eJournals Frühförderung interdisziplinär 38/3

Frühförderung interdisziplinär
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0721-9121
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
71
2019
383

Rezension: Marion Wieczorek, Mit jedem Schritt wächst meine Welt. Bildung und schwere Behinderung.

71
2019
Katja Zimmermann
„Wie lernen Kinder die Welt kennen? Wie baut sich Weltwissen bei Kindern auf? Auf welchen Wegen gewinnen sie Zugang zur Welt? Wie können die Erfahrungen der Kinder anschlussfähig an die Erfahrungen anderer werden?“ (S. 5) Der Beantwortung dieser von der Autorin eingangs gestellten Fragen wird im Kontext einer „Didaktik für Kinder mit sehr schwerer Behinderung“ (ebd.) in dem vorliegenden Werk nachgegangen. Dieses Buch setzt sich im Hinblick auf Menschen mit einer Komplexen Behinderung, auch bezeichnet als sehr schwere, mehrfache oder schwerste geistige Behinderung, tiefgehend und vielschichtig mit dem Thema Bildung auseinander. Es vermittelt Grundlagenwissen und konkrete Anregungen, wie Bildungsprozesse für diesen Personenkreis gestaltet werden und gelingen können. [...]
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160 FI 3/ 2019 REZENSIONEN Marion Wieczorek Mit jedem Schritt wächst meine Welt. Bildung und schwere Behinderung. verlag selbstbestimmtes leben, 2018, 145 S., € 14,90 „Wie lernen Kinder die Welt kennen? Wie baut sich Weltwissen bei Kindern auf? Auf welchen Wegen gewinnen sie Zugang zur Welt? Wie können die Erfahrungen der Kinder anschlussfähig an die Erfahrungen anderer werden? “ (S. 5) Der Beantwortung dieser von der Autorin eingangs gestellten Fragen wird im Kontext einer „Didaktik für Kinder mit sehr schwerer Behinderung“ (ebd.) in dem vorliegenden Werk nachgegangen. Dieses Buch setzt sich im Hinblick auf Menschen mit einer Komplexen Behinderung, auch bezeichnet als sehr schwere, mehrfache oder schwerste geistige Behinderung, tiefgehend und vielschichtig mit dem Thema Bildung auseinander. Es vermittelt Grundlagenwissen und konkrete Anregungen, wie Bildungsprozesse für diesen Personenkreis gestaltet werden und gelingen können. In den ersten beiden Kapiteln wird zunächst der Personenkreis, auf den sich die folgenden Ausführungen beziehen, beschrieben und zudem Grundüberlegungen formuliert, was Bildung bei Kindern mit schwerer geistiger Behinderung ausmacht. Dabei und auch im Folgenden nimmt die Verfasserin immer wieder Bezug auf Gerd E. Schäfer, der im Bereich frühkindliche Bildungsprozesse und Naturwissen von Kindern forscht und darüber Erkenntnisse gewann, wie sich grundlegendes Lernen bei Kindern gestaltet. Dieses Wissen wird auf die Bedürfnisse und Bildungsprozesse bei Kindern mit einer sehr schweren geistigen Behinderung übertragen und angewendet. Besonders betont wird in diesem Zusammenhang der Aspekt der Selbsttätigkeit, der Selbstbildung in sozialer Interaktion. Darauf aufbauend wird im folgenden Kapitel der Aspekt der Interaktion, des Austauschs und der Verständigung mit der Umwelt, welcher im Besonderen im Kontext von Bildung bei schwerer geistiger Behinderung einen essenziellen Stellenwert einnimmt, in den Fokus genommen. Es wird auch mit Rückgriff auf Fallbeispiele aus der Praxis dargelegt, wie ein selbstbestimmtes und selbsttätiges Erkunden, Gestalten und Verstehen der Welt von einem Gegenüber sinnstiftend und behutsam gestaltet und begleitet werden kann. Im vierten Kapitel, überschrieben mit „Wege zum individuellen und überlieferten Weltwissen“ wird dargelegt, wie sich kindliches Grund- und Erfahrungswissen über konkrete Handlungs- und Sinneserfahrungen in Alltagszusammenhängen aufbauen kann. Dabei wird der Stufenablauf beginnend beim konkreten Denken, welches als Grunderfahrung die Basis für abstraktere Denkvorgänge ist, bis hin zum theoretischen Denken beschrieben. Die Autorin fordert in diesem Kontext, dass Angebote für Kinder mit einer schweren geistigen Behinderung nicht nur auf einer konkreten Ebene stehen bleiben sollen, sondern „Werkzeuge und Wege bereitzustellen, dass Übergänge und Weiterentwicklungen im Sinne eines ,Weiterdenkens‘ möglich werden“ (S. 52 - 53). Diese Forderung wird nun in den folgenden Ausführungen konkretisiert: Auf der zugrunde liegenden Stufe des konkreten Denkens wird ausgehend von dem Körper als Zugang zur Welt der Weg über die Materialhin zur Welterfahrung beschrieben. Weiterführend werden nun, wie oben gefordert, Ideen beschrieben, wie symbolische oder bildhafte Bildungsinhalte vermittelt 161 FI 3/ 2019 Rezensionen werden können. Ein ganzes Kapitel widmet die Autorin abschließend dem Ansatz des Geschichtenerzählens, dieser fördert das narrative Denken, zudem kann so eine gemeinsame Vorstellungswelt aufgebaut werden. Insgesamt ein interessantes Werk, das sich einer wichtigen, hoch komplexen Thematik annimmt und eine klare Ausrichtung erkennen lässt: Die Autorin fordert, dass Förderkonzepte und Praxisbeispiele für Schüler und Schülerinnen nicht auf der konkreten Ebene stehen bleiben dürfen oder das Konkrete als Grunderfahrung für abstraktere Denkvorgänge vernachlässigt wird. Ihr Anspruch ist es, Möglichkeiten der Unterstützung der verschiedenen Repräsentations- und Verarbeitungsformen des Denkens und Übergänge zwischen den einzelnen Denkformaten zu finden (vgl. S. 53). Dabei greift Frau Wieczorek auf vorliegende Ansätze des Lernens und Förderns bei schwerer geistiger Behinderung (z. B. Basale Stimulation) als auch auf Erkenntnisse des grundlegenden Lernens zurück. Zur Verdeutlichung und Konkretisierung dienen durchgängig unterschiedliche Praxisbeispiele. Fazit: Das Buch gibt auf einer primär theoretischen Ebene Denkanstöße und Anregungen für eine Auseinandersetzung mit Bildungsinhalten und -prozessen bei Schülerinnen und Schülern mit einer schweren geistigen Behinderung, darauf aufbauend wären praktische unterrichtliche Umsetzungsmöglichkeiten eine wertvolle Ergänzung. Katja Zimmermann DOI 10.2378/ fi2019.art21d