übereinstimmung mit der WHO zukünftig frei im Internet verfügbar sein, die (optionale und individuelle) Systemintegration bzw. Schnittstellenimplementierung mit EDV- Systemen von Leistungsträgern (vor allem den ICF-CY-Practice-Translator betreffend) werden individuelle (entgeltliche) Lösungsszenarien erfordern. Im Frühsommer 2018 ist - neben der 5. ICF-CY-AnwenderInnenkonferenz 2017 in Frankfurt/ Main) ein internationaler Workshop zum Thema ICF-CY in Hamburg an der Medicalschool (www.medi calschool-hamburg.de) geplant. Daneben ist uns im Projekt vor allem die Verständlichkeit der ICF- CY sowohl für die Eltern als auch für jugendliche PatientInnen (aus SPZ) bzw. in Richtung Inklusion in den Arbeitsmarkt ein Anliegen. Zurzeit wird dabei gerade an „easy-reading“-(leichter- Falls verfügbar Veröffentlichungen im Bereich ICF-CY n Lebenslauf mit ICF-CY relevanten Informationen n Nachweis über mindestens 2 Jahre Erfahrung in der Verwendung der ICF-CY in relevanten Settings n Verfügbarkeit von Empfehlungen Falls zutreffend Internationale Trainingserfahrungen im Bereich ICF-CY n Pädagogisch-didaktische Erfahrung in der Durchführung von Trainings im Bereich ICF-CY Tab. 1: Diskutierte Kriterien zur Zertifizierung von TrainerInnen im Bereich ICF-CY (Adaptiert nach Martinuzzi, Yokobori, Sykes, Leonardi, Simon, Hong, van Gool, Almborg, Paltaamaa, Veys (Helsinki 2015). 168 FI 3/ 2016 Aus der Praxis lesen)-Varianten für die deutsche Version der ICF- CY gearbeitet. Auch diese - vor allem für die Verständlichkeit für Eltern gedachten Versionen - werden online verfügbar sein und Sie als Fachkräfte werden herzlich eingeladen, diese mit uns zu validieren. Dieses Projekt wurde mit Unterstützung der Europäischen Kommission finanziert. Projekthomepage: www.icfcy-MedUse.eu Ansprechpartnerin an der MSH: Janneke.Brandt@medicalschool-hamburg.de Prof. Dr. Manfred Pretis Professor für Transdisziplinäre Frühförderung Medical School Hamburg manfred.pretis@medicalschool-hamburg.de Am Kaiserkai 1 20457 Hamburg DI Wilhelm Stadler Infosoc Kinkgasse 5 8020 Graz willi.stadler@gmail.com