Frühförderung interdisziplinär
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0721-9121
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/fi2019.art05d
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2019
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Studiengang "Frühförderung von Kindern mit Hörschädigung"?
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2019
Annette Leonhardt
Mathias Hoff
Ausgelöst durch einen Rechercheauftrag der Pädagogischen Abteilung der Arbeitsstelle Frühförderung Bayern auf Grund einer Anfrage des Bayerischen Staatsministeriums für Arbeit und Soziales, Familie und Integration zu vorhandenen Studiengängen zur Frühförderung von Kindern mit Hörschädigung bzw. zur Bildungs- und Ausbildungssituation von Frühförderinnen und Frühförderern für Kinder mit Hörschädigung, erfolgte eine Analyse aller - sofern Informationen zugänglich waren - bestehenden Studiengänge Deutschlands, die dieses Themenfeld berühren. Nachfolgend wird das Ergebnis einschließlich der Suchkriterien vorgestellt. Am nähesten kommen dem gewünschten Ausbildungsprofil der Bachelorstudiengang „Prävention, Inklusion und Rehabilitation (PIR) bei Hörschädigung“ (BSc) und die beiden Masterstudiengänge gleichen Namens (mit Abschluss MSc) mit je der Ausrichtung Gehörlosen- oder Schwerhörigenpädagogik. [...]
1_038_2019_1_0006
40 Frühförderung interdisziplinär, 38.-Jg., S.-40 - 47 (2019) DOI 10.2378/ fi2019.art05d © Ernst Reinhardt Verlag AK TUELL Studiengang „Frühförderung von Kindern mit Hörschädigung“? Ergebnisse einer bundesweiten Analyse der Studienstätten Annette Leonhardt, Mathias Hoff Ausgelöst durch einen Rechercheauftrag der Pädagogischen Abteilung der Arbeitsstelle Frühförderung Bayern auf Grund einer Anfrage des Bayerischen Staatsministeriums für Arbeit und Soziales, Familie und Integration zu vorhandenen Studiengängen zur Frühförderung von Kindern mit Hörschädigung bzw. zur Bildungs- und Ausbildungssituation von Frühförderinnen und Frühförderern für Kinder mit Hörschädigung, erfolgte eine Analyse aller - sofern Informationen zugänglich waren - bestehenden Studiengänge Deutschlands, die dieses Themenfeld berühren. Nachfolgend wird das Ergebnis einschließlich der Suchkriterien vorgestellt. Am nähesten kommen dem gewünschten Ausbildungsprofil der Bachelorstudiengang „Prävention, Inklusion und Rehabilitation (PIR) bei Hörschädigung“ (BSc) und die beiden Masterstudiengänge gleichen Namens (mit Abschluss MSc) mit je der Ausrichtung Gehörlosen- oder Schwerhörigenpädagogik. Einleitung Auf Grund einer Anfrage der Pädagogischen Abteilung der Arbeitsstelle Frühförderung Bayern zur Bildungs- und Ausbildungssituation von Frühförderern speziell für die Arbeit mit Kindern mit Hörschädigung wurde eine bundesweite Analyse bestehender Studiengänge durchgeführt, um hierzu den aktuellen Stand zu eruieren. Dabei war es das Ziel, einen Überblick über den aktuellen Ist-Zustand an Studiengängen zum Thema Frühförderung an deutschen Universitäten und Hochschulen zu erstellen und, darauf aufbauend, Studiengänge zu ermitteln, die dem Anforderungsprofil „Frühförderung von Kindern mit Hörschädigung/ -behinderung“ gerecht werden. Auswahl der Studiengänge Die Zusammenstellung von Studiengängen der insgesamt 428 Hochschulen in Deutschland (vgl. Statista 2018), die sich thematisch mit dem Bereich Frühförderung beschäftigen, wurde über das Informationsportal www.studienwahl.de im Zeitraum vom 23. 4. bis 1. 5. 2018 generiert. Das Portal bietet die Möglichkeit der bundesweiten Erfassung von Studiengängen. Es wird gemeinsam betrieben von der Stiftung für Hochschulzulassung und der Bundesagentur für Arbeit und erschien damit als beste Grundlage für die Analyse. Die Schlagworte für die Suchmaschine wurden anhand der Berufsgruppenbezeichnung auf Seite 2 der Leistungsbeschreibung für interdisziplinäre Frühförderstellen ausgewählt (vgl. Arbeitsstelle Frühförderung Bayern 2005). Hier wird der Begriff Heilpädagoge als Sammelbegriff für Sonder-, Rehapädagogen, Diplom-Pädagogen mit Schwerpunkt Sonder- oder Rehapädagogik und Heilpädagogen verwendet. Basierend auf diesen Berufsgruppen wurden folgende Begriffe für die Suche verwendet: 41 FI 1/ 2019 Aktuell n Frühförderung, n Heilpädagogik, n Hörgeschädigten-/ Gehörlosen-/ Schwerhörigenpädagogik, n Sonderpädagogik, n Rehabilitationswissenschaft. Eine erste Auflistung ergab 102 Studiengänge mit diesen Schwerpunkten unabhängig vom Abschluss (Bachelor, Master oder Erstes Staatsexamen) und der Studienart (Vollzeitstudium/ berufsbegleitendes Studium), s. Tab. 1. Kriterien für Modulinhalte im Bereich Frühförderung Nachdem ein erster Überblick über mögliche Studiengänge erstellt worden war, wurden die einzelnen Modulhandbücher der Studiengänge nach den drei Kriterien „Beratung“, „Diagnostik“ und „Förderplanung“ begutachtet. Diese drei Kriterien sind die allgemein gefassten Hauptaufgaben der interdisziplinären Frühförderstellen in Bayern (vgl. Arbeitsstelle Frühförderung Bayern 2005). Des Weiteren wurden die Studiengänge auf spezielle Module im Bereich „Hörschädigung“ untersucht. Von den 102 Studiengängen konnten 18 Studiengänge auf Grund nicht vorhandener oder nicht aufrufbarer Modulbücher nicht auf die o. g. Kriterien hin überprüft werden. Insgesamt 32 von den verbleibenden 84 Studiengängen decken mit ihren Modulen alle drei Kriterien ab. 27 Studiengänge haben nur die Bereiche „Beratung und Diagnostik“ in ihren Modulinhalten, neun Studiengänge nur die Bereiche „Diagnostik und Förderplanung“ und fünf nur die Bereiche „Beratung und Förderplanung“. Bei den übrigen elf Studiengängen weisen sechs keine Inhalte zu einem der o. g. Kriterien auf, zwei decken nur den Bereich „Beratung“ und drei nur den Bereich „Diagnostik“ ab (s. Tab. 2). Studiengang Anzahl Studiengänge Bachelor Master Bachelor (berufsbegleitend) Master (berufsbegleitend) Staatsexamen Frühförderung Heilpädagogik Frühkindliche Bildung Erziehungswissenschaften Rehabilitationswissenschaft Kindheitspädagogik Sonderpädagogik Hörgeschädigtenpädagogik Sprachheilpädagogik Verhaltensgestörtenpädagogik Geistigbehindertenpädagogik Lernbehindertenpädagogik Körperbehindertenpädagogik Sehbehindertenpädagogik 3 208247 276945421 2 124117 122401101 034130 144100000 03000000000000 12000000000000 00000010444320 Gesamt 102 48 30 3 3 18 Tab. 1: Auflistung der Studiengänge mit den genannten Schwerpunkten nach Abschlüssen 42 FI 1/ 2019 Aktuell Studiengang Anzahl Studiengänge Beratung (Be) Diagnostik (Diag) Förderplanung (Fö) Be/ Diag Be/ Fö Diag/ Fö alle 3 Bereiche nichts nicht auswertbar, da kein MH Frühförderung Heilpädagogik Frühkindliche Bildung Erziehungswissenschaften Rehabilitationswissenschaft Kindheitspädagogik Sonderpädagogik Hörgeschädigtenpädagogik Sprachheilpädagogik Verhaltensgestörtenpädagogik Geistigbehindertenpädagogik Lernbehindertenpädagogik Körperbehindertenpädagogik Sehbehindertenpädagogik 3 20 8 2 4 7 27 6 9 4 5 4 2 1 0 0 1 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 1 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 6 4 0 0 2 3 0 5 2 2 2 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 1 1 1 1 1 0 0 2 0 0 1 0 3 2 0 0 1 0 0 0 1 7 1 2 2 2 7 4 2 1 1 1 1 0 0 2 0 0 0 0 4 0 0 0 0 0 0 0 1 3 2 0 1 2 9 0 0 0 0 0 0 0 Gesamt 102 2 3 0 27 5 9 32 6 18 Tab. 2: Auflistung der Studiengänge mit Abdeckung der Kriterien MH = Modulhandbuch 43 FI 1/ 2019 Aktuell Kriterien für Modulinhalte im Bereich Frühförderung mit dem Förderschwerpunkt Hören Nachdem die Studiengänge auf allgemeine Modulinhalte zum Thema Frühförderung untersucht worden waren, wurden die Modulbücher speziell auf den Schwerpunkt „Hörschädigung“ hin betrachtet. Dies umfasste neben den o. g. Kriterien speziell im Hörgeschädigtenbereich die Einbeziehung von Modulen mit sprachtherapeutischem Inhalt sowie (entwicklungs-)psychologische, (sprach-)didaktische und Grundlageninhalte (Anatomie, historische Entwicklung des Faches etc.) aus den Bereichen Schwerhörigkeit und Gehörlosigkeit. Die erfassten Studiengänge aus den Bereichen Frühförderung, Heilpädagogik, Frühkindliche Bildung, Erziehungswissenschaften, Rehabilitationswissenschaft und Kindheitspädagogik enthielten ein bis maximal zwei Module innerhalb der o. g. Kriterien, während die Studiengänge Pädagogik bei Verhaltensstörungen und geistiger Behinderung sowie Lernbehinderten-, Körperbehinderten- und Sehgeschädigtenpädagogik nur - verständlicherweise - Modulinhalte aus dem Bereich Frühförderung für ihre jeweiligen Fachrichtungen aufwiesen und keine Inhalte mit dem Schwerpunkt Hören. Zudem können diese Fachrichtungen nur in Verbindung mit dem Lehramt für Sonderschulen studiert werden. Eine Ausnahme zu den anderen sonderpädagogischen Studiengängen bildeten hier die Studiengänge aus der Sprachheilpädagogik. Es ist in diesem Bereich bei vier Studiengängen möglich, unabhängig vom Lehramtsstudium, diese Fachrichtung zu studieren (betrifft Studiengänge der Sprachtherapie). Innerhalb dieser Studiengänge werden auch Inhalte aus dem sonderpädagogischen Bereich Hören vermittelt, da auch die medizinischen und anatomischen Kenntnisse des Ohres und beispielsweise die Hörentwicklung wichtig für die Arbeit im Bereich der Sprachtherapie sind. Diese wiederum stellen einen wichtigen Teil der Frühförderung im Bereich Hören dar. Die meisten Studiengänge mit Modulen im sonderpädagogischen Bereich Hören finden sich in den unterschiedlichen sonderpädagogischen Fachrichtungen. Hier können bei elf Studiengängen Module aus dem Bereich Hören gewählt werden, wobei neun davon nur in Kombination mit Lehramt studiert werden können und somit in den Bereich der Schule, konkret in die Ausbildung als Lehrkraft für Schülerinnen und Schüler mit dem Förderschwerpunkt Hören, fallen. Somit ergeben sich bei den Studiengängen der Sonderpädagogik zwei Studiengänge, die unabhängig vom Lehramt sind und weitere Module aus dem Bereich Hören mit aufnehmen. Laut der Angaben des Informationsportals www. studienwahl.de gibt es nur sechs Studiengänge, die sich allein mit der Thematik der Hörbehinderung/ -schädigung befassen. Allerdings handelt es sich hierbei mehr oder weniger um je einen konsekutiven Bachelor- und Masterstudiengang, der in zwei Bachelorabschlüsse (schulisch und außerschulisch) und vier Masterabschlüsse unterteilt wird. Die Masterabschlüsse können hierbei in Verbindung mit Lehramt (schulisch) und ohne Bezug auf Lehramt (außerschulisch) sowie mit den jeweiligen Schwerpunkten „Gehörlosenpädagogik“ und „Schwerhörigenpädagogik“ studiert werden (zur Entstehung der Studiengänge s. Leonhardt 2017, 41 - 45), so dass in der Auflistung von studienwahl.de insgesamt sechs Studiengänge aufgezeigt werden. Da diese Studiengänge auch selbstständig ohne Bezug zum Lehramt studiert werden können und sie die Möglichkeit bieten, speziell den Bereich Hören zu studieren, werden nachfolgend die Module der drei außerschulischen Studiengänge genauer analysiert. 44 FI 1/ 2019 Aktuell Die Studiengänge „Prävention, Inklusion und Rehabilitation (PIR) bei Hörschädigung“ für den außerschulischen Bereich Der Bachelorstudiengang „Prävention, Inklusion und Rehabilitation (PIR) bei Hörschädigung“ beinhaltet seit dem Inkrafttreten der Prüfungs- und Studienordnung im Jahr 2015, ausgehend von den unter Punkt 2 beschriebenen Kriterien, die Diagnostik und die Förderplanung speziell auf dem Gebiet der Hörschädigung mit den Modulen (und Lehrveranstaltungen) n P 4 Pädagogische Audiologie (mit den Lehrveranstaltungen P 4.1 Einführung in die Pädagogische Audiologie, P 4.2 Hörentwicklung und Hörerziehung sowie Auditive Lautsprachperzeption und P 4.3 Praktische Audiometrie und technische Hörhilfen), n P 6 Psychologie und Förderdiagnostik (mit P 6.1 Entwicklungspsychologische Fragestellungen bei Hörschädigung, P 6.2 Einführung in die Förderdiagnostik und P 6.3 Neuropsychologische Grundlagen), n P 7 Sprachwissenschaft und Phonetik (mit P 7.1 Ontogenese der Sprache und Sprachentwicklungstheorien, P. 2 [bzw. P. 3] Phonetische Grundlagen und Entwicklung von Sprechfertigkeiten A [B] und P. 4 Psycholinguistische Grundlagen), n P 9 Sprachtherapie I (mit P 9.1 Sprachrehabilitation bei Hörgeschädigten und P 9.2 Sprachentwicklungsstörungen Grundlagen 1), n P 10 Sprachtherapie II (mit P 10.1 Grundlagen sprachtherapeutischer Diagnostik und P 10.2 Spezielle Fragen der Förderung im vor-, neben-, nachschulischen Bereich). Neben den aufgeführten Modulen, die sich auf die Diagnostik und die Förderplanung konzentrieren, werden weitere Anforderungen für die Arbeit in der Frühförderung mit Kindern mit Hörbehinderung/ Hörschädigung abgedeckt. So wird durch das Modul P 8 „Hörgeschädigtenspezifische Kommunikation“ sichergestellt, dass die angehenden Hörgeschädigtenpädagogen in der Kommunikation mit hörbehinderten/ hörgeschädigten Kindern und den hörbehinderten/ hörgeschädigten Eltern geschult werden. Des Weiteren befassen sich die Module WP 11 und WP 12 mit „Speziellen Fragen einer Schwerhörigenbzw. Gehörlosenpädagogik und -didaktik“, indem der Einfluss von Hören und Kommunikation auf die kindliche und psychologische Entwicklung genauer betrachtet wird. Durch verpflichtende studienbegleitende Praktika (WP 19 und WP 20) und ein Blockpraktikum (WP 17 bzw. WP 18), aus denen sich insgesamt 360 Arbeitsstunden ergeben, können die Studierenden noch während ihres Studiums einen Einblick u. a. in die Arbeit der Frühförderung erhalten und ihr zuvor erlerntes Wissen zu diesem Handlungsfeld aus dem Modul P 3 „Grundlagen der Schwerhörigen- und Gehörlosenpädagogik“ vertiefen. Durch die beiden außerschulischen Masterstudiengänge können sich die Studierenden weiter auf die Arbeit mit Kindern mit Gehörlosigkeit oder Schwerhörigkeit spezialisieren und erweitern ihre Kompetenzen für die Arbeit in der Frühförderung durch Module aus dem Bereich der Beratung mit den Schwerpunkten „Frühe Kindheit“, „Gesprächsführungskompetenz und Kommunikationspsychologie“ sowie „Beratung“. Zudem werden die Kompetenzen innerhalb der Diagnostik und Förderplanung durch die Lehrveranstaltungen n P 5.2 Diagnosen und Klassifikationssysteme (zum Modul P 5 Gesundheit und Partizipation gehörend) und n P 8.2 Gutachten und individuelle Förderpläne sowie n P 8.4 Audiologie einschließlich AVWS (beide zum Intensivmodul P 8 Prävention, Inklusion und Rehabilitation bei Hörschädigung gehörend) vertieft. 45 FI 1/ 2019 Aktuell Die Studiengänge „Prävention, Inklusion und Rehabilitation (PIR) bei Hörschädigung“ decken somit die Kernkriterien für die Arbeit in der Frühförderung mit dem Förderschwerpunkt Hören nicht nur ab, sondern gehen gezielt auf die Anforderungen innerhalb dieses Arbeitsfeldes ein. Zudem erweitern sie, durch weitere Module mit dem Schwerpunkt Hören, die Kompetenzen angehender Frühförderinnen und Frühförderer im Bereich Hören. Bedeutung der hörgeschädigtenspezifischen Expertise in der Frühförderung Erst durch die flächendeckende und verbindliche Einführung des Neugeborenenhörscreenings zum 1. 1. 2009 kann von einer „Früh“-Förderung im Bereich der Hörschädigung gesprochen werden. Im Vergleich zu den Anfängen der Frühförderung (Blau 1966, 40ff; Löwe 1991, 25ff), als die meisten Kinder erst im Kindergartenalter oder noch später erfasst wurden, werden Kinder mit Auffälligkeiten seit 2009 direkt erfasst und idealerweise mit spätestens sechs Monaten bei den Frühförderstellen vorstellig (vgl. Hintermair/ Sarimski 2014, 13). Dies hat zur Folge, dass der Fokus der Aufgaben der Frühförderstellen sich in der Anfangszeit von „Förderung“ auf die Beratung und Aufklärung der Eltern verschiebt (vgl. Leonhardt 2014, 131). Allerdings kann das als eine allgemeine Aufgabe und Handlungsweise betrachtet werden, deren Fokus noch nicht genau auf der Hörbehinderung/ -schädigung liegt, sondern - unabhängig von der Art der Behinderung - ein Teil jeder Frühförderung ist. Empirische Studien (vgl. Kennedy et al. 2006, Yoshinaga-Itano 2005) belegen, dass früh diagnostizierte und dementsprechend früh geförderte Kinder bessere Eigenschaften in unterschiedlichen Entwicklungsbereichen, z. B. der Sprach- und Sprechentwicklung, zeigen als spät diagnostizierte Kinder. Somit ist die Hauptaufgabe der Frühförderung bei Kindern mit Hörschädigung neben der familienorientierten Frühförderung (Beratung der Eltern) die Berücksichtigung der spezifischen Entwicklungsbedingungen und der daraus sich ergebenden Problemstellungen und Herausforderungen an das Umfeld des Kindes. „Hörgeschädigte Kinder sind nicht einfach nur Kinder, die nicht hören können, sondern ein Hörverlust verändert die Entwicklungsbedingungen der Kinder in vielen Bereichen“ (Hintermair/ Sarimski 2014, 184). Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Frühförderstellen sind somit angehalten, die Entwicklungsunterschiede zwischen Kindern mit und ohne Hörschädigung zu kennen, zur Kenntnis zu nehmen und diese in ihre Förderplanung mit einzubeziehen. Um diese Aufgaben zu bewältigen, bedarf es einer fachlichen Expertise, die u. E. nur auf Hörschäden qualifiziertes Personal vorweisen kann. Fazit Die Recherche nach geeigneten Studiengängen für die Frühförderung von Kindern mit Hörschädigung hat ergeben, dass es zwar ausreichend Studiengänge gibt, die die Kernkompetenzen aus dem Tätigkeitsbereich der Frühförderung - Beratung, Diagnostik und Förderplanung - im Allgemeinen abdecken, allerdings nicht im Speziellen auf die unterschiedlichen Bedarfe der Kinder mit den sehr unterschiedlichen Behinderungen eingehen. Die Studiengänge, die sich gezielt mit den einzelnen Fachrichtungen der Sonderpädagogik auseinandersetzen, sind hauptsächlich mit dem Lehramt an Sonderschulen verknüpft und zielen auf die Beschulung von Kindern und Jugendlichen mit sonderpädagogischem Förderbedarf. Dies hat zur Folge, dass Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf hauptsächlich erst mit Beginn der Schulzeit von für die jeweilige Behinderung qualifizierten Fachkräften betreut und gefördert werden. Dies widerspricht dem aktuellen Erkenntnisstand, der besagt, dass die ersten Lebensjahre die ausschlaggebenden für die Ent- 46 FI 1/ 2019 Aktuell wicklung der Kinder sind. Dementsprechend ist eine Versorgung und Betreuung der seit Einführung des Neugeborenenhörscreenings sehr jungen Kinder und ihrer Familien durch qualifizierte Personen mit fachspezifischem Wissen erforderlich, um nicht nur die Entwicklung der Kinder zu fördern, sondern auch den Eltern eine fachkompetente Beratung zu bieten, um ihnen mögliche Ängste und Vorurteile zu nehmen, damit sie wertvolle Partner in der Arbeit der Frühförderung werden. Durch das frühe Erkennen und damit verbunden die frühe Diagnostik von Kindern mit einer Hörschädigung steigt die Anzahl der zu fördernden Kinder (Leonhardt/ Wendels 2007), so dass immer mehr Fachpersonal mit Expertise im sonderpädagogischen Bereich Hören benötigt wird, um deren kindgerechte Entwicklung zu ermöglichen. Allerdings sieht auch hier die Studiensituation so aus, dass sonderpädagogische Fachkräfte vorzugsweise für den Schuldienst ausgebildet werden. Mit dem Bachelor- und den zwei Masterstudiengängen „Prävention, Inklusion und Rehabilitation (PIR) bei Hörschädigung“ (für den außerschulischen Bereich) bestehen drei Studiengänge, die gezielt auf die Aufgaben in der Frühförderung von Kindern mit Hörschädigung durch ihre Studieninhalte vorbereiten können. Trotz der gezielten Auseinandersetzung mit Inhalten zum Thema Hörschädigung und des vertieften Wissens um die Entwicklung von Kindern mit einer Hörschädigung reichen u. E. diese Studiengänge nicht aus, um den flächendeckenden Bedarf an Fachkräften abzudecken. Prof. Dr. Annette Leonhardt Mathias Hoff, BSc Ludwig-Maximilians-Universität Lehrstuhl für Gehörlosen- und Schwerhörigenpädagogik Leopoldstr. 13 80802 München E-Mail: leonhardt@lmu.de mathias.hoff@campus.lmu.de Literatur Arbeitsstelle Frühförderung Bayern (2005): Leistungsbeschreibung für interdisziplinäre Frühförderstellen. In: https: / / www.fruehfoerderung-bayern. de/ fileadmin/ files/ PDFs/ Fachleute_Information/ Leistungsbeschreibung_FF.pdf, 23. 4. 2018 Blau, A. (1966): Gehörlosenschule. In: Lesemann, G. (Hrsg.): Beiträge zur Geschichte und Entwicklung des deutschen Sonderschulwesens. Berlin, Marhold Verlagsbuchhandlung, 19 - 54 Hintermair, M., Sarimski, K. (2014): Frühförderung hörgeschädigter Kinder. Stand der Forschung, empirische Analysen und pädagogische Konsequenzen. Median-Verlag, Heidelberg Kennedy, C. R., McCann, D. C., Campbell, M. J., Law, C. M., Mullee, M., Petrou, S., Watkin, P., Worsfold, S., Yuen, H. M., Stevenson, J. (2006): Language ability after Early Detection of Permanent Childhood Hearing Impairment. New England Journal of Medicine, 354, 2131 - 2141, https: / / doi.org/ 10.1056/ NEJMoa054915 Leonhardt, A., Wendels, S. (2007): Auf zu neuen Ufern - wie das Neugeborenenhörscreening die Frühförderung hörgeschädigter Kinder verändert. Erste Teilergebnisse eines Projektes zur Entwicklung eines Beratungskonzeptes für Familien mit beim Neugeborenenhörscreening hörauffälligen Kindern in Frühförderstellen. Sonderpädagogische Förderung, 52, 1, 87 - 98 Leonhardt, A. (2014): Schlaglichter auf die Interdisziplinäre Frühförderung (Kurzstatements) hörgeschädigter Kinder. Sonderpädagogische Förderung heute, 59 (2), 131 Leonhardt, A. (2017): 200 Jahre Taubstummenlehrer(aus)bildung in München - vom Jahreskurs am Taubstummeninstitut zum Modellstudiengang „Prävention, Inklusion und Rehabilitation (PIR) bei Hörschädigung“ an der Universität. In: Leonhardt, A., Ludwig, K. (Hrsg.): 200 Jahre Gehörlosen- und Schwerhörigenpädagogen(aus)bildung in Bayern - vom Jahreskurs zum interdisziplinären Studium an der Universität. Heidelberg, Median-Verlag von Killisch-Horn GmbH, 15 - 58 Löwe, A. (1991): Hörerziehung für hörgeschädigte Kinder. Geschichte - Methoden - Möglichkeiten. HVA/ Edition Schindele, Heidelberg Statista (2018): Anzahl der Hochschulen in Deutschland in den Wintersemestern 2010/ 2011 bis 2017/ 2018 nach Hochschulart. In: https: / / de.statista.com/ statistik/ daten/ studie/ 247238/ umfrage/ hochschulenin-deutschland-nach-hochschulart/ , 21. 5. 2018 47 FI 1/ 2019 Aktuell Yoshinaga-Itano, C. (2005): Early-identification, communication modality, and the development of speech and spoken language skills: Patterns and considerations. In: Spencer, P. E., Marschark, M. (Hrsg.): Advances in the spoken language development of deaf and hard-of-hearing children. Oxford, Oxford University Press, 298 - 327, https: / / doi.org/ 10.1093/ acprof: oso/ 9780195179873.003.0013
