Frühförderung interdisziplinär
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0721-9121
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/fi2020.art21d
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Originalarbeit: Emotionswissen, Empathie und Emotionsregulation bei Kindern mit sprachlichen oder kognitiven Beeinträchtigungen
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Klaus Sarimski
Es wird über eine Untersuchung von 168 Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf im Bereich der sprachlichen und/oder kognitiven Entwicklung im Kindergartenalter berichtet. Zur Beurteilung von Emotionswissen, Empathie, Wissen um prosoziales Verhalten und Strategien zur Emotionsregulation wird das „Inventar zur Erfassung emotionaler Kompetenzen bei Drei- bis Sechsjährigen“ (EMK 3–6) durchgeführt. In drei der vier Untertests dieses Verfahrens zeigen 27–32% der untersuchten Kinder auffällige Befunde, d.h. etwa doppelt so viele Kinder wie in der Normierungsstichprobe des Testverfahrens. Es werden Interkorrelationen der Kompetenzskalen, Vergleiche zwischen zwei Altersgruppen und prozentuale Lösungshäufigkeiten berichtet, bei denen sich ein Profil von emotionalen Kompetenzen abzeichnet. Für die Praxis lässt sich aus diesen Befunden ein dringender Bedarf zur Förderung emotionaler Kompetenz bei dieser Risikogruppe ableiten, um der Ausbildung von Verhaltensstörungen vorzubeugen. Verschiedene Ansätze zur Prävention werden diskutiert.
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197 Frühförderung interdisziplinär, 39.-Jg., S.-197 - 209 (2020) DOI 10.2378/ fi2020.art21d © Ernst Reinhardt Verlag ORIGINALARBEIT Emotionswissen, Empathie und Emotionsregulation bei Kindern mit sprachlichen oder kognitiven Beeinträchtigungen Klaus Sarimski Zusammenfassung: Es wird über eine Untersuchung von 168 Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf im Bereich der sprachlichen und/ oder kognitiven Entwicklung im Kindergartenalter berichtet. Zur Beurteilung von Emotionswissen, Empathie, Wissen um prosoziales Verhalten und Strategien zur Emotionsregulation wird das „Inventar zur Erfassung emotionaler Kompetenzen bei Dreibis Sechsjährigen“ (EMK 3 - 6) durchgeführt. In drei der vier Untertests dieses Verfahrens zeigen 27 - 32 % der untersuchten Kinder auffällige Befunde, d. h. etwa doppelt so viele Kinder wie in der Normierungsstichprobe des Testverfahrens. Es werden Interkorrelationen der Kompetenzskalen, Vergleiche zwischen zwei Altersgruppen und prozentuale Lösungshäufigkeiten berichtet, bei denen sich ein Profil von emotionalen Kompetenzen abzeichnet. Für die Praxis lässt sich aus diesen Befunden ein dringender Bedarf zur Förderung emotionaler Kompetenz bei dieser Risikogruppe ableiten, um der Ausbildung von Verhaltensstörungen vorzubeugen. Verschiedene Ansätze zur Prävention werden diskutiert. Schlüsselwörter: Emotionale Kompetenz, Kindergarten, Entwicklungsbeeinträchtigung Emotion knowledge, empathy and emotional regulation of children with language or intellectual disabilities Summary: 168 children with cognitive and/ or language disabilities in preschool groups were assessed for emotion knowledge, empathy and emotion regulation. We used the „Inventory for assessment of emotional competence for 3to 6-year olds“ (EMK 3 - 6; German version). In three of four subtests, 27 - 32 percent of the group received results in the subnormal range which are defined as results below percentile less than 15 according to the manual. Intercorrelation of scales, differences between two age-groups and frequencies of correct solutions were reported to describe a profile of emotional competence in this group. The findings point to the need to promote emotional competence in order to prevent behavioral difficulties. Keywords: Emotion competence, preschool, disabilities Emotionale Kompetenzen im Kindergartenalter Z ur Entwicklung emotionaler Kompetenzen gehört das Wahrnehmen von Emotionen bei sich selbst und bei anderen Menschen, das Benennen von Emotionen und das Verstehen ihrer Zusammenhänge, die Fähigkeit, die eigenen Emotionen in sozial verträglicher Weise zu regulieren, die Wünsche und Motive anderer Personen zu berücksichtigen (kognitive Empathie) und auf die Emotionen von anderen angemessen zu reagieren (emotionale Empathie) sowie prosoziales Verhalten zu zeigen (Petermann und Wiedebusch 2016). Longitudinal angelegte Studien im Kindergartenalter belegen prädiktive Zusammenhänge zwischen der emotionalen Kompetenz von Kindern im Alter von drei Jahren und der Einschätzung sozial angemessenen Verhaltens, 198 FI 4/ 2020 Klaus Sarimski der Fähigkeit zur Emotionsregulation aus Sicht der pädagogischen Fachkräfte und der Beliebtheit von Kindern bei Gleichaltrigen im weiteren Verlauf des Kindergartenbesuchs (z. B. Ensor et al. 2011, Morgan et al. 2009, Sette et al. 2017). Gut ausgebildete Fähigkeiten, Emotionen zu erkennen, auszudrücken, zu regulieren und bei anderen Menschen zu verstehen, begünstigen positive soziale Beziehungen im Kindergarten (Denham et al. 2014). Defizite in emotionalen Kompetenzen sind dagegen mit einem erhöhen Risiko für die Beziehungsgestaltung zu Peers und für die Ausbildung psychischer Störungen assoziiert (Collin et al. 2013, Trentacosta und Fine 2010). Förderbedarf bei Kindern mit sprachlicher oder kognitiver Beeinträchtigung Einige entwicklungspsychologische Studien sprechen dafür, dass Emotionswissen und die Fähigkeit, die Ursachen von Emotionen bei anderen Kindern zu erkennen und soziale Zusammenhänge zu verstehen, mit dem Entwicklungsstand der intellektuellen und sprachlichen Fähigkeiten variiert (z. B. Cole et al. 2010, Salisch et al. 2013, De Stasio et al. 2014). Bei Kindern mit sprachlichen und/ oder kognitiven Beeinträchtigungen sind das Emotionswissen, die kognitive und affektive Empathie sowie die Fähigkeiten zur Emotionsregulation jedoch bisher selten untersucht worden (Sarimski 2019 a). Zur Emotionserkennung von Kindern mit spezifischen Spracherwerbsstörungen (SSES) führten Rieffe & Wiefferink (2017) eine Untersuchung mit 89 Kindern im Alter zwischen zwei und fünf Jahren und einer Kontrollgruppe von 202 Kindern mit unbeeinträchtigtem Spracherwerb durch. Sie verwendeten dazu Aufgaben, bei denen die Kinder die Emotionen von Kindern auf Fotos bzw. im Kontext kleiner Bildergeschichten identifizieren sollten. Außerdem baten sie die Eltern anzugeben, über welche Emotionsbegriffe ihre Kinder in ihrem Wortschatz verfügten. Die Kinder mit Spracherwerbsproblemen hatten nicht mehr Schwierigkeiten, Emotionen auf Fotos einander zuzuordnen (non-verbale Aufgabe), jedoch mehr Schwierigkeiten, die Emotionen auf den Bildern oder zu den Bildergeschichten korrekt zu benennen. Marton et al. (2005), Spackman et al. (2006) und Bakopoulou & Dockrell (2016) berichteten, dass Grundschulkinder mit SSES Emotionen und soziale Situationen auf Fotos und in Bildergeschichten nicht so zuverlässig deuten können und weniger Konfliktlösestrategien kennen als Gleichaltrige. Nilsson & de Lopez (2016) fanden in einer Meta-Analyse von 17 Studien mit 745 Kindern im Alter zwischen vier und zwölf Jahren durchweg ein niedrigeres Niveau der Fähigkeiten zur kognitiven Empathie bei Kindern mit SSES im Vergleich zu Kindern gleichen Alters, deren Sprachentwicklung unbeeinträchtigt verlief. Kinder mit kognitiver Beeinträchtigung (z. B. Down-Syndrom) können Emotionen, die auf Fotos abgebildet sind, zwar ebenso zuverlässig erkennen wie Kinder gleichen mentalen Entwicklungsalters (Cebula et al. 2017). Es fehlt ihnen jedoch häufig ein hinreichend differenzierter Wortschatz zur Benennung von Emotionen (Pochon und Declercq 2013). Zur Emotionsregulation von Kindern mit kognitiver Beeinträchtigung liegen Forschungsergebnisse von Baker et al. (2007) und Berkovits und Baker (2014) vor, die Verlaufsdaten über einen Entwicklungszeitraum vom dritten bis zum achten Lebensjahr vorlegten. Sie beobachteten dazu das Verhalten der Kinder beim Spiel mit den Müttern bzw. der Bearbeitung einer gemeinsamen Aufgabe und baten die Mütter sowie die pädagogischen Fachkräfte parallel dazu um eine Einschätzung von Verhaltensauffälligkeiten im Alltag mittels standardisierter Fragebögen. Zu allen Untersuchungszeitpunkten zeigten sie mehr Probleme in der emotio- 199 FI 4/ 2020 Emotionale Kompetenz nalen Selbstregulation als Kinder einer Kontrollgruppe mit unbeeinträchtigter kognitiver Entwicklung. Die beobachteten Probleme korrelierten signifikant mit den Angaben, die die Mütter zu Verhaltensauffälligkeiten der Kinder machten. Defizite in emotionalen und sozialen Fähigkeiten deuten sich bei Kindern mit kognitiven Beeinträchtigung schon im frühen Kindesalter an. Zur Einschätzung der Fähigkeit zu empathischen und hilfsbereiten Reaktionen bei Kindern im Alter unter drei Jahren baten Sarimski et al. (2016) die Eltern von 253 Kleinkindern mit unterschiedlichen Behinderungen, Kompetenzskalen für das frühe Kindesalter (ITSEA) auszufüllen. Die Fähigkeit zu prosozialem und empathischem Verhalten wurde von den Eltern kognitiv beeinträchtigter Kinder 4 - 5mal häufiger als unterdurchschnittlich eingeschätzt als in einer Referenzstichprobe mit unbeeinträchtigter Entwicklung. Auch bei Kindern mit sprachlicher und/ oder kognitiver Beeinträchtigung zeigen sich Zusammenhänge zwischen der Entwicklung emotionaler Kompetenzen und Verhaltensauffälligkeiten. Sarimski (2020) verwendete in einer Untersuchung von 218 Kindern mit und ohne sprachliche bzw. kognitive Beeinträchtigungen, die einen Förderkindergarten, bzw. einen allgemeinen Kindergarten besuchten, einen Erzieherfragebogen (Verhaltensskalen für das Kindergartenalter, Koglin und Petermann 2016) zur Einschätzung von sozial-emotionalen Kompetenzen und Verhaltensauffälligkeiten. Das Emotionswissen und die Fähigkeit zur Selbstregulation sowie Empathie korrelierte bei Kindern mit Beeinträchtigungen signifikant mit hyperaktiven oder aggressiven Verhaltensweisen bzw. Auffälligkeiten der Emotionsdysregulation. Von den Erzieherinnen wurde das Emotionswissen, die Fähigkeit zur Empathie und zur Selbstregulation bei den Kindern, die einen Förderkindergarten besuchten, signifikant niedriger eingeschätzt. Fragestellung Diese Befunde deuten darauf hin, dass bei Kindern mit sprachlichen und/ oder kognitiven Beeinträchtigungen auch ein Förderbedarf im Bereich des Emotionswissens, der Emotionsregulation und der Fähigkeit zur Empathie bestehen kann. Eine gezielte Förderung dieses Entwicklungsbereichs setzt eine differenzierte Diagnostik emotionaler Kompetenzen voraus. Mit dem „Inventar zur Erfassung emotionaler Kompetenzen bei Dreibis Sechsjährigen“ (Petermann und Gust 2016 a) steht ein Verfahren zur Verfügung, mit dem emotionale Kompetenzen von Kindern im Kindergarten über ein Interview- Format beurteilt werden. Die vorliegende Studie untersucht emotionale Kompetenzen von Kindern, die einen Förder-(Schul-)Kindergarten für Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf im Bereich der sprachlichen oder geistigen Entwicklung besuchen. Das Ziel ist es, zu prüfen: n Wie ist der Entwicklungsstand der emotionalen Kompetenzen im Vergleich zu Gleichaltrigen (Fragestellung 1)? n Welche Zusammenhänge zwischen den einzelnen Komponenten emotionaler Kompetenz bestehen (Fragestellung 2)? n Zeichnen sich Unterschiede zwischen zwei Altersgruppen ab (Fragestellung 3)? n Unterscheiden sich die Aufgaben zur Beurteilung der Komponenten für Kinder mit kognitiven und/ oder sprachlichen Beeinträchtigungen in ihrem Schwierigkeitsgrad (Fragestellung 4)? n Lassen sich emotionsspezifische Unterschiede in der Fähigkeit zum Benennen von Emotionen feststellen (Fragestellung 5)? Stichprobe und Untersuchungsvorgehen Die Stichprobe umfasste N = 168 Kinder in der Altersgruppe zwischen 3; 4 und 7; 5 Jahren. Das mittlere Alter lag bei 5; 6 Jahren (SD = 0; 10 Jah- 200 FI 4/ 2020 Klaus Sarimski re). Es handelte sich um 121 Jungen und 47 Mädchen. Dies entspricht den Angaben des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, nach denen in Förderschulen etwa dreimal so viele Jungen wie Mädchen unterrichtet werden. Alle Kinder besuchten (Förder-)Schulkindergärten in Baden-Württemberg, die an ein Förderzentrum für Kinder mit Förderschwerpunkt Sprache oder Geistige Entwicklung angeschlossen sind. Der Bestätigung dieses sonderpädagogischen Förderbedarfs als Voraussetzung für die Aufnahme in einen Schulkindergarten lag jeweils ein Gutachten durch einen Sonderpädagogen zugrunde. Für die Erstellung dieser Gutachten gibt es in Baden-Württemberg keine verbindlichen Verfahrensregeln, welche Informationen (z. B. Testdurchführungen) einzubeziehen sind; eine Einsichtnahme in die Gutachten war nicht möglich. Somit stehen keine Informationen zum individuellen Entwicklungsprofil der Kinder zur Verfügung. Die Kontaktaufnahme erfolgte mit Zustimmung der Schulbehörde zu 14 Schulkindergärten eines Schulamtsbezirks. Zehn Schulkindergärten sicherten ihre Bereitschaft zur Teilnahme an der Untersuchung zu. Die Teilnahme am Projekt war freiwillig. Es wurde dann eine Einverständniserklärung der Eltern eingeholt, bevor die Untersuchung der Kinder unter Beachtung der datenschutzrechtlichen Bestimmungen durchgeführt wurde. Die Datenerhebung erfolgte im Rahmen von wissenschaftlichen Hausarbeiten zum Abschluss eines Studiums im Lehramt „Sonderpädagogik“. Erhebungsverfahren Alle Kinder wurden von den Studierenden als Testleiter im Rahmen ihrer wissenschaftlichen Hausarbeiten mit dem „Inventar zur Erfassung emotionaler Kompetenzen bei Dreibis Sechsjährigen“ (EMK 3 - 6; Petermann und Gust 2016 a) untersucht. Das Verfahren umfasst fünf Untertests, von denen vier Untertests genutzt wurden, die die Bereiche Emotionswissen, Empathie und Wissen um prosoziales Verhalten überprüfen. Auf den fünften Untertest „Belohnungsaufschub“ wurde verzichtet. Die Untersuchung nimmt 20 - 30 Minuten in Anspruch. Im Untertest „Primäre Emotionen“ werden den Kindern Fotos von Gleichaltrigen präsentiert, auf denen die Emotionen Freude, Trauer, Angst und Wut dargestellt sind. Die Kinder werden aufgefordert, die abgebildeten Emotionsausdrücke zu benennen. Anschließend sollen sie die gleichen, diesmal vom Testleiter benannten Emotionen den einzelnen Fotos zuordnen. Im Untertest „Sekundäre Emotionen“ wird auf die gleiche Weise an Situationsbildern das Erkennen und Benennen von komplexeren Emotionen sowie das Wissen um Ursachen und Strategien zur Emotionsregulation geprüft. Es geht dabei um die Emotionen Stolz, Schuld und Scham. Im Untertest „Prosoziales Verhalten“ wird dem Kind eine kurze Geschichte zu einem Situationsbild präsentiert (z. B. „Dieses Mädchen hat ihr Frühstück vergessen. Was tust du, wenn du ein Kind siehst, das sein Frühstück vergessen hat? “). Aus den Antworten des Kindes lässt sich erkennen, ob es in der Lage ist, prosoziales Verhalten in Bezug auf die dargestellte Situation zu benennen und zu begründen. Im Untertest „Empathie“ werden den Kindern mithilfe von Holzpuppen verschiedene Situationen vorgespielt. Sie werden gefragt, wie sich die Handlungsfigur fühlt. Anschließend sollen sie aus Puppengesichtern den passenden Gesichtsausdruck der Handlungsfigur auswählen. Es geht um die Emotionen Angst, Trauer, Wut und Freude. Anhand kurzer Spielszenen wird geprüft, ob das Kind sich in die Perspektive eines Anderen hineinversetzen kann (kognitive Empathie) und sich vorstellen kann, wie dieser sich in der Situation fühlt (emotionale Empathie). In diesem Zusammenhang wird es auch gefragt, was dem Kind helfen könnte, keine Angst, Trauer oder Wut mehr zu empfinden (Wissen um Strategien der „Emotionsregulation“). 201 FI 4/ 2020 Emotionale Kompetenz Die Antworten und Reaktionen des Kindes werden je nach Untertest mit einem oder zwei Punkten bewertet. Genaue Instruktionen zur Auswertung enthält das Manual des EMK 3 - 6. Für diese Untersuchung wurden zusätzlich zu den Werten für die einzelnen Untertests in Anlehnung an einen Vorschlag von Gust et al. (2017) Rohwertsummen für folgende vier Komponenten der Emotionskompetenz gebildet: „Emotionswissen“, „Empathie“, „prosoziales Verhalten“ sowie „Emotionsregulation“. Für den Summenwert „Emotionswissen“ wurden die Punktwerte addiert, die ein Kind bei den Aufgaben erreichte, die die Fähigkeit zum Unterscheiden und Benennen primärer und sekundärer Emotionen, zum Benennen mimischer Anzeichen und möglicher Ursachen für Emotionen prüfen. Für den Summenwert „Emotionsregulation“ wurden die Punktwerte addiert, die ein Kind bei den Aufgaben erreichte, die das Wissen um Strategien zur Regulation von Emotionen prüfen. Die Summenwerte für „Empathie“ und „prosoziales Verhalten“ wurden manualgerecht übernommen. Es wurden die Untertestwerte auf die prozentuale Häufigkeit von Abweichungen vom Altersdurchschnitt geprüft (Fragestellung 1) sowie Zusammenhänge zwischen diesen Emotionskomponenten berechnet (Fragestellung 2). Anschließend wurde ein Mittelwertvergleich vorgenommen von Kindern im Alter unter bzw. über fünf Jahren (diese beiden Altersgruppen werden in der Normwerttabelle des EMK 3 - 6 unterschieden; Fragestellung 3). Um das Kompetenzprofil weiter zu differenzieren, wurden die Lösungshäufigkeiten bei Aufgaben zum Benennen von Emotionen, zum Benennen mimischer Anzeichen/ Marker und ihrer Ursachen sowie das Beschreiben und Begründen prosozialen Verhaltens sowie des Wissens um Strategien zur Emotionsregulation getrennt voneinander berechnet und miteinander verglichen (Fragestellung 4). Schließlich erfolgte anhand der Lösungshäufigkeiten ein Vergleich des Schwierigkeitsgrads der Aufgaben zum Emotionswissen in Abhängigkeit von der jeweiligen Emotion, die in der Aufgabe präsentiert wurde (Fragestellung 5). Mittelwertvergleiche wurden mit dem t-Test auf statistische Signifikanz geprüft, Zusammenhänge zwischen den Emotionskomponenten (unter statistischer Kontrolle der Variablen „Lebensalter des Kindes“) mittels Korrelationsanalysen nach Pearson berechnet. Unterschiede in den Lösungshäufigkeiten in Abhängigkeit von den jeweils geforderten Fähigkeiten bzw. den jeweils thematisierten Emotionen wurden mittels Varianzanalyse bei Messwiederholungen analysiert. Als statistische Signifikanzgrenze wurde zur Kontrolle von Zufallseffekten bei multiplen Vergleichen für alle Berechnungen p < .01 festgesetzt. Ergebnisse Im Vergleich zu den Normwerten des EMK 3 - 6 liegen die Mittelwerte der hier untersuchten Kinder in drei von vier Untertests („primäre Emotionen“, „prosoziales Verhalten“ und „Empathie“) im (unteren) Durchschnittsbereich der Altersgruppe (Tabelle 1). Als unterdurchschnittlich („auffällig“) werden nach den Vorgaben im Manual alle Untertestwerte klassifiziert, denen ein T-Wert < 40 (d. h. Prozentrang < 15) zugeordnet ist. Im Vergleich zu den alters- und geschlechtsbezogenen Normen des EMK 3 - 6 wird bei 54 Kindern (32.1 %) in diesem Sinne ein unterdurchschnittliches Wissen um primäre Emotionen, bei 46 Kindern (27.4 %) ein unterdurchschnittliches Wissen um prosoziale Verhaltensweisen und bei 49 Kindern (29.2 %) eine unterdurchschnittliche kognitive und emotionale Empathie festgestellt. In der hier untersuchten Stichprobe finden sich somit etwa doppelt so viele Kinder mit unterdurchschnittlichen emotionalen Kompetenzen als in der Normierungsstichprobe. 202 FI 4/ 2020 Klaus Sarimski Im Untertest „sekundäre Emotionen“ musste der Test bei 15 Kindern abgebrochen werden, da sie mit der Aufgabenstellung überfordert waren. Der mittlere T-Wert der übrigen Kinder liegt bei 51.3; kein Wert der Kinder dieser Stichprobe wird in diesem Untertest als „unterdurchschnittlich“ klassifiziert. Die Tabelle 2 zeigt die Verteilung der Rohwertsummen in den vier Komponenten emotionaler Kompetenz, die nach den Empfehlungen von Gust et al. (2017) aus den Testergebnissen für diese Untersuchung gebildet wurden. In der Tabelle 3 sind die korrelativen Zusammenhänge zwischen diesen Komponenten zu erkennen. Emotionswissen, die Fähigkeit zur Empathie, das Wissen um prosoziales Verhalten und Strategien zur Emotionsregulation korrelieren signifikant miteinander. Das gilt auch, wenn die Variable „Lebensalter“ durch Verwendung partieller Korrelationskoeffizienten kontrolliert wird. Die Tabelle 4 zeigt die Rohwertsummen in Abhängigkeit von der Altersgruppe. Das Lebensalter wurde - entsprechend den Normtabellen des EMK-Manuals - als dichotome Variable N M SD Primäre Emotionen Sekundäre Emotionen Prosoziales Verhalten Empathie 168 153 168 168 46.36 51.28 46.41 45.71 11.88 8.94 12.78 12.32 Tab. 1: Verteilung der T-Werte (Mittelwert und Standardabweichung) in den EMK-Untertests Anmerkung: M = Mittelwert, SD = Standardabweichung Min Max M SD Emotionswissen Empathie Prosoziales Verhalten Emotionsregulation 0 0 0 0 29 18 21 7 12.79 8.14 11.75 1.49 5.97 4.63 5.60 1.53 Tab. 2: Mittelwerte und Standardabweichungen in vier Emotionskomponenten (EMK 3 - 6; N = 168) Anmerkung: M = Mittelwert, SD = Standardabweichung; als Min und Max sind die niedrigste und die höchste Rohwertsumme in den vier Komponenten angegeben, die von den Kindern dieser Stichprobe erreicht wurden Emotionswissen Empathie Prosozial Emotionsregulation Emotionswissen Empathie Prosozial Emotionsregulation - .60** .68** .68** .53** - .67** .38** .62** .62** - .55** .66** .33** .52** - Tab. 3: Interkorrelationen der Skalen des EMK (N = 168) Anmerkung: ** = p < .01; unterhalb der Diagonale: Pearson-Korrelationen; oberhalb der Diagonale: partielle Korrelationen unter statistischer Kontrolle der Variablen „Lebensalter“ 203 FI 4/ 2020 Emotionale Kompetenz einbezogen. Im EMK 3 - 6 werden die Referenznormen getrennt für Kinder zwischen drei und fünf Jahren bzw. über fünf Jahren angegeben, da sich bei der Konstruktion des EMK 3 - 6 signifikante Zusammenhänge zum Lebensalter der Kinder ergaben. Auch in der hier untersuchten Stichprobe lösten ältere Kinder mehr Aufgaben in den Skalen zur Beurteilung des Emotionswissens, der Fähigkeit zur Empathie und zum prosozialen Verhalten. Hinsichtlich der Fähigkeit zur Emotionsregulation zeigten sich in dieser Stichprobe jedoch keine signifikanten Unterschiede zwischen den beiden Altersgruppen. Die Abbildung 1 zeigt die prozentuale Lösungshäufigkeit (Rohwertsumme aus Aufgaben, deren Lösung mit einem oder zwei Punkten bewertet wurde/ Zahl der Aufgaben, die einer Komponente zugeordnet sind), die die Kinder bei Aufgaben zu den verschiedenen Komponenten der Emotionskompetenz erreichen. Das Beschreiben empathischer Reaktionen und das Benennen von Emotionen scheint für die Kinder deutlich leichter zu sein als das Benennen und Begründen prosozialer Verhaltensweisen. Die größten Schwierigkeiten haben die Kinder mit Aufgaben, bei denen sie die mimischen Anzeichen für Emotionen oder ihre Ursachen benennen bzw. bei denen sie mögliches empathisches Verhalten oder Strategien zur Emotionsregulation nennen sollen. Die Prüfung der prozentualen Lösungshäufigkeit in Abhängigkeit von der geprüften Komponente mittels Varianzanalyse bei Messwiederholungen zeigt bei fast allen Vergleichen signifikan- 3; 0 - 4; 11 Jahre < 5; 0 Jahre t (166) p M SD M SD Emotionswissen Empathie Prosozial Emotionsregulation 11.90 5.88 9.63 1.19 6.73 4.14 5.02 1.63 16.13 8.80 12.43 1.59 6.81 4.61 5.62 1.49 -3.46 -3.61 -2.84 -1.43 .001 <.001 .005 .152 Tab. 4: Vergleich der Rohwertsummen von Kindern unter bzw. über 5 Jahren (n = 41/ 127) Anmerkung: M = Mittelwert, SD = Standardabweichung Emotionsregulationsstrategie nennen empathisches Verhalten begründen Ursachen von Emotionen nennen mimische Anzeichen nennen prosoziales Verhalten nennen prosoziales Verhalten begründen Emotion benennen empathische Reaktion zeigen 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 prozentuale Lösungshäufigkeit 29,9 32,1 38,9 40,8 48,3 53,7 78,5 87,6 Abb. 1: Prozentuale Lösungshäufigkeit in Abhängigkeit von Komponente emotionaler Kompetenz (EMK 3 - 6) 204 FI 4/ 2020 Klaus Sarimski te Differenzen 1 . Lediglich zwischen dem Benennen mimischer Anzeichen und Ursachen von Emotionen bzw. zwischen dem Nennen von empathischen Verhaltensmöglichkeiten und dem Nennen von Strategien zur Emotionsregulation finden sich keine signifikanten Unterschiede in der prozentualen Lösungshäufigkeit. Die Abbildung 2 zeigt die durchschnittliche Punktzahl bei den sieben Items, die die Kompetenz zum Benennen von Emotionen messen. Die Emotionen „Trauer“ und „Wut“ werden signifikant häufiger korrekt benannt als die Emotionen „Freude“, „Angst“, „Stolz“. Am seltensten gelingt dies den Kindern bei den sekundären Emotionen „Scham“ und „Schuld“. Eine mögliche Ursache für das Gefühl der Trauer wird häufig genannt, während dies bei den sekundären Emotionen nicht der Fall ist. Eine empathische Reaktion auf „Wut“ wird signifikant seltener gezeigt als auf die Emotionen Angst oder Trauer (ohne Abbildung). Diskussion 168 Kinder, die einen Schulkindergarten an einem Förderzentrum mit Förderschwerpunkt Sprache oder Geistige Entwicklung besuchen, wurden mit dem EMK 3 - 6 untersucht. Bei drei von vier Untertests erreichten jeweils 27 - 32 % der Kinder, d. h. rund doppelt so viele Kinder wie in der Normierungsstichprobe des Tests, unterdurchschnittliche Ergebnisse (Prozentrang < 15; Fragestellung 1). Emotionswissen, das Wissen um prosoziales und empathisches Verhalten sowie das Wissen um Strategien zur Emotionsregulation korrelierten in hohem Maße miteinander (Fragestellung 2). Die Validität des vierten verwendeten Untertests „Sekundäre Emotionen“ ist fragwürdig, da bereits bei einem einzigen Rohwertpunkt ein Ergebnis im Durchschnittsbereich der Altersgruppe (T > 40) erreicht wird. Dieser Untertest differenziert offensichtlich im unteren Leistungsbereich nicht ausreichend. Ältere Kinder lösten mehr Aufgaben zur Beurteilung des Emotionswissens und des Wissens 1 Die Anwendungsvoraussetzungen für eine solche Varianzanalyse wurden geprüft und bestätigt. Auf einzelne statistische Angaben hierzu wird an dieser Stelle verzichtet. Trauer Wut Freude Stolz Angst Scham Schuld 1,6 1,4 1,2 1 0,8 0,6 0,4 0,2 0 Rohwertsumme Emotionen 1,4 1,31 0,99 0,67 0,62 0,32 0,19 Abb. 2: Durchschnittliche Rohwertsummen bei Aufgaben zum Benennen von Emotionen in Abhängigkeit von der dargestellten Emotion (EMK 3 - 6) 205 FI 4/ 2020 Emotionale Kompetenz um prosoziales und empathisches Verhalten (Fragestellung 3). Im Vergleich der Komponenten emotionaler Kompetenz gelang es den Kindern häufiger, Emotionen und empathische Reaktionen zu Abbildungen zu benennen. Prosoziale Handlungsmöglichkeiten zu nennen oder zu begründen, Ursachen von Emotionen zu nennen oder empathisches Verhalten zu begründen, fiel ihnen dagegen deutlich schwer. Die größten Schwierigkeiten bereiteten ihnen Aufgaben, bei denen sie eine Strategie zur Emotionsregulation benennen sollten (Fragestellung 4). Die Fähigkeit zum Benennen von Emotionen variierte mit der Art der Emotion, die auf dem Foto präsentiert wurde. Trauer und Wut wurden von den Kindern häufiger richtig benannt, während sekundäre Emotionen wie Scham und Schuld nur selten korrekt benannt wurden (Fragestellung 5). Die Ergebnisse sprechen dafür, dass auch Kinder mit sprachlichen und/ oder kognitiven Beeinträchtigungen im Kindergartenalter in der Lage sind, Emotionen bei anderen Kindern zu erkennen, korrekt zu benennen und abgebildete Situationen daraufhin zu deuten, wie eine empathische Reaktion und prosoziales Verhalten aussehen könnte. Die durchschnittlichen T-Werte liegen in der Untersuchungsgruppe im unteren Normbereich (vgl. Tab. 1). Der Befund, dass die emotionalen Kompetenzen bei mehr als 25 % der untersuchten Kinder nach den Daten der Verteilung in der Normierungsstichprobe als unterdurchschnittlich („auffällig“) zu klassifizieren sind, weist jedoch darauf hin, dass bei Kindern mit sprachlichen und/ oder kognitiven Beeinträchtigungen das Risiko erhöht ist, dass es auch im Bereich der Entwicklung emotionaler Kompetenzen zu Verzögerungen kommt. Ein erhöhtes Risiko für Entwicklungsverzögerungen in diesem Bereich ist gut vereinbar mit den Befunden zu Beeinträchtigungen in emotionalen Kompetenzen, wie sie u. a. von Bakopoulou & Dockrell (2016) und Nilsson & de Lopez (2016) bei Kindern mit spezifischer Sprachentwicklungsstörung und Sarimski (2020) bei Kindern mit kognitiven und sprachlichen Defiziten mittels Fragebögen erhoben wurden, die die pädagogischen Fachkräfte ausfüllen. In der hier vorgestellten Untersuchung wurde das Wissen der Kinder um Emotionen, prosoziales und empathisches Verhalten sowie Strategien zur Emotionsregulation anhand von Fotos und bildgestützten Geschichten direkt geprüft. Die Ergebnisse im EMK 3 - 6 können als Hinweis darauf gedeutet werden, dass viele Kinder mit kognitiven oder sprachlichen Beeinträchtigungen über Emotionswissen und Wissen darüber verfügen, wie sie sich in sozialen Situationen verhalten sollten. Offen bleibt allerdings die Frage, ob sie auch ausreichend in der Lage sind, dieses Wissen in Alltagssituationen zu nutzen. Ältere Kinder mit sprachlichen und/ oder kognitiven Beeinträchtigungen zeigen weiter fortgeschrittene emotionale Kompetenzen als jüngere Kinder. Dies entspricht den Befunden aus der Konstruktionsstichprobe des EMK 3 - 6 (Petermann und Gust 2016a, 24; Gust et al. 2017). Bei Aufgaben zur Generierung von Strategien zur Emotionsregulation finden sich dagegen keine altersbedingten Unterschiede. In dieser Hinsicht weichen die Ergebnisse in dieser Stichprobe von den Befunden ab, die bei Kindern ohne Beeinträchtigung erhoben wurden (Gust et al. 2017). Aufgaben, die das Wissen um Strategien zur Emotionsregulation prüfen, fallen den hier untersuchten Kindern generell am schwersten. Dies ist gut vereinbar mit den Befunden zu Problemen der emotionalen Selbstregulation bei Kindern mit kognitiver Behinderung (Baker et al. 2007, Berkowits und Baker 2014) und Zusammenhängen zwischen Defiziten in der Fähigkeit zur Selbstregulation als Teilaspekt exekutiver Funktionen zur Ausbildung von Verhaltensauffälligkeiten (Fiedler et al. 2018, Sarimski 2019 a, 2020). Bei der Interpretation der Ergebnisse sind mehrere methodische Einschränkungen zu beachten. Die Angaben zur Häufigkeit von Ent- 206 FI 4/ 2020 Klaus Sarimski wicklungsverzögerungen in den emotionalen Kompetenzen müssen unter dem Vorbehalt betrachtet werden, dass keine Angaben zum soziografischen Hintergrund der Familien erhoben wurden, so dass nicht beurteilt werden kann, ob die Untersuchungsstichprobe in wichtigen Merkmalen der Normierungsstichprobe des EMK 3 - 6 entspricht. In einer künftigen Untersuchung sollten die Leistungen von Kindern mit kognitiven und/ oder sprachlichen Einschränkungen in diesem Test mit einer Kontrollgruppe verglichen werden, die nach Alter, Geschlecht, regionaler Herkunft, sozioökonomischem Status und Migrationshintergrund parallelisiert ist. Erst dann wäre eine Verallgemeinerung der Ergebnisse, die als deskriptive Daten aus dieser Untersuchungsgruppe mitgeteilt wurden, auf Kinder mit kognitiven und sprachlichen Beeinträchtigungen im Allgemeinen empirisch gesichert. Zweitens lässt sich aus den vorliegenden Daten nicht entscheiden, inwieweit unterdurchschnittliche („auffällige“) Ergebnisse der Kinder auf sprachliche Defizite zurückzuführen sind. Auch wenn die Antworten der Kinder zu den Aufgaben nach den Kriterien des EMK 3 - 6 eingeordnet werden konnten, lässt sich nicht gänzlich ausschließen, dass einzelne Fragen nicht von allen Kindern dieser Stichprobe adäquat verstanden wurden. Leider konnte die Art und der Grad von Einschränkungen der kognitiven und sprachlichen Fähigkeiten nicht durch eine standardisierte Intelligenz- und Sprachdiagnostik objektiviert werden. Bei künftigen Untersuchungen wäre der Einfluss sprachlicher Defizite differenziert zu prüfen und zu untersuchen, ob sich möglicherweise spezifische Zusammenhänge zwischen sprachlichen und/ oder kognitiven Defiziten und dem Entwicklungsverlauf emotionaler Kompetenzen identifizieren lassen. Drittens ist darauf hinzuweisen, dass die Beurteilung des Wissens um Strategien zur Emotionsregulation allein auf den Antworten auf die Frage „Was könnte dem Kind helfen …? “ beruht. Inwiefern diese Antworten ein differenziertes Wissen um Möglichkeiten der Regulation eigener Emotionen abbilden und die tatsächliche Kompetenz zur eigenen Emotionsregulation im Alltag widerspiegeln, muss offen bleiben. Die Validität dieses Untertests ist daher als fragwürdig anzusehen (Koch et al. 2018). Schlussfolgerungen für die Praxis Trotz dieser methodischen Einschränkungen weisen die Ergebnisse darauf hin, dass bei vielen Kindern mit sprachlichen und/ oder kognitiven Beeinträchtigungen auch ein zusätzlicher Förderbedarf im Bereich der emotionalen Kompetenzen besteht. Ein solcher Förderbedarf sollte bereits im Kindergartenalter erkannt werden. Der EMK 3 - 6 erweist sich dazu als Untersuchungsverfahren, das auch bei Kindern mit diesen Entwicklungsbeeinträchtigungen einsetzbar ist; es bedarf allerdings weiterer Untersuchungen, um Erfahrungswerte mit diesem Verfahren zu sammeln und seine Validität zu überprüfen. Eine frühe Identifikation von Kindern mit Unterstützungsbedarf bei der Entwicklung emotionaler Kompetenzen sollte mit gezielten pädagogischen Fördermaßnahmen verbunden werden. Diese Förderung kann flexibel im Kindergartenalltag oder in Form gezielter Übungsprogramme erfolgen. Bei der Förderung im Kindergartenalltag („coaching in teachable moments“) geht es darum, möglichst viele alltäglich auftretende Situationen zu nutzen, um die Kinder der Gruppe zu unterstützen, eigene Emotionen und die Emotionen anderer Kinder zu erkennen und zu benennen, ihre Ursachen und Zusammenhänge zu verstehen, Möglichkeiten zu empathischem und prosozialem Verhalten in der jeweiligen Situation kennen und einsetzen zu lernen. Das erfordert professio- 207 FI 4/ 2020 Emotionale Kompetenz nelle Kompetenz der Fachkräfte, um Gelegenheiten zur Förderung emotionaler Kompetenzen wahrzunehmen, den individuellen Unterstützungsbedarf von Kindern der Gruppe zu erkennen, Emotionen und ihre Zusammenhänge sowie positive soziale und empathische Verhaltensweisen mit ihnen zu besprechen und sie dann konkret anzuleiten, wie sie dieses Wissen in den Interaktionen mit Gleichaltrigen umsetzen können (Sarimski 2019 b). Neben diesem alltagsintegrierten Förderansatz können manualisierte Programme zur Prävention von Verhaltensauffälligkeiten auch bei Kindern mit kognitiven oder sprachlichen Beeinträchtigungen erprobt werden. Dazu gehört z. B. das Programm „Faustlos für den Kindergarten“ (Cierpka 2002). Es besteht aus 28 Lektionen zur Empathieförderung, Förderung der Impulskontrolle und zum Umgang mit Ärger und Wut. Ähnliche Ziele verfolgt das „Verhaltenstraining für Kindergartenkinder“ (Koglin und Petermann 2013), das Programm „Lubo aus dem All“ - Vorschulalter (Hillenbrand et al. 2016) sowie das Programm „Emotionale Kompetenzen im Vorschulalter fördern“, das spezifisch auf die Bereiche zugeschnitten ist, die mit dem EMK 3 - 6 beurteilt werden (Petermann und Gust 2016 b). Die genannten Programme weisen viele Gemeinsamkeiten auf. Sie umfassen Trainingseinheiten zur Förderung der emotionalen Kompetenz und der Fähigkeit zur sozialen Problemlösung, beruhen auf Modellen der sozial-kognitiven Informationsverarbeitung, liegen manualisiert in Form von strukturierten Sitzungen vor, die sich jeweils auf ausgewählte Teilkompetenzen beziehen. Sie sollen über einen Zeitraum von mehreren Wochen mehrmals wöchentlich in Kleingruppen von entsprechend geschulten Erzieherinnen im Vorschulalter durchgeführt werden. Dabei werden altersangemessene Methoden wie Kooperationsspiele, Rollenspiele, Gesprächsrunden, Bildkarten, Singspiele, Handpuppen, kreative Methoden verwendet, um die Lernprozesse auf motivierende Art und Weise zu unterstützen. Keines dieser Programme ist allerdings auf den Einsatz bei Kindern mit sprachlichen oder kognitiven Beeinträchtigungen ausgelegt. Sie müssen evtl. an das eingeschränkte Verarbeitungsvermögen dieser Kinder angepasst und dann in ihrer Wirksamkeit bei Kindern mit sprachlichen und/ oder kognitiven Einschränkungen im Kindergartenalter empirisch überprüft werden, bevor sie für den Einsatz bei dieser Zielgruppe empfohlen werden können. Prof. Dr. Klaus Sarimski Sonderpädagogische Frühförderung und allgemeine Elementarpädagogik Institut für Sonderpädagogik Keplerstr. 87 69120 Heidelberg E-Mail: sarimski@ph-heidelberg.de Literatur Baker, J., Fenning, R., Crnic, K., Baker, B., Blacher, J. 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