eJournals Frühförderung interdisziplinär 38/2

Frühförderung interdisziplinär
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0721-9121
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/fi2019.art14d
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2019
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Test und Screenings: Der SON-R 2"8 " Nonverbaler Intelligenztest

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2019
Lisa Rennecke
Intelligenzdiagnostik ist ein zentraler Bestandteil der psychologischen Leistungsdiagnostik und erlaubt Rückschlüsse auf das allgemeine kognitive Niveau eines Kindes (Daseking/Petermann 2018). Sie findet in vielfältigen Kontexten Anwendung (z.B. Frühförderung, Planung von frühen Hilfen, Kinder- und Jugendpsychiatrie). Intelligenztests spielen eine besondere Rolle bei der Identifikation von Intelligenzminderung und kognitiven Potenzialen. [...]
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104 Frühförderung interdisziplinär, 38.-Jg., S.-104 - 107 (2019) DOI 10.2378/ fi2019.art14d © Ernst Reinhardt Verlag TESTS UND SCREENINGS Intelligenzdiagnostik ist ein zentraler Bestandteil der psychologischen Leistungsdiagnostik und erlaubt Rückschlüsse auf das allgemeine kognitive Niveau eines Kindes (Daseking/ Petermann 2018). Sie findet in vielfältigen Kontexten Anwendung (z. B. Frühförderung, Planung von frühen Hilfen, Kinder- und Jugendpsychiatrie). Intelligenztests spielen eine besondere Rolle bei der Identifikation von Intelligenzminderung und kognitiven Potenzialen. Darüber hinaus dient das Intelligenzniveau als Ausgangspunkt für die Feststellung geforderter Diskrepanzkriterien, die zur Diagnosestellung bei Entwicklungsstörungen erfüllt sein müssen (z. B. umschriebene Entwicklungsstörung des Sprechens und der Sprache). Die Ergebnisse der Intelligenzdiagnostik können zur Einschätzung des Förderbedarfs eines Kindes hinzugezogen werden und bei der Auswahl von Förder- und Platzierungsmaßnahmen einen entscheidenden Stellenwert einnehmen. Wichtig bei der Leistungsdiagnostik ist die Fairness eines Tests (Moosbrugger/ Kelava 2011). Kinder, die Schwierigkeiten oder Einschränkungen auf dem Gebiet der Sprach- und Sprechentwicklung und der Kommunikation aufweisen, erreichen bei Testaufgaben, die rezeptive oder expressive Sprachleistungen voraussetzen, niedrigere Testergebnisse (Daseking et al. 2006, Daseking/ Petermann 2015). Betroffen sind besonders Kinder mit einer umschriebenen Entwicklungsstörung des Sprechens und der Sprache, schwerhörige oder gehörlose Kinder, Kinder mit einer Autismus-Spektrum-Störung und Kinder mit einem anderen muttersprachlichen Hintergrund. Für diese Zielgruppe eignet sich der Einsatz sprachfreier Intelligenztests, zu welchen die SON- Tests zählen. Die deutsche Version des SON-R 2 - 8 (Tellegen et al. 2018) stellt gemeinsam mit dem SON-R 6 - 40 (dt. Ausgabe: Tellegen et al. 2012) die vierte Revision der SON-Reihe dar. Begründet wurde diese 1943 durch Nan Snijders-Oomen (Snijders-Oomen 1943). Die erste Version der SON-Tests wurde zur Erfassung der kognitiven Leistungsfähigkeit gehörloser Kinder im Alter von vier bis 14 Jahren entwickelt. Der SON-R 2 - 8 ist ein allgemein anwendbares Verfahren für Kinder im Altersbereich von 2; 0 bis 7; 11 Jahren, das im Folgenden vorgestellt werden soll. Grundlagen und Testaufbau Den SON-Tests liegt kein spezifisches Intelligenzmodell zugrunde. Die Untertests des SON-R 2 - 8 zielen auf das Problemlösen ab. Es werden insbesondere das räumliche Vorstellungsvermögen sowie das abstrakte und konkrete Denken erfasst. Der SON-R 2 - 8 knüpft dabei an eine Definition von Intelligenz als Problemlösungs- und Lernvermögen an. Die fluide Intelligenzkomponente wird also stärker betont als die kristalline Komponente der Intelligenz (Schneider/ McGrew 2012). Die Erfahrungen, die Kinder gesammelt haben, können dennoch einen Einfluss haben. Sie können zum Beispiel dazu beitragen, dass der Bedeutungszusammenhang zwischen Teilen einer Abbildung leichter erkannt wird. Tabelle 1 gibt einen Überblick zu den sechs Untertests des SON-R 2 - 8, die sich in Denk- und Handlungstests unterscheiden. Neben dem Gesamt-IQ können IQ-Werte für diese beiden Skalen ermittelt und das Referenzalter bestimmt werden. Der SON-R 2 - 8 - Nonverbaler Intelligenztest Lisa Rennecke 105 FI 2/ 2019 Tests und Screenings Besonderheiten in der Testdurchführung Zur Testdurchführung stehen sowohl verbale als auch nonverbale Instruktionen zur Verfügung, sodass ein Kind weder sprechen muss noch die Sprache, die üblicherweise für eine Testinstruktion nötig ist, verstehen muss. Ein besonderes Merkmal des SON-R 2 - 8 besteht darin, dass die Testperson ein direktes Feedback nach jeder Testvorgabe erhält. Falsche Antworten werden nach Möglichkeit gemeinsam mit dem Kind verbessert. Darüber hinaus werden Demonstrations- und Beispielaufgaben durchgeführt. Hilfestellungen und Feedback sollen das Gefühl des Kindes, scheitern zu können, verringern und dem Kind dabei helfen, die Aufgabenstellung zu verstehen und außerdem zu einer natürlichen Interaktion zwischen Testleiter und Kind führen. Die Testvorlagen sind nach steigendem Schwierigkeitsgrad angeordnet; der adaptive Testeinstieg und die Verwendung von Abbruchkriterien vermeiden Über- oder Unterforderung eines Kindes und verringern die Testdauer. Normierung, Validität und Reliabilität Normierung Der Normierung des SON-R 2 - 8 liegt, wie auch beim SON-R 6 - 40 (Tellegen et al. 2012), eine Kombination von deutschen und niederländischen Daten zugrunde. Insgesamt setzt sich die Normstichprobe aus N = 1727 Kindern (davon n = 762 aus Deutschland) zusammen. Die niederländischen Daten bestehen aus einer Teilstichprobe der niederländischen Normierung des Tests, die 2015/ 2016 vorgenommen wurde, die Datenerhebung in Deutschland erfolgte 2016/ 2017. Die Normen wurden repräsentativ für verschiedene demografische Merkmale (Alter, Geschlecht, Region, Grad der Urbanisierung, Bildungsniveau, Migrationshintergrund) der deutschen und niederländischen Bevölkerung erhoben. Validität Es wurden verschiedene Validierungsstudien durchgeführt. Untersuchungen mit spezifischen Untertest Beschreibung Itemanzahl Inhaltliche Beschreibung Empirische Beschreibung 1. Puzzles Aus ungeordnet vorgegebenen Einzelteilen sollen verschiedene Objekte zusammengesetzt werden. 14 Räumliches Verständnis Handlungstest 2. Kategorien Bildkarten/ Bilder müssen Kategorien zugeordnet werden. 15 Abstraktes Denken Denktest 3. Zeichenmuster Formen sollen abgezeichnet werden. 16 Räumliches Verständnis Handlungstest 4. Situationen Bilder/ Situationen sollen ergänzt werden. 13 Konkretes Denken Denktest 5. Mosaike Muster sollen mit Plättchen in einem Rahmen nachgelegt werden. 15 Räumliches Verständnis Handlungstest 6. Analogien Spielsteine sollen nach wechselnden, nicht explizit benannten Prinzipien sortiert bzw. zugeordnet werden. 17 Abstraktes Denken Denktest Tab. 1: Die Untertests des SON-R 2 - 8 106 FI 2/ 2019 Tests und Screenings Personengruppen (z. B. Kindern mit einer Intelligenzminderung) sprechen für die differenzielle Validität des Verfahrens. Konvergente und divergente Validität konnten mit verschiedenen Intelligenz- und Entwicklungstests bestätigt werden. Die Zusammenhänge des SON-R 2 - 8 mit anderen Intelligenztests (SON-R 2 ½ - 7 [dt. Ausgabe: Tellegen et al. 2007], SON-R 6 - 40 [dt. Ausgabe: Tellegen et al. 2012], Wechsler Nonverbal Scale of Ability [WNV, Petermann 2014], Wechsler Preschool and Primary Scale of Intelligence - Fourth Edition [WPPSI-IV, Petermann/ Daseking 2018]) variieren zwischen r = .65 und r = .91. Erwartungsgemäß fallen die Zusammenhänge mit der sprachfreien WNV höher aus als mit der WPPSI-IV. Zwischen dem Sprachstandserhebungstest für Kinder im Alter zwischen 3 und 5 Jahren (SET 3 - 5; Petermann 2016) bzw. dem Entwicklungstest für Kinder von 6 Monaten bis 6 Jahren - Revision (ET 6 - 6-R; Petermann/ Macha 2015) und dem SON-R 2 - 8 ergeben sich mittlere bis hohe Zusammenhänge mit ähnlichen Konstrukten (z. B. Skala „Kognitive Entwicklung“ des ET 6 - 6-R, Untertests „Kategorienerkennung“ und „Kategorienbildung“ des SET 3 - 5), während sich für Bereiche, die nicht mit dem SON-R 2 - 8 erfasst werden, keine oder geringe Zusammenhänge zeigen (z. B. Skala „Körpermotorik des ET 6 - 6-R, Untertest „Verarbeitungsgeschwindigkeit“ des SET 3 - 5). Reliabilität Die interne Konsistenz liegt für den Gesamt-IQ bei .91 (zwischen .89 und .93). Die Reliabilität der Untertests liegt im Mittel bei .70. Die Retest-Reliabilität des Gesamt-IQ beträgt .81. Die Ergebnisse sprechen für die Reliabilität des SON-R 2 - 8. Der SON-R 2 - 8 im Vergleich zum SON-R 2 ½ - 7 Der SON-R 2 - 8 ist der direkte Nachfolger des SON-R 2 ½ - 7 (Tellegen et al. 2007). Durch die Revision des Tests kam es zu folgenden Neuerungen beim SON-R 2 - 8 im Vergleich zum SON-R 2 ½ - 7: n Aktualisierung der Normen: Die Normierung des SON-R 2 ½ - 7 (Tellegen et al. 2007) fand 2005/ 2006 statt. Aufgrund von Veränderungen der Lebenswelt von Kindern innerhalb von mehr als zehn Jahren kann man bei älteren Normen von Verzerrungen der Testwerte ausgehen. Dies macht dann eine Neunormierung eines Tests erforderlich. n Erweiterung des Altersbereichs: Der Altersbereich wurde von 2; 6 bis 7; 11 auf 2; 0 bis 7; 11 erweitert. n Größere Kulturfairness: Die SON-Verfahren streben nach Kulturunabhängigkeit. Im Rahmen der niederländischen Konstruktionsstudie wurden aufgrund der Rückmeldung von Anwendern des Verfahrens in Brasilien und Thailand Items der Untertests „Kategorien“ und „Situationen“ angepasst bzw. entfernt. n Optimierung der Schwierigkeitsstaffelung der Items: Um die Differenzierungsfähigkeit des Tests für sehr junge Kinder und Kinder mit begrenzten kognitiven Fähigkeiten zu erhöhen, wurden mehr einfache Testvorlagen hinzugefügt. Zur Verbesserung des Differenzierungsvermögens am oberen Rand des Leistungsbereichs wurde den Untertests „Zeichenmuster“ und „Mosaike“ jeweils eine schwierige Testvorlage hinzugefügt. Außerdem wurde die Zeitbegrenzung im zweiten Teil der Handlungstests von 2 ½ Minuten auf 2 Minuten reduziert und der Schwierigkeitsaufbau der Items verbessert. Infolge dieser Anpassungen stieg die Testgüte des SON-R 2 - 8 (vor allem bei den jüngeren Kindern). n Geänderte Reihenfolge der Untertests: Im Rahmen der niederländischen Konstruktionsstudie gaben Anwender in einer schriftlichen Befragung an, dass es motivationsförderlich sein könnte, mit dem attraktiveren Untertest Puzzles anstelle von Mosaike (SON-R 2 ½ - 7) zu beginnen. Aufgrund dessen wurde die Reihenfolge der Untertests angepasst. Im SON-R 2 - 8 bildet Puzzles den ersten Untertest, die Reihenfolge der übrigen Untertests ist so gewählt, dass sich Handlungs- und Denktests abwechseln. 107 FI 2/ 2019 Tests und Screenings n Farbenfrohere Gestaltung und Optimierung der praktischen Handhabbarkeit: Items des Untertests „Situationen“ wurden eingefärbt, um das Material attraktiver für Kinder zu gestalten. Die Anordnung der Testbestandteile im Testkoffer wurde verbessert und der Protokollbogen verkleinert. Es liegen nun drei getrennte Manuale („Technisches Manual“, „Instruktionen“ und „Normen“) vor, um dem Anwender die Handhabbarkeit während der Testdurchführung zu erleichtern. Schlussfolgerungen für die pädagogisch-therapeutische Praxis Die SON-Tests sind im deutschen Sprachraum seit Langem etabliert. Nicht zuletzt aufgrund des ansteigenden Anteils von Kindern mit Problemen in der Sprachentwicklung und Kindern mit Migrationshintergrund kommen solche Erhebungsverfahren zunehmend in Fördereinrichtungen, Kinderzentren, Sonderkindergärten und in der Sprachtherapie zum Einsatz. Mit dem SON-R 2 - 8 liegt ein sorgfältig konstruiertes, aktuell normiertes Erhebungsverfahren vor, das die Testgütekriterien erfüllt. Weitere Studien zur Validität des SON-R 2 - 8 sind im Manual angekündigt und wünschenswert. Lisa Rennecke Zentrum für Klinische Psychologie und Rehabilitation Universität Bremen Grazer Str. 6 28359 Bremen Tel.: (04 21) 2 18-6 86 37 E-Mail: rennecke@uni-bremen.de Literatur Daseking, M., Janke, N., Petermann, F. (2006): Intelligenzdiagnostik. Monatsschrift Kinderheilkunde, 154, 314 - 319, https: / / doi.org/ 10.1007/ s00112-006-1333-4 Daseking, M., Petermann, F. (2015): Nonverbale Intelligenzdiagnostik: sprachfreie Erhebung kognitiver Fähigkeiten und Prävention von Entwicklungsrisiken. Gesundheitswesen, 77, 791 - 792, https: / / doi.org/ 10. 1055/ s-0035-1564145 Daseking, M., Petermann, F. (2018): Die neuen Wechsler: WPPSI-IV und WISC-V. Kindheit und Entwicklung, 27, 127 - 132, https: / / doi.org/ 10.1026/ 0942-5403/ a000252 Petermann, F. (Hrsg.) (2014): Wechsler Nonverbal Scale of Ability (WNV ). German version. Pearson Assessment, Frankfurt am Main Petermann, F. (2016): Sprachstandserhebungstest für Kinder im Alter zwischen 3 und 5 Jahren (SET 3 - 5). Hogrefe, Göttingen Petermann, F., Daseking, M. (Hrsg.) (2018): Wechsler Preschool and Primary Scale of Intelligence - Fourth Edition. Deutsche Version. Pearson Assessment, Frankfurt Petermann, F., Macha, T. (2015): Entwicklungstest 6 Monate - 6 Jahre - Revision. 2., korr. Aufl. Pearson Assessment, Frankfurt Moosbrugger, H., Kelava, A. (Hrsg.). (2011): Testtheorie und Fragebogenkonstruktion. 2. aktual. und überarb. Aufl. Springer, Berlin Schneider, W. J., McGrew, K. S. (2012): The Cattell- Horn-Carroll method of intelligence. In: Flanagan, D. P., Harrison, P.L. (Eds.): Contemporary intellectual assessment: Theories, tests and issues. New York, Guilford Press, 991 - 944 Snijders-Oomen, N. (1943): Intelligentieonderzoek van doofstomme kinderen. Berkhout, Nijmegen Tellegen, P. J., Laros, J. A., Petermann, F. (2012): SON-R 6 - 40. Non-verbaler Intelligenztest. Hogrefe, Göttingen Tellegen, P. J., Laros, J. A., Petermann, F. (2018): SON-R 2 - 8. Non-verbaler Intelligenztest. Hogrefe, Göttingen