mensch & pferd international
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Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/mup2010.art08d
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Heilpädagogisches Voltigieren für Menschen mit herausfordernden Verhaltensweisen
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Susanne Nowack
In der Fachliteratur wird häufig von den positiven Auswirkungen des Therapeutischen Reitens auf die psychische Verfassung des Menschen berichtet. Besonders eindeutig ist diese Aussage, wenn die Teilnehmer selbst hierüber berichten können. Wie lässt sich diese Wirkung jedoch bei Menschen mit eingeschränkter Sprachfähigkeit feststellen? In diesem Beitrag wird auszugsweise eine Einzelfallstudie vorgestellt, welche mithilfe einer Verhaltensbeobachtung körperliche An- bzw. Entspannungszustände während der HFP erfasst. Bei den untersuchten Personen handelt es sich um Menschen mit einer kognitiven Beeinträchtigung, bei denen ebenfalls eine Störung aus dem Autismusspektrum vorliegt. In einem weiteren Schritt wird ausgehend davon auf die mentale Verfassung geschlossen und die Effekte der Heilpädagogischen Förderung mit dem Pferd in Zusammenhang mit psychischen An- und Entspannungszuständen des untersuchten Personenkreises gebracht.
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96 | mup 3|2010|96-103|© Ernst Reinhardt Verlag München Basel, DOI 10.2378 / mup2010.art08d Schlüsselbegriffe: Heilpädagogische Förderung mit dem Pferd, herausfordernde Verhaltensweisen, Entspannung, kognitive Beeinträchtigung, Verhaltensbeobachtung Susanne Nowack Welchen Einfluss hat das Heilpädagogische Voltigieren auf Entspannungszustände von Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung? In der Fachliteratur wird häufig von den positiven Auswirkungen des Therapeutischen Reitens auf die psychische Verfassung des Menschen berichtet. Besonders eindeutig ist diese Aussage, wenn die Teilnehmer selbst hierüber berichten können. Wie lässt sich diese Wirkung jedoch bei Menschen mit eingeschränkter Sprachfähigkeit feststellen? In diesem Beitrag wird auszugsweise eine Einzelfallstudie vorgestellt, welche mithilfe einer Verhaltensbeobachtung körperliche Anbzw. Entspannungszustände während der HFP erfasst. Bei den untersuchten Personen handelt es sich um Menschen mit einer kognitiven Beeinträchtigung, bei denen ebenfalls eine Störung aus dem Autismusspektrum vorliegt. In einem weiteren Schritt wird ausgehend davon auf die mentale Verfassung geschlossen und die Effekte der Heilpädagogischen Förderung mit dem Pferd in Zusammenhang mit psychischen An- und Entspannungszuständen des untersuchten Personenkreises gebracht. Heilpädagogisches Voltigieren für Menschen mit herausfordernden Verhaltensweisen Nowack - Heilpädagogisches Voltigieren für Menschen mit herausfordernden Verhaltensweisen mup 3|2010 | 97 Susanne Nowack Einleitung „Verhalten ist der außen sichtbare Ausdruck innerer psycho-emotionaler Prozesse, d. h. Befindlichkeiten, Stimmungen, Emotionen. Und Verhalten ist nicht zuletzt Botschaft und Signal für Wünsche und Bedürfnisse, besonders bedeutsam in dem Fall, in dem die betreffende Person physisch oder psychisch gehindert ist, sich verbal auszudrücken.“ (Petry 1999, 39). Ein Teil der Menschen mit einer kognitiven Beeinträchtigung verfügt nicht über die Fähigkeit, eigene Bedürfnisse und Befindlichkeiten auf sozial angemessene (z. B. wertschätzend-verbale) Weise mitzuteilen. Häufig fallen diese Menschen in ihrer Umwelt durch herausforderndes Verhalten (engl.: „challenging behaviour“) auf. Dieser Begriff nach Emerson (2001) umfasst eine Vielzahl von Verhaltensweisen, welche die Person selbst (autoaggressive Verhaltensweisen), Personen des Umfelds (fremdaggressive Verhaltensweisen), oder Gegenstände (sachaggressive Verhaltensweisen) beschädigt oder gefährdet. Diese Verhaltensweisen sind in Bezug auf Intensität und Komplexität individuell verschieden und zumeist Ausdruck großer Unsicherheit, Ängstlichkeit und / oder eines gestörten inneren Gleichgewichts. Als Interventionsmöglichkeit für den Umgang mit herausfordernden Verhaltensweisen gibt es einige ganzheitlich orientierte, die Lebenssituation der betreffenden Person analysierende, Konzeptionen. Als unterstützende Aspekte beim Umgang mit herausfordernden Verhaltensweisen werden in diesen Konzepten immer auch therapeutische und freizeitorientierte Bewegungsangebote genannt. Besonders für Menschen mit schweren kognitiven Beeinträchtigungen wird hier vor allem das Schwimmen oder Snoezelen angeführt, auch das Heilpädagogische Voltigieren als ganzheitlich-bewegungsorientiertes Angebot findet hier seinen Platz. Auf dem Pferd können Menschen mit schwerwiegenden Beeinträchtigungen über die Bewegung mit ihrer Umwelt in Kontakt treten. Mensch und Pferd treten aufgrund ihrer motorischen Interaktion und des Zusammenspiels der Hilfen in einen Bewegungsdialog. Scheidhacker (1996, 43) beschreibt dies sehr treffend: „Sprachliche Inhalte sind in einer derartigen Beziehung bedeutungslos, wesentlich ist körperlicher Ausdruck, Mimik, Gestik und emotionale Intention.“ Der Fachliteratur sind einige Studien zu entnehmen, welche die positiven Effekte des Therapeutischen Reitens auf die Psyche des Menschen darstellen. So untersuchte Schneider (2005) im Rahmen ihrer Dissertation 20 Kinder und Jugendliche mit Autismusspektrumsstörung mittels videogestützter Verhaltensbeobachtung und stellte als signifikantes Ergebnis fest, dass verbale sowie tätliche Fremdaggressivität im Verlauf der pferdegestützten Förderung abnahmen. Laut Kröger (2004) kann das Pferd im Rahmen der Förderung verhaltensregulierend wirken, indem es auf aggressive Impulse mit fluchttierspezifischem Verhalten wie Unruhigwerden oder Scheuen reagiert. Gerade das Pferd bietet sich als „Erfahrungsbereich“ für Kontakt und Emotion an […]. Pferde repräsentieren durch ihre Verhaltensweisen, ihre Eigenheiten und ihr Bedürfnis nach einer stabilen Umwelt, gepaart mit Sensibilität für Neues, ein ideales Übungsfeld für autistische Kinder - nicht zuletzt, weil die Auseinandersetzung auf der Körperebene stattfindet (Winnesheidt-Gesse 1994, 99). 98 | mup 3|2010 Nowack - Heilpädagogisches Voltigieren für Menschen mit herausfordernden Verhaltensweisen Planung der Verhaltensbeobachtung Die zentrale Frage, die sich nun aus der vorangegangenen Literaturarbeit und vor allem den persönlichen Erfahrungen ergab, war: Stellen sich bei Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen und gleichzeitig auftretenden herausfordernden Verhaltensweisen durch die Heilpädagogische Förderung mit dem Pferd (HFP) kurzfristige Wirkungen auf körperliche und psychische Anspannungen ein? Ausgehend von dieser Forschungsfrage wurden die beiden Hypothesen aufgestellt: Hypothese 1: Die Heilpädagogische Förderung mit dem Pferd (HFP) vermag es, Anspannungen der Personen im Verlauf der Förderung zu vermindern, und führt zu vermehrter Entspannung. Hypothese 2: Die Anspannung vor der HFP ist größer als während der Förderung (2 a), weiterhin lassen sich Entspannungseffekte noch direkt im Anschluss an die HFP beobachten (2 b). Die Verhaltensbeobachtung wurde in der Reittherapie eines Wohnheims für Menschen mit geistiger Behinderung durchgeführt. Die Reithalle befindet sich fußläufig vom Wohnkomplex. Teilnehmer der Untersuchung waren zwei von der Verfasserin im Rahmen einer Nebentätigkeit begleitete Bewohner einer Intensivwohngruppe des Wohnheims, diese waren zum Zeitpunkt der Untersuchung 23 Jahre alt. Wie zuvor beschrieben, erwies sich eine Befragung der untersuchten Personen aufgrund ihrer kognitiven Beeinträchtigung als nicht geeignet. Auch medizinische Messungen wie die Bestimmung des Adrenalin- oder Kortisolspiegels (Stresshormone) oder Blutdruckmessung waren nicht umsetzbar, da dies von der Einrichtung abgelehnt wurde. In Bezug auf die Fragestellung zeigte sich so die Verhaltensbeobachtung als einzig mögliche Methode. Escalera (2004, 174) stellt dar, dass Menschen mit geistiger Behinderung mit eingeschränkter Verbalisierungsfähigkeit in einer Konfliktsituation zunächst versuchen, eine Auseinandersetzung Tab. 1: Beobachtungsskala Frau A. Starke Anspannung +3 In den Haaren ziehen - Kneifen - Treten - Mit dem Kopf schlagen - Mittlere Anspannung +2 Lautes, andauerndes Zähne- knirschen (< 2 pro Intervall) Andeuten von Kneifen / Haare ziehen - „Prusten“, „Schnauben“ - Auf den Boden setzen - Fäuste ballen / Zettel zerknüllen - Festklammern, Greifen - Verweigern, aufs Pferd zu gehen - Auf die Toilette gehen - Leichte Anspannung +1 Vom Pferd heruntergehen wollen - Auf dem Weg stehenbleiben - Zähneknirschen (< 2 pro Intervall) - Äußerung von Angst - Äußern, zur Gruppe zurückgehen zu wollen Dinge energisch einfordern - (mit Fußstampfen) „Schüppe“ mit dem Mund ziehen - Kopf im Kragen „vergraben“ - Situationsangemessenes Verhalten 0 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . - Leichte Entspannung -1 Erfragen von „Geheimnissen“ - Auf Fragen / Anforderungen reagieren Kopf hochstrecken - Entspannter Gesichtsausdruck - Jmd. an die Hand nehmen - Selbstgespräche führen - Mittlere Entspannung -2 VP oder MA zum Singen auffordern - VP zum Traben auffordern - Lächeln - Fragen: „Woher kommt der denn? “; - „Wie heißt die denn? “ Schnell laufen - Andere Person umarmen - Große Entspannung -3 Bewohner S. umarmen und küssen - Aufs Pferd legen - Kopfschütteln beim Vorsingen - Lachen - Person rufen (lachend, singend) - Nowack - Heilpädagogisches Voltigieren für Menschen mit herausfordernden Verhaltensweisen mup 3|2010 | 99 verbal zu lösen. „Gelingt es ihnen nicht, so werden sie auf andere vertrautere Konfliktlösungsstrategien zurückgreifen, nämlich auf die körperlichen Behauptungsstrategien.“ Diese körperlichen Behauptungsstrategien als Ausdruck von Anspannung sind wiederum im Rahmen einer Verhaltensbeobachtung erfassbar. In Anlehnung an die für die Psychomotorische Therapie entwickelte und von Gultom- Happe (2003) für das HPV modifizierte LOVIPT (Leuvener Beobachtungsskalen für die psychomotorische Therapie von Simons u. a. 1989) wurde für die untersuchten Personen eine individuelle Ratingskala erstellt. Diese ermöglichte eine möglichst differenzierte Erfassung der Verhaltensweisen bei Anspannung / Entspannung. In Zusammenarbeit mit den Mitarbeitern der Wohngruppe sowie der Reittherapeutin wurde eine Sammlung von Verhaltensweisen erstellt, welche auf eine psychische Anspannung oder Entspannung der Person hindeuten. Dann wurden diese Verhaltensweisen in einer Ratingskala hinsichtlich ihrer Intensität eingeordnet (siehe Tabellen 1 und 2 unten). Da die untersuchten Personen bereits seit mehr als zwei Jahren Heilpädagogische Förderung mit dem Pferd erhielten, war es nicht möglich, generelle Veränderungseffekte im Laufe dieser zehn Wochen dauernden Beobachtung festzustellen. Aufgrund der zuvor gemachten Erfahrungen in der pädagogischen Begleitung der untersuchten Personen stand fest, dass lediglich kurzfristige Effekte der HFP betrachtet werden können. Aufgrund der kognitiven Beeinträchtigung und vor allem der vorhandenen Autismusspektrumsstörung besteht die Gefahr, dass durch die Konfrontation mit verschiedensten Umweltreizen wie Betreuungs- und Situationswechsel, Anforderungsveränderungen etc. die beobachtbaren Effekte des Heilpädagogischen Voltigierens überlagert werden. Dadurch wären die Effekte der HFP, bei zu langer zeitlicher Distanz, nicht mehr mithilfe der Verhaltensbeobachtung erfassbar Tab. 2: Beobachtungsskala Herr Z. Starke Anspannung +3 Kleidung zerreißen - Festbeißen - In den Haaren ziehen - Völlige Verweigerung (n. reiten) - [Türen knallen] - Mittlere Anspannung +2 Starrer Blick - Rufen mit greller / rauer Stimme - (> 2 mal) „leichter“ körperlicher Angriff - (greifen, drücken) Festes und häufigeres auf die Hand beißen (< 4 mal) Wippen auf dem Pferd (Vor / Zurück u. - Auf/ Ab gek. mit grellen Rufen) Drücken der Hand der RT (Festes - Rhythmisieren mit schriller Stimme) Beine eng zusammen, stark ange- winkelt Anforderungen verneinen - Leichte Anspannung +1 Rufen mit greller / rauer Stimme - (< 2 mal) Mit dem Rolli vorfahren / weglaufen - Best. Handlung energisch einfordern - Anforderungen verneinen - Mit den Händen flattern - Auf die Hand beißen (> 4 mal) - Situationsangemessenes Verhalten 0 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . - Leichte Entspannung -1 Freudiges Nachfragen - (Stimmfärbung < 2) Lächeln, entspannter Blick - Scherzhaft „Huch“, „Oh“ - Suche von Körperkontakt zur - Pädagogin / Pferd Mittlere Entspannung -2 Mit dem Rolli schnell fahren - (auch nach Aufforderung) „Ich will laufen“, „Ich will das machen“ - Winken - Freudiges Nachfragen (> 2) - Ruhiges besänftigendes Nachfragen - Beobachtet Situationen (hin- und herschauen) Aufs Pferd legen / streicheln - Personen rufen (a. d. Pferd wippen) - Vollkommene Entspannung -3 Singen - Lachen - Selbstgespräche führen - Extrem lautes, erfreutes Rufen - 100 | mup 3|2010 Nowack - Heilpädagogisches Voltigieren für Menschen mit herausfordernden Verhaltensweisen gewesen. Es erschien somit sinnvoll, jede Person in einem engen Zeitfenster vor, während und nach der Therapieeinheit zu beobachten. Durchführung der Verhaltensbeobachtung Die in der Untersuchung erhobenen Daten beziehen sich auf einen Zeitraum von zehn Fördereinheiten, welche per Videokamera festgehalten und anschließend ausgewertet wurden. Im Vorfeld wurden drei HFP-Einheiten gefilmt, welche ausschließlich der Gewöhnung der untersuchten Personen an die Beobachtungssituation sowie der Ergänzung von Verhaltensparametern auf den Ratingskalen dienten. Um das Verhalten der Personen in einem halbminütigen Zeitraster bewerten zu können, wurden der Hinweg zur Reithalle, die Sequenz auf dem Pferd sowie der Rückweg zur Wohngruppe mit der Videokamera aufgenommen. Um die Beobachtungseinheit statistisch sinnvoll auswerten zu können, war es wichtig, dass Sequenzen, welche kürzer als fünf Minuten waren, nicht in die Auswertung einbezogen werden konnten. Die einzelnen Sequenzen wurden dann zu einem späteren Zeitpunkt in unterschiedlicher Reihenfolge ausgewertet. Ergebnisse der Untersuchung Beispielhaft für die insgesamt 2 x 10 Einheiten wird hier für jede Person eine Auswertung aufgezeigt. Diese zeigt in einer übersichtlichen graphischen Darstellung den Spannungsverlauf während einer Abb. 1: Auswertung der HFP-Einheit von Frau A. vom 02.04.2009 Abb. 2: Auswertung der HFP-Einheit von Herrn Z. vom 09.04.2009 Nowack - Heilpädagogisches Voltigieren für Menschen mit herausfordernden Verhaltensweisen mup 3|2010 | 101 Fördereinheit. Die grauen Linien zeigen hier eine Tendenz der recht wechselhaften, halbminütigen Werte. Jede Fördereinheit wurde nach diesem Schema ausgewertet. Anschließend daran wurden die erhobenen Daten in einer Tabelle zusammengefasst, um generelle Aussagen bezüglich der aufgestellten Hypothesen treffen zu können. Um die Ergebnisse der Untersuchung zu veranschaulichen, wurden die zehn HFP-Einheiten mit dem Prozentwert 100 gleichgesetzt und alle Ergebnisse in Prozentangaben aufgeführt. Die Auswertung der per Videokamera aufgezeichneten Fördereinheiten ergibt in Bezug auf beide Hypothesen eine deutliche Tendenz. Bei Herrn Z. legen die ermittelten Werte mit 80 % eine vorläufige Annahme der Hypothese nahe, wohingegen der Wert von 60 % für Frau A. eher eine Tendenz nahelegt. Für die untersuchten Personen ergibt sich somit in durchschnittlich sieben der zehn Einheiten eine zunehmende Entspannung im Verlauf der HFP. In 10 % der Fördereinheiten bleibt der Grad der Anbzw. Entspannung während der Fördereinheit unverändert. Es zeigt sich jedoch auch in 20 % der Untersuchungseinheiten ein Spannungsanstieg während der HFP. Diese Ergebnisse legen so, vor allem für Herrn Z., die kurzfristige entspannungsfördernde Wirkung während der Situation auf dem Pferd nahe. Bezogen auf die Hypothese 2 a) (vermehrte Anspannung vor der HFP im Vergleich zur Reitsituation), kann hingegen nur eine leichte Ten- Tab. 3: Zusammenfassung der Daten der Videoanalyse Frau A. Tab. 4: Zusammenfassung der Daten der Videoanalyse Herr Z. Part Datum Hinweg HPV Rückweg 15.01. -1 -1 0 22.01. 0 0 0 29.01. 0 -1 -1 26.02. 0 -1 -1 05.03. -1 -2 -1 12.03. -1 -1 -1 19.03. -1 -2 1 26.03. 1 2 -1 02.04. -1 -2 -1 09.04. 0 -2 -1 ∅ -0,5 -1 -1 Part Datum Hinweg HPV Rückweg 15.01. -1 -2 -1 22.01. -0,5 -1 -1 29.01. -1 -1 -1 26.02. -1 -1 -1 05.03. 0 0,5 0 12.03. 0 -1 0 19.03. 0 -1 -1 26.03. 0 -1 -1 02.04. 0 0 -1 09.04. -1 -1 -1 ∅ -0,25 -1 -1 102 | mup 3|2010 Nowack - Heilpädagogisches Voltigieren für Menschen mit herausfordernden Verhaltensweisen denz festgestellt werden. In etwas mehr als der Hälfte der Fördereinheiten (55 %) war es so, dass während der Förderung im Vergleich zum Hinweg vermehrte Entspannung beobachtet wurde. In 35 % der Einheiten kam es zu keiner feststellbaren Veränderung zwischen der Stimmung auf dem Hinweg und der während der Heilpädagogischen Förderung mit dem Pferd. In 10 % kam es im Verlauf der Beobachtungseinheiten zu einer Zunahme der Anspannung. Die Ergebnisse des Vorher-Nachher-Vergleichs zeigen, dass es eine Tendenz in Richtung vermehrte Entspannung gibt, diese Ergebnisse sind jedoch nicht eindeutig. Da der Anteil der Fördereinheiten, in denen es während der HFP zu einem Anstieg der Anspannung kommt, gering ist, wird festgehalten, dass die HFP keine generell spannungssteigernde Wirkung für die untersuchten Personen zu haben scheint. Für die Untersuchung der Hypothese 2 b) (Entspannungseffekte lassen sich direkt im Anschluss an die HFP beobachten) wurden insgesamt acht von zehn Einheiten einbezogen, welche während der Förderung einen Anstieg der Entspannung konstatierten. Es zeigt sich, dass in 25 % der Untersuchungseinheiten auch nach der Förderung noch eine Entspannung vorgelegen hat, diese äußerte sich jedoch in vermindertem Ausmaß im Vergleich zum HFP. In 12,5 % der Fälle kam es nach der Förderung weder zu An- oder Entspannung (Ausprägungsgrad 0). In 6,25 % der Einheiten kam es zu einer erhöhten Anspannung während des Rückwegs, verglichen mit der Fördersituation. Ausblick Während der zehnwöchigen gezielten Beobachtungsphase wurde deutlich, wie viele strukturelle, personelle und weitere äußere Bedingungen das Verhalten der Person beeinflussten. Auf erster Ebene waren dies konkrete Variablen wie das Verhalten des Begleiters, stresserhöhende sowie mindernde Vorkommnisse in der Werkstatt, Müdigkeit, Hunger etc., welche das Verhalten der untersuchten Personen direkt beeinflussten. Auch weitere Faktoren wie die Jahreszeit oder die derzeitige Situation in der Wohngruppe beeinflussten unterschwellig die Grundstimmung und somit das Verhalten der untersuchten Personen. Diese Beobachtungsergebnisse führen zu der Annahme, dass speziell bei diesem Personenkreis, neben der Beziehung zum Pferd als Kommunikations- und Interaktionspartner, die basalen Eigenschaften des Pferdes im Vordergrund stehen. Ein Übermaß an von außen einwirkenden Reizen (wechselnde Situationen, Lautstärke etc.) überfordert die untersuchten Personen zumeist. Diese Annahme wird ebenfalls durch die Analyse der Videosequenzen bestärkt. Das taktile Angebot durch das warme, weiche Fell oder das Ansprechen der Propriozeption (Wahrnehmung der Lage und Bewegung des eigenen Körpers im Raum) durch die rhythmische Bewegung des Pferdes bietet intensive Körperreize, stellt jedoch keine Reizüberflutung dar. Im Hinblick auf die untersuchte Klientel hat die Untersuchung herausgestellt, wie wichtig eine bedarfsgerechte Planung der HFP-Einheiten, in diesem Fall beispielsweise die reizarme und stark strukturierte Gestaltung der Förderung, für den Erfolg bei der untersuchten Klientel ist. Nur durch eine individuelle und nutzerorientierte Organisation besteht für das Medium Pferd in der Förderung die Möglichkeit, positiv auf den Menschen und somit regulierend auf seine herausfordernden Verhaltensweisen einzuwirken. Um eindeutige und verlässlichere Ergebnisse in Bezug auf die Forschungsfrage zu erhalten, müsste aufbauend auf diese Einzelfallstudie eine umfangreichere Untersuchung durchgeführt werden, um generalisierbare Ergebnisse in Bezug auf die Gesamtheit der dargestellten Klientel ziehen zu können. Diese Untersuchung müsste sich durch einen größeren Stichprobenumfang, einen längeren Untersuchungszeitraum und idealerweise durch den Einbezug weiterer Forschungsmethoden, wie zuvor genannter physikalisch / medizinischer Messmethoden, auszeichnen. Nowack - Heilpädagogisches Voltigieren für Menschen mit herausfordernden Verhaltensweisen mup 3|2010 | 103 Dennoch sollte man den förderdiagnostischen und individuumszentrierten Aspekt einer solchen Untersuchung nicht aus dem Blick verlieren, da ausgehend von diesen Untersuchungsergebnissen die Situation der HFP zugunsten der Klienten modifiziert werden kann. Besonders bei Menschen mit schweren Beeinträchtigungen, deren Bedürfnisse und Wünsche wir nur durch genaue Beobachtung und wertschätzenden Umgang erahnen können, ist eine genaue Analyse der Bedingungen in der Heilpädagogischen Förderung mit dem Pferd notwendig. Nur so kann die Förderung auf die Klientel zugeschnitten und der Einsatz des Pferdes bestmöglich gestaltet werden. 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Schnell Buch & Druck, Warendorf, 93-99 Susanne Nowack Dipl.-Rehabilitationspädagogin, Schwerpunkt Bewegungserziehung und Bewegungstherapie, derzeit tätig in einem Institut für Entwicklungsförderung Schwerpunkt Autismus Anschrift: Susanne Nowack Artur-Ladebeck-Str. 87 33617 Bielefeld E-Mail: susanne.nowack@gmx.de Die Autorin
