mensch & pferd international
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1867-6456
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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Recht: Aktualisierung der "Leitlinien zur Beurteilung von Pferdehaltungen unter Tierschutzgesichtspunkten"
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Willa Bohnet
Rechtliche Vorgaben zur Pferdehaltung Der Schutz aller Tiere - auch der Pferde - wird in Deutschland durch das Tierschutzgesetz (TierSchG) geregelt. Nach § 1 TierSchG ist es Zweck des Gesetzes, aus der Verantwortung des Menschen für das Tier / Pferd als Mitgeschöpf dessen Leben und Wohlbefinden zu schützen. Daher darf auch niemand einem Pferd ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen.
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26 | mup 1|2010|26 - 33|© Ernst Reinhardt Verlag München Basel Rechtliche Vorgaben zur Pferdehaltung Der Schutz aller Tiere - auch der Pferde - wird in Deutschland durch das Tierschutzgesetz (Tier- SchG) geregelt. Nach § 1 TierSchG ist es Zweck des Gesetzes, aus der Verantwortung des Menschen für das Tier / Pferd als Mitgeschöpf dessen Leben und Wohlbefinden zu schützen. Daher darf auch niemand einem Pferd ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen. Obwohl Pferde vor mehr als 5000 Jahren domestiziert wurden, sind ihre artspezifischen Verhaltensweisen und die daraus resultierenden Bedürfnisse, die sie im Laufe ihrer Evolution entwickelt haben, weitgehend unverändert geblieben. Dieser Aspekt wird auch in § 2 TierSchG berücksichtigt, wonach ein Pferd seiner Art und seinen Bedürfnissen entsprechend angemessen ernährt, gepflegt und verhaltensgerecht untergebracht werden muss. Auch darf die Möglichkeit eines Pferdes zu artgemäßer Bewegung nicht so eingeschränkt werden, dass ihm Schmerzen oder vermeidbare Leiden oder Schäden zugefügt werden. Der Pferdehalter/ Pferdebetreuer muss deshalb über die für eine angemessene Ernährung, Pflege und verhaltensgerechte Unterbringung von Pferden erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten verfügen und darf sich nach § 3 TierSchG seinen Betreuer- und Halterpflichten nicht entziehen. Da eine Haltungsverordnung für Pferde in Deutschland nicht existiert, wurden im Jahr 1995 durch das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) die „Leitlinien zur Beurteilung von Pferdehaltungen unter Tierschutzgesichtspunkten“ herausgegeben. Allerdings haben besonders in den letzten zehn Jahren neue Haltungsformen von Pferden, wie zum Beispiel die Haltung in Boxen mit angeschlossenem Paddock, die ganzjährige Weidehaltung oder auch die Offenstallhaltung zugenommen, und es wurden viele neue wissenschaftliche Erkenntnisse zur Pferdehaltung gewonnen. Daher veröffentlichte der Arbeitskreis 11 (Pferde) der Tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz e. V. (TVT) bereits im Jahr 2005 sein „Positionspapier zu den Leitlinien zur Beurteilung von Pferdehaltungen unter Tierschutzgesichtspunkten“ (Tierärztliche Vereinigung für Tierschutz e. V. 2005). In diesem Positionspapier wurden die neuen Erkenntnisse zur Pferdehaltung berücksichtigt und Vorschläge zur Überarbeitung der BMELV-Leitlinien formuliert. Mittlerweile sind die alten Leitlinien unter Mitwirkung der TVT durch eine Sachverständigengruppe des BMELV überarbeitet worden. Leitlinien sind zwar keine verbindliche Rechtsnorm, werden aber als Orientierungs- und Auslegungshilfe von Gerichten bei der Anwendung des Tierschutzgesetzes in Tierschutzfragen herangezogen. Die im Folgenden angegebenen Funktions- und Richtmaße sowie alle weiteren Empfehlungen zur Recht Aktualisierung der „Leitlinien zur Beurteilung von Pferdehaltungen unter Tierschutzgesichtspunkten“ (Deutsches Recht) Willa Bohnet Recht: Bohnet - Beurteilung von Pferdehaltungen unter Tierschutzgesichtspunkten mup 1|2010 | 27 Pferdehaltung basieren auf der aktualisierten Version der „Leitlinien zur Beurteilung von Pferdehaltungen unter Tierschutzgesichtspunkten“ des BMELV vom 9. Juni 2009. Haltung von Pferden unter ethologischen und tierschutzrechtlichen Aspekten Betreuung und Management Einleitend wurde bereits auf die Bedeutung der notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten des Pferdehalters nach dem Tierschutzgesetz hingewiesen. Leitlinien können nur die theoretischen Rahmenbedingungen vorgeben. Weitere Kenntnisse und die erforderlichen Fähigkeiten sollten durch die Teilnahme an geeigneten Kursen und Schulungsmaßnahmen, wie sie zum Beispiel von der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN), der Vereinigung der Freizeitreiter und -fahrer in Deutschland (VFD), den Zuchtverbänden oder den Landwirtschaftskammern angeboten, erworben und regelmäßig aufgefrischt werden. Damit eine angemessene Betreuung der Pferde bestehen kann, müssen Pferdehalter nicht nur über die hierzu notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten verfügen, sondern auch mit ihren Tieren vertraut sein und dafür Sorge tragen, dass auch die Pferde ausreichend vertraut im Umgang mit Menschen sind. Die gehaltenen Pferde und das Haltungsumfeld (Funktionsfähigkeit der Tränken, Einzäunung, u. a.) müssen mindestens einmal täglich überprüft werden. Ställe, Stalleinrichtungen und Einfriedungen für Auslauf und Weiden sowie andere Gegenstände, mit denen Pferde in Berührung kommen, müssen aus gesundheitsunschädlichem Material bestehen und so beschaffen sein, dass sie bei Pferden nicht zu Schmerzen oder vermeidbaren Leiden oder Schäden führen. Das arteigene Komfortverhalten der Pferde sollte durch die Haltungsbedingungen so wenig wie möglich eingeschränkt werden. Die Pflege durch den Menschen muss ggf. haltungsbedingte Einschränkungen des arteigenen Pflegeverhaltens ausgleichen. Pflegemaßnahmen fördern das Vertrauen der Pferde zum Menschen und sind eine Möglichkeit für soziale Kontakte. Fohlen und Jungpferde sollten in diesem Zusammenhang an den Umgang mit Menschen, das Anbinden, Führen und Hochheben der Hufe und Hufpflegemaßnahmen gewöhnt werden. Um die physiologische Funktion des Haarkleides nicht unnötig zu beeinträchtigen, sollen das Eindecken zur Verhinderung des Fellwachstums sowie das Scheren des Fells nur so weit erfolgen, wie es für die Nutzung unbedingt erforderlich ist. Das Entfernen der Tasthaare (Sinnesorgane! ), der Haare in den Ohrmuscheln oder des Kötenbehangs (besondere Schutzfunktion! ) ist tierschutzwidrig. Hufe sind regelmäßig auf ihren Pflegezustand zu prüfen und so zu pflegen, dass die Gesunderhaltung gewährleistet ist. Wenn der Zustand der Hufe oder die Nutzung der Pferde es erfordern, ist für fachgerechten und geeigneten Hufschutz zu sorgen. Das Korrekturbzw. Beschlagintervall beträgt in der Regel sechs bis acht Wochen. Bei Erkrankung oder Verletzung eines Pferdes ist rechtzeitig ein Tierarzt hinzuzuziehen. Bei alten Pferden ist häufig ein erhöhter Pflege- und Therapieaufwand erforderlich (z. B. altersgerechte Fütterung). Zu einem guten Haltungsmanagement gehört auch eine einmal jährlich durchzuführende Kontrolle der Zähne (bei alten Pferden zweimal jährlich). Darüber hinaus müssen Pferde zur Gesunderhaltung regelmäßig entwurmt werden. Um eine gezielte, planmäßige Behandlung sicherzustellen, dürfen Wurmkuren nur in Absprache mit einem Tierarzt durchgeführt werden. Gegen Infektionskrankheiten gilt es ebenfalls Vorsorgemaßnahmen zu ergreifen (v. a. die aktive Immunisierung gegen beim Pferd häufig auftretende Krankheitserreger). Wegen der besonderen Empfänglichkeit des Pferdes für Wundstarrkrampf ist die Impfung gegen Tetanus aus Tierschutzsicht geboten. Willa Bohnet 28 | mup 1|2010 Recht: Bohnet - Beurteilung von Pferdehaltungen unter Tierschutzgesichtspunkten Haltungsformen Als Haltungsformen werden die Einzel- und die Gruppenhaltung unterschieden, die jeweils unterschiedlich konzipiert sein können. Tabelle 1, die sich an die Gliederung der Haltungsverfahren durch den „Nationalen Bewertungsrahmen Tierhaltungsverfahren“ anlehnt, gibt einen Überblick. Einzelhaltung in Anbindehaltung Die dauerhafte Anbindehaltung (Ständerhaltung) von Pferden ist tierschutzwidrig. Einzelhaltung in Boxen Unerlässlich sind soziale Kontaktmöglichkeiten zu Artgenossen und eine Beschäftigung durch Beobachtung des Haltungsumfeldes. Dies ist durch entsprechende bauliche Einrichtungen wie z. B. permanent zugängliche Kleinausläufe, Außenklappen oder zumindest hälftig zu öffnende Boxentüren zu gewährleisten. Jede Einzelhaltung muss so gestaltet sein, dass die Pferde mindestens Sicht-, Hör- und Geruchskontakt zu ihren Artgenossen haben. Hochgeschlossene Trennwände sollten nur in Ausnahmefällen (z. B. Klinik-, Quarantäneställe sowie Abfohlboxen) installiert werden und dann nur unter der Voraussetzung, dass die Pferde mindestens einen Artgenossen über die Frontseite sehen, riechen und hören können. Zu beachten ist bei der Aufstallung in Einzelboxen, dass miteinander unverträgliche Pferde nicht nebeneinander aufgestallt werden. Tab. 1: Haltungsverfahren für Pferde (Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz 2009, 16) Bezeichnung Erläuterung Einzelhaltung 1 Ständerhaltung Anbindehaltung Innenbox Einzelbox in einem Stallgebäude ohne für das Pferd nutzbare Öffnung nach draußen Außenbox Einzelbox in einem Stallgebäude mit einer Öffnung, durch welche das Pferd Kopf und Hals nach draußen richten kann Außenbox mit Kleinauslauf Einzelbox in einem Stallgebäude mit ständig zugänglichem, direkt angrenzenden Kleinauslauf Mehrraum-Außenbox mit Kleinauslauf Einzelbox in einem Stallgebäude mit über den Kleinauslauf zugänglichem, separatem Fressbereich Gruppenhaltung Einraum-Innenlaufstall Gruppenlaufstall im Stallgebäude ohne für die Pferde nutzbare Öffnung nach draußen Mehrraum-Innenlaufstall Gruppenlaufstall im Stallgebäude ohne für die Pferde nutzbare Öffnung nach draußen, mit Unterteilung in Funktionsbereiche (Fress-, Trink-, Ruhe- und evtl. separater Laufbereich) Einraum-Außenlaufstall Gruppenlaufstall im Stallgebäude mit Öffnung(en), durch welche die Pferde Kopf und Hals nach draußen richten können Mehrraum-Außenlaufstall Gruppenlaufstall im Stallgebäude mit Öffnung(en), durch welche die Pferde Kopf und Hals nach draußen richten können, und mit Unterteilung der Stallfläche in Funktionsbereiche (Fress-, Trink-, Ruhe- und evtl. separater Laufbereich) Einraum-Außenlaufstall mit Auslauf (Offenlaufstall) Gruppenlaufstall in einem Stallgebäude mit ständig zugänglichem, direkt angrenzendem Auslauf Mehrraum-Außenlaufstall mit Auslauf (Offenlaufstall) Gruppenlaufstall im Stallgebäude mit für die Pferde ständig zugänglichem, direkt angrenzendem Auslauf und mit Unterteilung der Fläche in Funktionsbereiche (Fress-, Trink-, Ruhe-, Laufbereich). Der Fress- und Ruhebereich sind i. d. R. über den Auslauf getrennt. Weidehaltung mit Witterungsschutz saisonal oder ganzjährig 1 Der Begriff „Einzelhaltung“ besagt nicht, dass an dem jeweiligen Standort nur ein einzelnes Pferd gehalten wird. Recht: Bohnet - Beurteilung von Pferdehaltungen unter Tierschutzgesichtspunkten mup 1|2010 | 29 Minimale Boxenfläche für ein einzeln gehaltenes Pferd: (2 x Wh) 2 Minimale Boxenfläche für eine Stute mit Fohlen: (2,3 x Wh) 2 (Wh = Widerristhöhe des Pferdes) Weitere Richt- und Funktionsmaße zu Boxenabtrennung, -gestaltung, Stallgassenbreite und Türbreiten werden in den Leitlinien genannt. Gruppenhaltung Grundsätzlich sind alle Pferde, unabhängig von Alter, Rasse, Geschlecht und Nutzungsart für die Gruppenhaltung geeignet. Wo immer möglich, sollten Pferde in Gruppen gehalten werden. Dies erfordert eine hohe Qualifikation der für die Pferdehaltung verantwortlichen Person (Kenntnisse und Beurteilungsvermögen des Verhaltens von Pferden), ein fachgerechtes Management sowie eine ordnungsgemäße Gestaltung des Haltungsbereichs. Auch bei der Gruppenhaltung von Pferden bestehen gegenüber den natürlichen Bedingungen Einschränkungen (begrenztes Raumangebot, eingeschränkte Ausweichmöglichkeiten). Deshalb liegt bei dieser Haltungsform eine besondere Herausforderung darin, dass alle Pferde einer Gruppe ihre Grundbedürfnisse befriedigen können. Folgende Voraussetzungen müssen bei der Gruppenhaltung erfüllt werden: Schrittweise Eingliederung neuer Pferde in ■ eine bestehende Gruppe Möglichkeit der Separierung einzelner Tiere ■ oder von Untergruppen Aufmerksame Beobachtung von Rangverän- ■ derungen in der Gruppe sowie des Befindens der Tiere, um ggf. rechtzeitig die erforderlichen Maßnahmen zu treffen Herausnahme von auf Dauer nicht integrier- ■ baren Pferden aus der Gruppe Einhaltung der Richt- und Funktionsmaße (s. u.) ■ Keine Sackgassen und spitze Winkel im ge- ■ samten Aufenthaltsbereich der Pferde. Im Gegensatz zum Einraumlaufstall wird im Mehrraumlaufstall eine Gliederung des Stalls in unterschiedliche Funktionsbereiche (z. B. Fress-, Lauf- und Liegebereich) vorgenommen. Dadurch werden Bewegungsanreize vermittelt und das Risiko von Auseinandersetzungen sowie die Benachteiligung rangniederer Tiere reduziert. Die einzelnen Funktionsbereiche sollten strukturiert sein (z. B. Fressbereich in einiger Distanz von der Liegefläche, Rundläufe um Bäume im Auslauf). Die Haltung in einem unstrukturierten, geschlossenen Einraum-Innenlaufstall oder Einraum-Außenlaufstall ist nur für Betriebe mit wenig Pferdewechsel und nur für gut aneinander gewöhnte Pferde geeignet. Bewegung Unter natürlichen Bedingungen bewegen sich Pferde im Sozialverband bis zu 16 Stunden täglich. Dabei handelt es sich normalerweise um langsame Bewegung (Schritt), verbunden mit Futteraufnahme. Pferde haben somit einen Bedarf an täglich mehrstündiger Bewegung. Mangelnde Bewegung kann Verhaltensstörungen und gesundheitliche Schäden verursachen (Bewegungsapparat, Atemwege, gesamter Stoffwechsel). In allen Pferdehaltungen ist daher täglich für ausreichende, den physiologischen Anforderungen entsprechende Bewegung der Pferde zu sorgen. Kontrollierte Bewegung (Arbeit, Training) beinhaltet nicht die gleichen Bewegungsabläufe wie die freie Bewegung, bei der die Fortbewegung im entspannten Schritt überwiegt, aber auch überschüssige Energie und Verspannungen abgebaut werden können. Daher kann kontrollierte Bewegung die freie Bewegung nicht vollständig ersetzen. Somit muss allen Pferden sooft wie möglich Weidegang und / oder Auslauf angeboten werden. Eine diesbezüglich ausreichende Flächenausstattung ist insbesondere für Neueinrichtungen unbedingt erforderlich. 30 | mup 1|2010 Recht: Bohnet - Beurteilung von Pferdehaltungen unter Tierschutzgesichtspunkten Ställe, die einen dauerhaft zugänglichen Auslauf aufweisen, werden in den Leitlinien als „Offenlaufstall“ bezeichnet. Diese Ställe haben durch den Auslauf immer ein Mindestmaß an räumlicher Gliederung. Vorteile dieser Haltungsverfahren sind gute Bewegungsmöglichkeiten mit entsprechenden Anreizen, Möglichkeit von Sozialkontakten, aber auch frische Luft und Klimareize. Auslauffläche : bis 2 Pferde mindestens 150 m 2 ; bei mehr als 2 Pferden für jedes Pferd zusätzlich 40 m 2 Kleinauslauffläche für ein einzeln gehaltenes Pferd: mindestens (2 x Wh) 2 Unter natürlichen Bedingungen meiden Pferde arttypischerweise tiefgründigen Morast und versuchen, diesen zu umgehen. Ein vorübergehendes Stehen im Morast hat keine negativen gesundheitlichen Folgen. Gesundheitliche Nachteile wie Strahlfäule und Mauke entstehen, wenn die Tiere andauernd und über einen längeren Zeitraum ausschließlich auf einem mit Exkrementen vermischten morastigen Boden gehalten werden. Aus diesem Grund müssen alle Pferde, die ganzjährig oder über einen längeren Zeitraum ganztägig im Auslauf gehalten werden, unabhängig vom Rang gleichzeitig auf Flächen stehen können, die nicht morastig aufgeweicht sind. Darüber hinaus müssen innerhalb des Auslaufs die Hauptverkehrswege zu den Versorgungs- und Unterstellplätzen morastfrei sein. Je häufiger Pferde auf Naturboden oder ähnlichen Oberflächen Auslauf bekommen, desto besser lernen sie es, ihre Bewegungen den Bodengegebenheiten anzupassen. Das Risiko von Verletzungen des Bewegungsapparates durch schwierige Bodenverhältnisse (z. B. auf gefrorenem, unebenem Untergrund) ist daher bei ungeübten Pferden erhöht. Im Stallbereich muss der Bodenbelag im Aufenthaltsbereich der Pferde trittsicher und rutschfest sein sowie den hygienischen Anforderungen genügen. Dazu gehören auch die Stallgasse, Wasch-, Putz-, Beschlag- und Behandlungsplätze sowie die Wege zwischen den einzelnen Bereichen (Stall, Reithalle, Weide etc.). Futter- und Wasseraufnahme Das angeborene Verhalten und der Verdauungsapparat des Pferdes sind auf eine kontinuierliche Nahrungsaufnahme eingestellt. Bei der Haltung durch den Menschen dient die Futteraufnahme neben der Ernährung auch der Beschäftigung. Den Pferden muss genügend Zeit und Ruhe zum Fressen zur Verfügung stehen. Bei Missachtung dieser Gegebenheiten können gesundheitliche Probleme (z. B. Magengeschwüre, Koliken) sowie Verhaltensstörungen auftreten. Der natürlichen Fresshaltung des Pferdes entspricht die bodennahe Fütterung, daher sollten Futterkrippen die natürliche Fresshaltung weitgehend ermöglichen. Empfohlene Höhe der Fressebene: maximal 0,4x Wh Richt- und Funktionsmaße für Fressstände, Raufen und Durchfressgitter werden in den Leitlinien im Einzelnen aufgeführt. Zur artgemäßen Ernährung des Pferdes ist ausreichend strukturiertes Futter unerlässlich. Falls kein Dauerangebot an rohfaserreichem Futter (ggf. auch Langstroh als Einstreu) erfolgt, ist es mindestens während insgesamt zwölf Stunden täglich anzubieten (Fresspausen möglichst nicht länger als vier Stunden). Gegebenenfalls sind geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um eine überhöhte Nährstoffaufnahme zu vermeiden (z. B. engmaschige Heunetze, Sparraufen oder zeitgesteuerte Raufen). Grundsätzlich muss jedem Pferd, auch in der Gruppe, ein Fressplatz zur Verfügung stehen. Sollte dies nicht der Fall sein (z. B. computergesteuerte Fütterung), muss durch geeignete Maßnahmen sichergestellt werden, dass eine gleichzeitige Aufnahme, zumindest von Raufutter, für alle Pferde möglich ist. Bei größeren Kraftfuttergaben sind diese auf mehrere, mindestens auf drei Rationen pro Tag zu Recht: Bohnet - Beurteilung von Pferdehaltungen unter Tierschutzgesichtspunkten mup 1|2010 | 31 verteilen. Automatische Fütterungseinrichtungen müssen so gestaltet sein, dass das jeweils fressende Tier nicht von anderen Pferden gestört werden kann, damit es die ihm zustehende Futtermenge in Ruhe aufnehmen kann. Überfütterung ist genauso zu vermeiden wie Mangelernährung. Außenfutterplätze müssen so beschaffen sein und betrieben werden, dass das Futter vor Verderb und Verschmutzung geschützt ist. Besonders bei Stroheinstreu muss auf gute Qualität geachtet werden, da Stroh von den Pferden als Raufutter aufgenommen wird. Wasser muss Pferden grundsätzlich - unabhängig von der Haltungsform - ständig zur Verfügung stehen. Falls dies in Ausnahmefällen nicht möglich ist, muss Wasser mehrmals am Tag, aber mindestens dreimal täglich bis zur Sättigung verabreicht werden. Dies gilt auch für die kalte Jahreszeit. Schnee ist kein Ersatz für eine ausreichende Tränke. Tränkevorrichtungen müssen sauber sein und täglich auf Verschmutzung überprüft werden. Selbsttränken erfordern darüber hinaus zusätzlich eine tägliche Kontrolle der Funktionsfähigkeit. Tränken sollten eine natürliche Trinkhaltung ermöglichen. Empfohlene Höhe des Wasserspiegels: maximal 0,4 x Wh Anzahl der Selbsttränken in Gruppenhaltung: 1 Tränke für bis zu 15 Pferde Ruheverhalten Arttypisch für das Pferd ist das Ruhen im Stehen, in der Bauch- und in der Seitenlage, wobei mehrere Ruhephasen über den 24-Stunden-Tag verteilt werden. Um in die durch schnelle Augenbewegungen gekennzeichnete REM(rapid-eye-movement)-Schlafphase zu gelangen, müssen sich Pferde ablegen. Der Ruheplatz muss dem Sicherheits- und Komfortbedürfnis genügen, ansonsten legen sich Pferde nicht in die Bauch- und Seitenlage. Zum Liegen bevorzugen Pferde trockenen und verformbaren Untergrund. Auf morastigem Boden legen sie sich nicht bzw. nur ungern ab. Den Pferden muss arttypisches Ruhen möglich sein. Es ist deshalb sicherzustellen, dass eine ausreichend groß bemessene, trockene und verformbare Liegefläche zur Verfügung steht, damit alle Pferde gleichzeitig in Seitenlage liegen können. In Gruppenhaltungen ist sicherzustellen, dass auch rangniedere Tiere ausreichend Ruhen und Liegen können. Liegefläche im geschlossenen Laufstall / im Offenlaufstall ohne Trennung von Liege- und Fressbereich: mindestens (2 x Wh) 2 / Pferd Liegefläche im Offenlaufstall mit Trennung von Liege- und Fressbereich: mindestens (2,5 x Wh) 2 / Pferd In Ställen sollten alle Liegeflächen eingestreut sein. (Der alleinige Einsatz von Liegematten aus Kunststoff genügt bei Einzelhaltung den Anforderungen nicht. Für die Gruppenhaltung ist der Einsatz von Liegematten noch nicht hinreichend untersucht.) Je intensiver der eingestreute Bereich von den Pferden benutzt wird, desto häufiger müssen die anfallenden Exkremente und nasse Einstreubereiche entfernt und durch trockene Einstreu ergänzt werden, in der Regel einmal täglich. Die Haltung auf Spaltenböden ist nicht pferdegerecht. Sozialverhalten Pferde sind in Gruppen lebende Tiere, für die soziale Kontakte zu Artgenossen unerlässlich sind. Fehlen diese Kontakte, können im Umgang mit den Pferden Probleme entstehen und Verhaltensstörungen auftreten. Das Halten eines einzelnen Pferdes ohne Artgenossen widerspricht dem natürlichen Sozialverhalten der Pferde. Abweichungen hiervon sind nur in Ausnahmefällen fachlich begründbar. Diese können gegeben sein bei Pferden, die sich eindeutig als unverträglich im Sinne einer Verhaltensstörung erwiesen haben, oder wenn Gefahr für die Gesundheit der betroffenen oder anderer Pferde besteht. Auch Übergangslösungen, z. B. durch die Abgabe eines Tieres, können temporäre Ausnahmen begründen. 32 | mup 1|2010 Recht: Bohnet - Beurteilung von Pferdehaltungen unter Tierschutzgesichtspunkten Die Kontaktmöglichkeiten zwischen den Pferden dürfen durch die Haltungsform und ihre konkrete Ausgestaltung nur so wenig wie möglich behindert werden. In jedem Fall ist mindestens Sicht-, Hör- und Geruchskontakt zwischen den Tieren sicherzustellen. Da Pferde ein ausgeprägtes Erkundungs- und Neugierverhalten haben, sollten sie auch am anderweitigen Geschehen im Haltungsumfeld teilhaben können. Sowohl bei Einzelhaltung als auch bei Gruppenhaltung ist auf das soziale Gefüge und die Verträglichkeit der Pferde untereinander Rücksicht zu nehmen. Dies gilt auch für rasse-, alters- und geschlechtsspezifische Unterschiede. Fohlen und Jungpferde dürfen aus Gründen ihrer sozialen Entwicklung nicht einzeln gehalten werden und müssen in Gruppen aufwachsen. Wo immer möglich, sollte die Aufzucht in Gruppen mit Gleichaltrigen erfolgen. Aus Erziehungsgründen ist es von Vorteil, in Jungpferdegruppen auch ältere Tiere zu halten. Witterungsschutz Arttypischerweise suchen Pferde bei ungünstigen Witterungsbedingungen (z. B. anhaltender Niederschlag, niedrige Temperaturen, verbunden mit starkem Wind, oder intensive Sonneneinstrahlung bei hohen Temperaturen) oder hohem Aufkommen von Stechinsekten oder anderen Lästlingen einen Witterungsschutz auf. Ein Witterungsschutz muss unabhängig vom rassespezifischen Typ vorhanden sein, wenn Pferde ganzjährig oder über einen längeren Zeitraum ganztägig auf der Weide gehalten werden. Auch in anderen Fällen muss geprüft werden, ob ein geeigneter Witterungsschutz erforderlich ist. Der Witterungsschutz erfüllt nur dann seine Funktion, wenn er alle Tiere gleichzeitig vor ungünstigen Witterungseinflüssen schützen kann. Sowohl ein natürlicher als auch ein künstlicher Witterungsschutz kann diese Anforderung erfüllen. Empfohlene Fläche des Witterungsschutzes: mindestens (2,5 x Wh) 2 / Pferd Bei größeren Pferdegruppen sind mehrere kleine Unterstände einem großen Unterstand vorzuziehen. Die Zugänglichkeit muss auch rangniedrigen Tieren möglich sein. Einzäunung Die Einzäunung muss so beschaffen sein, dass größtmögliche Sicherheit für Tier und Mensch gewährleistet ist. Die Einzäunung muss gut sichtbar, stabil und möglichst ausbruchsicher sein. Defekte oder unzureichende Einzäunungen, freiliegende Spiralen bei Torgriffen und Torfedern sowie die Verwendung von Stacheldraht und anderen Metalldrähten, ausgenommen gut sichtbare Elektrodrähte, sind tierschutzrelevant. Als alleinige Einzäunung ist Stacheldraht oder Knotengitter bei Pferden tierschutzwidrig. Bei der Zaunausführung sind spezielle Kriterien zu beachten, wie beispielsweise Rasse und Geschlecht der Pferde, Beweidungsform (ganzjährig, zeitweise), Bestandsdichte und Futterangebot, Art, Lage und Größe der Weide (Verkehrsnähe, Risikobereiche) bzw. des Auslaufs sowie Zaunmaterial. Spitze Winkel und andere Engpässe sind bei der Einzäunung zu vermeiden. Elektroabgrenzungen in Boxen und Kleinausläufen (≤ (2 x Wh) 2 / Pferd) sind tierschutzwidrig. Stallklima und Lichtverhältnisse Als ehemaliges Steppentier hat das Pferd einen hohen Licht- und Frischluftbedarf. Seine großen, leistungsstarken Lungen sind auf eine ausgiebige Frischluftversorgung angewiesen, um gesund und funktionsfähig zu bleiben. Unabhängig von der Rasse verfügen Pferde über hervorragende Fähigkeiten zur Thermoregulation. Bei entsprechender Gewöhnung vertragen Pferde ohne Probleme Hitze und Kälte sowie größere Temperaturschwankungen. Pferdeställe sollen deshalb so gebaut, betrieben und belüftet werden, dass eine der Außenluft entsprechende Qualität angestrebt wird. Das bedeutet, dass im Stall eine ausreichende Frischluftversorgung und angemessene Luftzirkulation sicherzustellen ist und Staubsowie Keimgehalt, relative Luftfeuchtigkeit und Schadgaskonzentrationen in einem Bereich gehalten werden, der für die Pferdegesundheit unbedenklich ist. Dies wird durch eine geeignete Lüftung, Pflege der Einstreu sowie Vorlage von staub- und keimarmen Einstreu- und Futtermitteln erreicht. Staubintensive Arbeitsprozesse sollten in Anwesenheit der Pferde vermieden werden. Die Angaben in Tabelle 2 beziehen sich vorwiegend auf geschlossene Stallgebäude, aber auch auf andere Ställe können die Anforderungen sinngemäß übertragen werden. Bei Recht: Bohnet - Beurteilung von Pferdehaltungen unter Tierschutzgesichtspunkten mup 1|2010 | 33 korrekt angelegten Außenklimaställen ist eine ausreichende Frischluftzufuhr in der Regel gewährleistet. Die Stalltemperatur soll der Außentemperatur im Tages- und Jahresrhythmus unter Vermeidung von Extremwerten folgen. Die Beibehaltung einer konstanten Stalltemperatur ist von Nachteil, da die Thermoregulation nicht trainiert wird. Pferde, die in Offenstall- oder Freilandhaltung wechseln, sowie Pferde, die an hiesige Klimaverhältnisse nicht angepasst sind, müssen ihre Thermoregulation, bevor sie diesen Klimaverhältnissen ständig ausgesetzt sind, in ausreichendem Maße trainieren können. Das natürliche Spektrum des Sonnenlichtes hat starken Einfluss auf das Tierverhalten sowie auf den gesamten Stoffwechsel, wodurch Widerstandskraft, Leistungsfähigkeit und Fruchtbarkeit positiv beeinflusst werden. Deshalb sollen sich Pferde täglich im natürlichen Licht aufhalten können (Auslauf, Außenklappen etc.). In geschlossenen Ställen soll die Beleuchtungsstärke im Bereich der Pferde mindestens 80 Lux über mindestens acht Stunden / Tag betragen. Handelsübliche Lichtquellen können das natürliche Spektrum des Sonnenlichts nicht ersetzen. In den originalen Leitlinien des BMELV wird ausführlich auf Bauausführungen und Maße von Fressständen, Raufen, Durchfressgittern, Futterkrippen und -trögen, Tränken, Türbreiten und -höhen, Stallgassenbreiten sowie Abmessungen für Ausläufe eingegangen. Außerdem werden auch Beispiele in Abhängigkeit der Pferdegröße anhand der Widerristhöhe angegeben. Die Leitlinien können unentgeltlich beim Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (Postfach, Referat Tierschutz, 53107 Bonn) oder über die Homepage des BMELV (www.bmelv.de, dann unter Suche: „Leitlinien Pferdehaltungen“ eingeben) bezogen werden. Das „Positionspapier Pferdehaltung“ der Tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz e. V. (TVT), das nähere Erklärungen zur notwendigen Novellierung der Leitlinien von 1995 enthält, kann unter www.tierschutz-tvt.de (dann unter Suche: „Positionspapier Pferdehaltung“) heruntergeladen werden. Literatur Bundesministerium für Ernährung, Landwirt- ■ schaft und Forsten (Hrsg.) (2009): Leitlinien zur Beurteilung von Pferdehaltungen unter Tierschutzgesichtspunkten. In: www.bmelv. de / cln_137 / SharedDocs / Standardartikel / Landwirtschaft/ Tier / Tierschutz / TierschutzPferdehaltungsleitlinien.html, 03.12.2009 Tierärztliche Vereinigung für Tierschutz e. V. ■ Arbeitskreis 11 - Pferde (Hrsg.) (2005): Positionspapier zu den „Leitlinien zur Beurteilung von Pferdehaltungen unter Tierschutzgesichtspunkten“. In: www.tierschutz-tvt.de / fileadmin / tvtdownloads / positionspapierpferdehaltung.pdf, 03.12.2009 Tab. 2: Richtwerte für das Pferdestallklima (Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz 2009, 15) Merkmal Richtwert Lufttemperatur Stalltemperatur soll Außentemperatur gemäßigt folgen Relative Luftfeuchtigkeit 60-80 % Luftgeschwindigkeit im Tierbereich ≥ 0,2 m / s Kohlendioxidgehalt der Luft < 1.000 ppm Ammoniakgehalt der Luft < 10 ppm Schwefelwasserstoffgehalt der Luft 0 ppm Dr. Willa Bohnet Institut für Tierschutz und Verhalten (Heim-, Labortiere und Pferde) Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover · Bünteweg 2 30559 Hannover · E-Mail: bohnet@tierschutzzentrum.de Kontakt
