Frühförderung interdisziplinär
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0721-9121
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2024
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Originalarbeit: KOFA-Schule: Gemeinsam für gelingendes Lernen
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2024
Kitty Cassée
Rahel Rufer
Sozial-emotionale Fähigkeiten spielen eine zentrale Rolle für gelingende Entwicklungs- und Bildungsverläufe, wofür in den letzten Jahren „an explosion of interest“ (Weissberg et al. 2015, 3) festgestellt werden kann. Kinder, die aus verschiedenen Gründen nicht ausreichend gut gelernt haben, ihre Emotionen zu erkennen und zu regulieren, treten mit einem erhöhten Risiko nicht gelingender Bildungsprozesse in die Schule ein. Verhaltensprobleme im Schulalter stellen für die Eltern und die betroffenen Kinder, aber auch für die Lehrpersonen eine große Belastung dar. Das Programm KOFA-Schule hat zum Ziel, die Emotionsregulation von Kindern multisystemisch – d.h. sowohl in der Familie als auch in der Schule – zu fördern. Dieser Beitrag stellt die Merkmale des Programms sowie Ergebnisse einer ersten Evaluationsstudie mit 94 Familien dar.
1_043_2024_002_0075
75 Frühförderung interdisziplinär, 43.-Jg., S.-75 - 89 (2024) DOI 10.2378/ fi2024.art07d © Ernst Reinhardt Verlag ORIGINALARBEIT KOFA-Schule: Gemeinsam für gelingendes Lernen Ein Programm zur Förderung der Emotionsregulation in Familie und Schule Kitty Cassée, Rahel Rufer Zusammenfassung: Sozial-emotionale Fähigkeiten spielen eine zentrale Rolle für gelingende Entwicklungs- und Bildungsverläufe, wofür in den letzten Jahren „an explosion of interest“ (Weissberg et al. 2015, 3) festgestellt werden kann. Kinder, die aus verschiedenen Gründen nicht ausreichend gut gelernt haben, ihre Emotionen zu erkennen und zu regulieren, treten mit einem erhöhten Risiko nicht gelingender Bildungsprozesse in die Schule ein. Verhaltensprobleme im Schulalter stellen für die Eltern und die betroffenen Kinder, aber auch für die Lehrpersonen eine große Belastung dar. Das Programm KOFA-Schule hat zum Ziel, die Emotionsregulation von Kindern multisystemisch - d. h. sowohl in der Familie als auch in der Schule - zu fördern. Dieser Beitrag stellt die Merkmale des Programms sowie Ergebnisse einer ersten Evaluationsstudie mit 94 Familien dar. Schlüsselwörter: Emotionsregulation, Befähigung von Eltern, Zusammenarbeit zwischen Eltern und Schule KOFA-Schule: Together for Successful Learning A program to promote emotion regulation in families and schools Summary: Socio-emotional skills play a central role in successful development and education, for which an “explosion of interest” (Weissberg et al. 2015, 3) can be observed in recent years. Children who, for various reasons, have not learned sufficiently well to recognize and regulate their emotions enter school with an increased risk of not successful educational processes. Behavioral problems at school age represent a great burden for the parents and the affected children, but also for the teachers. The KOFA-School program aims to promote children’s emotion regulation in a multisystemic way - i. e. both in the family and at school. The article presents the characteristics of the program as well as the results of an initial evaluation study with 94 families. Keywords: Emotional development, emotion regulation, empowerment of parents, cooperation between parents and school KOFA-Schule K OFA-Schule 1 (Kompetenzorientierte Familienarbeit und Schule) ist ein freiwilliges Programm, das sich an Familien mit Kindern im Kindergarten- und Grundschulalter (4 - 12 Jahre) richtet, bei denen die Lehrpersonen im schulischen Kontext Auffälligkeiten im sozial-emotionalen Verhalten festgestellt haben. KOFA-Schule wurde im Rahmen des FOSSA- Projekts (Förderung der Selbstregulation in Schule und Familie) der Fachhochschule Nordwestschweiz entwickelt. Die Fachhochschule konzipierte ein Weiterbildungsangebot für Lehrpersonen, das Institut kompetenzhoch3 das Familienprogramm. Im Familienprogramm werden Schülerinnen und Schüler mit externalisierenden (Unruhe und Unkontrolliertheit, Wutausbrüche, Aggression gegen Personen und Sachen) und/ oder internalisierenden Verhaltensweisen (Schüchternheit, Ängstlichkeit, Schulabsentismus, Somatisierungen) einbezogen. KOFA-Schule ist 76 FI 2/ 2024 Kitty Cassée, Rahel Rufer als „targeted support“ (Thyen 2023, 211) gestaltet und will der Verfestigung problematischer Verhaltensmuster mithilfe sozialpädagogischer Unterstützung möglichst frühzeitig entgegenwirken. KOFA-Schule ist nicht indiziert bei Kindern mit schwerwiegenden Entwicklungsbelastungen und Verhaltensauffälligkeiten. KOFA-Schule ist multisystemisch-sozialisationstheoretisch fundiert (Hurrelmann und Bauer 2015, Cassée 2019 a), zeitlich befristet und aufsuchend. Die Familien werden in einem Zeitraum von ca. vier Monaten achtmal von einer Fachperson der sozialpädagogischen Familienhilfe zu Hause besucht. Zusätzlich finden Termine mit den involvierten Lehrpersonen statt. Das Programm betont, dass das kindliche Verhalten im Kontext seiner Lebensbedingungen in Schule und Familie verstanden und verändert werden kann. Die Interventionen sind lerntheoretisch begründet (Fröhlich-Gildhoff und Rönnau-Böse 2019, Heinrichs et al. 2017) und stellen verhaltensorientiertes Üben sicher. Das Programm im Überblick KOFA-Schule fokussiert auf die Förderung der Emotionsregulation der Kinder unter Einbezug von Schule und Familie. Das freiwillige Programm wird den Eltern vonseiten der Schule empfohlen. Wenn sich die Familie für die Teilnahme entscheidet, folgen acht Sequenzen, in denen ein Familiencoach die Familie zu Hause besucht (in der Regel einmal wöchentlich). Die Einsätze sind zeitlich begrenzt (90 Min.) und inhaltlich strukturiert (Cassée und Rufer 2023). Für die Einsätze stehen ein Toolkit mit didaktischen Materialien und Instrumenten zur Verfügung. Drei bis vier Wochen nach der letzten Sequenz findet ein Auswertungsresp. Abschlussgespräch statt, in dem zusammen mit der Familie und der Lehrperson Bilanz gezogen und - sofern indiziert - Anschlusshilfe empfohlen werden kann. Drei Monate nach der letzten Sequenz erfolgt je ein telefonischer Follow-up-Kontakt mit der Familie und der Lehrperson mit dem Ziel, die Nachhaltigkeit der Veränderungen sowie allfälligen weiteren Unterstützungsbedarf zu erfassen. Programmziele für KOFA-Schule Für alle Familien gelten die folgenden Programmziele: Bezogen auf die Eltern 1. Die Eltern verstehen das Verhalten ihres Kindes besser. 2. Die Eltern kennen neue kognitive und erzieherische Strategien, wie sie mit dem Verhalten ihres Kindes umgehen können. Sie können Situationen gestalten, in denen Freude, Stolz und Zufriedenheit entstehen können. 3. Die Eltern wissen, wer sie unterstützen kann. Bezogen auf das Kind 4. Das Kind kennt die wichtigsten Emotionen (Anspannung/ Aufgeregtheit, Freude, Wut, Ärger, Trauer), nimmt diese bei sich selbst wahr und erkennt diese bei anderen. 5. Das Kind kennt Strategien, wie es mit schwierigen Emotionen (Wut, Ärger, Aufgeregtheit/ Anspannung, Angst, Trauer) umgehen kann, ohne sich selbst oder andere Personen zu blockieren oder ihnen Schaden zuzufügen. 6. Das Kind kennt Strategien, wie es hilfreiche Gedanken und Gefühle hervorrufen und nutzen kann. 7. Das Kind kennt Strategien, wie es gelingend mit anderen Personen Kontakte knüpfen und aufrechterhalten kann. 77 FI 2/ 2024 KOFA-Schule: Förderung der Emotionsregulation in Familie und Schule Programmgestaltung Das Familienprogramm will in kurzer Zeit bei den Eltern und beim Kind eine nachhaltige Verbesserung der Fremd- und Selbstregulation bewirken. Fröhlich-Gildhoff und Rönnau-Böse 2019 formulieren folgende Anforderungen an wirksame Interventionen: n Kinder, deren Eltern das soziale Umfeld einbeziehen und bei der Lebenswelt ansetzen n inhaltlich an der Entwicklung von Fähigkeiten und am konkreten Verhalten ansetzen (verhaltensorientiertes Üben) n strukturierte Programme, Manuale und Curricula einsetzen n zielgruppenspezifische und v. a. kulturelle Adaptation (Sprache, Kultur) zulassen n sorgfältige Evaluation als wichtigen Bestandteil vorsehen Wenn Kinder im Fokus sind, empfehlen Heinrichs et al. (2017) für Interventionsprogramme, dass: n ritualisiert gearbeitet wird, insbesondere beim Beginn und am Ende einer Sequenz n eine kindgerechte Symbolik benutzt wird n spielerische Elemente eingesetzt werden, z. B. Gesellschaftsspiele, Malen, Zeichnen, Musik, Bewegung etc. KOFA-Schule gestaltet die einzelnen Familieneinsätze in einer klar erkennbaren und ritualisierten Programmstruktur und mit kindgerechten Materialien, Aufgaben und Spielsequenzen. Mithilfe definierter Programmziele und ausformulierter Programmbausteine wird eine hohe Vergleichbarkeit des Programms gewährleistet. Das Programm lässt aber Spielraum, spezielle Begebenheiten und Anliegen der einzelnen Familien aufzunehmen. Das Programm wird formativ (Verlaufsmonitoring) und summativ bei allen involvierten Personen (Eltern, Lehrpersonen, Familiencoach) evaluiert. Struktur der Familieneinsätze Ablauf Jeder Familieneinsatz hat den gleichen Ablauf mit drei Schritten, die mithilfe von Bildkarten und Plüschtieren u. Ä. visualisiert werden: a) Begrüßung/ Rückblick/ Hausaufgaben/ Besondere Vorkommnisse b) Bearbeitung eines bestimmten Themas c) Abschiedsritual und Hausaufgaben Settingvarianten Während des Einsatzes wird in unterschiedlichen Settingvarianten gearbeitet. Auch dafür gibt es Visualisierungen mit Bildkarten resp. mit Holzfiguren für Eltern und Kinder, damit der Wechsel der Settings - vor allem für kleinere Kinder, aber auch für kognitiv-sprachlich schwächere Eltern - gut erkennbar erfolgen kann. Setting 1: Ganze Familie Für einige Themen ist es wichtig, mit der ganzen Familie zu arbeiten (z. B. Begrüßung, Verabschiedung, Pausen). Setting 2: Gespräch mit Eltern/ Psychoedukation Einige Themen werden nur mit den Eltern resp. mit einem Elternteil bearbeitet. Für das Kind/ die Kinder ist in dieser Zeit eine Spielsequenz vorgesehen (mit eigenem Spielmaterial, mit Vorschlägen der Eltern oder mit Material/ Ideen des Familiencoachs). Setting 3: Übungen mit dem Kind im Beisein der Eltern Für einige Lernsequenzen arbeitet der Familiencoach direkt mit dem Kind. Die Eltern/ ein Elternteil ist in der Nähe, mit der Einladung zu beobachten. Die Eltern werden zur aktiven Mitarbeit eingeladen. Wenn es weitere Kinder in der Familie gibt, sind für diese in Absprache mit den Eltern Aktivitäten geplant. 78 FI 2/ 2024 Kitty Cassée, Rahel Rufer Setting 4: Spielsequenz für das Kind ohne Präsenz/ Anleitung der Eltern Weil immer wieder Themen mit den Eltern bearbeitet werden, sind Spielsequenzen mit dem Kind vorgesehen. In der Themenplanung für die einzelnen Einsätze werden Vorschläge gemacht - Materialien finden sich teilweise im Toolkit. Die Eltern werden ermutigt, ihre Ideen für die Spielsequenz zu formulieren. Setting 5: Übungssequenz Eltern mit Kind - der Familiencoach unterstützt Immer wieder sind Eltern eingeladen, kleine Übungen mit dem Kind zu gestalten, die mit dem Familiencoach vorbesprochen wurden. Der Familiencoach schaut zu, macht Anregungen und gibt ein Feedback. Es kann Sinn machen, aus diesen Übungen Hausaufgaben abzuleiten, damit das Gelernte verfestigt wird. Die Programmsequenzen Die folgenden Sequenzen werden im Programm bearbeitet. Es bleibt aber Spielraum für Anpassungen an die konkrete Familiensituation. Der Kontakt zur Schule wird in allen Sequenzen familienspezifisch gestaltet (z. B. telefonischer Kontakt des Familiencoachs mit der Lehrperson, gemeinsamer Besuch in der Schule, Weitergabe und Abstimmung von Instrumenten/ Tools u. a. m.). Die einzelnen Sequenzen werden in einem Familienheft festgehalten mit Verlauf, Abmachungen, Hausaufgaben, Zeichnungen etc. Im Familienheft werden auch Erlebnisse im Alltag sowie Fragen festgehalten. In allen Sequenzen werden kleine Körperübungen (nach Croos-Müller) und Spielsequenzen eingebaut. Sequenz 1 Psychoedukation mit den Eltern/ mit einem Elternteil zur kindlichen Entwicklung. Ziel: Die Eltern erkennen die Verhaltensdynamik ihres Kindes. n Stärken und Lernthemen des Kindes mithilfe des Instruments Silhouette n Entwicklungstreppe, Entwicklungs- und Erziehungsaufgaben n Grundlegende Entwicklungsbedürfnisse > tägliche Routine n Bedeutung der Eltern: Fremdsteuerung/ Selbststeuerung Sequenz 2/ 3 Verhalten und Gefühle des Kindes im Fokus: Beobachten und Benennen n Psychoedukation zur Emotionsentwicklung n Primäre Emotionen wahrnehmen und benennen n Schlüsselfähigkeiten der emotionalen Kompetenz n Emotionen von anderen erkennen Sequenz 4/ 5 Emotionsregulation des Kindes im Fokus n Strategien und Techniken der Emotionsregulation n Bedeutung der Eltern: von der Fremdsteuerung durch Eltern/ Lehrpersonen zur vermehrten Selbststeuerung der Emotionen durch das Kind n Förderung/ Hemmung der Entwicklung durch die Eltern Sequenz 6/ 7 Erziehungsverhalten der Eltern im Fokus n Erziehungsaufgaben/ Erziehungsstil n Settings gestalten statt reagieren (operante Lerntheorie S-R-C) n Bezug herstellen zu Gedanken und Gefühlen (kognitive Lerntheorie) n Entwicklungsförderung: Verlässlichkeit, Anleitung/ Anregung und Strukturgebung n Wenn-dann-Plan, Ampel Sequenz 8 Ressourcen erschließen und Kontakt zur Schule festigen n Die Eltern unterstützen, wichtige Personen/ Systeme in ihrer Lebenswelt zu kennen und sich mit externen Personen/ anderen Familien resp. mit Angeboten in der Lebenswelt zu vernetzen n Zusammenarbeit mit der Schule planen 79 FI 2/ 2024 KOFA-Schule: Förderung der Emotionsregulation in Familie und Schule Auswahl der Familien Die Auswahl der Familien und der Kinder erfolgt in einem mehrstufigen Verfahren, bei dem die Klassenlehrperson eine zentrale Rolle spielt. Der Lehrperson fällt eine Schülerin/ ein Schüler durch internalisierende oder externalisierende Verhaltensweisen auf und sie befürchtet, dass die Lernchancen und/ oder die Integration in die Schulklasse gefährdet sind. In einem Gespräch mit den Eltern formuliert die Lehrperson ihre Einschätzungen und fragt die Eltern, wie sie das Verhalten des Kindes in der Familie erleben. Wenn auch die Eltern sich Sorgen machen und ihr Kind für das schulische Lernen fördern möchten, verweist die Lehrperson auf das Familienprogramm. Mit Einverständnis der Eltern übernimmt die Schule die Anmeldung. Die Eltern und die Lehrperson füllen den SDQ 2 aus, die Lehrperson zusätzlich den LSL 3 . Wenn die Indikation für das sozialpädagogische Programm und die Rahmenbedingungen geklärt sind, wird ein erster Termin mit dem Coach in der Familie vereinbart. Training und Begleitung der Familiencoaches Die Familiencoaches werden in einem eintägigen Training auf die modulgetreue Durchführung des Programms vorbereitet. Alle Familiencoachs erhalten das Programm-Manual, das Toolkit sowie Zugang zu den digitalen Tools für das Programmmonitoring. Zudem nehmen alle Familiencoaches mindestens einmal pro Familie ein Coaching durch die Programmleitung in Anspruch. Alle Familiencoaches verfügen über eine Ausbildung in der KOFA-Methodik (Cassée 2019 a). Emotionen und Emotionsausdruck Im Zentrum des Programms steht die Förderung der emotionalen Kompetenz bei Kindern (Saarni 2002). Die emotionale Kompetenz bildet sich in den ersten sechs Lebensjahren schrittweise und in Interaktion mit bedeutsamen Bezugspersonen heraus. Zuerst entwickeln sich die primären Emotionen wie Freude oder Wut, die bei allen Individuen angeboren sind resp. in der frühen Entwicklung (im ersten Lebensjahr) ausgebildet werden (nach Petermann und Wiedebusch 2016, 37). In späteren Entwicklungsphasen folgen die sekundären Emotionen wie Scham oder Schuld. Gefühle können auf verschiedene Arten zum Ausdruck gebracht werden, die entweder zur aktuellen Situation passen oder inadäquat sind. Vor allem externalisierende, aber auch internalisierende Ausdrucksformen von Emotionen führen in sozialen Interaktionen häufig zu Schwierigkeiten. Externalisierendes Verhalten Externalisierendes Verhalten ist jene Variante des Emotionsausdrucks und des Sozialverhaltens, die im Entwicklungsverlauf am meisten Probleme in der Familie und in der Schule bereitet. Es können zwei Formen unterschieden werden: a) jede gerichtete, offensive Aktivität, die als positives Entwicklungspotenzial wirken kann, z. B. Aufgaben anpacken, auf andere zugehen b) Verhalten in Form von Schädigung von Menschen oder Sachen, z. B. viel reden, laut sein, schreien, gemein zu anderen sein, treten, schlagen, Gegenstände zerstören (Petermann und Petermann 2012). Internalisierendes Verhalten In der Literatur wird Internalisierendes Verhalten häufig als Schüchternheit resp. soziale Ängstlichkeit bezeichnet (Petermann und Peter- 80 FI 2/ 2024 Kitty Cassée, Rahel Rufer mann 2015, Burkhardt et al. 2022, Petermann 2022). Die internalisierenden Verhaltensvarianten, bei denen das Kind sich im Unterricht nicht meldet, still und zurückgezogen ist, nicht mit anderen Kindern spielt, vielleicht somatische Beschwerden (Kopfweh, Bauchweh) entwickelt, bleiben lange unbemerkt. Auch diese Kinder brauchen aber für ihre Entwicklung und für gelingendes Lernen Hilfe und Unterstützung in Familie und Schule. Emotionsregulation Emotionsregulation - die angemessene Steuerung eigener Emotionen im Kontakt mit anderen Menschen und in unterschiedlichen Situationen - gehört zu den zentralen emotionalen Kompetenzen. Im Familienprogramm steht die Verbesserung der Emotionsregulation in der Arbeit mit den Eltern, den Lehrpersonen und mit dem Kind im Zentrum. Lohaus & Glüer (2017) definieren Emotionsregulation (synonym Selbstregulation) wie folgt: „Kompetenz, Emotionen und Verhalten so zu regulieren, dass erwünschte Ziele erreicht werden können“. Die Regulation von Emotionen wird demnach in sozialen Interaktionen auf der Verhaltensebene sichtbar und auch veränderbar (Petermann et al. 2016, Petermann und Petermann 2015). Emotionen müssen nicht im Moment, in dem sie erlebt werden, zum Ausdruck gebracht werden. Sie können aufgeschoben, unterdrückt, durch andere Emotionen überspielt oder mit hilfreichen Strategien verändert werden. Ein wesentlicher Schritt in der kindlichen Entwicklung ist die Fähigkeit, Emotionen in konkreten Situationen/ Interaktionen wahrnehmen und situationsangemessen ausdrücken resp. regulieren zu können. Dieser Schritt erfolgt erst um das 4. Lebensjahr herum - Probleme mit der Emotionsregulation beim Eintritt in das Kindergartenalter sind demzufolge relativ häufig (Petermann und Wiedebusch 2016, 36). Sprache als Mittel der Emotionsregulation Sprachkompetenz ist ein zentraler Faktor für die Entwicklung emotionaler Kompetenz und für die Emotionsregulation. Sprache macht es möglich, n den eigenen emotionalen Zustand mitzuteilen (Kommunikation) n über aktuelle oder vergangene Emotionen zu sprechen (Reflexion) n über Situationen zu sprechen, die Emotionen hervorrufen, und solche zu suchen oder zu vermeiden (Antizipation) Die Sprachentwicklung eines Kindes erfolgt - auf einer biologisch-genetischen Basis - im Austausch mit den primären Bezugspersonen und ist geprägt durch das Bildungsniveau, das Entwicklungsverständnis der Eltern resp. von Personen im Lebenskontext des Kindes sowie durch die familiären Interaktionsmuster. Kinder, deren Eltern und Bezugspersonen das Verhalten und die Gefühlsäußerungen des Kindes nicht genügend mit Sprache begleiten (Ammensprache, Spiegeln, Benennen, Vorlesen, Geschichten erzählen, Fragen stellen zum Alltagserleben), haben mehr Probleme in der Emotionsentwicklung und -regulation. Förderung der Emotionsregulation im Programm Im Programm wird gemeinsam mit den Eltern die emotionale Entwicklung ihres Kindes mithilfe einer psychoedukativen Tafel (nach Petermann und Wiedebusch 2016, 36) nachgezeichnet. Im Zentrum stehen folgende primäre Emotionen 4 : 81 FI 2/ 2024 KOFA-Schule: Förderung der Emotionsregulation in Familie und Schule n Freude n Wut n Angst n Trauer n Aufregung/ Anspannung (Stress, Arousal) Gemeinsam wird besprochen, welche Schritte das Kind im Entwicklungsverlauf wann ungefähr gemacht hat resp. wo es heute steht: n Ausdruck der primären Emotionen wie Freude, Trauer, Wut n über Gefühle sprechen n sich in andere einfühlen n Gefühle vortäuschen n sekundäre Emotionen wie Scham, Schuld ausdrücken n Emotionen vortäuschen resp. Emotionen gezielt einsetzen Auch wird besprochen und visualisiert, was die Eltern zum jeweiligen Zeitpunkt gedacht, gefühlt und gemacht und wie sie das Kind bei der Verbalisierung und Regulation seiner Gefühle begleitet haben. Gefühle erkennen und benennen: Senti kommt zu Besuch Nach der psychoedukativen Erkundung wird mit den Eltern und dem Kind geübt, Gefühle im Alltag besser zu erkennen und zu benennen. Die primären Emotionen finden sich als Bildkarten (aus Bücken-Schaal 2013) mit Erläuterungen und Beschreibungen aus Fobian und Zels (2018) im KOFA-Schule-Toolkit. Diese Quellen wurden von uns teilweise übernommen und ergänzt. Mithilfe eines prägnanten Bildes werden die Emotionen für Kinder erkennbar eingeführt und kindgerecht beschrieben. Die kindbezogene Beschreibung formuliert die Gefühle als Kunstfigur „Senti“, die in Gestalt des jeweiligen Gefühls zu Besuch kommt. Für Eltern und Lehrpersonen folgt eine ausführlichere Beschreibung. Die Gefühls-Sentis werden schrittweise eingeführt und mit einem einprägsamen Bild immer wieder besprochen. Hier folgt exemplarisch die Beschreibung für „Freude“ aus dem Programmmanual (Cassée und Rufer 2023). Freude: Erläuterung für das Kind Wenn ich - das Freude-Senti - ein Kind besuche, dann ist es richtig glücklich und fröhlich. Es möchte am liebsten springen, tanzen, singen oder jemanden in die Arme nehmen. Dass es mich gibt, ist praktisch. Die Kinder und alle Menschen um es herum wissen dann, dass gerade etwas gut ist, und wollen das meistens nochmal machen. Mich hat man meistens sehr gerne zu Besuch. Woran merkst du, dass du dich freust? Und wenn das Freude-Senti nicht da ist: woran merkst du das? Hast du eine Idee, was du tun kannst, damit du dich richtig freuen kannst? Wer oder was macht dich fröhlich? Was kann Mama tun, damit du Freude hast? Lernförderung im Alltag der Familie Durch die Präsenz des Familiencoachs im Alltag und die geteilten Erfahrungen mit den Eltern und dem Kind kann die Bedeutung von Lernsituationen für die Emotionsentwicklung nachvollziehbar an konkreten Beispielen vermittelt werden. Ungünstige Lernketten (Bausteine aus der operanten Lerntheorie) und belastende Gedanken und Gefühle (Elemente aus der kognitiven Lerntheorie) können in der Familie beobachtet und im Gespräch mit den Erziehungspersonen und dem Kind aufgearbeitet werden mit dem Ziel, neue Verhaltensstrategien zu entwickeln (Cassée 2019 a). 82 FI 2/ 2024 Kitty Cassée, Rahel Rufer Das Programm benutzt auch Prinzipien der sozialen Lerntheorie (Modell-Lernen), indem die Familiencoaches Modelle für das gewünschte Verhalten bewusst vorzeigen und gutes Modellverhalten der Eltern verstärken. So können Eltern zu guten Modellen für ihr Kind werden. Bedeutsam ist, dass die Eltern kontingent (zeitnah und möglichst in der Situation) und kongruent (verbal und nonverbal passend) auf das Verhalten des Kindes reagieren. Der Familiencoach kann im Alltag der Familie: n Aufgaben stellen, in denen emotionale Fähigkeiten angesprochen werden und diese mit adäquaten, klaren und adressierten „Instruktionen“ begleiten (kognitiv einbetten) n Feedback geben mit Affektspiegelung (benennen von Gedanken und Gefühlen) n Emotionsäußerungen selektiv verstärken: benennen und erwünschte Gefühlsäußerungen spiegeln n Vorbild sein und Vorbilder emotionalen Verhaltens bereitstellen n Die Imitation dieser Vorbilder im Alltag mit entsprechendem Feedback fördern n mithilfe von Spielen, Visualisierungen, Geschichten, Übungen etc. die emotionalen, sozialen und kognitiven Fähigkeiten der Kinder und deren Eltern verbessern Toolkit KOFA-Schule Für die Strukturierung und didaktische Gestaltung der Familieneinsätze steht ein Toolkit zur Bearbeitung der einzelnen Themen zur Verfügung. Dieses Kit enthält Arbeitstafeln, Bildkarten und weitere Materialien für die direkte Arbeit mit den Familien sowie Arbeitsblätter. Das Toolkit unterstützt die Familiencoaches in der programmgetreuen Umsetzung. Didaktische Materialien aus dem Toolkit können auch im Kontakt mit Lehrpersonen genutzt werden, um die Abstimmung zwischen Schule und Familie möglichst optimal zu gestalten. Ein Beispiel für Familie und Schule: Wenn-dann-Pläne Damit intendierte Veränderungen auch tatsächlich in Handeln umgesetzt werden, arbeitet das Programm mit so genannten Wenn-dann- Plänen (Implementation Intentions nach Gollwitzer 1993). Gollwitzer und Brandstätter (1997) konnten nachweisen, dass die Zielerreichung mit Hilfe von Wenn-dann-Plänen deutlich verbessert werden kann. Die Methode der Wenn-dann-Pläne verknüpft das Wollen mit dem Tun, indem die Mittel und Wege zum Ziel in alltäglichen Situationen konkret benannt werden. Mit den Eltern wird herausgearbeitet, was sie resp. das Kind in der Situation X konkret tun können (Verhalten Y). Mit einer Mutter, die sehr selten mit ihren Kindern nach draußen geht, könnte z. B. folgender „Wenn-dann-Plan“ formuliert werden: „Wenn Timo von der Schule kommt, dann essen wir gemeinsam einen Imbiss und gehen dann zusammen mit Sarah auf den Spielplatz.“ Solche Wenn-dann-Pläne können gemeinsam visualisiert, im Familienheft notiert und als Bausteine der täglichen Routine verankert werden. Auch in der Arbeit mit einem Kind sind Wenndann-Pläne sinnvoll, müssen aber gut visualisiert werden. Für Timo könnte ein Wenn-dann-Plan sein: „Wenn Mama mit mir auf den Spielplatz gehen will, dann mache ich das, ohne zu motzen.“ 83 FI 2/ 2024 KOFA-Schule: Förderung der Emotionsregulation in Familie und Schule Timo macht dazu eine Zeichnung des Spielplatzes mit der Mutter, Sarah und Timo als Hund. Die Zeichnung wird im Familienheft abgelegt. Evaluation Das Evaluationskonzept für das Programm steht in der Tradition des Routine Outcome Monitoring (ROM, Cassée 2019 b, Van Yperen und Veerman 2008). In einem ROM-Design wird die praxisbasierte Evidenz geprüft mit folgenden Indikatoren: n Abbruchquote der jeweiligen Intervention n Beurteilung der Umsetzungsqualität und der Wirkung durch die Klientinnen/ Klienten n Zielerreichung der Intervention aus Sicht der Beteiligten Die Ergebnisse einer ROM-Evaluation werden zeitnah für die Programmverbesserung genutzt. Ausgewählte Ergebnisse der ersten Programmevaluation werden nachfolgend dargestellt auf der Basis von Daten jener Familien, welche sich zwischen 2019 und 2021 freiwillig im Rahmen des FOSSA-Projekts zur Programmteilnahme entschieden haben. Die erste Programmevaluation beinhaltet Ergebnisse zur Umsetzung der Programmtreue, sowie zur Einschätzung der Programmerfolge aus Sicht der Familie, des Familiencoachs und der Lehrpersonen. Datengrundlage bilden dafür strukturierte Prozessbeurteilungen zum Zeitpunkt des letzten Einsatzes in den Familien sowie Follow-up- Gespräche 5 . Die beteiligten Familien Für das Programm konnten 116 Familien in zwei Kohorten gewonnen werden. Das Programm hatte in der ersten Kohorte eine Abbruchquote von 26 % (16 Familien), die nach Anpassungen bei der Rekrutierung in der zweiten Kohorte auf 12 % (6 Familien) gesenkt werden konnte. In die Datenauswertung fließen demnach die Daten von 94 Familien ein, welche das Programm inkl. Prozessbeurteilung beim Programmschluss abgeschlossen haben. Die Follow-up-Befragungen (drei Monate nach Programmschluss) konnten in 71 Familien realisiert werden. Ergebnisse Auf der Basis formativer Daten können Aussagen gemacht werden, wie gut das Programm umgesetzt (Programmtreue) und wie das Programm aus Sicht der Eltern und der Fachpersonen erlebt wird. Summativ wurde ermittelt, inwiefern die Programmziele aus der Perspektive der Eltern, der Familiencoaches und der Lehrpersonen erreicht werden. Aus Follow-up- Gesprächen lassen sich zudem erste Hinweise auf die Nachhaltigkeit der Programmziele ableiten. Die Ergebnisse werden nach Themenbereichen dargestellt 6 . Zielerreichung bezogen auf das Kind Verbesserung des Emotionswissens und der Emotionswahrnehmung In den Prozessbeurteilungen (PB) bei Programmschluss beurteilen 76 % der Eltern und 77 % der Familienarbeitenden dieses Ziel als erreicht, zu ca. 20 % als teilweise erreicht. Zwei Prozent der Eltern und 4 % der Familienarbeitenden geben an, dass dieses Ziel nicht erreicht wurde. In der Follow-up-Befragung (FU) nach drei Monaten sind die Eltern noch leicht positiver: 82 % der Kinder haben dieses Ziel in ihrer Einschätzung ganz erreicht, 14 % teilweise. Die Lehrpersonen sind in der Follow-up-Befragung leicht kritischer: 69 % der Kinder haben das Ziel in ihrer Einschätzung erreicht, 30 % teilweise. 84 FI 2/ 2024 Kitty Cassée, Rahel Rufer Strategien zur Emotionsregulation: das Kind weiß, wie es mit seinen negativen Gefühlen umgehen und seine positiven Emotionen nutzen kann Bei Programmabschluss beurteilen 49 % der Eltern dieses Ziel als ganz, 41 % als teilweise erreicht. Die Einschätzungen der Familienarbeitenden sind ähnlich - der Anteil der Kinder, die dieses Ziel nicht erreicht haben, ist in der Einschätzung der Familienarbeitenden im Vergleich zu den Eltern aber doppelt so hoch. In der Follow-up-Befragung nach drei Monaten sehen die Eltern die Zielerreichung ähnlich: fast 50 % der Kinder haben dieses Ziel ganz, ca. 40 % teilweise erreicht. Auch die Lehrpersonen stufen diese Zielerreichung vergleichbar ein. Zielerreichung bezogen auf die Eltern Verständnis für das Verhalten des Kindes Bei Programmabschluss beurteilen 85 % der Eltern dieses Ziel als ganz, 13 % als teilweise erreicht. Im Follow-up nach drei Monaten hat sich diese Einschätzung noch leicht verbessert: die Eltern sagen zu 91 % aus, dass sich das Verständnis für das Verhalten ihres Kindes verbessert hat. Die Familienarbeitenden sehen diesen Punkt zu 76 % als ganz, zu 20 % als teilweise erreicht. Strategien im Umgang mit dem Kind Nahezu 92 % der Eltern schätzen ein, dass sich ihre Strategien im Umgang mit dem Kind verbessert oder teilweise verbessert (7 %) haben. Auch die Familienarbeitenden sehen hier eine Eltern bei PB Eltern bei FU Familienarbeitende bei PB Lehrperson bei FU Kind: Emotionswissen und -wahrnehmung 0 % 10 % 20 % 30 % 40 % 50 % 60 % 70 % 80 % 90 % 100 % 2 % 3 % 4 % 1 % 19 % 14 % 19 % 30 % 76 % 82 % 77 % 69 % 3 % 1 % Ziel nicht erreicht Ziel teilweise erreicht Ziel erreicht Keine Angabe Abb. 1: Zielerreichung des Kindes in Bezug auf das Emotionswissen und die Emotionswahrnehmung Eltern bei PB Eltern bei FU Familienarbeitende bei PB Lehrperson bei FU Kind: Strategien zur Emotionsregulation 0 % 10 % 20 % 30 % 40 % 50 % 60 % 70 % 80 % 90 % 100 % 6 % 8 % 12 % 8 % 41 % 42 % 44 % 45 % 49 % 50 % 44 % 46 % 3 % Ziel nicht erreicht Ziel teilweise erreicht Ziel erreicht Keine Angabe Abb. 2: Zielerreichung des Kindes in Bezug auf Strategien zur Emotionsregulation 85 FI 2/ 2024 KOFA-Schule: Förderung der Emotionsregulation in Familie und Schule positive Entwicklung: die Eltern haben ihre Strategien im Umgang mit dem Kind ganz (69 %) resp. teilweise (30 %) verbessert. Im Follow-up nach drei Monaten sind die Eltern leicht selbstkritischer. Zusammenarbeit zwischen Eltern und Schule Ein Ziel im Familienprogramm war die Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen Eltern und Lehrpersonen. Dieses Ziel konnte mit den vorhandenen Programmressourcen im Rahmen des FOSSA-Projekts nicht intensiv bearbeitet werden. Im Programm war kein direkter Austausch zwischen Eltern, Coaches und Schule geplant, aber Themen aus der Schule waren immer wieder Thema in den Einsätzen, und die Eltern wurden seitens der Familienarbeitenden ermutigt, bei gegebener Indikation (z. B. Fragen, Sorgen oder Wünsche) den Kontakt zur Schule zu suchen. Seit 2022 ist die Zusammenarbeit mit der Schule ein fester und bedeutsamer Baustein des Programms. Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen Eltern und Schule Die Abbildung 5 zeigt, dass sich die Zusammenarbeit mit der Schule trotz geringen Projektressourcen hierzu aus Sicht der Eltern beim Programmschluss und nach drei Monaten verbessert hat. Die Lehrpersonen sehen die Zusammenarbeit leicht positiver als die Eltern, die Familienarbeitenden sind da etwas weniger positiv, verfügen aber auch nicht über die gleiche Erfahrungsbasis wie die Eltern und die Lehrpersonen. Eltern bei PB Eltern bei FU Familienarbeitende bei PB Eltern: Verständnis für das Verhalten des Kindes 0 % 10 % 20 % 30 % 40 % 50 % 60 % 70 % 80 % 90 % 100 % 2 % 3 % 4 % 13 % 7 % 20 % 85 % 91 % 76 % Ziel nicht erreicht Ziel teilweise erreicht Ziel erreicht Abb. 3: Zielerreichung der Eltern in Bezug auf das Verständnis für das Verhalten des Kindes Eltern bei PB Eltern bei FU Familienarbeitende bei PB Eltern: Strategien im Umgang mit dem Kind 0 % 10 % 20 % 30 % 40 % 50 % 60 % 70 % 80 % 90 % 100 % 1 % 1 % 1 % 7 % 15 % 30 % 92 % 84 % 69 % Ziel nicht erreicht Ziel teilweise erreicht Ziel erreicht Abb. 4: Zielerreichung der Eltern in Bezug auf die Strategien im Umgang mit dem Kind 86 FI 2/ 2024 Kitty Cassée, Rahel Rufer Das Programm aus Sicht der Eltern Im Gespräch mit den Familienarbeitenden beim Abschluss des Programms wurden die Eltern gebeten, ihre Erfahrungen mit dem Programm zu schildern und einzelne Themenbereiche zu bewerten (Dreierskala mit den Ausprägungen positiv/ ja, teilweise, negativ/ nein). Ausgewählte Ergebnisse aus der Abbildung 6 werden nachfolgend kurz kommentiert und ergänzt durch qualitative Aussagen der Eltern. Richtiges Angebot? Die Familien schätzen das Angebot zu 95 % als ganz oder teilweise passend für ihre Familie ein. Nur in einem Einzelfall (1 %) wurde das Programm als nicht geeignet für die Familie beurteilt. Themen und Aufbau Mit den Themen und dem Aufbau des Programms sind die Eltern sehr zufrieden: lediglich für eine Familie gilt diese Aussage nicht. Eltern bei PB Eltern bei FU Familienarbeitende bei PB Lehrperson bei FU Zusammenarbeit Eltern und Schule 0 % 10 % 20 % 30 % 40 % 50 % 60 % 70 % 80 % 90 % 100 % 7 % 7 % 9 % 6 % 19 % 20 % 33 % 17 % 70 % 73 % 58 % 77 % 3 % Ziel nicht erreicht Ziel teilweise erreicht Ziel erreicht Keine Angabe Abb. 5: Zielerreichung in der Zusammenarbeit zwischen den Eltern und der Schule Abb. 6: Programmbeurteilung durch die Eltern (n = 94) ja/ positiv teilweise nein/ negativ Keine Angabe Richtiges Angebot für die Familie Themen und Aufbau Lerneffekt Eltern Lerneffekt Kind Weiterempfehlung Verbesserungswünsche 0 % 10 % 20 % 30 % 40 % 50 % 60 % 70 % 80 % 90 % 100 % 63 % 32 % 1 % 4 % 67 % 29 % 1 % 3 % 80 % 12 % 3 % 5 % 63 % 29 % 3 % 3 % 88 % 6 % 2 %3 % 50 % 47 % 3 % Programmbeurteilung durch die Eltern 87 FI 2/ 2024 KOFA-Schule: Förderung der Emotionsregulation in Familie und Schule Es folgen einige kategorisierte Aussagen aus den spontanen Kommentaren, die von 85 Familien gemacht wurden. Positive Spontanaussagen Themen: hilfreich/ nützlich/ gut strukturiert/ gute Menge . . . . . . . . . . . . . 25 % Aufbau gut und verständlich (alles baut aufeinander auf, roter Faden) . . 20 % Tipps für den Alltag/ konkrete Beispiele/ Strategien und Methoden/ Unterstützung, Begleitung, fachliche Meinung . . . . . . . . . . . 15 % Hilfsmittel (Visualisierung mit Bildern, Karten etc.), Strategien, hilfreiches Material . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 % Informationsvermittlung (über Entwicklung, gute Menge an Inhalten) . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 % Reflexion (über Situation, eigenen Erziehungsstil) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 % Kritische Spontanaussagen Tempo/ Dichte zu hoch . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 % Keine neuen Infos resp. Grundhaltung in der Erziehung war bekannt . . . . . . . . . . . . 6 % Einige Originalaussagen „Nützliche Tipps, Programm sehr beispielhaft und bildlich. Gute Lösungsansätze für den Alltag.“ „Wir haben drei Problemkinder - schwer zu sagen, ob es wirkt. Der Familiencoach ist auf uns eingegangen, war kompetent und hat Themen verständlich erläutert.“ „Aufbau tipptopp - gute und feine Steigerung in den Inhalten. Gute Hausaufgaben.“ „Blick auf Ressourcen von Kind und Eltern im Zentrum.“ Lerneffekt bei den Eltern Ganz erfreulich hoch stufen die Eltern den Lerneffekt für sich als Eltern ein: 80 % bejahen einen Lerneffekt, 12 % sehen teilweise Effekte. Einige Originalaussagen „Ich habe viel gelernt, kann mich besser beruhigen und L. unterstützen, besser mit Wut und Aufregung umzugehen.“ „Ich bin konsequenter.“ „Ich habe gelernt, mehr auf mich zu achten, einen Deutschkurs zu machen und meine eigenen Emotionen besser zu beachten.“ „Der Umgang mit der Schule hat sich sichtbar verbessert. Ich habe über das Schulsystem in der Schweiz viel gelernt.“ „Das Familienbuch ist ein wichtiges Familienalbum.“ Fazit Die Evaluation gibt deutliche Hinweise auf Wirkungen im erwünschten Sinne: die Eltern und die Lehrpersonen sind mit dem Programm zufrieden und beobachten Verbesserungen in der Emotionsregulation beim Kind. Auch die Programmziele für die Eltern wurden aus der Sicht aller Beteiligten als gut bis sehr gut erreicht beurteilt. Das Programm fokussiert in acht Einsätzen im Alltag einer Familie primär auf die Befähigung der Eltern im Umgang mit ihrem Kind und sekundär auf die Verhaltensänderung beim Kind. Mit dem intensiveren Kontakt zur Schule seit 2022 können auch Lehrpersonen gezielter im Umgang mit verhaltensauffälligen Kindern unterstützt werden. Diese multisystemische Ausrichtung erscheint vielversprechend. Fachpersonen mit einer sozialpädagogischen/ sozialarbeiterischen Ausbildung können das Programm auf der Basis der Programmmaterialien nach einem Schulungsinput und mit mindestens einem Fallcoaching pro Familie gut und programmgetreu umsetzen. 88 FI 2/ 2024 Kitty Cassée, Rahel Rufer Bedeutung für die Praxis KOFA-Schule ist ein spezialpräventives Programm zur Verbesserung der Emotionsregulation von Kindern mit externalisierenden resp. internalisierenden Verhaltensauffälligkeiten. Das zeitlich begrenzte Programm umfasst strukturierte Interventionen in Familien und seit 2022 auch intensivierte Kontakte mit Lehrpersonen zu Beginn, im Verlauf und am Schluss des Programms. Damit gibt KOFA-Schule eine gut fundierte und zeitnahe Antwort auf die Entwicklungsbelastungen von Kindern im Schulalter. Mit dem Programm wird eine Entlastungsmöglichkeit angeboten, die das Schulfeld mit Nachdruck fordert. Die multisystemische Perspektive, die lernfördernden Interventionen im Alltag der Familien sowie die Koordination mit der Schule wollen verhindern, dass die Verantwortung für die Verhaltensauffälligkeiten von Kindern zwischen der Schule und der Familie hin- und hergeschoben wird. KOFA-Schule versteht sich als kostengünstiges Angebot, das den Bedarf invasiverer Interventionen durch Instanzen der Jugendhilfe mindern kann. Das Programm kann mit Anpassungen an die örtlichen Gegebenheiten auch außerhalb der Schweiz implementiert werden. Die programmgetreue Umsetzung setzt eine Einführungsschulung (4 h) sowie Mentoringkontakte bei der Erstanwendung (3 h) voraus, die wir ab 2024 digital - wenn immer möglich in Gruppen - anbieten werden. Die Kosten für das Programmmaterial (Manual und Toolkit) zusammen mit der Schulung betragen € 1000,- (Stand 2023). Limitationen Dieser Text präsentiert Evaluationsergebnisse aus Selbstberichten der Eltern, der Lehrpersonen und der Familiencoaches ohne Kontrollgruppe 7 . Aus Ressourcengründen konnte vorliegendes Datenmaterial aus SDQ und LSL (Messung zu Beginn des Programms und drei Monate nach Abschluss) nicht berücksichtigt werden. Die hier präsentierten Evaluationsergebnisse des Familienprogramms müssen durch weitere ROM-Evaluationsstudien (vorgesehen für 2024) und mit Daten aus einer Kontrollgruppenstudie validiert werden. Speziell ist zu ermitteln, inwiefern die Passung von Kind, Familie und Programm ausreichend gegeben war (Programm- Indikation) und in wie vielen Familien weitere Maßnahmen eingeleitet wurden. Die Testergebnisse aus SDQ und LSL sollen für Hinweise auf die Nachhaltigkeit der Intervention als Standard genutzt werden. Prof. em. Dr. Kitty Cassée Limmatstraße 258 CH-8005 Zürich E-Mail: kitty.cassee@kompetenzhoch3.ch M. Sc. Rahel Rufer Limmatstraße 258 CH-8005 Zürich E-Mail: rahel.rufer@kompetenzhoch3.ch Anmerkungen 1 KOFA-Schule wurde in den Jahren 2019 - 2021 vom Institut kompetenzhoch3 (www.kompetenzhoch3.ch) im Rahmen des FOSSA-Projektes (Leitung Prof. Dr. M. Neuenschwander) entwickelt. Ziel des Projekts: die Bildungs- und Entwicklungschancen von Kindern in Schule und in Familie verbessern (www.fhnw.ch/ ph/ fossa) 2 SDQ: Strenght and Difficulties Questionnaire. Der SDQ ist ein kurzer Fragebogen zu den Stärken und Problemen eines Kindes, der international für ein Kurzscreening eingesetzt wird (Goodman 1997). 3 LSL: Lehrereinschätzbogen Sozial- und Lernverhalten (Petermann und Petermann 2013). 4 Aus den primären Emotionen bilden sich auf der Basis gemachter Erfahrungen die komplexeren sekundären Emotionen (z. B. Stolz, Neid, Schuld). 5 Der Evaluationsbericht ist abrufbar unter https: / / kompetenzhoch3.ch/ wp-content/ uploads/ 2021/ 11/ FOSSA-Familienprogramm-Bericht_Kurzversion_ Onlineversion_2.-Auflage.pdf 89 FI 2/ 2024 KOFA-Schule: Förderung der Emotionsregulation in Familie und Schule 6 Wegen Rundungsungenauigkeiten addieren sich die Prozentzahlen in den Tabellen 1- 6 nicht immer genau auf 100 %. 7 Das Projektteam der PH FHNW unter der Leitung von Prof. Dr. Markus Neuenschwander führte eine Studie zur Wirkung der Weiterbildung für die Lehrpersonen und des Familienprogramms in einem RCT-Studiendesign mit Vorher-/ Nachher-Messungen und einer Kontrollgruppe durch (https: / / www.fhnw.ch/ de/ personen/ markus-neuenschwander/ fossa-schlussbericht_ev.pdf ) Literatur Bücken-Schaal, M. (2013): Bildkarten Gefühle für Kindergarten und Grundschule. Don Bosco Medien GmbH, München Burkhardt, S. C. A., Ueli Stauffer, B., Amft, S. (2022): Schüchterne und sozial ängstliche Kinder in der Schule. Erkennen, verstehen, begleiten. Kohlhammer, Stuttgart Cassée, K. (2019 a): KOFA-Manual. Handbuch für die kompetenz- und risikoorientierte Arbeit mit Familien. Haupt, Bern Cassée, K. (2019 b): Kompetenzorientierte Methodiken. Handlungsmodelle für „gute Praxis“ in der Jugendhilfe. Haupt, Bern Cassée, K., Rufer, R. (2023): KOFA-Schule. Manual für die Programmdurchführung. 3. Ausgabe. kompetenzhoch3.ch, Zürich Croos-Müller, C. (o. J): Ich schaf(f ) das! Leichte Körperübungen für mehr Lebenspower. Kösel, München Fobian, C., Zels, M. (2018): Die Gefühle-Bande. Martha Press, Hamburg Fröhlich-Gildhoff, K., Rönnau-Böse, M. (2019): Resilienz. UTB, München, http: / / dx.doi.org/ 10.36198/ 9783838552064 Gollwitzer, P. M. (1993): Goal achievement: The role of intentions. European review of social psychology 4 (1), 141 - 185, http: / / dx.doi.org/ 10.1080/ 1479277934 3000059 Gollwitzer, P. M., Brandstätter, V. (1997): Implementation intentions and effective goal pursuit. Journal of personality and social psychology 73 (1), 186, https: / / doi.org/ 10.1037/ 0022-3514.73.1.186 Goodmann, R. (1997): The Strength and Difficulties Questionnaire: A research note. Journal for Childs Psychology and Psychiatry 38, 581 - 586 Heinrichs, N., Lohaus, A., Maxwill, J. (2017): Emotionsregulationstraining (ERT ) für Kinder im Grundschulalter. Hogrefe Verlag, Göttingen, http: / / dx.doi.org/ 10.1026/ 02766-000 Hurrelmann, K., Bauer, U. (2015): Einführung in die Sozialisationstheorie. Das Modell der produktiven Realitätsverarbeitung. (11. vollst. überarb. Aufl.). Beltz, Weinheim Lohaus, A., Glüer, M. (2017): Selbstregulation bei Kindern im Rahmen der Entwicklungs-und Erziehungspsychologie. In: Cracke, B., Noack, P. (Hrsg.): Handbuch Entwicklungs- und Erziehungspsychologie, Berlin, Springer, 11 - 17, http: / / dx.doi.org/ 10.1007/ 978-3-642- 54061-5_7-1 Petermann, F., Natzke, H., Gerken, N., Walter, H. J. (2016): Verhaltenstraining für Schulanfänger: ein Programm zur Förderung Emotionaler und sozialer Kompetenzen. Hogrefe, Göttingen, http: / / dx.doi.org/ 10.1026/ 02709-000 Petermann, F., Petermann, U. (2012): Training mit aggressiven Kindern. 13. überarb. Aufl.. Beltz, Weinheim Petermann, F., Petermann, U. (2015): Training mit sozial unsicheren Kindern. Behandlung von sozialer Angst, Trennungsangst und generalisierter Angst. 11. Auflage. Beltz, Weinheim Petermann, F., Wiedebusch, S. (2016): Emotionale Kompetenz bei Kindern, Vol. 7. Hogrefe, Göttingen, http: / / dx.doi.org/ 10.1026/ 02710-000 Petermann, U. (2022): Übersicht zum Phänomen Schüchternheit, zur Entstehung und zu sozialen Kompetenztrainings. In: Burckhardt, S. C. A., Ueli, B., Amft, S. (2022): Schüchterne und sozial ängstliche Kinder in der Schule. Erkennen, verstehen, begleiten. Stuttgart, Kohlhammer, 25 - 46 Petermann, U., Petermann, F. (2013): LSL. Lehrereinschätzliste für Sozial- und Lernverhalten. 2. bearb. Auflage. Hogrefe, Göttingen Saarni, C. (2002): Die Entwicklung emotionaler Kompetenz in Beziehungen. In: von Salisch, M. (Hrsg.): Emotionale Kompetenz entwickeln. Grundlagen in Kindheit und Jugend. Stuttgart, Kohlhammer, 3 - 30 Thyen, U. (2023): Frühe Hilfen - ein Arbeitsfeld und ein Programm. Frühförderung interdisziplinär 42 (4), 209 - 216, http: / / dx.doi.org/ 10.2378/ fi2023.art23d Van Yperen, T., Veerman, J. W. (2008): Zicht op effectiviteit. Handboek voor praktijkgestuurd effektonderzoek. Eburon, Delft Weissberg, R. P., Durlak, J. A., Dimitrovich, C. E., Gulotta, T. P. (2015): Social and emotional learning: Past, present and future. In: Durlak, J., Domitrovich, S. E, Weissberg, R. P., Gulotta T. P. (Eds.): Handbook of social an emotional learning: Research and practice. New York, Guilford, 3 - 19
