eJournals Frühförderung interdisziplinär 39/2

Frühförderung interdisziplinär
1
0721-9121
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
41
2020
392

Originalarbeit: Zur Bedeutung der Symbolisierungsfähigkeit in Spielkontexten für Spracherwerbsprozesse

41
2020
Christoph Schiefele
Die Entwicklung der Symbolisierungsfähigkeit nimmt eine zentrale Rolle im kindlichen Spracherwerb ein. Neben der erwerbsspezifisch zunehmenden Anwendung in sprachlich-kommunikativen Bereichen kommt sie vor allem in spielerischen Interaktionen des kindlichen Alltages zum Tragen. Unter Rückgriff auf charakteristische Spracherwerbsschritte und deren Relationen zu Symbolisierungskontexten wird eine Verbindung zu kindlichen Spielformen und deren Entwicklung skizziert. Die aufgezeigten Zusammenhänge werden abschließend auf die Umsetzung im Rahmen sprachbezogener Symbolisierungskontexte interdisziplinärer Frühförderung transferiert.
1_039_2020_002_0073
73 Frühförderung interdisziplinär, 39.-Jg., S.-73 - 85 (2020) DOI 10.2378/ fi2020.art07d © Ernst Reinhardt Verlag ORIGINALARBEIT Zur Bedeutung der Symbolisierungsfähigkeit in Spielkontexten für Spracherwerbsprozesse Christoph Schiefele Zusammenfassung: Die Entwicklung der Symbolisierungsfähigkeit nimmt eine zentrale Rolle im kindlichen Spracherwerb ein. Neben der erwerbsspezifisch zunehmenden Anwendung in sprachlich-kommunikativen Bereichen kommt sie vor allem in spielerischen Interaktionen des kindlichen Alltages zum Tragen. Unter Rückgriff auf charakteristische Spracherwerbsschritte und deren Relationen zu Symbolisierungskontexten wird eine Verbindung zu kindlichen Spielformen und deren Entwicklung skizziert. Die aufgezeigten Zusammenhänge werden abschließend auf die Umsetzung im Rahmen sprachbezogener Symbolisierungskontexte interdisziplinärer Frühförderung transferiert. Schlüsselwörter: Spracherwerb, Symbolisierungsfähigkeit, Spiel- und Symbolentwicklung Concerning the significance of the symbolization competences in play contexts for language acquisition processes Summary: The development of symbolizing competences plays a central role in child language acquisition. In addition to the acquisition-specific increasing use in linguistic-communicative areas, it is mainly of concern in playful interactions of the child's everyday. By referring to characteristic language acquisition steps and their relation to symbolizing contexts, a connection to childish forms of play and their development is sketched. The presented connections are finally transferred to the implementation concerning language-related symbolization contexts of interdisciplinary early intervention. Keywords: Language acquisition, symbolization competences, play and symbolization development Zur Ausgangslage K inder werden von Geburt an in ihrer alltäglichen Umgebung mit der Verwendung von Symbolen konfrontiert. Die ersten sprachlichen Symbole, die ihnen begegnen, sind Wörter, die die Bezugspersonen im Rahmen von Interaktionen mit den Säuglingen äußern. Kinder lernen zunehmend kennen, dass Sprache - in Form von Lautstrukturen - als Repräsentant für etwas Nichtsprachliches steht, z. B. eine Person, ein Gefühl, einen Gegenstand, einen Sachverhalt etc. Der Einblick in diese Symbolfunktion, die langsam im Laufe der ersten zwei Lebensjahre in weiterführenden Interaktionen ausgebaut und gefestigt wird, ist für den kindlichen Spracherwerbsprozess ein zentraler Meilenstein (Füssenich und Menz 2014, 64ff). Mit ihrer Hilfe können Kinder Sprache und deren unterschiedliche Erscheinungsweisen als Symbol für außersprachliche Kontexte auf- und ausbauen. Diese Symbolisierungsfähigkeit ermöglicht das Verständnis und den Ausdruck von Intentionen auf einer symbolisierten Ebene mithilfe sprachlicher Zeichen (vgl. Tomasello 2006, 127ff). Im Laufe des Spracherwerbs bauen Kinder ihre Einsichten in dieses Repräsentationssystem zunehmend aus, z. B. indem sie ihren eigenen Symbolfundus im Rahmen des Wortschatzerwerbs erweitern und differenzieren. Auch der Umgang mit neuen Modi von Symbolisierung in Form des Kennenlernens von Ikonen oder Schrift(zeichen) (vgl. Barkow 2013) ist diesen Erwerbsprozessen zuzuordnen. 74 FI 2/ 2020 Christoph Schiefele Aus interaktionistischer Perspektive (vgl. Bruner 2008) können kindliche Fähigkeiten im Umgang mit Symbolen vor allem in Spielkontexten (z. B. Explorationsspiele, Konstruktionsspiele, Phantasiespiele; vgl. Heimlich 2015, 32ff) und deren sprachlich-kommunikativer Gestaltung beobachtet werden. Kinder setzen sich in diesen spielerischen Situationen handelnd aktiv mit der Verwendung von Symbolen auseinander (Andresen 2015). Aufgrund dieser natürlichen Anlage besteht hierin gleichzeitig ein potenzieller Anknüpfungspunkt zur Unterstützung von Spracherwerbs- und Symbolisierungsprozessen in Frühförderkontexten (vgl. Schiefele 2012). Entsprechend nimmt der vorliegende Beitrag diese Thematik als Ausgangslage, um zunächst kindliche Schritte zum Erwerb der sprachlichen Symbolisierungsfähigkeit darzustellen, deren Existenz und Verwendung im Rahmen von Spielhandlungen zu konkretisieren und anschließend auf mögliche Frühförderkontexte zur Unterstützung der Symbolisierungsfähigkeit mithilfe des Spielens zu transferieren. Zur Sprache als Symbolsystem - Begriffsverständnis und sprachlichkommunikative Kontexte Der Philosoph Cassirer (1874 - 1945) bezeichnete den Menschen als „animal symbolicum“ und griff mit dieser philosophisch-anthropologischen Charakterisierung die Tatsache auf, dass Symbole und der Umgang damit ein Spezifikum der menschlichen Lebensumwelt repräsentieren (vgl. Billmann-Mahecha 2014, 172). Entsprechend dieser Omnipräsenz beschäftigen sich auf wissenschaftlicher Ebene seit Langem unterschiedliche Fachdisziplinen mit dieser Thematik. Mit Blick auf das Anliegen dieses Beitrages wird der breite, wissenschaftliche Diskurs nicht aufgegriffen 1 , sondern stattdessen ein Inhaltsverständnis von Symbolen präsentiert, das die Anwendbarkeit der Thematik für sprachlichkommunikative Frühförderkontexte ermöglicht. Hierfür scheint die entwicklungspsychologisch geprägte Begriffsdefinition von DeLoache (2004, 66) geeignet: „A symbol is something that someone intends to represent something other than itself.“ Dieses vermeintlich offene Begriffsverständnis, das semiotisch nicht weiter eingegrenzt ist und damit bspw. auch ikonische Zeichen einschließt, liefert zum einen durch die angesprochene Implikation der rezeptiven als auch produktiven Ebene eine Kompatibilitätsgrundlage für diesen Artikel: Beim (kindlichen) Umgang mit kommunikativen Zeichen wird diese binäre Unterscheidung des Verständnisses und der Äußerung von Sprache relevant, weil beides notwendig ist, „um sich in einer symbolverfassten Umwelt zu orientieren und erfolgreich zu handeln, das heißt den intendierten Sinngehalt von Symbolen und generell von Zeichen zu erfassen sowie diese selbst hervorzubringen und anzuwenden“ (Drexler 2018, 157). Neben der Berücksichtigung dieses kommunikativen Partizipationspotenzials - der Umgang mit Symbolen stellt somit einen zentralen Faktor zur Teilhabe eines Individuums an der Gesellschaft dar - fokussiert die obige Definition andererseits den Repräsentationscharakter von Symbolen: Sie stehen für etwas anderes als sich selbst, weisen ergo Referenzen zu nichtsprachlichen Entitäten (Affekte, Dinge oder Ereignisse) auf. Die Deutungen dieser Rückverweise sind nur aufgrund der Kenntnis dessen möglich, was sie symbolisieren (vgl. Bechmann 2016, 46ff). Zum Verständnis sowie zur Anwendung von Symbolen ist nach DeLoache (2004) aufseiten der Individuen eine zweifache Repräsentation obligatorisch: die des Symbols sowie die des Objektes oder Sachverhalts, auf den es referiert. Erst diese Kombination ermöglicht es, Referenzen zu Entitäten in der Welt herzustellen und inhaltstragende Bedeutungen zu konstruieren oder abzuleiten. Dem Aspekt der Sinn- und Bedeutungszuschreibung kommt aus semioti- 1 Eine theoretische Fundierung des Symbolbegriffs und des wissenschaftlichen Diskurses dazu s. Rolf 2006 oder Billmann-Mahecha 2014. 75 FI 2/ 2020 Symbolisierungsfähigkeit und Spracherwerb scher (vgl. Kress 2014) wie pragmatischer Perspektive (vgl. Bruner 2008) eine zentrale Rolle zu: „meaning-making-processes […] symbolic activities that human beings employed in constructing and in making sense not only of the world, but of themselves“ (Bruner 1990, 2). Erst in dieser Sinnkonstruktion wird Sprache handlungsbedeutend. Die individuellen Bedeutungsvorstellungen von Kindern als „meaning-makers“ im Spracherwerb entsprechen noch nicht unbedingt den konventionellen Begriffszuschreibungen von Erwachsenen (vgl. Osburg 2011, 56ff). Aber daran werden in Anlehnung an De Saussure zwei Charakteristika von Symbolen deutlich (vgl. Bechmann 2016, 41ff): ihre Arbitrarität und ihre Konventionalität. Die Lautstruktur der Inhaltsebene ist zunächst willkürlich, (die phonologische Form / bal/ ist nicht durch das Objekt eindeutig festgelegt,) die erst aufgrund von Konventionen so bezeichnet und verstanden werden kann. In diesem Sinne basiert Sprache als Symbol - oder vereinfacht Wörter als sprachliche Zeichen mit Symbolcharakter - auf mentalen Repräsentationen. Diese inneren Abbildungen werden im Umgang mit der Umwelt konstruiert und weiter im Kopf repräsentiert (Andresen 2006, 36). Nelson (1999, 121) schlussfolgert aus dieser Tatsache, dass menschliche Sprache eine doppelte Funktion besitzt: Zum einen bildet sie ein internes (kognitives), von Nelson als MREP (mentale Repräsentation) bezeichnet, zum anderen ein externes (kommunikatives) System ab, von Nelson LREP (linguistische Repräsentation) benannt (s. Abb. 1). Von einem Sender werden MREP in LREP transformiert und gegenüber Kommunikationspartnern produziert - ein symbolimmanenter Äußerungsakt. Der Empfänger wiederum internalisiert die externe LREP als sprachliche Symbole und transformiert sie in mentale Repräsentationen. Entsprechend der Relevanz der aufgeführten mentalen Strukturen für kommunikative Kontexte werden diese durch verschiedene wissenschaftliche Modelle beschrieben 2 . Mit den Fähigkeiten eines Kindes, „externe Repräsentationen, die rein sprachlich empfangen werden, als eigene mentale Repräsentationen aufzubauen, gewinnt das Kind Autonomie im Hinblick auf das Denken“ (Sauerborn 2015, 23). 2 Für einen Überblick zu Modellen mentaler Repräsentationen im Kontext von Sprache s. Andresen (2017, 141ff ). Mentale Repräsentation sprachlich transformiert Sprachliche Repräsentation internalisiert und mental transformiert Sprecher/ Sender Zuhörer/ Empfänger MREP LREP Abb. 1: Mentale Repräsentationen und ihre Symbolisierung mithilfe linguistischer Repräsentationen (vgl. Nelson 1999) 76 FI 2/ 2020 Christoph Schiefele An dieser Bedeutung mentaler Repräsentationen für den Spracherwerbsprozess wird auch die Verbindung von Sprache und Symbolisierungsfähigkeit deutlich. Folglich werden im nachfolgenden Kapitel kompakt charakteristische Spracherwerbsschritte aufgeführt, die im Kontext der Entwicklung der Symbolisierungsfähigkeit von Bedeutung sind. Zu Spracherwerb und Symbolisierungsfähigkeit: Kinder entdecken das Repräsentationssystem Sprache Wenn von kindlichem Spracherwerb die Rede ist, kann dies 1.) unter dem formalen Aspekt, 2.) dem Bedeutungsaspekt und 3.) dem Kommunikationsaspekt verstanden werden. Bruner (2008, 14) betont, dass sich diese drei Bereiche von Sprache - Morphologie/ Syntax, Semantik und ihre Pragmatik - nicht unabhängig voneinander entwickeln, sondern dass sie sich wechselseitig bedingen und untrennbar zusammenrücken (vgl. Bruner 2008, 14). Auch die hier nicht aufgeführte linguistische Ebene der Phonetik/ Phonologie steht in enger Verbindung mit den genannten Bereichen und ist an allen integrativ beteiligt. Aufgrund der Komplexität dieser Aspekte und der Fragestellung dieses Beitrages wird statt einer sprachebenenspezifischen Erwerbsdeskription der Bezug von Symbolisierungsfähigkeit und Spracherwerb aufgegriffen. Objektpermanenz und gemeinsam gerichtete Aufmerksamkeit - zur Entstehung erster Symbole Bei der Erklärung des Erwerbes von Sprache als Symbolsystem aus der vorsprachlichen Kommunikation kommt der Objektpermanenz eine Schlüsselrolle zu (vgl. Szagun 2016, 76f). Bei ihr handelt es sich um das Wissen, dass Objekte auch außerhalb eigener Wahrnehmungen und Tätigkeiten Realität haben. Diese Erkenntnis, dass Objekte in der Welt Permanenz haben, ermöglicht Kindern das Herauslösen des Objekts aus der eigenen Handlung. Kinder werden somit befähigt, „Objekte als vom Selbst getrennt existierend in der Welt zu erkennen und sie durch Symbole zu repräsentieren“ (Szagun 2016, 76). Diese Befähigung ist die früheste Form der Entstehung von Symbolen, aus der sich anschließend die Symbolisierungsfähigkeit ergibt. Hierbei wird der lautlichen und gestischen Nachahmung der Bezugsperson vonseiten des Kindes eine Schlüsselrolle beigemessen. Sie setzt eine erste innere Repräsentation beim Kind in Form eines „Vorstellungsbildes“ oder „inneren Bildes “ - wie es Piaget bezeichnete - voraus. Mit diesem inneren Bild hat das Kind ein Mittel, sich erkannte Realitäten geistig präsent zu machen und Gegenstände sowie Handlungen in Vorstellungsbildern zu repräsentieren, eine Grundvoraussetzung für den Bedeutungserwerb (vgl. Füssenich 2002, 71f). Des Weiteren kommt dem Zusammenspiel von sprachlichkommunikativen und kognitiven Fähigkeiten „fundamentale Bedeutung für die Entwicklung einer handlungsfähigen Person zu“ (List 2015, 20). Durch die schrittweise Ablösung von der zunächst vorherrschenden Fixierung auf die eigene Perspektive hin zu Dezentrierung und der sich langsam entwickelnden Fähigkeit des Perspektivenwechsels übernehmen die sprachlich-kommunikativen Fähigkeiten von Kindern eine zentrale Rolle bei der Strukturierung des eigenen Denkens und Handelns (vgl. List 2015, 21). Sprache schafft also, mit Blick auf die kognitive Entwicklung, begriffliche und kategorische Systeme, welche für die gesamte kindliche Sprachentwicklung und der damit verbundenen Repräsentationserkenntnisse vonnöten sind (vgl. Szagun 2016, 203). Im Rahmen kommunikativer Interaktionen mit Bezugspersonen bauen Kinder diese Fähigkeiten und Einblicke aus. Bevorzugte Spiele in dieser Erwerbsphase sind bspw. Geben - Nehmen oder Zeigen - Verstecken (vgl. Bruner 2008, 39), in welchen das Kind elementare Grundformen menschlicher Kommunikation erfährt. „Es sind 77 FI 2/ 2020 Symbolisierungsfähigkeit und Spracherwerb Übereinkünfte, wechselseitig abgestimmte Arten des Vorgehens, welche dominieren. Die Sprache, vor allem als eine Abfolge handlungsbegleitender und -auslösender Äußerungen stellt einen Aspekt dieser Konventionalisierung dar“ (Bruner 2008, 46). Diese interaktional natürlich konventionalisierten Zuordnungen zwischen verbalen und nonverbalen Handlungen ermöglichen Kindern, die Zuordnungen selbstständig zu internalisieren und erste Referenzbezüge herzustellen (vgl. Andresen 2015, 212). Entscheidende Rolle hierbei spielen gemeinsam gerichtete Aufmerksamkeitsbezüge, die sog. Joint-attention, die sowohl in dyadischer als auch triadischer Konstellation angelegt sein können (s. Abb. 2). Diese gemeinsamen Aufmerksamkeitsbezüge können auch bei Kindern festgestellt werden, die sich noch nicht verbal äußern können (Liszkowski 2015). Die Triangulation von Kind - Bezugsperson - Objekt wird auch als triangulärer Blickkontakt bezeichnet. Der trianguläre Blickkontakt fungiert als wichtiges Bindeglied zwischen der vorsprachlichen und der sprachlichen Phase (Zollinger 2002, 21). Er nimmt einen hohen Stellenwert bei der Entwicklung von Symbolisierungsfähigkeit durch die Teilhabe an Szenen geteilter Aufmerksamkeit ein. „Die Szene gemeinsamer Aufmerksamkeit stellt einfach den intersubjektiven Kontext bereit, innerhalb dessen der Symbolisierungsprozess stattfindet“ (Tomasello 2006, 130). Anhand dieser kommunikativen Austauschprozesse entwickeln Kinder Referenzbezüge, die Fähigkeit auf außersprachliche Objekte hinzuweisen (vgl. Füssenich 2002, 69). Bruner (2008, 58ff) unterscheidet dabei zwischen drei Referenzbezügen: Der erste Referenzbezug „Hinweisen“ zeichnet sich dadurch aus, dass Kinder Objekte in den Blick nehmen und versuchen, sie zu greifen. Diesem schließt sich das gestische Zeigen an, welches begleitet wird durch die Verwendung von „deiktischen Ausdrücken“ wie „da“ und „dort“, bis schließlich das „Benennen“ erster Wörter als Beginn der eigentlichen Sprachverwendung den dritten Referenzbezug darstellt. Durch Vereinfachungen und Ritualisierungen gemeinsamer Aufmerksamkeitssituationen werden die Interaktionen zu einem nahezu idealen Rahmen für die Entwicklung grundlegender kommunikativer Fähigkeiten (vgl. El Mogharbel und Deutsch 2007, 58). Hierbei repräsentieren Rituale in Form von sprachlich-kommunikativen Formaten (vgl. S = Subjekt, O = Objekt S1 S2 S1 O O S1 S2 Abb. 2: Gemeinsam gerichtete Aufmerksamkeit in einer Dyade mit einem Menschen (links)/ einem Objekt (Mitte) und in einer Triade (rechts) (in Anlehnung an Rohlfing 2019, 105) (© Frank Hegel) 78 FI 2/ 2020 Christoph Schiefele Schiefele 2012) das „Fundament, welches über Wahrnehmungs- und Handlungsmuster zu Vorstellungsbildern führt. Diese werden sodann in Schemata und Symbole verwandelt, die sprachlicher Natur sind“ (Gollwitz 1998, 10). Diese immer wiederkehrenden Formate ermöglichen die für die Sprachentwicklung essenzielle Vernetzung multimodaler, sinnlicher Erfahrungen mit symbolischen und verbalen Funktionen. Die dabei erworbenen Einsichten in das Repräsentationssystem Sprache sowie die damit verbundene Symbolisierungsfähigkeit ermöglichen Kindern das Verständnis und die Produktion sprachlicher Symbole und sind verantwortlich dafür, dass Kinder diese Fähigkeiten zunehmend ausbauen können. Die entwicklungsperspektivisch anschließende Anwendung und Ausdifferenzierung der erworbenen Symbolisierungsfähigkeit im Rahmen sprachlich-kommunikativer Kontexte wird vor allem in spielerischen Handlungen des kindlichen Alltags deutlich. Daher greift das nächste Kapitel Existenz, Weiterführung sowie Ausbau der Symbolisierungsfähigkeiten in Spielkontexten auf. Kindliches Spiel als Lern- und Anwendungsebene der Symbolisierungsfähigkeit Kinder erkunden und entdecken bereits ab frühester Kindheit durch spielerische Handlungen die Welt für sich (vgl. Hauser et al. 2016). Mit dem „zweckfreien Aufnehmen und Integrieren von Erfahrungen mit der belebten und unbelebten Umwelt“ (Papoušek 2003, 30) setzen sich Kinder in spielerischer Form mit ihrer alltäglichen Lebensumwelt auseinander. Das Spiel ermöglicht Kindern somit, „neue Fertigkeiten zu erproben, Lösungen und Strategien für immer komplexere Probleme zu erfinden“ (Papoušek 2003, 30), und tritt dabei in unterschiedlicher Gestalt und vielerlei Hinsicht auf (Garvey 1978, 18). Spiele übernehmen eine große Bedeutung für die Gesamtentwicklung jedes Individuums (vgl. Oerter 2011) und haben folglich auch einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die sprachlich-kommunikativen Fähigkeiten von Kindern. Bei näherer Betrachtung fällt auf, dass alle spielerischen Aktivitäten von Kindern in ihrer Gesamtheit, abhängig von Inhalt und Umsetzung, in unterschiedlichem Maße auf dem Einsatz und Austausch von Sprache und Kommunikation beruhen. Bruner (2008, 36f) stellt hierzu fest, dass Spiele den Hauptanteil kindlicher Interaktionen ausmachen und jedes Spiel „auf seine eigene Art eine kleine Proto-Konversation“ (Bruner 2008, 38) darstellt. Er konstatiert, dass das kindliche Spiel aufgrund seiner natürlichen Integration von Sprachgebrauch und Sprachaustausch in engem Zusammenhang mit der allgemeinen, kindlichen Sprachentwicklung steht, und knüpft somit eine konkrete Verbindung zwischen Sprachentwicklung und kindlichem Spiel (vgl. Bruner 2008, 36). Da der Symbolisierungsfähigkeit im Spracherwerb, wie bereits aufgezeigt, eine zentrale Rolle zukommt, stehen Symbolisierungsfähigkeit und Spiele somit in direkter Relation zueinander (vgl. Andresen 2015). Dieser elementare Zusammenhang kann unter Rückgriff auf Fröbels Spieltheorie bspw. an der „Ebene der Gegenstände oder des Sachbezuges“ (Hoof 1977, 25) deutlich gemacht werden: Gegenstände oder Sachverhalte werden in Spielen durch Sprache umfunktioniert (z. B. „Der Schuh ist jetzt ein Bügeleisen! “) und sprachliche Umdeutungen symbolisieren somit Fiktion. Dieser Zusammenhang wird nachfolgend anhand unterschiedlicher kindlicher Spielformen konkretisiert. Entsprechend erfolgt an dieser Stelle keine Spielentwicklungsübersicht 3 , sondern der Bezug der Symbolisierungsfähigkeit zu sprachlich-kommunikativen Aspekten im Rahmen der sich ausbauenden kindlichen Spielhandlungen. 3 Nachzulesen bei Hauser et al. (2016) oder Heimlich (2015) bzw. im ersten Beitrag dieses Heftes. 79 FI 2/ 2020 Symbolisierungsfähigkeit und Spracherwerb Zur Symbolisierungsfähigkeit in Spielentwicklungskontexten Ausgangspunkt ist ein Verständnis von Spielentwicklung als „zunehmende Erweiterung eines Handlungsrepertoires […], das die Interaktionsmöglichkeiten mit der Umwelt vervielfacht und zugleich eine zunehmende Verselbstständigung der Kinder zulässt“ (Heimlich 2015, 33). Folglich lösen die nachfolgend aufgeführten Spielformen und -fähigkeiten sich nicht einfach ab, sondern bedingen sich gegenseitig, um sich anschließend auf einem höheren Spielniveau zu kombinieren (vgl. Heimlich 2015, 33). Referenzgrundlage stellen die ersten drei Phasen 4 der Spielentwicklung in Anlehnung an Groos und Bühler dar, die von namhaften Vertretern wie z. B. Piaget oder Sutton-Smith ergänzt und aktualisiert wurden (vgl. Bunk 2012, 17f). Explorationsspiel/ Funktions- und Übungsspiel Das Explorationsverhalten von Säuglingen und ihr Erkundungscharakter kennzeichnen die ersten feststellbaren Spielhandlungen: Kinder erfahren z. B. in Form von Bewegungen mit Gliedmaßen oder Experimenten mit ihrer Stimme Freude und entdecken die „Funktionslust“ ihres Körpers (vgl. Hauser et al. 2016, 76ff). Diese spielerischen Übungen, die die Ausgangsform des Spiels beim Kind darstellen und unzählige Male wiederholt werden (vgl. Piaget 2009, 151), laufen in diesem Alter teils partnerzentriert, z. B. beim Guckuck-da-Spiel, teils gegenstandszentriert ab, z. B. beim Zeigen von Effekten eines Spielzeuges. Die frühen Interaktionsspiele entwickeln sich im Sinne des gemeinsamen Gegenstandsbezugs schrittweise zu triadischen Kontexten weiter (s. oben). Gleichzeitig erkunden Kinder im Funktions- und Übungsspiel die Funktion von Gegenständen und entdecken so, dass z. B. die Tasse zum Trinken, das Auto zum Fahren existiert (vgl. Oerter 2011, 63). Vygotskij (2017, 188ff) sieht in diesen Aktivitäten den Ausgangspunkt der Begriffsbildung, da erst die funktionale und situative Nutzung eines Gegenstandes oder Zeichens als Mittel zur Auseinandersetzung mit der sozialen Umwelt sowie zur Bewältigung einer Aufgabe die kindliche Lexikonbildung ermöglicht. In neueren Forschungen wird hier der „embodied cognition“ als Verbindung von sensorischen mit kognitiven Repräsentationen (vgl. Rohlfing 2019, 23ff), die von den Bezugspersonen gezielt unterstützt werden können (vgl. Nomikou et al. 2017), eine gewichtige Rolle zugeschrieben: „concrete concepts are comprised of embodied sensorimotor information from previous interactive experience with objects and the environment (perceptual symbols), as well as dis-embodied sensorimotor information from our experience using language (linguistic symbols), whereas our understanding of abstract concepts is mainly comprised of information from our experience with language.“ (Wellsby und Pexmann 2014, 2). Die hierin angesprochene Verbindung sprachlicher Symbole mit Explorationshandlungen in Form des Funktionsspiels wird in der Spielform des Konstruktionsspiels weiter ausgebaut. Konstruktionsspiel In steigendem Alter beziehen Kinder vermehrt Gegenstände in ihre Handlungen mit ein. So benutzen sie bei Konstruktionsspielen konkrete Dinge oder Spielzeuge, um aus diesen andere Gegenstände (z. B. einen Turm aus Bauklötzen, eine Knetfigur, eine „Kritzel“-Zeichnung etc.) herzustellen (vgl. Montada und Oerter 4 Die vierte Phase der Regelspiele wird aufgrund der Relevanz der ersten drei Phasen für die Symbolisierungsfähigkeit an dieser Stelle nicht ausgeführt, gehört aber zum aufgeführten Phasenmodell dazu. 80 FI 2/ 2020 Christoph Schiefele 2002, 224). Aus sprachlicher Perspektive sind damit Benennungsprozesse verbunden, denen symbolspezifisch eine wichtige Funktion zugeschrieben wird und die sich in drei Hauptentwicklungsschritten skizzieren lassen: Zuerst erfolgt die „Benennung des Werkes nach Fertigstellung, [dann] während der Konstruktionstätigkeit und [schließlich] vor Beginn der Tätigkeit“ (Oerter 2011, 72). Ein entscheidender Zusammenhang zwischen Begriffsbildung und Konstruktionsspielen besteht - wie unter Anderem Vygotskij (2017, 193ff) und Piaget (2009, 348ff) herausgearbeitet haben - in den inneren Repräsentationen und Symbolen der fiktiven kindlichen Realität, die in Konstruktionsspielen abgebildet und geschaffen werden. In diesen Prozessen werden die Abbilder der individuellen Begriffs- und Bedeutungsvorstellungen der Kinder (vgl. Füssenich 2002, 74f) mit der äußeren Realität in Beziehung gesetzt und die entsprechenden kindlichen Hypothesen entweder konfirmiert oder modifiziert (vgl. Oerter 2011, 68f). Diese angesprochene Darstellung und Umsetzung gedachter Symbole in Konstruktionsspielen erweitert die Symbolisierungsfähigkeit von Kindern. Beim Übergang zum Symbolspiel (s. unten) lassen sich markante Veränderungen im Kontext der Symbolisierungsfähigkeiten von Kindern festmachen, wie die Beschreibung von fünf Übergangsentwicklungsstufen in Anlehnung an McCune-Nicolich und Carroll (1981, zit. n. Kolonko 2015, 83f) belegt: n Stufe der präsymbolischen Schemata: Kinder kennen die Funktion von Alltagsgegenständen und integrieren diese in ihr Spiel, allerdings noch nicht symbolisch, sondern präsymbolisch. Beispiel: Ein Kind kann erst dann so tun, als ob es trinkt, wenn es einen Becher in der Hand hält. n In der autosymbolischen Phase werden konkrete Gegenstände bereits symbolisch verwendet, allerdings nur in Bezug auf die eigene Person. n Im nächsten Schritt sind die symbolischen Handlungen dezentriert, also unabhängig von der eigenen Person und beziehen andere Objekte mit ein. Anfangs werden andere Personen und Objekte hauptsächlich in passiver Form eingebunden, d. h. sie sind Empfänger von Handlungen. Im nächsten Schritt werden dann die Objekte zu selbstständigen Akteuren, beispielsweise lässt ein Kind dann eine Puppe laufen. n In der Phase der symbolischen Kombination versuchen Kinder, symbolische Handlungen in eine Reihenfolge zu bringen, was meist noch nicht vollständig gelingt. Dem Planungsprozess wird hierbei eine große Rolle zuteil, indem die vorgehende Handlung die nachfolgende vorbereitet. Beispiel: Ein Kind füttert eine Puppe, sieht anschließend seinen Teddy und füttert diesen erst nach dessen Anblick, anstatt im Voraus das Füttern beider Objekte zu planen. n Beim interiorisierten Symbolspiel hat das Kind die Spielhandlung bereits im Voraus grob geplant und führt das Spiel mit seinem kindlichen, inneren Vorstellungsvermögen aus. Das Kind hat damit die Entwicklungsschritte der Dezentrierung und Dekontextualisierung vollzogen. Als-ob-Spiel, Symbol- und Rollenspiel Durch die von Geburt an angeborene Imitationsfähigkeit sowie sprachlich-mimetisches Lernen (vgl. Hochstadt 2015, 61ff) eignen sich Kinder am Modell ihrer Bezugspersonen den funktionellen Umgang mit Gegenständen an und entwickeln eine innere Vorstellung von konkreten Handlungen. In passenden Kontexten bestimmter Interaktionssituationen werden diese individuellen Handlungsvorstellungen abgerufen und entsprechend der subjektiven mentalen Repräsentationen (s. oben) umgesetzt. Im weiteren Erwerbsverlauf ist nicht mehr die Handlung einer konkreten Situation ausschlaggebend, sondern die Bedeutung dieser 81 FI 2/ 2020 Symbolisierungsfähigkeit und Spracherwerb Handlung. Das Kind entwickelt die Fähigkeit, Handlungen symbolisch umzusetzen, komplette Handlungsabfolgen vorauszuplanen und im Spiel symbolisch zu realisieren (vgl. Kolonko 2015, 83). Auf diese Weise können im kindlichen Spiel Gegenstände umgedeutet (z. B. Kamm als Telefon) und symbolisch verwendet werden. Aufgrund der Verbundenheit mit der Symbolisierungsfähigkeit werden die Spielformen als Symbolspiel oder So-tun-als-ob-Spiel bezeichnet. Für diese Spielformen ist hinsichtlich des Einsatzes von Sprache der sympraktische Sprachgebrauch erkennbar, sodass die sprachliche Verwendung immer an den aktuellen Kontext und die vorherrschende Situation gebunden ist (vgl. Andresen 2017, 67ff). Erst in einem weiteren Erwerbsschritt kann Sprache schließlich unabhängig vom situativen Kontext dekontextualisiert eingesetzt werden. Diese Dekontextualisierung wird im Rollenspiel weiterführend angewandt: Durch die Fähigkeit, Gegenstände und Handlungen fiktiv umzudeuten - z. B. Aussagen wie „Im Spiel ist das wohl ein… [Handy]! “ - überwinden Kinder den sympraktischen Sprachgebrauch und können Sprache losgelöst von aktuellen Situationskontexten einsetzen. Es gelingt Kindern, sprachlich-kommunikative Aspekte zum Betrachtungsgegenstand zu machen. Dies zeigt sich in sprachlichen Umbenennungen, die Kinder in spielerischen Kontexten vornehmen, oder dass sie sich über sprachliche Phänomene wundern (z. B. „Englisch? Ist das die Sprache der Engel? “). Vygotskij (2017, 188ff) verweist auf die Vertiefung der Symbolisierungsfähigkeit in Rollenspielkontexten. Kinder beginnen im und durch das Rollenspiel mental mit Bedeutungsrepräsentationen umzugehen, d. h. sie handeln nun auf Grundlage von symbolischen Bedeutungsvorstellungen und nicht mehr auf Wortgegenstandskomplexen. Außerdem führt Andresen (2015, 30f) die Ambivalenz des Sprachgebrauchs auf, die in Rollenspielen deutlich zum Vorschein kommt. Demnach wird einerseits die Spielhandlung durch Sprache bzw. Kommunikation realisiert, ohne deren kontextgebundene Verwendung ein Rollenspiel nahezu unmöglich umgesetzt werden kann. Andererseits bildet Sprache das wichtigste Medium zur Erzeugung der Fiktion, denn erst durch die Sprachanwendung in fiktiven Rollen kann die Spielsituation aus der realen Gegebenheit herausgelöst werden. Durch diesen veränderten Gebrauch von Sprache unterstützen Rollenspiele die kindliche Sprachentwicklung vor allem im Bereich der metakommunikativen Fähigkeiten (vgl. Oerter 2011, 119f). Der Bereich der Metakommunikation umfasst im Allgemeinen die Fähigkeiten, sich für Sprache zu interessieren sowie darüber nachzudenken und Sprache selbst als Gegenstand der Betrachtung zu machen (vgl. Füssenich et al. 2018). Er äußert sich bei Kindern vor allem im kreativen Umgang mit Sprache. Sie nehmen eigene Wortschöpfungen (z.B. „Ohrenschmalz der Blumen“ für Blütenstaub) oder Reime vor, stellen vielfältige Fragen über Objekte, aber auch Wörter, und korrigieren sich selbst. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass Spiele als omnipräsente Form kindlicher Handlungen eine zentrale Tätigkeit für den Erwerb und die Vertiefung der Symbolisierungsfähigkeit darstellen. Kindliche Spiele sind dabei immer in die jeweilig individuelle, gesellschaftliche Situation der Kinder eingebettet, sodass diese sich im Spiel mit ihrer alltäglichen Lebensumwelt auseinandersetzen (vgl. Menz 2018). Diesen Auseinandersetzungsprozessen, egal ob in fiktiver oder realitätsangelehnter Form, kommt große Bedeutung sowohl für die Sprachals auch Allgemeinentwicklung zu. Entsprechend ist das Spiel ein zentrales Interaktionselement in interdisziplinären Frühförderkontexten (vgl. Sarimski 2017). Unter Rückgriff auf die im Voraus aufgezeigten Zusammenhänge bedarf die Umsetzung von sprachbezogenen Symbolisierungskontexten gezielter Berücksichtigung im Rahmen interdisziplinärer Frühförderung. Das nachfolgende Kapitel greift zwei exemplarische Anwendungsbereiche diesbezüglich auf. 82 FI 2/ 2020 Christoph Schiefele Anknüpfungspunkte der Symbolisierungsfähigkeit in sprachspezifischen Frühförderkontexten Die Interaktionsgestaltung nimmt einen zentralen Stellenwert in der interdisziplinären Frühförderarbeit ein. An ausgewählten Handlungsfeldern werden unter Rückgriff auf gegenwärtige wissenschaftliche Erkenntnisse Berücksichtigungsperspektiven der Symbolisierungsfähigkeit in Interaktionskontexten skizziert. Ein erster Anknüpfungspunkt lässt sich aufgrund der Relevanz von Rollenspielen für die Sprach- und Symbolisierungsfähigkeit im Bereich der Inszenierung und Begleitung dieser fiktiven Situationen durch die Erwachsenen ableiten. Obwohl den Fachkräften bei der Handlungsstrukturierung eine wichtige Unterstützungsaufgabe zukommt (vgl. Schiefele 2012, 89ff; 203ff), kann Andresen (2017, 163ff) aufzeigen, dass Kinder bei Rollenspielen „nur in der Interaktion mit anderen Kindern gleichberechtigt und gleichverantwortlich ihren Anteil an der Strukturierung der gemeinsamen Interaktion übernehmen“ (Andresen 2017, 165) können. In ihren Beobachtungen stellt sie fest, dass auch die bewusste Zurückhaltung von Erwachsenen nicht den positiven Effekt bzw. dieselbe Aktivität der Kinder provoziere wie Interaktionen unter Gleichaltrigen. Schmidt (2014, 24ff) teilt diese Perspektive und unterstreicht die größere Notwendigkeit der Zuhilfenahme und des Einsatzes von Sprache in rollenbezogenen Kind-Kind- Konstellationen. Ergänzend verweisen Sallat und Spreer (2017, 266) auf das aus Erwachsenenperspektive als „störend“ empfundene, immer wieder eintretende Verlassen des Spielrahmens durch die Kinder, was aus deren Sicht allerdings notwendig ist, um den Gesamtüberblick über die Handlungssituation beizubehalten. Hinsichtlich der Integration von Rollenspielformaten zur Stärkung der Symbolisierungsfähigkeiten in Frühförderkontexten scheinen diese Erkenntnisse konkret beachtungsrelevant, indem Fachkräfte perspektivisch die Umsetzung kindlicher Rollenspiele mit Gleichaltrigen mitplanen und berücksichtigen sollten. Unabhängig von Rollenspielen betrifft ein zweiter Anknüpfungspunkt kindlicher Symbolisierungsfähigkeiten das allgemeine Interaktionsverhalten der Erwachsenen. Die aufgezeigte, erwerbsspezifisch zunehmende Symbolisierungsfähigkeit von Kindern kann von Fachkräften der Frühförderung durch den Einsatz von ikonischen Gesten aufgegriffen werden. In der Theorie wird hier zwischen objektbezogener und konventionalisierter Gestik differenziert (Rohlfing 2019, 178ff). Erstgenannte symbolisieren spezifische Charakteristika eines Referenten, bspw. eine ausgeführte Wurfbewegung für die Tätigkeit des Werfens, während zweitere ohne Objektbezug im Sinne einer Konvention als in unterschiedlichen Kontexten stabile Geste verstanden werden, z. B. die Daumen-hoch-Geste als eine positive Rückmeldung. Heller und Rohlfing (2017, 16) weisen im Rahmen von Bilderbuch- und freien Spielsequenzen nach, dass beide Formen von Gestik einen positiven Unterstützungsrahmen bereitstellen. Außerdem belegen sie, dass Bezugspersonen durch einfühlsame, kontextbezogene Äußerungen wortschatzproduktive Aktivitäten auslösen können: „Depictive gestures were replaced increasingly by verbal means (aligned with pointing)“ (Heller und Rohlfing 2017, 14). Vogt und Kauschke (2017) untersuchen diesen positiven Effekt von Gesten expliziter für Kinder mit diagnostizierter spezifischer Sprachentwicklungsstörung (SSES) - eine in Frühförderkontexten repräsentierte Zielgruppe. Sie konstatieren, „Iconic gestures can be regarded as a suitable tool for teaching words to children with and without SLI 5 “(Vogt und Kauschke 5 SLI = Specific language impairment als englische Bezeichnung für Spezifische Sprachentwicklungsstörung (SSES) 83 FI 2/ 2020 Symbolisierungsfähigkeit und Spracherwerb 2017, 1481) und konkretisieren den allgemeinen langfristigen Vorteil von ikonischen Gesten unter Verweis auf gezielte Effekte von formbezogenen Gesten auf Nomen bzw. Verben: „Shape gestures in particular qualify as a support for consolidation of nouns. For verbs, it may be advisable to employ combined manner and path gestures” (Vogt und Kauschke 2017, 1479). Auch für sprachdiagnostische Kontexte scheint der Zusammenhang von Symbolverständnis, Gesteneinsatz und Sprachentwicklungsverzögerung von Relevanz. O’Neill et al. (2019) legen Befunde vor, wonach die Verwendung von Gesten und das Symbolverständnis bei Kindern mit rezeptiven-expressiven Verzögerungen als Prädikator für spätere Sprachentwicklungsstörungen herangezogen werden kann. Lüke et al. (2017) verweisen diesbezüglich auf Erkenntnisse, dass bis ans Ende des zweiten Lebensjahres persistierender Einsatz von Zeigegesten mit dem Zeigefinger ohne begleitende Lautsprach-Performationen als Indikator für Late-Talker dienen kann. Bedeutung für die Praxis Die Symbolisierungsfähigkeit stellt wie aufgezeigt einen erwerbsspezifischen Verbindungspol zwischen sprachlich-kommunikativen Fähigkeiten und spielerischen Handlungen von Kindern dar. Mit Blick auf den Praxisbezug dieser Erkenntnisse für interdisziplinäre Frühförderkontexte sind neben den bereits angesprochenen Umsetzungsperspektiven auch Bezüge zu schriftsprachlichen early-literacy-Aspekten bspw. in Form von symbolimmanenten Kritzel- und Mal- oder Vorleseaktivitäten zu ziehen. Ebenso von Relevanz sind die dargestellten Grundlagen symbolischer Sprach- und Spielfähigkeiten für den Einsatz bzw. die Reflexion produktiver wie rezeptiver Formen von Bildungsprozessen im Rahmen neuer, digitaler Medien als zukünftiges Handlungsfeld interdisziplinärer Frühförderung. Dr. Christoph Schiefele Pädagogische Hochschule Ludwigsburg Reuteallee 46 71634 Ludwigsburg E-Mail: schiefele@ph-ludwigsburg.de Literatur Andresen, H. (2006): Sprache, Emotion und Bewusstheit im Spiegel kindlicher Spiele. In: Bahr, R., Iven, C. (Hrsg.): Sprache - Emotion - Bewusstheit. Beiträge zur Sprachtherapie in Schule, Praxis, Klinik. 1. Aufl. Idstein, Schulz-Kirchner, 27 - 40 Andresen, H. (2015): Interaktion, Sprache und Spiel. Zur Funktion des Rollenspiels für die Sprachentwicklung im Vorschulalter. Narr, Tübingen Andresen, H. (2017): Vom Sprechen zum Schreiben. Sprachentwicklung zwischen dem vierten und siebten Lebensjahr. Konzepte der Humanwissenschaft. 2. Aufl. Klett-Cotta, Stuttgart Bahr, R., Iven, C. (Hrsg.) (2006): Sprache - Emotion - Bewusstheit. Beiträge zur Sprachtherapie in Schule, Praxis, Klinik. 1. Aufl. Schulz-Kirchner, Idstein Barkow, I. (2013): Kritzeln als Vorform des Schreibens und des Zeichnens. In: Barkow, I. (Hrsg.): Schreiben vor der Schrift. Frühe Literalität und Kritzeln. 1. Aufl. Stuttgart, Fillibach bei Klett, 7 - 17 Bechmann, S. (2016): Sprachwandel - Bedeutungswandel. Eine Einführung. UTB Sprachwissenschaft Bd. 4536. A. Francke Verlag, Tübingen Billmann-Mahecha, E. (2014): Symbolkompetenz. In: Grabowski, J. (Hrsg.): Sinn und Unsinn von Kompetenzen. Fähigkeitskonzepte im Bereich von Sprache, Medien und Kultur. Leverkusen-Opladen, Barbara Budrich-Esser, 171 - 188, https: / / doi.org/ 10.2307/ j.ctvddzg18.11 Bruner, J. (1990): Acts of meaning. Harvard Univ. Press, Cambridge, Mass. Bruner, J. S. (2008): Wie das Kind sprechen lernt. Aus dem Programm Huber. 2. Aufl. Huber, Bern Bunk, U. (2012): Spiel und spieltherapeutische Methoden. Methoden in Heilpädagogik und Heilerziehungspflege. 3. Aufl. Bildungsverl. EINS, Köln DeLoache, J. S. (2004): Becoming symbol-minded. TRENDS in Cognitive Sciences 8 (2), 66 - 70, https: / / doi. org/ 10.1016/ j.tics.2003.12.004 Drexler, H. (2018): Die Entwicklung von pictorial literacy. Zur Interpretation piktografischer Zeichen im Vorschulalter. Journal für Psychologie 26 (1), 156 - 177, https: / / doi.org/ 10.30820/ 8247.10 84 FI 2/ 2020 Christoph Schiefele El Mogharbel, C., Deutsch, W. (2007): Pragmatik: Sprachentwicklung im Kontext sozialen Handelns. In: Schöler, H., Welling, A. (Hrsg.): Sonderpädagogik der Sprache. Göttingen, Hogrefe, 57 - 66 Füssenich, I. (2002): Semantik. In: Baumgartner, S. (Hrsg.): Sprachtherapie mit Kindern. Grundlagen und Verfahren. 5. Aufl. UTB. München, Reinhardt, 63 - 104 Füssenich, I., Geisel, C., Schiefele, C. (2018): Literacy im Kindergarten. Vom Sprechen zur Schrift. 2. Aufl. Ernst Reinhardt Verlag, München Füssenich, I., Menz, M. (2014): Sprachliche Bildung, Sprachförderung, Sprachtherapie. Grundlagen und Praxisanregungen für Fachkräfte in Kitas. 1. Aufl. Cornelsen, Berlin Garvey, C. (1978): Spielen. Das Kind und seine Entwicklung. 1. Aufl. Klett-Cotta, Stuttgart Gollwitz, G. (1998): Mit Ritualen im Alltag Sprache fördern. Ein Praxisbuch zur Förderung der Aussprache, der Grammatik und des Redeflusses. 1. Aufl. Gollwitz, Bad Abbach Hauser, B., Gutknecht, D., Schöler, H., Holodynski, M. (2016): Spielen. Frühes Lernen in Familie, Krippe und Kindergarten. W. Kohlhammer, Stuttgart Heimlich, U. (2015): Einführung in die Spielpädagogik. 3. Aufl. Klinkhardt; UTB, Bad Heilbrunn/ Stuttgart Heller, V., Rohlfing, K. J. (2017): Reference as an Interactive Achievement: Sequential and Longitudinal Analyses of Labeling Interactions in Shared Book Reading and Free Play. Frontiers in Psychology 8, https: / / doi.org/ 10.3389/ fpsyg.2017.00139 Hochstadt, C. (2015): Mimetisches Lernen im Grammatikunterricht. Schneider Hohengehren, Baltmannsweiler Hoof, D. (1977): Handbuch der Spieltheorie Fröbels. Untersuchungen und Materialien zum vorschulischen Lernen. Erziehung und Didaktik. 1. Aufl. Westermann, Braunschweig Kolonko, B. (2015): Spracherwerb im Kindergarten. Grundlagen für die sprachpädagogische Arbeit von Erzieherinnen. 1. Aufl. Centaurus Verlag Media, Freiburg Kress, G. (2014): Skizze einer semiotischen Theorie des Lernens. In: Göhlich, M. (Hrsg.): Pädagogische Theorien des Lernens. 2. Aufl. Weinheim, Beltz Juventa, 52 - 66 List, G. (2015): Die Funktionen von Sprache und Spracherwerb für die kognitive und sozial-kommunikative Entwicklung. In: Jampert, K., Tures, A., Bertau, M.-C. (Hrsg.): Sprachliche Förderung der Kita. Wie viel Sprache steckt in Musik, Bewegung, Naturwissenschaften und Medien? 2. Aufl. Verl. Weimar, Das Netz, 15 - 21 Liszkowski, U. (2015): Kommunikative und sozialkognitive Voraussetzungen des Spracherwerbs. In: Sachse, S. (Hrsg.): Handbuch Spracherwerb und Sprachentwicklungsstörungen: Kleinkindphase. 1. Aufl. Urban & Fischer/ Elsevier, München, 27 - 38 Lüke, C., Ritterfeld, U., Grimminger, A., Liszkowski, U., Rohlfing, K. J. (2017): Development of pointing gestures in children with typical and delayed language acquisition. Journal of Speech, Language, and Hearing Research 6 (11), 3185 - 3197, https: / / doi.org/ 10.1044/ 2017_jslhr-l-16-0129 Menz, M. (2018): Bildung, Lebenswelt und Sprache. Schneider Hohengehren, Baltmannsweiler Nelson, K. (1999): Language in cognitive development. Emergence of the mediated mind. Cambridge Univ. Press, Cambridge Nomikou, I., Koke, M., Rohlfing, K. J. (2017): Verbs in Mothers’ Input to Six-Month-Olds: Synchrony between Presentation, Meaning, and Actions Is Related to Later Verb Acquisition. Brain sciences 7 (5), https: / / doi.org/ 10.3390/ brainsci7050052 Oerter, R. (2011): Psychologie des Spiels. Beltz- Taschenbuch Psychologie Bd. 46. 2. Aufl. Beltz, Weinheim O’Neill, H., Murphy, C.-A., Chiat, S. (2019): What Our Hands Tell Us: A Two-Year Follow-Up Investigating Outcomes in Subgroups of Children with Language Delay. Journal of Speech, Language, and Hearing Research 62 (2), 356 - 366, https: / / doi.org/ 10.1044/ 2018_jslhr-l-17-0261 Osburg, C. (2011): Semantik: Wörter und ihre Bedeutungen verstehen und gebrauchen. In: Knapp, W., Löffler, C., Osburg, C., Singer, K. (Hrsg.): Sprechen, schreiben und verstehen. Sprachförderung in der Primarstufe. 1. Aufl. Seelze, Klett/ Kallmeyer, 48 - 92 Papoušek, H. (2003): Spiel in der Wiege der Menschheit. In: Papoušek, M., Gontard, A. von (Hrsg.): Spiel und Kreativität in der frühen Kindheit. Leben lernen Bd. 159. Stuttgart, Pfeiffer bei Klett-Cotta, 17 - 55 Piaget, J. (2009): Nachahmung, Spiel und Traum. Die Entwicklung der Symbolfunktion beim Kinde. 6. Aufl. Klett-Cotta, Stuttgart Rohlfing, K. (2019): Frühe Sprachentwicklung. 1. Aufl. UTB, Stuttgart Rolf, E. (2006): Symboltheorien. Der Symbolbegriff im Theoriekontext. De Gruyter Lexikon. De Gruyter, Berlin/ New York, https: / / doi.org/ 10.1515/ 978311089 4141 Sallat, S., Spreer, M. (2017): Pragmatische Störungen. In: Mayer, A., Ulrich, T., Bahrfeck, K. (Hrsg.): Sprachtherapie mit Kindern. München/ Basel, Ernst Reinhardt Verlag, 227 - 298 85 FI 2/ 2020 Symbolisierungsfähigkeit und Spracherwerb Sarimski, K. (2017): Handbuch interdisziplinäre Frühförderung. Beiträge zur Frühförderung interdisziplinär Bd 20. 1. Aufl. Ernst Reinhardt Verlag, München/ Basel Sauerborn, H. (2015): Zur Bedeutung der Early Literacy für den Schriftspracherwerb. Schneider Hohengehren, Baltmannsweiler Schiefele, C. (2012): Die Bedeutung von Alltags- und Spielformaten für die Erweiterung sprachlich-kommunikativer Fähigkeiten. Eine empirische Vergleichsstudie über vier Kinder. 1. Aufl. Centaurus Verlag Media, Freiburg, https: / / doi.org/ 10.1007/ 978-3-86226-895- 5_6 Schmidt, A. (2014): Erwerb von Erzählfähigkeiten. Eine explorative Längsschnittstudie zu Phantasieerzählungen vierbis sechsjähriger Kinder. Universität Flensburg, Flensburg Szagun, G. (2016): Sprachentwicklung beim Kind. Ein Lehrbuch. 6. Aufl. Beltz, Weinheim/ Basel Tomasello, M. (2006): Die kulturelle Entwicklung des menschlichen Denkens. Zur Evolution der Kognition. 1. Aufl. Suhrkamp, Frankfurt am Main, https: / / doi. org/ 10.1515/ 9783110588972-015 Vogt, S., Kauschke, C. (2017): Observing iconic gestures enhances word learning in typically developing children and children with specific language impairment. Journal of Child Language 44 (6), 1458 - 1484, https: / / doi.org/ 10.1017/ s0305000916000647 Vygotskij, L. S. (2017): Denken und Sprechen. Psychologische Untersuchungen. 3. Aufl. Beltz, Weinheim/ Basel Wellsby, M., Pexman, P. M. (2014): Developing embodied cognition: Insights from children’s concepts and language processing. Frontiers in Psychology 5 (506), https: / / doi.org/ 10.3389/ fpsyg.2014.00506 Zollinger, B. (2002): Die Entdeckung der Sprache. Beiträge zur Heil- und Sonderpädagogik Bd. 16. 5. Aufl. Haupt, Bern