eJournals mensch & pferd international 1/3

mensch & pferd international
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1867-6456
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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Dabei sein ist alles - Special Olympics und der Pferdesport

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Gabriele Eickmeyer
Mit einem Blick von der Reithallentür verfolge ich das Geschehen beim Voltigieren in der Halle. Ein junger Mann, fast zwei Meter groß, steht dort, ein fröhliches offenes Lachen im Gesicht und äußert: "Nun will ich wieder reiten!" Rudi ist wieder da, der als Junge kaum Bindungen zu seiner Herkunftsfamilie hatte, in unterschiedlichen Betreuungsformen heranwuchs und nun in einer "Verselbstständigungsgruppe" lebt. Rudi hatte als Kind mit dem Heilpädagogischen Voltigieren begonnen und nach anfänglicher Skepsis einen guten Zugang zum Pferd und zum Voltigieren gefunden.
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mup 3|2009|143 - 145|© Ernst Reinhardt Verlag München Basel | 143 Gabriele Eickmeyer Dabei sein ist alles - Special Olympics und der Pferdesport Teil 2: Voltigieren Forum Mit einem Blick von der Reithallentür verfolge ich das Geschehen beim Voltigieren in der Halle. Ein junger Mann, fast zwei Meter groß, steht dort, ein fröhliches offenes Lachen im Gesicht und äußert: „Nun will ich wieder reiten! “ Rudi ist wieder da, der als Junge kaum Bindungen zu seiner Herkunftsfamilie hatte, in unterschiedlichen Betreuungsformen heranwuchs und nun in einer „Verselbstständigungsgruppe“ lebt. Rudi hatte als Kind mit dem Heilpädagogischen Voltigieren begonnen und nach anfänglicher Skepsis einen guten Zugang zum Pferd und zum Voltigieren gefunden. Viele Kinder und Jugendliche mit einer geistigen Behinderung beginnen so mit dem Voltigieren im Rahmen einer heilpädagogischen Förderung. Hierbei können je nach individuellen Voraussetzungen zahlreiche unterschiedliche Förderziele im Vordergrund stehen, die aus dem sensorischmotorischen Bereich ebenso stammen können wie aus dem emotionalen und vielen anderen. Ein wichtiger Bereich in der Förderung für Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen ist vor allem die Erfahrung von Selbstwirksamkeit im Umgang mit dem Pferd, sowohl beim direkt erlebbaren erfolgreichen Absolvieren von Aufgaben und Übungen als auch im Umgang mit dem Pferd, z. B. beim Führen des Pferdes etc. Der Vergleich der eigenen Leistungen mit denen anderer Teilnehmer spielt zunächst meist eine untergeordnete Rolle. Im Vordergrund steht mehr der Zuwachs eigener Fähigkeiten. Die Erfahrung hat aber gezeigt, dass vor allem bei Jugendlichen nach und nach ein Interesse aufkommt, auch von sich weg auf andere zu schauen, Vergleiche anzustellen und Gleiches und Besseres tun zu wollen. So ist die Entwicklung von der heilpädagogischen Fördermaßnahme „Voltigieren“ hin zum Voltigieren als Freizeitsportangebot und als Wettbewerbsport ein schlüssiger Vorgang. Der Voltigiersport hat sich seit den 1950er Jahren als Kinder- und Jugendsport und vor allem als Gruppensport rasant entwickelt und ist heute eine eigenständige hoch entwickelte Pferdesportart, die nun auch Erwachsenen offen steht. Im Regelsport wird die turnerische Übung Voltigierwettbewerb - auf dem Pferd Manuel Hartwich, im Hintergrund Nicole Tiedemann, Nancy Angermann und Julia Lönert (v. l. n. r.) 144 | mup 3|2009 Eickmeyer - Dabei sein ist alles - Special Olympics und der Pferdesport auf dem auf dem Zirkel galoppierenden Pferd bewertet. Das Reglement ist differenziert, die Ausbildung des Trainers umfassend, da neben der sportpädagogischen Qualifikation auch die pferdefachliche geschult werden muss. Denn das geeignete Pferd muss ausgebildet werden und leistungskräftig erhalten bleiben. Es gibt im Reglement Pflicht- und Kürübungen, die zum Teil statisch oder dynamisch sind und mit dynamischen Übergängen verbunden werden. In den „Richtlinien für das Voltigieren“ sind die Grundlagen des Sportvoltigierens geregelt. Auf zahlreichen Turnieren auf Landes- und Bundesebene haben Gruppenvoltigierer und Einzelvoltigierer die Möglichkeit, ihr Können unter Beweis zu stellen. Der Wettbewerbsbereich im Voltigieren für Menschen mit Behinderung hat sich langsamer entwickelt. Aktuell wird an einem internationalen Regelwerk „Voltigieren für Special Olympics“ gearbeitet. Federführend in der Erarbeitung des Voltigierreglements sind Gundula Hauser für die FRDI (Federation of Riding for the Disabled International), Erich Breiter und Mag. Elisabeth Udl. Auf Landesebene gibt es bereits Reglements und entsprechende Wettbewerbe. In Deutschland werden diese Wettbewerbe z. B. im Bereich der Landespferdesportverbände und bei den Special Olympics National Games seit 2000 alle zwei Jahre angeboten. Carolin Frings (Ingersheim) und Harald Grimm (Böhmenkirch) haben im Jahr 2008 bei den National Games in Karlsruhe die Voltigierwettbewerbe gerichtet und auch Ergänzungen zu Regelwerk und Ausschreibung erstellt. Hier werden nun in Kürze die wesentlichsten Kriterien beschrieben: Vor den Veranstaltungen werden über die jeweiligen Veröffentlichungen der Pferdesportverbände die Ausschreibungen detailliert mitgeteilt, z. B. in den jeweiligen Fachmagazinen der Bundesländer. Teilnahmeberechtigt sind geistig behinderte Menschen. Sie müssen mindestens acht bzw. zwölf Jahre (international) alt sein. Ein Gymnastikanzug oder eine elastische Gymnastikhose mit T-Shirt oder anliegendem Pullover sowie Gymnastikschuhe mit weicher rutschfester Sohle gehören zur Ausrüstung. Das Pferd muss nach den FN-Richtlinien für Voltigieren ausgerüstet sein. Der Trainer hat eine FN-Qualifikation für das Voltigieren sowie eine entsprechende Zusatzqualifikation für das Voltigieren mit Menschen mit einer geistigen Behinderung. Üblicherweise werden Einzel- und Gruppenwettbewerbe angeboten. Es können auch andere Wettbewerbe stattfinden, dann müssen allerdings die Anforderungen und Beurteilungsrichtlinien in der Ausschreibung angeführt werden. Bei Gruppenwettbewerben besteht die Gruppe aus mindestens 3 und maximal 6 Voltigierern. Die Voltigierer müssen eine für den Richter sichtbare Nummer tragen. Die Vorführungen werden von geeigneter Musik begleitet. Von den Richtern werden die Noten 0-10 vergeben, es sind ganze und halbe Noten zulässig. Hilfestellung ist in allen Bereichen (z. B. beim Aufgang / Aufsprung, Takteinheiten zählen und / oder Anleiten bei den Übungen) durch einen Helfer erlaubt. Einzel- und Gruppenwettbewerbe werden je nach Leistungsstand unterteilt in: Pflicht und Kür im Galopp ■ Pflicht im Galopp, Kür im Schritt ■ Freie Tempowahl bei Pflicht und Kür ■ Pflicht und Kür im Schritt ■ Die Voltigierer führen in der angegebenen Startfolge nacheinander im Pflichtblock Grundsitz ■ Fahne ■ Mühle ■ Schere (bzw. wahlweise 1. Teil Schere und ■ 2 Takte Mühle) aus. Abgang oder Absprung sind möglich. ■ Für die Pflicht gibt es keine Zeitbegrenzung. Eickmeyer - Dabei sein ist alles - Special Olympics und der Pferdesport mup 3|2009 | 145 Für die Kür in der Gruppe ist je eine Minute pro Gruppenmitglied vorgesehen. In der Einzelkür stehen jedem Voltigierer zwei Minuten zur Verfügung. Die Kür besteht aus statischen und dynamischen Elementen und umfasst mindestens vier Übungen. In Österreich und international werden auch so genannte Zwei-Phasen-Wettbewerbe angeboten. Diese beinhalten: Pflicht im Galopp, Kür auf dem Holzpferd ■ Freie Tempowahl in der Pflicht, Kür auf dem ■ Holzpferd Pflicht im Schritt, Kür auf dem Holzpferd. ■ Wie in vielen Disziplinen des Reitsports für Menschen mit Behinderungen ist das persönliche Engagement der Teilnehmer, der Trainer und der Helfer auch beim Voltigieren im Rahmen von Special Olympics ein sehr wichtiger und unverzichtbarer Bestandteil der Aktivitäten. Dabei spielt die Arbeit vor Ort in jedem einzelnen Reitverein eine entscheidende Rolle. Neben den Sonderveranstaltungen im Rahmen von Special Olympics, bei denen es vor allem um den Austausch und das Lernen von Menschen mit Behinderungen voneinander geht, sind aber auch integrative bzw. inklusive Veranstaltungen von besonderer Bedeutung. Im Austausch mit Regelsportlern geschieht Voneinanderlernen auf der Basis des gemeinsamen Interesses am Umgang mit Pferden und am Voltigieren. Die Weiterentwicklung von „Teilhabe“ in unserer Gesellschaft im Sportbereich wird von solchen „inklusiven“ Möglichkeiten abhängen. Durch gemeinsames Erleben von Unterschiedlichkeit und Vielfalt kann sich ein neues Verständnis von Fähigkeiten und Leistung, von sportlicher Aktivität und vom Umgang mit dem Pferd entwickeln. Es lohnt sich dabei mitzugestalten! Informationen & Literatur: Informationen zu Special Olympics (Reglement, Veranstaltungen etc.) finden Sie auf diesen Internetseiten: International: www.specialolympics.com Deutschland: www.specialolympics.de (Reglement unter der Rubrik Sport/ Reiten) Österreich: www.specialolympics.at Schweiz: www.specialolympics.ch Deutsche Reiterliche Vereinigung (FN) (Hrsg.) (2008): Richtlinien für Reiten und Fahren. Band 3. Voltigieren. 4. überarb. Aufl. FN-Verlag, Warendorf Gabriele Eickmeyer Jg. 1950, Heilpädagogin und Motopädin, Trainerin B Reiten und Voltigieren, Zusatzausbildung für Heilpädagogische Förderung mit dem Pferd (DKThR), Leiterin einer Jugendhilfeeinrichtung, bietet in Kooperation mit einem ländlichen Reitverein für unterschiedliche Zielgruppen therapeutisches Reiten an; dabei liegt der Schwerpunkt auf der Arbeit mit Menschen mit einer geistigen Behinderung Anschrift: Gabriele Eickmeyer · Rundling 4 · 29439 Trebel E-Mail: Gabi.eickmeyer@nexgo.de Die Autorin