eJournals mensch & pferd international 2/3

mensch & pferd international
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1867-6456
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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Recht: Reitunfälle aus zivil- und strafrechtlicher Sicht (österreichisches Recht)

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2010
Johann Lueger
Unfälle beim Reiten oder im Umgang mit dem Pferd kommen leider häufig vor. Grundsätzlich trägt die typischen Gefahren einer Sportart der Teilnehmer selbst. Liegt aber ein schuldhaftes Verhalten von Therapeuten, Reitlehrern oder Helfern vor, die zu einem Unfall führen, kann dies zu zivil- und strafrechtlichen Folgen führen.
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116 | mup 3|2010|116-119|© Ernst Reinhardt Verlag München Basel Johann Lueger Unfälle beim Reiten oder im Umgang mit dem Pferd kommen leider häufig vor. Grundsätzlich trägt die typischen Gefahren einer Sportart der Teilnehmer selbst. Liegt aber ein schuldhaftes Verhalten von Therapeuten, Reitlehrern oder Helfern vor, die zu einem Unfall führen, kann dies zu zivil- und strafrechtlichen Folgen führen. Zivilrecht Schadenersatz Einen Anspruch auf Schadenersatz gibt es nur, wenn ein Schaden vorliegt (Personenschaden oder ■ Vermögensschaden); der Schaden vom Ersatzpflichtigen (Haft- ■ pflichtigen) verursacht worden ist oder von einer Person bzw. einer Sache, für die er einzustehen hat; der Verursacher rechtswidrig und schuldhaft ■ (persönlich vorwerfbar) gehandelt hat, durch Begehung eines Deliktes oder Verletzung eines Vertrages. Ersatzpflicht Schadenersatzpflichtig ist zunächst derjenige, der schuldhaft gehandelt hat, z. B. der Therapeut oder Reitlehrer. Beschäftigt ein Reitstallbesitzer Therapeuten, Reitlehrer, Gehilfen, etc., haftet er dem Geschädigten gegenüber auch für seine Erfüllungsgehilfen aus dem Vertrag (mit der Vereinbarung einer Therapie- oder Reitstunde wird ein Vertrag abgeschlossen). Ebenso schadenersatzpflichtig ist der Tierhalter, wenn er die Verwahrung des Tieres (z. B. Hund) vernachlässigt. In der Praxis wird überwiegend gegen den Reitstallbesitzer die Schadenersatzklage eingebracht, fallweise zusätzlich gegen den Verursacher (Therapeut, Reitlehrer, etc.). Therapeuten und Reitlehrer, die auf Selbstständigenbasis arbeiten, haften alleine. Rechtswidrigkeit Eine Handlung oder Unterlassung ist generell rechtswidrig, wenn diese gegen Gebote oder Verbote der Rechtsordnung oder gegen die guten Sitten verstößt. Für die Haftung aus einem Vertrag ist das vertragswidrige Verhalten maßgeblich. (Wenn ein Reitstallbesitzer Therapiestunden vereinbart, haftet er aus dem Vertrag heraus, wenn ein Mensch mit Behinderung einen Unfall erleidet. Handelt der Therapeut schuldhaft, z. B. durch die Auswahl eines nicht geeigneten Pferdes, haftet auch dieser.) Verschulden Arten des Verschuldens: Vorsatz ■ ist die „böse Absicht“. Es ist das bewusste und gewollte Herbeiführen eines Schadens. Fahrlässigkeit ■ ist die Außerachtlassung der gehörigen Sorgfalt, a) Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn die Sorgfaltswidrigkeit einem ordentlichen Menschen keinesfalls unterläuft. Recht Reitunfälle aus zivil- und strafrechtlicher Sicht (österreichisches Recht) Recht: Lueger - Reitunfälle aus zivil- und strafrechtlicher Sicht mup 3|2010 | 117 Johann Lueger b) Leichte Fahrlässigkeit beruht auf einem Fehler, der gelegentlich auch einem sorgfältigen Menschen unterläuft. Sorgfaltsmaßstab Therapeuten, Reitlehrer, etc. gelten als Sachverständige, für die grundsätzlich ein strengerer Maßstab gilt. Bei der Therapie mit Menschen mit Behinderung oder beim Reitunterricht mit Kindern ist die Verpflichtung zu ganz besonderer Sorgfalt und Vorsicht gegeben. Umfang des Ersatzes Leichtes Verschulden: ■ Ersatz des tatsächlichen Schadens nach dem Verkehrswert. Grobe Fahrlässigkeit und Vorsatz: ■ Es ist volle Genugtuung zu leisten, das sind der Ersatz des Schadens und der entgangene Gewinn. Haftung bei Körperverletzung Die Körperverletzung ist jede Beeinträchtigung der körperlichen oder der geistigen Unversehrtheit (Gesundheit). Zu ersetzen sind die Heilungskosten und der entgangene (und der künftig entstehende) Verdienst. Weiter ist Schmerzensgeld zu bezahlen. Ist eine Person auf Dauer verunstaltet, insbesondere eine Person weiblichen Geschlechts, und wird dadurch ein besseres Fortkommen verhindert, ist eine Verunstaltungsentschädigung zu leisten. Tötung Hier sind die Kosten einer versuchten Heilung und alle mit dem Tod verbundenen Auslagen zu ersetzen. Dazu gehören der Aufwand für das Begräbnis und die Errichtung eines Grabes. Die Hinterbliebenen haben ein Recht auf Ersatz des entgangenen Unterhaltes (Rente). Haftungsbegrenzung Der Schädiger haftet nur für Schäden, die er adäquat herbeigeführt hat. Er haftet beispielsweise nicht dafür, wenn durch Absperrmaßnahmen am Unfallort ein LKW nicht zeitgerecht liefern kann und es zu Produktionsausfällen bei einem Unternehmen kommt. Verkehrssicherungspflicht Eine Verkehrssicherungspflicht trifft jeden, der auf einem seiner Verfügung unterstehenden Grundstück einen Verkehr für Menschen eröffnet. Bei der Verkehrssicherungspflicht eines Veranstalters von Sportereignissen kommt es immer darauf an, welche Maßnahmen zur Abwehr vorhersehbarer Gefahren notwendig und zumutbar sind. Die einschlägigen Richtlinien von Sportverbänden und allfällige behördliche Anordnungen sind dabei Sorgfaltsmaßstab. Haftungsausschlüsse Ein formularmäßiger Ausschluss von der Haftung ist für fahrlässig oder vorsätzlich herbeigeführte Personenschäden, jedenfalls bei entgeltlichen Geschäften (Therapie, Reitunterricht etc.), im Regelfall unwirksam, da ein Vertragsteil gröblich benachteiligt ist (§ 879 Abs. 3 ABGB). Strafrecht Unabhängig von Schadenersatzansprüchen durch den Geschädigten kann die Staatsanwaltschaft ein Strafverfahren wegen Körperverletzung oder Tod einleiten. Gemäß den Bestimmungen des ÄrzteG 1998 haben Ärzte der Sicherheitsbehörde unverzüglich Anzeige zu erstatten, wenn in Ausübung ihres Berufes der Verdacht besteht, dass durch eine gerichtlich strafbare Handlung der Tod oder eine schwere Körperverletzung herbeigeführt wurde. Für die Strafbemessung sind der Grad der Körperverletzung (leichte, schwere, mit Dauerfolgen, mit tödlichem Ausgang) und der Grad des Verschuldens (leichte Fahrlässigkeit, grobe Fahrlässigkeit = schweres Verschulden, Absicht) maßgeblich. Geldstrafen können bis zu 360 Tagessätzen verhängt werden, Freiheitsstrafen bis zu zehn Jahren. Mit der Strafprozessnovelle 1999 wurde die Diversion eingeführt. Darunter versteht man die Möglichkeiten, auf die Durchführung eines förmlichen gerichtlichen Strafverfahrens zu verzichten. 118 | mup 3|2010 Recht: Lueger - Reitunfälle aus zivil- und strafrechtlicher Sicht Nach erfolgreicher Diversion wird ein Strafverfahren endgültig eingestellt. Die diversionelle Erledigung eines Strafverfahrens kann auch von dem Verdächtigten selbst beantragt werden. Beispiele: außergerichtlicher Tatausgleich ■ (z. B. Schadensgutmachung), Probezei ■ t, gemeinnützige Leistunge ■ n, Zahlung eines Geldbetrages. ■ Allen diesen Diversionsformen ist gemeinsam, dass sie nur mit ausdrücklicher Zustimmung des Verdächtigten durchgeführt werden können und nur unter bestimmten Voraussetzungen anwendbar sind. Die berechtigten Interessen des Verletzten sind zu berücksichtigen. Es erfolgt keine Eintragung ins Strafregister, jedoch eine justizinterne Registrierung für die Dauer von fünf Jahren. Auszüge aus gerichtlichen Entscheidungen 1. In einem Schadenersatzprozess führte das Gericht aus, dass sich der Unterrichtende bei Reitern, die zum Reitbetrieb kommen und reiten wollen, erkundigen und anschauen muss, ob der Reiter wirklich der Sache gewachsen ist, auch wenn dieser bereits einen Reiterpass oder eine Reiternadel hat. Es ist auch zu überprüfen, ob der Reiter mit dem zugewiesenen Pferd zurechtkommt. 2. In einem anderen Fall führt das Gericht aus, dass die Reitlehrerin beim Reitunterricht mit einem Kind zu besonderer Sorgfalt und Vorsicht verpflichtet gewesen wäre, da die zum Zeitpunkt des Unfalles etwa sieben Jahre alte Klägerin sicher nicht in der Lage war, einer plötzlich auftretenden Gefahrensituation wirksam zu begegnen. 3. Bei einem Unfall, hervorgerufen durch das Bellen eines Hundes, darauffolgendem Scheuen des Pferdes und Sturz des Reiters stellte das Gericht fest, dass aufgrund der bekannten Neigung von Pferden, bei plötzlichen lauten Geräuschen zu scheuen, der Reitstallbesitzer und seine Reitlehrerin verpflichtet gewesen wären, dafür zu sorgen, dass es in der Reithalle während des Unterrichtes keine derartigen Gefahrenquellen gibt. Die Anwesenheit des Hundes des Reitstallbesitzers, dessen Neigung zu bellen und herumzulaufen bekannt ist, muss als besonders grobe Sorgfaltsverletzung gewertet werden. 4. Anlässlich eines Ausritts im Schritt rutschte ein Kind vom Pferd und verletzte sich schwer. Das Gericht konnte kein fahrlässiges Verhalten der begleitenden geprüften Reitlehrer erkennen. Bei diesem Unfall hat sich das typische Risiko verwirklicht, das mit dem Reitsport verbunden ist. Allerdings wurde das Kind durch einen Mitarbeiter des Reitstalles mit dem PKW in das Krankenhaus gebracht. Wären durch diesen unsachgemäßen Transport die Verletzungen verschlimmert worden, hätten der Reitstallbesitzer und der Mitarbeiter dafür einstehen müssen. 5. Ein Turnierteilnehmer band bei einer Turnierveranstaltung sein Pferd am Pferdeanhänger an und ging zur Meldestelle. Das ansonsten sehr ruhige Pferd erschrak, schlug aus und traf eine Frau. Das Gericht stellte fest, dass auch bei einer ordnungsgemäßen Beaufsichtigung des Pferdes dessen Scheuen und Ausschlagen bei Lärm möglicherweise nicht zu verhindern gewesen wäre. Aber eine sachgerechte Beaufsichtigung des Pferdes hätte verhindern können, dass Menschen so nahe an das Pferd herantreten, dass sie verletzt werden. Der Tierhalter muss bei der Verwahrung und Beaufsichtigung auch mit einer gewissen Sorglosigkeit Dritter rechnen. Tipps für die Praxis Therapeuten und Reitlehrer gelten gemäß den Bestimmungen des ABGB als Sachverständige, so dass hier bereits ein strengerer Maßstab angelegt wird. Bei der Therapie von Menschen mit Behinderung mit dem Recht: Lueger - Reitunfälle aus zivil- und strafrechtlicher Sicht mup 3|2010 | 119 Pferd und beim Unterricht von Kindern gilt ein besonders hoher Sorgfaltsmaßstab. Bei Personen mit Behinderungen, mit zum Teil eingeschränkten motorischen bzw. sensorischen oder auch kognitiven Fähigkeiten, ist die allergrößte Sorgfalt und Vorsicht geboten. Dies trifft bereits auf die Auswahl des Pferdes zu, der passenden Kleidung, der nötigen Schutzausrüstung (Reitkappe und Schutzweste - EN-Norm! ), der Auswahl der Wegstrecke bei Ausritten sowie einer genügenden Anzahl von geeigneten Begleitpersonen. Beispielsweise wird man mit einer Stute nicht bei einer Hengstkoppel vorbeigehen bzw. vorbeireiten oder nervöse Pferde einsetzen. Probleme gibt es häufig mit freilaufenden bzw. bellenden Hunden. Hunde sind so zu verwahren (versperren, anleinen), dass Pferde durch diese nicht erschrecken können. Hunde haben in der Reithalle und im Viereck nichts verloren! Begleitet ein Hund einen Ausritt, hat dieser angeleint zu sein. Ist offensichtlich, dass ein Reitschüler mit einem Pferd nicht zurechtkommt, ist umgehend das Pferd zu wechseln oder dem Schüler nochmals Longenunterricht zu erteilen. Pferde, die beispielsweise in der Stallgasse angebunden werden, sind zu beaufsichtigen. Eine besondere Bedeutung kommt auch der Verkehrssicherungspflicht zu. Damit ist gemeint, dass alle Vorkehrungen getroffen werden müssen, damit niemand zu Schaden kommt. Beispiele: Scharfkantige Metalltafeln mit Buchstaben am Rand des Vierecks, bei denen sich Pferde oder Reiter verletzen können, weiter das Nichttragen von Schutzausrüstung, insbesondere wenn dies vorgeschrieben ist. Nicht vergessen werden darf die Aufsichtspflicht, die über Kinder und Unmündige übernommen wird. Wird nach einem Unfall der Transport in ein Krankenhaus notwendig, ist für einen sachgemäßen Transport zu sorgen, damit der Schaden an der Person nicht vergrößert wird. Daher gilt: Bei Brüchen, Kopfverletzungen, Verdacht auf Wirbelsäulenverletzungen, innere Verletzungen etc. hat der Transport nur durch die behördlich anerkannten Rettungsdienste zu erfolgen. Die häufig geübte Praxis des Haftungsausschlusses, insbesondere beim Reitunterricht, hat allenfalls eine psychologische Wirkung. Derartige Haftungsausschlüsse werden vom Gericht als nichtig gewertet. Zusammenfassung Klagen können sich gegen den Schuldigen (Haftung aus Delikt), den Stallbesitzer (Haftung aus Vertrag) und gegen den Tierhalter wegen mangelhafter Verwahrung richten. Gegen Schadenersatzansprüche ist der Abschluss einer Versicherung mit genügend hoher Deckungssumme unumgänglich. Gerade bei der Deckungssumme sollte nicht gespart werden. Auch der Abschluss einer Rechtsschutzversicherung ist zu empfehlen, da die Verfahrenskosten (Gericht, Anwalt, Sachverständiger) sehr hoch sind. Auch wenn Unfälle im Umgang mit dem Pferd nicht vermeidbar sind, kann bei gehöriger Umsicht und Vorsicht das Unfallrisiko deutlich verringert werden. Dr. Johann Lueger Vorstandsmitglied im Landesfachverband für Reiten und Fahren in Niederösterreich, Vorsitzender des Schiedsgerichtes des Bundesfachverbandes für Reiten und Fahren in Österreich (Berufungsinstanz in Disziplinarangelegenheiten), Rechtlicher Berater für die Verbände und deren Mitglieder sowie für das Österreichische Kuratorium für therapeutisches Reiten, Obmann des Vereins der Pferdefreunde Niederösterreich Kontakt: Dr. Johann Lueger · Schubertgasse 1 · A-2542 Kottingbrunn Der Autor