eJournals Frühförderung interdisziplinär 42/4

Frühförderung interdisziplinär
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0721-9121
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/fi2023.art19d
101
2023
424

Aktuelle Fachdiskurse: Interventionen im frühen Kindesalter und ihre gesetzlichen Grundlagen

101
2023
Torsten Schaumberg
Eine Antwort auf die Frage „Quo vadis, Frühförderung?“ lässt sich sinnvoll nur dann finden, wenn der aktuelle Standort der Frühförderung als Ausgangspunkt definiert ist. Mit dem vorliegenden Beitrag soll daher eine rechtliche Standortbestimmung der Frühförderung im Rahmen des Systems der Interventionen im frühen Kindesalter versucht werden. Im Beitrag werden die Normwerke benannt und konkretisiert, in denen sich einschlägige Regelungen mit Bezügen zu frühkindlichen Interventionen aufweisen. Diese werden in der für einen derartigen Beitrag erforderlichen knappen Form vorgestellt. Aufgrund der besonderen Komplexität und des 2024 erfolgenden Inkrafttretens des SGB XIV wird das Recht der sozialen Entschädigung in diesem Beitrag nicht berücksichtigt. Besondere Bedeutung kommt der Frühförderung als Rehabilitations- und Teilhabeleistung und ihrer Einbettung in das gegliederte System des Rehabilitationsrechts zu, das ebenfalls kurz erläutert wird.
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175 Frühförderung interdisziplinär, 42.-Jg., S.-175 - 183 (2023) DOI 10.2378/ fi2023.art19d © Ernst Reinhardt Verlag AK TUELLE FACHDISKURSE Interventionen im frühen Kindesalter und ihre gesetzlichen Grundlagen Prof. Dr. Torsten Schaumberg Hochschule Nordhausen 1. Einleitung E ine Antwort auf die Frage „Quo vadis, Frühförderung? “ lässt sich sinnvoll nur dann finden, wenn der aktuelle Standort der Frühförderung als Ausgangspunkt definiert ist. Mit dem vorliegenden Beitrag soll daher eine rechtliche Standortbestimmung der Frühförderung im Rahmen des Systems der Interventionen im frühen Kindesalter versucht werden. Im Beitrag werden die Normwerke benannt und konkretisiert, in denen sich einschlägige Regelungen mit Bezügen zu frühkindlichen Interventionen aufweisen. Diese werden in der für einen derartigen Beitrag erforderlichen knappen Form vorgestellt. Aufgrund der besonderen Komplexität und des 2024 erfolgenden Inkrafttretens des SGB XIV wird das Recht der sozialen Entschädigung in diesem Beitrag nicht berücksichtigt. Besondere Bedeutung kommt der Frühförderung als Rehabilitations- und Teilhabeleistung und ihrer Einbettung in das gegliederte System des Rehabilitationsrechts zu, das ebenfalls kurz erläutert wird. Interventionen im frühen Kindesalter sollen nach hier vertretener Auffassung dazu dienen, noch nicht eingeschulten Kindern durch Leistungen an sie oder ihre Eltern eine gesunde Entwicklung und ein gewaltfreies Aufwachsen zu ermöglichen. Ein Gesetz, das sämtliche Regelungen zu so verstandenen frühkindlichen Interventionen enthält, gibt es nicht und kann es wohl aufgrund der Komplexität des Themas auch nicht geben. Vielmehr finden sich derartige Regelungen in einer Vielzahl unterschiedlicher Gesetze und Verordnungen. Wollte man diese Regelungen systematisieren, so dürfte eine Systematik am zielführendsten sein, die danach unterscheidet, ob die Regelungen zu frühkindlichen Interventionen der Rehabilitation und Teilhabe von Kindern mit (drohenden) Behinderungen dienen sollen oder ob sie andere Ziele verfolgen. Dies kann aber, da die Zielrichtungen von Normen durchaus verschiedene Ziele verfolgen können, nur eine grobe Systematisierung sein, auf die die nachfolgenden Betrachtungen gleichwohl aufbauen. 2. Gesetzliche Regelungen mit Bezügen zu frühkindlichen Interventionen außerhalb des Systems von Rehabilitation und Teilhabe Gesetzliche Regelungen zu Interventionen im frühen Kindesalter außerhalb des Systems von Rehabilitation und Teilhabe von Kindern mit (drohenden) Behinderungen zeichnen sich dadurch aus, dass ihre Zielrichtung nicht primär darauf gerichtet ist, deren Selbstbestimmung und ihre volle, wirksame und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu fördern, Benachteiligungen zu vermeiden oder ihnen entgegenzuwirken (vgl. § 1 S. 1, § 4 Abs. 1 SGB IX). Zu denken ist hier an nicht rehabilitationsbezogene Leistungen nach dem SGB VIII (Kinderu. Jugendhilferecht), dem SGB V (Krankenversicherungsrecht), an Leistungen der Frühen Hilfen (KKG) und an Angebote nach dem Schwangerschaftskonfliktgesetz. 176 FI 4/ 2023 Torsten Schaumberg a. Leistungen nach dem SGB VIII Aufgabe der Jugendhilfe ist es nach § 1 Abs. 3 Nr. 1, 3 u. 4 SGB VIII insbesondere, junge Menschen in ihrer individuellen und sozialen Entwicklung zu fördern und dazu beizutragen, Benachteiligungen zu vermeiden oder abzubauen, Eltern und andere Erziehungsberechtigte bei der Erziehung zu beraten und zu unterstützen und Kinder und Jugendliche vor Gefahren für ihr Wohl zu schützen. Für die Erfüllung dieser vielfältigen Aufgaben steht der Jugendhilfe ein umfangreiches Instrumentarium an Leistungen zur Verfügung, das nicht speziell auf Kinder im frühen Kindesalter zugeschnitten ist, diese aber regelmäßig umfasst. Junger Mensch ist nämlich nach der Definition des § 7 Abs. 1 Nr. 4 SGB VIII, wer noch nicht 27 Jahre alt ist. Besondere Bedeutung dürfte im Rahmen der frühkindlichen Interventionen - lässt man die „harte“ Intervention der Inobhutnahme nach § 42 SGB VIII und die Hilfen zur Erziehung nach §§ 27ff. SGB VIII außer Betracht - den Leistungen der allgemeinen Förderung der Erziehung in der Familie (§ 16 SGB VIII) und der Betreuung und Versorgung des Kindes in Notsituationen (§ 20 SGB VIII) zukommen. Zu den Leistungen zur Förderung der Erziehung in der Familie zählen nach § 16 Abs. 2 S. 1 SGB VIII insbesondere Angebote der Familienbildung, die auf Bedürfnisse und Interessen sowie auf Erfahrungen von Familien in unterschiedlichen Lebenslagen und Erziehungssituationen eingehen, die Familien in ihrer Gesundheitskompetenz stärken, die Familien zur Mitarbeit in Erziehungseinrichtungen und in Formen der Selbst- und Nachbarschaftshilfe besser befähigen, zu ihrer Teilhabe beitragen sowie junge Menschen auf Ehe, Partnerschaft und das Zusammenleben mit Kindern vorbereiten, ferner Angebote der Beratung in allgemeinen Fragen der Erziehung und Entwicklung junger Menschen. Innerhalb dieser Leistungen lassen sich auch für frühkindliche Bedarfe zielgerichtete Hilfen verorten. Wichtig ist dem Gesetzgeber hierbei gem. § 16 Abs. 2 S. 2 SGB VIII die Entwicklung vernetzter, kooperativer, niedrigschwelliger, partizipativer und sozialraumorientierter Angebotsstrukturen. Für Familien, die von sozialer Ausgrenzung bedroht sind, ist nach seiner Auffassung gerade ein niedrigschwelliger Angebotszugang von zentraler Bedeutung. Die Betonung der partizipativen Angebotsgestaltung unterstreicht eines der Grundparadigmen des Kinder- und Jugendhilferechts: Die Stärkung der Subjektstellung der Adressatinnen und Adressaten der Kinder- und Jugendhilfe (vgl. BT-Drs. 19/ 28870, S. 91). Auch bei den Leistungen zur Betreuung und Versorgung des Kindes in Notsituationen kommt niedrigschwelligen und unmittelbar in Anspruch zu nehmenden Angeboten eine besondere Bedeutung zu, was durch § 20 Abs. 3 S. 1 SGB VIII ausdrücklich betont wird. Durch diese Regelung soll sichergestellt werden, dass der örtliche Träger der öffentlichen Jugendhilfe auch dann zur Kostenübernahme ohne seine vorherige Prüfung und Bewilligung verpflichtet ist, wenn der Leistungsberechtigte eine Hilfe unmittelbar in Anspruch genommen hat (vgl. BT-Drs. 19/ 28870, S. 93). Welche Leistungen konkret nach § 20 Abs. 1 SGB VIII zu gewähren sind, ist gesetzlich nicht näher bestimmt, sondern richtet sich nach dem individuellen Bedarf. Dieser kann eine Alltagsunterstützung, aber auch intensivere Formen der Hilfe erforderlich machen (Wiesner/ Wapler/ Struck, SGB VIII, 2022, § 20 Rn. 20). Denkbar sind damit auch interdisziplinäre Angebote im frühkindlichen Bereich. Dem Jugendamt kommt hierbei die Steuerungsbzw. Erfüllungsverantwortung zu (§ 79 SGB VIII). Es hat aus dieser heraus dafür Sorge zu tragen, dass komplexere Hilfebedarfe rechtzeitig erkannt werden (Wiesner/ Wapler/ Struck, SGB VIII, 2022, § 20 Rn. 20). 177 FI 4/ 2023 Interventionen im frühen Kindesalter und ihre gesetzlichen Grundlagen b. Leistungen der Frühen Hilfen In engem Zusammenhang zu den Leistungen nach dem SGB VIII stehen die Leistungen der Frühen Hilfen. Diese finden - rudimentäre - rechtliche Grundlagen im Gesetz zur Kooperation und Information im Kinderschutz (KKG). Das KKG verfolgt das Ziel, das Wohl von Kindern und Jugendlichen zu schützen und ihre körperliche, geistige und seelische Entwicklung zu fördern (§ 1 Abs. 1 KKG). Um dieses Ziel zu erreichen, ist die staatliche Gemeinschaft verpflichtet, erforderlichenfalls die Eltern bei der Wahrnehmung ihres Erziehungsrechts und ihrer Erziehungsverantwortung zu unterstützen (§ 1 Abs. 3 KKG). Kern dieses Unterstützungsangebots sind die Frühen Hilfen. Frühe Hilfen werden gesetzlich definiert als „Vorhaltung eines möglichst frühzeitigen, koordinierten und multiprofessionellen Angebots im Hinblick auf die Entwicklung von Kindern vor allem in den ersten Lebensjahren für Mütter und Väter sowie schwangere Frauen und werdende Väter“ (§ 1 Abs. 4 S. 2 KKG). Inhaltlich konkretisiert das KKG diese Leistungen dann aber nicht weiter, sondern fasst in § 3 KKG lediglich die Rahmenbedingungen für das Netzwerk der Frühen Hilfen zusammen. § 3 Abs. 2 KKG stellt in diesem Zusammenhang klar, dass in das Netzwerk insbesondere Einrichtungen und Dienste der öffentlichen und freien Jugendhilfe, Leistungserbringer der Eingliederungshilfe, Gesundheitsämter, Sozialämter, Schulen, Polizei- und Ordnungsbehörden, Agenturen für Arbeit, Krankenhäuser, Sozialpädiatrische Zentren, Frühförderstellen, Beratungsstellen für soziale Problemlagen, Beratungsstellen nach den §§ 3 und 8 des Schwangerschaftskonfliktgesetzes, Einrichtungen und Dienste zur Müttergenesung sowie zum Schutz gegen Gewalt in engen sozialen Beziehungen, Mehrgenerationenhäuser, Familienbildungsstätten, Familiengerichte und Angehörige der Heilberufe einbezogen werden sollen. Dieser Hinweis des Gesetzes ist für den Bereich der Frühförderung durchaus interessant, zeigt er doch, dass Leistungen der Frühförderung grundsätzlich zu den Leistungen der Frühen Hilfen zählen. Ohne Einbindung der Einrichtungen der Frühförderung sind Netzwerke grundsätzlich nicht förderfähig (Art. 2 Abs. 3 Verwaltungsvereinbarung der Bundesinitiative Netzwerke Frühe Hilfen und Familienhebammen). Frühe Hilfen sind nach Ziff. 2 der Leistungsleitlinien der Bundesstiftung mehr als ein Schnittstellenbzw. Schnittmengenthema verschiedener Sozialgesetzbücher. Sie sollen sich vielmehr zu einem eigenständigen, niedrigschwelligen und interprofessionellen Versorgungselement für Kinder von 0 - 3 Jahren entwickeln, das bereits bestehende Leistungen für Familien ressourcenschonend bündelt und innovative Unterstützungsformen entwickelt, um auf diese Weise den unterschiedlichen Bedarfen der Familien Rechnung zu tragen. c. Leistungen nach dem SGB V Auch das SGB V kennt - außerhalb von Rehabilitation und Teilhabe - Vorschriften, die Interventionen im frühen Kindesalter ermöglichen. Dies sind weitestgehend die präventiven Gesundheitsleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung nach den §§ 20ff. SGB V, so z. B. die primäre Prävention und Gesundheitsförderung (§ 20 SGB V), Leistungen zur Gesundheitsförderung und Prävention in Lebenswelten (§ 20 a SGB V), ärztliche Betreuung und Hebammenhilfe (§ 24 d SGB V) oder Gesundheitsuntersuchungen für Kinder und Jugendliche (§ 26 SGB V). Nach § 26 Abs. 3 SGB V haben die Krankenkassen zusammen mit den Gesundheitsämtern auf eine Inanspruchnahme der Leistungen „Gesundheitsuntersuchungen für Kinder und Jugendliche“ hinzuwirken. Die Einbeziehung der Gesundheitsämter in die Netzwerke der Frühen Hilfen ist daher folgerichtig (vgl. § 3 Abs. 2 KKG). 178 FI 4/ 2023 Torsten Schaumberg d. Angebote nach dem Schwangerschaftskonfliktgesetz Ebenfalls zu den Akteuren der Frühen Hilfen zählen nach § 3 Abs. 2 KKG Beratungsstellen nach den §§ 3 und 8 des Schwangerschaftskonfliktgesetzes (SchKG). Beratungsstellen nach § 3 SchKG haben die Aufgabe, die Beratung nach § 2 SchKG sicherzustellen. Sprechen nach den Ergebnissen von pränataldiagnostischen Maßnahmen dringende Gründe für die Annahme, dass die körperliche oder geistige Gesundheit des Kindes geschädigt ist, so hat die Ärztin oder der Arzt, die oder der der Schwangeren die Diagnose mitteilt, gem. § 2 Abs. 1 SchKG über die medizinischen und psychosozialen Aspekte, die sich aus dem Befund ergeben, unter Hinzuziehung von Ärztinnen oder Ärzten, die mit dieser Gesundheitsschädigung bei geborenen Kindern Erfahrung haben, zu beraten. Beratungsstellen nach § 8 SchKG haben die Aufgabe, die Beratung nach §§ 5, 6 SchKG sicherzustellen. § 5 SchKG enthält die Rahmenbedingungen für eine nach § 219 StGB (Schwangerschaftsabbruch) erforderliche Schwangerschaftskonfliktberatung. Zu dieser sind nach § 6 Abs. 3 Nr. 2 SchKG erforderlichenfalls auch Fachkräfte mit besonderer Erfahrung in der Frühförderung behinderter Kinder hinzuzuziehen. 3. Gesetzliche Regelungen mit Bezügen zu frühkindlichen Interventionen innerhalb des Systems von Rehabilitation und Teilhabe Gesetzliche Regelungen zu Interventionen im frühen Kindesalter innerhalb des Systems von Rehabilitation und Teilhabe von Kindern mit (drohenden) Behinderungen zeichnen sich dadurch aus, dass ihre Zielrichtung primär darauf gerichtet ist, deren Selbstbestimmung und ihre volle, wirksame und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu fördern, Benachteiligungen zu vermeiden oder ihnen entgegenzuwirken (vgl. § 1 S. 1 SGB IX, § 4 Abs. 1 SGB IX). Diese Regelungen zielen damit auf Menschen i. S. § 2 Abs. 1 SGB IX ab und setzen in ihrem Anwendungsbereich regelmäßig Behinderungen bzw. drohende Behinderungen voraus. Sie sind Bestandteil des gegliederten Systems des Rehabilitations- und Teilhaberechts. a. Das gegliederte System des Rehabilitations- und Teilhaberechts Mit dem Begriff „gegliedertes System des Rehabilitationsrechts“ wird das Zusammenspiel zwischen dem Sozialgesetzbuch Buch IX - Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen (SGB IX) und den Leistungsgesetzen der jeweiligen Rehabilitationsträger beschrieben. Das SGB IX setzt sich aus drei Teilen zusammen. Der erste Teil des SGB IX umfasst „Regelungen für behinderte und von Behinderung bedrohte Menschen“. Bei diesem Teil handelt es sich um den allgemeinen Teil des Rehabilitations- und Teilhaberecht, also um die Vorschriften, die für den gesamten Bereich des Rehabilitations- und Teilhaberechts gelten sollen. Konkrete Leistungsansprüche für Menschen mit Behinderung oder von Behinderung bedrohte Menschen ergeben sich aber aus dem ersten Teil des SGB IX grundsätzlich nicht. § 7 Abs. 1 S. 2 SGB IX bestimmt vielmehr, dass sich die Zuständigkeit und die Voraussetzungen für die Leistungen zur Teilhabe nach den für den jeweiligen Rehabilitationsträger geltenden Leistungsgesetzen richten. Das bedeutet, dass sich der konkrete Anspruch auf eine konkrete Rehabilitationsleistung grundsätzlich nur aus dem Leistungsgesetz ergeben kann, das für den zuständigen Rehabilitationsträger gilt. 179 FI 4/ 2023 Interventionen im frühen Kindesalter und ihre gesetzlichen Grundlagen § 5 Nr. 1 bis 5 SGB IX ordnet an, dass zur Teilhabe am Leben in der Gesellschaft folgende Leistungen erbracht werden: Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, unterhaltssichernde und andere ergänzende Leistungen, Leistungen zur Teilhabe an Bildung und Leistungen zur sozialen Teilhabe. Welche Teilhabeleistungen konkret in diesen Leistungsgruppen enthalten sind, darüber trifft § 5 SGB IX keine Aussage. Diese Aufgaben übernehmen die Kapitel 9 bis 13 des ersten Teils des SGB IX. § 6 Abs. 1 SGB IX ordnet jeder dieser Leistungsgruppen des § 5 SGB IX mehrere Rehabilitationsträger zu, die für diese Leistungsgruppe zuständig sein können. Um die komplexen Zuständigkeitsregelungen im gegliederten System des Rehabilitationsrechts im Außenverhältnis zu den Leistungsberechtigten auszugleichen, enthält das SGB IX mit § 14 SGB IX ein Zuständigkeitsklärungsverfahren, das die eigentliche Zuständigkeit der Rehabilitationsträger nach ihren Leistungsgesetzen überlagert und verdrängt (vgl. z. B. LSG Niedersachsen-Bremen, Urt. v. 27. 7. 2021 - L 8 SO 79/ 21 B ER). Ziel des Zuständigkeitsklärungsverfahrens nach § 14 SGB IX ist es, die möglichst schnelle Leistungserbringung dadurch sicherzustellen, dass ein Teilhabeleistungsantrag grundsätzlich nur noch einmal zur Bescheidung von einem Rehabilitationsträger an einen anderen Rehabilitationsträger weitergeleitet werden darf. Der Rehabilitationsträger, dessen Zuständigkeit auf der Grundlage des § 14 SGB IX eingetreten ist, wird im Rahmen des SGB IX als leistender Rehabilitationsträger bezeichnet. Die Norm gilt für alle Rehabilitationsträger i. S. § 6 SGB IX. Die Zuständigkeit nach § 14 SGB IX ist eine ausschließliche (vgl. nur LSG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 1. 3. 2018 - L 2 R 1037/ 16). Die Leistungspflicht des leistenden Rehabilitationsträgers bestimmt sich daher nicht nur nach dem für ihn geltenden materiellen Leistungsgesetz, sondern nach allen im konkreten Bedarfsfall in Betracht kommenden Rechtsgrundlagen. Dies bedeutet, dass der leistende Rehabilitationsträger einen Leistungsantrag nur dann ablehnen kann, wenn alle für den Hilfefall in Betracht kommenden Rehabilitationsvorschriften keinen Anspruch vorsehen. b. Leistungen der Frühförderung (§ 46 SGB IX) Leistungen der Frühförderung sind in § 46 SGB IX geregelt. Über § 42 Abs. 2 Nr. 2 SGB IX zählen sie zur Gruppe der Leistungen zur medizinischen Rehabilitation i. S. § 5 Nr. 1 SGB IX. Nach § 7 Abs. 1 S. 2 SGB IX vermittelt § 46 SGB IX Leistungsberechtigten jedoch keinen Anspruch auf Leistungen der Frühförderung. Dieser kann sich nur aus den Leistungsgesetzen der Rehabilitationsträger ergeben, die nach § 6 Abs. 1 SGB IX für die Leistungsgruppe „Leistungen zur medizinischen Rehabilitation“ zuständig sein können. Dies sind (mit Ausnahme der Träger der sozialen Entschädigung): die gesetzlichen Krankenkassen (eingeschränkter Leistungsanspruch - § 43 a SGB V), die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung (Leistungsausschluss - § 27 Abs. 1 Nr. 7 SGB VII), die Träger der gesetzlichen Rentenversicherung (Leistungsausschluss - § 15 Abs. 1 SGB VI), die Träger der öffentlichen Jugendhilfe (Leistungsanspruch - § 35 a Abs. 3 SGB VIII i. V. m. § 109 SGB IX) und die Träger der Eingliederungshilfe (Leistungsanspruch - § 109 SGB IX). § 46 SGB IX ordnet den Leistungen der Frühförderung in Absatz 1 Nr. 2 SGB IX insbesondere nichtärztliche sozialpädiatrische, psychologische, heilpädagogische, psychosoziale Leistungen und die Beratung der Erziehungsberechtigten, auch in fachübergreifend arbeitenden 180 FI 4/ 2023 Torsten Schaumberg Diensten und Einrichtungen, zu, wenn sie unter ärztlicher Verantwortung erbracht werden und erforderlich sind, um eine drohende oder bereits eingetretene Behinderung zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu erkennen und einen individuellen Behandlungsplan aufzustellen. Über § 46 Abs. 2 S. 1 SGB IX zählen zu den Leistungen der Frühförderung aber auch nichtärztliche therapeutische, psychologische, heilpädagogische, sonderpädagogische, psychosoziale Leistungen und die Beratung der Erziehungsberechtigten durch interdisziplinäre Frühförderstellen oder nach Landesrecht zugelassene Einrichtungen mit vergleichbarem interdisziplinärem Förder-, Behandlungs- und Beratungsspektrum. Eine Leistungserbringung unter ärztlicher Verantwortung ist im Rahmen des § 46 Abs. 2 SGB IX nicht erforderlich. Nach § 46 Abs. 3 SGB IX werden Leistungen der Frühförderung in Verbindung mit heilpädagogischen Leistungen nach § 79 SGB IX als Komplexleistung erbracht. Heilpädagogische Leistungen, die auch an noch nicht eingeschulte Kinder erbracht werden, gehören zur Gruppe der Leistungen zur sozialen Teilhabe i. S. § 5 Nr. 5 SGB IX und können hier, trotz ihrer Bedeutung für das Gesamtsystem der Frühförderung, aus Platzgründen nicht weiter betrachtet werden. Gleiches gilt für bildungsbezogene heilpädagogische Leistungen i. S. § 75 SGB IX, die zur Gruppe der Leistungen zur Teilhabe an Bildung zählen. c. Frühförderungsverordnung (FrühV) § 48 SGB IX ermächtigt das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) dazu, Näheres zu den Leistungen der Frühförderung durch eine Rechtsverordnung zu regeln. Von dieser Verordnungsermächtigung hat das BMAS Gebrauch gemacht und die Verordnung zur Früherkennung und Frühförderung behinderter und von Behinderung bedrohter Kinder (FrühV) erlassen. Leistungen der Frühförderung i. S. § 46 Abs. 1 u. 2 SGB IX sind nach § 2 FrühV Leistungen zur medizinischen Rehabilitation (§ 5 FrühV), heilpädagogische Leistungen (§ 6 FrühV) und weitere Leistungen (§ 6 a FrühV). Zudem werden in § 3 FrühV die interdisziplinären Frühförderstellen und in § 4 FrühV die sozialpädiatrischen Zentren näher definiert. Besonders hinzuweisen ist auf die Regelung des § 6 a FrühV. Nach § 6 a S. 1 Nr. 2 FrühV zählen zu den weiteren Leistungen der „Komplexleistung Frühförderung“ auch offene, niedrigschwellige Beratungsangebote für Eltern, die ein Entwicklungsrisiko bei ihrem Kind vermuten und die noch vor der Einleitung der Eingangsdiagnostik in Anspruch genommen werden können. d. Nichtärztliche sozialpädiatrische Leistungen (§ 43 a SGB V) Das Leistungsgesetz der gesetzlichen Krankenversicherung enthält mit § 43 a SGB V eine Regelung, die § 46 SGB IX sehr ähnlich ist. Nach § 43 a Abs. 1 HS 1 SGB V haben versicherte Kinder Anspruch auf nichtärztliche sozialpädiatrische Leistungen, insbesondere auf psychologische, heilpädagogische und psychosoziale Leistungen, wenn sie unter ärztlicher Verantwortung erbracht werden und erforderlich sind, um eine Krankheit zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu erkennen und einen Behandlungsplan aufzustellen. § 43 a Abs. 2 SGB V billigt versicherten Kindern zudem einen Anspruch auf nichtärztliche sozialpädiatrische Leistungen zu, die unter ärztlicher Verantwortung in der ambulanten psychiatrischen Behandlung erbracht werden. 181 FI 4/ 2023 Interventionen im frühen Kindesalter und ihre gesetzlichen Grundlagen Hinzuweisen ist an dieser Stelle auf einen Wertungswiderspruch der Norm. § 43 a Abs. 1 HS 1 SGB V verknüpft den Anspruch auf nichtärztliche sozialpädiatrische Leistungen außerhalb der ambulanten psychiatrischen Behandlung mit der Voraussetzung, dass diese Leistungen u. a. erforderlich sein müssen, um einen Behandlungsplan aufzustellen. Nur dann erfolgt auch über § 119 SGB V eine Vergütung der Leistungen zugunsten des SPZ. Der Leistungsanspruch nach § 43 a Abs. 2 SGB V im Rahmen der ambulanten psychiatrischen Behandlung kennt diese Voraussetzung hingegen nicht, so dass dort auch Leistungen vergütet werden können, die nicht erforderlich sind, um einen Behandlungsplan aufzustellen (vgl. hierzu eingehend Hänlein, SGb 2019, 410ff.). § 43 a SGB V entspricht inhaltlich weitestgehend § 46 Abs. 1 SGB IX. Den erweiterten Anwendungsbereich des § 46 Abs. 2 SGB IX (Leistungen der Frühförderung, die nicht unter ärztlicher Verantwortung erbracht werden) übernimmt § 43 a SGB V allerdings nicht. Ein Anspruch aus § 46 Abs. 2 SGB IX ist damit im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung zunächst ausgeschlossen (BeckOGK/ Zieglmeier, SGB V, 2018, § 43 a Rn. 13). Grundsätzlich sind sozialpädiatrische Leistungen vorrangig durch die niedergelassenen Vertragsärzte zu leisten (§ 119 Abs. 1 SGB V). Diese können, falls erforderlich, sozialpädiatrische Zentren (SPZ) oder (interdisziplinäre) Frühförderstellen in die Behandlung einbeziehen (§ 119 Abs. 1 u. 2 SGB V). Die ausdrückliche Nennung der Frühförderstellen in § 119 Abs. 2 SGB V soll verdeutlichen, dass diese an der Leistungserbringung beteiligt sind und nicht durch die SPZ verdrängt werden sollen (vgl. BT-Drs. 11/ 3480, 61 zu § 128 Absatz 3). Da interdisziplinäre Frühförderstellen regelmäßig nicht unter ärztlicher Verantwortung arbeiten, können sie in die rehabilitationsrechtliche Leistungserbringung der gesetzlichen Krankenversicherung aber nur auf ärztliche Veranlassung hin einbezogen werden (BeckOGK/ Zieglmeier, SGB V, 2018, § 43 a Rn. 13). e. Frühförderungsleistungen der Eingliederungshilfe (§ 109 SGB IX) Auch die Träger der Eingliederungshilfe können nach § 6 Abs. 1 Nr. 7 SGB IX für die Leistungsgruppe „Leistungen zur medizinischen Rehabilitation“ zuständig sein. Ihr Leistungsgesetz ist der 2. Teil des SGB IX. Dort enthält § 109 SGB IX Regelungen zu den Leistungen zur medizinischen Rehabilitation. § 109 Abs. 1 SGB IX verweist hier pauschal auf § 42 Abs. 2 SGB IX und damit auch auf die Leistungen der Frühförderung (§ 42 Abs. 2 Nr. 2 SGB IX). Gleichzeitig begrenzt § 109 Abs. 2 den Leistungsanspruch aber auf die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung. Dies würde dazu führen, dass auch im Recht der Eingliederungshilfe lediglich nichtärztliche sozialpädiatrische Leistungen nach § 43 a SGB V zu gewähren wären, also solche, die unter ärztlicher Verantwortung erbracht werden. Dies wird in der Literatur zu recht kritisch gesehen (vgl. nur Feldes u. a./ Nebe, SGB IX, 2023, § 119 Rn. 9f.). Tatsächlich dürften auch eingliederungshilferechtlich nichtärztliche sozialpädiatrische Leistungen nach § 46 Abs. 2 SGB IX (nicht unter ärztlicher Verantwortung) zu erbringen sein. Ob dies dann ggf. im Rahmen der Leistungen zur Teilhabe an Bildung (§ 112 SGB IX) oder zur Sozialen Teilhabe (§ 113ff. SGB IX) zu erfolgen hat, muss hier nicht entschieden werden. f. Frühförderungsleistungen der Kinder- und Jugendhilfe (§ 35 a SGB VIII) Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe können nach § 6 Abs. 1 Nr. 6 SGB IX als Rehabilitationsträger für Leistungen zur medizinischen Rehabilitation zuständig sein. Ihr Leistungsgesetz ist das SGB VIII. Dort ordnet § 35 a Abs. 1 SGB VIII an, dass die Träger der öffentlichen Jugendhilfe leistungsrechtlich nur für Kinder und Jugendliche mit (drohenden) seelischen Behinderungen zuständig sind. Hinsichtlich des Leistungsumfangs verweist § 35 a SGB VIII 182 FI 4/ 2023 Torsten Schaumberg auf das Recht der Eingliederungshilfe, sodass hier auf die Ausführungen unter e. verwiesen werden kann. Das Gesetz zur Stärkung von Kindern und Jugendlichen (Kinder- und Jugendstärkungsgesetz - KJSG) vom 3. 6. 2021 (BGBl. I 2021, 1444) strebt an, die rehabilitationsrechtliche Zuständigkeit der Kinder- und Jugendhilfe auf alle Kinder und Jugendlichen mit (drohenden) Behinderungen zu erweitern. Dies soll durch einen dreistufigen Prozess erreicht werden, der auf sieben Jahre angelegt ist (BT-Drs. 19/ 26107, S. 4). Regelungsgegenstand der ersten Stufe, die bereits mit Wirkung zum 10. 6. 2021 (Art. 10 Abs. 1 KJSG) in Kraft trat, ist u. a. die Stärkung der Inklusion sowie die Schnittstellenbereinigung (durch Ergänzungen in §§ 1, 11 Abs. 1 Satz 3, 22 a Abs. 4, 79 a Satz 2, 80 Abs. 2 Nr. 4 SGB VIII) und die Anpassung des Begriffs „Kinder und Jugendliche mit Behinderungen“ in § 7 Abs. 2 SGB VIII an die Regelung des § 2 SGB IX (von Koppenfels-Spies in: Schlegel/ Voelzke, jurisPK- SGB VIII, 3. Aufl. 2022, § 35 a SGB VIII Rn. 10). Die zweite Stufe, die ab dem 1. 1. 2024 in Kraft treten wird (Art. 10 Abs. 2 KJSG), sieht in § 10 b SGB VIII die Einführung eines Verfahrenslotsen vor. Dieser hat die Aufgabe, die Leistungsberechtigten durch das Verfahren zur Erlangung der Eingliederungshilfen zu „lotsen“ und darüber hinaus auch die Träger der öffentlichen Jugendhilfe bei der Zusammenführung der Zuständigkeiten zu unterstützen. Die ausschlaggebende dritte Stufe ist für 2028 vorgesehen. Sie sieht in § 10 Abs. 4 SGB VIII die Übernahme der vorrangigen Zuständigkeit des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe für Leistungen der Eingliederungshilfe auch an junge Menschen mit (drohenden) körperlichen oder geistigen Behinderungen, die nach derzeitiger Rechtslage Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem Teil 2 SGB IX erhalten, vor (BT-Drs. 19/ 26107, S. 5). Voraussetzung für diese Zuständigkeitszusammenführung ist jedoch, dass bis spätestens 1. 1. 2027 ein Bundesgesetz verkündet wird, das konkrete Regelungen vor allem zum leistungsberechtigten Personenkreis, zu Art und Umfang der Leistung, zum Verfahren und zur Kostenbeteiligung vorsieht. Grundlage für die Ausgestaltung dieses Bundesgesetzes sollen die Ergebnisse einer prospektiven Gesetzesfolgenabschätzung und einer (wissenschaftlichen) Umsetzungsbegleitung sein (BT-Drs. 19/ 26107, S. 5). Gesetzlich verankert wurde diese Planung des Gesetzgebers in Art. 1 Nr. 12 i. V. m. Art. 10 Abs. 3 KJSG. 4. Zusammenfassung und Ausblick Ein Ausblick in die Zukunft der interdisziplinären Frühförderung ist aus rechtlicher Sicht ein Wagnis. Der Weg, den die Frühförderung künftig einschlagen wird, ist grundlegend nicht rechtlich, sondern fachlich zu definieren. Das Recht kann der Frühförderung nur den Rahmen zur Verfügung stellen und die Grundsätze aufzeigen, die dem Gesetzgeber für frühkindliche Interventionen wichtig sind. Der rechtliche Rahmen für die Arbeit der interdisziplinären Frühförderung ist, betrachtet man die hier vorgestellten rechtlichen Grundlagen, durchaus flexibel. Das Instrument „Frühförderung“ ist zwar ein „klassisches“ Instrument des Rehabilitations- und Teilhaberechts, das zugunsten von Kindern mit (drohenden) Behinderungen einzusetzen ist. Aber bereits die Tatsache, dass Frühförderstellen notwendiger Bestandteil der Netzwerke „Frühe Hilfen“ sind, macht deutlich, dass dem Gesetzgeber die Vorhaltung eines möglichst effizienten frühzeitigen, koordinierten und multiprofessionellen Angebots im Hinblick auf die Entwicklung von Kindern vor allem in den ersten Lebensjahren wichtiger ist, als eine rechtsdogmatisch eindeutige Zuweisung von Zuständigkeiten. Auch die Regelung in § 6 a S. 1 Nr. 2 FrühV spricht 183 FI 4/ 2023 Interventionen im frühen Kindesalter und ihre gesetzlichen Grundlagen dafür. Die Nutzung dieses Netzwerkes mag auf weniger Akzeptanz bei Eltern stoßen, wenn Voraussetzung hierfür ausdrücklich benannte (drohende) Behinderungen des Kindes sind. Das führt zu den Grundsätzen frühkindlicher Interventionen, die dem Gesetzgeber wichtig sind. Der wichtigste Grundsatz hierfür ist, was ebenfalls durch diesen Beitrag deutlich gemacht werden sollte, die Niedrigschwelligkeit der Angebote. Diese dürfte aber dann nicht mehr gegeben sein, wenn Eltern Anspruchsvoraussetzungen als stigmatisierend empfinden und Angebote aus diesem Grund nicht annehmen. Auch dies mag bei der ausdrücklichen Benennung von (drohenden) Behinderungen betroffener Kinder der Fall sein. Daher kann es ein Ansatz der interdisziplinären Frühförderung sein, im Rahmen der Netzwerke „Frühe Hilfen“ nicht mehr ausdrücklich auf (drohende) Behinderungen abzustellen, sondern sich vielmehr interdisziplinär auf die frühkindliche Entwicklung der Kinder zu fokussieren. Rechtlich sollte dies nach hier vertretener Auffassung durchaus möglich sein, da Entwicklungsstörungen bei Kindern regelmäßig auch das Potenzial in sich tragen dürften, dass diese von Behinderung i. S. § 2 Abs. 1 SGB IX bedroht sind. Ein weiterer Grundsatz kommt hinzu, den die interdisziplinäre Frühförderung bei ihrer Weiterentwicklung zu berücksichtigen hat. Nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers verfolgt das Bundesteilhabegesetz, welches das SGB IX in weiten Teilen neu gefasst hat, das Ziel, Leistungen wie aus einer Hand zu erbringen und zeitintensive Zuständigkeitskonflikte der Träger untereinander sowie Doppelbegutachtungen zulasten der Menschen mit Behinderungen zu vermeiden (BT-Drs. 18/ 9522, S. 2, 191). Auch dies ist für die interdisziplinäre Frühförderung ein rechtlicher Ansatzpunkt, Vernetzungen mit anderen Akteuren voranzutreiben und neue Wege zu gehen. Das Recht bietet der Frühförderung somit eine Vielzahl möglicher Wege an. Die Entscheidung, welchen sie nimmt, muss sie jedoch allein treffen. Ist dieser Weg gefunden, so gilt es, Wegbegleiter zu überzeugen. Formalismus und Bürokratie seitens der Sozialleistungsträger mögen gelegentlich den Weg steiniger machen. Sie hängen aber eng mit der inneren Haltung der dortigen Mitarbeiter*innen zusammen. Und die kann geändert werden. Prof. Dr. rer. publ. Torsten Schaumberg Hochschule Nordhausen Weinberghof 4 99734 Nordhausen E-Mail: torsten.schaumberg@hs-nordhausen.de Literatur Hänlein, J. (2019): Die Vergütung nichtärztlicher Leistungen Sozialpädiatrischer Zentren. Die Sozialgerichtsbarkeit 2019, 410 - 415 Nebe, K. In: Feldes, W., Kohte, W., Stevens-Bartol, E. (Hrsg.) (2023): SGB IX - Sozialgesetzbuch Neuntes Buch Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen, § 109 SGB IX, 992 - 995 Struck, J. In: Wiesner, R., Wapler, F. (Hrsg.) (2022): SGB VIII - Kinder- und Jugendhilfe, Kommentar, § 22 SGB VIII Rn. 1 - 37 von Koppenfels-Spies, K. In: Schlegel, R., Voelzke, T., Luthe, E-W., Nellissen, G. (Hrsg.) (2022): juris Praxis-Kommentar SGB VIII, § 35 a SGB VIII Rn. 1 - 104. Online-Publikation (Zitierdatum: 19. 7. 2023), www.juris.de Zieglmeier, C. 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