eJournals Frühförderung interdisziplinär 37/4

Frühförderung interdisziplinär
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0721-9121
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/fi2018.art30d
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Originalarbeit: Sicheres Eingewöhnen in die Kinderkrippe mit einem mentalisierungsbasierten Eingewöhnungsmodell

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Christine Bark
Dargestellt wird ein mentalisierungsbasiertes Präventionsprogramm, das an der Nahtstelle des Übergangs von der Erziehung des Kindes im Elternhaus in die Erziehung in der Kinderkrippe eingesetzt wird. Fokus des Programms ist eine Stärkung der Eltern-Kind-Beziehung. Eine sichere Bindung ermöglicht es dem Kind zu explorieren und neue Entwicklungsschritte zu bewältigen. Es wird beschrieben, an welcher Stelle, mit welchen Mitteln und mit welchen Zielen das Präventionsprogramm das Berliner Eingewöhnungsmodell ergänzt. Der theoretisch-wissenschaftliche Hintergrund seiner Elemente und deren Umsetzung in der Praxis werden erläutert. Dargestellt wird ferner, wie diese ihren Praxistest bestanden haben und welchen Nutzen sie für alle Beteiligten bringen.
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191 Frühförderung interdisziplinär, 37.-Jg., S.-191 - 198 (2018) DOI 10.2378/ fi2018.art30d © Ernst Reinhardt Verlag ORIGINALARBEIT Sicheres Eingewöhnen in die Kinderkrippe mit einem mentalisierungsbasierten Eingewöhnungsmodell Ein Praxisbericht Christine Bark Zusammenfassung: Dargestellt wird ein mentalisierungsbasiertes Präventionsprogramm, das an der Nahtstelle des Übergangs von der Erziehung des Kindes im Elternhaus in die Erziehung in der Kinderkrippe eingesetzt wird. Fokus des Programms ist eine Stärkung der Eltern-Kind-Beziehung. Eine sichere Bindung ermöglicht es dem Kind zu explorieren und neue Entwicklungsschritte zu bewältigen. Es wird beschrieben, an welcher Stelle, mit welchen Mitteln und mit welchen Zielen das Präventionsprogramm das Berliner Eingewöhnungsmodell ergänzt. Der theoretisch-wissenschaftliche Hintergrund seiner Elemente und deren Umsetzung in der Praxis werden erläutert. Dargestellt wird ferner, wie diese ihren Praxistest bestanden haben und welchen Nutzen sie für alle Beteiligten bringen. Schlüsselwörter: Präventionsprogramm, Kinderkrippe, Eingewöhnung, Mentalisieren A mentalization based prevention program strengthening the parent-child relationship during the transition from family to day care Summary: A mentalization-based prevention program is presented, which is used at family care to day care. The program focuses on strengthening the parent-child relationship. A secure attachment allows the child to explore and to handle new developmental steps. It describes at which point, with which means and with which goals the prevention program complements the „Berliner Eingewöhnungsmodell“. The theoretical and scientific background will be explained and the implementation of the program will be described. Keywords: Prevention program, day care nursery, acclimatisation phase, Mentalizing 1. Bewährung im Praxistest D as im Folgenden beschriebene mentalisierungsbasierte Präventionsprogramm für die Eingewöhnung in die Kinderkrippe hat seinen Praxistest in sechs Modellkrippen im Saarland bestanden. Nach dem erfolgreichen Modellversuch wird das Programm derzeit dort weiter verbreitet, und es kommt bereits in anderen Bundesländern zum Einsatz. 2. Das Berliner Eingewöhnungsmodell Das Programm ergänzt das sogenannte Berliner Eingewöhnungsmodell, nach dem in der Regel in Kinderkrippen und Kindergärten in Deutschland der Eingewöhnungsprozess stattfindet. Die Ergebnisse eines in den 1980er Jahren durchgeführten Forschungsprojektes an der Freien Universität Berlin stellten einen Zusammenhang 192 FI 4/ 2018 Christine Bark fest zwischen einem durch Eltern begleiteten bzw. unbegleiteten Eingewöhnungsprozess der Kinder und erhöhten Krankheitsfehlzeiten im ersten Halbjahr, dem Entwicklungsstand des Kindes nach diesem Zeitraum und der Qualität der Bindungsbeziehung zu Vater und Mutter. Kinder, die ohne Begleitung auskommen mussten, fehlten krankheitsbedingt im Mittel viermal häufiger und lagen in ihrer kognitiven Entwicklung deutlich zurück, bei einer gleichzeitigen Beeinträchtigung der Bindungsqualität zu den Eltern (Laewen et al. 2009). Hédervári-Heller et al. (2008) entwickelten daraufhin ein Konzept zur Eingewöhnung von Kindern in Krippen unter der Berücksichtigung der frühen Bindungen des Kindes an seine Hauptbezugspersonen und deren Begleitung während des Eingewöhnungsprozesses. Kern des sogenannten Berliner Eingewöhnungsmodells ist die Einbeziehung der Bindungsperson in den Eingewöhnungsprozess des Kindes. Im Erstgespräch werden die Eltern über die Bedeutung ihrer Anwesenheit für das Kind und die Wichtigkeit des Aufbaus einer Beziehung zwischen Kind und Erzieherin eingehend informiert. Die darauf folgende Eingewöhnung ist in drei Phasen unterteilt: 1. Die Grundphase, 2. die Stabilisierungsphase und 3. die Abschlussphase. 1. In der Grundphase geht es darum, dass das Kind in Anwesenheit seiner sich passiv verhaltenden Bindungsperson die neue Umgebung erkundet und diese bei Verunsicherung jederzeit als „sicheren Hafen“ aufsuchen kann. In dieser Zeit ist es Aufgabe der Erzieherin, die Interaktion zwischen dem Kind und seiner Bezugsperson genau zu beobachten, um Hinweise auf die benötigte Dauer der Eingewöhnungsphase zu erhalten. Am 4. Tag kommt es zur ersten Trennung, wobei sich die Bezugsperson verabschiedet und in nächster Nähe wartet. In Abhängigkeit vom Verhalten des Kindes dauert die Trennung höchstens 30 Minuten. Lässt sich ein Kind nach wenigen Minuten nicht beruhigen, kehrt die Bezugsperson zurück. Der Abbruch eines Trennungsversuchs aufgrund des Protestes des Kindes wird als Signal für eine längere Eingewöhnungsphase von ca. 2 Wochen gewertet. Kinder, die unbefangen reagieren oder sich von der Erzieherin schnell beruhigen lassen, kommen nach den Thesen des Berliner Modells mit einer kürzeren Eingewöhnungszeit von ca. 1 Woche zurecht. 2. Der Eingewöhnungsphase folgt eine Stabilisierungsphase. Ab dem 4. oder 5. Tag soll die Erzieherin als Hauptbezugsperson agieren und die Begleitperson nur im Ausnahmefall hinzugezogen werden. In dieser Phase wird die Zeit der Trennung nach und nach verlängert. Die Stabilisierungsphase kann bis zu 2 Wochen dauern. 3. In der Abschlussphase ist das Kind allein in der Krippe, die Begleitperson bleibt jedoch jederzeit erreichbar. Der Eingewöhnungsprozess gilt als abgeschlossen, wenn das Kind die Erzieherin als sichere Basis und Bezugsperson akzeptiert hat. Eine fundierte wissenschaftliche Evaluation der Wirksamkeit des in der Praxis weit verbreiteten Berliner Eingewöhnungsmodells steht noch aus. 3. Konzeption des mentalisierungsbasierten Präventionsprogramms In der Konzeption des Programms stand die Stärkung der Elternkompetenzen im Vordergrund, dabei wiederum lag der Fokus neben der Feinfühligkeit auf der Mentalisierungsfähigkeit der Eltern. Die Stärkung dieser Fähigkeiten stellt eine wichtige Bedingung für eine sichere Bindung dar (Taubner 2015). Der Leitfaden für frühpädagogische Fachkräfte und Eltern der 193 FI 4/ 2018 Mentalisierungsbasierte Eingewöhnung in der Kinderkrippe Karl Kübel Stiftung (Kobelt Neuhaus et al. 2014) betont die Zusammenarbeit mit den Eltern als wichtiges Qualitätsmerkmal. Berücksichtigt wurde ferner, dass die Eingewöhnung von Kindern in die Krippe in Deutschland ganz überwiegend nach dem Berliner Eingewöhnungsmodell (Laewen et al. 2009) erfolgt. Die Erkenntnisse der Wiener Krippenstudie (Funder et al. 2013) stellten die Grundlage für die mentalisierungsbasierte Erweiterung des Berliner Eingewöhnungsmodells dar und führten zu dem hier beschriebenen Präventionsprogramm. Seine Wirksamkeit beruht auf dem Konzept des Mentalisierens und der Entwicklung der Mentalisierungsfähigkeit, die mit dem Programm gestärkt werden sollen. Alle Beteiligten werden dazu theoretisch in das Konzept eingeführt und üben im Rahmen von Interventionen eine mentalisierende Haltung. Die leitende Grundannahme des Projektes besteht darin, dass Kenntnis und Praxis des Mentalisierens dauerhaft die Haltung der Teilnehmer verändert und ihre Beziehungsfähigkeit und pädagogische Kompetenz eindrücklich steigert (Bark 2018). Das Präventionsprogramm für Kinderkrippen wurde in folgenden Schritten durchgeführt: 1. Qualifizierungsmaßnahme für Krippenerzieherinnen in Modellkrippen, 2. Interventionsabschnitt zur Stärkung der Beziehung und zur Förderung der Entwicklung bei der Eingewöhnung des Kindes im Übergang in die Kinderkrippe, 3. Supervisionsangebot für Krippenerzieherinnen und 4. Selbsterfahrungsangebot 4. Umsetzung des Programms in der Praxis Die Umsetzung erfolgt anhand eines Manuals, das den Krippenerziehern zur Verfügung gestellt wird. 4.1 Qualifizierungsmaßnahme für Krippenerzieherinnen Die Erzieherinnen werden im Rahmen einer zweitägigen Qualifizierungsmaßnahme geschult, die Interventionen für Eltern-Kind-Dyaden bei der Eingewöhnung der Kinder durchzuführen. Im psychoedukativen Schulungsabschnitt für die Erzieherinnen werden der Prozess des Mentalisierens und die Entwicklung der Mentalisierungsfähigkeit in der frühen Kindheit theoretisch erläutert. Die Bedeutung des reifen Mentalisierens (reflektierte Affektivität/ reflexive Kompetenz) für Erzieher und Eltern für die Stärkung der Bindungsbeziehung zum Kind wird dabei betont. Grundlage zur Durchführung sind eine mentalisierungsbasierte Haltung und Interventionen, die das explizite Mentalisieren im Umgang mit Eltern und Kind anregen. Zur Stärkung des expliziten Mentalisierens werden zudem im psychoedukativen Teil die Entwicklungsstufen des Selbstempfindens in der frühen Kindheit (Stern 2003; Gustafsson 1995) und die Art und Weise, wie Kinder aus diesen Entwicklungsstufen des Selbstempfindens kommunizieren (Brodin 2002), eingeführt. 4.2 Interventionsabschnitt Im Interventionsabschnitt führen die Erzieherinnen primärpräventive Interventionen zur Stärkung der Beziehung und Förderung der Entwicklung des Kindes beim Übergang in die Kinderkrippe ein und geben diese an die Eltern weiter. Je nach individuellem Bedarf der Familien werden die Interventionen in ca. 10 bis 15 Einheiten durchgeführt, einzelne Interventionen können vertiefend wiederholt werden. Die Interventionen werden in beziehungsstärkende und entwicklungsfördernde Interventionen eingeteilt. Die beziehungsstärkenden Interventionen werden im Vorfeld der Eingewöhnung beim Aufnahmegespräch in die Kinderkrippe, für die Phase vor der Eingewöhnung 194 FI 4/ 2018 Christine Bark und durch Interventionen in der Grundphase der Eingewöhnung mit einbezogen. Die entwicklungsfördernden Interventionen können beim Abholen des Kindes durchgeführt werden, wenn dieses bereits in der Kinderkrippe angekommen ist. Die Interventionseinheiten nehmen insgesamt ca. eine Stunde Zeit ein und bestehen (1) aus einem theoretischen entwicklungspsychologischen Teil sowie einer Vertiefung der Theorie mit Videobeispielen, (2) aus einer Übung, die zunächst von den Erzieherinnen demonstriert und (3) im Folgenden von den Eltern übernommen wird und (4) einem Transferteil mit weiteren Anleitungen für die Begleitung des kindlichen Spiels und spezifischen Entwicklungsaufgaben des Kindes zu Hause. In einer DVD, die den Trainerinnen und Krippenerzieherinnen zur Verfügung gestellt wird, werden die Übungen veranschaulicht. Die DVD dient ferner dazu, eine mentalisierungsbasierte Haltung unter Berücksichtigung der Perspektivenvielfalt zu üben und einen Blick für die Entwicklungsphasen des Selbstempfindens zu entwickeln. 4.3 Supervisionsangebot Ergänzt wird die Maßnahme durch regelmäßige Supervisionen, die die Umsetzung der Inhalte der Qualifizierungsmaßnahme begleiten. Dabei stehen die Übung der mentalisierenden Haltung und einer Perspektivenvielfalt im Vordergrund. 4.4 Selbsterfahrungsangebot Das Selbsterfahrungsangebot für die Krippenerzieher stärkt die selbstreflexive Dimension des Mentalisierens. Für die Begleitung der Eingewöhnungsphase von Kindern steht dabei der eigene Umgang mit Übergangssituationen und Trennungen im Fokus. 5. Besondere Merkmale des mentalisierungsbasierten Eingewöhnungsmodells in Konzeption und Praxis Das Programm (Bark et al. 2016 a) unterscheidet sich von vergleichbaren Konzepten entscheidend vor allem durch folgende Merkmale: n Das Programm identifiziert diejenigen Kinder, die eine zusätzliche, individuelle Stärkung der Eltern-Kinder-Interaktion im Sinne einer Beziehungsstärkung benötigen, damit auch sie sich ausgehend von einer gestärkten Sicherheitsbasis, dem „sicheren Hafen“, entfalten und entwicklungsfördernde Impulse von der Bezugsperson aufnehmen können. n Das Programm ist so konzipiert, dass es trotz des hohen Anspruchs, den es aufgrund der individuellen Begleitung der Eltern-Kind- Konstellationen stellt, über eine train-thetrainers-Komponente flächendeckend eingesetzt werden kann. Hierzu werden Trainertandems rekrutiert, denen mindestens ein Psychotherapeut/ eine Psychotherapeutin angehört. Die Trainer nehmen vorab an drei Wochenenden an einer Ausbildung in dem Programm teil, um sicherzustellen, dass sie ausreichend Kenntnisse sowohl in den theoretischen als auch in den praktischen Grundlagen des Mentalisierungskonzeptes und der mentalisierungsbasierten Eingewöhnung haben. n Das Programm trägt den Erkenntnissen und Vorgaben des Präventionsgesetzes 2015 Rechnung. Entscheidend neu an diesem Gesetz ist unter anderem, dass sich Maßnahmen in Zukunft statt auf Individuen auf die „Lebenswelten der Kinder“ richten sollen und dass sie die Familien und bei Kleinkindern die Kindertageseinrichtung miteinbeziehen (PrävG). n Das Programm ist begleitend zu seiner modellhaften Einführung nach allgemeinen 195 FI 4/ 2018 Mentalisierungsbasierte Eingewöhnung in der Kinderkrippe wissenschaftlichen Kriterien positiv evaluiert worden (Bark et al. 2016 a, 2016 b). Die Prozessevaluation umfasste die Datenerhebung, -auswertung und -präsentation der durchgeführten Projektarbeit. Im Rahmen der Prozessevaluation wurden die einzelnen Abläufe im Projektverlauf evaluiert und in ihrer Praktikabilität geprüft. Dabei war nicht nur wichtig herauszufinden, wie die Programminhalte im Einzelnen durchgeführt wurden, sondern auch, welche Schwierigkeiten dabei im Prozess auftraten. Die Prozessqualität umfasste alle Maßnahmen, die im Laufe des Screening-Prozesses und der Durchführung der Intervention unter Berücksichtigung der jeweils spezifischen Situation ergriffen oder nicht ergriffen wurden (Herzog/ Stein 2000; Bark et al. 2016 b). In die Praxis wurden durch das mentalisierungsbasierte Eingewöhnungsprogramm folgende Veränderungen im Vergleich zum Berliner Eingewöhnungsmodell eingeführt: n Das Eingewöhnungsgespräch mit den Eltern wurde um wichtige Fragen ergänzt z. B. zu festen häuslichen Ritualen, nach der Selbstregulation des Kindes in Abstimmung mit der entsprechenden Co-Regulation der Eltern und nach Gründen der Eltern für den Krippenbesuch. Dabei wurden im Besonderen innere Anliegen für den Krippenbesuch mit den Eltern erarbeitet und das Schwangerschafts- und Geburtserleben thematisiert. Diese Fragestellungen wurden in den Begrüßungsbogen der Kinderkrippen integriert. n Ein Tag vor Beginn der Grundphase nach dem Berliner Eingewöhnungsmodell wurde vorgeschaltet, an dem das Augenmerk im Kennenlernen der Krippe durch die Familie lag. Die Eltern wurden dazu angeregt, gemeinsam mit dem Kind den neuen Raum zu explorieren bzw. das Kind beim Explorieren zu begleiten und zu unterstützen. Auf diese Weise wurde im natürlichen Ankommen in der Krippe gleichzeitig eine sichere Basis für das Explorieren des Kindes als ein Element einer sicheren Bindung gestärkt. Eine sichere Bindung zu ermöglichen, ist ein wichtiges Ziel der Erziehung in der Kinderkrippe. n Dieses Vorgehen gewährleistete gleichzeitig die Möglichkeit einer diagnostischen Beobachtung der Mutter-/ Vater-Kinder-Interaktion, die für den Eingewöhnungsprozess wichtige Hinweise auf die Eltern-Kind- Beziehung geben kann. Wichtige Fragen konnten bereits in diesem Stadium beantwortet werden: Was sind die Ressourcen, die sich in der Eltern-Kind-Interaktion im gemeinsamen Explorieren des neuen Raumes zeigen? Was sind die Schwächen einer Familie, die sich in der Interaktion zeigen? Ist der begleitende Elternteil responsiv für den Blick/ die Blickrichtung des Kindes? Hat der begleitende Elternteil einen Sinn für das Spiel des Kindes und kann er dies stärkend begleiten? Gewährt der Elternteil entwicklungsgemäß Autonomie? Imitiert der Erwachsene den Ausdruck des Kindes? Welche Kommentare gibt der Elternteil in Bezug auf das seelische Empfinden des Kindes? Sind diese für die Entwicklungsphase angemessen? (Meins et al. 2001, 2002) 6. Die wichtigsten Ergebnisse/ Veränderungen des mentalisierungsbasierten Eingewöhnungsmodells bei Kindern, Eltern und Erzieherinnen In der Praxis konnten nach der Durchführung des Programms bei den Kindern, bei den Eltern und ganz besonders bei den Erzieherinnen positive Ergebnisse festgestellt werden. Die Feststellung erfolgte über quantitative und qualitative Fragebögen und qualitative Interviews 196 FI 4/ 2018 Christine Bark und ermöglichte eine vorwiegend qualitative Beschreibung der Veränderungen. Mit den Krippenleiterinnen wurden Experteninterviews durchgeführt und mittels einer qualitativen Inhaltsanalyse ausgewertet. 6.1 Veränderungen bei den Kindern Die Kinder wurden durch die veränderte Handhabung der Exploration am ersten Eingewöhnungstag schneller mit dem Raum bekannt und haben sich schneller darin wohlgefühlt, da sie den Raum mithilfe der Hauptbezugsperson kennenlernen und gemeinsam erleben konnten. Die Kinder erfuhren eine besondere Zuwendung durch die Erzieherinnen. Diese sind durch das Programm noch feinfühliger und intuitiver geworden. 6.2 Veränderungen bei den Eltern Durch intensive Gespräche mit den Eltern und dadurch, dass Themen angesprochen wurden, die den Eltern nicht explizit bewusst waren, hat das Programm zu einem veränderten, stärker mentalisierenden Umgang der Erzieherinnen mit den Eltern geführt. Die Eltern erlebten es als positiv, dass sie einen aktiveren Teil in der Eingewöhnung spielen und dass sie insgesamt mehr eingebunden waren. Der vorgeschaltete Tag vor der eigentlichen Eingewöhnung wurde durchgehend sehr positiv bewertet. Den Eltern zu sagen, dass die Erzieherinnen das Eingewöhnungsprogramm gemeinsam mit ihnen ausführen und gestalten möchten mit dem Ziel, dass sich die Eltern noch besser in die Intentionen der Erzieherinnen und vor allem auch in ihr Kind einfühlen können, hat das Vertrauen der Eltern in die Kinderkrippe deutlich gestärkt. Ängste, die aufseiten der Eltern vorlagen, wurden sichtbar und konnten im Zuge der Eingewöhnung angesprochen und gemildert oder ganz beseitigt werden. 6.3 Veränderungen bei den Erzieherinnen Die größten, nachhaltigsten und letztlich auch wichtigsten Veränderungen brachte das Programm aufseiten der Erzieherinnen. Das Programm führte zu einem intensiven Austausch innerhalb des Teams über die Eingewöhnung, die individuelle Situation wurde intensiver besprochen, zum Teil anhand von Video-Sequenzen. Die Video-Sequenzen nahmen das Kind in Interaktion in den Fokus. Durch den Kontakt zu Eltern und Kind im Vorfeld der Eingewöhnung hatten die Erzieherinnen vorab wichtige Informationen über das Kind erhalten, was einen differenzierten und mentalisierenderen Blick auf das Kind ermöglichte. Der vorgeschaltete Tag vor der eigentlichen Eingewöhnung wurde auch von den Erzieherinnen als sehr positiv bewertet. Der Raum sei dadurch für das Kind rascher vertraut geworden, was wiederum eine erhöhte Exploration ermöglicht habe. Das Programm führte aber auch dazu, dass die Erzieherinnen die Kinder und ihre Situation intensiver und reflektierter beachten konnten. Zugleich regte es die Erzieherinnen zu mehr Selbstreflexion an und dazu, das eigene Verhalten intensiver zu hinterfragen. Außerdem trug das Programm zu einer Stärkung der Erzieherinnen bei, die sich in ihrer Rolle wahrgenommen und gewürdigt sahen. Dies führte zu einer Änderung ihrer Haltung und einer Stärkung ihres Selbstvertrauens. Zusammenfassung der berichteten Veränderungen durch das Programm n Strukturelle Ergänzungen der bisherigen Eingewöhnungspraxis n Intensiverer Austausch und mehr Gespräche mit den Eltern n Intensiverer Austausch im Team n Wissen um das Mentalisierungskonzept n Erhöhtes Bewusstsein über Eingewöhnungsprozesse (intensiverer Blick auf das Kind und auf die Eltern) 197 FI 4/ 2018 Mentalisierungsbasierte Eingewöhnung in der Kinderkrippe n Erhöhtes Bewusstsein über eigenes Verhalten n Mentalisierende Haltung der Erzieherinnen n Sensiblerer Umgang mit Körperkontakt n Auswirkungen auf die Gestaltung des Raumes n Auswirkungen auf die Dienstpläne: mehr personelle Konstanz n Auswirkungen auf die Personalauswahl bei Neueinstellungen und Teamzusammensetzung n Anpassung von Handlungsleitlinien und des Konzeptes n als Ausblick entstand der Wunsch, die Arbeit mit Videografie in Kinderkrippen zu intensivieren 6.4 Veränderungen bei speziellen Gruppen (psychosozial belastete Familien, Familien mit Migrationshintergrund, Familien mit Fluchterfahrung) Die vorstehend aufgeführten Veränderungen betrafen alle Teilnehmer. Für drei Gruppen hat sich das Programm als besonders vorteilhaft erwiesen. Psychosozial belastete Familien konnten mit dem Programm in besonderem Maße berücksichtigt und gefördert werden, ihre spezifische Situation wurde dadurch in einem frühen Stadium erkannt. Nichtmuttersprachliche Eltern (z. B. Migranten und Flüchtlinge) müssen gesondert berücksichtigt werden. Dafür sollten fremdsprachige Unterlagen erarbeitet werden. Dann kann das Programm auch allgemeine Informationsfunktion bekommen. Für eine Integration ist es wichtig, dass dieser Personenkreis möglichst früh miteinbezogen wird, um seine Chancen zu erhöhen. Diese Chance eröffnet das Programm, weil es nicht zum Ziel hat, Wissen zu erweitern, was durch die Sprachhürde schwierig ist, sondern eine Haltung zu erlernen und einzuüben. 7. Bedeutung für die Praxis Eine sichere Bindung entwickelt sich in der frühen Kindheit, sie ist eine wichtige Voraussetzung für die Persönlichkeitsentwicklung des Kindes, die Widerstandsfähigkeit, Kreativität und Lernfähigkeit. Sie wird durch das hier in der Praxisanwendung dargestellte mentalisierungsbasierte Präventionsprogramm beim Übergang von der Erziehung des Kleinkindes durch die Eltern in die Erziehung in der Kinderkrippe gestärkt. Mentalisieren wirkt sich auf die Haltung der Eltern und Erzieherinnen aus, es stärkt deren Feinfühligkeit und deren Reflexionsvermögen. Es stärkt das Selbstverständnis der Erzieherinnen und sichert, dass sie von den Eltern in ihrer Bedeutung für die Entwicklung ihres Kindes intensiver wahrgenommen werden. Für die genannten speziellen Gruppen steigert das Präventionsprogramm die Chancen für eine gelingende Integration. Dr. med. Christine Bark Institut für Psychosoziale Prävention Universitätsklinikum Heidelberg Bergheimerstraße 54 69115 Heidelberg Literatur Bark, C., Baukhage, I., Cierpka, M. (2016 a): A mentalization-based primary prevention program for stress prevention during the transition from family care to day care. Mental Health & Prevention, 4 (1), 49 - 55 Bark, C., Baukhage, I., Taubner, S., Cierpka, M. (2016 b): Frühe Hilfen Plus. Abschlussbericht Projektlaufzeit September 2014 - März 2016. Unveröffentlichtes Manuskript. Institut für Psychosoziale Prävention, Universitätsklinikum Heidelberg Bark, C. (2018): Ein mentalisierungsbasiertes Präventionsprogramm zum Übergang von der Familie in die Kindereinrichtung. In: Gingelmaier, S., Taubner, S., Ramberg, A. (Hrsg.): Handbuch mentalisierungsbasierte Pädagogik. 1. Aufl. Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht, , im Druck 198 FI 4/ 2018 Christine Bark Brodin, M., Hylander, I. (2002): Wie Kinder kommunizieren. Beltz, Weinheim/ Basel Funder, A., Fürstaller, M., Hover-Reisner, N. (2013): Holding mind in mind - Work Discussion: Eine Methode zur Förderung der Mentalisierungsfähigkeit von ErzieherInnen? In: Wininger, M., Datler, W., Dörr, M. (Hrsg.): Psychoanalytische Pädagogik und frühe Kindheit (Band 4 der Schriftenreihe der Kommission Psychoanalytische Pädagogik der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft (DGfE). Opladen, Verlag Barbara Budrich, 217 - 236 Gustafsson, L. (1995): Kinder weit weg und doch ganz nah. Kreuz Verlag, Stuttgart Hédervári-Heller, E. (2008): Die Bindungstheorie. In: Maywald, J., Schön, B. (Hrsg.): Krippen, wie frühe Betreuung gelingt. Weinheim/ Basel, Beltz Verlag, 65 - 73 Herzog, T., Stein, B. (2000): Qualitätsmanagement - Konzepte und Methoden. In: Herzog, T., Stein, B., Wirsching, M. (Hrsg.): Qualitätsmanagement in Psychotherapie und Psychosomatik. Stuttgart, Thieme, 1 - 32 Kobelt Neuhaus, D., Haug-Schnabel G., Bensel, J. 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Child Development, 73, 1715 - 1726, https: / / doi.org/ 10.11 11/ 1467-8624.00501 Präventionsgesetz (PrävG) Bundesgesetzblatt Jahrgang 2015 Teil I Nr. 31, ausgegeben zu Bonn am 24. Juli 2015. Gesetz zur Stärkung der Gesundheitsförderung und der Prävention (Präventionsgesetz - PrävG). In: https: / / www.bgbl.de/ xaver/ bgbl/ start. xav? startbk=Bundesanzeiger_BGBl&jumpTo=bgbl11 5s1368.pdf#__bgbl__%2F%2F*%5B%40attr_id%3D% 27bgbl115s1368.pdf%27%5D__1490691983638, 28. 3. 2017 Stern, D. (2003): Die Lebenserfahrung des Säuglings. Klett-Cotta, Stuttgart Taubner, S. (2015): Konzept Mentalisieren. Psychosozial-Verlag, Gießen