Frühförderung interdisziplinär
1
0721-9121
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
101
2019
384
Ene mehne muh und raus bist du, oder nicht?
101
2019
Katja Rittel
Dieser Beitrag beschäftigt sich mit einer praxisorientierten Darstellung, wie die Anwendung der Methode „Klopfakupressur“ (KLAP) in der Frühförderung (FF) gestaltet werden kann. Zur Illustration wird ein Fallbeispiel eines Kindes mit sozial-emotionalen Entwicklungsbeeinträchtigungen vorgestellt. Anschließend wird die Methode der KLAP kurz erläutert und ihr Einsatz zur Förderung der Teilhabe des Kindes im Kitaalltag beschrieben.
1_038_2019_004_0207
207 Frühförderung interdisziplinär, 38.-Jg., S.-207- 213 (2019) DOI 10.2378/ fi2019.art26d © Ernst Reinhardt Verlag AUS DER PRAXIS Energetische Psychologie und Partizipation Gibt man das Wort Energie in die Suchmaschine Google ein, erhält man ca. 591.000.000 Ergebnisse. Energie ist in aller Munde. Energiewandel, Energieverschwendung, Alternative Energien, Lebensenergie … Was haben solche Begriffe in dieser Zeitschrift zu suchen? „Leben bedeutet Energie“ heißt der Titel eines kleinen Animationsfilms. Ist das so? Fragt man das einen Mitteleuropäer, denkt dieser sicher an Stromversorgung. Stellt man die Frage einem Chinesen, wird er vermutlich an das Qi denken, die Lebensenergie, um welche es in folgendem Artikel gehen soll. Wirklich? Ist das nicht Esoterik? Könnten Sie fragen. Ja, auch, ist die Antwort, doch es ist viel mehr. Wie passt das nun zum Thema Partizipation? Der folgende Fall wurde ausgewählt, um zu zeigen, welche Herausforderungen im Alltag von Familien und Kindereinrichtungen bestehen, die Umsetzung von Teilhabemöglichkeiten für alle Kinder zu realisieren. In diesem Artikel wird unter Partizipation in erster Linie die Teilhabe an einem typischen Kinderleben verstanden, das in Sachsen-Anhalt in der Regel aus einem Kitaaufenthalt von mehr als 5 Stunden täglich besteht. Dort finden die meisten sozialen Kontakte der Kleinen statt. Kindern, wie in unserem Beispiel, wird diese Möglichkeit immer öfter verwehrt. Sie werden aufgrund ihres Verhaltens von Veranstaltungen, Ausflügen oder gar ganz aus der Einrichtung ausgeschlossen. Nicht selten sind die Pädagog*Innen in den Gruppen gern bereit, diese Kinder zu begleiten und zu fördern, doch die Bedingungen, an erster Stelle das knappe Personal zu nennen, führen zu einem so hohen Belastungserleben und auch Gefahren für alle Beteiligten, dass die Lösung von übergeordneter Stelle schon öfter die Suspendierung war. Versteht man unter Partizipation nicht nur Teilhabe, sondern auch Mitbestimmung der Betroffenen, dann verschlimmert sich dieses Bild noch mehr. Die Entscheidungsfreiheit der Eltern wird vollständig ausgesetzt, die Möglichkeit der Berufsausübung schränkt sich zudem stark ein, dies gilt auch für die Mit- und Selbstbestimmung der betroffenen Kinder, da sie häufig in ihrer Ideenausübung eingeschränkt werden aus Furcht, dass die Situation wieder eskaliert. Ene mehne muh und raus bist du, oder nicht? Klopfakupressur als Partizipationsermöglicher in Frühförderung und Kindertagesstätte Katja Rittel Dieser Beitrag beschäftigt sich mit einer praxisorientierten Darstellung, wie die Anwendung der Methode „Klopfakupressur“ (KLAP) in der Frühförderung (FF) gestaltet werden kann. Zur Illustration wird ein Fallbeispiel eines Kindes mit sozial-emotionalen Entwicklungsbeeinträchtigungen vorgestellt. Anschließend wird die Methode der KLAP kurz erläutert und ihr Einsatz zur Förderung der Teilhabe des Kindes im Kitaalltag beschrieben. 208 FI 4/ 2019 Aus der Praxis Ein Fallbeispiel Das Telefon klingelt in der Frühförderstelle, eine aufgelöste Erzieherin ist am anderen Ende. Sie weint fast beim Sprechen. Es ginge um einen Jungen in ihrer Gruppe, 3 Jahre alt, der erst seit Kurzem aus dem Krippenbereich in den Kindergarten gewechselt sei. Er habe es heute geschafft, binnen Minuten die gesamte Gruppe so in Aufruhr zu versetzen, dass ein Beruhigen und zum Tagesgeschehen Zurückfinden quasi nicht möglich war. Dazu kam, dass er in eine Rangelei mit einem älteren Jungen verstrickt gewesen sei, bei der das andere Kind am Auge verletzt worden wäre. Das sei kein Ausnahmefall mehr, sondern werde zusehends Alltag. Auch habe es schon 2 Verletzungen bei Kolleginnen gegeben, die versucht hätten, den Jungen (wir nennen ihn hier Paul) davon abzuhalten, anderen Kindern wehzutun. Die Eltern seien wenig einsichtig und das Personal zu knapp, um sich intensiv und einzeln, denn dann verhalte Paul sich unauffällig, zu beschäftigen. Auf die Frage, ob es auch noch andere Auffälligkeiten bei diesem Jungen zu beobachten gebe, beschrieb die Kollegin, dass er sich schnell ablenken ließe, sehr durcheinander agiere, penibel auf Gleichmaß und Ordnung achte und über so gut wie keine Risikoeinschätzung verfüge. Nach einer durch die Eltern autorisierten Beobachtung im Kindergarten, bei der Paul all das beschriebene Verhalten zeigte, durchlief er die übliche Diagnostik- und Antragsprozedur für die Gewährung von FF. In der Diagnostik zeigten sich deutliche Anzeichen für Wahrnehmungsstörung, Dyspraxie, geminderte Ausdauer und andere nicht bedeutsame Entwicklungsauffälligkeiten. Außerdem wurde eine mindestens durchschnittliche Intelligenz diagnostiziert. Paul ist ein aufgeweckter, zugewandter Junge, sehr groß und kräftig für sein Alter. In der Verhaltensbeobachtung war zu sehen, dass er wenig in Kontakt mit anderen tritt, kaum Absprachen mit Spielpartner*Innen trifft und seine Ideen um jeden Preis durchsetzt, notfalls mit Gewalt. Die FF wurde amtsseitig abgelehnt. Da die Kita zu den festen Kooperationspartnern der Frühförderstelle gehört, konnten die Kolleginnen vor Ort jede Woche die Zuspitzung der Situation beobachten. Paul stand nun schon zweimal vor der Suspendierung. Aus diesem Grund und auf Wunsch der Beteiligten, nun auch der Eltern, wurde ein erneuter Antrag gestellt. In der Zwischenzeit hatte man Paul einem Kinder- und Jugendpsychiater vorgestellt, der ebenfalls die FF empfahl. Mit neuen Berichten von Kinderarzt und Psychiater gelang diesmal die Bewilligung der Leistung. In den nun intensiver stattfindenden Elterngesprächen ergab sich folgendes Bild. Paul sei das 3. von 3 Kindern. Die beiden älteren Kinder, beides Mädchen, seien schon 20 und 16 Jahre alt. Paul wäre ein nicht geplanter, dann aber gewünschter Nachzügler. Bei den älteren Geschwistern habe es schulische Probleme gegeben, diese hätten Lernstörungen diagnostiziert bekommen, doch keine Verhaltensauffälligkeiten gezeigt. Beide Elternteile seien berufstätig. Klopfakupressur und der wissenschaftliche Hintergrund Was nun? Neben allem was FF an direkter Arbeit mit Kind und Familie, aber auch den Netzwerkpartnern zu bieten hat, wird in diesem Fall eine weitere Komponente genutzt. Energetische Psychologie. Was ist das? Warum kommt diese zum Einsatz? Wie kann sie zur Förderung der Partizipation von Paul im Kitaalltag eingesetzt werden? Die Arbeit mit der Lebensenergie Qi stammt bekanntlich aus der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM). Hier wird sie seit mehr als viertausend Jahren praktiziert. Aus dem Jahr 2600 v. Chr. stammt die erste schriftliche Überlieferung (Kloster und Waskowiak 2005). In den 1960er Jahren „begann Dr. George Goodheart, ein Chiropraktiker aus Detroit, seine Patienten ganzheitlich zu behandeln, indem er zur Schmerzlinderung auch verschiedene Akupunkturpunkte klopfte“ (Preuß 2009, 17). Einige Personen, die an der Weiter- 209 FI 4/ 2019 Aus der Praxis entwicklung und Verbreitung der Methode im Bereich der Psychologie beteiligt waren, sind R. Callahan, G. Craig und F. Gallo. Inzwischen gibt es zahlreiche Abwandlungen und Schulen, die auf den Grundlagen der Energetischen Psychologie (EP) aufbauen. Methoden unter Bezeichnungen wie Tought Field Therapie nach Callahan (TFT) (Callahan und Callahan 2005), Emotional Freedom Techniques nach Craig (EFT) (Feinstein et al. 2007) und Prozess- und Embodimentfokussierte Psychologie nach Bohne (PEP) (Bohne 2010) basieren alle auf diesen Grundlagen (Eschenröder 2012). Aber auch zur Wirkung der Technik des Eye Movement Desensitization and Reprocessing (EMDR) (Shapiro 1995), die inzwischen wissenschaftlich sowie sozial- und kassenrechtlich als Methode zur Therapie der Posttraumatischen Belastungsstörung anerkannt ist (Bundespsychotherapeuten Kammer 2015), gibt es viele Parallelen. Die Untersuchungen beider Verfahren gehen von ähnlichen Grundlagen aus. Es gibt inzwischen zahlreiche wissenschaftliche Belege der Wirksamkeit energetischer Verfahren bei psychischen Störungen. So in den Studien von Clond (2016) zur Behandlung von Angsterkrankungen und Rowe (2005). Doch warum das Stimulieren von Energiebahnen positive Veränderungen in den Emotionen hervorruft, ist noch immer ungeklärt. Bevor hier auf mögliche Wirkfaktoren eingegangen werden soll, wird ein Blick auf die Behandlungselemente geworfen. In der KLAP kommt eine Bandbreite an Methoden aus verschiedenen Therapieverfahren zum Einsatz, so das Stimulieren der Akupunkturpunkte aus der TCM, Augenbewegungs- und Lateralitätsübungen aus dem Neurolinguistischen Programmieren, aber auch kognitive Techniken in Anlehnung an die Verhaltenstherapie. Außerdem nutzt man, wie in vielen Entspannungstechniken, die Atmung zur Vertiefung der Effekte. Beim Yoga, Chi Gong oder auch dem Autogenen Training ist dies ein wichtiger Bestandteil (Eschenröder 2012). Verschiedene Wirkhypothesen existieren. An dieser Stelle soll nur eine diskutiert werden. Wie oben beschrieben, nutzt die EP verschiedene Sinneskanäle in der Behandlung. Diese sind visuell, taktil-kinästhetisch und auditiv. Die vermuteten Wirkfaktoren können vier Bereichen zugeordnet werden: Zu 1. Die Einflussnahme auf die Lebensenergie Qi. In der TCM geht man davon aus, dass das Qi in allem Lebendigen fließt, so auch in uns Menschen. Es herrscht die Vorstellung, dass im menschlichen Körper sog. Meridiane, verlaufen, in denen das Qi fließt. Das Energiesystem sei allen anderen Systemen im Geschöpf übergeordnet. An verschiedenen Stellen der Oberfläche des Körpers sollen diese Meridianbahnen in Akupunkturpunkten enden, an denen es möglich sei, auf das Energiesystem Einfluss zu nehmen. Das Stimulieren dieser Areale soll gestörten Energiefluss regulieren und Blockierungen dessen beheben. Akupunktur, Akupressur aber auch Wärmebehandlung der Punkte (Moxibustion) stehen zur Verfügung. Die Wirkung der Akupunktur ist vielfach nachgewiesen (u. a. Witt et al. 2006, Melchart et al. 2006). Zu 2. Die neuronale Plastizität ist die Grundlage des Lernens und Verlernens als Anpassung eines Organismus an seine Lebensumstände. Eine Hypothese ist, dass die mehrkanalige Arbeitsweise der EP das Umlernen in Bezug auf emotionale Reiz-Reaktionsketten erleichtert (Wissenschaftlicher Beirat Psychotherapie 2006, Hofmann 2009). Zu 3. Die Wirkung von Psychotherapie basiert zu großen Teilen auf der Beziehung zwischen Behandelnden und Zubehandelnden (Grawe et al. 1994). Eine stabil und positiv empfundene Beziehung und der Körperkontakt durch das Klopfen könnten also zur Ausschüttung von Endorphinen, Dopamin und dem „Kuschelhormon“ Oxytocin führen, was, wie oben beschrieben, einen förderlichen Einfluss auf die Neuroplastizität und Stressabbau haben könnte (Uvnäs-Moberg und Petersson 2005). So könnte das Stimulieren der Akupunkturpunkte in einer sicher empfundenen Atmosphäre zur vermehrten Ausschüttung von Oxytocin und somit zur Stressreduktion beitragen. 210 FI 4/ 2019 Aus der Praxis Zu 4. Verschiedene Untersuchungen konnten belegen, dass EP einen positiven Einfluss auf das vegetative Nervensystem hat. So konnten Veränderungen z. B. der Herzfrequenz, festgestellt werden. Diese leicht messbaren Parameter dienen als Belege für Entspannungseffekte (Rowe 2005). So könnte die Entspannungsreaktion Psychotherapieeffekte objektivieren. Während es eine zunehmende Anzahl von wissenschaftlichen Untersuchungen über die Wirkung dieser Methode bei Jugendlichen und Erwachsenen gibt (Andrade und Feinstein 2004, Wilhelm-Gößling 2010, Clond 2016) ist die Quellenlage für die Arbeit mit Kindern sehr überschaubar. Die meisten Autor*Innen schreiben aus praktischen Erfahrungen heraus und können anhand vieler Fallbeispiele die Ergebnisse des Einsatzes in diesem Bereich belegen, doch wissenschaftlich nachgewiesen sind diese nicht ausreichend (Benesch und Bensch 2014, Hartmann 2005, Becker-Oberender 2008). Anwendung in der Praxis Zurück zu Paul. Er steht vor der Kindergartensuspendierung, die Eltern und Erzieher*Innen sind an ihrer Leistungs- und Toleranzgrenze angekommen. Paul leidet sichtlich unter den vielen Sanktionen, die er erhält. Er weint viel und wirkt unsicher. Zur Mittagszeit ist er so erschöpft, dass er, kaum liegt der Kopf auf dem Kissen, schläft, so die Kolleg*Innen aus der Einrichtung. Stark erregte, schwer kontrollierbare Emotionen und hohe Erschöpfung sind deutliche Zeichen energetischer Entgleisungen. Hier entsteht in der Kooperation zwischen Eltern, Kita und FF die Idee des Einsatzes der KLAP, um eine emotionale Regulationsmöglichkeit zu schaffen. Was passiert genau in einer solchen Behandlungssitzung? Das Klopfen verläuft immer nach einem identischen Grundschema, welches durch verschiedene Behandlungsskripte, die auf unterschiedliche Themen, wie Trauma oder Ängste, ausgerichtet sind, ergänzt wird. Der erste Schritt, nach der Kontaktaufnahme und dem Einverständnis der Zubehandelnden, wie in jeder anderen Therapieform auch, wird das Vorgehen beschrieben und demonstriert. So zeigt man die Akupressurpunkte und legt fest, ob die Beteiligten selbst klopfen oder dies durch den Behandelnden erfolgen soll. Diese Entscheidung ist sehr individuell und hängt von verschiedensten Faktoren, wie der Scheu vor Berührungen, Lerneffekten, dem Alter der Zubehandelnden und auch dem Thema ab. Dieses wird im nächsten Schritt umrissen. In der Arbeit mit jüngeren Kindern ist hier die Unterstützung durch Bezugspersonen unerlässlich. Nach der detaillierten Beschreibung des Vorstellungsanlasses wird das Gefühl erfragt, was damit in Zusammenhang steht. Die Erfahrung der Autorin zeigt, dass auch jüngere Kinder diese erstaunlich gut beschreiben können, sie wissen oft besser als Erwachsene, in welchen Bereichen ihres Körpers diese Gefühle zu finden sind. Nun wird die Intensität des Gefühls, der Sorge o. Ä. eruiert. Dazu stehen Smileyskalen zur Verfügung, auf denen das Kind die Stärke der Empfindung zeigen kann. Hat man diese nicht zur Hand, nutzt man den Abstand zwischen beiden Händen. Durch das Gespräch über das Problem und die Einstimmung auf der Skala, befinden sich die Ratsuchenden oft mitten in diesen Empfindungen, dies ist optimal für die Wirkung der Methode. Je nach Alter des Kindes spricht nun das Kind, die Bezugsperson oder der Behandelnde weiter über das Thema, immer im Wortlaut des Kindes, und das Klopfen beginnt. Hierfür berührt man mit einem Finger einen Meridianpunkt nach dem anderen mit einem leichten vibrierenden Klopfen, dessen Intensität je nach den Reaktionen des Zubehandelnden angepasst wird. Hier ist eine genaue Beobachtung durch die Behandelnden gefragt. Häufig kommt es schon in der ersten Klopfrunde zu äußerlich sichtbaren Veränderungen. In manchen Fällen verschlimmert sich das Gefühl, was sich oft in Weinen oder Veränderung der Gesichtsfarbe äußert, oder es tritt eine Entspannung ein, bei der vor allem Kinder meist gäh- 211 FI 4/ 2019 Aus der Praxis nen, ruhiger sitzen oder gar einschlafen. Nach dieser ersten Sequenz erfragt man die Veränderungen und legt einen neuen Wert auf der Gefühlsskala fest. Das Klopfen ist für jeden anwendbar, nur wenige Kontraindikationen bestehen, wie Psychosen oder schwere Traumata, diese gehören unbedingt in die Hände von ausgebildeten Therapeuten und Therapeutinnen. Eine Selbstanwendung ist zum Zwecke der Entspannung jederzeit möglich. Das macht die Methode so alltagstauglich. Durch die aktive Selbstanwendung wird das Selbstwirksamkeitserleben aller Beteiligten gestärkt. Eine Erzieherin fasste es einmal so zusammen: „Schon, dass ich weiß, dass ich diese hilfreiche Methode habe und sie jederzeit anwenden kann, entspanne ich mich mehr und mehr“ (Beate K., Dessau). Für therapeutische Fragestellungen sollte allerdings unbedingt eine ausgebildete Kraft angefragt werden. Die Arbeit an den Meridianaustrittspunkten führt mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Entspannung im gesamten Körper. Bei Kindern äußert sich das häufig wie oben beschrieben. Meist genießen sie diese Art der Zuwendung und lassen die Behandelnden mehrere „Runden“ klopfen. In Pauls Fall kam es in einer zufällig miterlebten Akutsituation zum ersten Einsatz der KLAP. Die Frühförderin wollte sich gerade von den Erzieherinnen verabschieden, als eine Kollegin mit einem schreienden Paul vom Spielplatz in den Raum trat. Er hatte auf dem Klettergerüst verbotenerweise das Dach erklommen und sei dort wild herumgesprungen. Er habe auf Ansprache nicht reagiert. Als die Erzieherin versucht habe ihn dort herunterzuholen, habe er nach ihr getreten und sie am Finger verletzt. Nun musste er zur Strafe in den Gruppenraum. Dort weinte er bitterlich. Die Frühförderin setzte sich nach kurzer Absprache mit der Kollegin zu ihm und erzählte ihm von den „Zauber- und Musikpunkten“. Er ließ sie gewähren, schloss die Augen. Die Frühförderin sprach dazu den sichtbaren Kummer des Jungen an, der immer wieder kurz aufschluchzte und durch Nicken das Gesagte bestätigte. Paul beruhigte sich unter der Behandlung mehr und mehr. Am Ende saß er ruhig und ansprechbar auf seinem Stuhl. Die Erzieherinnen erzählten später, dass er an diesem Tag sehr müde und erschöpft und weniger angriffslustig gewesen sei. Da Paul bei der Frühförderin FF erhält, war die Anwendung in dieser akuten Situation problemlos möglich. Die Eltern haben zuvor ihr Einverständnis erteilt, der Kindergarten war informiert. Für Paul wurde so ein Weg eingeschlagen, der zu innerer Ruhe und verbesserter Selbstregulation führen kann. Der nächste Schritt war der Einbezug der Fachkräfte in diese Arbeit. Zuerst wurde die Hauptbezugserzieherin zu einem Einzeltermin eingeladen, in dem sie die Methode und ihre Anwendung an sich selbst erlebte. So wurde das Thema Paul und seine anstrengende Art bei der Bezugserzieherin selbst behandelt. Am Ende der Sitzung konnte die Pädagogin lächeln und sehen, dass Paul auch positive und wirklich liebenswerte Seiten hat, was ihr in den letzten, sehr anspruchsvollen Tagen nicht mehr so deutlich möglich war. Nun erlernte sie die Anwendung der Klopftechnik in einer gemeinsamen Stunde mit dem Jungen direkt an sich selbst und am Kind. Beide genossen diese Stunde sehr. Da die Abläufe der Behandlungsskripte, die zur Entspannungsauslösung genutzt werden, denkbar einfach und den gleichen Mustern folgend einsetzbar sind, steht einem schnellen Erlernen und problemlosen Anwenden schon nach ein bis zwei Stunden des Übens nichts im Wege. Die Nutzung in allen Lebensbereichen des Kindes ist somit möglich. Nun mussten die Eltern noch gewonnen werden. Hier traf das Team auf größere Skepsis als bei dem Kitakollegium. Aus Erfahrung mit diesem Umstand heraus bietet die Frühförderin immer eine Einzelstunde mit einem oder beiden Elternteilen an, in der es nur um deren Belange geht. Am eigenen Thema und Leib erfahren die Betroffenen so die Wirkung der Methode, in aller Regel sind sie sehr ansprechbar, da die Belastung oft extrem hoch ist und in diesem Zustand, so die langjährige Erfahrung der Frühförderin, die Methode am besten ihre Wirkung entfaltet. Nachdem die Be- 212 FI 4/ 2019 Aus der Praxis handelten selbst die Veränderung von Belastung und Anspannung oder gar Verzweiflung hin zu Ruhe und dem Gefühl eines Abstandes zum Thema wahrnehmen konnten, sind sie meist hoch motiviert, dieses auch ihren Kindern angedeihen zu lassen. Von Pauls Familie war nur die Kindesmutter zu motivieren, an einer solchen Sitzung teilzunehmen. Der Vater lehnte dies ab. Die hoch belastete Frau reagierte erwartungsgemäß sehr positiv auf die Anwendung und lernte schnell und unkompliziert die Selbstanwendung, wie zuvor die Erzieherin an Paul und sich. Hier wurde ein Abendritual eingeführt, bei dem Paul im Arm der Mutter von seinem Tag berichten soll und die Kindesmutter ihn während dessen beklopft. Paul genieße dies sehr und fordere es sogar ein, so die erste Rückmeldung der Mutter. Um die notwendigen Atemübungen für das Kind besser erfahrbar zu machen, das lange Ausatmen fällt, so das Wissen der Autorin, Kindern in diesem Alter schwer, gestaltete die Kollegin in einer gemeinsamen Sitzung mit Mutter und Kind ein Pustetuch aus Seide, das nun am Bett hänge und abends nach dem Klopfen von Paul angepustet werde, so kann er direkt die Wirkung seines Atems wahrnehmen, die Stärke dosieren und die Richtung beobachten. Der nächste Schritt wird ein gemeinsames Projekt mit der gesamten Gruppe sein, in dem die Frühförderin in einem Morgenkreisangebot allen Kindern mithilfe einer Geschichte das Klopfen zeigt, dann werden die Erzieher*Innen mit den Kindern Pustetücher gestalten. In einer weiteren Stunde kann die Anwendung dann noch einmal mit der Frühförderin in der gesamten Gruppe gefestigt werden. Der Hintergrund dieser Idee ist, dass Paul aus seiner Sonderrolle herausgeholt werden soll, wenn alle Kinder das Klopfen kennen und es auch in der gesamten Gruppe angewandt wird, ist er nicht mehr das Kind, das eine besondere Behandlung braucht. Der Einsatz dieser doch noch recht ungewöhnlichen Methode konnte eine Veränderung zum Positiven im System hervorrufen. Es ist keine Lösung des Gesamtkonfliktes, hier bedarf es deutlich anderer Interventionen zusätzlich. Was aber erreicht wurde, war, dass eine Suspendierung und damit die Verhinderung der Partizipation an einem kindgerechten und regulären kindlichen Alltag sowie allgemeiner Förderangebote ausgesetzt werden konnte. Paul kann somit weiterhin und etwas ungestörter am Umgang mit gleichaltrigen und an den pädagogischen Kompetenzen der Erzieherinnen teilhaben. Er darf dabei sein. Auch die Eltern können so ihrer Arbeit nachgehen und von ihrem Recht, die Betreuungsart für ihr Kind zu wählen, Gebrauch machen. Die Erzieher*Innen haben eine Möglichkeit an der Hand, bei rechtzeitigem Einsatz möglicherweise eine Eskalation der Situation zu verhindern und nicht zuletzt, das gilt auch für die Eltern und Frühförder*Innen, sich selbst zu entspannen und somit in Minutenschnelle Psychohygiene zu betreiben. Der Handlungsspielraum aller wurde erweitert, was auch zur Stressreduktion beiträgt. Dem großen Ziel der Frühförderinnen vor Ort, das Umfeld der Kinder so mitzugestalten, dass am Großteil des Tages entwicklungsförderlich mit ihnen umgegangen wird, ist man hier einen Schritt nähergekommen. Interessant ist, dass die Offenheit gegenüber dieser alternativen Methode in den letzten Jahren erheblich gestiegen ist. So kam auch aus anderen Gruppen der Einrichtung die Bitte, eine Einweisung in die Anwendung der Klopfakupressur zu erhalten. Eine Weiterbildung für das gesamte Team ist nun angedacht. Durch die Entspannung der Situation mithilfe der KLAP kann Paul in der Kita verbleiben, in seinem gewohnten Umfeld weiter wachsen. Die Erzieher*Innen haben ein Mittel an der Hand, was es ihnen ermöglicht, Paul an allen Aktivitäten der Gruppe zu beteiligen. Durch den Einbezug der gesamten Gruppe verliert das Kind seinen ungeliebten Sonderstatus. So konnte KLAP Partizipation ermöglichen. Katja Rittel Schloßplatz 3 06844 Dessau-Roßlau E-Mail: info@praxis-katja-rittel.de 213 FI 4/ 2019 Aus der Praxis Literatur Andrade, J., Feinstein, D. (2004): Energy psychology: theory, indications, evidence. In: Feinstein, D. (Hrsg.): Energy psychology interactive. Ashland, OR: Innersource, 199 - 214 Becker-Oberender, K. (2008): Klopfakupressur mit Kindern, Jugendlichen und Familien. VAK, Kirchzarten bei Freiburg Benesch, H., Bensch, D. (2014): Kinderglück mit EFT. - Die Anwendung der Klopfakupressur bei Kindern. Benesda, Waal Bohne, M. (2010): Bitte klopfen. Carl-Auer, Heidelberg Bundespsychotherapeuten Kammer (2015): EMDR bei Posttraumatischen Belastungsstörungen anerkannt. In: https: / / www.bptk.de/ emdr-bei-posttraumati schen-belastungsstoerungen-anerkannt/ , 24. 4. 2019 Callahan, R., Callahan, J. (2005): Den Spuk beenden Klopfakupressur bei posttraumatischem Stress. VAK, Kirchzarten Clond, M. (2016): Emotional Freedom Techniques for anxiety: A systematic review with meta-analysis. Journal of Nervous and Metal Disease 204 (5), 388 - 395, https: / / doi.org/ 10.1097/ nmd.0000000000000483 Eschenröder, C. T. (2012): Energetische Psychotherapie - integrativ. dgvt, Tübingen Feinstein, D., Eden, D., Craig, G. (2007): Klopf die Sorgen weg! Rowohlt, Reinbek bei Hamburg Grawe, K., Donati, R., Bernauer, F. (1994): Psychotherapie im Wandel. Hogrefe, Göttingen Hartmann, S. (2005): Emotionale Freiheit. VAK, Kirchzarten bei Freiburg Hofmann, A. (2009): EMDR-Therapie psychotraumatischer Belastungssyndrome. Thieme, Stuttgart, https: / / doi.org/ 10.1055/ b-0034-5107 Kloster, B. C., Waskowiak, A. (2005): Knauers Atlas der Akupressur. Weltbild, Augsburg Melchart, D., Streng, A., Hoppe, A., Jürgens, S., Weidenhammer, W., Linde, K. (2006): Akupunktur bei chronischen Schmerzen - Ergebnis aus dem Modellvorhaben der Ersatzkassen. Deutsches Ärzteblatt 103 (4), A187 - A195, https: / / doi.org/ 10. 1078/ 0415-6412-00198 Preuß, C. (2009): Klopfakupressur. Südwest, München Rowe, J. (2005): The effects of EFT on long-term psychological symptoms. Counseling and Clinical Psychology Journal 2 (3), 104 - 110 Shapiro, F. (1995): Eye movement desensitization and reprocessing: basic principles, protocols and procedures. Guilford, New York, https: / / doi.org/ 10. 1002/ anxi.3070020302 Uvnäs-Moberg, K., Petersson, M. (2005): Oxytocin, ein Vermittler von Antistress, Wohlbefinden, sozialer Interaktion, Wachstum und Heilung. Zeitschrift für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie 51, 57 - 80, https: / / doi.org/ 10.13109/ zptm.2005. 51.1.57 Wilhelm-Gößling, C. (2010): Klopfen bei komplexen Traumafolgestörungen. In: Bohne M. (Hrsg.): Klopfen mit PEP-Prozessorientierte Psychologie in Therapie und Coaching. Carl Auer, Heidelberg, 116 - 128 Wissenschaftlicher Beirat Psychotherapie nach § 11 PsychThG (2006): Gutachten zur wissenschaftlichen Anerkennung der EMDR-Methode zur Behandlung der Posttraumatischen Belastungsstörung. Deutsches Ärzteblatt, 103 (37), A2417 - A2420 Witt, C., Brinkhaus, B., Jena, S., Selim, D., Straub, C., Willich, S. N. (2006): Wirksamkeit, Sicherheit und Wirtschaftlichkeit der Akupunktur. Deutsches Ärzteblatt 103 (4) B169 - B175
