eJournals Frühförderung interdisziplinär 37/3

Frühförderung interdisziplinär
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0721-9121
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/fi2018.art21d
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Originalarbeit: Professionalisierung in der Unterstützten Kommunikation

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Markus Spreer
Michael Wahl
Im Zuge der Bestrebungen für eine inklusive Bildung sind frühpädagogische Fachkräfte und in der Frühförderung Tätige aufgefordert, die notwendige Professionalisierung auch im Bereich der Unterstützten Kommunikation (UK) zu gewährleisten. Dafür wurde eine Befragung bei neun Trägern in Leipzig durchgeführt, die (integrative) Kindertageseinrichtungen und Frühförderstellen betreiben. Die Rückmeldungen der insgesamt 390 MitarbeiterInnen in diesen Einrichtungen, der EinrichtungsleiterInnen und TherapeutInnen zeigen einen deutlichen Bedarf an Kompetenzen im Bereich UK. Die notwendige Professionalisierung in der Versorgung mit UK muss durch qualifizierte Fort- und Weiterbildungsangebote und strukturelle Verankerung in den Ausbildungscurricula gesichert werden.
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Frühförderung interdisziplinär, 37.-Jg., S.-134 - 143 (2018) DOI 10.2378/ fi2018.art21d © Ernst Reinhardt Verlag 134 Professionalisierung in der Unterstützten Kommunikation Beispielhafte Betrachtung von Ressourcen und Bedarfen in den Bereichen Frühförderung und Frühe Bildung in einer Großstadt Markus Spreer, Michael Wahl Zusammenfassung: Im Zuge der Bestrebungen für eine inklusive Bildung sind frühpädagogische Fachkräfte und in der Frühförderung Tätige aufgefordert, die notwendige Professionalisierung auch im Bereich der Unterstützten Kommunikation (UK) zu gewährleisten. Dafür wurde eine Befragung bei neun Trägern in Leipzig durchgeführt, die (integrative) Kindertageseinrichtungen und Frühförderstellen betreiben. Die Rückmeldungen der insgesamt 390 MitarbeiterInnen in diesen Einrichtungen, der EinrichtungsleiterInnen und TherapeutInnen zeigen einen deutlichen Bedarf an Kompetenzen im Bereich UK. Die notwendige Professionalisierung in der Versorgung mit UK muss durch qualifizierte Fort- und Weiterbildungsangebote und strukturelle Verankerung in den Ausbildungscurricula gesichert werden. Schlüsselwörter: Unterstützte Kommunikation, Professionalisierung, Kommunikationshilfen, Frühförderung, Frühe Bildung Professionalization in Augmentative and Alternative Communication: Resources and needs in the fields of Early Intervention and Early Education Summary: Specialists for early education and those working in early intervention need a broad knowledge in augmentative and alternative communication (AAC) to ensure inclusive education on a professional level. In this article, we present results of a survey, carried out in Leipzig with nine institutions operating (integrative) children´s day care centers and early intervention centers. Results from 390 employees, institution managers and therapists show a clear need for competences in AAC. Professionalization in the supply of AAC must be secured by qualified training, further education and structural anchoring in the different curricula of education. Keywords: Augmentative and Alternative Communication, Professionalization, Communication Aids, Early Intervention ORIGINALARBEIT Einleitung S prechen können“ und „über Sprache verfügen“ ist unbedingt zu unterscheiden. Für beides sind unterschiedliche Voraussetzungen notwendig und somit sind auch jeweils unterschiedliche Möglichkeiten von angemessener Entwicklungsunterstützung angezeigt (Haupt 2006). Unterstützte Kommunikation (UK) als „ergänzende und ersetzende Kommunika- „ tion“ umfasst pädagogische oder therapeutische Maßnahmen zur Erweiterung der kommunikativen Möglichkeiten von Menschen (z. B. durch Gebärden, Bildsymbole oder technische Hilfen), die in ihren lautsprachlichen Fähigkeiten eingeschränkt sind. Die Unterstützung betroffener Kinder geschieht mit dem Ziel, ihnen eine Teilhabe am alltäglichen Leben durch effektivere kommunikative Strategien zu ermöglichen. Dies entspricht der Zielstellung der 135 FI 3/ 2018 Professionalisierung in der Unterstützten Kommunikation UN-BRK, die von Deutschland bereits im Jahr 2009 ratifiziert wurde (vgl. United Nations 2006). Schwerpunkt ist dabei eine erfolgreiche und sozial akzeptierte Kommunikation der eigenen Intentionen. Dabei geht es um den Einsatz alternativer kommunikativer Ressourcen und u. a. auch um die Anpassung kontextueller Gegebenheiten im Alltag (Dohmen 2014). Es bedarf entsprechender professioneller Beratungs- und Qualifizierungsstrukturen beteiligter Fachkräfte, um dies zu gewährleisten (Hedderich 2006). Ziel ist es, ein individuelles multimodales Kommunikationssystem für den betroffenen Menschen zu schaffen (Theunissen et al. 2007, 351) und hierbei nichtsprechende Personen und ihre Gesprächspartner erfolgreich einzubinden (vgl. Kristen 2005, 20). Professionalisierung der Unterstützten Kommunikation in Frühpädagogik und Frühförderung Begriffsbestimmung Professionalisierung Der Begriff Professionalisierung in Bezug auf soziale Berufsfelder beinhaltet die Herausbildung spezifischer Tätigkeitsmerkmale und Qualifikationsanforderungen für eine Berufsausübung, wobei innerhalb des Anforderungsprofils notwendige Akzentuierungen neben vorab festgelegten Standards existieren (Wittrock 2002, 62; vgl. auch Mieg 2016). Der Prozess einer Professionalisierung ist notwendig, um ein standardisiertes und spezialisiertes Aus- und Weiterbildungssystem entwickeln zu können, durch das die zukünftigen Professionellen mit den nötigen Kompetenzen ausgestattet werden (Bergeest et al. 2015, 352). Die innerhalb der Unterstützten Kommunikation tätigen Personen (in Deutschland sind das u. a. (Sonder- und Reha-)pädagogInnen, ErzieherInnen, (Sprach- und Ergo-)therapeutInnen, SozialarbeiterInnen, HeilerziehungspflegerInnen u. v. a. m.) müssen komplexe Aufgabenfelder bewältigen. Einerseits geht es um Diagnostik, Beratung, Therapie und Förderung, sowie auch um die Weiterentwicklung des Themenfeldes. Andererseits nehmen auch die Implementierung fachspezifischer Aus-, Fort- und Weiterbildungskonzepte für relativ viele verschiedene Berufsgruppen und die Entwicklung von Strukturen zur Qualitätssicherung eine wichtige Funktion ein. Die UK ist eine Disziplin, welche Anwendung in den Bereichen der Forschung, Klinik und Pädagogik findet und ein breites Spektrum von Beeinträchtigungen unterschiedlichster Art umfasst (Nonn 2011, 10). Die Bedürfnisse und Interessen der betroffenen Personen, ihr Anspruch auf Selbstbestimmung und Würde, sowie die kooperative Gestaltung von Lebensqualität müssen von den verschiedenen Angeboten und Dienstleistern angemessen berücksichtigt werden (Wilken 2010, 8). In den unterschiedlichen Aufgabenfeldern, welche unmittelbar mit UK in Verbindung stehen, wächst ein Problembewusstsein für die sich ergebenden speziellen Erfordernisse der Kommunikationsunterstützung. Dies bezieht sich auch auf die pädagogischen und therapeutischen Aus- und Weiterbildungen, welche entsprechende Kenntnisse und angemessene Hilfen für das gesamte Spektrum der Aufgabenfelder der UK einschließen und vermitteln müssen (Wilken 2010, 1). Die prozesshafte Verberuflichung von UK-Pädagogen kann nicht mehr ausschließlich auf den Erwerb von traditionellen sonderpädagogischen Inhalten bezogen werden. In der Praxis werden den betreffenden Erwerbstätigen therapeutische, pädagogische, psychologische, medizinische und beratende Handlungskompetenzen in Diagnostik und Intervention abverlangt, welche alle jeweils einem UK-spezifischen Fachwissen zuzuordnen sind. Solch ein UK-Spezialwissen muss Themen wie Grundlagen von Kommunikation, Einsatz verschiedener Kommunikationshilfen und -angebote, Beginn und Gestaltung der Kommunikationsförderung, Diagnostik, institutionelle Herausforderungen, neue Entwick- 136 FI 3/ 2018 Markus Spreer, Michael Wahl lungstendenzen und Beratung beinhalten. Notwendig ist folglich eine qualitativ hochwertige Aus- und Weiterbildung nach festgesetzten Standards in den zentralen Themenbereichen der UK (Boenisch 2009, 106 - 110). Bedeutung UK im Bereich Frühförderung und Frühpädagogik Die Aufgabe, die Sprachentwicklung der Kinder zu unterstützen und damit ihre gesellschaftliche Teilhabe zu sichern, ist explizit in den Bildungsplänen für die Kindertagesstätten in den jeweiligen Bundesländern deutschlandweit verankert. Das „Bildungs- und Entwicklungsfeld ,Sprache‘“, wie es beispielsweise im Orientierungsplan in Baden-Württemberg heißt, soll dabei nicht nur punktuell fokussiert werden, sondern durchgängiges Bildungsprinzip im Sinne einer alltagsintegrierten sprachlichen Bildung im Elementarbereich sein (Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg 2014). Durch die Entwicklung des Ausbaus inklusiver Kindertagesstätten im Zuge der Ratifizierung der Behindertenrechtskonvention der UN kommen neue Herausforderungen auf pädagogische Fachkräfte zu. Gerade bei der professionellen Begleitung unterstützt kommunizierender Kinder wird die Notwendigkeit kooperativer Zusammenarbeit zwischen den Professionen, den Eltern und dem Kind selbst deutlich. So erarbeitet z. B. die Sprachtherapeutin den Umgang mit den (nicht-)elektronischen Hilfsmitteln mit dem Kind gemeinsam und organisiert die Übertragung in die verschiedenen Lebensbereiche hinein, auch in die Kita. Die pädagogischen Fachkräfte der Kita sind dabei in der Arbeit mit unterstützt kommunizierenden Kindern (erstmals) aufgefordert, sich auf neue, andere Formen der Kommunikation einzulassen, grundlegende Kenntnisse dafür zu erwerben und sich bezüglich des Einsatzes beraten zu lassen (Sarimski 2012). Natürlich müssen in der Ausbildung in der Frühpädagogik nicht alle spezifischen oder methodischen Vorgehensweisen der Interdisziplinären Frühförderung vermittelt werden (Kühl 2015). Die Vermittlung solider Grundkenntnisse der UK in der Aus- und Weiterbildung - gerade im Kontext einer inklusiven sprachlichen Bildung - die allerdings noch aussteht (s. u. a. Deutsches Jugendinstitut, DJI 2016) ist dabei ebenso wünschenswert wie die interdisziplinäre Zusammenarbeit sowie die kontinuierliche Weiterqualifikation im Rahmen spezifischer Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen. Forschungsfragen Das Projekt „Professionalisierung in der Unterstützten Kommunikation“ wurde mit dem Ziel durchgeführt, die Ressourcen und Bedarfe an Unterstützter Kommunikation in den außerschulischen Einrichtungen der Stadt Leipzig zu erfassen. Der Fokus lag dabei auf professionellen Fachkräften und deren Kenntnissen über UK, verbunden mit Bedarfen in Aus-, Fort- und Weiterbildung und die Einschätzung und der Bedarf an eingesetzten Formen und Hilfsmitteln in den Einrichtungen. An dieser Stelle sollen Daten vorgestellt werden, die folgende Forschungsfragen beantworten: n Welche Kenntnisse und Fähigkeiten im Bereich Unterstützte Kommunikation sind in den Einrichtungen des Frühbereichs vorhanden? n Wie wurden diese Kenntnisse erworben? n Welche Bedarfe an Fort- und Weiterbildung werden von den Fachkräften artikuliert? Methodisches Vorgehen Die vorliegende Erhebung fand im Rahmen des „Projekts Unterstützte Kommunikation (PUK)“ in Leipzig statt. Basierend auf der Befragung von Wahl et al. (2015) zur Situation der UK in 137 FI 3/ 2018 Professionalisierung in der Unterstützten Kommunikation Förder- und Betreuungsbereichen wurden in dieser Studie Erhebungen in Einrichtungen dieser Großstadt vorgenommen. Die vom Autorenteam entwickelten Fragebögen wurden zu diesem Zweck adaptiert und für den Einsatz mit drei unterschiedlichen Zielgruppen konzipiert. Dies sind zum einen MitarbeiterInnen in den verschiedenen Einrichtungen der Frühförderung und frühen Bildung der teilnehmenden Träger der Stadt Leipzig, die LeiterInnen dieser Einrichtungen sowie dort tätige externe bzw. interne TherapeutInnen. Stichprobe Die Stichprobe basiert auf den kooperierenden Trägern, die zur Unterstützung des Projekts gewonnen werden konnten. Von insgesamt 16 Trägern wurden Fragebögen an 59 Einrichtungen in der Stadt Leipzig verbreitet. Die Teilstichprobe der hier berichteten Ergebnisse bezieht sich auf 35 Kindertagesstätten und 3 Frühförderstellen (FFS). Ergebnisse der verschiedenen nach- und außerschulischen Einrichtungen, u. a. Wohnheime, Integrationsdienste und des Sozialpädiatrischen Zentrums werden an anderer Stelle berichtet (Wahl/ Spreer 2017). Aus den Einrichtungen der Frühförderung und frühen Bildung liegen Rückmeldungen der EinrichtungsleiterInnen (N = 35; davon FFS: N = 3), der MitarbeiterInnen dieser Einrichtungen (N = 321; davon FFS: N = 8) und von internen bzw. externen TherapeutInnen (N = 34; davon FFS: 17) vor, die ebenfalls im Kontext Unterstützter Kommunikation in diesen Einrichtungen tätig sind. Die Rücklaufquote schwankt zwischen den verschiedenen Einrichtungen und Trägern stark. Teilweise liegen nur von den EinrichtungsleiterInnen Angaben vor, teilweise von allen Fachkräften der Einrichtungen. NutzerInnen von UK und Angehörige standen nicht im Fokus der Untersuchung und wurden nicht befragt. Erhebungsinstrumente Die schriftlichen fünfbis achtseitigen Fragebögen wurden so konstruiert, dass durch teilweise parallele Fragen an die drei Personengruppen die Vergleichbarkeit der Ergebnisse möglich wird. Die Inhaltsbereiche der Bögen sind in Tabelle 1 dargestellt. Die Fragebögen enthielten somit, je nach Zielgruppe, 28, 41 oder 52 Items. Die Fragen waren i. d. R. mit nominalskalierten (Mehrfach)Auswahl-Antworten versehen. Der Anteil offener Fragen wurde bewusst geringgehalten. Diese waren i. d. R. verbunden mit Begründungen für zuvor vorgenommene Einschätzungen. EinrichtungsleiterInnen (EL) MitarbeiterInnen (MA) TherapeutInnen (TH) n Allgemeine Angaben (5 Items) n Informationen zu MitarbeiterInnen der Einrichtung (4 Items) n Vorwissen UK (4 Items) n Bedarfe an Methoden und Fortbildungen (2 Items) n Informationen zu (potenziellen) UK-NutzerInnen (9 Items) n UK-Koordinatorinnen/ -Beraterinnen (13 Items) n Weitere UK-Aktivitäten (15 Items) n Allgemeine Angaben (6 Items) n Vorwissen UK (4 Items) n Bedarfe an Methoden und Fortbildungen (2 Items) n Informationen zu (potenziellen) UK-NutzerInnen (19 Items) n Weitere UK-Aktivitäten (20 Items) n Allgemeine Angaben (5 Items) n Vorwissen UK (4 Items) n Bedarfe an Methoden und Fortbildungen (2 Items) n Informationen zu UK-NutzerInnen (9 Items) n Weitere UK-Aktivitäten (8 Items) Tab. 1: Übersicht: Fragebögen und Inhaltsbereiche 138 FI 3/ 2018 Markus Spreer, Michael Wahl Durchführung und Auswertung Die erstellten Fragebögen wurden in analoger Form über die kooperierenden Träger an die Einrichtungen verteilt und dort von den betreffenden Personen händisch ausgefüllt. Nachdem die ausgefüllten Fragebögen vorlagen, wurden diese codiert und die Antworten digitalisiert. Die deskriptive statistische Analyse erfolgt im Anschluss mit SPSS Statistics 23.0. Ergebnisse Rahmenbedingungen der Einrichtungen Grundlegende erfragte Informationen zu den Einrichtungen sind in Tabelle 2 dargestellt. Die Größe der Einrichtungen hat über das zur Verfügung stehende Personal natürlich Auswirkungen auf die vorhandene Expertise. Gerade bezüglich der potenziell mehrfachen Qualifikation einer Person vereinen größere Einrichtungen in höherem Maße entsprechende Expertise in sich. Item Kindertagesstätten (N = 35) Frühförderstellen (N = 3) mean min max SD mean min max SD Anzahl der MitarbeiterInnen in den Einrichtungen (inkl. Budfis, FSJlerInnen, PraktikantInnen, TherapeutInnen) 18,9 4 40 9,7 12,0 8 17 4,6 davon MitarbeiterInnen mit therapeutischer Ausbildung 3,3 0 11 3,1 8,3 4 16 6,7 Anzahl der Kinder, die die Einrichtungen besuchen 95,1 23 225 52,6 - 219 219 - Wieviele der betreuten Personen haben Ihrer Meinung nach Bedarf an Unterstützter Kommunikation? 1,0 1 1 0,0 - - - - Tab. 2: Rahmenbedingungen der befragten Einrichtungen (für die FFS liegen nur eingeschränkt Angaben vor) Kenntnisstand zum Thema UK in den Einrichtungen Die Befragten geben an, dass ihnen zu einem Großteil der Begriff der Unterstützten Kommunikation bekannt ist (Kita: EL: 81,3 %, MA: 64,5 %, TH: 100 %; FFS: EL: 100 %, MA: 100 %, TH: 100 %). Nach dem Fachwissen über UK gefragt, fallen die Ergebnisse bereits differenzierter aus (vgl. Abb. 1). Personen, die mindestens über Grundwissen im Bereich UK verfügen, wurden weiterhin gefragt: „Wie haben Sie sich Fachwissen im Bereich der Unterstützten Kommunikation angeeignet? “. Hier wurden wiederum mögliche Antwortkategorien vorgegeben, Mehrfachantworten waren möglich. Abbildung 2 verdeutlicht, dass nur ein sehr geringer Teil der pädagogischen Fachkräfte, wie auch der TherapeutInnen, bereits während der Ausbildung/ des Studiums diese Kenntnisse erworben hat. Der Schwerpunkt liegt auf Erfahrungen während der beruflichen Tätigkeit (EL: 34,3 %; TH: 58,8 %) und im Austausch mit KollegInnen (EL: 25,7 %; TH: 64,7 %) sowie durch Hinzuziehen von Fachliteratur (EL: 31,4 %; TH: 35,3 %). 139 FI 3/ 2018 Professionalisierung in der Unterstützten Kommunikation EinrichtungsleiterInnen TherapeutInnen MitarbeiterInnen EinrichtungsleiterInnen TherapeutInnen MitarbeiterInnen Kita FFS Verfügen Sie über Kenntnisse im Bereich UK? Angaben in % 0,0 20,0 40,0 60,0 80,0 100,0 nein ja, Expertenwissen keine Angabe ja, Grundkenntnisse Abb. 1: Kenntnisse der Befragten im Bereich UK 70,0 60,0 50,0 40,0 30,0 20,0 10,0 0,0 Wie haben Sie sich Fachwissen im Bereich der Unterstützten Kommunikation angeeignet? Angaben in %; Mehrfachantworten möglich innerhalb der Ausbildung innerhalb des Studiums auf externen Fort-/ Weiterbildungen bei hausinternen Fortbildungen während der beruflichen Tätigkeit durch Austausch mit KollegInnen durch Bekannte durch Selbststudium durch Lesen von Fachliteratur durch Zusatzqualifikation (z. B. ISAAC-Zertifikat) MitarbeiterInnen TherapeutInnen EinrichtungsleiterInnen 22,4 17,6 11,8 22,9 32,4 20,0 23,5 11,4 25,2 58,8 34,3 24,3 64,7 25,7 3,12,95,7 32,4 17,1 11,8 35,3 31,4 1,2 5,7 7,2 5,0 4,4 5,6 Abb. 2: Überblick zum Erwerb des Fachwissens der Befragten Nach den Formen und Hilfsmitteln gefragt, die den Personen bekannt sind, zeigen sich wiederum deutliche Unterschiede zwischen den Einrichtungen und den unterschiedlichen Professionen. 140 FI 3/ 2018 Markus Spreer, Michael Wahl Bedarf an Aus-, Fort- und Weiterbildung im Bereich UK Die MitarbeiterInnen der Einrichtungen geben an, deutliche Bedarfe in der Aus-, Fort- und Weiterbildung im Bereich UK zu haben (s. Tab. 4). Trotz der kleinen Fallzahlen aufseiten der FFS sind die unterschiedlichen Bedarfe der Einrichtungen bzw. Professionen sichtbar. So werden theoretische Grundlagen sehr deutlich im Bereich der Kitas nachgefragt, hingegen werden spezifische Themen und Fragestellungen eher von den TherapeutInnen angegeben. Tab. 3: Übersicht zu den bekannten Formen und Hilfsmitteln aus dem Bereich UK Kita FFS EL MA TH EL MA TH basale körpereigene Kommunikationsformen (z. B. Basale Kommunikation, tonischer Dialog, …) 46,9 % 16,6 % 52,9 % 33,3 % 50,0 % 23,3 % gezielte körpereigene Kommunikationsformen (z. B. Gesten, Gebärden, andere vereinbarte Zeichen, …) 50,0 % 39,9 % 82,4 % 33,3 % 75,0 % 64,7 % nicht-elektronische Kommunikationshilfen (z. B. Fotos, Symbole, …) 56,3 % 40,6 % 82,4 % 33,3 % 62,5 % 58,8 % einfache elektronische Kommunikationshilfsmittel (z. B. sprechende Tasten, …) 37,5 % 17,3 % 47,1 % 0,0 % 50,0 % 58,8 %; komplexe elektronische Kommunikationshilfsmittel (z. B. Talker, …) 34,4 % 13,4 % 58,8 % 0,0 % 25,0 % 64,7 % Methoden wie PECS, TEACCH u. a. 31,3 % 7,3 % 23,5 % 0,0 % 25,0 % 11,8 % Kita FFS EL MA TH EL MA TH Sehen Sie einen Bedarf an Aus-/ Fort-/ Weiterbildung im Bereich UK? 71,9 % 64,2 % 100,0 % 66,7 % 87,5 % 76,5 % Welche Inhalte erachten Sie als wichtig? Vermittlung theoretischer Grundlagen 68,8 % 49,5 % 47,0 % 33,3 % 25,0 % 23,5 % Hilfen zur methodisch-praktischen Anwendung von nicht-elektronischen Kommunikationsmitteln 59,4 % 55,0 % 70,6 % 66,7 % 87,5 % 64,7 % Hilfen zur methodisch-praktischen Anwendung von elektronischen Kommunikationsmitteln 50,0 % 31,9 % 64,7 % 66,7 % 37,5 % 58,8 % Sonstige Themen und Inhalte 3,1 % 1,9 % 5,8 % 0,0 % 0,0 % 5,9 % Tab. 4: Übersicht zu Aus-, Fort- und Weiterbildungsbedarfen im Bereich UK 141 FI 3/ 2018 Professionalisierung in der Unterstützten Kommunikation Diskussion und Fazit Der erfolgreiche Einsatz von Unterstützter Kommunikation erfordert ein breites Wissen verschiedener Methoden sowie umfangreiche Kenntnisse aus den Bezugswissenschaften bspw. der Sprachwissenschaft und Pädagogik. Die Ergebnisse der vorliegenden Studie zeigen, dass die MitarbeiterInnen in den Einrichtungen der Frühförderung sowie der frühen Bildung über grundlegende Informationen zur UK verfügen. Der Großteil der MitarbeiterInnen erwarben ihre Kenntnisse in UK während der praktischen Tätigkeit und im Austausch mit KollegInnen. Strukturierte Fort- und Weiterbildungsprogramme werden bisher nur in sehr geringem Maße wahrgenommen. Hieraus wird deutlich, dass noch ein großer Bedarf in verschiedenen Bereichen besteht, um eine Professionalisierung der Förderkräfte hin zu einer Profession „Unterstützte Kommunikation“ zu erreichen. Geissler (2013) sieht u. a. eine theoretisch fundierte Ausbildung auf akademischem Niveau, ein wissenschaftlich fundiertes Sonderwissen, eine autonome Berufsausübung sowie berufsständische Normen als notwendige Merkmale einer Profession an. UK als Profession in diesem Sinn weiterentwickeln zu wollen ist allerdings kritisch zu begleiten, da das Merkmal beruflicher Autonomie im Gegensatz zum notwendigen interdisziplinären Ansatz und Tätigkeitsfeld der UK steht (Boenisch 2009, 105). Nichtsdestotrotz besteht für den Bereich der Unterstützten Kommunikation eine Notwendigkeit, umfängliches Wissen in allen Bereichen der UK, angefangen von Grundlagenkenntnissen bis hin zu spezifischem Wissen über Methoden der UK wie elektronische Kommunikationshilfen, zu erwerben. Vor allem eine Verankerung von Unterstützter Kommunikation in die Ausbildungscurricula wäre eine wünschenswerte und notwendige Vorkehrung. Für die Professionalisierung der aktuell tätigen MitarbeiterInnen können strukturierte Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen einen entscheidenden Beitrag leisten (Klein 2010). Es existiert eine Vielzahl von Anbietern, die Fortbildungsmaßnahmen zum Themenfeld der UK durchführen (vgl. Gesellschaft für Unterstützte Kommunikation 2017). Zum einen ist dies ein positiver Umstand, da eine Person je nach individuellem Bedarf eine passende Schulung aus dem vielfältigen Angebot auswählen kann. Zum anderen erschwert solch eine vielgestaltige Fort- und Weiterbildungslandschaft eine Professionalisierung des Fachgebietes und die Sicherung von Standards und Qualität der Kompetenzaneignung des Personals. Die Organisation von internen Fortbildungen oder die durch eine große Anzahl unterschiedlicher Anbieter organisierten Kommunikationshilfsmittelschulungen erfolgen jedoch nicht nach flächendeckend vorab festgelegten Standards. Dadurch kann die Qualität der Schulungen nicht gewährleistet werden. Hierbei zeigt sich abermals, dass UK erst auf dem Weg einer Professionalisierung und Ausdifferenzierung ist und eine Vernetzung zwischen Praxis, Ausbildung und Wissenschaft nach standardisierten Festlegungen noch aussteht (Boenisch/ Sachse 2007, 107). Der Professionalisierungsprozess der Unterstützten Kommunikation wird aber auch dadurch erschwert, dass in der Heilbzw. Sonderpädagogik eine Vielzahl an Berufsgruppen zusammenkommen, welche jeweils unterschiedliche Ausbildungsbiografien mit sich bringen. Grans und Wahl (2013) arbeiten heraus, dass UK auf dem Weg zur Professionalisierung ist, was sich vor allem auch in einer fundierten wissenschaftlichen Theoriebildung niederschlägt. Für die weiteren Professionalisierungsbestrebungen des Fachgebietes der Unterstützten Kommunikation müssen viele Professionen kooperieren und an einer gemeinsamen Weiterentwicklung interdisziplinär zusammenarbeiten. Das zunehmende Interesse in der Forschung und Wissenschaft am Thema UK allgemein und an Unterstützter Kommunikation im außerschulischen Bereich im Speziellen wäre ein Anfang, qualitative Standards für Ausbildungs- 142 FI 3/ 2018 Markus Spreer, Michael Wahl schwerpunkte festlegen zu können. Dies würde sich wiederum positiv auf die praktische Tätigkeit in den Einrichtungen auswirken, da das Personal mit spezifischem Fachwissen bezüglich UK schon innerhalb der Ausbildung ausgestattet werden könnte. Der potenzielle positive Nutzen des Einsatzes von UK für die (sprachliche) Interaktion und damit Teilhabe eines Kindes, der bislang scheinbar noch nicht allen MitarbeiterInnen in den Einrichtungen verständlich ist, könnte so grundlegend vermittelt werden. Um über ausreichende Kompetenzen im Bereich der Unterstützten Kommunikation zu verfügen, bedarf es gegenwärtig noch einer Menge an persönlicher, zeitlicher und finanzieller Eigenorganisation. Darüber hinaus bedeutet Kompetenzentwicklung in diesem Rahmen die Teilnahme an Schulungen sowie Fort- und Weiterbildungen. Die Stadt Leipzig könnte in besonderem Maße davon profitieren, wenn diese Maßnahmen innerhalb eines entsprechenden Netzwerkes durchgeführt werden. Somit könnte ein breites Angebot an Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen entsprechend der einzelnen Bedarfe aufgebaut und Synergieeffekte auf Trägerebene geschaffen werden, die eine effiziente Nutzung von Ressourcen ermöglicht. Neben der Nutzung von Ressourcen in Bezug auf Fort- und Weiterbildungen steht die Einbindung von UK in die Gesamtkonzeption der Einrichtung sowie die Anschaffung von materiellen Ressourcen (bspw. Symbolsysteme, Talker etc.) auf der Tagesordnung. Stimmen auf dieser Ebene die Rahmenbedingungen mit den Bedarfen an UK überein, kann eine professionelle und qualitativ hochwertige Umsetzung von UK im Alltag der Kinder gelingen. Die enge Zusammenarbeit der jeweiligen Einrichtungen im Netzwerk böten dabei auch die Basis für eine gelingende Gestaltung von Übergängen zwischen den einzelnen Systemen und Betreuungsphasen, wobei die individuellen Bedarfe der Eltern und Kinder deutlich in den Vordergrund zu rücken sind (vgl. Musketa 2017). Fazit Aus den Ergebnissen der durchgeführten Untersuchung kann festgehalten werden, dass in den befragten Einrichtungen der Stadt Leipzig grundlegende Informationen zur Unterstützten Kommunikation vorhanden sind, jedoch ein sehr großer Bedarf an weiterer Unterstützung im Bereich der Professionalisierung der Fachkräfte für die UK gesehen wird. Diese Professionalisierung kann vor allem durch Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen der bisherigen Fachkräfte erreicht werden. Darüber hinaus wird deutlich, dass Unterstützte Kommunikation verstärkt curricular in den Ausbildungen der Fachkräfte verankert werden sollte. Zeitliche und finanzielle Ressourcen müssen gefunden werden, um den Kommunikationsbedürfnissen der betreuten Personen gerecht werden zu können. Ein großes Netzwerk innerhalb der Stadt könnte für all diese Bereiche eine deutliche Hilfestellung darstellen. Jun.-Prof. Dr. Markus Spreer Pädagogische Prävention von Entwicklungsbeeinträchtigungen und Frühförderung Universität Leipzig, Erziehungswissenschaftliche Fakultät, Institut für Förderpädagogik Jahnallee 59 04109 Leipzig E-Mail: markus.spreer@uni-leipzig.de Univ.-Prof. Dr. Michael Wahl Rehabilitationstechnik und Neue Medien Humboldt-Universität zu Berlin, Institut für Rehabilitationswissenschaften Unter den Linden 6 10099 Berlin E-Mail: michael.arnold-wahl@hu-berlin.de Literatur Bergeest, H., Boenisch, J., Daut, V. (2015): Körperbehindertenpädagogik. Klinkhardt, Bad Heilbrunn 143 FI 3/ 2018 Professionalisierung in der Unterstützten Kommunikation Boenisch, J. (2009): Kinder ohne Lautsprache. Grundlagen, Entwicklungen und Forschungsergebnisse zur Unterstützten Kommunikation. von Loeper, Karlsruhe Dohmen, A. (2014): Rahmenplan zur Therapiekonzeption bei pragmatisch-kommunikativen Defiziten. In: Fox-Boyer, A. 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