Frühförderung interdisziplinär
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0721-9121
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2022
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Rezension: Catalina Ludewika Hamacher: Vom Kind zum Fall. Eine rekonstruktive Studie zu Fallkonstitutionen in der Zusammenarbeit zwischen Kindertageseinrichtung und Frühförderung
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2022
Julia Tierbach
Die Anforderungen an eine inklusionsorientierte Pädagogik beziehen sich unter anderem auf den Abbau von Benachteiligung und sozialer Ungleichheit. Entsprechend sehen sich Fachkräfte aus dem Bereich der frühen Erziehung und Bildung unterschiedlichen Aufgaben im Sinne der Überwindung von Bildungsungleichheiten von Kindern gegenübergestellt. Im Rahmen des Modellprojektes „Kooperation Kita und Frühförderung“ (2016-2019 Stiftung Wohlfahrtspflege unter der wissenschaftlichen Begleitung der Universität Paderborn) erforscht Hamacher in ihrer Studie, wie Kinder in der multiprofessionellen Kooperation zwischen Kindertageseinrichtung und Frühförderung zu Fällen konstituiert werden, und setzt dies in ein ungleichheitskritisches Verhältnis.
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44 FI 1/ 2022 REZENSIONEN Catalina Ludewika Hamacher Vom Kind zum Fall Eine rekonstruktive Studie zu Fallkonstitutionen in der Zusammenarbeit zwischen Kindertageseinrichtung und Frühförderung Julius Klinkhardt Verlagsbuchhandlung, Bad Heilbrunn, 2020, 246 S., € 46,- Die Anforderungen an eine inklusionsorientierte Pädagogik beziehen sich unter anderem auf den Abbau von Benachteiligung und sozialer Ungleichheit. Entsprechend sehen sich Fachkräfte aus dem Bereich der frühen Erziehung und Bildung unterschiedlichen Aufgaben im Sinne der Überwindung von Bildungsungleichheiten von Kindern gegenübergestellt. Im Rahmen des Modellprojektes „Kooperation Kita und Frühförderung“ (2016 - 2019 Stiftung Wohlfahrtspflege unter der wissenschaftlichen Begleitung der Universität Paderborn) erforscht Hamacher in ihrer Studie, wie Kinder in der multiprofessionellen Kooperation zwischen Kindertageseinrichtung und Frühförderung zu Fällen konstituiert werden, und setzt dies in ein ungleichheitskritisches Verhältnis. Das vorliegende Werk ist in fünf übergeordnete Abschnitte (A - E) und deren Kapitel unterteilt. Abschnitt A Ausgangspunkt der Untersuchung dient dem Überblick über aktuelle Forschungsstände in Bezug auf die Bereiche der frühen Bildung und Frühförderung. Deutlich wird, dass die Zielperspektiven von Kindertageseinrichtung und Frühförderung - der Abbau von Bildungsbenachteiligung und die Schaffung von Chancengleichheit - zwar geteilt werden, die Umsetzung und dahinterliegenden Bearbeitungsweisen jedoch unterschiedlich sind. Demnach sind Bildung und der kompensatorische Auftrag zentral für Kindertageseinrichtungen, während die Früherkennung sowie der Präventionsauftrag der Frühförderung zugeschrieben werden. Hamacher diskutiert die Eigenschaften multiprofessioneller Kooperationen in diesem Kontext ausführlich und konstatiert die Notwendigkeit einer Rekonstruktion fallkonstituierender Konstruktionen in der Zusammenarbeit. In Abschnitt B Theoretischer Analyserahmen werden die der verfolgten Fragestellung erforderlichen theoretischen Grundlagen geschildert. Im Fokus stehen ungleichheitskritische Zugänge, die u. a. vor dem Hintergrund von Othering-Prozessen, Normalitäts- und Differenzkonstruktionen sowie Diversität und Inklusion reflektiert werden. Die eingenommene interaktionistische und sozialkonstruktivistische Perspektive eröffnet hierbei die Möglichkeit der Rekonstruktion der Orientierungsmuster von Fachkräften hinsichtlich ihrer Konstruktionen. Abschnitt C Empirische Untersuchung zu (pädagogischen) Orientierungen und Fallkonstitutionen umfasst die methodischen sowie methodologischen Darstellungen zum Vorgehen in der Studie und deren Auswertung. Die qualitative Sozialforschung knüpft über Gruppendiskussionen zwischen Frühförderung und Kindertageseinrichtung an der Rekonstruktion impliziter Orientierungsmuster und den damit einhergehenden Handlungspraktiken an. Durch die Auswertung anhand der Dokumentarischen Methode wurden die handlungsleitenden Orientierungen erfasst und nachfolgend in Abschnitt D Rekonstruktion handlungsleitender Orientierungen pädagogischer Fachkräfte und Frühförderkräfte erläutert. Die übergreifende „Basistypik“ bildet sich hierbei aus den Aushandlungsprozessen zwischen Kindertageseinrichtung und Frühförderung hinsichtlich der Bedingungen einer als „optimal“ bewerteten Kindesentwicklung. Sie wird als Thematik definiert, auf die alle Akteur*innen in ihren Fallkonstitutionen zurückgreifen. Dies wird unter anderem in Zusammenhang gebracht zu den sogenannten Vergleichsdimensionen „Gestaltung der Zusammenarbeit 45 FI 1/ 2022 Rezensionen mit Familien“, „Normalisierungsmuster im Rahmen von Fallkonstitutionen“ und „Ordnungen und Bilder von Kindheiten“. Die Basistypik und Vergleichsdimensionen werden durch Interviewausschnitte sowie deren Interpretation anschaulich dargestellt und im weiteren Verlauf entlang handlungsleitender Orientierungen („sinngenetische Typenbildung“) reflektiert. Im letzten Abschnitt E Abschließende Betrachtung werden die empirischen und theoretischen Erkenntnisse zusammengeführt. Deutlich werden die Spannungsfelder zwischen Prävention und der damit einhergehenden Differenzmarkierungen, welche hierdurch (re-)produziert werden. Die gebildeten Typiken verweisen dabei auf die erforderte Reflexion eigener Konstruktionen, Handlungspraktiken und strukturellen Bedingungen. Diskussion Das Buch richtet sich an pädagogische Fachkräfte als auch an Wissenschaftler*innen. Besonders hervorzuheben sind die kritisch-reflexiven Ausführungen zu praktisch relevanten Inhalten, welche theoretisch anspruchsvoll in Beziehung gesetzt werden. Die Autorin vermag es, durchgängig Verbindungen innerhalb ihrer Studie zu ziehen und diese in vielzähligen Spannungsfeldern dialektisch zu verorten. Hamacher schafft es in ihrem Werk somit zur Reflexion von Fachkräften aufzufordern und weist durch ihre empirischen und theoretischen Erkenntnisse auf die hierfür sensiblen Bereiche hin. Julia Tierbach Universität zu Köln DOI 10.2378/ fi2022.art05d Schiffer Eckhard Entdeckung sozialer Gesundheit Möglichkeitsräume für Vertrauen, Respekt und kreatives Zusammenspiel in jedem Lebensalter Gießen: psychosozial, 2021, 321 S., € 24,90 Seinen Beitrag zu „Salutogenese kennen und verstehen“ (Meier-Magistretti et al. 2019) übertitelte der Autor mit der Frage „Gibt es (k)eine soziale Salutogenese? “ Vielfältige und umfassend begründete Antworten stellt er nun in „Entdeckung sozialer Gesundheit“ vor und lädt „Leserinnen und Leser herzlich zu einer spannenden und anregenden Entdeckungsreise ein“. Diese Einladung anzunehmen lohnt sich. Der Autor schöpft aus dem Vollen: Sein reicher Erfahrungsschatz aus 55 Jahren Berufserfahrung als Arzt und Therapeut, als Wissenschaftler, aus Alltagserfahrungen, aus vertieften Einblicken in andere Berufsfelder und seine schriftstellerische Tätigkeit führen zu sprudelnden, fachlich hochwertigen und gut verständlichen Texten auf der Entdeckungsreise zur sozialen Gesundheit. Diese Reise ist in fünf größere Etappen aufgeteilt, die ihrerseits verschiedene kleine Etappen umfassen. Das gut gegliederte und ausführliche Inhaltsverzeichnis bietet einen hilfreichen Überblick über die Etappenziele und erleichtert gezielt einzelne davon, entsprechend eigenem Interesse und Vorwissen, auszuwählen. Das Buch ist durchgängig gut gestaltet; zahlreiche Fotos lockern die Texte auf. Im ersten Teil der Reise stehen beglückende Begegnungen und kreativer, schöpferischer Eigen- Sinn im Zusammenspiel im Vordergrund - Stichworte: Lächelspiele, die Welt der Klänge und Rhythmen, Dialog(e). Dem Salutogenese-Modell, dem Doppelaspekt sozialer Gesundheit und seiner körperlichen Auswirkungen ist die zweite Etappe gewidmet. Die Entwicklung des Kohärenzgefühls wird an der Frage erläutert „Warum Huckleberry Finn ein ausreichendes Kohärenzgefühl entwickeln konnte“. Thema des dritten Teils sind die
