Frühförderung interdisziplinär
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0721-9121
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2018
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Rezension: Laura Ruben, Constanze Wittich: "Therapie Myofunktioneller Störungen (MyoMot) - Ein ganzheitliches Konzept mit 6 Bausteinen" Mit einem Anamnese- und Befundbogen und weiteren Kopiervorlagen
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2018
Dana-Kristin Marks
Laura Ruben, Constanze Wittich „Therapie Myofunktioneller Störungen (MyoMot) – Ein ganzheitliches Konzept mit 6 Bausteinen“ Mit einem Anamnese- und Befundbogen und weiteren Kopiervorlagen als Online-Materialien. München (Ernst Reinhardt Verlag) 2017. 148 Seiten. € 24,90
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109 FI 2/ 2018 REZENSIONEN Laura Ruben, Constanze Wittich „Therapie Myofunktioneller Störungen (MyoMot) - Ein ganzheitliches Konzept mit 6 Bausteinen“ Mit einem Anamnese- und Befundbogen und weiteren Kopiervorlagen als Online- Materialien. München (Ernst Reinhardt Verlag) 2017. 148 Seiten. € 24,90 Die Myofunktionelle Therapie scheint im sprachtherapeutischen Alltag oft eine mühselige Angelegenheit zu sein. Isolierte mundmotorische Übungen werden als nicht ausreichend und wenig lustvoll für Patient und Therapeut erlebt. Hier setzt das praxisorientierte Werk von Laura Ruben und Constanze Wittich an: Die Autorinnen plädieren in ihrem ganzheitlich ausgerichteten Therapieansatz zur Behandlung von orofazialen Muskelfunktionsstörungen dafür, verstärkt Wahrnehmungs- und Ganzkörperübungen in die therapeutische Arbeit einzubeziehen. Angekündigt wurde die Konzeption eines solchen Ansatzes bereits 2014 in ihrem Artikel „Evidenzbasierte Behandlung Myofunktioneller Störungen - Eine Typologisierung bestehender Therapiekonzepte im Kindesalter“ (Forum Logopädie, Heft 1 (28), S. 22 - 29). Ruben und Wittich (2014) gingen in diesem Artikel auf unterschiedliche Symptomkomplexe bei Myofunktionellen Störungen ein, und verdeutlichten, dass Patienten neben einem eher „klassischen“ Symptomkomplex (Artikulationsstörung, Dysgnathien, Zungenfehlfunktion, Orale Habits, offene Mundhaltung) eben auch häufig Auffälligkeiten in den Bereichen Feinmotorik, Konzentration, Gleichgewicht, Tonusregulation, Wahrnehmung sowie frühkindlichen Reflexen (in Form eines Persistierens dieser) zeigen. Auf der Basis ihrer Übersichtsarbeit kamen sie zu dem Schluss, dass bestehende Therapiekonzepte diese Bereiche nicht in ausreichendem Maße berücksichtigen und daher modifizierte Ansätze notwendig seien. Im Zentrum des 2017 erschienenen Praxisbuches steht nun genau dieses angekündigte ganzheitlich orientierte Therapiekonzept für Kinder ab dem 4. Lebensjahr. Das Buch umfasst schwerpunktmäßig eine Übungssammlung zu den sechs, im MyoMot- Konzept als relevant erachteten Therapiebausteinen (Kapitel 6, S. 66 - 134). Bevor diese vorgestellt wird, wird zunächst einleitend das Störungsbild beschrieben (Kapitel 1, S. 10 - 13), Grundsätzliches zur Therapie bei Myofunktionellen Störungen (Kapitel 2, S. 14) aufgeführt, in die theoretischen Grundlagen zu den Therapiebereichen eingeführt (Kapitel 3, S. 15 - 44), die Zielsetzung und organisatorischen Elemente zur praktischen Umsetzung und zum Therapieaufbau erläutert (Kapitel 4, S. 45 - 48) sowie Empfehlungen zur Anamnese- und Befunderhebung gegeben (Kapitel 5, S. 49 - 65), die auf das weitere therapeutische Vorgehen in MyoMot abgestimmt sind. Das Buch schließt mit einem kurzen Einblick in vorgesehene Elemente der Eltern- und Transferarbeit (Kapitel 7, S. 135 - 139). Im Anhang des Buches befindet sich auf drei Seiten eine tabellarische Übersicht über die für die Durchführung der Übungen notwendigen Materialien. Zudem sind der Anamnese- und Befundbogen sowie weitere Kopiervorlagen als Online-Materialien verfügbar. Gleich zu Beginn des Buches wird die erwähnte Schwerpunktsetzung der Autorinnen (Darstellung der Übungssammlung) sehr deutlich. Der inhaltliche Einstieg zum Störungsbild Myofunktioneller Störungen, mit einer Auflistung möglicher Ursachen und Zusammenhänge sowie der Einteilung in die bereits erwähnten Symptomkomplexe (Kapitel 1) ist mit vier Seiten sehr kurz gehalten und kann daher nur als Überblick dienen. Der Sinn des zweiten Kapitels mit einem Umfang von einer Seite erschließt sich dem Leser eher in eingeschränktem Maße. Es werden unterschiedliche Autoren angeführt, die die Notwendigkeit einer 110 FI 2/ 2018 Rezensionen Kombination von Übungen zu den orofazialen Muskelgruppen und ganzkörperlichen Aspekten unterstreichen. Daraus schlussfolgernd werden dann in Kapitel 3 sechs Therapiebereiche bzw. -bausteine vorgestellt und deren Einbezug theoretisch begründet: 1. „Wahrnehmung“, 2. „Reflexe“, 3. „Tonus und Haltung“, 4. „Gleichgewicht“, 5. „Bewegung“ und 6. „Mundfunktion“. So werden für den Therapiebaustein „Wahrnehmung“ zum Beispiel unterschiedliche Wahrnehmungsbereiche nach Ayres (2002) und insbesondere die taktil-kinästhetische Wahrnehmungsentwicklung aufgegriffen und Zusammenhänge zur Entwicklung der Mundraumsensibilität aufgezeigt. Des Weiteren erhält der Leser einen Überblick über frühkindliche Reflexe, deren Integration im unauffälligen Entwicklungsverlauf sowie die Auswirkungen und Anzeichen persistierender frühkindlicher Reflexe. Die Ausführungen werden mit Bildern zur besseren Nachvollziehbarkeit veranschaulicht. Dennoch stellen die Erläuterungen insbesondere dieser beiden Therapiebereiche eher eine kurze Zusammenfassung dar, sodass eine weiterführende Auseinandersetzung mit diesen Bereichen nach wie vor notwendig erscheint, will man diese Bereiche angemessen und mit einem tiefergehenden Verständnis in die Therapie integrieren. In Kapitel 4 wird das Anliegen der Autorinnen noch einmal konkretisiert: Ruben und Wittich geben an, sich von reinen Mundfunktionsprogrammen wie dem „Funktionellen Mundprogramm“ von Schuster (2011) oder der „Neurofunktions! therapie“ von Rogge (2014) abzugrenzen und gewichten senso- und neuromotorische Therapieelemente stärker. Dabei wird insbesondere mit Kontrasten gearbeitet, durch die das Kind in der Selbsterfahrung erkennen soll, welchen Einfluss zum Beispiel kleine Veränderungen in der Haltung auf die Bewegungsqualität der Zunge haben. „Vorher-Nachher“-Betrachtungen gemeinsam mit dem Therapeuten nach durchgeführten Übungen nehmen so konsequenterweise einen hohen Stellenwert ein, was den Transfer sichern soll. Diese Anregung zur Selbstreflexion wird sicherlich stärker als in anderen Konzepten hervorgehoben und entspricht aktuellen Bestrebungen in der Kindersprachtherapie in Richtung eines selbstregulierten Lernens. Die Therapie soll darüber hinaus ritualisiert aufgebaut sein und mit einer Vorübung zur Verbesserung des Körperbewusstseins und damit als Einstimmung auf die Therapie beginnen (Beispiele in der Übungssammlung) und der Besprechung von häuslichen Übungen (Wochenplan) enden. Je nach Diagnostikergebnis sollen dann Übungen aus den sechs Therapiebausteinen angeboten werden. Einen Überblick über den Aufbau der Übungssammlung erhält der Leser an dieser Stelle ebenfalls. Dies ist aufgrund der Tatsache, dass unmittelbar im Anschluss zunächst das Kapitel zur Anamnese- und Befunderhebung folgt, etwas verwirrend. Ähnlich verhält es sich mit der Tatsache, dass die Autorinnen hier bereits zahlreiche Beispielübungen benennen („Rakete“, „Bildhauer“, „Regenwurm“, „Wasserträger“, „Zwergenhaltung“), ohne diese weiter zu erläutern. Das Kapitel 5 enthält wie bereits angedeutet den von Ruben und Wittich konzipierten übersichtlichen, dreiseitigen Anamnese- und Befundbogen, dessen Aufbau und Anwendung ausführlich auf den nachfolgenden Seiten erläutert wird. Berücksichtigt werden schlüssigerweise die zuvor als relevant eingestuften Symptombereiche, sodass aus den Ergebnissen Therapieschwerpunkte aus den beiden Symptomkomplexen abgeleitet werden können und individualisiert für jeden Patienten Übungen aus der Übungssammlung zusammengestellt werden sollen. Die Befunderhebung der beiden Symptomkomplexe wird veranschaulicht durch Fotos, die Angabe der benötigten Materialien sowie der beobachtbaren Reaktionen bei vorhandenen, pathologischen Auffälligkeiten. Die Bögen stehen zudem als Online-Material zur Verfügung, was aus Anwenderperspektive positiv hervorzuheben ist. Die Beschreibungen der einzelnen Übungen der in Kapitel 6 zusammengestellten Übungssammlung erfolgen für jeden der sechs Therapiebau- 111 FI 2/ 2018 Rezensionen steine nach den folgenden Kriterien: Beschreibung des Therapieziels, Dauer der Übung, benötigtes Material/ Alternativen, geeignete Vorübungen, Durchführung der Übung, mögliche Varianten und Lösungen in Bezug auf den Schwierigkeitsgrad der Übung, die Fertigkeiten des Kindes und den aktuellen Therapiestand sowie potenzielle Fehlerquellen und Kontraindikationen. Die Übungen werden anschaulich und nachvollziehbar erläutert und erneut mit Fotos und Bildern unterstützt. Auch wenn einige Übungen dem erfahrenen Therapeuten möglicherweise bekannt vorkommen dürften, erhält der Praktiker doch viele kreative Spielideen, die kindgerecht und mit Spaß verbunden sowie theoretisch sinnvoll erscheinen. Auch findet der Leser erneut ansprechendes Zusatzmaterial in Form von Kopiervorlagen und Liedervorlagen online zum Download. Das letzte inhaltliche Kapitel zur Eltern- und Transferarbeit kann in dem angegebenen Umfang von fünf Seiten sicher nur die Thematik in ihren Grundzügen anreißen. Dennoch weisen Ruben und Wittich hier auf die hohe Relevanz von - und zunehmend in der Sprachtherapie auch berücksichtigten - Beratungskompetenzen hin. Bestärkt durch ihre praktische Erfahrung sprechen sie sich für den Einbezug eines systemischen Beratungsansatzes in der Gesprächsführung mit Eltern aus und verweisen auf entsprechende, weiterführende Quellen. Ein in diesem Zusammenhang oftmals genutzter Wochenplan wird auch von Ruben und Wittich empfohlen und steht als Online-Zusatzmaterial zur Verfügung. Zusammenfassend erfinden Ruben und Wittich mit ihrem Therapiekonzept „MyoMot“ die Myofunktionelle Therapie sicher nicht neu. Da das aber auch nicht der Anspruch der Autorinnen war, ist insgesamt positiv festzuhalten, dass es ihnen mit ihrem Buch sicherlich gelungen ist, für eine verstärkte Berücksichtigung der Therapiebereiche Wahrnehmung, Reflexe, Tonus/ Haltung, Gleichgewicht, Bewegung zu sensibilisieren und den Gedanken der Selbstreflexion auch in der Myofunktionellen Therapie stärker zu fokussieren. Um aber ein tiefergehendes Verständnis der Zusammenhänge, Auswirkungen und beobachtbaren Symptome gerade in diesen Therapiebereichen zu gewährleisten, ist die alleinige Lektüre dieses Buches eher nicht ausreichend. Denkbar ist, dass ein zusätzlicher Besuch einer von Ruben und Wittich angebotenen Fortbildung zum MyoMot-Konzept für den Praktiker eine sinnvolle Ergänzung darstellt. Dr. Dana-Kristin Marks DOI 10.2378/ fi2018.art18d
