eJournals Frühförderung interdisziplinär 35/4

Frühförderung interdisziplinär
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0721-9121
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/fi2016.art26d
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2016
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Originalarbeit: Zur sprachspezifischen Förderung von Vorschulkindern am Beispiel der semantisch-lexikalischen Spracherwerbsebene

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Claudia Wahn
Mit dem Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention steht das Bildungssystem in Deutschland vor neuen Herausforderungen (Grohnfeldt/Leonhardt 2012, 121), denn Kinder mit Spracherwerbsstörungen, umschriebenen Sprachentwicklungsstörungen (USES) und Kinder mit einem Risiko dafür lernen heute neben Kindern mit typischem Sprach­erwerbsverlauf. Die erfolgreiche Umsetzung von Inklusion ist u. a. mit der Klärung der Frage verbunden, ob fachspezifisches Wissen und praktisch bewährte Erkenntnisse aus der Sprach­therapie / Logopädie positive Auswirkungen auf Förderung haben können. Dazu wurden unterschiedliche Formate einer sprachspezifischen Förderung für 3 – 5-jährige zweisprachige Kinder entwickelt, als Kurzzeitintervention für den semantisch-lexikalischen Bereich in der Zweitsprache Deutsch durchgeführt und in 16 Förderstudien evaluiert.
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Frühförderung interdisziplinär, 35.-Jg., S.-210 - 223 (2016) DOI 10.2378/ fi2016.art26d © Ernst Reinhardt Verlag 210 ORIGINALARBEIT Zur sprachspezifischen Förderung von Vorschulkindern am Beispiel der semantisch-lexikalischen Spracherwerbsebene Erste Ergebnisse einer Evaluation von Förderformaten als Kurzzeitintervention Claudia Wahn Zusammenfassung: Mit dem Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention steht das Bildungssystem in Deutschland vor neuen Herausforderungen (Grohnfeldt/ Leonhardt 2012, 121), denn Kinder mit Spracherwerbsstörungen, umschriebenen Sprachentwicklungsstörungen (USES) und Kinder mit einem Risiko dafür lernen heute neben Kindern mit typischem Spracherwerbsverlauf. Die erfolgreiche Umsetzung von Inklusion ist u. a. mit der Klärung der Frage verbunden, ob fachspezifisches Wissen und praktisch bewährte Erkenntnisse aus der Sprachtherapie/ Logopädie positive Auswirkungen auf Förderung haben können. Dazu wurden unterschiedliche Formate einer sprachspezifischen Förderung für 3 - 5-jährige zweisprachige Kinder entwickelt, als Kurzzeitintervention für den semantisch-lexikalischen Bereich in der Zweitsprache Deutsch durchgeführt und in 16 Förderstudien evaluiert. Schlüsselwörter: Sprachförderung, sprachspezifische Förderung, semantisch-lexikalische Spracherwerbsebene, Evaluation Specific language intervention for children in preschool considering semanticlexical aspects - first results for the evaluation of short-time interventions Summary: Through the UN Convention on the Rights of Persons with Disabilities there are new challenges for the German educational system (Grohnfeldt/ Leonhardt 2012, 121), especially because of children with Specific Language Impairment (SLI), children at risk and children without SLI learn together in class. To face the challenge of inclusion the question should be answered, whether professional knowledge of Speech and Language Therapy (SLT), e. g. the use of special methods from SLT has positive effects of any kind of speech and language intervention. To give proof different types of interventions for 3 up to 5-year-old bilingual children with a risk of SLI were developed, conducted as short-time intervention in the second language German focusing the semantic-lexical development and evaluated in 16 clinical trials. Keywords: Intervention, specific language intervention, semantic-lexical development, evaluation Einleitung T raditionell werden Aktivitäten der Sprachförderung und Sprachtherapie deutlich voneinander abgegrenzt (Ritterfeld 2012), obwohl es im Alltag häufig zur Vertauschung der Begrifflichkeiten durch alle Bereiche kommt (Iven 2007). Versteht man unter Sprachförderung alle Maßnahmen, die von pädagogischen Fachkräften zur Unterstützung der Sprachentwicklung von Kindern durchgeführt werden (Bunse/ Hoffschildt 2011, 147), wird Sprachtherapie immer auf der Basis einer Diagnose auf der Grundlage von informellen oder normierten Testverfahren durchgeführt. In der Sprachförderung erscheint 211 FI 4/ 2016 Sprachspezifische Förderung von Vorschulkindern die Durchführung von standardisierten Testverfahren jedoch wenig sinnvoll, da es hier um die Einschätzung der Entwicklung auf mehreren Entwicklungsebenen geht. Als Diagnoseinstrumente sind deshalb vor allem Screenings, standardisierte und nicht-standardisierte Beobachtungsverfahren geeignet. Auch erfolgt Sprachförderung in einer Kleingruppe oder Gesamtgruppe (ebd.), während Sprachtherapie am häufigsten in der Einzelsituation stattfindet. Das Ziel von Sprachförderung besteht zudem in der Prävention von Spracherwerbsstörungen (Mannhard 2006) auch unter Berücksichtigung von Zweisprachigkeit, während Sprachtherapie vor allem auf die Behandlung und Rehabilitation von Spracherwerbsstörungen und Sprachbehinderungen gerichtet ist. Auch hinsichtlich der Qualität und Quantität des Interventionsinputs sowie der Interventionsstrategien existieren Unterschiede (Ritterfeld 2012). Einerseits ist der Schwerpunkt ein entwicklungspsychologischer, andererseits bedeutet er Individualisierung (ebd.). Als Folge dieser Unterscheidung fand Sprachförderung in der Vergangenheit vor allem allgemein, eher unspezifisch nach dem Gießkannenprinzip statt und ist seit 1994 förderortunabhängig (KMK 1994). Zeichnet für die Sprachförderung die Bildungspolitik verantwortlich, ist es für die Sprachtherapie das Gesundheitssystem mit seinen Kostenträgern. Mit dem Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention steht das Bildungssystem in Deutschland nun seit einigen Jahren vor neuen Herausforderungen (Grohnfeldt/ Leonhardt 2012, 121). Vor diesem Hintergrund und der Tatsache, dass heute Kinder mit Spracherwerbsstörungen und Kinder mit einem Risiko dafür (z. B. bedingt durch ungünstige Variablen im Kontext einer Zweisprachigkeit) neben Kindern mit typischem Spracherwerbsverlauf in einer Kindergartengruppe zu finden sind, gemeinsam spielen und lernen, stellt sich die Frage, wie zeitgemäß und effektiv eine Trennung zwischen Sprachförderung und Sprachtherapie noch ist. Können nicht fachspezifisches Wissen aus der Sprachtherapie/ Logopädie, wie z. B. die Anwendung sprachspezifischer Methoden positive Auswirkungen auf die Sprachförderung im Kontext von Inklusion haben und so einen sprachspezifischen Förderansatz entstehen lassen? Und kann Sprachförderung nicht auch Sprachtherapie bereichern, z. B. durch Ansätze zur Intervention in Kleingruppen? Aktuelle Ansätze zur Förderung unter besonderer Berücksichtigung der semantisch-lexikalischen Spracherwerbsebene Aktuelle Ansätze zur Förderung und sprachspezifischen Förderung werden in sog. sprachstrukturelle Förderprogramme und ganzheitliche Sprachförderkonzepte unterteilt. Sprachstrukturelle Förderprogramme orientieren sich an der Förderung einer oder mehrerer sprachlicher Ebenen (Bunse/ Hoffschildt 2011, 154). Wortschatz, grammatische Strukturen, Sprachverständnis werden gezielt herausgestellt und zum Gegenstand der sprachspezifischen Förderung gemacht. Diese erfolgt dann nach einem bestimmten zeitlichen Ablaufplan, oft mit vorgegebenem Material (ebd.). Ganzheitliche Sprachförderkonzepte arbeiten dagegen situationsorientiert und haben keine konkreten Inhalte (ebd.). Vielmehr sind dies Rahmenkonzepte, die u. a. auch interkulturelle Aspekte in die Förderung einbeziehen. Eine ganzheitliche Sprachförderung wird zudem in den KiTa-Alltag oder Schulalltag integriert (ebd.). Beispiele für sprachstrukturelle Förderansätze, die sowohl auf zweisprachige Kinder als auch einsprachige Kinder mit sprachlichem Unterstützungsbedarf (Risikokinder im Bereich Sprache) gerichtet sind und auf weitere sprachliche Bereiche außer der Förderung der phonologischen Bewusstheit zielen, liegen nur in geringer Anzahl vor. Dazu zählen vor allem die Förderprogramme „Deutsch für den Schulstart“ (Kaltenbacher 2008), der „Sprachförderkoffer für Kindertagesstätten“ (Walter et al. 2003), „KIKUS“ 212 FI 4/ 2016 Claudia Wahn (Garlin/ Merkle 2007) sowie das „Kon-Lab-Programm“ (Penner 2005, 2008). Zu den ganzheitlichen Förderansätzen, die 3bis 5-jährige Kinder im Fokus haben, zählen „Rucksack Kita“ (Springer-Geldmacher 1999) und „Wir verstehen uns gut. Spielerisch Deutsch lernen“ (Schlösser 2007). Umfassende Evaluationsergebnisse zur Wirksamkeit für alle genannten Förderprogramme liegen bisher nicht vor. Möglichkeiten der Umsetzung: Eine aktuelle Untersuchung In der Sprachtherapie/ Logopädie existiert eine Vielzahl von Methoden zur Behandlung von Störungen und Risiken auf unterschiedlichen Spracherwerbsebenen. Zur Intervention auf der semantisch-lexikalischen Erwerbsebene kann beispielhaft die Methode der semantisch-phonologischen Elaboration genannt werden (u. a. Glück/ Elsing 2014). Das allgemeine Therapieziel beim Einsatz dieser Methode besteht in der Verbesserung der Speicherqualität und Strukturierung von semantisch-lexikalischen Einträgen durch Ausdifferenzierung und die Anwendung von Organisationsprinzipien (z. B. Antonymie [Bedeutungsgegensätzlichkeit], Synonymie [Bedeutungsgleichheit] etc.), des Abrufs und des bewussten Umgangs mit Wörtern sowie mit eigenen Wortgedächtnisleistungen (Strategie). Würde man nun diese Methode auf eine allgemeine Maßnahme zur Sprachförderung übertragen, könnte eine sprachspezifische Fördermaßnahme zur Anwendung in einer Kleingruppe entstehen. Sprachspezifische Strukturen, an denen auf der semantisch-lexikalischen Erwerbsebene bei 3bis 6-jährigen ein- und zweisprachigen Vorschulkindern effektiv gearbeitet werden kann, wurden in früheren Forschungsarbeiten bereits diskutiert (Wahn 2013, 2014). Zu diesen Strukturen gehören vor allem Polyseme (mehrdeutige Wörter), Antonyme in unterschiedlichen Wortklassen (semantisch gegenteilige Wörter) und Assoziationen (semantisch locker gebundene bzw. miteinander vernetzte Wörter). Dies begründet die Auswahl der sprachspezifischen Förderformate für die durchgeführte Untersuchung. Die Fokussierung sprachlicher Strukturen impliziert dabei die Methode der semantisch-phonologischen Elaboration, weniger einen strategietherapeutischen Ansatz. Um diese Methode zudem effektiv auf eine Gruppensituation zu übertragen, kann eine Steigerung der Schwierigkeit der Aufgaben unter semantischen und phonologischen Aspekten in der Gruppe von Woche zu Woche vorgenommen werden. Unter semantischen Aspekten wurden zunächst hochfrequente Wörter aus semantischen Feldern ausgewählt, wie z. B. „arm/ reich“ (Antonymie). Als Rahmen dienten dabei Märchen, wie z. B. „Sterntaler“, in denen die Wörter (je nach Format) vorkamen bzw. die Märchen entsprechend angepasst wurden. Nach der Erarbeitung der sprachlichen Zielstruktur und Festigung mit jedem einzelnen Kind der Fördergruppe (vergleichbar mit der Einzelsituation in einer Therapie) standen vor allem niederfrequente Wörter - wiederum in ein Märchen eingebettet, jedoch von einer Kleingruppe erarbeitet - im Mittelpunkt, wie z. B. „sauber/ schmutzig“ (Antonymie) in „Frau Holle“. Weiterhin wurden v. a. die Wortklassen der Adjektive („faul/ fleißig“ - Frau Holle) und Verben („geben/ nehmen“ - Sterntaler) entsprechend der Spracherwerbsstufen für die semantisch-lexikalische Entwicklung fokussiert. Unter phonologischen Aspekten wurden zunächst phonologisch einfache Wörter für die Fördereinheiten ausgewählt (Einsilber, wie z. B. „arm/ reich“), um nach erfolgreicher Festigung die phonologische Komplexität zu steigern (Zweisilber, wie z. B. „sauber/ schmutzig“). Alle genannten Kriterien flossen in die Elaboration ein. Im Hinblick auf verschiedene Spracherwerbstypen muss zudem herausgestellt werden, dass die Anwendung einer Methode aus der Sprachtherapie generell unabhängig vom 213 FI 4/ 2016 Sprachspezifische Förderung von Vorschulkindern Spracherwerbstyp, jedoch abhängig von der sprachlichen Struktur ist. Heute gilt es als anerkannt, dass sich Spracherwerbsstörungen in zwei oder mehreren Sprachen auswirken (Fabbro 1999). Für Zweisprachigkeit gilt folglich, dass sich die semantisch-lexikalische Intervention hinsichtlich der Methode der semantisch-phonologischen Elaboration nicht grundlegend von der für monolinguale Kinder unterscheidet (Stalder 1996). Entscheidend für den Lernerfolg ist vielmehr, dass Handlungsfähigkeit hergestellt wird und zwar in allen Sprachen. Methode Hypothese Die Übertragung der Methode der semantischphonologischen Elaboration auf eine allgemeine Maßnahme zur Sprachförderung führt zur Entstehung einer sprachspezifischen Fördermaßnahme, die in einer Kleingruppe (Gruppenformat) angewendet werden kann, ohne dass diese weniger effektiv als eine Intervention in der Einzelsituation (Einzelformat) ist. Daraus ergibt sich folgende wissenschaftliche Hypothese: Kinder im Vorschulalter, die mit einer sprachspezifischen Fördermaßnahme und dem Fokus auf Polysemen, Antonymen und Assoziationen gefördert werden, zeigen deutlich höhere Lernzuwächse als altersvergleichbare Kinder, die nur mit der Methode der semantisch-phonologischen Elaboration gefördert werden. Stichprobe Die Stichprobe ist Teil einer Gesamtstichprobe mit N = 76 Interventionsstudien (Fallstudien) und besteht aus 16 Förderstudien (pro Kind eine Förderstudie mit ca. 6 Wochen Dauer), die als Gruppe mit verschiedenen sprachlichen Schwerpunkten (Förderformate) angelegt waren. Dadurch wurde neben dem Vergleich der Kinder innerhalb eines Förderformates zudem ein Vergleich zwischen den Förderformaten möglich (Evaluation der Förderformate). Jedes Förderformat umfasste vier Kinder, wobei es drei Experimentalgruppen und eine Kontrollgruppe gab (s. Tab. 1). Die Kinder der Experimentalgruppe 1 erhielten eine auf Polyseme fokussierte spezifische Sprachförderung (POF) unter Anwendung der semantisch-phonologischen Elaboration. Die Kinder der Experimentalgruppe 2 erhielten eine auf Antonyme fokussierte spezifische Sprachförderung (ANF), die Kinder von Experimentalgruppe 3 eine auf Assoziationen spezialisierte Sprachförderung (ASF) jeweils unter Anwendung der Methode der semantisch-phonologischen Elaboration. Bei den Kindern der Kontrollgruppe kam lediglich die Methode der semantischphonologischen Elaboration zum Einsatz (ELF). Bei der Förderung innerhalb eines Formates wurde darauf geachtet, dass jedes Kind aktiv agierte - sowohl einzeln (z. B. innerhalb der Erklärung und Festigung der jeweiligen sprachlichen Struktur) - als auch in der Gruppe. Die Kinder aller Subgruppen waren zweisprachig N Risikokinder für eine Spracherwerbsstörung + keine zusätzl. Intervention Herkunftssprachen Ø Dauer Sprachkontakt mit der Zielsprache Deutsch Verteilung Mädchen : Jungen Ø Alter 16 ja Türkisch, Russisch, Arabisch mind. 2 Jahre 7 : 9 4; 6 Tab. 1: Zusammensetzung der Gesamtstichprobe (N = 16) 214 FI 4/ 2016 Claudia Wahn und wiesen ein Risiko für eine umschriebene Sprachentwicklungsstörung (USES) bzw. ein Specific Language Impairment (SLI) auf (biSLI-Risikokinder). Da zusätzlich sprachliche Transfereffekte (cross-linguistic transfer) im Rahmen der Gesamtuntersuchung erfasst wurden (bisher unveröffentlichte Teilstudie durchgeführt als Einzelformat) sowie eine Vergleichbarkeit zwischen Einzel- und Gruppenformaten sichergestellt werden sollte, lag der Fokus bei allen Teiluntersuchungen auf zweisprachigen Kindern. Das durchschnittliche Alter der biSLI-Kinder der Gesamtgruppe betrug 4; 6 Jahre, das sich wie folgt darstellte (ø = Altersdurchschnitt): POF ø 4; 8 Jahre, ANF ø 4; 5 Jahre, ASF ø 4; 7 Jahre und ELF ø 4; 4 Jahre. Alle vier Gruppen waren hinsichtlich des Alters also vergleichbar. Um über das Alter hinaus eine Vergleichbarkeit der einzelnen Gruppen zu ermöglichen, erfolgte die Zuweisung der Kinder zu den Gruppen zufällig (Randomisierung). Zudem wurden lediglich die Kinder berücksichtigt, die die festgelegten Kriterien erfüllten. Diese beinhalteten die Altersspanne (3; 0 bis 5; 11 Jahre), den Spracherwerbstyp der Zweisprachigkeit und die Sprachgenese, die durch eine Ausschlussdiagnose als USES bestimmt wurde. Danach werden bei einer umschriebenen Sprachentwicklungsstörung (USES) visuelle, sensorische, emotionale oder neurologische Ursachen ausgeschlossen. Als Ergebnis dieses Prozesses konnten Kinder mit einem Risiko für eine USES bzw. SLI identifiziert werden. Eine Klassifizierung semantisch-lexikalischer Störungen durch eine spezifische Diagnostik fand im Vorfeld - soweit wie für die Zuordnung mit dem Ziel einer sprachspezifischen Förderung erforderlich - statt. Dem Spracherwerbstyp der Zweisprachigkeit wurde dadurch entsprochen, dass zweisprachige Kinder der anteilsmäßig größten Sprachgruppen in Deutschland (Türkisch, Russisch, Arabisch) in die Untersuchung aufgenommen wurden. Alle Kinder erwarben ihre Zweitsprache (Deutsch) sukzessiv; die Erstsprache war demnach die Muttersprache. Leider lag zum Erhebungszeitpunkt der Untersuchung ein Testverfahren, welches das Kontaktalter der Kinder mit Deutsch als Zweitsprache berücksichtigte und Aussagen zum Zweitspracherwerb hinsichtlich einer zweisprachigen Vergleichsgruppe enthielt, wie z. B. LiSe-DaZ (Tracy/ Schulz 2011) nicht vor. In Zusammenarbeit mit dem jeweiligen Kindergarten konnte jedoch Auskunft über die Sprachkontaktdauer gegeben werden. Alle Kinder der einzelnen Gruppen wiesen eine Sprachkontaktdauer mit der Zweitsprache Deutsch von mindestens zwei Jahren auf, was für die Durchführung der Intervention, die in der Zweitsprache stattfand, von Bedeutung war. Kinder, die zeitlich weniger Sprachkontakt mit der deutschen Sprache hatten, wurden nicht in die Gesamtuntersuchung bzw. in keine der Subgruppen einbezogen. Zusätzlich wurden zur Abklärung des Risikos einer SLI in der Muttersprache Diagnostikverfahren, wie z. B. ESGRAF-MK (Motsch 2013, 2011 - damals in einer Arbeitsversion), SCREEMIK-2 (Wagner 2008) hinzugezogen und eine Zuweisung zur Gruppe der Kinder mit biSLI unter Berücksichtigung der grammatischen und phonologischen Fähigkeiten so unterstützt. Die Differenzialdiagnose mit den entsprechenden Kennwerten erfolgte v. a. auf der semantischlexikalischen Ebene (auch unter Einbezug morphosyntaktischer Marker) in einem zweiten Schritt (s. Punkt Material/ Untersuchungsinstrumente), da diese die Ebene der sprachspezifischen Förderung bildete. Eine Untersuchung des Arbeitsgedächtnisses der Kinder oder der Fähigkeit, Pseudowörter nachzusprechen, erfolgte im Hinblick auf die Ebene der sprachspezifischen Förderung ebenfalls nicht, wäre jedoch im Rahmen einer breiter angelegten Studie sinnvoll. Dieses Vorgehen hat Konsequenzen für die Auswertung, da Gruppenunterschiede im Hinblick auf die jeweilige Erstsprache statistisch nicht genau ermittelt werden können. Hier hätte es einer umfangreichen Sprachentwicklungsdiagnostik in der jeweiligen Muttersprache mit entsprechender muttersprachlicher Kompetenz der UntersucherInnen bedurft. Im Idealfall 215 FI 4/ 2016 Sprachspezifische Förderung von Vorschulkindern wären die Kinder der einzelnen Gruppen hinsichtlich des sprachlichen Niveaus der Erstsprache vergleichbar gewesen. Das Problem der Erkennung von bilingualen Kindern mit dem Risiko einer SLI auf der Basis einer verlässlichen Diagnostik wird in der Literatur erst seit Kurzem thematisiert (vgl. u. a. Armon-Lotem et al. 2011). Empfohlen wird dabei ein Vorgehen, das die sprachlichen und nicht-sprachlichen Fähigkeiten des Kindes in beiden Sprachen mithilfe von Diagnostikinstrumenten testet. Dieses Vorgehen setzt jedoch umfangreiche muttersprachliche Kompetenzen von DiagnostikerInnen in der jeweils zu untersuchenden Erstsprache voraus. Material/ Untersuchungsinstrumente Als Untersuchungsinstrument zur Diagnose des Risikos einer SLI mit semantisch-lexikalischer Symptomatik diente die PDSS (Kauschke/ Siegmüller 2010) mit den Subtests WV (Wortverständnis) Nomen, Verben, Adjektive und Präpositionen. In die Förderformate wurden lediglich Kinder mit einem PR < 25 und einem T-Wert < 45 (biSLI-Kinder und Risikokinder) bzw. mit geringen Leistungsrohwerten aufgenommen. Um die Diagnose zusätzlich abzusichern, wurden grundlegende produktive grammatische Fähigkeiten erfasst. Als Untersuchungsinstrument wurde hierfür ESGRAF-R (Motsch 2008) mit den Subtests SVK (prod.), Genus (prod.), Akkusativ produktiv und rezeptiv sowie Dativ produktiv und rezeptiv eingesetzt. Obwohl der Genuserwerb für zweisprachige Kinder nicht aussagekräftig ist, da der korrekte Erwerb rein über Lernen erfolgt, diente die Erfassung im Rahmen der Evaluation als Grundlage für die Entscheidung, ob ein zweisprachiges Kind den Akkusativund/ oder den Dativerwerb aufgrund fehlenden Wissens über das Genus noch nicht beherrschte. Zusätzlich wurde die Subjekt- Verb-Kongruenz produktiv überprüft. Fehlende Kongruenz zählt zu den häufigsten Symptomen einer Grammatikerwerbsstörung (Kannengieser 2012). Da eine SLI zudem immer über eine Ausschlussdiagnostik ermittelt wird, wurde ein sprachfreier Intelligenztest, der SON-R 2 ½ - 7 (Tellegen et al. 2007) mit den Subtests Mosaike und Kategorien durchgeführt. Beide Subtests stehen stellvertretend für die zentralen Skalen im SON-R 2 ½ - 7 (Tellegen et al. 2007): abstraktes Denken sowie räumliches Denken. Um zusätzlich die Effekte (Trainings- und Therapieeffekte) in den einzelnen sprachspezifischen Förderformaten, die in der L2 Deutsch durchgeführt wurden, zu erfassen, wurde eine qualitative Wortliste entwickelt. Diese enthielt 60 polyseme und antonyme Wörter aus den Wortklassen Nomen, Verben und Adjektive. Zur Ermittlung des Trainingseffektes waren 30 Wörter Gegenstand der sprachspezifischen Förderformate, zur Ermittlung des Therapieeffektes wurden die verbleibenden 30 Wörter nicht in die sprachspezifische Förderung eingebracht. Alle Diagnostikverfahren inklusive der qualitativen Wortliste kamen bis auf den SON-R 2 ½ - 7 (Tellegen et al. 2007) und die ESGRAF-R (Motsch 2008) zum Testzeitpunkt 1 (vor der sprachspezifischen Förderung)/ T1 und zu einem Testzeitpunkt 2 (nach der sprachspezifischen Förderung)/ T2 zum Einsatz. Durchführung Testung und Intervention fanden im Rahmen des Gesamtprojektes in Kindergärten in Nordrhein-Westfalen im Zeitraum von Juni 2011 bis Dezember 2013 mit dem schriftlichen Einverständnis der Eltern statt und wurden von angehenden akademischen SprachheilpädagogInnen und SprachheillehrerInnen durchgeführt. Die Durchführenden waren dabei über die Ziele und Ausrichtung der Studie informiert. Die Kurzzeitintervention umfasste 4 Wochen mit 3 sprachspezifischen Fördereinheiten in der L2 Deutsch pro Woche im Umfang von je 20 bis max. 30 Minuten. Vor und nach der Interven- 216 FI 4/ 2016 Claudia Wahn tion fand eine Eingangs- und Abschlussdiagnostik ebenfalls in der L2 Deutsch statt. Die Förderung umfasste pro Kind in einem Förderformat also ca. 6 Wochen. Die Kinder wurden nicht über die Ziele informiert. Ergebnisse Aus den Ergebnissen der PDSS (Kauschke/ Siegmüller 2010) wird für das polysemorientierte Förderformat (POF) deutlich (s. Tab. 2, Tab. 3), dass die durchschnittlichen Lernzuwächse zwischen T1 und T2 in den rezeptiven Subtests 3 % sowie in der qualitativen Wortliste gesamt (QLgesamt) 13 % betragen. Eine Aufsplittung der Ergebnisse der QL ergibt eine durchschnittliche Leistungssteigerung (Trainingseffekt) von 34 % und eine durchschnittliche Leistungssteigerung (Therapieeffekt) von 66 %. Verschlechterungen können in den Subtests Verben und Präpositionen der PDSS (Kauschke/ Siegmüller 2010) für zwei Kinder berichtet werden. Aus den Ergebnissen für das antonymorientierte Förderformat (ANF) wird deutlich (s. Tab. 2, Tab. 3), dass die durchschnittlichen Lernzuwächse zwischen T1 und T2 in den rezeptiven Subtests 7 % sowie in der qualitativen Wortliste gesamt (QL-gesamt) 44 % betragen. Eine Aufsplittung der Ergebnisse der QL ergibt eine durchschnittliche Leistungssteigerung (Trainingseffekt) von 76 % und eine durchschnittliche Leistungssteigerung (Therapieeffekt) von 24 %. Verschlechterungen in den Subtests Nomen und Verben können wiederum für zwei Kinder berichtet werden. Die Ergebnisse für das assoziationsorientierte Förderformat (ASF) zeigen (s. Tab. 2, Tab. 3), dass die durchschnittlichen Lernzuwächse zwischen T1 und T2 in den rezeptiven Subtests 10 % so- Testzeitpunkt PDSS L2 - Deutsch Format Name Alter WV Nomen WV Nomen WV Verben WV Verben WV Adj. WV Adj. WV Präp. WV Präp. T1/ PR T2/ PR T1/ PR T2/ PR T1/ PR T2 / PR T1/ PR T2/ PR POF Kauthar Heider Khadija Mert 5; 1 4; 7 5; 2 4; 11 14 / 5 5 / - 10 / 1 10 / 2 16 / 17 13 / 2 14 / 5 16 / 17 15 / 15 7 / - 14 / 5 8 / - 16 / 25 9 / 2 13 / 4 11 / 0 16 / - 16 / - 17 / - 15 / - 18 / - 17 / - 18 / - 15 / - 3 / 3 5 / 29 5 / - 6 / - 7 / - 5 / 29 6 / - 6 / - ANF Berta Lydia Ali Guda 4; 2 4; 4 5; 2 4; 10 11 / 1 9 / 0 15 / 7 15 / 7 12 / 2 9 / 0 15 / 7 14 / 5 11 / 15 7 / - 11 / 0 14 / 25 10 / 4 11 / 5 17 / 51 16 / 63 6 / - 7 / - 17 / - 14 / - 14 / - 13 / - 14 / - 17 / - 2 / 0 0 / 0 7 / 100 6 / 58 3 / 3 3 / 3 7 / 100 6 / 58 ASF Besian Amirali Anmar Safiya 5; 4 4; 9 4; 0 4; 4 33 / 7 - / - 33 / 7 10 / 1 33 / 7 - / - 22 / 2 - / - 30 / 5 17 / 0 39 / 14 30 / 5 42 / 25 26 / 4 43 / 25 - / - 33 / 8 19 / 4 40 / 17 33 / 8 58 / 100 19 / 4 47 / 25 - / - 27 / 8 - / - 33 / 14 15 / 0 41 / 30 15 / 0 41 / 29 - / - ELF Cinderella Tuana Ali-Can Hiyab 4; 8 4; 11 4; 1 4; 5 13 / 2 11 / 1 - / - 15 / 7 15 / 7 11 / 1 - / - 16 / 17 8 / 0 8 / 0 8 / 1 13 / 14 14 / 25 10 / 4 - / - 18 / 88 9 / - 9 / - 6 / - 13 / - 16 / - 15 / - - / - 19 / - 3 / 3 7 / 100 2 / 3 5 / 0 5 / 29 4 / 14 - / - 7 / 100 Tab. 2: T1- / T2-Diagnostik mit der PDSS (Kauschke/ Siegmüller 2010) - Rohwerte und Prozentränge 217 FI 4/ 2016 Sprachspezifische Förderung von Vorschulkindern wie in der qualitativen Wortliste gesamt (QLgesamt) 31 % betragen. Eine Aufsplittung in Trainings- und Therapieeffekte konnte leider nicht erfolgen, da dies der organisatorische Rahmen der KiTa nicht zuließ. Verschlechterungen können im Subtest Nomen für ein Kind berichtet werden. Aus den Ergebnissen für das semantisch-phonologische Elaborationsförderformat (ELF) wird deutlich (s. Tab. 2, Tab. 3), dass die durchschnittlichen Lernzuwächse zwischen T1 und T2 in den rezeptiven Subtests 10 % sowie in der qualitativen Wortliste gesamt (QL-gesamt) 31 % betragen. Eine Aufsplittung der Ergebnisse der QL ergibt eine durchschnittliche Leistungssteigerung (Trainingseffekt) von 44 % und eine durchschnittliche Leistungssteigerung (Therapieeffekt) von 56 %. Verschlechterungen können im Subtest Präpositionen für ein Kind berichtet werden. Die Ergebnisse der Gruppen für die Subtests des sprachfreien Intelligenztests SON-R 2 ½ - 7 (Tellegen et al. 2007) finden sich in Tabelle 4. Eine nonparametrische Auswertung der Ergebnisse aller Subtests fand nicht statt, da in einem ersten Schritt die Daten zunächst rein deskriptiv beschrieben werden sollten. Die Prüfung auf Normalverteilung der Daten war positiv. Test Qualitative Wortliste ESGRAF-R in % Subtest QL - gesamt QL - Trainingseffekt QL -Therapieeffekt SVK prod. Genus prod. Akkusativ prod./ rez. Dativ prod./ rez. Testzeitpunkt T1 T2 T2 T2 T1 T1 T1 T1 Format Name Alter POF Kauthar Heider Khadija Mert 5; 1 4; 7 5; 2 4; 11 19 14 18 16 19 18 21 19 6 7 7 6 13 11 14 13 100 60 100 100 - 0 - - 100 / 100 0 / 20 33,3 / 100 0 / 80 0 / 100 0 / 80 33,3 / 100 33,3 / 60 ANF Berta Lydia Ali Guda 4; 2 4; 4 5; 2 4; 10 12 7 8 11 15 15 19 20 11 13 14 14 4 2 5 6 0 100 100 100 0 - 75 0 0 / 40 - / - - / 20 0 / 60 0 / 80 - / - 37,6 / 60 0 / 40 ASF Besian Amirali Anmar Safiya 5; 4 4; 9 4; 0 4; 4 22 18 16 19 23 20 23 99 - - - - - - - - - - - - 50 - 31,3 56,3 - / 20 - / - - / 60 - / - - / 80 - / - - / 20 - / - ELF Cinderella Tuana Ali-Can Hiyab 4; 8 4; 11 4; 1 4; 5 43 34 - 56 77 67 - 79 33 30 - 35 44 37 - 44 100 57 40 83 - - - - - / 60 - / 60 - / - - / 0 - / 40 - / 60 - / - - / 0 Tab. 3: T1- / T2-Diagnostik der qualitativen Wortliste mit Trainings- und Therapieeffekten sowie der T1-Diagnostik der ESGRAF-R (Motsch 2008) - Rohwerte 218 FI 4/ 2016 Claudia Wahn Evaluation der Förderformate Vergleicht man die Kinder aller Gruppenformate, wobei die Kinder in der Gruppe, die das semantisch-phonologische Elaborationsförderformat erhielten, als Vergleichsgruppe herangezogen werden sollen (keine sprachspezifische bzw. zusätzlich sprachstrukturelle Förderung, sondern lediglich Anwendung der semantisch-phonologischen Elaboration als Methode), ergibt sich folgendes Bild: Der durchschnittliche prozentuale Wert (gerundet) im jeweiligen Förderformat aus der PDSS (Kauschke/ Siegmüller 2010) und aus der Qualitativen Wortliste/ QL (Therapieeffekt) lässt sich über alle Kinder für das polysemorientierte Förderformat mit 36 %, für das antonymorientierte Format mit 16 %, für das assoziationsorientierte Format mit 11 % und für das semantischphonologisch orientierte Format mit 28 % angeben (s. Tab. 5; vgl. Meyerhoff 2013; Schwahn 2013; Schellberg 2012; Schoenmakers 2012). Die Kinder, die das polysemorientierte Förderformat erhielten, profitierten demnach am stärksten von der sprachspezifischen Förderung, gefolgt von den Kindern, die lediglich die semantisch-phonologische Elaboration als Methode erhielten, gefolgt vom antonymorientierten sprachspezifischen Förderformat. Das Schlusslicht bildete das assoziationsorientierte Format. Vergleicht man die Ergebnisse der Gruppenformate (ebd.) mit denen der Einzelsituation im jeweiligen Format (vgl. Dembski/ Sander 2013; Lothmann 2012; Westhoff 2013) hinsichtlich der prozentualen Zuwächse in der PDSS (Kauschke/ Siegmüller 2010) und in der QL (Therapie- Testzeitpunkt SON-R 2 ½ - 7 Format Name Alter Mosaike Kategorien T1 Ref.-alter SW T1 Ref.-alter SW POF Kauthar Heider Khadija Mert 5; 1 4; 7 5; 2 4; 11 9 8 5 8 5; 2 4; 7 3; 7 4; 7 10 10 2 9 13 6 8 8 7; 5 3; 8 4; 7 4; 7 16 7 8 9 ANF Berta Lydia Ali Guda 4; 2 4; 4 5; 2 4; 10 6 8 10 9 3; 8 4; 4 5; 7 4; 11 7 10 11 10 4 7 13 9 2; 11 4; 0 7; 11 4; 11 5 9 16 10 ASF Besian Amirali Anmar Safiya 5; 4 4; 9 4; 0 4; 4 10 9 7 7 5; 7 4; 11 3; 11 3; 11 11 11 10 8 8 11 6 11 4; 6 6; 2 3; 8 6; 2 7 14 9 16 ELF Cinderella Tuana Ali-Can Hiyab 4; 8 4; 11 4; 1 4; 5 5 9 7 7 3; 5 4; 11 3; 11 3; 11 5 11 12 10 8 8 8 10 4; 6 4; 6 4; 6 5; 6 10 9 13 15 Tab. 4: T1-Diagnostik mit dem SON-R 2 ½ -7 (Tellegen et al. 2007) - Rohwerte der Eingangsdiagnostik 219 FI 4/ 2016 Sprachspezifische Förderung von Vorschulkindern effekt), zeigt sich, dass die Kinder im polysemorientierten Einzelformat am stärksten von der Intervention profitierten, gefolgt von den Kindern im antonymorientierten Einzelformat, assoziationsorientierten Einzelformat und schließlich von den Kindern, die lediglich mit der Methode der semantisch-phonologischen Elaboration gefördert wurden (s. Tab. 6). Die Einzelformate waren analog den Gruppenformaten aufgebaut und wurden mit einer analogenMethodik(Stichprobenzusammensetzung, Untersuchungsinstrumente etc.) durchgeführt. Die Evaluation der Einzelformate soll an dieser Stelle jedoch nicht weiter ausgeführt werden, da dies den Rahmen sprengen würde (vgl. Dembski/ Sander 2013; Lothmann 2012; Westhoff 2013). Förderformat / Kind / Alter %uale Zuwächse (gerundet) im jeweiligen Förderformat PDSS (rezeptiv) %uale Zuwächse (gerundet) im jeweiligen Förderformat QL - Therapieeffekt durchschnittlicher %-Wert (gerundet) im jeweiligen Förderformat aus PDSS (rezeptiv) + QL (Therapieeffekt) - alle Kinder im jeweiligen Format durchschnittlicher %-Wert der Förderformate im Vergleich Format Name Alter POF Kauthar Heider Khadija Mert 5; 1 4; 7 5; 2 4; 11 6 1 1 15 68 61 67 68 36 POF vs. ANF: 36 vs. 16 POF vs. ASF: 36 vs. 11 POF vs. ELF: 36 vs. 28 ANF Berta Lydia Ali Guda 4; 2 4; 4 5; 2 4; 10 -2 3 17 12 27 13 26 30 16 ANF vs. POF: 16 vs. 36 ANF vs. ASF: 16 vs. 11 ANF vs. ELF: 16 vs. 28 ASF Besian Amirali Anmar Safiya 5; 4 4; 9 4; 0 4; 4 34 1 7 0 - - - - 11 ASF vs. POF: 11 vs. 36 ASF vs. ANF: 11 vs. 16 ASF vs. ELF: 11 vs. 28 ELF Cinderella Tuana Ali-Can Hiyab 4; 8 4; 11 4; 1 4; 5 19 -82 0 61 57 55 - 56 28 ELF vs. POF: 28 vs. 36 ELF vs. ANF: 28 vs. 16 ELF vs. ASF: 28 vs. 11 Tab. 5: Vergleich der Förderformate POF, ANF, ASF und ELF - durchschnittliche prozentuale Lernzuwächse zwischen T1- und T2-Diagnostik aus PDSS (rezeptiv) und QL (Therapieeffekt) für alle Kinder im jeweiligen Gruppenformat 220 FI 4/ 2016 Claudia Wahn Diskussion Die Ergebnisse der vergleichenden 16 Förderstudien belegen, dass die Hypothese nicht vollumfänglich bestätigt werden kann. Die Kinder der Experimentalgruppen, die eine sprachspezifische Fördermaßnahme mit dem Fokus auf Polysemen, Antonymen und Assoziationen erhielten, zeigen nicht konsequent höhere Lernzuwächse gegenüber den Kindern der Kontrollgruppe. Zwar profitieren die Kinder, die das polysemorientierte Förderformat erhielten, am stärksten, gefolgt von den Kindern, die lediglich die semantisch-phonologische Elaboration als Methode erhielten, gefolgt vom antonymorientierten sprachspezifischen Förderformat und schließlich vom assoziationsorientierten Format, jedoch wirkt sich die Vermittlung sprachstruktureller Merkmale nicht im erwarteten Umfang in der L2 Deutsch aus. Die ermittelten Ergebnisse stehen dabei teilweise im Widerspruch zu den Ergebnissen der Einzelförderung Test PDSS L2 - Deutsch Qualitative Wortliste Subtest rezeptiv (alle Subtests) rezeptiv (alle Subtests) QL - gesamt QL - Trainingseffekt QL - Therapieeffekt Testzeitpunkt T1 - T2 (Diff. RW Ø) T1 - T2 (Diff. PR Ø) T1 T2 T1 T2 T1 T2 Format Name Alter POF Selcuk Deniz Tuncay Elifnaz Mustafa 5; 0 5; 5 4; 10 4; 7 4; 8 2 2 1 2 1 11 1 0 21 24 19 18 16 13 18 21 20 20 20 19 6 7 5 4 6 7 7 6 7 7 13 11 11 9 12 14 13 14 13 12 ANF Eray Ece Sila Samet Dervis 6; 1 4; 2 4; 6 4; 10 3; 7 6 2 -1 2 1 -6 6 0 -1 -4 8 12 7 - - 18 15 17 9 11 5 9 5 - - 14 11 13 7 9 3 3 2 - - 4 4 4 2 2 ASF Sudenaz Mustafa Muhammed E. Efekan Bedia 3; 2 4; 6 4; 10 5; 7 5; 6 2 3 5 0 -7 13 24 11 5 -6 8 12 7 16 15 11 19 11 20 19 5 7 3 9 9 7 13 8 13 13 3 5 4 7 6 4 6 7 7 6 ELF Ersin Barlas Zeynep Egehan Berkay 4; 7 4; 6 3; 10 5; 3 4; 6 0 3 0 2 6 0 17 0 13 33 8 14 0 10 12 19 24 3 17 17 1 2 0 1 2 7 8 2 6 6 7 12 0 9 10 12 16 1 11 11 Tab. 6: T1- / T2-Diagnostik mit der PDSS (Kauschke/ Siegmüller 2010) und der qualitativen Wortliste mit Trainings- und Therapieeffekten - Einzelformat 221 FI 4/ 2016 Sprachspezifische Förderung von Vorschulkindern (s. Tab. 6), wobei die Vergleichbarkeit beider Formate hinsichtlich der Anzahl der geförderten Kinder kritisch bewertet werden muss. Diese ist insgesamt recht klein, was v. a. dem zeitlichen Aufwand der Durchführung geschuldet ist. Hauptresultat der Ergebnisse der Einzelsituationen ist, dass die Kinder des polysemorientierten Förderformates am stärksten profitierten, gefolgt von der antonym- und assoziationsorientierten Förderung. Das Schlusslicht bildet die Gruppe, die lediglich die semantisch-phonologische Elaboration als Methode erhielt. Diese Gruppe zeigt ebenfalls Lernzuwächse, jedoch am geringsten ausgeprägt (s. Tab. 6). Wie lassen sich die Ergebnisse erklären? Zunächst kann festgestellt werden, dass nicht alle zweisprachigen Kinder vom Angebot sprachstruktureller Merkmale in der Zweitsprache Deutsch zu profitieren scheinen, obwohl ein vergleichbarer Sprachkontakt mit der Zweitsprache vorlag (s. Punkt Stichprobe). Dieses Ergebnis spricht gegen die Ergebnisse vorliegender Studien und Auffassungen (u. a. Polotzek et al. 2015; Ritterfeld 2012; Wahn 2013, 2014). An dieser Stelle muss also die Frage formuliert werden: Welche Kinder profitieren von welchem Förderformat semantisch-lexikalisch und welche diagnostischen Instrumente zur Erfassung der Fähigkeiten auf der semantisch-lexikalischen Ebene könnten eingesetzt werden, um eine sichere Zuordnung i. S. einer effektiven und effizienten Förderung auf der semantisch-lexikalischen Spracherwerbsebene zu gewährleisten? Die Frage des geeigneten Förderformates muss dabei vor allem auf der Basis von Spracherwerbsmodellen beantwortet werden, die den Erst- und Zweitspracherwerb als Prozess der Annäherung der Herkunftssprache an die Zielsprache verstehen sowie die sprachlichen Zwischenzustände (Interimsprache) genau beschreiben und analysieren. Auch scheint das Gruppenformat ungünstiger für die Vermittlung sprachspezifischer Strukturen. Eine Verbesserung der Adressierung wäre eine mögliche Konsequenz. Diese könnte dadurch erreicht werden, dass bei jedem Kind der Kleingruppe eine Überprüfung der erarbeiteten Zielstruktur jeweils zeitnah und kleinschrittig, z. B. am Stundenende erfolgt. Darüber hinaus muss der Einsatz der Diagnoseinstrumente in der L2 Deutsch zur Absicherung des Risikos einer SLI unter Berücksichtigung von Zweisprachigkeit kritisch bewertet werden. Alternative Testinstrumente, die neben der Störungsgenese auch den Spracherwerbstyp berücksichtigen, lagen zum Erhebungszeitpunkt nicht vor. Ähnlich kritisch sind die Ergebnisse des SON-R 2 ½ - 7 (Tellegen et al. 2007) zu hinterfragen. Auffällig ist, dass die in den Subtests erzielten Punktwerte für einige Kinder insgesamt niedrig ausgefallen sind, wodurch sich ein kleineres Referenzalter abbildet. Als Erklärung dafür kann angeführt werden, dass vermutlich die Aufgabenstellung nur bedingt nachvollzogen werden konnte. Um die aufgezeigten Problemlagen aufklären zu können, bedarf es dringend weiterer Forschung. Interessant wäre unter anderem der Vergleich zwischen Kindern mit allgemeiner Sprachförderung und sprachspezifischer Förderung. Folgerungen Auch wenn gilt, dass Sprachfördermaßnahmen keinen Ersatz für Sprachtherapie darstellen (Bunse/ Hoffschildt 2011, 155), kann als erste Folgerung aus den vorliegenden Ergebnissen zu den Förderstudien abgeleitet werden, dass sprachspezifische Fördermaßnahmen durchgeführt mit Methoden aus der Sprachtherapie/ Logopädie durchaus dazu beitragen könnten, Risiken für Spracherwerbsstörungen zu reduzieren. Im Hinblick auf die Herausforderung, die Unterricht, Förderung und Therapie in inklusiven Kontexten bedeutet, scheinen Förderformate, die auf die Vermittlung sprachlicher Merkmale abzielen und mit Methoden aus der Sprachtherapie/ Logopädie kombiniert werden, eine mögliche Form der Unterstützung zur Bewältigung dieser anspruchsvollen Herausforderung zu bieten. 222 FI 4/ 2016 Claudia Wahn Prof. Dr. Claudia Wahn SRH Hochschule für Gesundheit Gera Neue Straße 28 - 30 07548 Gera Literatur Armon-Lotem, S., Gagarina, N., Walters, J. (2011): The impact of internal and external factors on linguistic performance in the home language and in L2 among Russian-Hebrew and Russian-German preschool children. Linguistic Approaches to Bilingualism, 1 (3), 291 - 317, http: / / dx.doi.org/ 10.1075/ lab.1.3.04arm Bunse, S., Hoffschildt, C. (2011): Sprachentwicklung und Sprachförderung im Elementarbereich. Olzog Verlag GmbH, München Dembski, N., Sander, S. 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Unveröffentlichte Bachelorarbeit, Humanwissenschaftliche Fakultät, Universität zu Köln