eJournals mensch & pferd international 2/3

mensch & pferd international
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Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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Gelassenheitsprüfung im Rahmen der Ausbildung für Therapiepferde

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Bruno Six
Die Gelassenheitsprüfung (GHP) wurde vor einigen Jahren als Gemeinschaftsaktion der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN) und der Pferdesportzeitschrift Cavallo entwickelt. Sie richtet sich vor allem an Besitzer von Sport- und Freizeitpferden, die kein Interesse an turniersportlichen Leistungen haben (Deutsche Reiterliche Vereinigung 2009). Viele Pferdefreunde - auch Quer- und Wiedereinsteiger -, die nicht aus traditionellen Pferdefamilien stammen, wählen das Hobby "Pferd" und kommen so ganz neu an das Pferd heran. Dies bedeutet u. U. enorme Wissenslücken in Ausbildungs- und Haltungsfragen, die durch die GHP geschlossen werden sollten.
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mup 3|2010|113-115|© Ernst Reinhardt Verlag München Basel, DOI 10.2378 / mup2010.art10d | 113 Bruno Six Forum Gelassenheitsprüfung im Rahmen der Ausbildung für Therapiepferde Die Gelassenheitsprüfung (GHP) wurde vor einigen Jahren als Gemeinschaftsaktion der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN) und der Pferdesportzeitschrift Cavallo entwickelt. Sie richtet sich vor allem an Besitzer von Sport- und Freizeitpferden, die kein Interesse an turniersportlichen Leistungen haben (Deutsche Reiterliche Vereinigung 2009). Viele Pferdefreunde - auch Quer- und Wiedereinsteiger -, die nicht aus traditionellen Pferdefamilien stammen, wählen das Hobby „Pferd“ und kommen so ganz neu an das Pferd heran. Dies bedeutet u. U. enorme Wissenslücken in Ausbildungs- und Haltungsfragen, die durch die GHP geschlossen werden sollten. Ziel der GHP ist es, dem Pferdebesitzer, Reiter oder Fahrer ein möglichst sicheres Gefühl beim täglichen Umgang mit dem Fluchttier Pferd zu geben. Das Pferd soll die in der GHP verlangten Aufgaben aufmerksam, ruhig und gehorsam absolvieren. Dabei ist es aber von größter Bedeutung, dass die Aufgaben mit gleicher Intensität möglichst täglich trainiert werden. Der Vorteil ist, dass durch dieses regelmäßige Training ein gewisses Vertrauen zwischen Mensch und Pferd aufgebaut wird, welches zu Respekt und Gehorsam des Pferdes gegenüber dem Menschen führen soll. Grundsätzlich ist die GHP „der kleine Knigge“ für das Miteinander im Umgang zwischen Mensch und Pferd und kann lediglich die gute Kinderstube unter Beweis stellen. Ihre Anforderungen sind eine Selbstverständlichkeit für Horsemanship und im Rahmen der Ausbildung für ein Therapiepferd höchstens mit einem Kindergarten zu vergleichen. Die Wissenslücken vieler Pferdeliebhaber werden leider häufig von selbsternannten Pferdesachverständigen geschlossen, die in ihren Methoden und Ansichten jenseits der klassischen Ausbildungslehre stehen. Bei vielen Ratschlägen dieser „Gurus“ hat man den Eindruck, es geht weniger um die Ausbildung von Mensch und Pferd, sondern mehr um den schnellen Euro, der mit diesen fragwürdigen Lehren verdient wird. Manche Methoden gefährden sogar die Sicherheit von Reiter und Pferd. Deshalb ist es sinnvoll, sich näher mit der GHP zu befassen. Die GHP kann geritten und geführt absolviert werden. Bei den standardisierten Aufgaben werden die Pferde mit verschiedenen Situationen konfrontiert, die täglich verkehrs- und umweltbedingt vorkommen können und optische und akustische Reize setzen. Im Einzelnen werden folgende Aufgaben bei der geführten GHP I+II verlangt: Vortraben an der Hand ■ Aufsteigende Luftballons bzw. Klapperkarre ■ Stangenkreuz bzw. Knackpunkt ■ Flatterband / Müllpassage bzw. ■ Stangenfächer Angerollte Bälle bzw. Hufe wässern ■ 114 | mup 3|2010 Forum: Six - Gelassenheitsprüfung im Rahmen der Ausbildung für Therapiepferde Rückwärts richten bzw. Flatterbandvorhang ■ Plane bzw. Ball ■ Rappelsack bzw. Wassergraben ■ Stillstehen bzw. Plane über Rücken ■ Bei der gerittenen GHP III sind folgende Aufgaben zu absolvieren: Aufsitzen mit Aufsitzhilfe ■ Stangenkreuz ■ Flatterbandpassage ■ Aufsteigende Luftballons ■ Stillstehen und Rückwärtsrichten ■ Regenschirm ■ Plane ■ Rappelsack ■ Brücke ■ Sprühflasche ■ (vgl. Deutsche Reiterliche Vereinigung 2009) Details zu Organisation und Durchführung lassen sich aus der FN-Broschüre zur GHP ersehen. Bewertet wird nach dem Schulnotensystem 1-6. Ein Pferd gilt als gelassen, wenn es die Aufgaben aufmerksam, aber ruhig und gehorsam mit deutlicher Bereitschaft zum Mitmachen absolviert. Beim Führen soll der Führstrick leicht durchhängen, der Pferdeführer geht auf Höhe des Halses oder der Schulter des Pferdes. Unter dem Reiter wird darüber hinaus das gleichmäßige Schreiten des Pferdes bewertet. Die Reiterhilfen sollten minimal und fast unsichtbar gegeben werden. Hat ein Pferd mehrere Erfolge in der GHP vorzuweisen, so bescheinigt dies lediglich, dass das Pferd einen gewissen Grundgehorsam erlernt hat, also eine „ordentliche Kinderstube“ hatte. Eine Garantie für den Gebrauch als Therapiepferd kann daraus aber nicht abgeleitet werden. Es wäre unverantwortlich, ja sogar grob fahrlässig, würde man die GHP als alleinigen Eignungsnachweis für ein Therapiepferd betrachten. In der Praxis ist es durch Training, Gewöhnung und vor allem durch die Bezugsperson sehr einfach, das Pferd mit den spezifischen Umweltreizen einer GHP vertraut zu machen. Die Reize werden vom Pferd schnell als ungefährlich erkannt und lösen deshalb keine Fluchtreaktion mehr aus. Wenn aber an einer ungewohnten Stelle ein ähnlicher Reiz kommt, reagiert das Pferd wieder mit seinem Urinstinkt - Flucht. Jeder hat es sicher schon erlebt, dass ein Gegenstand in der Reitbahn, der längere Zeit an einem bestimmten Platz gelegen hat, keine Reaktionen beim Pferd mehr auslöst. Ist dieser Gegenstand aber eines Tages an einer anderen Stelle platziert, löst er sofort wieder Panik aus. Deshalb können Erfolge eines Pferdes in der GHP lediglich als Indiz für einen gewissen Grundgehorsam in Bezug auf ein brauchbares Therapiepferd gelten, aber auch nicht mehr. Die Anforderungen an ein Therapiepferd sind weitaus höher und umfangreicher als sie in der GHP abgefragt bzw. dafür trainiert und anerzogen werden. Ein Therapiepferd muss sich dem Pferdeführer unterordnen. Eine lose Verbindung von Führ- oder Langzügel ist bei einem fünfminütigen Auftritt in der GHP noch zu dulden. Bei der Arbeit mit einem Patienten braucht das Pferd aber eine sichere und stetige Anlehnung. Deshalb gelten für die Ausbildung des Therapiepferdes zunächst die klassischen Ausbildungsgrundsätze unter dem Reiter nach der Ausbildungsskala: 1. Takt = Gleichmaß der Bewegungen im ■ Schritt, Trab und Galopp 2. Anlehnung = stetige gleichmäßige Verbin- ■ dung zwischen Pferdemaul u. Reiterhand Forum: Six - Gelassenheitsprüfung im Rahmen der Ausbildung für Therapiepferde mup 3|2010 | 115 3. Losgelassenheit = wenn das Pferd weder ■ äußere noch innere Verspannungen erkennen lässt Diese drei Punkte sind entscheidend. Gleichzeitig mit der reiterlichen Grundausbildung wird das Pferd an die therapiespezifischen Anforderungen gewöhnt, z. B. Heranführen an die Rampe, absolutes Stillstehen auf vier Beinen länger als zehn Sekunden (wie in der GHP), Duldung von Sitzanomalien durch verschiedene körperliche Beeinträchtigungen des „Reiters“. Erst wenn diese Grundsätze gefestigt sind, das Pferd durch die tägliche Arbeit entsprechend gymnastiziert und bemuskelt ist, kann man das Pferd mit den verschiedensten Umweltreizen konfrontieren, um so die Tiergefahr zu minimieren. Auszuschalten ist sie nie. Das spezifische Training eines Therapiepferdes dauert je nach Pferderasse, Charakter und Temperament, Alter und Ausbildungsstand wenigstens ein Jahr. Je behutsamer das Pferd angelernt wird, umso nachhaltiger und dauerhafter ist seine Einsatzfähigkeit. Zusammenfassend ist festzustellen, dass die GHP im Rahmen der Ausbildung zum Therapiepferd nur bedingt hilfreich ist. Der laienhafte Eindruck, ein Pferd sei beherrschbar, wenn es am langen Strick neben dem Führer gehorsam über eine Plane geht, kann bei der Arbeit mit behinderten Menschen eine trügerische Sicherheit vorgaukeln. Die Ausbildung des Therapiepferdes gehört in professionelle Hände. Jedes Experiment mit zirzensisch dressierten Pferden kann großen Schaden an der Gesundheit des Pferdes verursachen, denn nur die klassische Gymnastizierung, die Förderung der Schubkraft und die Entwicklung der Tragkraft garantieren ein leistungsfähiges, gesundes und langlebiges Pferd - ein „Therapiepferd“, das von Jahr zu Jahr an Routine gewinnt, sich im Gleichgewicht befindet und die bestmögliche Sicherheit garantiert. Literatur Deutsche Reiterliche Vereinigung e. V. (Hrsg.): ■ GHP. Gelassenheitsprüfung für Sport und Freizeitpferde. Ein Gemeinschaftsprojekt von Cavallo und Deutscher Reiterlicher Vereinigung e. V. Stand Januar 2009. Kostenloser Download unter: www.fn-verlag.de/ shop Dipl.-Ing. Bruno Six Bruno Six Joseph-Schlicht-Str. 11 85283 Wolnzach Kontakt