eJournals Frühförderung interdisziplinär 41/2

Frühförderung interdisziplinär
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0721-9121
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2022
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Rezension: Friedrich Voigt: Entwicklungsstörungen im Kleinkind- und Vorschulalter. Beiträge zur Frühförderung interdisziplinär, Band 23

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Teresa Landwehrmann
Was sind die Möglichkeiten und wo liegen die Grenzen von Früherkennung, Diagnosestellung und therapeutischen Herangehensweisen bei Entwicklungsstörungen im Kleinkind- und Vorschulalter? Dr. Friedrich Voigt, langjähriger leitender Psychologe im kbo-Kinderzentrum München, legt mit seiner Handreichung einen besonders praxisrelevanten Beitrag zur interdisziplinären Frühförderung bei Entwicklungsstörungen vor. Er diskutiert mögliche Verfahren und Vorgehensweisen, ordnet sie anhand der aktuell revidierten Diagnostikmanuale DSM-5 und ICD-11 ein und gibt klare Hinweise zur Umsetzung.
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102 FI 2/ 2022 Rezensionen sichtlich gestalteten Tabellen werden Medien dargestellt, die sich prinzipiell zur Sprachförderung eignen, eine anschließende Übersicht (Tabelle 4) ordnet diese Medien einer Altersspanne zu, in der diese entwicklungsadäquat noch nicht oder zunehmend sinnvoll genutzt werden können. 10 Prinzipien im Umgang mit Medien geben sehr praxisnah eine grundsätzliche Struktur dafür, wann digitale Medien wofür und wie lange sinnvoll genutzt werden können und so das Miteinander (oder Nacheinander) von realer zu digitaler Mediennutzung kindgerecht gestalten können. Dafür sind viele Beispiele genannt, Fotos verdeutlichen die Ideen und betonen an verschiedenen Stellen, dass kleine Kinder zuerst die reale Welt möglichst mit allen Sinnen begriffen haben müssen, um eine sinnvolle Nutzung digitaler Medien verstehen zu können. Sicherlich ist dieser Abschnitt sehr gut auch für Eltern nutzbar, er verzichtet auf überflüssige fachsprachliche Ausflüge und setzt jeweils an Fragen an, die sich für sehr viele Eltern sehr häufig stellen dürften. Medien zur Sprachförderung - am Beispiel Wortschatz Medien zur Sprachförderung am Beispiel Grammatik Ergänzend dazu werden anschließend an zwei grundlegenden Bereichen der Sprachtherapie mit Kindern konkrete Methoden und Vorgehensweisen dargestellt, wie Kinder diesbezüglich spaßige und motivierende Hilfen bekommen können. Sie beginnen mit sehr kurz gehaltenen Informationen über die jeweiligen Grundlagen und Entwicklungsverläufe, die für alle Leser*innen gleichermaßen gut verständlich geschrieben sind. Vor allem im Bereich Grammatik werden dabei ganz konkrete Ideen vermittelt: welche realen, und vor allem nun aber auch digitalen Medien sind sinnvoll zu nutzen im Dienste der Satzbildung (vor allem: Verb-Zweitstellung) oder der Wortbildung (Genus, Numerus und Kasus)? Das insgesamt angenehm kompakt gehaltene Buch, das sicherlich bereits vor Beginn der Pandemie konzipiert und niedergeschrieben wurde, ist ein für mich äußerst positiver Beitrag zu einem kindgerecht maßvoll gehaltenen und gut begründeten Umgang mit digitalen Medien. Es gelingt den Autorinnen, eine interessante Lektüre zwischen Fachbuch und Elternratgeber zu bieten. Sie enthält eine Fülle gut umsetzbarer Anregungen sowohl für den fachlichen als auch für den häuslichen Bereich, mithilfe derer sprachliche Fähigkeiten, die viele Kinder schwer erlernen, sehr sinnvoll unterstützt werden können. Dr. Ulrike Wohlleben DOI 10.2378/ fi2022.art13d Friedrich Voigt Entwicklungsstörungen im Kleinkind- und Vorschulalter Beiträge zur Frühförderung interdisziplinär, Band 23 Reinhardt Verlag, 1. Aufl., 2021, 260 S., 17 Abb., 28 Tab., € 29,90 Was sind die Möglichkeiten und wo liegen die Grenzen von Früherkennung, Diagnosestellung und therapeutischen Herangehensweisen bei Entwicklungsstörungen im Kleinkind- und Vorschulalter? Dr. Friedrich Voigt, langjähriger leitender Psychologe im kbo-Kinderzentrum München, legt mit seiner Handreichung einen besonders praxisrelevanten Beitrag zur interdisziplinären Frühförderung bei Entwicklungsstörungen vor. Er diskutiert mögliche Verfahren und Vorgehensweisen, ordnet sie anhand der aktuell revidierten Diagnostikmanuale DSM-5 und ICD-11 ein und gibt klare Hinweise zur Umsetzung. 103 FI 2/ 2022 Rezensionen Damit tritt Dr. Voigt in einen aktuell in der Fachwelt geführten Dialog ein, in dem die Notwendigkeit von möglichst früh angesiedelter Früherkennung den Schwierigkeiten gegenübersteht, die eine Diagnostik in den ersten Lebensjahren aufgrund der Variabilität des Verlaufs sowie der Vielfalt der Komorbiditäten und Differentialdiagnosen mit sich bringt. Im Bewusstsein über dieses Spannungsfeld macht es der Autor den Anwendenden möglich nachzuvollziehen, wie und warum frühe Diagnostik von Entwicklungsstörungen dennoch möglich und notwendig ist und auf welche Weise sie für die betroffenen Familien hilfreich wirken kann. Dieses Buch eignet sich sehr gut dazu, die eigene Rolle unterschiedlicher pädagogischer oder gesundheitlicher Fachpersonen in einem solchen Früherkennungsprozess zu klären. Nützliche Übersichten über Entwicklungsziele und geeignete Testverfahren und aktuelle Forschungsergebnisse zum Thema werden vorgestellt, die den Verantwortlichen dabei helfen können, diese Rolle gewissenhaft zu erfüllen. Bereits in der Begriffsdefinition wird die Variabilität und die besonderen Verlaufsmerkmale von Entwicklungsstörungen im Kleinkind- und Vorschulalter betont, welche die Komplexität und Plastizität von Entwicklungsstörungen abbilden. Vor diesem Hintergrund beleuchtet der Autor die neue Diagnosestellung nach ICD-11 und DSM-5 und erläutert den dort neu etablierten Überbegriff der „entwicklungsneurologischen Störung“ („neurodevelopmental disorder“). Er zeigt auf, dass die neu revidierten Manuale den auftretenden Komorbiditäten, Überschneidungen und Veränderungen von Symptommerkmalen besser gerecht werden können als die Vorgängersysteme. So können auch die Teilhabeziele nach dem ICF- Manual auf die gestellte Diagnose bezogen werden, um die Systeme ergänzend zueinander zu nutzen. Als besonders wichtig für Frühfördernde werden die „Diagnostischen Ebenen in der Frühdiagnostik“ eingeführt und erläutert. Auf drei unterschiedlichen Ebenen werden die jeweils zuständigen Institutionen und die unterschiedlichen Zielperspektiven einander zugeordnet. In der „Basisdiagnostik“, der mittleren dieser Ebenen, arbeiten Kinderarzt und Frühförderung zusammen, wobei zuvor im „Screening“ auffällige Entwicklungsschwierigkeiten eingeordnet werden. Die Frage, ob und wann diese Basisdiagnostik in eine „umfassende, mehrdimensionale Bereichsdiagnostik “ in einem sozialpädiatrischen Zentrum überführt werden sollte oder in welchen Fällen die Überweisung dorthin zu beschleunigen wäre, wird mit einer Auflistung signifikanter Indikationen und ihrer Zusammenfassung in einer hilfreichen Tabelle beantwortet. Mit Bezug auf die veränderte Einordnung im ICD-11 werden im störungsspezifischen Teil die Erscheinungsformen und Merkmale der unterschiedlichen Formen der sog. entwicklungsneurologischen Störungen aufgeführt. Am Beginn jedes Kapitels erleichtert zumeist eine tabellarische Übersicht den Zugang, um dann anhand einer reichen Auswahl aktueller Studien und Literaturhinweise näher auf die Kennzeichen der jeweiligen Störung einzugehen. Der Autor betont die Notwendigkeit, dass die teilweise veränderlichen diagnostischen Merkmale sowie die altersspezifischen Erscheinungsformen wiederkehrenden Überprüfungen unterzogen werden müssen, um der individuellen Entwicklung des untersuchten Kindes gerecht zu werden. Zusätzlich gibt jedes Kapitel störungs- und anwendungsbezogene Hinweise zu Therapieprinzipien, die z. B. für Autismusspektrumsstörungen auf sehr hilfreiche Weise in Entscheidungsstrategien für die Behandlung im Vorschulalter gegliedert werden. So wird deutlich, welche Therapieansätze zu welchem Zeitpunkt von welcher Institution gut übernommen werden können und in welchen Fällen zusätzliche Maßnahmen angeraten erscheinen. Die besondere Rolle der Elternberatung und mögliche hilfreiche Inhalte werden jeweils störungsbezogen dargestellt und mit Empfehlungen des Autors aus der eigenen Praxis versehen. 104 FI 2/ 2022 Rezensionen Den Abschluss bilden „Systemische Behandlungsprinzipien“ und die (Rück-)Wirkungen des Verhaltens eines Kindes mit einer Entwicklungsstörung auf die Familie. Diese Sichtweise erweitert die diagnostische Perspektive und liefert Argumente und Handreichungen, wie individualisiert und familienorientiert an die Behandlung von Entwicklungsstörungen herangegangen werden kann. Insgesamt ist dieses Buch für die Interdisziplinäre Frühförderung ein sehr wertvoller Beitrag, um über eine Symptomsammlung hinaus auch mit einem umfassenden systemischen Verständnis an Entwicklungsstörungen, deren Ätiologie und besondere Kennzeichen heranzugehen. Der/ die Lesende gewinnt die Erkenntnis, dass gewissenhafte Diagnostik nicht darauf ausgelegt sein kann, abschließende und eindeutige Ergebnisse zu generieren, sondern interdisziplinär orientiert auch in der Behandlung individuell hilfreich wirken soll. Teresa Landwehrmann DOI 10.2378/ fi2022.art14d Eliane Retz, Christiane Stella Bongertz Wild Child Verlag Piper, 2. Auflage, 2021, 384 S., € 18,- Das Buch mit dem Subtitel „Entwicklung verstehen, Kleinkinder gelassen erziehen, Konflikte liebevoll lösen“ richtet sich an Bezugspersonen von Kleinkindern (1 - 5 Jahre), die bindungsorientiert erziehen wollen. Der Erziehungsratgeber wurde von Dr. Eliane Retz, Pädagogin und systemische Beraterin, und von Christiane Stella Bongertz, Autorin und Kommunikationswissenschaftlerin, geschrieben. Trotz seiner fast 400 Seiten ist der Erziehungsratgeber sowohl für Fachpersonal als auch für Laien wohldosiert, was Theorie und Praxis anbelangt. Besonders Leser*innen-freundlich sind die Minutenangaben für die einzelnen Kapitel. Diese schaffen eine hilfreiche Struktur für alle Personen, die sich ihre Lesezeit einteilen wollen oder müssen. Das Buch ist in drei Teile gegliedert: Der erste Teil behandelt Bindung und wissenschaftliche Erkenntnisse der Bindungsforschung, leicht verdaulich aufbereitet, sodass auch Laien einen guten Überblick bekommen. Bindungsstile, Bindung versus Autonomiebestreben, Bindungspersonen, Bindungsmerkmale, all diese Komponenten werden beleuchtet und miteinander in Zusammenhang gebracht. Auch wird das Geheimnis des Buchtitels gelüftet. Bei „Wild Child“ mögen viele Leser*innen an ein wildes Kind denken, also an ein Kind, welches ungestüm und unangepasst agiert. Die Autorinnen finden den Begriff passend, da Kleinkinder evolutionär bedingt neugieriges, exploratives und nach Autonomie strebendes Verhalten zeigen, welches im gesellschaftlichen Kontext von Erwachsenen nicht immer als angemessen empfunden wird. Vor allem während der Autonomiephase, die etwa mit 1,5 Jahren beginnen kann, kann man dieses „wilde“ Verhalten als erziehende Person zu spüren bekommen. Die in diesem Buch beschriebene bindungsorientierte Erziehung heißt diese Form der Wildheit willkommen und begegnet ihr mit Verständnis und bindungsförderlichem, grenzsetzenden Verhalten. Um Grenzen Setzen geht es dann auch im zweiten Teil: Dieser setzt sich mit der Rolle der Eltern/ Bezugspersonen auseinander. Er lässt die Bezugspersonen über ihre eigenen Bindungserfahrungen nachdenken und darüber, welche Erfahrungen sie mit Erziehung gemacht hat. Auch beinhaltet