mensch & pferd international
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1867-6456
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2009
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Therapeutisches Reiten aus Sicht der Pferde
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2009
Madeleine Meinzer
Die vorliegende Studie erfasst das Verhalten von 24 Pferden, um herauszufinden, wie sich reittherapeutische Einsätze auf die Befindlichkeiten von Pferden auswirken. Berücksichtigt wurden Parameter wie Durchführungsort, Reitweise sowie das Störungsbild der Klienten. Die erfassten Verhaltensweisen lassen darauf schließen, wohin die Pferde ihre Aufmerksamkeit richteten, ob sie unzufrieden, entspannt oder erregt waren. Die Ergebnisse liefern Anhaltspunkte, die es Reittherapeuten ermöglichen, eine Therapiesituation herzustellen, die zum einen die Zielsetzung des Klienten erfüllt, jedoch auch das Wohlbefinden des Pferdes im Auge behält.
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Madeleine Meinzer Die vorliegende Studie erfasst das Verhalten von 24 Pferden, um herauszufinden, wie sich reittherapeutische Einsätze auf die Befindlichkeiten von Pferden auswirken. Berücksichtigt wurden Parameter wie Durchführungsort, Reitweise sowie das Störungsbild der Klienten. Die erfassten Verhaltensweisen lassen darauf schließen, wohin die Pferde ihre Aufmerksamkeit richteten, ob sie unzufrieden, entspannt oder erregt waren. Die Ergebnisse liefern Anhaltspunkte, die es Reittherapeuten ermöglichen, eine Therapiesituation herzustellen, die zum einen die Zielsetzung des Klienten erfüllt, jedoch auch das Wohlbefinden des Pferdes im Auge behält. Schlüsselbegriffe: Reittherapie, Verhalten, Pferd, Ethologie Therapeutisches Reiten aus Sicht der Pferde mup 1|2009|27 - 33| © Ernst Reinhardt Verlag München Basel | 27 Nur wenige wissenschaftliche Untersuchungen (z. B. Kaiser et al. 2006; Suthers-Mc- Cabe / Albano 2004) beschäftigen sich mit den Auswirkungen, die die Reittherapie auf die eingesetzten Pferde hat. Persönliche Erfahrungen und subjektive Einschätzungen der Menschen, die mit Pferden arbeiten spielen demnach die wesentliche Rolle bei der Auswahl, Ausbildung und dem Einsatz der jeweiligen Pferde für und in der Therapie. Wissenschaftlich belegte, objektive Daten zur Erfassung der Eignung eines Pferdes für den Einsatz in der Reittherapie sind jedoch unentbehrlich, um einerseits dem Patienten ein optimal geeignetes Pferd zu bieten und andererseits dem Verhalten der Tiere und ihren Bedürfnissen gerecht zu werden. Bei einem sozialen Tier wie dem Pferd ist besonders die Körpersprache fein differenziert und ausgeprägt (Bohnet 2007). Im Therapeutischen Reiten steht diese auch im Mittelpunkt der zwischenartlichen Kommunikation. Auf dieser Basis gibt das Pferd dem Therapeuten bzw. dem Klienten Rückmeldungen über sein Verhalten und teilt seine eigene Befindlichkeit mit. Unerlässlich ist dabei die Empathie des Pferdes gegenüber dem Menschen und damit dem Klienten. Die eigene Motivation des Pferdes zu einem freundlichen Umgang mit dem Menschen spielt also eine wichtige Rolle für den Behandlungserfolg der Therapie und das psychische Wohlbefinden der eingesetzten Pferde. Es ist daher unabdingbar, mehr über die Verhaltensweisen und damit die Befindlichkeiten des Pferdes in der Therapie zu erfahren. Der vorliegende Beitrag ist ein überarbeiteter Teil der Diplomarbeit „Ethologische Aspekte der Reittherapie“ an der Universität Tübingen, unter Betreuung von Prof. Dr. Apfelbach. Sie hatte zum Ziel, einen ersten Überblick über die Thematik zu erarbeiten und das Verhalten der Pferde während einer Therapiesituation, sowohl in der Halle als auch im freien Gelände zu untersuchen. Außerdem wurde die Bedeutung unterschiedlicher, in reittherapeutischen Kontexten möglicher Reitweisen (Führstrick, Longe, Langzügel, selbstständiges Reiten) berücksichtigt. Ein weiterer wichtiger Aspekt war es zudem, herauszufinden, in wie weit Pferde zwischen Personengruppen unterschiedlicher Störungsbilder unterscheiden und ob sie während der Therapie Verhaltensweisen zeigen, die auf eine unzufriedene, entspannte oder erregte Befindlichkeit schließen lassen. Die Pferde und die Beobachtungsmethoden Für die vorliegende Studie standen 24 Pferde unterschiedlichster Rassen und unterschiedlichsten Alters zur Verfügung. Elf waren Stuten, 13 Wallache. Da im Verhalten keine geschlechtsabhängigen Unterschiede festgestellt werden konnten, wurden im weiteren Verlauf alle Pferde gemeinsam betrachtet. Alle Pferde hatten mit der Art der Therapie und mit dem Klientel, für das sie bei der Datenaufnahme in der Therapie eingesetzt wurden, Erfahrung. Der jeweilige Therapeut war den Pferden bekannt und arbeitete mehrmals die Woche, auch außerhalb der Therapie mit diesen. In die Studie gingen nur Therapiesituationen ein, in denen sich die Klienten auf dem Pferd befanden und nachdem sie sich zuvor durch Putzen oder Kuscheln mit diesem vertraut gemacht hatten. Ort Für die Auswertung der Daten wurde unterschieden, ob die Therapie im freien Gelände stattfand, wo das Pferd auf natürlicher Weise vielen Umweltreizen ausgesetzt ist oder ob die Therapie in einer geschlossenen Halle, mit weniger Reizeinfluss von außen, durchgeführt wurde. Reitweise Für die Datenerfassung und -auswertung wurden in der Reittherapie eingesetzte Reitweisen unterschieden. 1.) Geführtes Reiten am Führstrick. Der Therapeut führt das Pferd an Strick und Stallhalfter. 28 | mup 1|2009 Meinzer - Therapeutisches Reiten aus Sicht der Pferde 2.) Reiten an Longe. Der Therapeut longiert das Pferd. 3.) Reiten am Langzügel. Eine Hilfsperson führt das Pferd am langen Zügel, während der Therapeut direkt neben dem Pferd mitläuft. 4.) Selbstständiges Reiten. Der Klient hält selbst die Zügel in der Hand und reitet selbstständig, während der Therapeut neben her läuft, ohne direkt auf das Pferd einzuwirken. Personengruppen Insgesamt wurden 80 Therapieeinheiten mit 64 unterschiedlichen Personen für die Studie herangezogen. Die Personen wurden bezüglich ihres Störungsbildes in folgende Gruppen zusammengefasst. 1.) 26 nicht beeinträchtigte Personen (ohne erkennbare Störungen). 2.) 13 geistig und körperlich behinderte Personen. 3.) Sechs Personen mit ausschließlich körperlicher Problematik, wie z. B. Lähmungen. 4.) Neun Personen mit geistiger Behinderung, z. B. Down-Syndrom oder Autismus mit geistiger Behinderung. 5.) Zehn Personen, denen laut Diagnose eine soziale / psychische Auffälligkeit zuzuschreiben war. Hierunter fielen Personen mit ADHS, Aggressionen, affektiver Psychose, Teilleistungsschwäche und Borderline-Störung. Versuchsablauf Jeweils vier Minuten aus dem mittleren Teil jeder Therapieeinheit, während denen im Schritt gearbeitet wurde, wurden auf Video aufgezeichnet. Anschließend wurde jede Videosequenz sechs Mal am Computer ausgewertet Dabei wurden sechs verschiedene Ausdruckselemente der Pferde beobachtet (Bohnet 2007; Mills 2004). 1.) Stellung des Kopfes in Relation zu Hals und Körper 2.) Stellung und Bewegung der Beine 3.) Stellung und Bewegung des Schweifes 4.) Stellung der Ohren in Relation zum Kopf 5.) Stellung der Maulspalte 6.) Vom Pferd geäußerten Lautäußerungen Die den sechs Ausdruckselementen zugehörigen Verhaltensweisen, wurden in Verhaltensdisplays sortiert und nach systematisch angelegten Kriterien katalogisiert (s. Tab. 1). Im Excelprogramm „Eventrecorder“ wurde jede der katalogisierten Verhaltensweisen (s. Tab. 1) ein Buchstabe auf dem PC zugeordnet. Zur Auswertung des Verhaltens wurde während des Beobachtens eines Ausdruckselements (1. Stellung des Kopfes, 2. Stellung und Tabelle 1: Verhaltensdisplays Display Zugehörige Verhaltensweisen Neutral neutrale Stellung von Kopf, Schweif, Ohren und Maul, Laufen in normalem Tempo, keine Lautäußerung Aufmerksamkeit beim Klienten Kopf zum Klienten gedreht, ein bzw. beide Ohren zum Klienten gedreht Aufmerksamkeit bei der Umwelt (zur Umwelt wurden auch der Therapeut und eventuell anwesende Hilfspersonen gezählt) Kopf/ Ohren zu Gegenstand oder Person des Interesses gerichtet, Anstupsen / Beknabbern des Gegenstandes oder der Person Unzufriedenheit Kopf/ Schweif schlagen, Ohren anlegen, Beißen / Beißdrohen, Stöhnen Entspannung Kopf tief, Flügelohren, Abschnauben Erregung Kopf hoch, tänzeln / schneller laufen / einfrieren, Schweifwurzel versteifen, Schnorcheln (Bohnet 2007 / Mills 2004 / Morris 1997) Meinzer - Therapeutisches Reiten aus Sicht der Pferde mup 1|2009 | 29 Bewegung der Beine, 3. Stellung und Bewegung des Schweifes, 4. Stellung der Ohren, 5. Stellung der Maulspalte, 6. Lautäußerungen), beim Zeigen einer bestimmten Verhaltensweise, der jeweilige Buchstabe auf dem PC gedrückt. Das Programm erfasste dadurch die Dauer jeder gezeigten Verhaltensweise dieses Ausdruckelements innerhalb der ausgewerteten Vier-Minuten-Sequenz jeder Therapieeinheit. Dieser Prozess wurde sechs Mal, also für jedes Ausdruckselement ein Mal, pro Vier-Minuten- Sequenz einer Therapieeinheit wiederholt. Vor der eigentlichen Auswertung wurde bei jeder Therapieeinheit ein Übungsdurchlauf gemacht, der anschließend verworfen wurde, um Fehler durch langes Überlegen zu vermeiden. Durch die sechsfache Auswertung kam von jeder Therapieeinheit eine ausgewertete Gesamtbeobachtungslänge von insgesamt 1440 Sekunden zustande, die die Verteilung des Verhaltens des jeweiligen Pferdes in einem Zeitrahmen von sechs Mal vier Minuten angibt. Die Unterschiede in der Dauer der Verhaltensweisen wurden mittels einer multivariaten Varianzanalyse statistisch überprüft. Kam es zu signifikanten Ergebnissen, wird dies im Text mit der gängigen Ausdrucksformel angegeben, wobei p ein Maß für die Signifikanz ist. Ergebnisse sind signifikant, wenn p ≤ 0,05. In den Graphiken sind signifikante Ergebnisse mit Strich und Stern markiert. Ergebnisse Fand die Therapie in der Halle statt, zeigten die Pferde signifikant länger neutrales Verhalten (F(1,24)=7,58; p=0,01) und richteten ihre Aufmerksamkeit bevorzugt auf den Klienten und kürzere Zeit auf die Umwelt (F(1,24)=5,98; p=0,02), als bei der Therapie im freien Gelände. Die Pferde waren im Freien erregter als in der Halle (s. Abb. 1). Beim geführten Reiten richteten die Pferde signifikant am meisten Aufmerksamkeit auf die Umwelt (F(3,25)=5,04; p=0,007). Beim selbstständigen Reiten dagegen richteten sie ihre Aufmerksamkeit am längsten auf den Klienten. Bei dieser Reitweise zeigten die Pferde anhaltende Unzufriedenheit, während sie beim Reiten am Führstrick und beim Reiten an der Longe entspannter waren, als bei allen anderen Reitweisen (s. Abb. 2). 1000 1020 1040 1060 1080 1100 1120 1140 1160 1180 1200 0 20 40 60 80 100 120 140 160 * * Neutral Dauer des gezeigten Verhaltens (s) Entspannt Klient Umwelt Unzufrieden Dauer des gezeigten Verhaltens (s) Frei Halle Erregt 1020 1040 1060 1080 1100 1120 1140 1160 1180 20 40 60 80 100 120 140 160 180 * Unzufrieden Entspannt Erregt 1200 Neutral Dauer des gezeigten Verhaltens (s) 0 Klient Umwelt Dauer des gezeigten Verhaltens (s) geführtes Reiten Langzügel Longe s elbst. Reiten Abb. 1: Verhaltensunterschiede abhängig vom Durchführungsort (Mittelwerte, Standardfehler) Abb. 2: Verhaltensunterschiede abhängig von der Reitweise (Mittelwerte, Standardfehler) 30 | mup 1|2009 Meinzer - Therapeutisches Reiten aus Sicht der Pferde Im Vergleich der Personengruppen waren keine statistischen Signifikanzen nachweisbar. Tendenziell gab es jedoch einige Unterschiede in den Verhaltensweisen. Die Pferde zeigten bei nicht beeinträchtigten sowie sozial und psychisch auffälligen Personen länger Verhaltensweisen, die auf Unzufriedenheit und Erregung schließen lassen, als bei allen anderen Personengruppen. Handelte es sich bei den Klienten um Personen mit geistiger Behinderung war die Entspannung besonders auffallend und anhaltend (s. Abb. 3). Diskussion Die Ergebnisse dieser Studie geben einen Überblick darüber, wie Pferde während der Therapie durch bestimmte Faktoren und je nach Störungsbild des Klienten in ihrem Verhalten beeinflusst werden. Reittherapeuten haben dadurch einen Anhaltspunkt eine Therapiesituation herzustellen, die zum einen die Zielsetzung der jeweiligen Klienten erfüllt, zum anderen jedoch auch das Wohlbefinden des Pferdes während der Therapie im Auge behält. Verhaltensunterschiede abhängig vom Durchführungsort (s. Abb. 1) In einer geschlossenen Halle richten Pferde einen wesentlichen Teil ihrer Aufmerksamkeit auf die Personen, mit denen sie arbeiten, da von außen wenig zusätzliche Reize auf sie einwirken können. Die Reittherapie in der Halle ermöglicht dadurch ein konzentriertes Arbeiten, bei dem das Pferd seine Aufmerksamkeit ganz auf den Klienten richten kann. Im freien Gelände dagegen wirken wesentlich mehr Reize auf das Pferd ein, die zum einen dessen Aufmerksam auf sich ziehen, zum anderen bei diesem auch Erregung oder Angst auslösen können. Nach Zeitler-Feicht (2008) unterliegt die Fluchtreaktion des Pferdes einem angeborener Auslösemechanismus (AAM). Als Fluchttier ist Angst und Flucht für das Pferd von vitaler Bedeutung, stellt aber gerade in der Therapie ein hohes Gefahrenpotential dar. Die Arbeit im Freien kann jedoch für viele Klienten sehr wichtig sein. Sie bietet vielfältige Entspannungs-, Lern- und Spielmöglichkeiten. Für viele behinderte oder psychisch kranke Klienten ist das „Rauskommen“ ein zusätzlicher Qualitätsaspekt der Reittherapie. Daher ist die Arbeit im Freien ein wichtiger Bestandteil der pferdegestützten Therapie. „Durch Gewöhnung und positive Verstärkung kann man viele Situationen, die dem Pferd Angst einflössen, entschärfen und somit die Fluchtreaktion eindämmen bzw. unterbinden“ (Zeitler-Feicht 2008). Sind die Pferde also auf möglichst viele Situationen im freien Gelände vorbereit und haben gelernt, diese als ungefährlich einzustufen, könne die Möglichkeiten der freien Natur in der Therapie durchaus genutzt werden. Verhaltensunterschiede abhängig von der Reitweise (s. Abb. 2) Beim geführten Reiten am Führstrick und beim Reiten am langen Zügel steht der Pferdeführer in unmittelbarem Kontakt zum Pferd. Pferde richten daher vermutlich einen hohen Grad an Aufmerksamkeit auf diese Personen, wodurch ein gewisses Maß an Aufmerksamkeit gegenüber dem Klienten verloren geht. Bei Unzufrieden Entspannt Erregt Umwelt 1000 1020 1040 1060 1080 1100 1120 1140 1160 1180 Neutral Dauer des gezeigten Verhaltens (s) 0 50 100 150 200 250 Klient Dauer des gezeigten Verhaltens (s) Ges und geist./ körperl. Behind. körperliche Problem atik geistige Behinderung s ozial auffällig Abb. 3: Verhaltensunterschiede in Abhängigkeit vom Störungsbild des Klienten (Mittelwerte, Standardfehler) Meinzer - Therapeutisches Reiten aus Sicht der Pferde mup 1|2009 | 31 der Arbeit an der Longe hat die führende Person dagegen räumlich einen größeren Abstand zum Pferd und wirkt schon aus diesem Grund weniger intensiv auf dieses ein. Das Pferd kann sich hier mehr auf den Klienten konzentrieren. Beim selbstständigen Reiten nimmt der Klient allein hilfegebenden Einfluss auf das Pferd. Der Therapeut bleibt als Pferdeführer passiv und das Pferd kann seine Aufmerksamkeit auf den Klienten lenken und direkt auf dessen Verhalten reagieren. Jedoch wurden Verhaltensweisen, die auf Unzufriedenheit der Pferde hindeuten, beim selbstständigen Reiten tendenziell am längsten gezeigt. Dies ist vermutlich vor allem auf die oft unsichere und manchmal unsensible Hilfengebung der meist unerfahrenen Klienten zurückzuführen. Es ist daher sicherlich sinnvoll den Klienten in seiner Hilfengebung unterstützend anzuleiten, um diese Situation für das Pferd möglichst stressfrei zu gestalten. Verhaltensunterschiede abhängig vom Störungsbild des Klienten (s. Abb. 3) Nach Maros (2008) sind Pferde in der Lage, auf bestimmtes Verhalten des Menschen spezifisch zu reagieren. Die vorliegende Arbeit macht deutlich, dass Pferde dabei nicht nur auf gelernte Gesten-Signale des Menschen eingehen, von denen Maros berichtet, sondern dass sie das Gesamtverhalten des Menschen, das oftmals eng mit dessen Störungsbild zusammenhängt, in ihre Verhaltensreaktionen mit einbeziehen. Pferde zeigten bei geistig behinderten Personen tendenziell länger Entspannung als bei den anderen Personengruppen. Geistig behinderte Personen saßen in den meisten Fällen sehr ruhig auf dem Pferd und waren auch in ihrer Art eher zurückhaltend, was die entspannte Haltung der Pferde in Bezug auf dieses Störungsbild erklären könnte. Dagegen zeigten sich die Pferde gegenüber gesunden Personen länger erregt und unzufrieden. Vor allem gesunde Kinder waren auf dem Pferderücken oft laut oder saßen unruhig, weswegen die Pferde vermutlich mit diesen Verhaltensweisen reagierten. Vermehrte Erregung und Unzufriedenheit konnte man ebenfalls bei sozial und psychisch auffälligen Personen beobachten. Dies stimmt mit den Ergebnissen der Studie von Kaiser et al. (2006) überein. Nach diesen Autoren zeigen Pferde in Reittherapieprogrammen mehr stressbezogene Verhaltensweisen bei Risikokindern als bei anderen Personengruppen. Zu Risikokindern zählten Kaiser et al. auffällige Kinder aus sozial schwierigen Verhältnissen. Nach Kupper-Heilmann und Kleemann (1997) eignet sich jedoch gerade für verhaltensauffällige, gehemmte und aggressive Kinder der Umgang mit Pferden. Das Pferd zeigt bei Übergriffen des Klienten Grenzen auf, ohne dabei „moralisch“ zu werden. Der Mensch erhält Informationen über die Unangemessenheit bestimmter Verhaltensweisen in bestimmten Situationen, ohne dass er dabei als Person angegriffen wird (Scheidhacker 1995). Um dabei übermäßigen Stress für das Pferd sowie Erregung und damit einher gehende Gefahrensituationen zu vermeiden, ist es sicherlich sinnvoll, das Pferd und dessen Reaktionen auf bestimmte Personen oder deren Verhaltensweisen zu beobachten und die Klienten im Umgang mit den Pferden anzuleiten. Fungiert der Therapeut dabei als „Dolmetscher“, können Klienten zudem die Reaktionen des Pferdes auf ihr eigenes Verhalten besser deuten. Im Rahmen dieser Studie konnte leider nur ein grober Überblick über die Thematik geschaffen werden, so dass noch viele Fragen offen bleiben. Optimale Therapieerfolge für den Menschen können nur dann erreicht werden, wenn sich auch der „Co-Therapeut“ Pferd in der Therapiesituation wohl fühlt und willig mit dem Menschen zusammenarbeitet. Dies gilt insbesondere dann, wenn das Pferd mit dem Ziel eingesetzt wird, soziale Kompetenzen zu vermitteln, das Verhalten des Menschen zu spiegeln oder diesen als Freund und Partner zu akzeptieren, ihm Selbstvertrauen oder ein Gefühl des Angenommen-Werdens zu vermitteln. 32 | mup 1|2009 Meinzer - Therapeutisches Reiten aus Sicht der Pferde Ein weiterer wichtiger Faktor ist dabei die Haltungsform der Therapiepferde. In der vorliegenden Studie gab es hierzu keine signifikanten Ergebnisse, jedoch wurde tendenziell beobachtet, dass Pferde aus Einzelhaltung während der Therapie unzufriedener waren als Pferde aus Gruppenhaltung. Diese Ergebnisse stimmen mit Studien zu Haltungsformen bei Pferden (z. B. in Pirkelmann et al. 2008; Zeitler-Feicht 2008) sowie den Richtlinien für Haltung von Pferden des Schweizer Bundesamtes für Veterinärwesen (2001) und des deutschen Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (1998) überein. Haltungsformen sollten daher gerade im Bereich des therapeutischen Reitens noch intensiver untersucht werden. Jedoch auch andere Faktoren, wie die Ausbildung oder die Häufigkeit des Einsatzes der Therapiepferde - auf die in dieser Studie nicht eingegangen werden konnte - wirken sich sicherlich auf das Wohlbefinden des Pferdes und auf die Qualität der Therapie aus. Selbstverständlich hat auch das Verhalten des Therapeuten selbst Auswirkungen sowohl auf das Verhalten des Pferdes als auch auf das des Klienten und kann so das Wohlbefinden des Pferdes positiv wie negativ beeinflussen. Um eine qualitativ gute sowie pferdegerechte Form der Reittherapie zu gewährleisten, sind weitere wissenschaftliche Studien auf diesem Gebiet daher absolut notwendig. Literatur BMELF, Bundesamt für Veterinärwesen (2001): Haltung von Pferden, Ponys, Eseln, Maultieren und Mauleseln, Richtlinie 800.106.06 (3) Tierschutz, Bern Bohnet, W. (2007): Ausdruckverhalten zur Beurteilung von Befindlichkeiten bei Pferden. Dt. Tierärztliche Wochenschrift 114, 91-97 Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (1998): Leitlinien zur Beurteilung von Pferdehaltung unter Tierschutzgesichtspunkten, Bonn Kaiser, L., Heleski, C. R., Siegford, J, Smith, K. A. (2006): Exploring the Bond - Stress-related behaviors among horses used in a therapeutic riding program, JAVMA Vol 228, 39-45 Kupper-Heilmann, S., Kleemann, C. (1997): Heilpädagogische Arbeit mit Pferden. In: Dather, W., Finger-Trescher, U., Büttner, Ch. (Hrsg.): Jahrbuch für Psychoanalytische Pädagogik 8, Psychosozial- Verlag, Gießen, 27-46 Maros, K. (2008): Comprehension of human pointing gestures in horses (Equus caballus). Animal Cognition 11(3): 457-466 Mills, D. (2004): Pferdeverhalten erklärt. Müller Rüschlikon, Cham Morris, D. (1997): Horsewatching. Heyne, München Pirkelmann, H., Ahlswede, L., Zeitler-Feicht, M. (2008): Pferdehaltung. Ulmer, Stuttgart Scheidhacker, M. (1995): Psychotherapeutisches Reiten - Möglichkeiten zur Integration und Rehabilitation. ThR 22, 3-5 Suthers-McCabe, H. M., Albano, L. (2004): Evaluation of stress response of horses in equine assisted therapy programmes. Anthrozoös 18, 323-325 Zeitler-Feicht, M. (2008): Handbuch Pferdeverhalten. Ulmer, Stuttgart Madeleine Meinzer Dipl.-Biologin, Reittherapeutin (IPTh), Trainerin (TGT - The Gentle Touch), zurzeit tätig als selbstständige Reittherapeutin mit dem Schwerpunkt Ausbildung von Therapiepferden und als freie Dozentin am Weiterbildungsinstitut für Pferdegestützte Therapie in Konstanz (IPTh) zu den Themen Pferdeverhalten, Pferdeausbildung sowie Pferdehaltung Anschrift: Madeleine Meinzer · Am Wetterbach 66 · 76228 Karlsruhe · E-Mail: madeleine.meinzer@gmx.de Die Autorin Meinzer - Therapeutisches Reiten aus Sicht der Pferde mup 1|2009 | 33
