Frühförderung interdisziplinär
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0721-9121
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/fi2025.art14d
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2025
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Aus der Praxis: "Was willst du, dass ich dir tun soll?" - Anregungen zur Stärkung von Teilhabe, Partizipation und Selbstbestimmung in der Frühförderung
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2025
Gerhard Krinninger
In einer 2000 Jahre alten biblischen Erzählung wird davon berichtet, wie Jesus dem blinden Bettler Bartimäus die Frage stellt: „Was willst du, dass ich dir tun soll?“ Was für eine – vermeintlich – überflüssige Frage! Mit seiner Frage scheint es jedoch Jesus darum zu gehen, Bartimäus ganz bewusst die Chance einer selbstformulierten Willensäußerung zu geben. In der professionellen Gesprächsführung und Psychotherapie, welche eng mit dem Namen Carl Rogers verbunden ist, etablierte sich Ende des letzten Jahrhunderts eine ähnlich zugewandte und personzentrierte Haltung. Sie ist gekennzeichnet durch eine akzeptierende Grundeinstellung, ein einfühlendes Verstehen und menschliche Echtheit (Nykl und Motschnig 2006). Mit dem Bundesteilhabegesetz (BTHG), der maßgeblichen Übertragung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) in die deutsche Sozialgesetzgebung, fand die Personenzentrierung Eingang in den gesamten Bereich der Teilhabe- und Rehabilitationsleistungen. Bereits der vollständige Name – Gesetz zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen – kündigt eine ambitionierte Programmatik an.
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130 Frühförderung interdisziplinär, 44.-Jg., S.-130 - 140 (2025) DOI 10.2378/ fi2025.art14d © Ernst Reinhardt Verlag AUS DER PRAXIS „Was willst du, dass ich dir tun soll? “ - Anregungen zur Stärkung von Teilhabe, Partizipation und Selbstbestimmung in der Frühförderung Gerhard Krinninger 1. Einleitung: „Was willst du, dass ich dir tun soll? “ - eine Frage der zugewandten und personzentrierten Haltung In einer 2000 Jahre alten biblischen Erzählung 1 wird davon berichtet, wie Jesus dem blinden Bettler Bartimäus die Frage stellt: „Was willst du, dass ich dir tun soll? “ Was für eine - vermeintlich - überflüssige Frage! Mit seiner Frage scheint es jedoch Jesus darum zu gehen, Bartimäus ganz bewusst die Chance einer selbstformulierten Willensäußerung zu geben. In der professionellen Gesprächsführung und Psychotherapie, welche eng mit dem Namen Carl Rogers verbunden ist, etablierte sich Ende des letzten Jahrhunderts eine ähnlich zugewandte und personzentrierte Haltung. Sie ist gekennzeichnet durch eine akzeptierende Grundeinstellung, ein einfühlendes Verstehen und menschliche Echtheit (Nykl und Motschnig 2006). Mit dem Bundesteilhabegesetz (BTHG), der maßgeblichen Übertragung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) in die deutsche Sozialgesetzgebung, fand die Personenzentrierung Eingang in den gesamten Bereich der Teilhabe- und Rehabilitationsleistungen 2 . Bereits der vollständige Name - Gesetz zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen - kündigt eine ambitionierte Programmatik an. Vor allem frühzeitige Zugänge und Beratungsangebote, die Berücksichtigung individueller Wünsche in Lebensplanung und -gestaltung und der Vorrang von Leistungen der Teilhabe dienen dem Ziel der Stärkung von Teilhabe und Selbstbestimmung. Ebenso bilden das neue, auf dem bio-psycho-sozialen Modell basierende Verständnis von Behinderung sowie eine Ermittlung von Teihabebedarfen, die sich an der Internationalen Klassifikation für Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) orientiert, eine wichtige Grundlage. Für den Bereich Früherkennung und Frühförderung bedeutsam wird in Artikel 26 „Habilitation und Rehabilitation“ der UN-BRK präzisiert, dass ein „Höchstmaß an Unabhängigkeit“ und „die volle Einbeziehung in alle Aspekte des Lebens“ durch Leistungen und Programme zu gewährleisten sind, die „(…) 1) im frühestmöglichen Stadium einsetzen und auf einer multidisziplinären Bewertung der individuellen Bedürfnisse und Stärken beruhen; 2) die Einbeziehung in die Gemeinschaft und die Gesellschaft in allen ihren Aspekten sowie die Teilhabe daran unterstützen, freiwillig sind und Menschen mit Behinderungen so gemeindenah wie möglich zur Verfügung stehen, auch in ländlichen Gebieten“. 2. Gesetzliche Verankerung ist das eine, … Wie eingangs erwähnt soll mit dem BTHG die Position der Menschen mit Behinderungen im Verhältnis zu den Rehabilitationsträgern und den Leistungserbringern gestärkt werden 3 . Allerdings, so konstatiert die umsetzungsbegleitende Forschung, ist die Tatsache, dass Teilhabe und Selbst- 131 FI 3/ 2025 Aus der Praxis bestimmung umfassend gesetzgeberisch verankert wurden, keineswegs gleichbedeutend damit, dass entsprechende Verbesserung auch bei den Menschen mit Behinderung ankommt. Laut Forschungsbericht 540 der Bundesregierung trifft dies sowohl auf die personzentrierte Bedarfsermittlung und Teilhabeplanung als auch auf das Wunsch- und Wahlrecht zu. 4 So anerkennenswert die Entwicklung von ICF-orientierten, die persönliche Lebenslage berücksichtigenden Instrumenten zur Ermittlung von individuellen Teilhabebedarfen auch sein mag, so skeptisch sind deren Vielzahl und die nicht unbedingt im Gesamtprozess - vom Zugang bis Abschluss von Leistungen - durchgängig gewährleistete Personenzentrierung und Partizipation zu sehen. Generell mangelt es (noch) an einer entschlossenen, einheitlichen und flächendeckenden Umsetzung der Komplexleistung Früherkennung und Frühförderung in den einzelnen Bundesländern. Nachfolgend werden die einzelnen Schritte im Gesamtprozess der Komplexleistung Früherkennung und Frühförderung, wie sie sich aus dem BTHG ergeben, näher beleuchtet. Zugleich werden - bezogen auf die einzelnen Schritte - Anregungen zur Stärkung von Teilhabe, Partizipation und Selbstbestimmung gegeben. 3. Anregungen zur Stärkung von Teilhabe, Partizipation und Selbstbestimmung in der Frühförderung Die interdisziplinäre Früherkennung und Frühförderung wurde mit dem BTHG als Teilhabeleistung konzipiert und rechtlich verankert 5 . Die Akzentsetzung hinsichtlich der Teilhabe stellt zweifelsohne eine sozialrechtliche Weiterentwicklung der Frühförderung dar. In Orientierung an den Leistungskomponenten, die in SGB IX und Frühförderungsverordnung (FrühV) ausgeführt sind, veröffentlichte die Vereinigung für Interdisziplinäre Frühförderung (VIFF 2018) Handlungsempfehlungen zur Umsetzung des Gesamtprozesses der Komplexleistung Früherkennung und Frühförderung. Zum einen ist damit das Ziel verbunden, „(…) gemeinsame Merkmale für die bundesweite Umsetzung aufzuzeigen, um die Qualität der Angebote von interdisziplinärer Frühförderung auch zukünftig sicherzustellen“. Zum anderen plädiert die VIFF darin, „(…) das Wunsch- und Wahlrecht von Eltern bezüglich der Leistungen für ihr Kind in allen Leistungselementen der Komplexleistung Frühförderung zu berücksichtigen“. 6 Wie in Abb. 1 zu ersehen, setzen sich die einzelnen Schritte aus offenem, niedrigschwelligem Beratungsangebot, Leistungen zur Rehabilitation und Teihabe wie „aus einer Hand“ (Komplexleistung Frühförderung) Gesamtprozess der Früherkennung und Frühförderung als Komplexleistung Abb. 1: Gesamtprozess der Früherkennung und Frühförderung als Komplexleistung an Interdisziplinären Frühförderstellen. Handlungsempfehlungen zur Umsetzung BTHG/ SGB IX/ FrühV Früherkennung Beratung, Diagnostik, Bedarfsermittlung Interdisziplinarität medizinisch/ pädagogisch/ psychologisch/ therapeutisch Frühförderung heilpäd. psych. und med.-therap. Leistungen Offenes, niederschwelliges Beratungsangebot Förder- und Behandlungsplanung Heilpädagogische, med.-therapeutische Leistungen, Beratungen Abschließende Leistungen Interdisziplinäre Diagnostik und umfassende Bedarfsermittlung 1 2 3 4 5 132 FI 3/ 2025 Aus der Praxis interdisziplinärer Eingangsdiagnostik und umfassender Bedarfsermittlung, Förder- und Behandlungsplanung, heilpädagogischen und medizinisch-therapeutischen Leistungen/ Beratungen sowie abschließenden Leistungen zusammen. 3.1. Offenes, niedrigschwelliges Beratungsangebot Sorgeberechtigte in ihrer individuellen Lebenssituation „abzuholen“ und auf deren Sorgen in Bezug auf ihr Kind einzugehen, sind entscheidende, den Gesamtprozess prägende Faktoren in der interdisziplinären Frühförderung. Zugleich besteht die Notwendigkeit, ein geeignetes Setting hierfür zu gestalten, indem Erstkontakte transparent in einen Gesamtkontext eingebettet und eine gemeinsame Kommunikationsebene geschaffen werden. Insbesondere Aspekte wie Kostenfreiheit, Vertraulichkeit, Zeit- und Wohnortnähe, aber auch BTHG-basierte Ansprüche und die ICF-Anwendung kennzeichnen die Vielschichtigkeit von Erstkontakten. Den erforderlichen Brückenschlag zwischen individueller Bedarfslage, Partizipation und Empowerment einerseits sowie den Rahmenbedingungen und Möglichkeiten von Früherkennung und Frühförderung herzustellen, ist jeweils personbezogen auszurichten - und in der Sache durchaus anspruchsvoll. Gerade in professionell wiederkehrenden Beratungssituationen „lauert“ nur allzu leicht die Gefahr, in Gesprächsführung und Materie nicht geschulte Ratsuchende zu überfordern. Anspruch, Individualisierung und Routine benötigen eine gut reflektierte und dosierte Austariertheit. Nicht nur zu beraten, sondern gleichzeitig Sorgeberechtigte in ihrer elterlichen Anwaltschaft und Selbstbestimmtheit „auf Augenhöhe“ zu stärken, entspricht Kernzielen des BTHG. Im Hinblick auf die Früherkennung und Frühförderung stellt es eine wesentliche Errungenschaft dar, dass die Frühförderungsverordnung ein offenes, niedrigschwelliges Beratungsangebot als Standardleistung der Komplexleistung definiert. 7 Demgemäß soll das offene, niedrigschwellige Beratungsangebot von Eltern, die ein Entwicklungsrisiko bei ihrem Säugling, Klein- oder Kindergartenkind vermuten, noch vor der Einleitung einer Eingangsdiagnostik wahrgenommen werden. Neben dem offenen, niedrigschwelligen Beratungsangebot enthält die FrühV an anderer Stelle auch ein - nicht näher - ausgeführtes „Erstgespräch“ als Beratungsangebot für Erziehungsberechtigte. 8 Diese beiden, sehr ähnlich anmutenden Leistungen nehmen eine Schlüsselfunktion in Bezug auf eine Stärkung von Teilhabe, Partizipation und Selbstbestimmung in der Früherkennung ein: Einerseits eröffnen sie die Option für ein - tatsächlich - ergebnisoffenes, präventives und informatives Beratungsangebot. Ein solches Beratungsangebot ist geeignet, um Verunsicherungen frühzeitig entgegenwirken, unnötigen Maßnahmen vorbeugen und zum selbstbestimmten Empowerment von Eltern/ Familien beitragen zu können. Unbürokratisch sowie wohnort- und zeitnah ist es auf Fragen und Bedürfnisse von Sorgeberechtigten ausgerichtet. Dabei geht es für Fachkräfte längst nicht nur um die Beantwortung von Sachfragen. Zu bedeutsam und emotional aufgeladen ist in der Regel dieser frühe Prozess der Informationsgewinnung und Auseinandersetzung für Sorgeberechtigte. Insofern bieten die beiden in der FrühV als Bestandteile der Komplexleistung Früherkennung und Frühförderung festgelegten Beratungsangebote eine große Chance, Tempo und Informationsfülle auf die individuellen Bedürfnisse der Sorgeberechtigten abzustimmen. Erfahrungsgemäß ist es hilfreich, zunächst einmal von einer Ergebnisoffenheit des Gesprächs auszugehen. Sollten sich allerdings bekräftigende Hinweise für ein vermutetes Entwicklungsrisiko ergeben, benötigen Eltern meist weiterführende Informationen und Entscheidungshilfen. Für den Fall, dass die Vermutung eines Entwicklungsrisikos nicht ausgeräumt werden konnte, kann sich somit an das offene, niedrigschwellige Beratungsangebot ein Erstgespräch mit weiteren allgemeinen, aber auch vermehrt 133 FI 3/ 2025 Aus der Praxis frühförderspezifischen Inhalten anschließen. Hierbei Sorgeberechtigten die Möglichkeit zu geben, in einer passenden Geschwindigkeit Erstinformationen erhalten und sortieren zu können, fördert von Anfang an ein hohes Maß an Selbstbestimmtheit. Um der Komplexität der Aufgabe und der Stärkung von Teilhabe und Selbstbestimmung personzentriert Rechnung tragen zu können, plädiert dieser Beitrag für eine konzeptionelle Trennung und Neuausrichtung von offenem, niedrigschwelligem Beratungsangebot und Erstgespräch im Sinne von individuell abrufbaren und kombinierbaren Standardleistungen. Ferner wäre es wünschenswert, bereits zentrale Begriffe der ICF in diesem frühen Betreuungsstadium einzuführen. Denn die ICF soll, wie in ihren ethischen Leitlinien formuliert, keine „Geheimsprache“ darstellen. Es soll eine möglichst große Verständlichkeit von (sparsam verwendeten) Fachbegriffen und interdisziplinärer Arbeitsweise angestrebt werden. Selbiges gilt für ein differenzierendes Verständnis von individuellen Beeinträchtigungen und Behinderung auf der Grundlage von Wechselwirkungen zwischen individuellen Beeinträchtigungen und umweltbedingten Teilhabebarrieren. Sofern im Einzelfall angezeigt, können Informationen zum indizierten weiteren Vorgehen Inhalte des Erstgesprächs sein. Im Sinne der sich vergewissernden Frage „Was willst du, dass ich dir tun soll? “ könnte ein Erstgespräch - personzentriert - damit schließen, sich zu erkundigen, ob zum aktuellen Zeitpunkt das Wichtigste besprochen wurde oder ob hinsichtlich des weiteren Vorgehens noch etwas thematisiert werden sollte. 3.2. Interdisziplinäre (Eingangs-) Diagnostik und umfassende Bedarfsermittlung Bedauerlicherweise dominiert auch knapp neun Jahre nach der Inkraftsetzung von SGB IX und FrühV ein „kunterbunter Flickenteppich“ die deutsche Frühförderlandschaft. Zu wirkmächtig sind offensichtlich länderspezifische Interpretationsweisen und untergesetzliche Verwaltungsregelungen. Vornehmlich gilt dies in Bezug auf die Umfänglichkeit der Ermittlung von individuellen Teilhabebedarfen und die Anerkennung der gesetzeshierarchischen Vorrangigkeit der Komplexleistung Früherkennung und Frühförderung. Auch Gerichte wurden bereits in dieser Angelegenheit bemüht. Angesichts ihrer klarstellenden Bedeutung seien an dieser Stelle die einschlägigen Urteilsergebnisse des Sozialgerichts Karlsruhe aufgeführt: ◾ Die Komplexleistung ist der Regelfall und gegenüber der heilpädagogischen Frühförderung als Einzelleistung vorrangig zu prüfen, auch dann, wenn heilpädagogische Leistungen als Einzelleistung gemäß § 79 Abs.1 SGB IX beantragt wurden. ◾ Eine ärztliche Verordnung reicht zur Erlangung der „fachlichen Erkenntnis“ im Sinne von § 79 Abs. 1 SGB IX nicht aus. Mithin bedarf es einer interdisziplinären Eingangsdiagnostik. 9 Bereits Erwähnung fand, dass erst Wechselwirkungen zwischen individuellen Beeinträchtigungen und einstellungsbzw. umweltbedingten Barrieren eine (drohende) Behinderung im Sinne der UN-BRK und des BTHG manifestieren. Dieses Verständnis bildet die Grundlage jeglicher Berechtigung auf Leistungen zur Teilhabe. Daran hat sich auch die interdisziplinäre (Eingangs-)Diagnostik und umfassende Bedarfsermittlung im Rahmen der Komplexleistung Früherkennung und Frühförderung zu orientieren. Zunächst einmal gilt es, normabweichende Beeinträchtigungen vom alterstypischen Körper- und Gesundheitszustand festzustellen. 10 Damit geht einher, dass weiterhin wissenschaftlich standardisierte Diagnose- und Testverfahren notwendig sind, um individuelle Abweichungen von der Altersnorm zu erfassen - natürlich stets unter der Maßgabe, dass die betreffenden Menschen bzw. Sorgeberechtigten dies möchten. Im 134 FI 3/ 2025 Aus der Praxis Bereich der interdisziplinären Frühförderung entspricht diese Aufgabenstellung der „klassischen“ Eingangsdiagnostik. Daneben sollen Leistungen auf einer multidisziplinären Bewertung der individuellen Bedürfnisse und Stärken beruhen. 11 Die geforderten Ergebnisse und ICD-Diagnosen stellen zwar weiterhin einen unentbehrlichen Baustein auf dem Weg hin zu Leistungen der Teilhabe dar, reichen jedoch für sich genommen nicht aus. Hinzukommen muss ein Ermitteln von teilhabehinderlichen Wechselwirkungen zwischen individuellen Beeinträchtigungen mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren. 12 Um person- und ICF-orientiert Teilhabebedarfe zu ermitteln, wurden zahlreiche Vorgehensweisen und Instrumente entwickelt. Eine ausführliche Diskussion von ICF-orientierten Bedarfsermittlungsinstrumenten würde allerdings den Beitragsrahmen übersteigen. Der Autor selbst hält den ICF-basierten Gesprächsleitfaden aus dem EU-Erasmus-Programm 13 im Bereich der interdisziplinären Frühförderung für empfehlenswert - aus vier Gründen: 1) Ein persönliches Gespräch schafft einen direkten Rahmen, der es zum einen Sorgeberechtigten erleichtert, vertrauliche Auskünfte mitzuteilen. Zum anderen kann die interviewende Fachkraft Verständnisfragen stellen und dadurch die individuelle Lebenssituation noch besser verstehen. 2) Der ICF-basierte Gesprächsleitfaden überzeugt mit seiner kompakten und praxisnahen Operationalisierung des bio-psycho-sozialen Modells und verliert sich nicht im „Item-Ozean“ der ICF. 3) Der Gesprächsleitfaden gewichtet die fünf ICF-Komponenten in gleichem Maße, nicht so wie eine Vielzahl von Bedarfsermittlungsinstrumenten, die in überrepräsentierender Weise auf die Komponente „Aktivitäten/ Partizipation“ rekurrieren. Bei derartigen Instrumenten ist die Gefahr gegeben, die im Frühförderbereich eminent wichtige Entwicklung von Körperfunktionen und die universelle Abhängigkeit kleiner Kinder von ihren Bezugspersonen nicht ausreichend zu gewichten. 4) Nicht zuletzt setzt die Feststellung einer Behinderung im Sinne von UN-BRK und BTHG die Beschreibung von einstellungs- und umweltbedingten Teilhabebarrieren voraus. Zur Veranschaulichung werden am Beispiel von zwei Frühförderkindern Wechselwirkungen und davon betroffene Teilhabeaspekte nachstehend beschrieben: Bei dem einen Kind wurde eine Behinderung festgestellt, weil eine teilhabeeinschränkende Wechselwirkung zwischen einer Beeinträchtigung der Funktionen der Intelligenz (b117) und unrealistisch hohen elterlichen Leistungserwartung (e-410) vorlag. Davon betroffene Teilhabeaspekte zeigten sich in zahlreichen frustrierenden Interaktionen und Misserfolgserfahrungen - mit der Konsequenz, dass das Kind immer weniger explorierte und Einbeziehung in Alltagssituationen erlebte. Bei einem anderen Frühförderkind war eine Behinderung aufgrund einer teilhabeeinschränkenden Wechselwirkung zwischen Migration (p), Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft (e525), Beeinträchtigungen in nahezu allen neun Lebensbereichen der Komponente Aktivitäten/ Partizipation (d 1- 9) sowie einer ablehnenden Einstellung des sozialen Umfeldes (e-325) gegeben. Davon tangierte Teilhabeaspekte waren u. a. eine fehlende allgemeine Akzeptanz sowie Einschränkungen alterstypischer Aktivitäten/ Partizipation. Noch grundsätzlicher allerdings als die Frage nach der Geeignetheit von Bedarfsermittlungsinstrumenten ist das Verständnis von Teilhabe und Partizipation an sich. Dieser unentbehrlichen Auseinandersetzung sind die sich anschließenden Zeilen gewidmet. Legt man die ICF zugrunde, so wird Partizipation [Teilhabe] als Einbezogensein in eine Lebenssituation definiert. 14 In diesem Zusammenhang gibt Weiß (2019) zu bedenken, dass ein Einbezogensein, wie es von Fachleuten in einer Außenperspektive wahrgenommen und beurteilt wird, nicht per se identisch ist mit der Erfahrung von Einbezogensein bzw. Zugehörigkeit aus der Innenperspektive eines Kindes bzw. von verantwortlichen 135 FI 3/ 2025 Aus der Praxis Bezugspersonen. 15 Weitere Informationen über die subjektive Bedeutsamkeit einer Lebenssituation bzw. des Einbezogenseins in eine Lebenssituation sind also erforderlich, insbesondere in Bezug auf die jeweiligen Kontextfaktoren (Umweltfaktoren und persönliche Faktoren). Indes richtet sich das Augenmerk hinsichtlich der Identifikation von individuellen Teilhabebarrieren bei Kindern im Säuglings-, Kleinkind- und Kindergartenalter längst nicht nur auf bauliche, technische, kommunikative und einstellungsbedingte (Vorurteile, Ängste) Gegebenheiten 16 , sondern insbesondere auch auf Armut, psychische Erkrankungen/ Belastungsfaktoren in der Familie, wenig förderliche Erziehungspraktiken sowie die Rahmenbedingungen außerhäuslicher Betreuung und Bildung. Folglich käme es einem verfehlten Verständnis von Teilhabe, Partizipation und Selbstbestimmung gleich, wenn in erster Linie nur Fachleute oder Sachbearbeiter: innen mit ihrer Außenperspektive Wechselwirkungen und betroffene Teilhabeaspekte hinsichtlich ihrer Bedeutung identifizieren und bewerten würden. Ein differenziertes Perspektivenbewusstsein stellt also eine essenzielle Voraussetzung für eine personzentrierte Förder- und Behandlungsplanung dar, um persönlichen Sichtweisen sowie Wunsch- und Wahlrechten von Leistungsberechtigten - methodisch systematisiert - den nötigen Raum zu geben. Tabelle 1 illustriert eine Methode, wie Eigenperspektive von Kindern mit (drohender) Behinderung und deren Eltern einerseits und die Außenperspektive von Fachleuten andererseits erhoben, gewichtet und zusammengeführt werden können. Sind individuelle (teilhabehinderliche) Wechselwirkungen und davon betroffene Teilhabeaspekte gemeinsam erarbeitet und priorisiert, ist der Schritt hin zu einer Verständigung auf personbezogene Teilhabeziele und teilhabeförderliche Maßnahmen nicht mehr weit. Tab. 1: Wechselwirkungen und davon betroffene Teilhabeaspekte - fallbezogene Übersicht zu Einschätzungen und Gewichtungen Wie sehr schränken die festgestellten Wechselwirkungen (WW) die Teilhabe des Kindes ein? Einschätzung … der Elternteile des Kindes der IFS der Kita a) b) selbst Eltern Teilhabeaspekt 1 (WW 1), z. B. geringe Exploration und Aktivitäten (d 1- 9) in Zusammenhang mit unrealistisch hoher elterlicher Leistungserwartung (e-410) Teilhabeaspekt 2 (WW 2), z. B. teilhabeeinschränkende WW zwischen Migration (p), Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft (e525) i. V. m. Beeinträchtigungen von d 1- 9 und einer ablehnenden Einstellung des sozialen Umfelds (e-325) Teilhabeaspekt 3 (WW 3), … Bewertungen: 0 = gar nicht -1 = etwas -2 = erheblich -3 = völlig 136 FI 3/ 2025 Aus der Praxis 3.3. Förder- und Behandlungsplanung Bereits das gemeinsame Rundschreiben von Bundesministerium für Arbeit und Soziales und Bundesministerium für Gesundheit (2009) verdeutlichte, dass ein übergreifend formuliertes Teilhabeziel unverzichtbares Merkmal der Komplexleistung Früherkennung und Frühförderung ist. 17 Es soll gleichermaßen Gültigkeit für die leistungsberechtigte Person, die beteiligten Leistungsträger als auch das interdisziplinäre Team der Frühförderstelle besitzen. Mit dem BTHG und dem damit einhergehenden Paradigmenwechsel im Verständnis von Behinderung auf der Grundlage des bio-psycho-sozialen Modells avancierte die „volle, wirksame und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft“ außerdem zu einem zentralen Begriff und Rechtsanspruch in der deutschen Sozialgesetzgebung. 18 In Bezug auf die Förder- und Behandlungsplanung fixierte der Gesetzgeber in SGB IX und FrühV eine Reihe von Vorgaben, die die Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit (drohender) Behinderung systematisch stärken. Sie spannen einen weit über einen defizitorientierten Behandlungsansatz hinausreichenden Bogen: von der ganzheitlichen Förderung der persönlichen Entwicklung, über eine eigenverantwortliche Gestaltung von Lebensumständen bis hin zu dem Bestreben, dass nach Möglichkeit eine gemeinsame Betreuung von Kindern mit und ohne Behinderungen erfolgt. Ja sogar eine alters- und entwicklungsentsprechende Beteiligung von Kindern an Planung und Ausgestaltung wurde als spezielle Form des Wunsch- und Wahlrechts gesetzlich verankert. 19 Allgemein gilt, dass die nach dem individuellen Bedarf voraussichtlich erforderlichen Leistungen hinsichtlich Ziel, Art und Umfang - in Abstimmung mit den Leistungsberechtigten - so zusammenzustellen sind, dass sie nahtlos ineinandergreifen. 20 Abgesehen von der Besonderheit, dass im Bereich der Komplexleistung Früherkennung und Frühförderung jeweils individuell benötigte Leistungen von den Interdisziplinären Frühförderstellen oder Sozialpädiatrischen Zentren zusammengetragen werden sollen 21 , ist - aus Gründen der Personenzentrierung und Selbstbestimmung - die Berücksichtigung individueller Vorstellungen, Wünsche und Ziele unentbehrlich. 22 Gleichwohl bedarf es einer realistischen Betrachtung. Auch übergreifende Entwicklungs- und Teilhabeziele müssen erreichbar und überprüfbar sein. Dass der Förder- und Behandlungsplan im Rahmen der Komplexleistung Früherkennung und Frühförderung dem Teilhabeplan gemäß § 19 SGB IX entspricht, wurde vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales wiederholt bestätigt, z. B. im Forschungsbericht 610. 23 Auf der Basis dieser Gleichsetzung resultieren sowohl für die Leistungsträger als auch Leistungserbringer mehrere Implikationen: Den gesetzlichen Vorrangigkeiten folgend besteht nicht nur die Erfordernis einer interdisziplinären Eingangsdiagnostik zur fachlichen Ermittlung von Teilhabebedarfen, sondern auch die Notwendigkeit einer Einbindung isolierter heilpädagogischer Leistungen in die Förder- und Behandlungsplanung. Nur so kann es gelingen, individuell benötigte Leistungen tatsächlich trägerübergreifend und nahtlos zusammenzuführen und „wie aus einer Hand“ zu erbringen. Indes stellt sich die Frage, wie übergreifende Teilhabeziele aussehen könnten. Eine hilfreiche Differenzierung von Teilhabezielen nimmt Weiß (2019) vor. Er unterscheidet zwei Grundrichtungen: die Verbesserung der individuellen Teilhabefähigkeiten und das Fördern umweltbezogener Teilhabemöglichkeiten. Unter die Verbesserung individueller Teilhabefähigkeiten fallen insbesondere sprachliche, motorische, kognitive und sozial-emotionale Kompetenzerweiterungen des Kindes. Umweltbezogene Teilhabemöglichkeiten lassen sich a) durch Abbau von Teilhabebarrieren baulicher, technischer, kommunikativer und einstellungsbedingter (Vorurteile, Ängste) Art 24 und b) durch das Schaffen von Förderfaktoren positiv beeinflussen, beispielsweise durch aktive Einbeziehung und Mitbestimmung, Angebote in „leichter“ Sprache, spezifische Fördermaterialien 137 FI 3/ 2025 Aus der Praxis oder die Versorgung mit einer Individualbegleitung bzw. Assistenz. Anknüpfend an die in Tab. 1 formulierten Teilhabeaspekte könnten übergreifende Entwicklungs- und Teilhabeziele beispielhaft lauten: ◾ Entwicklung altersgemäßer Aktivitäten sowie von Partizipationsmöglichkeiten (d, e) ◾ Förderung der individuellen Funktionsfähigkeiten (b) im Rahmen der individuellen Entwicklungspotenziale, z. B. mental und sprachlich ◾ Erweiterung erzieherischer Kompetenzen der wesentlichen Bezugspersonen (e), z. B. hinsichtlich Feinfühligkeit und Bewältigungsstrategien Nachdem der individuelle Förder- und Behandlungsplan in enger Abstimmung mit den Sorgeberechtigten erstellt wurde, sieht die FrühV vor, dass er den beteiligten Leistungsträgern zur Genehmigung vorgelegt wird. 25 An ihnen liegt es dann, evtl. auch mittels einer Teilhabekonferenz über Notwendigkeit und Angemessenheit der beantragten Leistungen zu entscheiden. 3.4. Leistungserbringung nach Förder- und Behandlungsplan Im Kontext der interdisziplinären Frühförderung stehen in der Regel Auswahlmöglichkeiten zur Verfügung, um im Einzelfall benötigte Leistungen individuell anzupassen und zu erbringen. Damit eröffnen sich spezifische Gestaltungsspielräume, die Teilhabe, Partizipation und Selbstbestimmung von Kindern und Sorgeberechtigten zu stärken. Ohnehin ist die Komplexleistung Früherkennung und Frühförderung im SGB IX in hohem Maße flexibel angelegt, sodass Leistungen gleichzeitig, nacheinander, in wechselnder Intensität sowie in mobil aufsuchender Form erbracht werden können. 26 Zudem erweitern die Klarstellungen, dass medizinisch-therapeutische Leistungen grundsätzlich nach Maßgabe des Förder- und Behandlungsplans erbracht werden und in regulärer Weise die Beratung der Erziehungsberechtigten einschließen, 27 das Maßnahmenspektrum entscheidend. Auch mehrere Veröffentlichungen in der Zeitschrift „Frühförderung interdisziplinär“ (Fi) sind der personzentrierten Passgenauigkeit von Angeboten der interdisziplinären Frühförderung gewidmet. Allen voran besteht eine - nachdenklich stimmende - wissenschaftliche Evidenz dahingehend, dass das Gros der Frühförderangebote auf die Förderung bzw. Therapie von Kindern und weniger auf die Fragen und Belastungen von Eltern ausgerichtet ist (u. a. Sarimski und Lang 2018, Speck 2021 sowie Staiger-Iffländer und Hedderich 2023). Auch andere, für eine personzentrierte Teilhabe und Partizipation relevante Aspekte werden in Fi-Beiträgen in den Mittelpunkt gestellt, z. B. die Notwendigkeit, miteinander „auf Augenhöhe“ zu kommunizieren und die ICF in leichter Sprache anzubieten (vgl. Todorova et al. 2021), die aktive Einbeziehung der Väter (Behringer et al. 2018), Möglichkeiten der Teilhabe und Partizipation von Eltern bzw. Kindern (Weiß 2019, Spreer et al. 2019 sowie Kolaschinsky 2023) oder die Erörterung von fördernden und hemmenden Kontextfaktoren (Hollmann 2021). Diese Aspekte und Diskussionen animieren zu einer kritischen Reflexion der Thematik, inwieweit kind- und elternbezogene Leistungen tatsächlich partizipativ sind, und ob sie in einem passenden Verhältnis zueinander angeboten und durchgeführt werden. Deutlich wird jedoch insgesamt, dass die Stärkung der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe am Leben in der Gesellschaft weitaus grundsätzlicher und mehrdimensionaler zu denken ist als bislang präferierte Formen der Leistungserbringung zu erkennen geben. Individuellen Wünschen und subjektiven Gewichtungen Rechnung zu tragen sowie personbezogen Umweltbarrieren abzubauen bzw. teilhabeförderliche Bedingungen herzustellen, erfordern demnach eine umfassende Weiterentwicklung der Maßnahmenerbringung im Rahmen der Komplexleistung Früherkennung und Frühförderung. All das tun zu können, was ein Kind ohne Behinderung bzw. seine Familie tun kann, ist dabei ein zentraler Maßstab - beispielsweise bezogen auf 138 FI 3/ 2025 Aus der Praxis „Einstellungen des sozialen Umfelds“ (e325), „Gemeinschaftsleben“ (d910), „Freizeit und Erholung“ (d920) und vieles mehr. Nicht zuletzt führt das Bemühen, Teilhabe, Partizipation und Selbstbestimmung konsequent umzusetzen, zu der Erkenntnis, dass die Beurteilung der Zielerreichung weitgehend von individuellen Gesichtspunkten und Maßstäben abhängig ist. „Messtechnisch“ zu einer Art Objektivierung zu gelangen, ist dennoch möglich, indem subjektive Einschätzungen zusammengeführt, miteinander abgeglichen und bewertet werden. Konkret bietet sich an, bereits in einem früheren Prozessschritt identifizierte Wechselwirkungen, personbezogen gewichtete Teilhabeeinschränkungen und entwickelte Teilhabeziele gemeinsam mit Eltern und Kind zu besprechen und - gegebenenfalls - eine Anpassung an Entwicklungsdynamik von Kind und Familie vorzunehmen. Hierbei kann eine Fortschreibung von Tabelle 1 im Laufe der Leistungserbringung gute Dienst leisten. 3.5. Abschließende Leistungen Die gesetzlich festgelegte Endlichkeit der Komplexleistung Früherkennung und Frühförderung 28 ist - in der ICF-Sprache ausgedrückt - ein vorgegebener und oftmals mit erheblichen Veränderungen verbundener „Umweltfaktor“. Insofern beinhalten abschließende Leistungen im professionellen Kontext der interdisziplinären Frühförderung weit mehr als nur eine Verabschiedung. Den durchlaufenen Prozess sowie die erreichten Ziele gemeinsam mit den Sorgeberechtigten - falls möglich auch mit dem Kind - zu beleuchten, dient in erster Linie zwei Zwecken: zum einen der interaktiven Reflexion des Bedarfsermittlungs- und Behandlungsverlaufs und zum anderen einer möglichst selbstbestimmten Planung individuell benötigter Leistungen nach Beendigung der Komplexleistung Früherkennung und Frühförderung. Fragen zur gemeinsamen Reflexion können u. a. sein: ◾ Waren Umgang und Arbeitsbeziehung wertschätzend? ◾ Konnten die gemeinsam gesteckten Ziele erreicht werden? ◾ Wurden Wünsche von Eltern und Kind gut berücksichtigt? ◾ Erfolgten kindbezogene und elternbezogene Leistungen in einem passenden Verhältnis? ◾ Ist noch etwas offen bzw. zu tun? Abhängig von den Wünschen und Bedürfnissen der jeweiligen Familie ist eine beratende Anbahnung und Begleitung von Übergängen angezeigt, z. B. in Form einer rechtzeitigen Kontaktaufnahme zu nachfolgend betreuenden Institutionen und Fachkräften. 4. Fazit Eltern mit einem Kind im Säuglings-, Kleinkind- und Kindergartenalter erleben stetige Veränderungen und Herausforderungen. Fürsorgepflichten bestimmen hochgradig ihren Lebensalltag (Krinninger 2020). Zugleich stellen altersadäquate Teilhabe und Selbstbestimmung Grundrechte eines jeden Kindes dar. 29 Die Frage, „was willst du, dass ich dir tun soll? “, ebnet die Wege zu einem besseren Verständnis von Eltern und Kind und signalisiert zum anderen eine zugewandte Haltung zur Stärkung von Teilhabe, Partizipation und Selbstbestimmung. Wie im Beitrag ausgeführt bieten sich in jedem einzelnen Prozessschritt der Komplexleistung Früherkennung und Frühförderung Chancen für eine Akzentuierung personzentrierter Betreuungsformen sowie zur Umsetzung von Wunsch- und Wahlrechten. Überdies ist es Aufgabe der beteiligten Rehabilitationsträger, durchgehend das Verfahren entsprechend dem jeweiligen Bedarf zu sichern. 30 So lässt sich schlussfolgernd feststellen: Würden bestehende rechtliche Ansprüche von den Leistungsträgern und Leistungserbringern eingelöst, müssten Menschen mit (drohender) Behinderung gar nicht mehr die Forderung erheben, „nichts über uns - ohne uns“. 139 FI 3/ 2025 Aus der Praxis Anmerkungen 1 Lukas-Evangelium, Kap. 18, Verse 35 - 43 2 In: https: / / umsetzungsbegleitung-bthg.de/ w/ files/ pressemitteilung/ 2021-04-13_pi_fd-personen zentrierung_final.pdf, 23. 3. 2025 3 BT-Drucksache 18/ 9522, S. 3 4 BMAS Forschungsbericht 540 (2019, 100 und 103) 5 § 46 Abs. 3 SGB IX 6 VIFF: Handlungsempfehlungen zur Umsetzung des Gesamtprozesses der Komplexleistung, S. 1 7 Art. 23 BTHG FrühV, § 6 a 8 FrühV, § 5 Abs. 2 9 Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 27. Juli 2022. S 10 SO 2576/ 21 10 § 2 Abs. 2 SGB IX 11 Art. 26 UN-BRK 12 § 2 Abs. 1 SGB IX 13 https: / / www.icf-plan.eu/ joomla/ images/ pdf/ ICF-basierter-Eltern-Anamnesebogen_Fruhforderung.pdf, 23.03.2025 14 DIMDI 2005, S. 19 15 Weiß (2019, 192) 16 BT-Drucksache 18/ 9522, S. 192 und 227 17 https: / / umsetzungsbegleitung-bthg.de/ w/ files/ umsetzungsstand/ bundeslaender/ bremen/ landesrahmenplan-fr-u00fchf-u00f6rderung_ vertrag-komplexleistung-hb_03-1-.pdf, S. 4 18 § 1 SGB IX 19 § 4 SGB IX 20 § 19 Abs. 1 SGB IX 21 § 7 Abs. 1 FrühV 22 § 8 SGB IX 23 BMAS Forschungsbericht 610 (2023, 307) 24 BT-Drucksache 18/ 9522, S. 192 u. 227 25 § 7 FrühV 26 § 46 Abs. 3 SGB IX und § 6 a FrühV 27 § 5 Abs. 1 und § 6 a Punkt 1 FrühV 28 Gemäß § 79 SGB IX 29 § 1 SGB IX und Art. 12 Abs. 1 Kinderrechtskonvention 30 § 7 FrühV Gerhard Krinninger Innerhartsberg 28 94051 Hanzenberg E-Mail: krinningerg_g@hotmail.de Literatur Behringer, L., Gmür, W., Hackenschmied, G., Wilms, D. (2018): Arbeit mit Vätern von Kindern mit Behinderung. Frühförderung interdisziplinär 37(2), 63 - 72 BMAS Forschungsbericht 540 (2019): Studie zur Implementierung von Instrumenten der Bedarfsermittlung. In: https: / / www.bmas.de/ SharedDocs/ Downloads/ DE/ PDF-Publikationen/ Forschungsberichte/ fb540-studie-zur-implementierung-von-instrumenten-der-bedarfsermittlung.pdf; jsessionid=6CC17 8805AC3836881A8132B0B526609? __blob=publication File&v=3, 23. 3. 2025 BMAS Forschungsbericht 610 (2023): Wissenschaftliche Untersuchung der modellhaften Erprobung der Verfahren und Leistungen nach Artikel 1 Teil 2 des Bundesteilhabegesetzes. In: https: / / www.bmas.de/ SharedDocs/ Downloads/ DE/ Publikationen/ Forschungsberichte/ fb-610-evaluation-modellhafteerprobung-bthg.pdf? __blob=publicationFile&v=3, 23. 3. 2025 Bundesgesetzblatt Jahrgang 2016 Teil I Nr. 66, ausgegeben zu Bonn am 29. 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