Frühförderung interdisziplinär
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0721-9121
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/fi2022.art11d
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Aus der Praxis: Schulstarthelfer
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Norbert Hanke
Philip Minkenberg
Bereits in der „Frühförderung interdisziplinär“ Ausgabe 1/2018, wurde über das Projekt „Schulstarthelfer“ berichtet. Dieser erste Teil beinhaltete eine ausführliche Projektbeschreibung und Angaben zum Umfang der Förderung der Kinder in pädagogischen und medizinisch-therapeutischen Behandlungseinheiten pro Jahr. Des Weiteren wurde eine Beschreibung der beteiligten Kinder (Intelligenzleistung nach K-ABC) und Angaben über ihre Familien, Spezifizierung der Fördermaßnahmen, Schulempfehlungen für die Kinder durch MitarbeiterInnen in Kindertagesstätten versus Interdisziplinäre Frühförderstellen (IFS), Tätigkeitsfelder des Schulstarthelfers (Beratung, direkte Unterstützung des Kindes und Netzwerkarbeit), Kontakte des Schulstarthelfers zu Familien, pädagogischem Fachpersonal in Kitas, Schulen und zu den Integrationshelfern u.v.a. vorgenommen. Das Projekt basierte zu Beginn auf einer Förderung durch die „Aktion Mensch“. Die Anschlussfinanzierung erfolgt dankenswerterweise seit November 2020 bis Februar 2022 durch das Bayerische Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales.
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89 Frühförderung interdisziplinär, 41.-Jg., S.-89 - 95 (2022) DOI 10.2378/ fi2022.art11d © Ernst Reinhardt Verlag AUS DER PRAXIS Schulstarthelfer Von der Frühförderung in die Schule - Fortsetzung des Projekts der Interdisziplinären Frühförderung der Lebenshilfe im Nürnberger Land e.V. Norbert Hanke, Philip Minkenberg Bereits in der „Frühförderung interdisziplinär“ Ausgabe 1/ 2018, wurde über das Projekt „Schulstarthelfer“ berichtet. Dieser erste Teil beinhaltete eine ausführliche Projektbeschreibung und Angaben zum Umfang der Förderung der Kinder in pädagogischen und medizinisch-therapeutischen Behandlungseinheiten pro Jahr. Des Weiteren wurde eine Beschreibung der beteiligten Kinder (Intelligenzleistung nach K-ABC) und Angaben über ihre Familien, Spezifizierung der Fördermaßnahmen, Schulempfehlungen für die Kinder durch MitarbeiterInnen in Kindertagesstätten versus Interdisziplinäre Frühförderstellen (IFS), Tätigkeitsfelder des Schulstarthelfers (Beratung, direkte Unterstützung des Kindes und Netzwerkarbeit), Kontakte des Schulstarthelfers zu Familien, pädagogischem Fachpersonal in Kitas, Schulen und zu den Integrationshelfern u. v. a. vorgenommen. Das Projekt basierte zu Beginn auf einer Förderung durch die „Aktion Mensch“. Die Anschlussfinanzierung erfolgt dankenswerterweise seit November 2020 bis Februar 2022 durch das Bayerische Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales. 1. Projektergebnisse 1.1 Einrichtung einer Planstelle „Schulstarthelfer“ Auf der Basis der sechsjährigen Erfahrungen mit dem Konzept „Schulstarthelfer“ der IFS der Lebenshilfe Nürnberger Land wurde eine Planstelle nach folgenden Kriterien eingerichtet: Betreuung von 50 - 60 Kindern; der zeitliche Aufwand der Unterstützung in Stunden variiert zwischen dreimal wöchentlich bis zu einer Unterstützung alle zwei Monate pro Kind. Die Begleitung durch den Schulstarthelfer ist ein individueller Prozess und allein an den Bedürfnissen des individuellen Kindes und seiner Familie ausgerichtet. 1.2 Schwerpunktgruppen begleiteter Kinder Aus der Erfahrung der letzten Jahre des Projekts „Schulstarthelfer“ ließen sich aus fachlicher Sicht vier Gruppen von Kindern mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen bilden. Sie werden nachfolgend nach ihrer Häufigkeit benannt: 1. Kinder mit sozial-emotionalen Schwierigkeiten (u. a. Anpassungs- und Regulationsstörungen) 2. Kinder mit Bildungsnachteilen 3. Kinder mit Störungen in der Hörverarbeitung 4. Kinder mit einer geistigen und/ oder körperlichen Behinderung. Die Schwerpunktgruppen 1, 3 und 4 sind bereits in der Publikation Ausgabe 1/ 2018 näher beschrieben worden. Die Gruppe 2 mit den bildungsbenachteiligten Kindern wurde im Jahr 2021 in das Projekt neu aufgenommen und wird daher hier kurz skizziert. n Bildungsferne Familien, Familien mit Mehrsprachigkeit und/ oder Migrationshintergrund n Kinder eines psychisch kranken Elternteils 90 FI 2/ 2022 Aus der Praxis n Kinder, deren IQ-Ergebnisse im unteren Segment des Normbereichs liegen. Dieser Aspekt war bedeutsam, da „unsere“ Frühförderkinder in der Schule auf Kinder mit eher höheren IQ- Werten treffen. Dadurch könnte die schulische Teilhabe der Frühförderkinder eingeschränkt sein. Die Unterstützung des Schulstarthelfers soll die schulische Chancengleichheit fördern (Inklusion). 1.3 Gruppenangebote Seit 2021 wurde das methodische Angebot des Schulstarthelfers um die Gruppenarbeit erweitert. Die Kinder mit sozial-emotionaler Entwicklung und Kinder mit Störungen in der Hörverarbeitung wurden in Form von Minigruppen aus jeweils zwei Kindern begleitet. Der Förderzeitraum umfasst im Vorschuljahr sechs Begleitstunden zu je 60 Minuten. Dazu erhalten die Eltern ein individuelles „Coaching“ zu den Inhalten dieser Stunden. Die einzelnen Sitzungen bauen aufeinander auf. So erhalten Kinder mit impulsiv-oppositionellem Verhalten gezielt Förder-Maßnahmen zur Entwicklung von prosozialem, reflexivem und selbstregulativem Verhalten (Wagner 2016, Meichenbaum und Goodman 1971). Bei der Gruppe der Kinder mit Störungen in der Hörverarbeitung wird das Gruppenangebot zur Verbesserung der Hörverarbeitung und Hörwahrnehmung gemeinsam mit einer Logopädin durchgeführt. Dieses von den Eltern und Lehrern gut angenommene Angebot der Gruppenförderung soll in 2022 weiter ausgebaut werden. 1.4 Diagnostisches Inventar Das Verhaltensinventar Fragebogen „Brief-P“ (Daseking und Petermann 2013) wird zur Einschätzung für die Schwerpunktgruppe mit Anpassungs- und Regulationsstörungen angewendet. Der Fragebogen “Brief-P“ wird für den Vorschulbereich genutzt und die Verhaltenseinschätzung „Brief“ hilft Eltern und Lehrkräften die Kompetenzen des Schülers im Schulbereich einzuordnen. Frühförderkinder im Schulstarthelferprozess werden im Vorschuljahr mit dem WPPSI-IV nachgetestet. Diese Nachtestung liefert vor der Einschulung wichtige Daten und Vorhersagen zum späteren schulischen Lernerfolg im Unterricht und in Hausaufgabensituationen. Die dazugehörige Literatur findet sich in: 2. Schulstarthelfer als Qualitätsinstrument Neben dem hohen Wert des Schulstarthelfers für die Integration der individuell begleiteten Kinder in das Schulsystem ergibt sich eine weitere entscheidende Qualitätsverbesserung für die originäre Förderung bei Kindern mit vergleichbaren Störungsbildern in der IFS. Hierbei handelt es sich ohne Zweifel um einen wichtigen feedbackgesteuerten Qualitätsentwicklungsprozess. Durch die fortlaufende Rückmeldung des Schulstarthelfers aus dem Schulalltag an das Frühförderteam des ehemaligen Frühförderkindes können zukünftige Förderprozesse bei vergleichbaren Störungsbildern zielgenauer angepasst werden. Daraus ist für die IFS ein effektives Qualitätssicherungssystem entstanden. Diese Form der Rückmeldung findet vier Wochen nach Einschulung statt. Sie erfolgt innerhalb der wöchentlichen Teamsitzungen für das gesamte Frühförderteam und/ oder die zuständigen Therapeutinnen und Pädagoginnen in Kleinteams. Dieses innovative Konzept des Schulstarthelfers unterstreicht wieder einmal, in welch hohem Maße die Interdisziplinäre Frühförderung als ein inklusives System für Kinder mit Behinderungen und Beeinträchtigungen anzusehen ist. 3. Netzwerkarbeit Der Aufbau eines überregionalen Netzwerkes für das Projekt SSH (Inklusionskreis Schulamt, Arbeitskreis Schule Psychiatrie des Landratsamtes) hat sich als effektiv erwiesen. Für den Aufbau eines spezifischen Netzwerkes Schulstarthelfer wurde 91 FI 2/ 2022 Aus der Praxis viel Zeit investiert. Ziel war es, sich mit bestehenden anderen Diensten zu vernetzen, Konkurrenzsituationen zu vermeiden und kindbezogene Fördermaßnahmen gemeinsam effektiver zu planen und umzusetzen. Im Kontext all dieser unterschiedlichen Konzepte erbringt die IFF als zentrale Ansprech- und Koordinierungsstelle bei der Förderung der Kinder, der Kooperation mit den Familien und Institutionen auf unbürokratische Weise bedeutsame Leistungen zur unmittelbaren interdisziplinären Kindförderung - verbunden mit der Realisierung weiterer inklusionsförderlicher Maßnahmen zur Stärkung der gesellschaftlichen Teilhabe der Frühförderkinder. 4. Inhalte und Prozesse Für das Modellprojekt „Schulstarthelfer“ wird seit Oktober 2021 im Auftrag des Bayerischen Staatsministeriums für Arbeit, Familie und Soziales eine Evaluation durchgeführt. Ziel ist es, die Qualität und Wirksamkeit des Konzepts „Schulstarthelfer“ mit Blick auf die Integration/ Inklusion der Kinder aus den IFS in das Schulsystem wissenschaftlich zu bewerten. Aus unserer Praxiserfahrung lassen sich in einem ersten Schritt Inhalte und Prozesse sowie die Qualität der Leistungen im Projekt für Kinder, Eltern und Lehrkräfte folgenderweise beschreiben: Kinder Vom individuellen Entwicklungsstand des Kindes ausgehend wird systematisch der Übergangsprozess IFF - Schule geplant. Dieser wird mit Eltern, Mitarbeiterinnen der Kindertagesstätten und den entsprechenden Kolleginnen der Frühförderstelle abgestimmt - alle Akteure sind in diesen Prozess miteinbezogen. Auf dieser Grundlage werden weitere Maßnahmen geplant und umgesetzt. Die Teilhabe der Kinder am Übergang wird durch eine individuelle Begleitsituation nach Einschätzung durch den ICF-CY gestärkt. Der Förderprozess in der IFS wird durch das Methodenrepertoire des Schulstarthelfers ergänzt. Dies geschieht auf der Grundlage des ICF-CY: Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit - Behinderung/ Gesundheit bei Kindern und Jugendlichen. Eltern In einem ersten Beratungsangebot im Zusammenhang mit der Einschulung erhalten die Eltern vom Schulstarthelfer Informationen zu den Unterstützungsmöglichkeiten in der Vorschule und in den ersten Schulwochen. Dabei wird ressourcenorientiert mit den Eltern besprochen, welche Hilfeangebote sie bereits nutzen und in welchen Bereichen der Schulstarthelfer sie mit Blick auf die Stärkung der kindlichen Teilhabe im Kontext des Schulbesuchs noch nachhaltig unterstützen kann. Zu diesen Fragen findet nach telefonischer Vereinbarung ein persönliches Gespräch mit den Eltern in den Räumen der Frühförderstelle der Lebenshilfe Nürnberger Land statt. Nach dieser Kennenlernphase plant der Schulstarthelfer mit den Eltern und den involvierten Therapeutinnen die letzten Monate der Förderung des Kindes in der IFS bis zum Schuleintritt. Die Beratung der Eltern beinhaltet: n Beratung über Schulformen und priorisierte Schultypen n Beratung über weitere Hilfen: externe Therapien, Kinder- und Jugendarzt oder schulische Hilfen wie „Schulbegleitung“ n Unterstützung bei der Organisation des zukünftigen Hausaufgabenplatzes des Kindes n Begleitung der Familien bei Infoveranstaltungen oder Hospitationen in der von den Eltern gewünschten Schule. n Parallel zum aktuellen Förderprozess erhalten die Eltern zusätzliche Informationen zu Tagesbetreuungsplätzen wie Ganztag, Hort oder Mittagsbetreuung. n Weitere Beratungsinhalte für Familien können sein: Schulwegplanung, Vorbereitung auf Lehrergespräche. Die Fundamente der Arbeit bilden auch hier die Methodeninstrumente des erwähnten „Münchner Trainingsmodells“ (nach Innerhofer 1977) und die „Erziehungsberatung“ nach Marte Meo. 92 FI 2/ 2022 Aus der Praxis Schule Erstkontakt des Schulstarthelfers zur Schule Jedes Jahr finden im August an den Schulen die Lehrerkonferenzen statt. Zu diesen Konferenzen wird der Schulstarthelfer von der Schulleitung eingeladen, um die Kooperation für das kommende Schuljahr zu besprechen. Die jeweiligen Lehrkräfte des Kindes sind zugleich die Kooperationspartner des Schulstarthelfers. In Zeiten der Pandemie fanden durchschnittlich zwei Kontakte zu Lehrkräften statt. Bei 50 betreuten Erstklässler: innen für das Schuljahr 2020/ 21 sind damit 100 Gespräche via TEAMS, ZOOM oder Telefon im ersten Schulhalbjahr durchgeführt worden. Die Anzahl der Gespräche weicht daher nur geringfügig von den Schulkontakten vor der Pandemie ab. Was auf die technische Ausstattung der Frühförderung durch Mobiltelefon, Tablet und Webcam zurückzuführen ist. Weitergabe der Ergebnisse aus der IFS an die Lehrkräfte Zu Schulbeginn vereinbart der Schulstarthelfer einen gemeinsamen Termin mit Eltern und Lehrkräften. Das Erstgespräch findet in der Schule innerhalb der ersten vier Wochen statt. Die Inhalte des Gespräches sind: n Ressourcen des individuellen Kindes und der Familie n Übergabe der Ergebnisse der einzelnen Fachbereiche Ergotherapie, Logopädie, Physiotherapie und Heilpädagogik im Erstgespräch mit Lehrerin, Elternteil mündlich. Weitere Informationen bei Bedarf in schriftlicher Form. Testergebnisse KABC-II, WIPPSI-IV, Brief-P-Verhaltensfragebogen Eltern. n Das didaktische Arbeiten der Lehrerin kann durch die Information der Frühförderinhalte passgenauer auf das Kind abgestimmt werden. n Rückmeldung von Schulstarthelfer (Kleingruppenarbeit Regulationsstörungen und kognitive Arbeitsstile) (Lehrkräfte hatten sich 2020 gewünscht, mehr aus der methodischen Arbeit der Frühförderung zu erfahren). Der Schulstarthelfer hat daraufhin die Inhalte der Förderung in der Übergangsphase angepasst. n Drei Monate nach Einschulung findet eine Einschätzung der exekutiven Funktionen des Kindes statt. Dafür teilt der Schulstarthelfer den Fragebogen „Brief“ (Drechsler und Steinhausen 2019) an die Lehrkraft aus. Die Ergebnisse des Fragebogens dienen dem Schulstarthelfer als weiteres Einschätzungsinstrument, um die Begleitung des Kindes in der Schule individuell anzupassen und mit der Lehrkraft zu planen. Zusammenarbeit Eltern - Schulstarthelfer - Lehrkraft Die weitere Zusammenarbeit in der Trias Schulstarthelfer, Schule und Elternhaus wird im Erstgespräch auf ein individuelles Intervall von 1 - 4-mal pro Monat festgelegt. Die Ziele aus dem Erstgespräch werden im November nach Einschulung überprüft und angepasst. Nach individuellem Bedarf eines Kindes kann der Schulstarthelfer jederzeit weitere Besuche in der Schule planen und mit der jeweiligen Lehrkraft kooperieren. Beendigung der Zusammenarbeit Die Zusammenarbeit von Schule, Elternhaus und Schulstarthelfer wird beendet, n wenn Elternhaus und Schule den Schuleinstieg des Kindes als erfolgreich bewerten n wenn das Kind in die Klasse integriert ist und Freunde gefunden hat n wenn das Kind gerne zur Schule geht und Spaß beim Lernen hat n wenn Klassenleitung und Schulstarthelfer notwendige schulische Dienste (Schulberatung, Mobiler Sonderpädagogischer Dienst, Förderlehrkraft, Schulsozialarbeit) zur Unterstützung angefordert haben 93 FI 2/ 2022 Aus der Praxis n wenn Eltern und Kind in der Hausaufgabensituation gut organisiert sind bzw. die Zusammenarbeit Lehrkraft - Elternhaus von ihnen als gut bewertet wird (aus heutiger Erfahrung ist die Zusammenarbeit der beiden maßgeblich für die Lernbereitschaft und Schulerfolg des Kindes. n aus anderen Gründen (z. B. Wegzug der Familie) Die Zusammenarbeit wird nicht beendet, wenn das Kind während der ersten Klasse die Schule/ Schulform innerhalb des Nürnberger Landes wechselt. Fazit Die Erfahrungen der letzten sechs Jahre des Projekts „Schulstarthelfer“ lassen eine Reihe wichtiger und für die Integration der Frühförderkinder in das Schulsystem positiver Wirkfaktoren erkennen. n Die Übergänge für Kinder aus bildungsschwachen Familien können bedarfsgerechter gelingen und so kann die Integration in die Grundschule effektiver vorbereitet werden. n Nach Ende der Interdisziplinären Frühförderung haben die Eltern im Schulstarthelfer einen flexiblen Ansprechpartner, auf den sie entsprechend des individuellen Bedarfs jederzeit zurückgreifen können. n Die Zusammenarbeit von Elternhaus und Interdisziplinärer Frühförderung verbessert sich in der Regel, da sie zeitlich länger andauert und durchwegs konstanter ist. Die Schulen erhalten durch den Schulstarthelfer erstmalig einen fachlichen und den schulischen Förderprozess der Kinder stärkenden Kontakt zur Institution „Frühförderung“. Durch diese konkrete kind- und familienbezogene Kooperation bekommen die Schulen systematisch geplante und nachhaltige Informationen und Einblicke in das methodische Arbeiten in der Interdisziplinären Frühförderung, wodurch ein erfolgreicher Integrationsprozess der Kinder aus den IFS in die Grundschule signifikant erleichtert wird. Zugleich wird durch die neu etablierte fachliche Beziehung die Schule ein wichtiger Teil des Netzwerks der Interdisziplinären Frühförderung. Folglich verändert sich in einem wechselseitigen Prozess nicht nur die Sichtweise der Lehrerinnen, sondern auch das methodische Arbeiten in der Frühförderung. Durch die vom Schulstarthelfer gebildeten Schwerpunktgruppen werden bereits zu einem frühen Zeitpunkt gezielt schulangepasste wichtige Lernerfahrungen der Kinder ermöglicht. Die verstärkte Kooperation der IFS mit Eltern und Lehrerinnen erleichtert wesentlich auch den so bedeutsamen Schritt des Übergangs vom Lernkontext Frühförderung zum neuen Lernkontext Schule. Die Bildung immer neuer Schwerpunktgruppen - basierend auf Erfahrungen des Schulstarthelfers - systematisiert und intensiviert fortlaufend diesen Prozess des Übergangs. Detailauswertungen des Projekts lassen erkennen, dass Frühförderkinder, die bei Entwicklungstests Werte im unteren Normbereich aufweisen, größere Schwierigkeiten in den exekutiven Funktionen zeigen, wie z. B. bei planerischen Fähigkeiten, beim selbstständigen Arbeiten, bei der Fokussierung der Aufmerksamkeit wie auch bei der Impulssteuerung und bei zentralen Aspekten der Selbstregulation. Das Konzept des Schulstarthelfers ermöglicht zudem eine frühe und genauere Analyse der schulbezogenen Leistungsfähigkeit der Kinder. Es zeigt sich, dass die Gruppe mit Beeinträchtigungen in den exekutiven Funktionen mittlerweile den höchsten Anteil bei den oben genannten vier Zielgruppen repräsentiert. Kinder und Eltern dieser Gruppe benötigen aufgrund der Ergebnisse dieses Projekts die umfangreichste Vorbereitung und Begleitung im Übergang und späteren Schulalltag. Der Schulstarthelfer trägt somit entscheidend zu einer substanziellen Verbesserung 94 FI 2/ 2022 Aus der Praxis der Bildungschancen dieser Kinder bei; von Beginn an zu größerem Erfolg in der Grundschule als Voraussetzung für die Stärkung aller zukünftigen Lernprozesse und nicht zuletzt generell zu einer umfassenderen gesellschaftlichen Teilhabe dieser Frühförderkinder. Ausblick Wir sehen den Dienst „Schulstarthelfer“ als ein wichtiges Projekt für die Interdisziplinären Frühförderstellen an. Er soll nicht nur für Schulen und Kindergärten eine neue Hilfestellung sein; sondern als innovative Entwicklung liefert der neue Dienst auch wichtige Hinweise aus dem konkreten Schulalltag zurück in den laufenden Frühförderprozess. Mit dem Konzept des Schulstarthelfers wird in der Interdisziplinären Frühförderung in Bayern eine Lücke geschlossen, die seit jeher beim Übergang der Kinder aus der IFF zur Schule bestanden hat. Auch auf internationaler Ebene wird stets kritisch reflektiert, dass die Frühfördersysteme in den meisten Ländern abrupt vor dem Schulbeginn enden und den Kindern nicht ihre bestmöglichen Chancen zum schulischen Lernen erleichtert werden (Odom 2003). Mit dem Modellprojekt des Schulstarthelfers wird in Bayern diese bedeutsame Lücke geschlossen. Aus vielen hier diskutierten Gründen ist dies zu begrüßen, denn das Konzept des Schulstarthelfers bildet ohne Zweifel eine wertvolle Weiterentwicklung des Leistungsspektrums der Interdisziplinären Frühförderung für Kinder mit Behinderungen und Entwicklungsverzögerungen und ihre Familien. Das Konzept des Schulstarthelfers ist insbesondere auch als ein weiterer Baustein anzusehen, welcher die inklusionsförderliche Arbeit der IFF transparent macht. Das innovative Potenzial dieses Ansatzes besteht u. a. darin, dass die inklusionsorientierte Teilhabeförderung in der frühsten Kindheit bereits im Konzept der Interdisziplinären Frühförderung verankert wird. Der Schulstarthelfer macht einen erfolgreichen Übergang der Frühförderkinder in die Schule in vielen Fällen erst möglich. Das Konzept stellt mit seinen vielfältigen Feedbackschleifen sozusagen ein modernes Regelkreissystem dar: zum einen unterstützt der Schulstarthelfer unmittelbar die Integration des Kindes in das Schulsystem. Zum anderen beeinflusst sein neu erworbenes Wissen und seine vielschichtigen Erfahrungen als Schulstarthelfer über den Integrationsprozess der Kinder in den täglichen Schulalltag natürlich auch die Förderziele und -methoden in der Arbeit in der IFF selbst. Unserer Meinung nach werden die Ergebnisse der zurzeit durchgeführten wissenschaftlichen Begleitung des Projekts zeigen, wie wertvoll der Dienst „Schulstarthelfer“ für das einzelne Kind unter dem Aspekt der schulischen Chancengleichheit und der Bildungsteilhabe ist. Die IFS der Lebenshilfe Nürnberger Land bedankt sich bei allen am Modellprojekt beteiligten Institutionen: dem Bayerischen Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales, der Arbeitsstelle Frühförderung Bayern und dem Landesverband Bayern der Lebenshilfe, die uns stets bei der Umsetzung des Projekts nachhaltig unterstützt haben. Im Besonderen möchten wir uns bei den Landtagsabgeordneten ND und Thomas Huber bedanken, die uns in allen Phasen des Projekts stark unterstützt und uns immer wieder motiviert haben weiterzumachen. Norbert Hanke Fachbereichsleitung Interdisziplinäre Frühförderstelle der Lebenshilfe Nürnberger Land e.V. Hersbrucker Str. 17 91207 Lauf a. d. Pegnitz E-Mail: norbert.hanke@lh-nla.de Philip Minkenberg Schulstarthelfer Interdisziplinäre Frühförderstelle der Lebenshilfe Nürnberger Land e.V. Hersbrucker Str. 17 91207 Lauf a. d. Pegnitz E-Mail: philip.minkenberg@lh-nla.de 95 FI 2/ 2022 Aus der Praxis Literatur Daseking, M., Petermann, F. (2013): Brief-P, Verhaltensinventar zur Beurteilung exekutiver Funktionen für das Kindergartenalter. Hans Huber, Bern Drechsler, R., Steinhausen, H.-C. (2019): Brief Verhaltensinventar zur Beurteilung exekutiver Funktionen. Hogrefe, Bern Innerhofer, P. (1977): Münchner Trainingsmodell - Beobachtung Interaktionsanalyse Verhaltensänderung. Springer, Berlin Meichenbaum, D., Goodmann, J. (1971): Kognitive Verhaltensmodifikation, Urban und Schwarzenberg, München Odom, S. L., Hanson, M. J., Blackman, J. A., Kaul, S. (2003) (Hrsg.): Early Intervention practices around the world. Baltimore, Brookes Publishing Wagner, I. (2016): Aufmerksamkeitstraining mit impulsiven Kindern. Klotz, Magdeburg Wechsler, D. (2018): WPPSI-IV: Wechsler Preschool and Primary Scale of Intelligence - Fourth Edition, 1. Aufl., Bearbeiter der deutschen Fassung: F. Petermann und M. Daseking. Pearson a www.reinhardt-verlag.de Renate Walthes Einführung in die Pädagogik bei Blindheit und Sehbeeinträchtigung 4., akt. Auflage 2022. 256 Seiten. 31 Abb. 11 Tab. 22 Aufgaben. utb-M (978-3-8252-5832-0) kt Förderschwerpunkt Sehen Wie verändert sich die Wahrnehmung von Menschen, deren Sehvermögen beeinträchtigt ist und wie können diese Menschen am besten gefördert werden? Dieses Lehrbuch führt systematisch und anschaulich in die Pädagogik bei Blindheit und Sehbeeinträchtigung ein. Die Autorin gibt einen Überblick über physiologische, neurowissenschaftliche und kognitive Grundlagen des Sehens und schildert Ursachen, Entstehung, Formen und Epidemiologie von Sehbeeinträchtigungen.
