Frühförderung interdisziplinär
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0721-9121
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2020
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Originalarbeit: Prosoziales Verhalten bei Vorschulkindern mit Sprachentwicklungsstörungen
71
2020
Markus Paulus
Julia Erbe
Joana Wolfsperger
Samuel Essler
Monika Wörle
Prosoziales Verhalten spielt eine zentrale Rolle in der kindlichen Entwicklung. Die vorliegende Studie untersuchte die Ausprägung von drei prosozialen Verhaltensweisen (Helfen, Trösten, Teilen) bei 3–6-jährigen Kindern mit Sprachentwicklungsstörungen (SES) und einer Kontrollgruppe. Beide Gruppen unterschieden sich nicht im Ausmaß instrumenteller Hilfe. Kinder mit SES zeigten weniger Tröstverhaltensweisen, wenn sie mit einer Person konfrontiert wurden, die Schmerzen hatte. Im Ausmaß der Großzügigkeit beim Teilen gab es keinen Unterschied zwischen den Gruppen, jedoch differenzierten die Kinder mit SES weniger zwischen unterschiedlichen Rezipienten (Freund, Fremder, Nichtfreund). Die Studie ermöglicht einen differenzierten Blick auf prosoziales Verhalten bei Kindern mit SES.
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Frühförderung interdisziplinär, 39.-Jg., S.-120 - 136 (2020) DOI 10.2378/ fi2020.art13d © Ernst Reinhardt Verlag 120 Prosoziales Verhalten bei Vorschulkindern mit Sprachentwicklungsstörungen Eine explorative Studie Markus Paulus 1 , Julia Erbe 1 , Joana Wolfsperger 2 , Samuel Essler 1 , Monika Wörle 1 1 Department Psychologie, Ludwig-Maximilians-Universität München 2 Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt Zusammenfassung: Prosoziales Verhalten spielt eine zentrale Rolle in der kindlichen Entwicklung. Die vorliegende Studie untersuchte die Ausprägung von drei prosozialen Verhaltensweisen (Helfen, Trösten, Teilen) bei 3 - 6-jährigen Kindern mit Sprachentwicklungsstörungen (SES) und einer Kontrollgruppe. Beide Gruppen unterschieden sich nicht im Ausmaß instrumenteller Hilfe. Kinder mit SES zeigten weniger Tröstverhaltensweisen, wenn sie mit einer Person konfrontiert wurden, die Schmerzen hatte. Im Ausmaß der Großzügigkeit beim Teilen gab es keinen Unterschied zwischen den Gruppen, jedoch differenzierten die Kinder mit SES weniger zwischen unterschiedlichen Rezipienten (Freund, Fremder, Nichtfreund). Die Studie ermöglicht einen differenzierten Blick auf prosoziales Verhalten bei Kindern mit SES. Schlüsselwörter: Soziale Interaktion, soziale Emotion, Fairness, Sprachentwicklung Prosocial behavior in preschool children with developmental language disorder: An explorative study Summary: Prosocial behavior plays a central role for children’s development. The current study examined three prosocial behaviors (helping, comforting, sharing) in 3 - 6-year-old children with developmental language disorder (DLD) and a control group. There was no difference in children’s instrumental helping. Children with DLD were less likely to engage in comfortingtype behaviors when being confronted with a person in pain. While there was no difference in their overall generosity, children with DLD differentiated less between different recipients (friend, stranger, non-friend). Overall, our results allow for a more differentiated understanding of prosocial behavior in children with DLD. Keywords: Social interaction, social emotion, fairness, language development ORIGINALARBEIT K inder mit SES, das heißt einer nicht altersentsprechenden Entwicklung der sprachlichen Fähigkeiten, erfahren über die rein sprachlichen Einschränkungen hinausgehend auch Schwierigkeiten in der sozialen Interaktion (Durkin und Conti-Ramsden 2007, McCabe 2005, Stanton-Chapman et al. 2007). Zum Beispiel berichten Stanton-Chapman und Kollegen (2007), dass Kinder mit SES über geringere soziale Fähigkeiten verfügen als ihre alterstypisch entwickelten Peers. Da die untersuchten Kinder mit SES in anderen Bereichen (Gehör, sensorische, neurologische und motorische Entwicklung sowie nonverbale Intelligenz) eine altersentsprechende Entwicklung aufweisen, sind diese Schwierigkeiten nicht auf generelle kognitive Einschränkungen zurückführbar. Dies spricht dafür, dass sie spezifisch durch die sprachlichen Defizite bzw. damit einhergehende Begleiterscheinungen bedingt sind. Die sozialen Schwierigkeiten können eigene Dynamiken entfalten und stellen eine zusätzliche 121 FI 3/ 2020 Prosoziales Verhalten bei Vorschulkindern mit Sprachentwicklungsstörungen Belastung dar. Ein genaueres Bild der sozialen Kompetenzen von Kindern mit SES wäre hilfreich, um die Art der Schwierigkeiten besser einschätzen zu können. Ein zentrales Thema der sozialen Interaktion und sozialen Kompetenz stellt das prosoziale Verhalten dar. Prosoziales Verhalten kann definiert werden als Verhaltensweisen, die einer anderen Person zugutekommen und keine unmittelbare materielle Belohnung für den Handelnden erbringen (Wörle und Paulus 2016). Klassische prosoziale Verhaltensweisen sind das Trösten einer traurigen Person, die Hilfe bei der Erledigung von Aufgaben und das Teilen von eigenen Gütern mit anderen. Prosoziale Kinder erfahren positive Rückmeldungen in sozialen Interaktionen und haben einen höheren Status in ihrer Peergruppe (Paulus 2017). Prosoziales Verhalten gilt daher als wichtiger Faktor in der Prävention von problematischen Verhaltensweisen. In der Tat betonen Modelle zur Entwicklung von Kindern mit SES, dass prosoziales Verhalten eine wichtige Ressource darstellt (Conti-Ramsden und Durkin 2015). Diese Überlegungen verdeutlichen, dass der Entwicklung prosozialen Verhaltens eine wichtige Rolle in den frühen Sozialbeziehungen zukommt. Jedoch ist die empirische Befundlage hinsichtlich der Ausprägung prosozialen Verhaltens bei Kindern mit SES unklar. Zum einen gibt es Studien, die auf geringere Ausprägungen prosozialen Verhaltens bei Kindern mit SES hindeuten (z. B. Hart et al. 2004). Hart und Kollegen (2004) baten Lehrer von 6 bis 13 Jahre alten Kindern mit und ohne SES, verschiedene Aspekte ihres Sozialverhaltens einzuschätzen. Dabei zeigte sich, dass die Kinder mit SES als weniger prosozial eingeschätzt wurden. Je stärker die sprachlichen Schwierigkeiten ausgeprägt waren, desto weniger prosoziales Verhalten zeigten sie. Darüber hinaus legen entwicklungspsychologische Studien nahe, dass prosoziales Verhalten eng mit Fähigkeiten zur Emotionsregulation, Perspektivenübernahme und sozialen Interaktion zusammenhängt (Eisenberg et al. 1996). Da Kinder mit SES dabei Schwierigkeiten aufweisen (Farrant 2015; für eine Übersicht siehe Rißling et al. 2016), unterstützt dies die Annahme eingeschränkter prosozialer Verhaltensweisen bei Kindern mit SES. Insgesamt können die mangelnden kommunikativen Fähigkeiten zu einem Teufelskreis beitragen, welcher darin besteht, dass man durch negative Interaktionserfahrungen weniger soziale Lernmöglichkeiten und dadurch geringere Responsivität und Initiative gegenüber Peers aufweist, was zu weiteren negativen Interaktionserfahrungen führt (Levy 2012, Rice 1993; siehe Abbildung 1 für eine Visualisierung). In diesem Sinne können mangelnde sprachliche Fertigkeiten die Grundlage für einen Kaskadeneffekt ungünstiger Entwicklungsprozesse darstellen. Auf der anderen Seite gibt es Studien, die keinerlei Einschränkungen im prosozialen Verhalten bei Kindern mit SES berichten (Farmer 2000, Toseeb et al. 2017). Die divergierenden Befundmuster zwischen den Studien, die Einschränkungen im prosozialen Verhalten (z. B. Hart et al. 2004), und denen, die keine Unterschiede (z. B. Farmer 2000) berichten, könnten auf unterschiedliche Altersstichproben und Erhebungsmethoden zurückführbar sein. Gerade im frühen Vorschulalter scheinen selektive Einschränkungen (z. B. soziale Probleme, Ängstlichkeit) und möglicherweise damit verbundene Einschränkungen im prosozialen Verhalten bei Kindern mit SES geringer ausgeprägt zu sein als im späteren Vorschul- und frühen Grundschulalter (Maggio et al. 2014). Dies könnte auch darauf hinweisen, dass die Entwicklung von Kindern mit SES durchaus nicht immer dem oben dargestellten Teufelskreislauf folgt. Zugleich können sich relative Stärken und Schwächen von Kindern mit SES erst im Laufe der Entwicklung und auf Grundlage der spezifischen Risiko- und Schutzfaktorenkonstellation entfalten. Letztlich auftretende Einschränkungen im prosozialen Verhalten und anderen Bereichen können mitunter nicht von Beginn an absehbar sein. 122 FI 3/ 2020 Markus Paulus, Julia Erbe, Joana Wolfsperger, Samuel Essler, Monika Wörle Aus methodischer Sicht muss Folgendes beachtet werden. Manche Studien erfassen Selbstauskünfte zur Erfassung prosozialen Verhaltens (z. B. Toseeb et al. 2017), was jedoch aufgrund der hohen sozialen Erwünschtheit dieser Verhaltensweisen klare Limitationen aufweist. Andere Studien griffen auf Fremdbeurteilungsskalen zurück, die verschiedene Verhaltensweisen unter einer Skala subsummieren (Farmer 2000, Hart et al. 2004). Gerade Letzteres ist problematisch, da die aktuelle entwicklungspsychologische Forschung davon ausgeht, dass (frühes) prosoziales Verhalten ein multidimensionales Konzept ist, das eine Reihe unterschiedlicher Verhaltensweisen umfasst (z. B. Dunfield und Kuhlmeier 2013, Paulus 2014). Aktuelle entwicklungspsychologische Studien unterscheiden dabei drei Domänen prosozialen Verhaltens: Helfen, Teilen und Trösten. Über diese drei Domänen hinweg finden sich keine Zusammenhänge (Dunfield und Kuhlmeier 2013) und es zeigen sich unterschiedliche neurophysiologische Korrelate. Theoretische Modelle gehen davon aus, dass diesen Verhaltensweisen unterschiedliche sozial-kognitive und motivationale Prozesse zugrunde liegen (Dunfield 2014, Paulus 2018). Obwohl die aktuelle Forschung die Existenz voneinander unabhängiger Domänen prosozialen Verhaltens betont, fehlt bislang eine differenzierte verhaltensbasierte Erfassung von Prosozialität bei Kindern mit SES. Die heteroweniger responsiv und initiativ gegenüber Gleichaltrigen mangelnde kommunikative Fähigkeiten weniger Kontakt zu ungestörten Sprachmodellen negative Interaktionserfahrungen negative Interaktionserfahrungen weniger soziale Lernmöglichkeiten Abb. 1: Skizze eines möglichen Teufelskreises aus mangelnden kommunikativen Fähigkeiten und negativen Interaktionserfahrungen bei Kindern mit SES. Die Skizze stellt eine verkürzte Fassung eines möglichen, besonders kritischen Entwicklungspfades dar, in dem kaum protektive Faktoren vorhanden sind. 123 FI 3/ 2020 Prosoziales Verhalten bei Vorschulkindern mit Sprachentwicklungsstörungen genen Befundmuster zum Zusammenhang zwischen SES und prosozialem Verhalten könnten durch eine mangelnde Differenzierung dieser Verhaltensweisen in der bisherigen Forschung erklärt werden. Mit anderen Worten: Eine differenziertere Messung unterschiedlicher prosozialer Domänen auf der Verhaltensebene würde eine differenziertere Erfassung der Stärken und Schwächen von Kindern mit SES im Bereich des prosozialen Verhaltens erlauben. Dies war das Ziel der vorliegenden Studie. Die aktuelle Studie Die Studie untersuchte Unterschiede und Gemeinsamkeiten im prosozialen Verhalten zwischen Kindern mit SES und Kindern ohne Einschränkungen in der sprachlichen Entwicklung. Wir fokussierten uns auf Kinder mit SES im Sinne einer umschriebenen SES und kontrollierten für allgemeine kognitive Fähigkeiten, um die spezifische Rolle der sprachlichen Schwierigkeiten zu klären. Da sich prosoziale Verhaltensweisen früh entwickeln und um die Grundlage möglicher Kaskadeneffekte zu klären, erforschten wir Kinder im Vorschulalter. Im Einklang mit der aktuellen entwicklungspsychologischen Literatur (z. B. Dunfield 2014, Paulus 2018) untersuchten wir instrumentelles Helfen, Teilen und Trösten. Zur Erfassung instrumentellen Helfens griffen wir auf etablierte Aufgaben zurück (z. B. Dunfield und Kuhlmeier 2013, Warneken und Tomasello 2006), in denen die Kinder einer anderen Person helfen konnten, ein Handlungsziel zu erreichen (z. B. einen heruntergefallenen Stift vom Boden aufheben und zurückgeben). Das Tröstverhalten wurde anhand von zwei Situationen erfasst, in denen die Versuchsleiterin Schmerz oder Trauer simuliert (vgl. Kienbaum 2014, Zahn-Waxler et al. 1992). Da vorhergehende Forschung gezeigt hat, dass junge Kinder eher empathisch auf eine Kummerals eine Schmerzsituation reagieren (Bandstra et al. 2011), wurden diese separat erfasst. Um das Teilverhalten zu messen, griffen wir auf ein etabliertes Aufgabenformat zurück, in dem Kinder entscheiden können, wie viel sie jeweils mit einem Rezipienten teilen. Da neuere Forschung gezeigt hat, dass die Großzügigkeit der Kinder stark von ihrer sozialen Beziehung mit dem Rezipienten abhängt (Paulus und Moore 2014) und da Kinder mit SES Schwierigkeiten im Aufbau von Freundschaften haben (Redmond 2011, Croteau et al. 2015), gaben wir den Kindern die Möglichkeit, mit einem Freund, einem fremden Kind und einem Kind, das sie nicht mochten, zu teilen (vgl. Moore 2009). Aktuelle Befunde legen nahe, dass besonders das Teilen mit Freunden und das Wissen darum, dass Freunde teilen, mit einem höheren sozialen Status im Kindergarten einhergehen (Essler et al. 2020). Da instrumentelles Helfen auf basalen Wahrnehmungs- und Handlungsfähigkeiten beruht und daher eher unabhängig von sprachlichen Fertigkeiten ist (Paulus 2019), erwarteten wir keinen Unterschied zwischen Kindern mit SES und ihren typisch entwickelten Peers. Der Anforderungscharakter an das Tröstverhalten ist dagegen aufgrund der erforderlichen sozialemotionalen und sprachlich-kommunikativen Kompetenzen hoch. Dies gilt insbesondere für die Schmerzsituation (Bandstra et al. 2011). Wir erwarteten daher Unterschiede im Tröstverhalten zwischen den Kindern mit SES und den Kindern der Kontrollgruppe, insbesondere in der Schmerzsituation. Für das Teilen erwarteten wir aufgrund der geringeren sozialen Kompetenzen von Kindern mit SES (Rißling et al. 2016) zum einen generell weniger Großzügigkeit, zum anderen aufgrund von Schwierigkeiten im Aufbau von Freundschaften (Redmond 2011, Croteau et al. 2015) eine geringere Differenzierung zwischen den unterschiedlichen Rezipienten. 124 FI 3/ 2020 Markus Paulus, Julia Erbe, Joana Wolfsperger, Samuel Essler, Monika Wörle Methode Stichprobe Die finale Stichprobe bestand aus 34 Kindern im Altersbereich von 3; 03 Jahren bis 6; 02 Jahren (M = 60 Monate, SD = 9 Monate). Darunter befanden sich 17 Kinder (11 Jungen) mit SES und 17 Kinder (6 Jungen) der Kontrollgruppe. Es zeigte sich kein signifikanter Altersunterschied zwischen der Gruppe der Kinder mit SES (M = 60,94 Monate; SD = 8,21 Monate) und der Kontrollgruppe (M = 60,65 Monate; SD = 10,45 Monate; t (32) = -.091; p = .928). Die Kinder mit SES waren in sprachtherapeutischer Behandlung aufgrund der ärztlichen Diagnose einer SES. Zusätzlich zeigten sie keine Hinweise auf ein eingeschränktes allgemeines kognitives Leistungsvermögen. Hinweise auf ein solches gaben die Ergebnisse des Mosaiktests (Wertpunkte SES: M = 9,3; SD = 2,37; Wertpunkte Kontrollgruppe: M = 9,0; SD = 1,41; t (32) = 0,44, p = 0,663) und des Untertests Figuren legen (Wertpunkte SES: M = 9,5; SD = 4,62; Wertpunkte Kontrollgruppe: M = 9,1; SD = 3,44; t (31) = 0,27, p = 0,788) des HAWIVA-III. Zur weiteren Charakterisierung der Stichprobe wurden darüber hinaus die Leistungen der Kinder in sprachrelevanten Tests des HAWIVA-III (Hannover- Wechsler-Intelligenztest für das Vorschulalter, Untertests: Passiver Wortschatz, Aktiver Wortschatz) und/ oder den sprachrelevanten Skalen der Children’s Communication Checklist (CCC, Forschungsversion 1.1.; Bishop 1998) erfasst (siehe Tabelle 1). Die Rekrutierung erfolgte in zwei Frühförderstellen und drei Kindergärten im Stadtgebiet sowie im Umland Münchens. Die Erziehungsberechtigten gaben ihr schriftliches Einverständnis zur Teilnahme an der Studie. Bei Anreise zur Studienteilnahme wurde eine Aufwandsentschädigung von zehn Euro ausbezahlt. Variable Gruppe SES (n = 17) Kontrollgruppe (n = 17) Alter n 3 Jahre n 4 Jahre n 5 Jahre n 6 Jahre 1 5 11 0 3 4 8 2 HAWIVA-III Aktiver Wortschatz (Wertpunkte) n 0 - 5 n 6 - 10 n 11 - 15 n 16 - 20 2 6 9 0 0 6 11 0 HAWIVA-III Passiver Wortschatz (Wertpunkte) n 0 - 5 n 6 - 10 n 11 - 15 n 16 - 20 4 4 7 2 1 2 14 0 CCC (n = 15) Sprechen (Rohwerte) n ≤ 26 n 27 - 29 n 30 - 32 n ≥ 33 1 7 4 3 0 0 4 11 CCC (n = 15) Syntax (Rohwerte) n ≤ 28 n 29 - 31 n ≥ 32 2 12 1 0 6 9 Tab. 1: Deskriptive Beschreibung der Stichprobe nach Gruppe und Alter, aktivem und passivem Wortschatz (HAWIVA-III) sowie Sprechen und Syntax (CCC) 125 FI 3/ 2020 Prosoziales Verhalten bei Vorschulkindern mit Sprachentwicklungsstörungen Versuchsablauf Im Folgenden wird ein kurzer Überblick über den Versuchsablauf gegeben. Details zu den einzelnen verhaltensbasierten Aufgaben finden sich im Anschluss an diese Übersicht. Die Aufgaben waren in vielfältige Spielinteraktionen eingefügt, um die Situationen möglichst natürlich erscheinen zu lassen und um die Motivation der Kinder zu erhalten (vergleichbar zu anderen Studien, z. B. Dunfield und Kuhlmeier 2013, Paulus und Rosal-Grifoll 2017). Die feste Reihenfolge der Aufgaben wird im Folgenden aufgelistet. Ein Sternchen (*) kennzeichnet die prosozialen Aufgaben. n Kennenlernen der Versuchsleiterin, Warming- Up Phase (3 - 5 Minuten) n * Instrumentelles Helfen - Aufgabe: Schranktüre n Malen am Tisch (3 - 5 Minuten) n * Tröstverhalten - Aufgabe: Schmerz n Malen am Tisch (3 - 5 Minuten) n HAWIVA-III: ausgewählte Subtests n * Instrumentelles Helfen - Aufgabe: Wäscheklammer n Spielen mit dem Luftballon (3 - 5 Minuten) n * Tröstverhalten - Aufgabe: Kummer n Kinderliedbuch (3 - 5 Minuten) n * Teilen n * Instrumentelles Helfen - Aufgabe: Stift n Verabschiedung Durchführung und Kodierung der prosozialen Aufgaben Instrumentelles Hilfeverhalten Der Versuchsaufbau orientierte sich an vorherigen Studien (z. B. Dunfield und Kuhlmeier 2013, Svetlova et al. 2010, Warneken und Tomasello 2006). In drei Situationen konnte die Versuchsleiterin ein Handlungsziel nicht ohne Hilfe des Kindes erreichen. In der Schrankaufgabe räumte sie Objekte in einen Schrank. Da dessen Türen geschlossen waren und sie keine Hand frei hatte, bestand die instrumentelle Hilfe im Öffnen der Schranktür. In der Wäscheklammeraufgabe befestigte sie Wäschestücke an einer im Raum aufgespannten Leine. Eine der Wäscheklammern fiel ihr zu Boden. Sie streckte sich danach, konnte sie aber nicht erreichen. Hier bestand die instrumentelle Hilfe im Aufheben und Zurückgeben der Wäscheklammer. In der Stiftaufgabe saß die Versuchsleiterin am Tisch. Dabei fiel ihr ein Stift zu Boden. Da sie nicht mehr herankam, bestand die Hilfe im Zurückgeben des Stiftes. In allen drei Aufgaben gab die Versuchsleiterin über vier Phasen hinweg (jeweils 5 Sekunden) zunehmend deutlichere soziale Hinweisreize (vgl. Svetlova et al. 2010). In der ersten Phase zeigte sie einen fehlgeschlagenen Versuch, das Problem alleine zu lösen (z. B. Strecken nach dem Stift, ohne ihn zu erreichen). In der zweiten Phase wurde dies wiederholt. In der dritten Phase wiederholte sie die Handlung und nahm dabei direkten Blickkontakt mit dem Kind auf. In der vierten Phase äußerte sie zusätzlich einen verbalen Hinweis („Ich schaffe das nicht! “). Im Folgenden wird beispielshaft der Ablauf der Schrankaufgabe detailliert dargestellt. In der Schrankaufgabe wollte die Versuchsleiterin kleine Kisten, die sie jeweils beidhändig tragen musste, in einen Schrank räumen. Nach dem Einräumen der ersten Kiste schloss sie die Schranktür und bemerkte, dass noch eine Kiste herumstand. Beim Versuch, die Kiste in den wieder geschlossenen Schrank zu stellen, stieß sie mit der Kiste gegen die Schranktüre und äußerte ein „Ooops! “ (erste Phase). Nach 5 Sekunden stieß sie erneut mit der Kiste gegen die verschlossene Schranktüre, gefolgt von einem erneuten überraschten Ausruf (zweite Phase). Die Versuchsleiterin nahm in den ersten zwei Phasen keinen Blickkontakt zum Kind auf. In der dritten Phase stieß sie wiederum mit der Kiste gegen die Schranktüre und äußerte erneut ein „Ooops! “. Dabei nahm sie Blickkontakt auf. 126 FI 3/ 2020 Markus Paulus, Julia Erbe, Joana Wolfsperger, Samuel Essler, Monika Wörle Ihr Blick wanderte mehrmals von der Schranktüre zum Kind. Die Versuchsleiterin gab damit einen nonverbalen Hinweis an das Kind, die Schranktüre zu öffnen, und verdeutlichte dadurch ihren Wunsch nach Unterstützung. In der vierten Phase wechselte die Versuchsleiterin nach nochmaligem Anstoßen der Kiste an der Schranktüre alternierend ihre Blickrichtung zwischen Kind und Schranktüre und ergänzte ihr Handeln mit einem verbalen Hinweis („Ich schaffe das nicht! “). Kodierung: Für die Auswertung musste aufgrund von Versuchsleiterfehlern aus jeder Gruppe ein Kind ausgeschlossen werden. Für jede Aufgabe wurde dichotom kodiert, ob das Kind instrumentelles Hilfeverhalten zeigte (definiert als Öffnen des Schrankes bzw. Zurückgeben der Wäscheklammer oder des Stiftes) oder nicht. Darüber hinaus wurde kodiert, in welcher Phase Hilfe geleistet wurde. Je nach Phase wurden pro Aufgabe Punktwerte vergeben (vgl. Svetlova et al. 2010). Falls das Kind in der ersten Phase half, wurden 4 Punkte vergeben. Für jede weitere Phase wurde jeweils ein Punkt weniger vergeben. Falls nicht geholfen wurde, wurden 0 Punkte vergeben. Für jedes Kind wurde der Prozentsatz der Trials mit Hilfeverhalten (möglicher Wertebereich: 0 - 100 %) und der Durchschnittswert der erreichten Punkte (möglicher Wertebereich: 0 - 4 Punkte) berechnet. Trösten Das Tröstverhalten wurde in zwei standardisierten Situationen erfasst (nach Kienbaum 2008, Paulus und Leitherer 2017, Zahn-Waxler et al. 1992). In diesen Situationen simulierte die Versuchsleiterin jeweils 30 Sekunden lang Schmerzen oder Traurigkeit. Beide Situationen waren in Spielsituationen mit dem Kind eingebettet. Die Versuchsleiterin simulierte den Schmerz bzw. den Kummer mit gleichbleibender Intensität, um den Anspannungscharakter und den Emotionsausdruck konstant zu halten. In der ersten Situation (Schmerzbedingung) malten das Kind und die Versuchsleiterin jeweils ein Bild. Währenddessen stand die Versuchsleiterin auf und holte Stifte, welche auf einem 3 - 4 m entfernten Stuhl oder einer Kommode standen, und stieß sich das Knie an dem Möbelstück. Daraufhin schluchzte sie und verbalisierte das Geschehene (z. B. „Aua, jetzt habe ich mir das Knie am Stuhlbein bzw. an der Ecke angestoßen“). Zur weiteren Verdeutlichung der Situation rieb sie sich mit schmerzverzerrtem Gesichtsausdruck das Knie und verbalisierte mehrfach ihre Schmerzempfindung (z. B. „Mein Knie tut weh.“). Reagierte das Kind nicht in der vorgegebenen Zeit, so löste die Versuchsleiterin die Situation auf. Sie vermittelte dem Kind nicht nur verbal, sondern auch nonverbal durch einen entsprechenden zufriedenen Gesichtsausdruck und entsprechende Körpersprache das Ende ihres Gefühlszustands und begleitete dies durch eine verbale Äußerung (z. B. „Ist nicht mehr schlimm.“, „Tut gar nicht mehr weh.“). In der zweiten Situation (Trauerbedingung) spielten das Kind und die Versuchsleiterin jeweils mit einem Luftballon. Nach einiger Zeit zerplatzte der Versuchsleiterin der Ballon. Die Versuchsleiterin simulierte 30 Sekunden lang Kummer, seufzte, zeigte einen traurigen Gesichtsausdruck und verbalisierte das Geschehen (z. B. „Oh nein! Mein schöner Luftballon ist kaputt gegangen! “, „Schade, mein schöner Luftballon ist jetzt kaputt! “). Zudem hielt sie die kaputten Luftballonstücke in ihren Händen und betrachtete diese. Nach 30 Sekunden löste die Versuchsleiterin die Situation wieder auf (z. B. „Naja, nicht so schlimm.“). Kodierung: Aufgrund fehlerhafter Videoaufzeichnungen konnten drei Kinder der SES-Gruppe nicht in die Auswertung eingeschlossen werden. Die Ausprägung tröstender prosozialer Verhaltensweisen wurde je Aufgabe auf einer 2-Punkte- Skala ausgewertet (Paulus und Leitherer 2017). 127 FI 3/ 2020 Prosoziales Verhalten bei Vorschulkindern mit Sprachentwicklungsstörungen Bei ausbleibendem Tröstverhalten wurde ein Punktwert von 0 vergeben. Der Punktwert 1 wurde für Tendenzen tröstenden Verhaltens vergeben. Diese wurden als Tendenzen mitfühlend-helfenden Verhaltens von 3 - 5 Sekunden definiert, welche mit verbalem und nonverbalem Ausdruck von Betroffenheit und prosozialen Verhaltenstendenzen einhergingen (z. B. Versuch, die Mutter auf das Geschehen aufmerksam zu machen, das Äußern von anteilnehmenden Wörtern wie „Aua“ , „kaputt“, „Luftballon“). Auch bei empathisch-mitfühlendem Ausdruck wurde das Verhalten mit einem Punkt bewertet. Zwei Punkte wurden bei anhaltendem Tröstverhalten vergeben, wie mehrfaches bzw. ausdauerndes Anbieten eines alternativen Spielgegenstandes, der wiederholte Versuch, eine Hilfsperson in die Situation einzubinden, wiederholtes verbales oder nonverbales Vorschlagen von Lösungen (z. B. das Holen eines Pflasters, mehrfaches Anbieten des eigenen Spielgegenstandes). Für jedes Kind wurde ein Gesamtwert über beide Trials berechnet (möglicher Wertebereich: 0 - 4 Punkte). Darüber hinaus wurden die Schmerz- und Trauersituation auch separat analysiert (möglicher Wertebereich jeweils 0 - 2 Punkte), da vorherige Studien auf Unterschiede zwischen diesen Situationen hinwiesen (z. B. Bandstra et al. 2011, Dunfield und Kuhlmeier 2013). Teilen Zur Erfassung des Teilens mit unterschiedlichen Personen wurde ein in der aktuellen Forschung häufig genutztes Paradigma gewählt (vgl. Paulus und Moore 2014). In diesem Setup können die Kinder in mehreren Trials entscheiden, ob sie mit einer anderen Person Aufkleber teilen möchten oder nicht. Die Häufigkeit, mit der Kinder die prosoziale Option wählen, gilt dabei als Maß für prosoziales Verhalten. Da die Kinder mit unterschiedlichen Personen teilen können (ein Freund, ein fremdes Kind, ein Nichtfreund), kann erforscht werden, inwieweit sich ihr Teilverhalten je nach ihrer Beziehung zu der anderen Person unterscheidet. Der Aufbau dieses Maßes orientierte sich an der Studie von Paulus und Moore (2014). Zuerst wurden die Kinder nach einem guten Freund befragt („Mit welchem Kind im Kindergarten spielst du gerne? “, „Welches Kind ist ein guter Freund? “, „Welches Kind magst du besonders gern? “). Anschließend wählte das Kind aus einer Auswahlmenge von drei Playmobilfiguren eine Figur aus, welche das befreundete Kind repräsentieren sollte. Die Playmobilfiguren wiesen unterschiedliche Haarfarben auf und entsprachen dem Geschlecht des benannten Kindes, um eine möglichst hohe Ähnlichkeit in diesen beiden Merkmalen zu unterstützen. Das Kind sollte anschließend einen Nichtfreund benennen („Mit wem spielst du gar nicht gerne? “, „Wen magst du nicht? “, „Wer ärgert dich immer? “). Ein Nichtfreund wurde definiert als eine bekannte Person, die das Kind nicht mochte. Anschließend wurde dem Nichtfreund, wie bereits beschrieben, eine Spielfigur zugeordnet. Als dritter Rezipient wurde dem Kind ein fremdes Kind vorgestellt. Die Versuchsleiterin erzählte dem Kind, dass dieses fremde Kind einen anderen Kindergarten besuche, genauso alt sei und in einer anderen Stadt bzw. einem anderen Dorf wohne. Jedem Rezipienten wurde ein Umschlag zugeteilt. Die Versuchsteilnehmer wurden instruiert, dass die Rezipienten nicht persönlich anwesend sein können, ihnen aber alle zugeteilten Aufkleber zugeschickt würden. Die Testphase bestand aus 18 Trials (d. h. einzelnen Teilentscheidungen), in denen das Kind jeweils zwischen einer prosozialeren und einer egoistischeren Option wählen konnte. Dabei wurde das Kind abwechselnd mit einem der Rezipienten gepaart. Das bedeutet, dass jeweils 6 Trials mit jedem der drei Rezipienten durchgespielt wurden. Darüber hinaus wurde manipuliert, ob das Teilen mit Kosten verbunden war. In Trials mit Kosten konnte das Kind 128 FI 3/ 2020 Markus Paulus, Julia Erbe, Joana Wolfsperger, Samuel Essler, Monika Wörle entscheiden, ob es 2 Aufkleber für sich behielt und keinen an den jeweiligen Rezipienten abgab (egoistische Option; 2/ 0) oder ob es 1 Aufkleber behielt und 1 Aufkleber abgab (prosoziale Option; 1/ 1). In Trials ohne Kosten konnte das Kind entscheiden, ob es 1 Aufkleber für sich nahm und keiner an den jeweiligen Rezipienten ging (egoistische Option; 1/ 0) oder ob es 1 Aufkleber behielt und 1 Aufkleber abgab (prosoziale Option; 1/ 1). Damit lag der Aufgabe ein 3 (Rezipient: Freund, Fremder, Nichtfreund) × 2 (Kosten: mit, ohne) Innersubjekt- Design zugrunde. Um Reihenfolgeeffekte zu vermeiden, wurden die Reihenfolgen der Rezipienten und Kostenstufen zwischen den Kindern ausbalanciert. Kontrollfragen dienten der Sicherstellung, dass die Kinder Interesse an den Aufklebern hatten und die Rezipienten differenzieren konnten. Dazu wurden die Kinder insbesondere vor und nach den Teil-Trials gefragt, ob sie die Rollen der Playmobilfiguren erinnerten, um Vergessenseffekte auszuschließen. Kodierung: Vorherige Forschung zeigte Rezipienten-abhängiges Teilen erst im Alter von vier Jahren (Paulus und Moore 2014). Daher wurden in dieser Aufgabe ein Kind mit SES und drei Kinder aus der Kontrollgruppe im Alter von drei Jahren nicht berücksichtigt. Pro Entscheidung wurde ein Punktwert von 0 für eine egoistische Entscheidung (2/ 0 oder 1/ 0) und ein Punktwert von 1 für eine prosoziale Entscheidung (1/ 1) vergeben. Für jede Skala wurde ein Summenwert der Anzahl prosozialer Entscheidungen berechnet. Der mögliche Wertebereich pro Rezipient lag damit bei 0 - 6 Punkten, da pro Rezipient 6 Trials durchgespielt wurden. Für die Analyse wurden die Anteile prosozialer Entscheidungen an allen Entscheidungen nach Rezipient, Kosten und Gruppe verwendet (möglicher Wertebereich: 0 - 1). Die Reliabilitäten (Cronbachs Alpha) für die 6 verschiedenen Teilaufgaben (3 Rezipienten × 2 Kostenstufen) bewegten sich zwischen 0.67 und 0.84 und waren somit weitestgehend zufriedenstellend. Ergebnisse Vorläufige Analysen Die Geschlechtsverteilung unterschied sich zwischen den beiden Gruppen. Daher überprüften wir zuerst mithilfe univariater Varianzanalysen, ob sich für eine der abhängigen Variablen ein Effekt von Geschlecht findet. Dies war für keine einzige Variable der Fall, alle p’s > 0,20. Daher wurde die Variable Geschlecht bei den folgenden Analysen nicht weiter berücksichtigt. Instrumentelles Hilfeverhalten Kinder mit SES halfen im Schnitt in 68,9 % (SD = 33,3) der Trials, Kinder der Kontrollgruppe in 75,2 % (SD = 18,2) der Trials. Der Unterschied war nicht signifikant, t (30) = 0,67, p = 0,511, d = 0,23. Bezüglich der benötigten Hinweisreize erhielten die Kinder mit SES im Durchschnitt 2,23 Punkte (SD = 1,21), die Kinder der Kontrollgruppe 2,63 Punkte (SD = 0,69). Auch dieser Unterschied war nicht signifikant, t (30) = 1,14, p = 0,264, d = 0,40. Trösten Unterschiede im Tröstverhalten wurden aufgrund der ordinalen Skalierung mithilfe des Mann-Whitney-U-Tests berechnet. Es zeigte sich kein signifikanter Unterschied im Gesamtwert des Tröstverhaltens, Z = -,291, N = 31, p = .771, r = -0,05, sowie in der Kummersituation, Z = -,843, N = 31, p = .399, r = 0,15 (siehe Abbildung 2). Im Tröstverhalten in der Schmerzsituation zeigte sich eine Tendenz zu weniger Tröstverhalten bei den Kindern mit SES, Z = -1,947, N = 31, p = 0,052, r = 0,35 (siehe Abbildung 2). Wilcoxon- Tests zeigten, dass sowohl die Kontrollgruppe, Z = -2,24, p = 0,025, r = 0,40, als auch die SES- Gruppe, Z = -2,60, p = 0,009, r = 0,47, mehr Tröstverhalten in der Kummersituation als in der Schmerzsituation zeigten. 129 FI 3/ 2020 Prosoziales Verhalten bei Vorschulkindern mit Sprachentwicklungsstörungen Teilen Die Daten zum Teilverhalten wurden mithilfe einer univariaten Varianzanalyse (analysis of variance; ANOVA) mit den Innersubjekt-Faktoren Rezipient (3 Stufen: Freund, Nichtfreund, Fremder) und Kosten (2 Stufen: mit Kosten, ohne Kosten) sowie dem Zwischensubjekt-Faktor Gruppe (2 Stufen: SES, Kontrollgruppe) analysiert (siehe Abbildung 3). Die ANOVA ergab einen signifikanten Haupteffekt für Rezipient, F (2, 56) = 20,38, p < 0,001, η P 2 = 0,42. Dieser wurde qualifiziert durch eine signifikante Interaktion zwischen den Faktoren Rezipient und Gruppe, F (2, 56) = 3,56, p = 0,035, η P 2 = 0,11. Darüber hinaus ergab sich ein signifikanter Haupteffekt des Faktors Kosten, F (1, 28) = 5,69, p = 0,024, η P 2 = 0,17. Dieser zeigt, Abb. 2: Grafische Darstellung der Verteilung des Tröstverhaltens in der Kummersituation und der Schmerzsituation 23,5 35,3 41,2 35,7 28,6 35,7 41,2 5,9 14,3 85,7 0 Kontrolle SES Kontrolle SES Kummersituation Schmerzsituation Kein Tröstverhalten Tröstversuch Tröstverhalten Kein Tröstverhalten Tröstversuch Tröstverhalten 52,9 Prosoziale Entscheidungen 1 0,9 0,8 0,7 0,6 0,5 0,4 0,3 0,2 0,1 0 SES Kontrolle SES Kontrolle SES Kontrolle Freund Nichtfreund Fremder Rezipient × Gruppe Kosten Ohne Kosten Abb. 3: Verteilung der prosozialen Entscheidung im Teilverhalten in Abhängigkeit vom Rezipienten und der Gruppe. Die Fehlerbalken zeigen die Standardfehler der Mittelwerte 130 FI 3/ 2020 Markus Paulus, Julia Erbe, Joana Wolfsperger, Samuel Essler, Monika Wörle dass die Kinder häufiger die prosoziale Option wählten, wenn es nicht mit Kosten verbunden war. Der Haupteffekt des Faktors Gruppe war nicht signifikant, F < 1. Darüber hinaus zeigten sich keine weiteren Effekte (alle p’s > 0,21). Der Interaktionseffekt zwischen Rezipient und Gruppe sowie eine nähere Inspektion der Verteilungen in Abbildung 3 legen nahe, dass die Kontrollgruppe stärker zwischen den unterschiedlichen Rezipienten differenzierte als die SES-Gruppe. Um dies zu prüfen, berechneten wir die Differenzwerte zwischen der durchschnittlichen Prosozialität gegenüber dem Freund und dem Nichtfreund sowie dem Fremden sowie zwischen dem Nichtfreund und dem Fremden. Da der Effekt des Faktors Kosten orthogonal zu den anderen Faktoren war, wurde er hier nicht weiter berücksichtigt. Die Differenzwerte wurden in einer weiteren ANOVA mit dem Innersubjektfaktor Differenzwert (3 Stufen: Freund - NF, Freund- Fremd, Fremd-NF) und dem Zwischensubjektfaktor Gruppe (2 Stufen: SES, Kontrolle) analysiert. Die Analyse ergab einen signifikanten Haupteffekt des Faktors Differenzwert, F (2, 56)=4,73, p=0,013, η P 2 =0,14. Post-hoc-t-tests zeigten, dass die Kinder (über beide Gruppen hinweg) stärker zwischen Freund und Nichtfreund differenzierten als zwischen Freund und Fremder, t (29) = 2,44, p = 0,021, d = 0,45 und zwischen Freund und Nichtfreund als zwischen Nichtfreund und Fremder, t (29) = 3,68, p = 0,001, d = 0,67. Es zeigte sich kein signifikanter Unterschied zwischen den Differenzwerten für Freund - Fremder und Fremder - Nichtfreund, t (29) = 0,83, p = 0,415, d = 0,15. Darüber hinaus - und für unsere Fragestellung relevanter - ergab die ANOVA einen signifikanten Haupteffekt des Faktors Gruppe, F(1, 28) = 6,64, p = 0,016, η P 2 = 0,19. Dieser zeigt, dass die Kinder der SES- Gruppe in ihrem Teilverhalten weniger stark zwischen den unterschiedlichen Rezipienten differenzieren als die Kinder der Kontrollgruppe. Interrelationen Tabellen 2 a und 2 b geben einen Überblick über die Zusammenhänge zwischen den Variablen. Insgesamt zeigen sich, im Einklang mit der Literatur, kaum Zusammenhänge zwischen den prosozialen Verhaltensweisen. Differenzscores 0,6 0,5 0,4 0,3 0,2 0,1 0 Freund - NF Freund - Fremder Fremder - NF Rezipientenvergleiche Kontrolle SES Abb. 4: Differenzwerte der prosozialen Entscheidungen für jeweils zwei Rezipienten. Die Fehlerbalken zeigen die Standardfehler der Mittelwerte. 131 FI 3/ 2020 Prosoziales Verhalten bei Vorschulkindern mit Sprachentwicklungsstörungen 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 0.34 0.60* 0.07 0.10 0.25 0.23 0.13 -0.49* -0.33 0.13 -0.48 + -0.03 - 0.88** 0.60* 0.55* 0.35 0.29 -0.38 -0.25 -0.47 + -0.21 -0.20 -0.11 - 0.44 + 0.39 0.44 + 0.42 + -0.07 -0.45 + -0.48 + -0.04 -0.21 -0.16 - 0.79** 0.57* 0.39 -0.24 -0.03 -0.28 0.14 0.08 -0.13 - 0.50* 0.59* -0.12 -0.12 -0.24 -0.16 0.06 -0.40 - 0.77** 0.23 -0.13 0.07 0.12 0.27 -0.17 - 0.12 -0.15 0.03 -0.10 0.31 -0.06 - -0.12 -0.08 0.09 0.00 -0.46 + - 0.19 -0.05 0.06 0.27 - 0.04 0.43 + 0.08 - 0.20 -0.15 - 0.00 - Tab. 2 a: Korrelationsmatrix der Hauptvariablen in der Kontrollgruppe Anmerkungen Tab. 2 a und 2 b: 1: Alter; 2: Teilen Freund mit Kosten; 3: Teilen Freund ohne Kosten; 4: Teilen Nichtfreund mit Kosten; 5: Teilen Nichtfreund ohne Kosten; 6: Teilen Fremder mit Kosten; 7: Teilen Fremder ohne Kosten; 8: Helfen; 9: Trösten; 10: Mosaiktest; 11: Figuren legen; 12: Aktiver Wortschatz; 13: Passiver Wortschatz. ** p < 0.01; * p < 0.05; + p < 0.10. Tab. 2 b: Korrelationsmatrix der Hauptvariablen in der SES-Gruppe 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 0.24 0.20 0.12 0.18 0.38 0.21 0.15 -0.02 -0.25 0.08 0.35 0.00 - 0.79** 0.77** 0.75** 0.83** 0.77** -0.01 -0.12 -0.12 0.01 0.37 0.19 - 0.46 + 0.73** 0.64** 0.86** -0.23 -0.13 0.11 0.13 0.67** 0.44 + - 0.64** 0.73** 0.46 + 0.28 -0.06 -0.03 0.09 0.13 -0.14 - 0.74** 0.88** -0.21 0.15 -0.12 0.15 0.37 0.05 - 0.73** 0.19 0.05 -0.24 -0.09 0.17 -0.07 - -0.29 0.05 -0.01 0.16 0.53* 0.25 - 0.17 -0.39 0.05 -0.27 -0.09 - -0.29 0.42 -0.28 0.30 - 0.09 0.37 -0.28 - 0.40 0.39 - 0.20 - 132 FI 3/ 2020 Markus Paulus, Julia Erbe, Joana Wolfsperger, Samuel Essler, Monika Wörle Diskussion Das Ziel der Studie war eine differenzierte Erfassung unterschiedlicher Domänen prosozialen Verhaltens bei Vorschulkindern mit einer SES. Aufbauend auf aktuellen entwicklungspsychologischen Modellen (Dunfield 2014, Paulus 2018) wurden Unterschiede zwischen Kindern mit SES und typisch entwickelten Kindern in den Bereichen Helfen, Teilen und Trösten erfasst. Aufgrund der geringen Stichprobengröße bestand nur eine eingeschränkte Möglichkeit, Zusammenhänge zu überprüfen. Die gewonnenen Ergebnisse müssen daher mit Vorsicht interpretiert werden. Für instrumentelles Hilfeverhalten zeigten sich keine Unterschiede zwischen den beiden Gruppen. In Schmerzsituationen bestand eine Tendenz, dass Kinder mit SES weniger Tröstverhalten zeigten. Die Gruppen unterschieden sich nicht in ihrer generellen Großzügigkeit in der Aufgabe zum Teilen, jedoch differenzierten die Kinder mit SES weniger stark zwischen den unterschiedlichen Rezipienten. Das Befundmuster spricht gegen pauschale Behauptungen, dass es entweder keine Unterschiede von Kindern mit SES zu normalentwickelten Kindern gäbe oder dass prosoziales Verhalten bei diesen Kindern im Allgemeinen weniger stark ausgeprägt sei. Insgesamt ergibt die Studie ein differenziertes Bild der prosozialen Verhaltensweisen von Kindern mit SES. Im Folgenden werden die Einzelbefunde im Detail diskutiert. Eine schon früh auftretende prosoziale Verhaltensweise betrifft das instrumentelle Helfen, d. h. Hilfe bei der Zielerreichung einer Handlung (Warneken und Tomasello 2006). In unserer Studie umfassten diese Verhaltensweisen u. a. das Aufheben und Zurückgeben zu Boden gefallener Gegenstände und das Öffnen einer Schranktür. Hierbei zeigten sich keine Unterschiede zwischen den beiden Gruppen. Kinder mit SES halfen in etwa genauso häufig wie die Kinder der Kontrollgruppe. Darüber hinaus gab es keine Unterschiede zwischen den Gruppen in der Anzahl an benötigten kommunikativen Hinweisreizen, bevor Hilfe geleistet wurde. Insgesamt weisen diese Befunde darauf hin, dass die Fähigkeit und Bereitschaft zum instrumentellen Helfen auf psychischen Prozessen beruht, die vom Spracherwerb weitgehend unabhängig sind. In der Tat betonen neuere theoretische Ansätze, dass instrumentelle Hilfe auf gelernten sozialen Routinen und grundlegenden Fähigkeiten zur Zielerkennung beruht (Paulus 2019). Diese entwickeln sich in den ersten Lebensjahren, sind schon bei 1,5- und 2-jährigen Kindern deutlich ausgeprägt (Warneken und Tomasello 2006) und demzufolge wohl von der weiteren sprachlichen Entwicklung bzw. deren selektiver Beeinträchtigung relativ unabhängig. Gleichwohl ist unsere Studie eine der ersten, welche nahelegt, dass sich frühkindliches Hilfeverhalten von selektiven Spracheinschränkungen weitgehend unbeeinflusst entwickeln könnte. Dieser Befund sollte in zukünftigen Studien mit größeren Stichproben überprüft werden, um belastbarere Schlussfolgerungen ziehen zu können. Sollte sich dieser Effekt bestätigen, wäre dies ein wichtiger Hinweis auf instrumentelles Verhalten als Stärke und Schutzfaktor bei Kindern mit SES (Conti-Ramsden und Durkin 2015). Ein komplexeres Bild ergibt sich bezüglich des empathischen Tröstverhaltens. Im Einklang mit vorherigen Befunden unterschieden wir Reaktionen der Kinder auf Schmerz und Kummer anderer Personen (Bandstra et al. 2011). In der Kummersituation zeigten sich keine Unterschiede zwischen den beiden Gruppen. Jeweils etwa zwei Drittel der Kinder zeigten Tröstverhalten oder Tröstversuche. In der Schmerzsituation zeigte sich jedoch eine Tendenz, dass die SES- Kinder weniger Tröstverhalten und -versuche an den Tag legten als die Kinder der Kontrollgruppe. Darüber hinaus zeigten beide Gruppen weniger Tröstverhalten und -versuche in der Schmerzsituation als in der Kummersitua- 133 FI 3/ 2020 Prosoziales Verhalten bei Vorschulkindern mit Sprachentwicklungsstörungen tion. Dieser Unterschied zwischen den Situationen entspricht dem Befund von Bandstra und Kollegen (2011). Die Befunde legen nahe, dass Kindern mit SES der Umgang mit dem Kummer anderer Personen nicht schwerfällt und eine Ressource darstellt (vgl. Toseeb et al. 2017). Der Unterschied in der Reaktion auf den Schmerz anderer Personen legt nahe, dass sprachliche Kompetenzen hier eine größere Rolle spielen könnten. Auch dies passt zu den Befunden von Bandstra und Kollegen (2011). Sie berichten, dass in der Schmerzsituation (nicht aber in der Kummersituation) ein ausgeprägterer Wortschatz mit höherer Responsivität gegenüber der Schmerz simulierenden Person einherging. Insgesamt legen diese Befunde nahe, dass Kinder mit SES in manchen Situationen genauso kompetent reagieren wie Gleichaltrige, während andere Situationen eine größere Herausforderung für sie darstellen könnten. Dies spricht dafür, dass Empathie-basierte Verhaltensweisen nicht generell beeinträchtigt sind, sondern dass eine differenziertere Betrachtung nötig ist. Schwierigkeiten scheinen beim Umgang mit Schmerz zu bestehen. Da Tröstverhalten und Mitleid im Übergang von der frühen zur mittleren Kindheit eine relativ hohe Stabilität aufweisen (Kienbaum 2014), wäre - insbesondere sofern zukünftige Studien die Ergebnisse replizieren können - aus praktischer Hinsicht eine frühe Förderung überlegenswert. Als dritter Aspekt frühen prosozialen Verhaltens wurde das Teilen untersucht. Vorherige Studien hatten gezeigt, dass die Bereitschaft zum Teilen sehr stark von der sozialen Beziehung zum Empfänger abhängt (Paulus und Moore 2014, Moore 2009). Dementsprechend hatten auch in dieser Studie die Kinder die Möglichkeit, wertvolle Ressourcen (hier: Aufkleber) mit unterschiedlichen Rezipienten zu teilen, unter anderem mit einem guten Freund, einem fremden Kind und einer unliebsamen Person. Während sich insgesamt kein Unterschied in der Großzügigkeit zeigte, schienen die Kinder mit SES weniger stark zwischen den Rezipienten zu differenzieren. Da die Differenzierung von Rezipienten über das Kindergartenalter hinweg zunimmt (Paulus und Moore 2014) und sich ein Verständnis der Verpflichtungen interpersonaler Beziehungen entwickelt (für einen Überblick siehe Keller 1996), könnte dies auf eine im Vergleich zur Kontrollgruppe langsamere Entwicklung hindeuten. Zum einen könnte dies bedeuten, dass Kinder mit SES ein weniger stark ausdifferenziertes Konzept von sozialen Beziehungen und den damit einhergehenden Verpflichtungen haben. Zum anderen könnte dies dadurch erklärt werden, dass Kinder mit SES in ihren sozialen Beziehungen und Interaktionen zurückhaltender sind (McCabe und Marshall 2006), Schwierigkeiten beim Aufbau von Freundschaften haben (Croteau et al. 2015, Redmond 2011), und daher weniger über das Verhalten in Freundschaftsbeziehungen lernen können. Allerdings könnte die fehlende Differenzierung zwischen Rezipienten bei allgemeiner Generosität auch für eine Generalisierung eines durchaus bestehenden Konzeptes sozialer Freundschaftserwartungen auf andere Interaktionspartner sprechen. Hier wäre es für zukünftige Studien interessant, das Konzept sozialer Interaktionen zwischen unterschiedlichen Personen bei Kindern mit SES genauer zu untersuchen, beispielsweise über die Erfassung von Teilerwartungen statt eigenen Teilverhaltens. Insgesamt sprechen die Befunde nicht dafür, dass es Kindern mit SES allgemein schwer fällt zu teilen und dass dieser Aspekt prosozialen Verhaltens besonders gefördert werden müsste. Dies ist bedeutsam, da aktuelle Befunde darauf hinweisen, dass besonders das Teilen mit Freunden und das Wissen darum, dass Freunde miteinander teilen, mit einem höheren Status in der Peergruppe einhergeht (Essler et al. 2020). Die geringere Differenzierung nach Rezipienten legt nahe, dass die Kinder mit SES von Unterstützung bei der Aufnahme sozialer Interaktionen und beim Aufbau von Freundschaften profitieren würden. 134 FI 3/ 2020 Markus Paulus, Julia Erbe, Joana Wolfsperger, Samuel Essler, Monika Wörle Insgesamt zeichnet die Studie ein differenziertes Bild der prosozialen Verhaltensweisen bei Kindern mit SES. Prosoziales Verhalten ist dabei keine singuläre Fähigkeit, sondern bezeichnet ein Konzept, dass recht heterogene Verhaltensweisen umfasst (Paulus 2018). Die Fruchtbarkeit dieser neueren Konzeption wurde in dieser Studie demonstriert. Die separate Erfassung der unterschiedlichen prosozialen Verhaltensweisen erlaubt eine genauere Einschätzung der Schwächen und Stärken von Kindern mit SES. Trotz dieser neuen Erkenntnisse bleiben offene Fragen für weitere Forschung. Zum einen haben wir große Mühe darauf verwendet, eine Stichprobe ohne Komorbiditäten und andere konfundierende Faktoren (u. a. Zweisprachigkeit) zu erhalten. Als Folge davon ist die Größe der Untersuchungsstichprobe relativ klein, so dass sie eher explorativen Charakter hat und weitere Studien zur Replikation der Befunde sehr wertvoll wären. Zum anderen bleibt die Frage nach den psychologischen Mechanismen, die den unterschiedlichen Verhaltensweisen zugrunde liegen, weiterhin ein viel beforschtes Thema der Entwicklungspsychologie. Schlussendlich schließen unsere Kontrollen für kognitive Fähigkeiten aus, dass die Unterschiede zwischen den Gruppen auf rein kognitive Aspekte zurückführbar sind. Jedoch müssen wir es zukünftiger Forschung überlassen, die genauen Entwicklungspfade prosozialen Verhaltens bei Kindern mit SES genauer zu klären. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die vorliegende Studie sowohl Unterschiede als auch Ähnlichkeiten im prosozialen Verhalten zwischen Kindern mit SES und ihren sich typisch entwickelnden Peers fand. Dies entspricht neueren entwicklungspsychologischen Modellen, nach denen prosoziales Verhalten ein multidimensionales Konstrukt ist. Eine systematische Betrachtung der unterschiedlichen Bereiche verspricht ein differenzierteres Bild der Schwächen und Stärken von Kindern mit SES. Bedeutung für die Praxis Prosoziales Verhalten spielt eine wichtige Rolle in der sozialen Entwicklung und für die soziale Integration junger Kinder. Trotz der hohen Relevanz ist es unklar, inwieweit Kinder mit SES Schwierigkeiten im prosozialen Handeln haben. Die vorliegende Studie erlaubt einen differenzierteren Blick, da sie unterschiedliche Aspekte prosozialen Handelns separat erfasst. Die Ergebnisse deuten an, dass sich Kinder mit SES im Bereich des Tröstens und des selektiven Teilens von ihren sich typisch entwickelnden Peers unterscheiden. Falls zukünftige Studien mit größeren Stichproben diese Ergebnisse bestätigen sollten, würden sie auf spezifische Fördermöglichkeiten prosozialen Handelns bei Kindern mit SES hinweisen. Acknowledgements: Für redaktionelle Hilfe bei der Anfertigung dieses Artikels danken wir Marina Kammermeier. Korrespondenzanschrift: Prof. Dr. Markus Paulus Lehrstuhl für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie II Ludwig-Maximilians-Universität München Leopoldstr. 13 80802 München E-mail: markus.paulus@lmu.de Literatur Bandstra, N. F., Chambers, C. T., McGrath, P. J., Moore, C. 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