mensch & pferd international
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Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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"Weil mir das Reiten Spaß macht!"
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Susanne Hecht
Die Heilpädagogische Förderung mit dem Pferd kann als bewegungsorientiertes Angebot für erwachsene Menschen mit einer geistigen Behinderung eingesetzt werden. In diesem Kontext wurden Interviews mit erwachsenen Menschen mit einer geistigen Behinderung durchgeführt. Das Hauptanliegen galt dabei der aktiven Einbeziehung der Zielgruppe in den Forschungsprozess, um nicht nur über Menschen mit einer geistigen Behinderung, sondern mit ihnen zu sprechen. Der folgende Beitrag beschreibt die Planung und Durchführung der Nutzerbefragung. Weiterhin werden die Ergebnisse dargestellt sowie weiterführende Forschungsperspektiven aufgezeigt.
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70 | mup 2|2009|70 - 79|© Ernst Reinhardt Verlag München Basel Die Heilpädagogische Förderung mit dem Pferd kann als bewegungsorientiertes Angebot für erwachsene Menschen mit einer geistigen Behinderung eingesetzt werden. In diesem Kontext wurden Interviews mit erwachsenen Menschen mit einer geistigen Behinderung durchgeführt. Das Hauptanliegen galt dabei der aktiven Einbeziehung der Zielgruppe in den Forschungsprozess, um nicht nur über Menschen mit einer geistigen Behinderung, sondern mit ihnen zu sprechen. Der folgende Beitrag beschreibt die Planung und Durchführung der Nutzerbefragung. Weiterhin werden die Ergebnisse dargestellt sowie weiterführende Forschungsperspektiven aufgezeigt. Schlüsselbegriffe: Heilpädagogische Förderung mit dem Pferd, geistige Behinderung, Erwachsene, Nutzerbefragung „Weil mir das Reiten Spaß macht! “ Susanne Hecht Planung, Durchführung und Ergebnisse einer Nutzerbefragung zum Thema „Heilpädagogische Förderung mit dem Pferd bei erwachsenen Menschen mit einer geistigen Behinderung“ Hecht - „Weil mir das Reiten Spaß macht! “ mup 2|2009 | 71 Erwachsene Menschen mit einer geistigen Behinderung sind in erhöhtem Maße durch Bewegungsmangel in ihrer körperlichen Entwicklung und Gesundheit gefährdet (Kapustin 1986, 7). Um der Bewegungsarmut von erwachsenen Menschen mit einer geistigen Behinderung präventiv entgegen wirken zu können, müssen zunehmend regelmäßige Bewegungsangebote in deren Alltag integriert werden. Im Sinne eines ganzheitlichen Ansatzes sollte die Bewegungsförderung nicht nur auf eine positive Beeinflussung der Bewegung und Wahrnehmung abzielen, sondern auch verbale, kognitive und vor allem soziale und emotionale Erfahrungen ermöglichen. Die Heilpädagogische Förderung mit dem Pferd kann diesen Kriterien eines ganzheitlich-bewegungsorientierten Angebots durchaus gerecht werden. Insbesondere im motorisch-sensorischen, kognitivsprachlichen und sozial-emotionalen Bereich lassen sich ausreichend Argumente finden, die für den Einsatz des Mediums Pferd in der Bewegungsarbeit mit erwachsenen Menschen mit einer geistigen Behinderung sprechen. An dieser Stelle soll die Ganzheitlichkeit der Heilpädagogischen Förderung mit dem Pferd nur kurz anhand einiger Beispiele verdeutlicht werden. Der sogenannte Spreizsitz beim Reiten wirkt sich auf den gesamten Bewegungsapparat aus, indem die Muskeln gelockert und die Gelenke beweglich gemacht werden (Marreck 1982, 32 f). Durch das ständige Bemühen des Pferdes seinen Reiter auszubalancieren, kann der Gleichgewichtssinn des Reiters geschult werden (Klüwer 2001, 75). Weiterhin bietet das naturnahe Setting vielfältige Sinneseindrücke (Marreck 1982, 32 f; Deppisch 1997, 42). Die konkrete Anschaulichkeit der Fördersituation ermöglicht die Anbahnung selbständiger Denkprozesse (Marreck 1982, 42; Eltze 1998, 36 ff). Das Erteilen von verbalen und nonverbalen Kommandos beim Reiten kann sich sowohl positiv auf die gesprochene Sprache als auch auf die Körpersprache auswirken (Marreck 1982, 35, 41). Die Beziehung zwischen Mensch und Pferd kann nur durch Rücksichtnahme und die Einhaltung bestimmter Regeln funktionieren. Die erlernten Umgangsformen können auch auf die Mensch-Mensch-Beziehung übertragen werden (Marreck 1982, 40 ff). Besonders auf der emotionalen Ebene fühlen sich Menschen vom Pferd angesprochen. „Viele dem Pferd zugesprochene Eigenschaften dienen dem Menschen lediglich zum Ausgleich eigener Defizite“ (Deppisch 1997, 43). Um zu erfahren, wie erwachsene Menschen mit einer geistigen Behinderung ein solches Angebot überhaupt beurteilen, wurden sie in einem Interview nach ihren Erwartungen und Zielvorstellungen sowie ihrer Stimmung und ihren Veränderungswünschen bezüglich der Heilpädagogischen Förderung mit dem Pferd befragt. Diesem Artikel liegt eine explorative Studie (Hecht 2008) zugrunde, in deren Rahmen die Nutzerbefragung durchgeführt wurde. Die Untersuchung entstand in Zusammenarbeit zwischen dem Lehrgebiet „Bewegungserziehung und Bewegungstherapie in Rehabilitation und Pädagogik bei Behinderung“ (Fakultät Rehabilitationswissenschaften) der TU Dortmund und dem Zentrum für Therapeutisches Reiten der Arbeiterwohlfahrt Dortmund GmbH (Standort Lünen). In der durchgeführten Befragung habe ich mich bewusst für eine direkte Einbeziehung der Zielgruppe in die Studie entschieden, um gezielt subjektive Nutzermeinungen zu erheben. Im vorliegenden Kontext erschien es als ein wichtiges Anliegen, authentische Sichtweisen der Nutzer einzufangen, um deren Bedürfnisse und Interessen verstärkt in die praktische Arbeit (z. B. Veränderung bestehender Angebote, Planung neuer Angebote) einbeziehen zu können. Die Planung, Durchführung und Auswertung einer Befragung von Menschen mit einer geistigen Behinderung ist mit gewissen methodischen Herausforderungen verbunden. Häufig werden sozial erwünschtes Antwortverhalten 72 | mup 2|2009 Hecht - „Weil mir das Reiten Spaß macht! “ und die inhaltsunabhängige Zustimmungstendenz (Tendenz zum Ja-Sagen) in Zusammenhang mit der Befragung von Menschen mit einer geistigen Behinderung gebracht. Jedoch ist an dieser Stelle anzumerken, dass beispielsweise das Phänomen, in Interviews gemäß sozialer Erwünschtheit zu antworten, kein spezifisches Problem in der Befragung von Menschen mit einer geistigen Behinderung ist (Hagen 2007, 24). Für die durchgeführte Nutzerbefragung ließen sich etwaige Verzerrungsfaktoren im Antwortverhalten der Probanden nicht gänzlich von vornherein ausschließen, deshalb wurden sie bewusst in Kauf genommen. Abschließend bleibt anzumerken, dass grundsätzlich davon ausgegangen werden kann, „dass die Antwortzuverlässigkeit von Menschen mit Behinderungen sich in nichts von Menschen ohne Behinderungen unterscheidet“ (Gromann 2002, 164). Planung der Nutzerbefragung In der Planungsphase der Studie wurden konkrete Fragestellungen formuliert. Für die durchgeführte Nutzerbefragung waren die folgenden Fragen forschungsleitend: (1) Aus welchen Gründen nehmen erwachsene Menschen mit einer geistigen Behinderung an der Heilpädagogischen Förderung mit dem Pferd teil bzw. welche Gründe erscheinen für diesen Personenkreis als besonders wichtig und welche Erwartungen bzw. Zielvorstellungen haben sie? (2) Wie fühlen sich erwachsene Menschen mit einer geistigen Behinderung vor, während und nach der Heilpädagogischen Förderung mit dem Pferd? (3) Wie beurteilen erwachsene Menschen mit einer geistigen Behinderung das Angebot der Heilpädagogischen Förderung mit dem Pferd und welche Veränderungswünsche haben sie diesbezüglich? Aufgrund des Mangels an geeigneten Erhebungsinstrumenten im zugrundeliegenden Kontext wurde anhand der genannten Fragestellungen ein Fragebogen für die Untersuchung entwickelt. (Der vollständige Fragebogen ist auf der Homepage des E. Reinhardt Verlages abrufbar, unter www.reinhardt-verlag.de > Zeitschriften > Mensch und Pferd , und kann bei Bedarf und Interesse in der Praxis verwendet werden.) Der Fragebogen enthält geschlossene und offene Fragen, wobei die Anzahl der geschlossenen Fragen überwiegt. Die geschlossenen Fragen konnten durch Ankreuzen von vorgegebenen, nominalskalierten Antwortalternativen (sog. Ja / Nein-bzw. Entweder / Oder-Fragen) beantwortet werden. Die Beantwortung der offenen Fragen wurde durch wörtliches Mitprotokollieren festgehalten. In Anlehnung an die drei zentralen Fragestellungen wurde der Fragebogen ebenfalls in drei Themenbereiche gegliedert: (1) Gründe für die Teilnahme und Erwartungen / Zielvorstellungen, (2) Stimmung und Auswirkungen, (3) Gesamtzufriedenheit und Veränderungswünsche. Vor der eigentlichen Hauptuntersuchung wurde der Fragebogen im Sinne eines Pretests mit einigen Probanden erprobt. Dadurch konnte in etwa die Zeit für die Durchführung einkalkuliert werden. Die erste Fassung des Fragebogens enthielt ausschließlich geschlossene Fragen. Durch den Pretest hat sich gezeigt, wie notwendig es ist, den Nutzern auch offene Fragen zu stellen. Außerdem wurden die bereits bestehenden Fragen zum Teil modifiziert. Für die Anrede wurde im Fragebogen die „Du-Form“ gewählt. Dies hat zwei Gründe: Einerseits kannte ich einen Teil der Befragten schon aus einem vorhergehenden Praktikum in der Einrichtung. Andererseits habe ich mich Hecht - „Weil mir das Reiten Spaß macht! “ mup 2|2009 | 73 © Susanne Hecht E-Mail: susi.hecht@freenet.de Fragebogen - Nummer: ____ Heilpädagogische Förderung mit dem Pferd bei erwachsenen Menschen mit einer geistigen Behinderung Eine Nutzerbefragung zur Evaluation des Angebots 1. Statistische Angaben Initialen des Nutzers: _________________________ Geschlecht: □ männlich □ weiblich Alter: __ __ Jahre Gruppe: _________________________ 2. Zielvorstellungen Warum kommst du eigentlich hier her? © Susanne Hecht E-Mail: susi.hecht@freenet.de Fortsetzung zu 2.) Zielvorstellungen Kommst du hier her, ... Bereich: Motorik ...weil du reiten lernen möchtest? Ja Nein Weiß nicht ...weil du beweglicher werden willst? Ja Nein Weiß nicht ...weil du mehr Ausdauer haben möchtest? Ja Nein Weiß nicht Bereich: Wahrnehmung ...weil du es magst, dass die Pferde sich so schön warm und weich anfühlen? (taktil) Ja Nein Weiß nicht ...weil du es magst, wie es schaukelt, wenn das Pferd sich bewegt? (vestibulär) Ja Nein Weiß nicht ...weil es sich gut anfühlt, wenn du im Trab durchgeschüttelt wirst? (kinästhetisch) Ja Nein Weiß nicht Bereich: Sprache/ Kommunikation ...weil du dich einfach mit den Pferden verstehst, auch wenn sie nicht sprechen können? (nonverbale Kommunikation) Ja Nein Weiß nicht ...weil es dir auf dem Pferd leichter fällt zu sprechen? ( verbale Kommunikation) Ja Nein Weiß nicht ...weil du dich wohl fühlst, wenn du vom Pferd getragen wirst? (Bewegungsdialog) Ja Nein Weiß nicht Bereich: Kognition ...weil du mehr über Pferde wissen willst? Ja Nein Weiß nicht ...weil du neue Übungen lernen möchtest? Ja Nein Weiß nicht ...weil du auf dem Pferd besser aufpassen kannst? Ja Nein Weiß nicht Bereich: Sozialverhalten ...weil Du in der Reitgruppe einfacher Kontakt zu anderen findest? Ja Nein Weiß nicht ...weil du bei den Pferden lernst dich an Regeln zu halten? Ja Nein Weiß nicht ...weil du beim Pferd nicht so schnell wütend wirst, wenn mal etwas nicht gleich klappt? Ja Nein Weiß nicht Emotionaler Bereich ...weil du das Pferd magst auf dem du reitest? Ja Nein Weiß nicht ...weil du gerne mit den anderen aus der Gruppe zusammen bist? Ja Nein Weiß nicht ...weil du deinen Reitlehrer nett findest? Ja Nein Weiß nicht Fällt dir noch etwas anderes ein, warum du beim Reiten mitmachst? ____________________________________________________________________________ ____________________________________________________________________________ ____________________________________________________________________________ © Susanne Hecht E-Mail: susi.hecht@freenet.de 3. Stimmung schlecht normal gut Wie fühlst du dich VOR dem Reiten? Wie fühlst du dich BEIM Reiten? Wie fühlst du dich NACH dem Reiten? 4. Auswirkungen Bist du auch manchmal ängstlich beim Reiten oder bist du eher mutig? ängstlich mutig Bist du beim Reiten angespannt oder entspannt/ locker? angespannt entspannt/ locker Findest du das Reiten anstrengend oder leicht? anstrengend leicht Fühlst du dich nach dem Reiten unwohl oder wohl? unwohl wohl Fühlst du dich nach dem Reiten müde/ schlapp oder wach/ munter? müde/ schlapp wach/ munter Hast du manchmal Muskelkater nach dem Reiten? Ja Nein oder: andere Schmerzen? ________________________________ 5. Gesamtzufriedenheit Gefällt dir das Reiten so wie es hier ist? Ja Nein Weiß nicht Was magst du besonders? _______________________________________________________ _______________________________________________________ _______________________________________________________ _______________________________________________________ _______________________________________________________ Was magst du nicht? _______________________________________________________ _______________________________________________________ _______________________________________________________ _______________________________________________________ _______________________________________________________ © Susanne Hecht E-Mail: susi.hecht@freenet.de 6. Veränderungswünsche Hast du Wünsche, dass beim Reiten mal etwas anders gemacht werden soll als bisher? ______________________________________________________________________________ ______________________________________________________________________________ ______________________________________________________________________________ ______________________________________________________________________________ ______________________________________________________________________________ Würdest du gerne öfter zum Reiten hierher kommen? Ja Nein Weiß nicht Hättest du gerne mehr Zeit, um das Pferd zu putzen? Ja Nein Weiß nicht Würdest du gerne mal beim Ausmisten und Füttern helfen? Ja Nein Weiß nicht Möchtest du gerne noch mehr über Pferde lernen? Ja Nein Weiß nicht Würdest du lieber mal auf einem anderen Pferd reiten? Ja Nein Weiß nicht Würde du gerne öfter mal ein Pferd führen? Ja Nein Weiß nicht Würdest du lieber öfter an der Longe reiten? Ja Nein Weiß nicht Würdest du lieber öfter alleine/ frei reiten? Ja Nein Weiß nicht Würdest du lieber öfter draußen reiten? Ja Nein Weiß nicht Fragebogen 74 | mup 2|2009 Hecht - „Weil mir das Reiten Spaß macht! “ bewusst für die „Du-Form“ entschieden, da es im Setting „Reithalle“ eher locker zugeht und es üblich ist, dass man sich untereinander duzt. Durchführung der Nutzerbefragung Die Nutzerbefragung wurde im Zentrum für Therapeutisches Reiten in Lünen durchgeführt. Das Zentrum für Therapeutisches Reiten wird seit Dezember 1999 unter der Leitung von Henrike Struck als Zweigstelle der Werkstätten der AWO Dortmund GmbH geführt. Seitdem hat sich das Therapiezentrum als Einrichtung für Therapeutisches Reiten in der Region etabliert. Von ausgebildeten Fachkräften werden die Bereiche Hippotherapie, Heilpädagogische Förderung mit dem Pferd und Pferdesport für Menschen mit Behinderungen angeboten. Dadurch kann eine breitgefächerte Zielgruppe angesprochen werden. Derzeit kommen wöchentlich etwa 250 Klienten zum Therapeutischen Reiten, darunter befindet sich ein großer Anteil von erwachsenen Menschen mit einer geistigen Behinderung, die im Rahmen ihrer Wohneinrichtung oder der Werkstätten für Menschen mit Behinderungen an der Heilpädagogischen Förderung mit dem Pferd teilnehmen. Die Heilpädagogische Förderung mit dem Pferd bei erwachsenen Menschen mit einer geistigen Behinderung findet im Zentrum für Therapeutisches Reiten in Lünen als einstündige Gruppenförderung statt, wobei die Gruppengröße zwischen vier bis sechs Teilnehmern variiert. Für die Befragung wurden elf unterschiedliche Gruppen ausgewählt, aus denen innerhalb der vierwöchigen Durchführungsphase (Zeitraum: Februar - März 2008) einzelne Personen befragt wurden. Da es sich bei dem vorliegenden Erhebungsinstrument um einen sprachgebundenen Fragebogen handelt, muss erwähnt werden, dass nicht verbal kommunizierende Personen von vornherein von der Befragung ausgeschlossen werden mussten. Demnach kamen für die Untersuchung nur Personen infrage, die über ein gewisses Maß an Sprach- und Kommunikationsfähigkeit (z. B. Fähigkeit auf Entscheidungsfragen zu antworten) verfügen. Es wurden insgesamt 37 Personen befragt. Da einige Befragungen aus verschiedenen Gründen (z. B. aufgrund von Überforderung oder geringer Konzentrationsspanne) vorzeitig abgebrochen werden mussten, konnten letztlich 31 Fragebögen für die Untersuchung ausgewertet werden. Somit zählen zur Untersuchungsstichprobe 31 Erwachsene im Alter zwischen 20 und 70 Jahren, die als „geistig behindert“ gelten. Die Festlegung auf das Merkmal „geistige Behinderung“ konnte durch Einsicht in die Akten bzw. die entsprechend dokumentierten Anamnesebögen der einzelnen Nutzer erfolgen. Für die Befragung wurde die Zuschreibung der geistigen Behinderung nicht näher differenziert. Zur Stichprobe zählen Menschen mit sogenannten leichten, mittleren und schweren geistigen Behinderungen. Das Spektrum der Begleiterscheinungen der geistigen Behinderung reichte in der zugrundeliegenden Stichprobe von körperlichen Handicaps über verschiedene syndromspezifische Beeinträchtigungen (z. B. Down-Syndrom) bis hin zu autistischen Zügen. Die untersuchte Stichprobe setzt sich aus einem relativ ausgeglichenen Geschlechterverhältnis (58 % weiblich; 42 % männlich) zusammen. Die Befragung wurde direkt während der Fördereinheit in der Reithalle durchgeführt. Durch die Wahl einer möglichst natürlichen Umgebung sollten die Befangenheitsgefühle auf Seiten der Befragten minimiert werden. Während der Untersuchung wurden alle Befragungen von ein und derselben Person durchgeführt. Wie bereits erwähnt, findet die Heilpädagogische Förderung mit dem Pferd bei erwachsenen Menschen mit einer geistigen Behinderung im Zentrum für Therapeutisches Reiten in Lünen in Derzeit kommen wöchentlich etwa 250 Klienten zum Therapeutischen Reiten. Hecht - „Weil mir das Reiten Spaß macht! “ mup 2|2009 | 75 der Regel als Gruppenförderung statt. In Lünen ist es üblich, dass nicht alle Teilnehmer gleichzeitig auf dem Pferd sitzen (z. B. für sechs Nutzer drei Pferde, sodass sich je zwei Nutzer ein Pferd teilen). Daher war es geplant, die Nutzer dann zu befragen, wenn sie nicht ritten. Diese Vorgehensweise konnte sich aus zeitlichen Gründen nicht durchsetzen, deshalb wurde während der Untersuchungsdurchführung mitunter dazu übergegangen, die Nutzer auch dann zu befragen, wenn sie auf dem Pferd saßen, vorausgesetzt, sie waren damit einverstanden. Die Bearbeitungszeit des Fragebogens pro Nutzer dauerte durchschnittlich weniger als zehn Minuten. Der Fragebogen wurde bewusst so ökonomisch wie möglich gehalten (kurze Dauer, wenig Material, einfache Handhabung), um einerseits die Nutzer nicht zu überfordern (Konzentration, Aufmerksamkeit) und um andererseits im Rahmen der Studie möglichst viele Nutzermeinung erheben zu können. Besonders hervorzuheben ist an dieser Stelle die Aufgeschlossenheit und das Interesse der befragten Nutzer. Insgesamt wurde die Befragung von Seiten der Nutzer sehr positiv aufgenommen. Ihre Aufgeschlossenheit und ihr Interesse an der Befragung äußerte sich in Rückmeldungen wie beispielsweise: „Du kannst mich gerne alles fragen. Dann leg mal los.“ oder „Warum interessiert dich das? “. Nach jeder Befragung wurde den Nutzern dafür gedankt, dass sie teilgenommen haben. Auffallend viele Nutzer haben sich jedoch dafür bedankt, dass sie gefragt wurden und haben ihre Teilnahme für selbstverständlich erklärt: „Danke, dass du mich gefragt hast.“ oder „Kein Problem, das mach ich doch gerne.“ Ergebnisse der Nutzerbefragung Die Auswertung und Interpretation der Ergebnisse erfolgte in Anlehnung an die zugrundeliegenden Fragestellungen und in Anlehnung an den verwendeten Fragebogen. Gründe für die Teilnahme und Erwartungen / Zielvorstellungen (Fragestellung 1) In einer offenen Frage gaben die Nutzer verschiedene Gründe für ihre Teilnahme an der Heilpädagogischen Förderung mit dem Pferd an. Bezüglich der Motive für die Teilnahme lässt sich aus den Antworten der Nutzer folgende Rangreihe (mit je einer Beispielantwort) bilden, welche nach der Häufigkeit der Nennung geordnet ist: Aus Sicht der befragten Nutzer stellt neben dem Reiten an sich der Spaß und die Freude am Reiten einen wichtigen Grund für die Teilnahme an der Heilpädagogischen Förderung mit dem Pferd dar. „Die spontanste Antwort auf die Frage ‚Warum gehst du zum Spielen, zum Turnen oder zum Sport? ‘, die uns geistig Behinderte geben würden, wäre ‚Weil es mir Spaß macht! ‘ … Das vielleicht hervorragendste Ziel in der Bewegungs- 1.) Reiten „Ich brauche das Reiten.“ 2.) Spaß „Weil mir das Reiten hier Spaß macht.“ 3.) Gesundheit „Damit meine Rückenschmerzen besser werden.“ 4.) Beziehung zum Pferd „Das Vertrauen zum Pferd finde ich schön.“ 5.) Beziehung zum Pädagogen „Die Leute hier sind auch sehr nett und sehr hilfsbereit.“ 6.) Abwechslung / Ablenkung und Abbau von Ängsten „... ich komme auf andere Gedanken.“ „Sobald ich drauf bin, verlier ich die Angst vorm Pferd und dann hab ich wieder mehr Mut.“ 76 | mup 2|2009 Hecht - „Weil mir das Reiten Spaß macht! “ Quelle; Hecht 2008, 46 erziehung … ist die Vermittlung von Freude an der Bewegung, am Spiel, an den überwundenen Hemmungen, an den selbst geschaffenen ‚Kunststückchen’, am Lern-, Übungs- und Leistungserfolg. Die über das Körper-Erleben gewonnene Selbsterfahrung schafft Selbstsicherheit und Lebenszutrauen“ (Kapustin 1986, 6). Der Spaß und die Freude am Reiten kann weitere ganzheitliche Lernprozesse erleichtern, die durch die Heilpädagogische Förderung mit dem Pferd in Gang gesetzt werden können. Neben den Gründen für die Teilnahme wurden die Nutzer in verschiedenen geschlossenen Fragen nach ihren Erwartungen und Zielvorstellungen gefragt. In Abbildung 1 wird bereits ein entscheidendes Ergebnis der Studie deutlich, und zwar, dass die Emotionalität (96,8 %) im Bereich der Erwartungen und Zielvorstellungen eine besondere Rolle spielt. Daraus lassen sich die nachfolgenden Vermutungen formulieren: Betrachtet man die Zielgruppe der erwachsenen Menschen mit einer geistigen Behinderung, dann lässt sich feststellen, dass das Bedürfnis nach emotionaler Nähe im Allgemeinen sehr groß ist. Bei der Heilpädagogischen Förderung mit dem Pferd kann dieses Bedürfnis nach emotionaler Nähe im Besonderen in der Beziehung zum Pferd ausgelebt werden. Ebenso zeigt sich durch diese hohe Einschätzung des emotionalen Bereichs die Wichtigkeit des Einsatzes des Mediums Pferd in der Bewegungsarbeit mit erwachsenen Menschen mit einer geistigen Behinderung, denn eine solche emotionale Beziehung kann kaum zu einem anderen Bewegungsmedium aufgebaut werden. Stimmung und Auswirkungen (Fragestellung 2) In einem weiteren Themenkomplex wurden die Nutzer nach ihrer Stimmung vor, während und nach der Heilpädagogischen Förderung mit dem Pferd gefragt. Abbildung 2 zeigt, dass sich die Mehrheit der Teilnehmer sowohl vor, bei und nach dem Reiten gut fühlt, hierbei kann man auch von einer insgesamt positiven Gestimmtheit der Nutzer sprechen. Weiterhin lässt sich aus den Diagrammen eine leichte Steigerung der Stimmung ablesen. Um diese Stimmungssteigerung genauer zu analysieren, Erwartungen / Zielvorstellungen geordnet nach Bereichen 96,8 emotionaler Bereich Motorik Wahrnehmung Sprache / Kommunikation Kognition Sozialverhalten 91,4 87,1 79,5 73,1 66,5 0 20 40 60 80 100 Abb. 1: Erwartungen / Zielvorstellungen erwachsener Menschen mit einer geistigen Behinderung in Bezug auf die Heilpädagogische Förderung mit dem Pferd (Angaben in Prozent) Hecht - „Weil mir das Reiten Spaß macht! “ mup 2|2009 | 77 Quelle; Hecht 2008, 47 Wie fühlst Du Dich vor dem Reiten gut normal schlecht 64,5 19,4 16,1 0 20 40 60 80 100 Wie fühlst Du Dich beim Reiten gut normal schlecht 80,6 19,4 0 0 20 40 60 80 100 Wie fühlst Du Dich nach dem Reiten gut normal schlecht 77,4 12,9 9,7 0 20 40 60 80 100 Erwartungen / Zielvorstellungen geordnet nach Bereichen 96,8 emotionaler Bereich Motorik Wahrnehmung Sprache / Kommunikation Kognition Sozialverhalten 91,4 87,1 79,5 73,1 66,5 0 20 40 60 80 100 muss man die Prozentangaben der Antwortalternative „gut“ vor (64,5 %), während (80,6 %) und nach (77,4 %) dem Reiten näher betrachten. Die Veränderung von vor und während dem Reiten ist beachtlich, wobei die Stimmung nach dem Reiten wieder leicht abfällt. Vergleicht man jedoch die Angaben vor und nach dem Reiten, dann lässt sich trotzdem eine Stimmungssteigerung von fast 13 % feststellen. Weiterhin ist es beachtlich, dass keiner der Nutzer angab sich während des Reitens „schlecht“ zu fühlen. Neben dieser Stimmungsbeurteilung wurden den Nutzern Entscheidungsfragen bezüglich der Auswirkungen des Reitens gestellt, in denen sie zwischen verschiedenen Gegensatzpaaren wählen konnten (z. B. angespannt / entspannt oder müde / wach). Bei den Entscheidungsfragen ist auffallend, dass bei jeder Teilfrage die positive Antwortalternative eindeutig überwiegt, ausgenommen ist das Gegensatzpaar Abb. 2: Stimmung erwachsener Menschen mit einer geistigen Behinderung vor, während und nach der Heilpädagogischen Förderung mit dem Pferd (Angaben in Prozent) 78 | mup 2|2009 Hecht - „Weil mir das Reiten Spaß macht! “ „ängstlich / mutig“, denn knapp die Hälfte der befragten Nutzer gaben an, dass sie sich beim Reiten ängstlich bzw. unsicher fühlen. Daraus lässt sich schlussfolgern, dass Strategien zur Angstbewältigung bzw. der Umgang mit und Abbau von Ängsten einen wichtigen Stellenwert in der Heilpädagogischen Förderung mit dem Pferd bei erwachsenen Menschen mit einer geistigen Behinderung einnehmen muss. Gesamtzufriedenheit und Veränderungswünsche (Fragestellung 3) Im Fragenkomplex zur Gesamtzufriedenheit gaben alle Nutzer an, dass sie mit dem Angebot, so wie es ist, zufrieden sind. Bezüglich der Evaluation des Angebots spricht dieses Ergebnis für eine sehr gute nutzerorientierte Arbeit des Zentrums für Therapeutisches Reiten. Um diese Gesamtzufriedenheit spezifizieren zu können, wurden die Nutzer weiterhin gebeten, zu benennen, was ihnen beim Reiten besonders bzw. was ihnen überhaupt nicht gefällt. Aus den Antworten wird deutlich, dass die schnellen Gangarten, Trab und Galopp, einen besonderen Reiz des Angebots für die Nutzer ausmachen. Weiterhin wurde deutlich, dass die Nutzer die Frage „Was magst du nicht? “ primär mit ungewohnten Situationen und Situationen mit Kontrollverlust assoziiert haben (z. B. „Wenn das Pferd unruhig ist.“ oder „Wenn das Pferd mir nicht gehorcht.“). Die vorliegenden Ergebnisse zu diesem Fragenkomplex zeigen, dass zwar zunächst eine generelle Zufriedenheit vorherrscht, aber dennoch Wünsche offen bleiben und somit Veränderungsbedarf besteht. Die Veränderungswünsche der Nutzer bezogen sich hauptsächlich auf die zeitliche Dauer der Maßnahme (z. B. „Dass ich lange auf dem Pferd sitzen darf.“, „Dass die Zeiten nicht mehr so festgelegt sind von der Tagesgruppe.“), auf mehr Selbstständigkeit (z. B. „Ich möchte mal mit Sattel reiten.“, „Mal andere Sachen mit dem Pferd machen.“, „Mehr dazu lernen.“, „Über so Holz springen.“) und auf die Bindung zu einem festen Therapiepferd (z. B. „Und ich möchte auch ein festes Pferd haben.“, „Ich möchte immer beim Tom [Pferd] bleiben.“). Hinsichtlich der Dauer der Maßnahme wünschten sich die Nutzer, dass die Zeiten nicht mehr so festgelegt sind und dass sie länger reiten können. Andere Nutzer wünschten sich, dass sie beim Reiten selbständiger werden, indem sie z. B. mit einem Sattel reiten wollen oder springen lernen wollen. Ebenfalls scheint der Wunsch nach einem festen Therapiepferd einen wichtigen Faktor für die Teilnehmer darzustellen. Ausblick Abschließend sollen einige Perspektiven für weitere Forschungsansätze aufgezeigt werden. Mit dem Abschluss der hier vorgestellten Untersuchung ist das Gebiet der Heilpädagogischen Förderung mit dem Pferd bei erwachsenen Menschen mit einer geistigen Behinderung keineswegs vollständig erschlossen. Da in dem zugrundeliegenden Themenbereich relativ wenige wissenschaftlich fundierte und abgesicherte Forschungsresultate vorliegen, soll durch die vorliegenden Ergebnisse insbesondere eine Basis für weiterführende Untersuchungen in diesem Gebiet gelegt werden. Durch die Akzentuierung der Nutzerperspektive wurde bewusst auf eine Fremdeinschätzung durch Pro- Hinsichtlich der Dauer der Maßnahme wünschten sich die Nutzer, dass die Zeiten nicht mehr so festgelegt sind und dass sie länger reiten können. Andere Nutzer wünschten sich, dass sie beim Reiten selbständiger werden, indem sie z. B. mit einem Sattel reiten wollen oder springen lernen wollen. Ebenfalls scheint der Wunsch nach einem festen Therapiepferd einen wichtigen Faktor für die Teilnehmer darzustellen. Hecht - „Weil mir das Reiten Spaß macht! “ mup 2|2009 | 79 fessionelle verzichtet. Jedoch hat sich gezeigt, dass die Nutzermeinungen bezüglich der Zielvorstellungen zum Teil mit der pädagogischen Konzeption übereingestimmt haben. In weiterführenden Studien könnte deshalb untersucht werden, ob insbesondere die Zielvorstellungen der Nutzer mit den Zielvorstellungen der Reitpädagogen übereinstimmen bzw. inwieweit sich diese unterscheiden. Bedingt durch die Verwendung eines sprachgebundenen Fragebogens wurden für diese Untersuchung nichtsprechende Personen ausgeklammert. Um diesen Personenkreis jedoch nicht zu vernachlässigen, ist es wichtig und erforderlich, auch erwachsenen Menschen mit einer geistigen Behinderung, die nicht sprechen können, in Forschungsprozesse einzubinden (z. B. mithilfe besonderer Kommunikationsmedien). Deshalb sind besonders im Hinblick auf diese Zielgruppe weiterführende Studien nötig. Außerdem hat sich im Verlauf der Untersuchung herausgestellt, dass der Umgang mit und der Abbau von Ängsten in der Heilpädagogischen Förderung mit dem Pferd bei erwachsenen Menschen mit einer geistigen Behinderung von großer Bedeutung ist. An diese Erkenntnis anknüpfend könnte sich in weiteren Projekten damit auseinandergesetzt werden, wie spezielle Strategien und Konzepte zur Angstbewältigung von erwachsenen Menschen mit einer geistigen Behinderung in der praktischen Arbeit mit dem Pferd umgesetzt werden können. Literatur Deppisch, J. (1997): Hippopädagogik - eine neue Anwendungsdisziplin der Motopädagogik. Motorik 19, 39-49 Eltze, K. (1998): Reiten als Sport für den geistig behinderten Menschen. In DKThR (Hrsg.): Reiten als Sport für Behinderte. Sonderheft 1998, o. V., 34-40 Gromann, P. (2002): Funktion und Möglichkeiten des Befragens von Nutzerinnen und Nutzern. In: H. Greving (Hrsg.): Hilfeplanung und Controlling in der Heilpädagogik, Lambertus, Freiburg, 155-170 Hagen, J. (2007): Und es geht doch! Menschen mit einer geistigen Behinderung als Untersuchungspersonen in qualitativen Forschungszusammenhängen. Vierteljahresschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete 76, 22-34 Hecht, S. (2008): Heilpädagogische Förderung mit dem Pferd bei erwachsenen Menschen mit einer geistigen Behinderung. Eine Nutzerbefragung zur Evaluation des Angebots im Zentrum für Therapeutisches Reiten der Werkstätten der AWO Dortmund GmbH. Unveröff. Bachelorarbeit. Technische Universität Dortmund. Fakultät Rehabilitationswissenschaften. Lehrgebiet Bewegungserziehung und Bewegungstherapie in Rehabilitation und Pädagogik bei Behinderung Kapustin, P. (1986): Sport mit geistig behinderten Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen. In: Bundesvereinigung Lebenshilfe für Geistig Behinderte e. V. (Hrsg.): Sport geistig Behinderter. Ergänzbares Handbuch zu Bewegung, Spiel und Sport, A4 / 1-12. Lebenshilfe-Verlag, Marburg Klüwer, B. (2001): Der therapeutische Einsatz des Pferdes unter psychomotorischen Gesichtspunkten. In: W. Kuprian (Hrsg): Therapeutisches Reiten 2001. Ausgewählte Beiträge zum Werner Kuprian-Preis des Deutschen Kuratoriums für Therapeutisches Reiten e. V., Justus von Liebig, Darmstadt, 69-91 Marreck, C. (1982): Reiten für geistig Behinderte - mit dem praktischen Teil „Reittherapie bei einem mongoloiden Kind“. Rehabilitations-Verlag, Bonn Susanne Hecht Rehabilitationspädagogin (B.A.); derzeit Studium der Motologie (M.A.) in Marburg Anschrift: Susanne Hecht · Am Gutshof 7 · 06780 Zörbig OT Salzfurtkapelle · E-Mail: susi.hecht@freenet.de Die Autorin
