eJournals Frühförderung interdisziplinär 36/4

Frühförderung interdisziplinär
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0721-9121
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2017
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Rezension: Renate Monika Häußner, 2016 Elternberatung im heilpädagogisch-inklusiven Kontext - unter Berücksichtigung der kindlichen Entwicklung im Rahmen von Frühförderung und Eingliederungshilfe

101
2017
Jens Vandré
Bei der Publikation handelt es sich um eine Abschlussarbeit des Studiums der Heilpädagogik / Inclusion Studies der Fakultät der Sozialwissenschaften an der Hochschule Zittau / Görlitz. Der Aufbau ist zweiteilig. Der Hauptteil umfasst 37 Seiten, der zweite Teil, der Beratungsleitfaden, 13. Im Hauptteil werden Qualitätskriterien für den Beratungsleitfaden erarbeitet. Das ist ein ansprechendes handliches Format. Die Veröffentlichung ist mit dem Förderpreis für herausragende Abschlussarbeiten von Absolventinnen und Absolventen heilpädagogischer Ausbildungsstätten ausgezeichnet worden. Der Preis wird durch den Förderverein des Internationalen Archivs für Heilpädagogik e. V. und den Berufs- und Fachverband für Heilpädagogik (BHP) e. V. vergeben. […]
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239 FI 4/ 2017 Rezensionen Renate Monika Häußner, 2016 Elternberatung im heilpädagogisch-inklusiven Kontext - unter Berücksichtigung der kindlichen Entwicklung im Rahmen von Frühförderung und Eingliederungshilfe - mit Beratungsleitfaden Berlin: BHP Verlag, 62 S., ISBN 978-3-942484-24-4 Bei der Publikation handelt es sich um eine Abschlussarbeit des Studiums der Heilpädagogik/ Inclusion Studies der Fakultät der Sozialwissenschaften an der Hochschule Zittau/ Görlitz. Der Aufbau ist zweiteilig. Der Hauptteil umfasst 37 Seiten, der zweite Teil, der Beratungsleitfaden, 13. Im Hauptteil werden Qualitätskriterien für den Beratungsleitfaden erarbeitet. Das ist ein ansprechendes handliches Format. Die Veröffentlichung ist mit dem Förderpreis für herausragende Abschlussarbeiten von Absolventinnen und Absolventen heilpädagogischer Ausbildungsstätten ausgezeichnet worden. Der Preis wird durch den Förderverein des Internationalen Archivs für Heilpädagogik e.V. und den Berufs- und Fachverband für Heilpädagogik (BHP) e.V. vergeben. Es handelt sich um eine ambitionierte Arbeit, die mit der Vorstellung einer Auswahl von heilpädagogischen und psychologischen Entwicklungstheorien beginnt, die Arbeitsfelder von Frühförderung und Eingliederungshilfe beschreibt, nach Giesecke 1 Beratung als eine von 5 Grundformen pädagogischen Handelns (Unterrichten, Informieren, Beraten, Arrangieren und Animieren) bestimmt. Mit dieser Herleitung wird begründet, wieso es sinnvoll ist, einen Beratungsleitfaden für die heilpädagogische Entwicklungsförderung zu erstellen. Die Autorin geht sehr sorgfältig vor. Sie charakterisiert die Beratungssituation als sensible, die Einfühlungsvermögen des Beraters erfordert. Auf der anderen Seite wird Beratung als Teil eines „multidisziplinären Problemlösungsprozesses“ bezeichnet. Weiter führt die Autorin aus, dass es sich dabei um einen dialogisch kooperativen Prozess handelt, in welchem in komplexen sich wandelnden Lebensbedingungen gemeinsam neue Zielperspektiven gewonnen werden können. Doch gibt es nun einen Leitfaden im Sinne eines ultimativen Rezeptes, das einen Erfolg garantieren könnte? Die Autorin verneint dies und konstatiert, es kann nicht das Ziel eines Leitfadens sein, die Beratungsperspektive in einer Handlungsvorschrift zu determinieren. Sie unterscheidet mögliche Beratungsperspektiven als system-, kontext-, ressourcen- und Netzwerk-orientiert 2 . Mit Ellinger 3 zählt sie folgende Beratungskonzepte in pädagogischen Handlungsfeldern auf: Klienten zentrierte Beratung, Systemische Beratung, Kooperative Beratung, Lösungsorientierte Beratung, Kontradiktische Beratung. Sie beschreibt das Beratungsgespräch als Prozess mit einem charakteristischen Verlauf und erwägt mögliche Ergebnisse. Soweit hat sie die Grundlagen für die Erstellung eines Beratungsleitfadens umfassend und eingehend erarbeitet. Der Leitfaden ist dann kurz, prägnant und lesenswert. Er soll hier nicht referiert werden. Es soll lediglich auf den wichtigen Punkt verwiesen werden, dass die Autorin richtigerweise hervorhebt, in welcher Perspektive das Kind einzubeziehen ist, nämlich als aktives, seine Perspektive selbst kreierendes. „Indem das Kind sich in Beziehung setzen und aktiv werden kann, realisiert es seine Beziehungen zu je anderen Menschen und über diese je anderen Menschen realisiert es seine Beziehung zu den Dingen.“ (S. 52) Hiermit zeigt die Autorin, dass ihre Perspektive auch in der praktischen Arbeit mit Kindern wurzelt. 1 Hermann Giesecke, 2007: Grundformen pädagogischen Handelns. Weinheim u. München: Juventa Verlag 2 Engel & Sieckendiek, 2004. In: Krüger, H.-H., Grunert, C., Hrsg.: Wörterbuch Erziehungswissenschaft. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 3 Ellinger, S. 2013. http: / / www.kontradiktische-beratung.de 240 FI 4/ 2017 Rezensionen Zusammengefasst handelt es sich bei der Erarbeitung des Leitfadens um einen engagierten und inspirierten Text, mit dem sinnvoll die eigene Eltern-Arbeit im Feld der Frühförderung reflektiert werden kann. Aus Sicht der interdisziplinären Frühförderung ist Punkt „3.3. Worin unterscheidet sich pädagogische von psychologischer Beratung? “ der Broschüre inhaltlich problematisch. Es wird zunächst hervorgehoben, dass die heilkundliche Psychotherapie im Unterschied zur psychologischen Beratung als Intervention dann zulässig sei, wenn eine Erkrankung nach ICD 10 vorliege. Es wird konstatiert, dass die Arbeitsfelder der Psychotherapie und der psychologischen Beratung „sich auf Erkenntnisse einer allgemeinen bzw. wissenschaftlichen Psychologie stützen - einer tendenziell pathologisch bzw. Defizit orientierten reduktionistischen Sichtweise auf den Menschen und seiner konkreten Lebenssituation“ beziehen (S. 27). Dagegen sei der Mensch vielmehr als bio-psycho-soziale Einheit zu sehen, es sei „wichtig, das Beziehungsgefüge des betreffenden, Rat suchenden Menschen in den Mittelpunkt der Beratung zu rücken. Hierbei geht es um Rekonstruktion der vielfältigen Vernetzung von Mensch und Welt.“ Dies sei die Perspektive pädagogischer Beratung, die sich durch einen humanwissenschaftlichen Zugang kennzeichne. Eigentlich gibt es einen Paradigmenwechsel innerhalb der Politik der WHO, die zunächst die weltweite Anwendung des ICD 10 verbindlich machte, inzwischen aber dafür eintritt durch Empfehlung der ICF die Perspektive auf den Menschen als bio-psycho-soziales Wesen in der Arbeit mit Menschen mit Behinderungen und Funktionseinschränkungen anzuwenden. Die Gegenüberstellung von „defizitorientierter Psychologie“ und „humanwissenschaftlicher Pädagogik“ ist also eine Verschiebung dieses Paradigmenwechsels der WHO auf eine Gegenüberstellung zwischen Psychologie und Pädagogik. In der Pauschalität bedeutet diese Gegenüberstellung ein Urteil und eine praktische Haltung, welche sich gegen Interdisziplinarität aussprechen. Sachliche konkrete Auseinandersetzungen in der Fallarbeit zu führen, wie es die ICF fordert, wird durch diese Sichtweise nicht gefördert. Jens Vandré DOI 10.2378/ fi2017.art24d