eJournals Frühförderung interdisziplinär 43/2

Frühförderung interdisziplinär
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0721-9121
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2024
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Rezension: Christiane Aens-Wiebel: Autismus. Was Eltern und Pädagogen wissen müssen

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2024
Marina Kammermeier
Victoria Lang
Die 2. Auflage des Buches „Autismus. Was Eltern und Pädagogen wissen müssen“ richtet sich an elterliche Bezugspersonen von Kindern und Jugendlichen im Autismus-Spektrum sowie pädagogisches Fachpersonal. Der Ratgeber wurde von Christiane Arens-Wiebel, Sozialpädagogin und freiberufliche Autismusberaterin, geschrieben, die bis zu ihrem Ruhestand als Therapeutin und Leiterin der Beratungsstelle des Vereins Autismus Bremen e.V. tätig war. Das Buch gliedert sich in mehrere Kapitel, von denen die ersten zwei sich mit der Diagnose Autismus und der Förderung im Familienkontext beschäftigen. Anschließend folgen altersbezogene Kapitel für Kindergarten, Schule und Jugendalter sowie ein kurzer Ausblick auf das (frühe) Erwachsenenalter.
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106 FI 2/ 2024 REZENSIONEN Christiane Arens-Wiebel Autismus. Was Eltern und Pädagogen wissen müssen. (Praxiswissen Erziehung) 2. Überarbeitete Auflage. Kohlhammer 2023, 235 S., € 34,- Die 2. Auflage des Buches „Autismus. Was Eltern und Pädagogen wissen müssen“ richtet sich an elterliche Bezugspersonen von Kindern und Jugendlichen im Autismus-Spektrum sowie pädagogisches Fachpersonal. Der Ratgeber wurde von Christiane Arens-Wiebel, Sozialpädagogin und freiberufliche Autismusberaterin, geschrieben, die bis zu ihrem Ruhestand als Therapeutin und Leiterin der Beratungsstelle des Vereins Autismus Bremen e.V. tätig war. Das Buch gliedert sich in mehrere Kapitel, von denen die ersten zwei sich mit der Diagnose Autismus und der Förderung im Familienkontext beschäftigen. Anschließend folgen altersbezogene Kapitel für Kindergarten, Schule und Jugendalter sowie ein kurzer Ausblick auf das (frühe) Erwachsenenalter. Das erste Kapitel thematisiert knapp die nach der ersten Diagnosestellung bei Eltern aufkommenden Unsicherheiten, damit verbundene Emotionen, aber auch Vorstellungen von und Ansprüche an Therapieerfolge und geht dabei speziell auf den väterlichen Umgang mit der Diagnose „Autismus“ ein. Zudem erfolgen Hinweise, zu welchem Zeitpunkt und auf welche Weise die Diagnose Verwandten und Freunden mitgeteilt werden kann. Das zweite Kapitel beschreibt zunächst allgemein professionelle Hilfen (u. a. Frühförderung, medizinisch orientierte Angebote, autismusspezifische Therapie) unter Verweis darauf, dass es Unterschiede zwischen den Bundesländern gibt. Es folgen konkrete Praxistipps zur Umfeldgestaltung sowie die Benennung möglicher Erziehungsaufgaben und Förderziele (unter dem Hinweis „Weniger ist mehr“) in verschiedenen Bereichen (u. a. Kommunikation, Spielverhalten, Motivation, Selbstständigkeit, Routinen). Des Weiteren werden knapp autismusspezifische Problematiken erklärt (z. B. warum der Erwerb von Sprache schwierig ist) und Tipps hinsichtlich der alltäglichen Förderung gegeben (u. a. realistische Ansprüche an das kindliche Spielverhalten stellen; durch Alltagsroutinen und Strukturen Vertrauen schaffen und Angst reduzieren). Die drei folgenden Kapitel sind ähnlich aufgebaut und beschreiben altersbzw. einrichtungsbezogene Thematiken, nennen Förder-/ Lernziele und verweisen jeweils am Ende des Kapitels knapp darauf, „was Pädagog*innen wissen müssen“. Im Kindergartenalter wird zunächst die Wahl der passenden Betreuung (Tagesmutter, Spielgruppe, HPT/ Integrations-Kiga) thematisiert, deren Kriterien allerdings aufgrund der aktuell stark belasteten Betreuungseinrichtungen nicht immer realistisch erscheinen. Es folgen Ausführungen zur Vorbereitung des Übergangs, Umgang bei Overload und der Schaffung von Strukturen in der Betreuungseinrichtung (z. B. durch Nutzung von Symbolen, eine Integrationsassistenz). Zumindest knapp wird auf die (tageszeitliche) Integration von Frühförderung und Therapien in den Alltag des Kindes eingegangen. Nach Nennung möglicher Lernziele (u. a. in den Bereichen Kommunikation/ Sprache, Sozialverhalten, Spielverhalten, Selbstständigkeit) werden konkrete Anregungen zur Gestaltung der Alltagsförderung gegeben (z. B. Motivierung zu Sprache, schrittweises Einführen von Regeln, Gestaltung des Tagesablaufs mit Symbolen). Dabei wird betont, dass die kognitiven Fähigkeiten autistischer Kinder nicht unterschätzt werden sollten. Ein letzter Abschnitt behandelt den Umgang mit autismusspezifischen Verhaltensweisen (u. a. Echolalie, Spezialthemen, Stereotypien, Wut- 107 FI 2/ 2024 Rezensionen ausbrüche). An dieser Stelle wäre bereits eine Unterscheidung zum Meltdown wünschenswert gewesen, der eben keinen klassischen Wutanfall darstellt. Zuletzt wird knapp auf die Relevanz von Absprachen zwischen Familie und Erzieher*innen hinsichtlich möglicher Förderziele und des generellen Vorgehens verwiesen. Das Kapitel zum Schulalter beginnt mit der Vorbereitung auf die Einschulung (u. a. Schulwahl: Regelvs. Förderschule), der Übergangsgestaltung und der möglichen Aufklärung von Klassenkamerad: innen. Die Autorin weist auf die zunehmende Selbstständigkeit des Kindes im Schulalter hin, welche das Einführen von klaren Familienregeln (z. B. im Umgang miteinander, im Haushalt) notwendig macht, und empfiehlt die Vermittlung von Regeln und Strukturen durch Pläne und Symbole (z. B. mit METACOM). Weiter wird die psychotherapeutische Unterstützung von Eltern sowie angemessene Einbindung (und Vermeidung von Überforderung) von Geschwisterkindern adressiert. Als mögliche Entwicklungsziele im Schulalter werden die Selbstständigkeit und der Aufbau von Freundschaften als bedeutsam herausgestellt. Gut gelungen ist der Autorin ein knappes Vorstellen von Therapieansätzen und Methoden, z. B. der Verhaltenstherapie, der Kommunikationsförderung (u. a. TEACCH, PECS), des Sozialtrainings und der Förderung kognitiver Fähigkeiten (u. a. Marte Meo). Wie von der Autorin angemerkt, erfolgt dies jedoch ohne kritische Bewertung, immerhin aber teilweise mit Verweisen auf entsprechende Quellen. Ein letzter Abschnitt behandelt den Umgang mit autismusspezifischen Verhaltensproblemen und weist darauf hin, dass es wichtig ist zu erkennen, warum ein bestimmtes Verhalten gezeigt wird. Das Kapitel zum Jugendalter thematisiert unter anderem die Identitätsfindung in der Pubertät (u. a. wie dem Jugendlichen Autismus erklärt werden kann) sowie die notwendige Sexualerziehung (Erklärung körperlicher Veränderungen und diesbezüglicher sozialer Regeln). Etwas unpassend scheint das späte Aufgreifen des Themas Arztbesuche, welches bereits für jüngere Kinder relevant ist, sowie das Besprechen des Themas Konfirmation unter dem Punkt „Akzeptanz der Beeinträchtigung in der Familie“. Bezüglich des Umgangs mit autismusspezifischen Verhaltensweisen erklärt die Autorin die Zustände des „Wutausbruchs“, des „Overloads“ und des “Meltdowns“, könnte an dieser Stelle jedoch noch genauer differenzieren. Etwas befremdlich wirkt die Beschreibung des (in der Regel nicht kontrollierbaren) „Shutdowns“ als etwas Positives, das man dem Jugendlichen ermöglichen sollte. Grundsätzlich weist die Autorin darauf hin, dass Pädagog*innen Respekt für jugendliche Autisten als eigenständige Personen haben sollten und diese (sofern möglich) selbst entscheiden lassen oder zumindest informieren sollten. Das Kapitel zum jungen Erwachsenenalter greift knapp die Themen Wohnen und Berufstätigkeit insbesondere in entsprechenden Werkstätten auf. In ihrer Schlussbemerkung zieht die Autorin das Fazit, dass das Leben mit einem autistischen Kind trotz vieler Herausforderungen in der Regel gut zu bewältigen ist und die Beziehung zum Kind von den Bezugspersonen zum größten Teil als bereichernd und schön erlebt wird. Dabei betont die Autorin die Wichtigkeit des Annehmens von Hilfe (sowohl durch das soziale Umfeld als auch professionell). Die Autorin beschreibt in ihrem Buch nachvollziehbar und anschaulich realistische Situationen mit autistischen Kindern und Jugendlichen und gibt wertvolle Hinweise und hilfreiche Praxistipps. Insbesondere der Einsatz von Symbolen, Token-, Struktur- und Tagesplänen ist gut nachvollziehbar erklärt. Die Themen des Buches sind im Allgemeinen sinnvoll entsprechend des Alters des Kindes gegliedert. Bezüglich in verschiedenen Kapiteln erscheinender altersunabhängiger Themen (z. B. Therapieformen oder der Umgang mit Krankheit/ Arztbesuchen) hätte ein eigenes Kapitel mit für alle Altersgruppen relevanten Thematiken zu einem übersichtlicheren Aufbau beigetragen. 108 FI 2/ 2024 Rezensionen Es ist zu beachten, dass die Inhalte zum Großteil aus der persönlichen Erfahrung und Bewertung der Autorin dargestellt sind, auf was diese jedoch auch im Vorwort hinweist. Stellenweise bleibt die Darstellung der Themen daher etwas einseitig (z. B. bzgl. der (Un-)fähigkeit Sprache zu lernen) und undifferenziert (z. B. hinsichtlich der unkritischen Empfehlung von Süßigkeiten als Belohnung oder der Verwendung von Tokenplänen, die auch mit Formen der „Bestrafung“ arbeiten) und trifft wohl nur auf einen Teil des autistischen Spektrums (mit stärker ausgeprägter Symptomatik) zu. Die sprachliche Formulierung entspricht zudem an einigen Stellen nicht den heutigen Standards, beispielsweise wenn von „behinderten Menschen“ statt von Menschen mit Behinderung gesprochen wird. Für pädagogisches Fachpersonal bleibt das Buch an vielen Stellen wohl zu allgemein und subjektiv, um professionell und evidenzbasiert arbeiten zu können. Eltern, die Anregungen und Denkanstöße für die alltägliche Begleitung autistischer Kinder und Jugendlicher suchen, sind aber sicherlich gut mit diesem Buch beraten. Dr. Marina Kammermeier & Victoria Lang DOI 10.2378/ fi2024.art10d Rüdiger Kißgen, Kathrin Sevecke (Hrsg.) Psychische Störungen und Verhaltensauffälligkeiten in den ersten Lebensjahren Lehrbuch zu Grundlagen, Klinik und Therapie Hogrefe 2023, 400 S., € 69,95 Eine frühe Erkennung von Verhaltensauffälligkeiten und psychischen Problemen bei Säuglingen, Klein- und Vorschulkindern ist von zentraler Bedeutung, wenn langfristige Schäden und Chronifizierung vermieden werden sollen. Sie sind erstaunlich häufig mit einer Prävalenz von 14 - 26 Prozent. Zu einem verstärkten Interesse trug die Herausgabe des Klassifikationsschemas DC: 0 - 5 (Klassifikationssystem zur Diagnose von psychischen Störungen bei Säuglingen, Klein- und Vorschulkindern, Zero to Three) im Jahre 2016 bei. Im Teil 1 des Lehrbuches wird die normale kindliche Entwicklung dargestellt. Obwohl die Kapitelüberschrift „pränatale Entwicklung und Geburt“ lautet, wird die Entwicklung der ersten sechs Lebensjahre behandelt (Gehirn, Sinne, Motorik, Sprache, sozial-emotionale Entwicklung, Kognition, Ich-Entwicklung und Selbstständigkeit). Es findet sich auch ein Unterkapitel zu Entwicklungstests. Das Kapitel enthält eine umfassende tabellarische Darstellung dieser Bereiche entlang einer Lebensaltersskala. Es folgt eine kurze Besprechung der psychosexuellen Entwicklung und Konzepten der Diversität. Im Teil 2 werden die Klassifikationssysteme psychischer Störungen besprochen, kurz ICD-10 und DSM-5, ausführlich DC: 0 - 5 mit seinen 5 Achsen. An dieser Stelle hätte ich mir im Rahmen eines biopsychosozialen Modells auch eine kurze Darstellung der ICF gewünscht. Im dritten (Haupt-)Teil des Buches werden klinische Störungen nach Achse 1 DC: 0 - 5 nach einem einheitlichen Schema besprochen: Definition und Klassifikation, Epidemiologie, Symptomentwicklung und Komorbidität, Ätiologie und Pathogenese, Diagnose und Differenzialdiagnostik, Behandlung und Prävention, Verlauf und Prognose, Forschungsdesiderate und Ausblick. Es beginnt mit Autismus-Spektrum-Störungen. Es werden neuere Erkenntnisse der Gehirnentwicklung berichtet. Besondere Bedeutung wird der Früherkennung und der Diagnostik zugesprochen. Die Translation wissenschaftlicher Erkenntnisse in die Praxis sei noch nicht gelungen, der